Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Sozialisation, die Persönlichkeitsentwicklung und die Teilhabechancen von Jugendlichen


Masterarbeit, 2021

85 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 METHODISCHES VORGEHEN

3 SITUATIONSBESCHREIBUNG

3.1 iNFEKTIONSSCHUTZMAßNAHMEN ZUR EINDÄMMUNG DER CORONA-PäNDEMIE

3.2 Sozialer Wandel in modernen Gesellschaften

4 ÜBERBLICK ÜBER DIE AKTUELLE STUDIENLAGE

5 SOZIALISATION UND SOZIALISATIONSKONTEXTE IM WANDEL
5.1 Familie
5.2 Gleichaltrige - Peers
5.3 Schule
5.4 Medien

6 PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG IN DER JUGENDPHASE IN CORONA-ZEITEN 24
6.1 Entwicklungsphasennmodellnach Erikson
6.2 Phase IV: Schulalter
6.3 Herausforderung für das Schulalter in Zeiten der Corona-Pandemie
6.4 Phase V: Adoleszenz
6.5 Herausforderung für die Adoleszenzphase im Zuge der Corona-Pandemie 3

7 RESILIENZ UND SALUTOGENESE IN BELASTENDEN SITUATIONEN
7.1 Resilienz - Schutz- und Risikofaktoren
7.2 SALUTOGENESE
7.3 Bedeutung von Resilienz und Salutogenese in Sozialisations- und Entwicklungsprozessen

8 EXKURS - TEILHABECHANCEN VON JUGENDLICHEN DURCH BILDUNG
8.1 Soziale Bildungsungleichheit - Herkunftseffekte
8.2 Der Zusammenhang vonsozialer Herkunftund Bildungserfolg
8.3 Reproduktion von sozialer Bildungsungleichheit

9 AUSWIRKUNGEN DER CORONA-MAßNAHMEN IM BILDUNGSSEKTOR AUF DIE TEILHABECHANCEN VON JUGENDLICHEN

10 DAS HANDLUNGSFELD DER SOZIALEN ARBEIT IN ZEITEN VON CORONA 53
10.1 Soziale Arbeit als Hilfe zur Lebensbewältigung nach Böhnisch
10.2 Mandat und resultierender Handlungsauftrag für die Soziale Arbeit _
10.3 Schulsozialarbeit

11 SCHLUSSBEMERKUNG

LITERATURVERZEICHNIS

Summary

Die globale Ausbreitung des Corona-Virus und die damit verbundenen Infektions­schutzmaßnahmen haben zu einer einschneidenden Veränderung des gesellschaftlichen Lebens geführt. Zu den getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zählen bspw. Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, Betriebsschließungen, die Schließung von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, die Umstellung von Arbeits- und Bildungs­prozessen von analog auf digital, Hygienevorschriften sowie damit verbundene Abstands­regelungen. Dadurch sind einzelne Menschen und Familien, aber auch Institutionen und Organisationen der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft, des Gesundheitswesens, der Wohlfahrtspflege, des Rechts usw. vor neue und stetig wandelnde Herausforderungen ge­stellt. Für Jugendliche bedeutet dies ein Verlust an Handlungsspielräumen, Autonomieer­leben sowie Erfahrungsmöglichkeiten in Sozialisations-, Entwicklungs- und Bildungs­prozessen. In der Jugendphase finden viele dieser Prozesse im Austausch mit Gleichaltrigen, durch Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Werten, Normen und Strukturen sowie durch Ablösung vom Elternhaus statt. Durch die Maßnahmen im Bildungsbereich, im privaten und öffentlichen Leben befinden sich Jugendliche zunehmend in ihrer familialen Umgebung, wodurch viele Kontexte für die genannten Prozesse wegfallen oder einge­schränkt sind. Aufgrund dessen setzt sich die vorliegende Thesis mit der Frage auseinander: Welche Auswirkungen haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Sozialisation und psychosoziale Entwicklung sowie zukünftige Teilhabechancen von Jugendlichen?

Die Untersuchung der Fragestellung wurde anhand einer hermeneutischen Literaturanalyse in Kombination mit Ergebnissen aus aktuellen Forschungen bearbeitet. Im Laufe der Bear­beitung hat sich gezeigt, dass sich viele Jugendliche während der Schulschließungen sowie durch die weiteren Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie einsam und von den An­forderungen im schulischen Bereich überfordert fühlen und sich das psychische Wohlbe­finden gemindert hat. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass Jugendliche in ihrer Sozialisation und Entwicklung, im Kompetenzerwerb und ihren damit verbundenen Teil­habechancen beeinträchtigt werden. Aufgrund der daraus entstehenden Herausforderungen können sich individuell vielfältige Problemlagen ergeben, welche einer entsprechenden Bewältigung bedürfen. Hieraus eröffnen sich für die Soziale Arbeit, aufgrund ihrer ganz­heitlichen Perspektive auf soziale Problemlagen und deren Bewältigung, vielfältige An­schlussmöglichkeiten und Aufträge für ihr sozialpädagogisches Handeln.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Rahmenmodell der Resilienz (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2015, S. 39)

Abbildung 2: Resilienzfaktoren (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2015, S. 43).

Abbildung 3: Das dreidimensionale Modell der Lebensbewältigung (erstellt ANHAND BÖHNISCH 2016, S. 11F. UND MODIFIZIERT NACH BÖHNISCH & SCHRÖER 2013, S.26)

Abbildung 4:Bildungsprozesseund -settings (BMFSFJ 2005, S. 97)

1 Einleitung

Aktuell wird das gesellschaftliche Leben in Deutschland sowie auf der ganzen Welt von der Ausbreitung des Corona-Virus bestimmt. Der Ausbruch der Atemwegserkrankung COVID-19 im Frühjahr 2020 hat zu einem globalen Ausnahmezustand geführt. Aufgrund dessen wurden international vielerlei verschiedene Maßnahmen zur Eindämmung der Pan­demie getroffen. Darunter zählen bspw. Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, Besuchs­verbote in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, die Schließung von Bildungs- und Betreu­ungseinrichtungen sowie Betriebsschließungen. In der Folge werden nicht nur einzelne Menschen und Familien, sondern auch Institutionen und Organisationen der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft, des Gesundheitswesens, der Wohlfahrtspflege, des Rechts und weiterer Bereiche mit den Auswirkungen und den damit einhergehenden Herausforderungen konfrontiert. In jeglichen Bereichen, in denen Menschen außerhalb des eigenen Haushalts aufeinandertreffen, wurden Vorkehrungen getroffen, um der Verbreitung der Atemwegser­krankung entgegenzuwirken. Diese Vorkehrungen gingen mit einer abrupten Beschleuni­gung von Digitalisierungsprozessen einher. In Bezug auf Jugendliche stellt hierbei die Um­stellung von Präsenzunterricht auf Homeschooling und Distanzlemen eine der wohl ein­schneidendsten Veränderung dar. Durch den Einsatz digitaler Medien wurde und wird ver­sucht, den Schulbetrieb auch außerhalb des Schulgebäudes fortzuführen. Für Jugendliche fällt somit die Schule in Zeiten der Schulschließungen und des Homeschoolings als physi­scher Begegnungsort zwischen Gleichaltrigen und als Raum für die Entfaltung ihrer Persön­lichkeit weitestgehend weg. Darüber hinaus sind die Möglichkeiten, selbst gewählten In­teressen nachzugehen und an Freizeitaktivitäten teilzuhaben, erheblich eingeschränkt oder nicht mehr gegeben. Der persönliche Kontakt zu Personen außerhalb des eigenen Haushaltes wird durch verschiedenste staatliche Maßnahmen geregelt und beschränkt und ist dadurch teilweise gar nicht oder nur bedingt möglich. An dieser Stelle soll kurz angemerkt werden, dass im Laufe dieser Arbeit immer wieder die englischsprachigen Begriffe wie Social Distancing oder Distance Learning in ihrer Grundform miteinfließen werden, da diese häufig in den aktuellen öffentlichen Diskursen verwendet werden.

Aufgrund der Maßnahmen im Bildungsbereich und der allgemeinen Regelungen im privaten Sektor sowie im öffentlichen Leben befinden sich Jugendliche zunehmend in ihrer familia- len Umgebung. Dadurch stehen ihnen viele Erfahrungsräume und -möglichkeiten in ihrer Sozialisation und Entwicklung nicht mehr zur Verfügung oder diese müssen nun anderweitig gestaltet werden. Dies bedeutet zudem einen Verlust ihrer Handlungsspielräume und Auto­nomie. Daher beschäftigt sich die vorliegende Arbeit grundlegend mit der Frage: Welche Auswirkungen haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Sozi­alisation und psychosoziale Entwicklung sowie zukünftige Teilhabechancen von Jugend­lichen?

Für die Auseinandersetzung mit der Fragestellung wird zunächst das methodische Vorgehen kurz erläutert. Danach findet im 3. Kapitel eine Darstellung der derzeitigen Situation in Be­zug auf die Corona-Pandemie statt. Hierbei werden die Infektionsschutzmaßnahmen darge­stellt, welche sich insbesondere auf die Lebenswelt der Jugendlichen auswirken. Darüber hinaus wird der soziale Wandel und dessen Auswirkungen näher beleuchtet, um somit die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in die aktuellen Gesellschafts­strukturen einzubetten. Im 4. Abschnitt wird ein Überblick über die aktuelle Studienlage gegeben. Die Studienergebnisse sollen als Basis für die weiteren Ausführungen dienen. Das darauffolgende 5. Kapitel setzt sich mit der Sozialisation von Jugendlichen in Zeiten der Corona-Pandemie auseinander. Hierfür werden Sozialisationskontexte wie Familie, Peers, Schule und Medien in Bezug auf die aktuelle Pandemie Situation gesetzt und deren Bedeu­tung für die Sozialisation von Jugendlichen herausgearbeitet. Innerhalb des 6. Abschnitts werden psychosoziale Entwicklungsprozesse in der Jugendphase näher beleuchtet. Als the­oretischer Ansatz wird hierfür das Entwicklungsphasenmodell nach Erikson herangezogen, um anhand dessen Erkenntnissen den möglichen Einfluss der aktuellen Situation auf die Persönlichkeitsentwicklung darzustellen. Danach soll im 7. Kapitel eine ressourcen­orientierte Dimension anhand des Resilienzkonzepts und des Salutogeneseansatzes mitein­bezogen werden. Im Anschluss daran werden in den Abschnitten 8 und 9 die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen im Bildungssektor in Bezug zu den daraus resultierenden zukünf­tigen Teilhabechancen der Jugendlichen gesetzt. Daraufhin findet im 10. Kapitel eine Aus­einandersetzung mit dem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit in Zeiten der Corona-Pandemie statt. Hierfür soll das Konzept der Lebensbewältigung nach Böhnisch als Grundlage dienen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ausarbeitung und Schlussbetrachtung.

2 Methodisches Vorgehen

Für die vorliegende Arbeit wurde die hermeneutische Literaturanalyse als methodische Her­angehensweise gewählt. Dabei wird unter der Hermeneutik die „Interpretation, Deutung oder Auslegung von Äußerungen in Texten oder menschlichen Handlungen [...]“ verstanden (Sichler 2010, S. 55). Hierfür fand eine breite Literaturrecherche sowie eine Auseinander­setzung mit ersten Studienergebnissen zu den möglichen Auswirkungen der Corona-Pande- mie auf Jugendliche statt. Bei den Untersuchungen der Corona-Pandemie handelt es sich noch um ein sehr neues Forschungsgebiet. Die Erkenntnisse aus den aktuellen Studien die­nen als Anhaltspunkt für die weitere theoretische Auseinandersetzung mit den im Rahmen dieser Arbeit diskutierten Fragestellungen. Hierfür wird Literatur verschiedener Disziplinen wie der Psychologie, der Soziologie und der Sozialen Arbeit herangezogen, um in Verbin­dung mit den aktuellen Studienergebnissen die momentane Situation und deren möglichen Auswirkungen näher zu beleuchten.

3 Situationsbeschreibung

Seitdem das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-21 im Dezember 2019 in Wuhan, China ausgebrochen ist, verbreitet sich dieses weltweit (Deslandes et al. 2020, S. 1). Nach immer mehr steigenden Infektionszahlen hat die Weltgesundheitsorganisation WHO COVID-19 schließlich am 11. März 2020 offiziell zu einer Pandemie erklärt (WHO 2020a). Die Atem­wegserkrankung COVID-19 wird verursacht durch eine Infektion mit dem Erreger SARS- CoV-2 (Deslandes et al. 2020, S. 1). Dabei sind die häufigsten Symptome Fieber, trockener Husten und Erschöpfung (WHO 2020b). Handelt es sich um einen schweren Verlauf, so kommt es zu Kurzatmigkeit, Appetitverlust, Verwirrtheit, Schmerzen oder Druck in der Brust sowie zu einer Körpertemperatur über 38 °C (ebd.).

Die Prävalenz von COVID-19 liegt bei Kindern und Jugendlichen niedriger als bei Erwach­senen. Die meisten von ihnen zeigen lediglich leichte körperliche Symptome oder sind asymptomatisch (Ravens-Sieberer, Kaman, Otto, Erhärt, Devine & Schlack 2020a, S. 3 und RKI2020). Auch wenn die Erkrankung für Kinder und Jugendliche nicht so schwerwiegend und tödlich ist wie im Erwachsenenalter, kann davon ausgegangen werden, dass die damit einhergehenden Veränderungen der sozialen Umwelt sich auf die Persönlichkeitsent­wicklung und die mentale Gesundheit auswirken können. Aufgrund dessen werden im fol­genden Abschnitt die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschrieben, welche besonders die Jugendlichen betreffen.

3.1 Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie

In Deutschland obliegt die Ausführung von Bundesgesetzen wie dem Infektionsschutzgesetz gemäß Art. 83 i. V. m. Art. 30 Grundgesetz grundsätzlich den Bundesländern als eigene An­gelegenheit, soweit das Grundgesetz keine anderweitige Regelung bestimmt. Aufgrund des- sen entscheidet jedes Bundesland für sich, welche Maßnahmen im Sinne des Infektions­schutzes getroffen werden. Aufgrund dieser föderalen Staatsorganisation unterschieden sich die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie je nach Bundesland voneinander, was vor allem zu Beginn der Pandemie der Fall war. Erst mit steigenden Infektionszahlen im Herbst 2020 wurden einheitliche ,Bund-Länder-Beschlüsse‘2 gefasst, welche deutsch­landweit geltende Regelungen festlegen (Bundesregierung 2020a, 2020b und 2020c, 2021). Diese Beschlüsse stellen Leitlinien dar, welche gemäß dem föderalen Prinzip von denjewei- ligen Ländern in konkrete Regelungen umgesetzt werden (Bundesregierung 2020d). Je nach­dem, wie sich die Lage auch in Bezug auf das Infektionsgeschehen entwickelt, können die Bundesländer regionale, möglichst bedarfsgerechte Maßnahmen treffen. Somit sind in Deutschland weiterhin viele verschiedene Maßnahmen und Konzepte vorhanden. Für die folgenden Ausführungen werden deswegen die Infektionsschutzmaßnahmen des Bundes­lands Bayern herangezogen, welche exemplarisch zur Darstellung der Situation in Corona- Zeiten dienen sollen. Der Einbezug der verschiedenen behördlichen Schutzmaßnahmen aller Bundesländer würde sich zum einen zu umfangreich gestalten und zum anderen das Ziel einer übersichtlichen Beschreibung verfehlen. Zudem werden insbesondere die Maßnahmen zu Beginn der Corona-Pandemie geschildert, da sich die vorliegende Studienlage zentral mit den Auswirkungen dieser Zeitspanne auseinandersetzt.

Darüber hinaus können hierbei nicht alle Eventualitäten in Bezug auf die Personengruppe berücksichtigt werden, da dies ansonsten den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Daher wird lediglich auf Maßnahmen eingegangen, welche Jugendliche betreffen, die sich in schu­lischen Bildungskontexten an sogenannten Regelschulen und außerhalb von stationären Be- treuungs- oder Behandlungseinrichtungen befinden. Damit sind bspw. Jugendliche an För­derschulen, an Schulen für Kranke sowie in Arbeits- oder Ausbildungsverhältnissen nicht mit inbegriffen. Dieses Vorgehen ist vor allem darin begründet, da die Allgemeinver­fügungen besonders für diese Personengruppen gesonderte Maßnahmen bzw. Ausnah­meregelungen festlegen (siehe Anhang 1 und Anhang 3).

Für die Betrachtung der Infektionsschutzmaßnahmen werden die Allgemeinverfügungen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege herangezogen. Hierfür wurde eine Übersicht über ausgewählte Allgemeinverfügungen im Zeitraum vom 13. März bis 17.

April 2020 erstellt (Anhänge 1-4). Der Vollständigkeit halber wurden in dieser Übersicht sämtliche Maßnahmen mit entsprechendem Geltungszeitraum erfasst, deren Änderungen ge- kennzeichnetund diejeweiligen Quellen ausgewiesen.

Zunächst sind hier die Schulschließungen ab dem 13. März bis 26. April 2020 zu nennen (Anhang 1 und Anhang 3). An allen Schulen Bayerns entfiel in dieser Zeit der Unterricht und sonstige Schulveranstaltungen. Darüber hinaus waren davon auch die Betreuungsan­gebote nach Schulschluss am Nachmittag betroffen, es sei denn diese Betreuung galt zur Sicherstellung des Kindeswohls als unabdingbar. Am 16. März 2020 folgten Veranstaltungs­verbote sowie Betriebsuntersagungen, die bis einschließlich den 19. April 2020 galten (An­hang 4). Hiervon betroffen waren alle Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienen, wie bspw. Kinos, Badeanstalten, Sporthallen, Theater, Kirchen, Bibliotheken, Musikschulen und Jugendhäuser. Davon sind lediglich Betriebe ausgenommen, die für die Verrichtung des täg­lichen Lebens notwendig sind, wie der Lebensmittelhandel, Apotheken, Banken oder Post­filialen. Kurz darauf folgte die Ausgangsbeschränkung im Zeitraum vom 21. März bis 19. April 2020 (Anhang 2). Neben den bereits genannten Maßnahmen bedeutet diese die wohl erheblichste Einschränkung für die Jugendlichen. Damit wird jeder und jede angehalten, physische und soziale Kontakte zu anderen Menschen außerhalb des eigenen Haushalts auf ein absolutes Minimum zu reduzieren und zu anderen Personen stets einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Außerdem ist das Verlassen der eigenen Wohnung nur erlaubt, wenn triftige Gründe vorliegen wie bspw. zu medizinischen Behandlungsleistungen, zur De­ckung des täglichen Bedarfs oder zur Bewegung an der frischen Luft. Somit hatten die Ju­gendlichen, theoretisch gesehen, keine Möglichkeit mehr, mit Gleichaltrigen außerhalb ihrer Familie physisch in Kontakt zu treten. Soziale Kontakte mussten für deren Aufrechter­haltung daher digital gestaltet werden.

Aufgrund der Schulschließungen fand schulisches Lernen wochenlang ohne Präsenzun­terricht statt und die Bildungseinrichtungen mussten den Unterricht soweit wie möglich di­gitalisieren, um somit die schulische Lehre in dieser Zeit aufrechtzuerhalten. Obwohl der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde, ist davon auszugehen, „dass der häusliche Alltag vieler Familien noch länger - wenn nicht gar anhaltend - von bestimmten Formen des Dis­tance Learnings geprägt sein wird“ (Gerhardts, Kamin, Meister, Richter & Teichert 2020, S. 2). Welche Auswirkungen Homeschooling, Distance Learning oder social Distancing auf die Persönlichkeitsentwicklung, Sozialisation und Teilhabechancen von Jugendlichen haben, ist weitgehend unbekannt. Bislang ist noch nicht absehbar, wann der Corona-Pande- mie so erfolgreich entgegengewirkt werden kann, sodass keine derartige Relevanz mehr vor­liegt, solch einschneidende Infektionsschutzmaßnahmen treffen zu müssen.

Bevor nun auf die aktuelle Studienlage eingegangen wird, wird eine Betrachtung des gesell­schaftlichen Wandels vorgenommen. Die Corona-Pandemie nimmt einen erheblichen Ein­fluss auf die bestehenden Gesellschaftsstrukturen, wodurch sich mitunter die Lebenswelt von Jugendlichen sowie deren Sozialisationsmöglichkeiten bereits verändert haben und dies weiter tun. Mit der Auseinandersetzung der aktuellen Gesellschaftsverhältnisse können die Infektionsschutzmaßnahmen darin eingebettet werden, um somit beide Dimensionen im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu berücksichtigen.

3.2 Sozialer Wandel in modernen Gesellschaften

Für die weitere Ausarbeitung sollen diejetzigen Veränderungen durch die Corona-Pandemie in die aktuellen gesellschaftlichen Strukturen eingebettet werden. Dabei fällt auf, dass für die Beschreibung der heutigen Gesellschaft und des sozialen Wandels verschiedene Termini verwendet werden, welche sich stets weiterentwickeln. Darunter befinden sich Begriffe wie Risikogesellschaft, Industriegesellschaft, Klassengesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft oder Wissensgesellschaft, welche jeweils andere Perspektiven und Erkenntnisse in Bezug auf Gesellschaft ermöglichen. Eine Grundkonstante der Moderne stellt der stetige soziale Wandel dar, welcher zur Folge hat, dass keine dauerhafte Ordnung mehr herrscht und viel­mehr sämtliche gesellschaftliche Strukturen nur als Provisorien gelten (Schimank 2012). „Sozialer Wandel bezieht sich aufVeränderungen von Institutionen, Werten sowie sozialen Beziehungs- und Verhaltensmustem in einer Gesellschaft“ (Buchmann & Steinhoff 2018, S. 333). Beck (1986) beschreibt in diesem Zusammenhang mit dem Begriff der Risikogesell­schaft Prozesse der Individualisierung, der Enttraditionalisierung sowie der entstehenden Risiken und Verunsicherungen aufgrund des sozialen Wandels. Unter dem Prozess der In­dividualisierung wird die Herauslösung aus tradierten Gesellschaftsstrukturen, der Stabili­tätsverlust durch Verlust von traditionellem Handlungswissen und kulturellen Werten sowie die Reintegration in neue soziale Einbindungen verstanden (ebd., S. 206). Es entstehen Un­sicherheiten aufgrund der nicht mehr konkret absehbaren Auswirkungen bestimmter Hand­lungen, womit Modernisierungsprozesse reflexiv und somit selbst zum Problem werden (ebd., S. 26).

Die Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden nun durch eigenständige Wahl­entscheidungen der Einzelnen bestimmt, womit eine Verpflichtung zu mehr Autonomie, Selbstkontrolle und -Verantwortung einhergeht (Kron 2017, S. 432). Diesem Verständnis zufolge können nun die freigesetzten Individuen selbstständig ihre Lebenslagen und Lebens­verläufe gestalten sowie verändern, ohne dabei an gesellschaftliche Strukturen oder Vor­gaben gebunden zu sein. Die Selbstständigkeit und Freiheit in der Lebensgestaltung scheinen allerdings hinsichtlich der Notwendigkeit einer existenzsichemden Lebensführung begrenzt zu sein. Im Zuge von Individualisierungsprozessen findet zwar eine Herauslösung aus tradi­tionellen Bindungen und Sozialformen stattjedoch treten an dessen Stelle sekundäre Instan­zen und Institutionen - Arbeitsmarkt, Bildungswesen, Konsumexistenz, usw. - wodurch sich neue Zwänge herausbilden (Beck 1986, S. 211).

Mit den Phänomenen der Individualisierung und der Enttraditionalisierung gehen Heraus­forderungen und Risiken einher, welche dementsprechend bewältigt werden müssen. Nach Böhnisch (2019) ergeben sich heute aus der Entgrenzung des Lebenslaufs bestimmte Ent­wicklungsaufforderungen, die nach biographischer Handlungsfähigkeit verlangen (S. 166). Dem Lebenslauf werden verschiedene Entwicklungs- und Sozialisationsbilder den jeweili­gen Lebensphasen zugeschrieben. Für die Betrachtung der Sozialisation von Jugendlichen ist insbesondere die Dimension des veränderten und sich weiterhin entwickelnden Bildungs­bereich relevant. „In den vergangenen Jahrzehnten hat die Bedeutung des Wissens im Ver­gleich zu anderen wirtschaftlich und gesellschaftlich relevanten Faktoren mit einer rasanten Dynamik zugenommen“ (Arnold 2012, S. 3). In diesem Zusammenhang wird von einer Ent­wicklung zu einer Wissensgesellschaft gesprochen. Demnach „wird Wissen neben Kapital zu einem immer wichtigeren Produktionsfaktor der modernen Wirtschaft“ (Poltermann 2013). Die gesellschaftliche Teilhabe ist in einer wissensbasierten Gesellschaft an aktivier­bare und erweiterbare Bildungspotenziale gebunden (Böhnisch 2018, S. 27). Dabei sind die Bildungsinstitutionen, in denen sich die Jugendlichen befinden, von großer Bedeutung für die Aneignung von Wissen. In Anbetracht der Corona-Maßnahmen im Bildungsbereich ist insbesondere die Bedeutung des Faktors Wissen für die Teilhabechancen von Jugendlichen bedeutsam.

Aufgrund der Corona-Pandemie werden die gesellschaftlichen Entwicklungen nun maßgeb­lich durch die daraus resultierenden Maßnahmen mitbestimmt. Durch den fortschreitenden sozialen Wandel und die damit einhergehenden Prozesse der Individualisierung und Enttra­ditionalisierung gehen Herausforderungen und Risiken einher, welche dementsprechend be­wältigt werden müssen. Diese Phänomene führen dazu, dass den Individuen vielerlei Wahl­möglichkeiten für die Lebensgestaltung zur Verfügung stehen, wodurch wiederum ein Ge­fühl der Unsicherheit entstehen kann. In der Dynamik der Individualisierung liegt auch die

Gefahr, dass individuelle Problemlagen als eigens gewählt und herbeigeführt betrachtet und nicht als Folge gesellschaftlicher Strukturen erkannt werden. Für die gesellschaftliche An­erkennung sozialer Problemlagen soll zu einem späteren Zeitpunkt im 10. Kapitel weiter eingegangen werden.

4 Überblick über die aktuelle Studienlage

In diesem Abschnitt werden verschiedene Studien vorgestellt, welche sich thematisch mit den Auswirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen auf Jugendliche beschäftigen. Vorab ist anzumerken, dass diese Untersuchungen den Fokus auf Kinder und Jugendliche im Schul­kontext gelegt haben, d. h. die Folgen der Schulschließungen und des Homeschoolings auf die Lebensqualität, die Entwicklungschancen und die mentale Gesundheit stehen im Zent­rum ihrer Erhebungen.

Zunächst ist hier die COPSY-Studie zu nennen, welche sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutsch­land beschäftigt und dabei versucht, fördernde Einflussfaktoren für die Krisenbewältigung zu identifizieren (Ravens-Sieberer et al. 2020a, S. 3ff.). Die Datenerhebung erfolgte anhand validierter Fragebögen zur Erhebung verschiedener Aspekte bezüglich der psychischen Ge­sundheit von Kindern und Jugendlichen (Ravens-Sieberer et al. 2020b, S. 828). Aus den Ergebnissen leiten die Autoren und Autorinnen ab, dass die Lebensqualität und das psychi­sche Wohlbefinden der Personengruppe durch die Herausforderungen der Pandemie ver­ringert werden, wodurch sich wiederum das Risiko für psychische Auffälligkeiten erhöht. Besonders betroffen scheinen hierbei sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche zu sein (ebd.).

„Insgesamt haben n = 1 040 Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren per Selbst­einschätzung und deren n = 1 040 Eltem(teile) per Fremdeinschätzung sowie weitere n = 546 Eltern in Fremdeinschätzung für ihre 7- bis 10-jährigen Kinder vom 26.5.2020 bis 10.6.2020 an der Online-Studie teilgenommen“ (ebd.).

Des Weiteren führte das Deutsche Jugendinstitut (DJI) innerhalb von zwei Modulen eine quantitative Eltembefragung von Eltern mit Kindern zwischen 3 und 15 Jahren (n = 8 127) und eine qualitative Kinderbefragung von Kindern zwischen 7 und 15 Jahren durch (Lang- meyer, Guglhör-Rudan, Naab, Urlen & Winklhofer et al. 2020, S. lf.). Anhand der Ergeb­nisse zeigt sich, dass die befragten Kinder und Jugendlichen sich häufiger einsam fühlen, mehr Zeit mit Fernsehen und Streamen verbringen sowie häufiger digitale Medien nutzen. Darüber hinaus hat etwa ein Drittel der Kinder laut Aussagen ihrer Eltern Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Situation. Dieser Anteil steigt in Familien mit weiteren Belastungs­faktoren wie einer angespannten finanziellen Lage (ebd., S. 25).

Zuletzt wird auf eine Befragung des ifo Bildungsbarometers 2020 eingegangen. Hierbei han­delt es sich um eine regelmäßige Befragung, die nun zum siebten Mal mit insgesamt 10 338 Befragten durchgeführt wurde (Wößmann, Freundl, Grewing, Lergetporer, Werner & Zierow 2020, S. 26f.). Dabei wurde ein Rückgang der Zeit verzeichnet, die Schulkinder mit schulischen Aktivitäten verbracht haben. Die aufgewendete Zeit bezogen auf die Schule hal­bierte sich von täglich 7,4 auf 3,6 Stunden. Diese Entwicklung ist bei Akademikerkinder und bei Nicht-Akademikerkindem ähnlich stark zu beobachten. Demgegenüber ist ein Anstieg von passiven Tätigkeiten wie Fernsehen, Computerspielen und Handynutzung zu verzeich­nen (4,0 auf 5,2 Stunden täglich). Hier fiel auf, dass insbesondere leistungsschwächere Schü­ler und Schülerinnen das Lernen durch passive Tätigkeiten ersetzten (ebd., S. 25).

In diesem Bereich gibt es noch weitere Untersuchungen. Dazu zählen bspw. eine Befragung im Auftrag der Vodafone Stiftung mit Fokus der Situation von Eltern mit schulpflichtigen Kindern, die Lehrer-Umfrage im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung und die Eltembefra- gung innerhalb der KiCo Studie (Vodafone Stiftung Deutschland 2020, Robert-Bosch­Stiftung 2020 und Andresen et al. 2020a). In der weiteren Bearbeitung werden jedoch vor allem Erkenntnisse aus den hier kurz dargestellten Studien miteinfließen. Außerdem ist im Sinne der Repräsentativität darauf zu verweisen, dass lediglich die COPSY-Studie und das ifo Bildungsbarometer die deutsche Gesamtbevölkerung in ihrer Stichprobe widerspiegeln (Ravens-Sieberer et al. 2020b, S. 828 und Wößmann et al. 2020, S. 27). Innerhalb der Be­fragung des deutschen Jugendinstituts haben vor allem Eltern mit einem hohen formalen Bildungsabschluss teilgenommen, weshalb Eltern mit mittlerem und niedrigem Bildungs­abschluss unterrepräsentiert sind und daher die Befunde nicht auf die Gesamtbevölkerung generalisiert werden können (Langmeyer et al. 2020, S. 24).

5 Sozialisation und Sozialisationskontexte im Wandel

Mit dem Begriff der Sozialisation wird der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung durch Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt bezeichnet (Böhnisch 2018, S. 38). Dabei fin­det eine ständige Interaktion zwischen individueller Entwicklung und den umgebenden so­zialen Strukturen statt (Hurrelmann & Bauer 2019, S. 15). Die daraus erworbenen Inter­aktionserfahrungen müssen permanent verarbeitet und mit den äußeren und inneren Vorgän­gen und Gegebenheiten austariert werden (ebd., S. 15). Somit eignen sich Individuen durch sozialen Austausch ein Wissen über gesellschaftliche Normen an, entwickeln Sprach- und Handlungsfähigkeit sowie ein Verständnis über die eigene Persönlichkeit (Scherr 2006, S. 47). Dies „schließt [...] den Erwerb grundlegender, sozial geteilter Wahmehmungs-, Deutungs-, Handlungs- und Bewertungsmuster ein“ (ebd., S. 57).

Im Sozialisationsprozess wird versucht, die damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Das Gelingen der Bewältigung wird maßgeblich von den zur Verfügung ste­henden personalen und sozialen Ressourcen beeinflusst (Hurrelmann 2012, S. 52). Hiermit sind die individuellen Bewältigungskompetenzen (personale Ressourcen) und Unter­stützungsleistungen aus der sozialen Umwelt (soziale Ressourcen) gemeint (ebd., S. 63). Bei ausreichend vorhandenen Ressourcen ist eine autonome und gesunde Persönlichkeits­entwicklung möglich,jedoch kann bei unzureichenden Ressourcen eine negative Persönlich­keitsentwicklung mit auftretendem Problemverhalten und psychischen wie körperlichen Krankheiten die Folge sein (ebd.). Demzufolge spielen neben der eigenen Disposition vor allem bestimmte Sozialisationskontexte als Ressourcen aus dem sozialen Umfeld eine große Rolle.

„Mit Betrachtung des Zusammenhangs von Jugend und Sozialisation treten zentrale Sozia­lisationskontexte in den Blick, die das Leben der Jugendlichen [...] begleiten und beein­flussen“ (Ecarius, Eulenbach, Fuchs & Walgenbach 2011, S. 69). Für die weitere Erläute­rung der Sozialisation in Zeiten der Corona-Pandemie werden die Bereiche der Familie, der Gleichaltrigen bzw. Peers, der Schule und der Medien betrachtet. Das Internet mit seinen vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten und die darin mit inbegriffenen Unterhaltungsmedien sind zu bedeutenden Sozialisationsfaktoren geworden, welche die Entwicklung von Jugend­lichen maßgeblich beeinflussen (Korte, Calmbach, Florack & Mendes 2020, S. 715 und 717). Es ist davon auszugehen, dass die Dimension der Medien in der derzeitigen Situation noch mehr an Bedeutung für die Jugendlichen gewonnen hat. Dennoch findet die Sozialisa­tion von Jugendlichen nach wie vor erstrangig durch Erfahrungen in der Familie, in den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen sowie in der Gruppe gleichaltriger Peers statt (ebd., S. 715f.).

5.1 Familie

Die Familie stellt eine zentrale Sozialisationsinstanz für Jugendliche dar, in welcher „Kom­petenzen und Orientierungen vermittelt, Bildungsverläufe angebahnt und begleitet und Fra­gen der Selbstverortung und Identität verhandelt werden“ (Walper& Gniewosz2018, S. 71). Im Zuge des sozialen Wandels haben sich die Familienformen gewandelt. Traditionelle Musterstrukturen haben sich aufgelöst. Das soziale System der Familie ist nicht mehr an Charakteristika wie Eheschließung, gemeinsame Haushaltsführung, unterschiedliches Ge­schlecht, Berufstätigkeit des Mannes oder die biologische Abstammung des Kindes gebun­den (Hurrelmann 2012, S. 119ff.). Hierzu formuliert Hurrelmann (2012) unter Einbezug al­ler Aspekte eine neue Definition von Familie: „Eine Familie ist eine private Lebensform, die durch das dauerhafte Zusammenleben von mindestens einem Elternteil und einem Kind in enger persönlicher Verbundenheit, solidarischer Beziehung und verlässlicher Betreuung charakterisiert ist“ (S. 122). Die hier beschriebenen Eigenschaften konnotieren eine ideali­sierte Form von Familie. Deshalb soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass innerhalb von Familien auch weniger unterstützende und geschützte Verhältnisse für Kinder und Jugend­liche herrschen können.

In der Sozialisation spielt vor allem die Art der Erziehung eine große Rolle. Erfahren Kinder in der Erziehung zu niedrige oder zu hohe Anerkennung, durch zu starke oder zu schwache liebevolle emotionale Zuwendung und Akzeptanz durch ihre Eltern, so kann es zu einer Stö­rung des Selbstwertgefühls oder einem erdrückenden Gefühl und niedrigen Entfaltungs­möglichkeiten kommen. Durch gemeinsames Aushandeln von Umgangsformen und Regeln entsprechend des Entwicklungsstands können Eltern ihre Kinder in der Selbstständigkeit, Leistungsfähigkeitund sozialenVerantwortlichkeitunterstützen (ebd., S. 131).

In höheren sozialen Schichten findet ein besonders intensiver Austausch zwischen Eltern und ihrenjugendlichen Kindern statt, wodurch sich Jugendliche über schulische, berufliche und persönliche Fragen mit ihren Eltern beraten (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 147). Dies bedeutetjedoch nicht, dass der Eltem-Kind-Austausch lediglich in sozial höheren Schichten stattfindet. Jedoch weisen die Feststellungen von Hurrelmann & Quenzel daraufhin, dass der intrafamiliäre Austauschje nach sozialer Schichtzugehörigkeit sich im Allgemeinen un­terscheiden. Zudem wird die Zuversicht in die Zukunft stark von der elterlichen Zugewandt­heit beeinflusst. Einerseits kann eine geringe soziale und emotionale Unterstützung zu Zu­kunftsängsten und einem Gefühl der Überforderung vor anstehenden Herausforderungen führen und andererseits kann ausreichende elterliche Unterstützung positive Zukunftsvor­stellungen und Lebensplanung ermöglichen (Ecarius et al. 2011, S. 76). Hierbei sind die sozioökonomischen Rahmenbedingungen relevante Faktoren für die Entwicklung der Kin­der, denn mangelnde finanzielle Mittel stellen einen Stressor für Familien dar, wodurch psy­chische Belastungen und Problematiken in Partnerschaften der Eltern vergrößert werden, wodurch wiederum weniger unterstützendes Erziehungsverhalten damit einhergeht (Walper, Langmeyer&Wendt 2015, S. 383). Bei einer zu frühen Übernahme von Verantwortung über die schulische und berufliche Laufbahn oder die Gestaltung von sozialen Beziehungen kön­nen Jugendliche überfordert werden, insbesondere wenn der benötigte soziale und psychi­sche Halt sowie Unterstützung durch die Eltern fehlt (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 157).

Anhand vorliegender Studienergebnisse kann darauf geschlossen werden, dass mit Inkraft­treten verschiedener Infektionsschutzmaßnahmen das Familienklima stark beeinflusst wurde und familiäre Auseinandersetzungen und Überforderung zunahmen. Die Ergebnisse der COPSY-Studie weisen auf eine Verschlechterung des Familienklimas hin, in welchem Kin­der mehr externalisierendes Verhalten zeigen und Konflikte häufiger eskalieren (Ravens- Sieberer et al. 2020a, S. 9f.). Etwa ein Drittel der Eltern und rund ein Viertel der Kinder und Jugendlichen berichtete von häufigeren eskalierenden Streitigkeiten und einer Zunahme von Streit in der Familie (ebd., S. 13). Darüber hinaus nimmt über ein Viertel der Eltern von der DJI Befragung an, dass ihre Kinder sich einsam fühlen (Langmeyer et al. 2020, S. 21). Diese Wahrnehmung haben häufiger Eltern von Einzelkindern. „Es ist naheliegend, dass Ge­schwisterkinder füreinander Spiel- und Gesprächspartner sind und somit in gewisser Weise die Lücke fehlender Freunde füllen können“ (ebd.). Außerdem geben 54 % der Befragten an, dass für die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit ein erhöhter Koor­dinationsbedarf vonnöten ist (ebd.). Ähnlich wie den Ergebnissen der COPSY-Studie zu­folge kam es laut der Vodafone Stiftung bei fast der Hälfte der Befragten zwischen Eltern und Kindern häufiger zu Streit über das Lernen (ebd., S. 6). Zudem gab gut ein Drittel der Eltern an, nicht über die erforderlichen Kenntnisse für die Unterstützung ihrer Kinder zu verfügen. Hierbei ist ein deutlicher Unterschied nach dem formalen Bildungsgrad der Eltern wahrzunehmen. Von fehlendem Wissen über Lerninhalte berichteten 46 % der Eltern mit niedrigem formalem Bildungsgrad und 22 % der Eltern mit hoher formaler Bildung (ebd.).

Fraglich ist nun, inwieweit Aspekte wie die elterliche Unterstützung, Zuwendung und An­erkennung von der Pandemie beeinflusst werden und welche Folgen dies für die Sozialisa­tion von Jugendlichen haben wird. Angesichts der dargestellten Ergebnisse scheint die El­tern-Kind-Beziehung während der Corona-Pandemie durch vermehrt aufkommende Streit­situationen und Überforderung mit den schulischen Herausforderungen beeinträchtigt zu werden. Vor allem durch die Schulschließungen wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert und das familiäre Zusammenleben wird von schulischen Themen beein­flusst. Aufgrund der andauernden Pandemie Situation und der weiteren Kontakt- und Aus­gangsbeschränkungen und Schulschließungen seit November 2020 ist davon auszugehen, dass die bislang bekannten Auswirkungen weiter verschärft werden und anhalten. Anhand der Befunde kann darauf geschlossen werden, dass die genannten Punkte zu einem nicht unerheblichen Maß von sozioökonomischen Rahmenbedingungen sowie dem Bildungsgrad der Eltern abhängen. Bevor auf den Sozialisationskontext Schule eingegangen wird, ist noch anzumerken, dass einige Forschungsergebnisse auf ein erhöhtes Risiko von Kindesmiss­brauch und Vernachlässigung in Krisenzeiten hinweisen und deshalb Eltern während der Corona-Pandemie gewalttätiger werden könnten (vgl. Schneider, Waldfogel & Brooks- Gunn 2017, S. 71 und UNICEF 2020).

5.2 Gleichaltrige - Peers

Mit der Jugendphase beginnt auch der Ablösungsprozess vom Elternhaus und den Bezie­hungen zu Gleichaltrigen kommt eine immer größer werdende Bedeutung zu (Reinders 2015, S. 402). In diesem Zusammenhang wird von Gleichaltrigen(-gruppen), Peers oder auch Peer Groups gesprochen. Übersetzt bedeutet Peer sowohl Gleichaltriger als auch Eben­bürtiger. „Als Peer-Groups bezeichnet man Gruppen von etwa gleichaltrigen Kinder oder Jugendlichen, die meist im Umfeld von Bildungsinstitutionen entstehen, aber freiwillig zu­stande kommen und sich dem direkten Einfluss Erwachsener mit zunehmendem Alter ent­ziehen“ (Ecarius et al. 2011, S. 113). In diesen freundschaftlichen Beziehungen können Er­fahrungen von Solidarität, Vertrauen und Beistand in Krisen und Problemzeiten gemacht werden (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 172). Die Peers haben zu ähnlichen Zeitpunkten vergleichbare Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Daher können sich die Jugendlichen dabei gegenseitig unterstützen und die entstehenden Lebenslagen und Entwicklungskrisen in solidarischer Verbundenheit durchleben (ebd., S. 173f.). Darüber hinaus können Jugend­liche in romantischen Beziehungen den Umgang mit ihren Gefühlen erproben, eine Wahr­nehmung und Akzeptanz des eigenen Körpers entwickeln und Beziehungsformen als Vor­bereitung für spätere Partnerschaften einüben (Reinders 2015, S. 403). Die Peers tragen maß­geblich zum Ablöseprozess vom Elternhaus und zur Identitätsentwicklung im Jugendalter bei (ebd., S. 407). Hierbei machen Jugendliche erste Erfahrungen damit, „einen von ihnen als wichtig empfundenen sozialen Raum selbstständig zu gestalten und Verhaltensweisen auszuüben, die ihnen von den Sozialisationsinstanzen Familie und Schule verwehrt bleiben“ (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 174).

Durch die Peers können Jugendliche demzufolge die Umgangsformen und wichtige Werte jeglicher Beziehungen erlernen, womit sie an Handlungskompetenzen im sozialen Kontakt mit anderen Menschen hinzugewinnen, wohingegen das Fehlen solcher Freundschaften im Jugendalter zu sozialer Isolation und Einsamkeit führen und dies sich negativ auf das eigene Selbstbild und Wohlbefinden auswirken kann (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 174). Auch durch Erfahrungen von Stigmatisierung und Mobbing und die damit verbundene Demüti­gung innerhalb der Peer Group kann weitreichende Folgen für die Persönlichkeitsentwick­lung und die psychische Gesundheit haben (ebd., S. 177f.). Problematisch ist zudem, dass viele Jugendliche den Druck verspüren, einen möglichst großen Freundeskreis zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, auch wenn dies gegen ihre eigenen Bedürfnisse spricht (ebd., S. 178).

Durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Frühjahr und seit November 2020 ist das physische Treffen und der Austausch mit Freunden teilweise gar nicht möglich bzw. erheblich eingeschränkt. Die Mehrheit der Befragten (82,8 %) in der COPSY-Studie gab an, dass sie weniger sozialen Kontakt zu Gleichaltrigen hatten und bei 39,3 % wurden die Freundschaftsbeziehungen in dieser Zeit beeinträchtigt (Ravens-Sieberer et al. 2020a, S. 9). Bei Vorliegen eines Migrationshintergrundes war die Peer-Problematik schwerwiegender (ebd., S. 11). Innerhalb der Befragung der Vodafone Stiftung gaben 88 % der Eltern an, dass ihren Kindern der Austausch mit Klassenkameraden fehlt (Vodafone Stiftung Deutschland 2020, S. 8). Laut Ergebnisse der DJI Untersuchung haben Jugendliche erheblich weniger Zeit mit ihren Freunden und Freundinnen verbracht, wohingegen die allein verbrachte Zeit und die gemeinsam mit den Eltern und Geschwistern anstieg (Langmeyer et al. 2020, S. 4 und 6). Insgesamt 95 % der Eltern gaben eine Reduzierung in freundschaftlichen Kontakten an (ebd., S. 6). Die naheliegendste Erklärung für diesen Rückgang scheinen die Kontaktbe­schränkungen zu sein. Jedoch ist hier anzumerken, dass in der Befragung vom DJI keine Unterscheidung zwischen physischen und medialen Kontakten stattfand (ebd., S. 10). Dies würde bedeuten, dass sich trotz technischer Möglichkeiten wie der Videotelefonie oder Mes- sengerdiensten der Kontakt zum Freundeskreis verringert hat. Weitere Ergebnisse der Be­fragung zeigen eine vermehrte Nutzung von technischen Geräten und digitalen Medien (ebd., S. 17). Da es sich hierbei um eine Elternbefragung handelt, könnte der hohe Rückgang an sozialen Kontakten auch in den fehlenden oder mangelnden Einsichtsmöglichkeiten von Eltern in die tatsächliche Mediennutzung ihrer Kinder begründet liegen. Zudem verbrachten etwa 55 % der Jugendlichen häufiger ihre Zeit während der Einschränkungen durch die In­fektionsschutzmaßnahmen mit nichts tun oder einfach rumhängen (ebd., S. 18).

Jugendliche sind nun erneut auf ihr familiäres und häusliches Umfeld angewiesen, wobei in dieser Entwicklungsphase Peers eine wichtige Sozialisationsinstanz für den Ablösungspro­zess vom Elternhaus und die Identitätsentwicklung darstellen. Die Aneignung des sozialen Raums außerhalb der Familie wurde und wird vor allem durch Maßnahmen wie den Schul­schließungen, dem Veranstaltungsverbot, den Betriebsschließungen und den Ausgangsbe­schränkungen erheblich beeinträchtigt. Die Jugendlichen fühlen sich bedeutend belastet durch den Lockdown und des Social Distancings (Ravens-Sieberer et al. 2020a, S. 12). Sie erfahren dadurch mehr psychische Beeinträchtigungen, eine niedrigere gesundheitsbezogene Lebensqualität und Probleme mit Gleichaltrigen (ebd.).

5.3 Schule

Schulen haben in erster Linie den Auftrag, den Schülern und Schülerinnen zu ermöglichen, sich Wissen anzueignen, Kompetenzen zu entwickeln und Weltorientierung zu erwerben (Fend 2006, S. 29). Durch die Entwicklung zur Wissens- und Informationsgesellschaft wird es „in Zukunft noch wichtiger sein, Probleme zu lösen, Innovationen zu setzen, mit Infor­mationen kritisch umzugehen und Verantwortung in der Gesellschaft, in einer globalisierten Welt zu übernehmen“ (Spiel, Lüftenegger & Schober 2018, S. 90). In diesem Zusammen­hang ist es die Aufgabe der Schule junge Menschen auf die entsprechenden Anforderungen vorzubereiten. Aus sozialisationsbezogener Sicht übt die Schule ihre Funktion nicht nur über die formalen fachlichen Leistungsanforderungen, sondern auch über informales soziales Lernen aus (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 113). Sie dient als Begegnungsort zwischen Gleichaltrigen. Neben den Lerninhalten können Jugendliche im Unterricht die Erfahrungen sammeln, soziale Regeln auszuhandeln und umzusetzen, sich zu präsentieren und durchzu­setzen, Erfolg und Misserfolg zu haben und dabei mit Enttäuschung und Anerkennung um­zugehen (ebd.). Die Schule hat unter anderem die Sozialisationsfunktionen, den Jugendli­chen vorherrschende soziale Umgangsformen und gesellschaftliche Werte zu vermitteln und ihre Kompetenzen in der Wissenserschließung und -Verwendung auszubilden (Hurrelmann 2012, S. 151f.). Darüber hinaus findet durch die Bewertung der schulischen Leistungsfähig­keit die Vorbereitung und Vorsortierung bzw. Selektion für spätere gesellschaftliche Positi­onen statt (ebd.). Die Selektionsfunktion hat in Anbetracht des Phänomens der Bildungsun­gleichheit einen besonderen Stellenwert für die zukünftigen Teilhabechancen am gesell­schaftlichen Leben von Jugendlichen. Hierzu findet zu einem späteren Zeitpunkt (siehe Ka­pitel 8) eine eingehendere Betrachtung statt.

Durch die im Rahmen der Pandemie getroffenen Maßnahmen im Bildungsbereich hat sich der Schulalltag für Jugendliche von Grund auf verändert. Seit dem Frühjahr 2020 kam es zu Schulschließungen, Unterrichtsentfall und der Umstellung des Präsenzunterricht auf Dis­tanzlernen. Durch steigende Infektionszahlen ist dies auch seit November 2020 weiterhin der Fall. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr haben die Schulschließungen laut Er­gebnissen des ifo Instituts zu einem deutlichen Rückgang der mit Lernen verbrachten Zeit geführt. Durchschnittlich haben sich Schülerinnen und Schüler vor der Pandemie 7,4 Stun­den pro Tag mit schulischen Aktivitäten beschäftigt, wohingegen während der Pandemie diese Tätigkeiten nur noch 3,6 Stunden pro Tag einnahmen (Wößmann et al. 2020, S. 28). Es geben 45 % der Befragten an, während der Schulschließungen nie gemeinsamen Unter­richt via Telefon oder Videoanruf gehabt zu haben und lediglich bei 6 % war dies täglich der Fall (ebd., S. 32f.). Dahingegen wurden häufiger Lernvideos und Lernsoftware einge­setzt. Zudem gibt fast die Hälfte der Eltern (45 %) an, dass während dieser Zeit nie indivi­dueller Kontakt zwischen ihrem Kind und der Lehrkraft stattfand (ebd., S. 33). Dieser Anteil erscheint erschreckend hoch in Anbetracht der Dauer der Schulschließungen.

Auch die Ergebnisse der Vodafone Stiftung zeigen ein ähnliches Bild. Ein täglicher Aus­tausch mit der Lehrkraft fand nach Angaben der Eltern nur bei knapp einem Fünftel statt (Vodafone Stiftung Deutschland 2020, S. 8). Darüber hinaus gaben zwei Drittel an, dass ihre Kinder während der Schulschließungen an keinem digitalen Unterricht teilgenommen haben (ebd.). Ein deutlicher Unterschied ist hier bei den verschiedenen Schulformen zu beobach­ten. In Gymnasien wurden bei 26 % der Schüler und Schülerinnen mehrmals die Woche Unterrichtseinheiten online abgehalten, während bei anderen weiterführenden Schulen die­ser Anteil nur bei 16% lag. Auch bei der Bereitstellung von Lemmaterialien über Online­plattformen haben 60 % der Schüler und Schülerinnen von Gymnasien mehrmals die Woche Aufgaben erhalten, bei anderen weiterführenden Schulen war dies nur bei 40 % der Fall (ebd., S. 10). Laut der COPSY-Studie empfindet mehr als die Hälfte der Kinder und Jugend­lichen das Homeschooling und das damit verbundene eigenständige Lernen als schwieriger wie das analoge Lernen vor der Pandemie (Ravens-Sieberer et al. 2020a, S. 9).

Aufgrund der Maßnahmen im Bildungssektor haben sich die Vermittlung von Wissen und die Wissensaneignung erheblich verändert. Neben den Erschwernissen bei der fachlichen Lernvermittlung fällt durch die Schulschließungen eine wichtige Sozialisationsfunktion von Schulen bezüglich des informalen sozialen Lernens nahezu komplett weg. Die Aneignung von sozialen Handlungskompetenzen durch die Interaktion mit Gleichaltrigen und mit Leh­rern wird beeinträchtigt. Wie im vorherigen Abschnitt bereits erwähnt, fehlt den Jugendli­chen der Austausch mit ihren Peers. Diese Beeinträchtigungen scheinen jedoch auch nach Eröffnung der Schulen nicht überwunden zu sein. Je nach Infektionsgeschehen werden er­neut lokale wie auch überregionale Maßnahmen getroffen. Darunter zählen Quarantänemaß­nahmen einzelner Jugendliche, ganzer Klassen oder sogar ganzer Schulen sowie staatliche Regelungen zum allgemeinen Schulbetrieb. Der aktuelle Rahmenhygieneplan des Staatmi­nisteriums für Unterricht und Kultus vom November 2020 beinhaltet eine Maskenpflicht für die Schüler und Schülerinnen sowie die Lehrerschaft im Unterricht und allen Begegnungs­flächen auf dem Schulgelände (Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2020, S. 2f.). Des Weiteren kannje nach Infektionsgeschehen ein Wechsel von Präsenz- und Distan­zunterricht, ein Mindestabstand von 1,5 Metern im Klassenzimmer sowie die komplette Ein­stellung des Präsenzunterrichts verordnet werden (ebd., S. 3 f.). Auch im Sportunterricht besteht Maskenpflicht und im Musikunterricht ist bis auf Weiteres singen und das Spielen von Blasinstrumenten in der Gruppe nicht möglich (ebd., S. llf.). Aufgrund von steigenden Infektionszahlen wurden seit November 2020 die Maßnahmen weiter verschärft und verlän­gert. Durch die darin beschlossenen Schulschließungen findet seit 16. Dezember 2020 für die meisten Schülerinnen und Schüler kein Präsenzunterricht statt und dies wird bis voraus­sichtlich 14. Februar 2021 noch der Fall sein (Bundesregierung 2020c, S. 3 und Bundesre­gierung 2021, S. 4). In Anbetracht dessen wird der Schulalltag nach wie vor von der Corona- Pandemie bestimmt und die Schule als Begegnungsstätte zwischen Gleichaltrigen stark be­einträchtigt. Erschwerend hinzu kommt, dass die vorgestellten Ergebnisse lediglich die Er­fahrungswerte nach dem ersten Lockdown abbilden, womit die bislang bekannten Auswir­kungen durch die erneuten und anhaltenden Schulschließungen, schwerwiegender und be­lastender für Jugendliche werden können.

5.4 Medien

Die meisten Jugendlichen verfügen über vielfältige Medienkompetenzen, denn sie sind mit einer Fülle von Medien aufgewachsen, wodurch sie bei deren Erschließung keine maßgeb­liche Unterstützung vonseiten der Eltern oder Lehrkräfte benötigen (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 196f.). Durch sie erhalten Heranwachsende zentrale Orientierungspunkte für die Identitätsentwicklung und die Selbstinszenierung (Hurrelmann 2012, S. 166). Es stellt ein ideales Medium für Jugendliche dar, denn es passt sich flexibel ihren Bedürfnissen und In­teressen an und kann selbstbestimmt und autonom genutzt werden (Hurrelmann & Quenzel 2013, S. 199). Anhand der Nutzung von Medien können Jugendliche für die Entwicklung von Rollenbildern und Konfliktlösungsstrategien Anregungen bekommen und darüber hin­aus Verbundenheit mit sowie Abgrenzung von anderen signalisieren und sich so selbst im Gruppengefüge verorten (Süss, Lampert & Trültzsch-Wijnen 2018, S. 43). Neben Hörfunk, Fernsehen, Buchern, Zeitschriften oder Filmen sind das Internet und das Smartphone die Leitmedien der Jugendlichen (ebd., S.26).

[...]


1 Der Begriff SARS-CoV-2 steht für „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (Deslandes et al. 2020, S. 1).

2 Dabei handelt es sich um die Beschlüsse zwischen der Bundeskanzlerin und den jeweiligen Regierungschefs und Regierungscheffinnen der Länder über die weiteren, bundesweit möglichst einheitlichen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie (Bundesregierung 2020a, 2020b, 2020c und 2021).

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Sozialisation, die Persönlichkeitsentwicklung und die Teilhabechancen von Jugendlichen
Hochschule
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg  (Sozialwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
85
Katalognummer
V1154105
ISBN (eBook)
9783346549129
ISBN (Buch)
9783346549136
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialisation, Persönlichkeitsentwicklung, Psychologie, Entwicklungspsychologie, Teilhabechancen, Chancengerechtigkeit, Jugendliche, Corona, Corona-Pandemie, Pandemie, Coronapandemie, Auswirkungen, Bildungsgleichheit, Bildungsungleichheit, Sozialpolitik, Bildungspolitik
Arbeit zitieren
Katrin Sigl (Autor:in), 2021, Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Sozialisation, die Persönlichkeitsentwicklung und die Teilhabechancen von Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1154105

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