In dieser Arbeit werde ich zuerst Ute Freverts Vorstellung von Neuer Politikgeschichte darstellen. In einem zweiten Schritt werde ich dann den Aufsatz „Nationale Einheit und politisches System“ von Wolfgang Kruse daraufhin untersuchen, ob dieser Text einer Neuen Politikgeschichte im Sinne Freverts entspricht. Außerdem werde ich noch auf die in Kruses Aufsatz umgesetzten theoretischen Vorstellungen zu historischen Zusammenhängen und Prozessen eingehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Freverts Vorstellung von Neuer Politikgeschichte
3. Wolfgang Kruses Aufsatz „Nationale Einheit und politisches System“
3.1 Deutschland
3.2 Frankreich
3.3 Großbritannien
4. Theoretische Vorstellungen zu historischen Zusammenhängen und Prozessen
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In dieser Arbeit werde ich zuerst Ute Freverts Vorstellung von Neuer Politikgeschichte darstellen. In einem zweiten Schritt werde ich dann den Aufsatz „Nationale Einheit und politisches System“ von Wolfgang Kruse daraufhin untersuchen, ob dieser Text einer Neuen Politikgeschichte im Sinne Freverts entspricht. Außerdem werde ich noch auf die in Kruses Aufsatz umgesetzten theoretischen Vorstellungen zu historischen Zusammenhängen und Prozessen eingehen.
2. Freverts Vorstellung von Neuer Politikgeschichte
Frevert stellt fest, dass es bis in die neunziger Jahre nicht zu der Entwicklung einer modernen Politikgeschichte in Deutschland gekommen sei. Zwar habe die Historische Sozialwissenschaft das Politische nicht völlig ignoriert, allerdings habe sie doch Gesellschaft deutlich in den Mittelpunkt gestellt und sich von einer Politikgeschichte, die Politik in den Mittelpunkt stelle distanziert: „Als erklärungsbedürftig erschien weniger das politische Handeln [...] als soziale oder ökonomische Strukturzusammenhänge“ (Frevert 2002: 154). Politik sei also zugunsten von Gesellschaft in den Hintergrund gedrängt worden.
Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen Politik weiter aus dem Blickfeld der Sozialgeschichte gerückt worden sei, sei der Staat in Deutschland nicht vernachlässigt worden. Stattdessen „bestand hier eher die Gefahr, das Politische im Staatlichen aufgehen zu lassen und nicht-staatliche Akteure aus dem Blick zu verlieren“ (Frevert 2002: 156).
Dieser Situation sei die Alltagsgeschichte durch die Unterscheidung in zwei Bereiche von Politik begegnet, von denen sich der eine mit „formalisierter und staatsbezogener Politik“ auseinandergesetzt habe und der andere mit Alltagspolitik, also den Formen von Politik, die sich im Verhältnis von Menschen zueinander und in den Beziehungen zwischen Menschen äußerten (Frevert 2002: 156), so dass Politik nicht nur dort gesehen werden könne, wo Politik im klassischen Sinne von Politikern gemacht würde, sondern auch Handlungen von Gruppen, die einerseits zwar nicht direkt Einfluss auf staatliches Handeln hätten, andererseits aber doch in der Lage seien sich zu äußern (Frevert 2002: 156 ff.).
Das bedeutet, dass Politik nicht nur das ist, was vom Staat, beziehungsweise seinen Repräsentanten geäußert wird, auch im Verhältnis zu anderen Staaten, um bestimmte Ziele zu erreichen; sondern „[e]s markiert den Willen und die Fähigkeit von Menschen, ihre gesellschaftlichen Beziehungen selbst zu ordnen“ (Frevert 2002: 158). Somit ist Politik nicht nur eine Handlung die innerhalb eines Staates von oben nach unten, oder im Verhältnis zwischen verschiedenen Staaten wirkt, sondern „politisches Handeln [ist] immer kommunikatives Handeln [...] und [beruht] als solches nicht nur auf einer Sprechhandlung [...], sondern auch auf einer Verstehenshandlung“ (Frevert 2002: 158).
Politik ist Kommunikation, sowohl in demokratischen als auch in nichtdemokratischen Ordnungen, die Unterschiede liegen in den Bestrebungen den Interpretationsspielraum für Aussagen möglichst gering zu gestalten, um abweichende Interpretationen soweit wie möglich zu unterbinden (Frevert 2002: 159).
Frevert erwähnt verschiedene Studien, in welchen „der Sprache eine entscheidende, wirklichkeitskonstituierende Bedeutung beigemessen“ werde (Frevert 2002: 163). Der Vorteil sich auf solch eine kulturwissenschaftliche Art dem Politischen zu nähern, liege darin, nicht das Politische im Staat aufgehen zu lassen, ohne dabei den Staat zu ignorieren, sondern das Politische in den „vielfältigen Machtbeziehungen, die sich als politische dort konstituieren, wo es um die Begründung, Verteidigung und Ablehnung ungleicher sozialer Beziehungen geht“, zu sehen. Auf den Einwand „eine so massive Entgrenzung des Politischen, wie sie die Kultur-, aber auch die Alltags- und Geschlechtergeschichte propagieren, [kann] zu einer Auflösung des Untersuchungsgegenstandes führen“ (Frevert 2002: 163), entgegnet Frevert, dass man dieses nicht verhindern könne indem man „Politik wieder in klassischer Marnier auf die internen Strukturen und externen Beziehungen eines Staates reduziert“, stattdessen „sollte die [...] Erweiterung des Politik-Begriffs als Ausdruck eines veränderten Verständnisses von Machtbeziehungen und deren Wandelbarkeit verstanden werden“ (Frevert 2002: 163).
3. Wolfgang Kruses Aufsatz „Nationale Einheit und politisches System“
3.1 Deutschland
Kruse schreibt, dass in Deutschland die Kommunikation zu Beginn des Krieges einlinig von oben nach unten ausgerichtet gewesen sei, an der Spitze habe der Kaiser als Oberster Kriegsherr gestanden und unter ihm Militärbefehshaber; die zivile Verwaltung habe unter militärischer Kontrolle gestanden und es habe Pressezensur und Einschränkungen des Versammlungsrechtes gegeben (Kruse 1997: 57). Kruse beschäftigt sich also nicht nur mit den Entscheidungen auf höchster Ebene, wie es vielleicht ältere Politikgeschichte gemacht hätte, sondern er schaut auch darauf wie Kommunikation stattfand, und wie sie geregelt wurde. Kruse betrachtet ebenfalls die Entwicklung der Bedeutung der Obersten Heeresleitung und des Reichstags. Diese sind ebenfalls unter dem Aspekt von Kommunikation interessant, da sie „unterschiedliche Formen der Massenintegration, Demokratisierung und Militarisierung repräsentieren“ (Kruse 1997: 56). Hier wird deutlich, dass Kommunikation für Kruse ein wichtiger Aspekt ist, da er es hier als Unterscheidungskriterium für die verschiedenen Institutionen verwendet. Denn Massenintegration und Demokratisierung bedeutet ja eine größere Masse von Menschen als zuvor an Politik zu beteiligen, da sie sich durch die Wahl der Reichstagsmitglieder politisch äußern könnten und auch die Reichstagsabgeordneten eine gewisse Verpflichtung gegenüber den Wählern hatten, im Gegensatz zur Obersten Heeresleitung, die für das Prinzip einer Militärdiktatur stand.
Kruse deutet an, dass es in Deutschland innenpolitische Konflikte gegeben habe. Es habe mehrere Machtzentren wie die Oberste Heeresleitung und den Reichstag gegeben, die nicht kooperiert und verschiedene Ziele verfolgt hätten. Die Unfähigkeit zu kommunizieren und auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten habe dazu geführt, dass eine Niederlage Deutschlands nicht habe verhindert werden können, und es zu einem Verfassungswechsel durch einen revolutionären Umsturz gekommen sei. Dieser sei von denjenigen vorangetrieben worden, die in dem alten System nicht in solch einer Weise eingebunden gewesen wären, dass sie das Gefühl gehabt haben konnten, so in den Kommunikationsprozess eingebunden zu sein, dass ihre Anliegen berücksichtigt werden würden.
3.2 Frankreich
Für Frankreich beschreibt Kruse eine andere Situation. Er stellt dar, wie das parlamentarische Regierungssystem Kommunikation erleichtert und dazu beigetragen habe eine größere nationale Einheit zu schaffen. Den Grund dafür, dass die Generalität nicht versucht habe den Belagerungszustand auszunutzen, um eine Militärdiktatur zu errichten, sieht Kruse in der parlamentarischen Verfassung. Denn die „Bemühungen um die Wiedergewinnung ziviler Kontrolle“ seien vom Parlament ausgegangen (Kruse 1997: 61). Es sei dem Parlament also gelungen seine Vorstellungen durchzusetzen und die Regierung dazu zu bewegen zivile Rechte wieder herzustellen. Die Zivilbevölkerung habe also durch das Parlament seine Rechte, die es vor dem Krieg hatte, weitgehend wiedererlangen können, es sei nicht wehrlos gewesen und habe eigene Vorstellungen mit Hilfe des Parlaments durchsetzen können (Kruse 1997: 62).
Anhand der „allgemeine[n] Krise des kriegspolitischen Zusammenhalts“ (Kruse 1997: 63) im Jahr 1917, zeigt Kruse, wie Frankreich Krisen gut, mit den Mitteln des parlamentarischen Systems, habe überwinden können. Zwar sei die >>union sacrée<< zerbrochen, aber der neue Ministerpräsident Clemenceau „errichtete [...], ohne dabei die Grundlagen des parlamentarischen Systems grundsätzlich zu verletzen, den autoritären Regierungsstil einer >>dictature morale<< und somit eine „neue Form der nationalen Integration (Kruse 1997: 63f.). Frankreich habe also dieser Krise, zu welcher nachlassende Kriegsmoral der Bevölkerung, Meutereien von Teilen der Armee und großen Streikbewegungen gehörten, mit verfassungsmäßigen Mitteln begegnen können und es habe sich gezeigt, dass das parlamentarische System Frankreichs in der Lage gewesen sei auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen.
3.3 Großbritannien
Für Großbritannien beschreibt Kruse, wie Premierminister Asquith versucht habe die Regierung zu stärken, indem er durch den „Eintritt von drei Konservativen und dem Labour-Führer Arthur Henderson“ die parteipolitische Basis erweiterte (Kruse 1997: 65). Allerdings habe die Kritik von verschiedenen Seiten weiter zugenommen, und Premierminister Asquith sei nicht in der Lage gewesen, das Koalitionskabinett hinter sich zu vereinen. Darum sei die Regierung von einer neuen Koalitionsregierung unter Lloyd George abgelöst worden. Diese Regierung habe die Ziele gehabt, „Wirtschaft und Gesellschaft umfassender für die Erfordernisse des modernen industriellen Krieges [zu] mobilisieren“ und „die zivile Kontrolle über die militärische Strategie durchzusetzen“ (Kruse 1997: 66). Kruse zeigt also, wie die Lloyd-George-Koalition versucht habe Verbindungen herzustellen, um den Krieg effektiv führen zu können. Über neue Ministerien sollte gezielt Einfluss auf Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft genommen werden können. Außerdem sei das war cabinet gebildet worden, ein kriegspolitisches Führungsgremium aus Ministern mit umfassenden Verantwortungsbereichen, über welches die Regierung die Möglichkeit gehabt habe Einfluss auf das Militär zu nehmen, und 1918 habe man den „Primat der Politik über die militärische Strategie“ wiederherstellen können (Kruse 1997: 66). Das war cabinet sei also letztendlich ein funktionierendes Kommunikationsmittel zwischen Regierung und Militär gewesen.
Außerdem kann laut Kruse der „besondere Charakter von Lloyd Georges Regierung [...] in seiner persönlichen Dominanz gesehen werden“ (Kruse 1997: 67), außerdem seien zivile Freiheitsrechte und die Freiheit der politischen Betätigung eingeschränkt worden, wenn dies für notwendig gehalten wurde.
Kruse sagt allerdings, dass „das liberale politische System kaum zur Disposition“ gestanden habe. Es habe zwar einige Verformungen während der Kriegsjahre gegeben, aber im Wesentlichen war die parlamentarische Ordnung Großbritanniens in der Lage, auf Krisen und Probleme zu reagieren und mit ihr eigenen Mitteln zu bekämpfen. Politische Auseinandersetzungen seien möglich geblieben und „der parlamentarische Charakter der Regierung [geriet] nicht ernsthaft in Gefahr“ (Kruse 1997: 68). Da es bei allen schwerwiegenden Konflikten auch immer die Möglichkeit von Neuwahlen bestanden habe, habe die Bevölkerung, trotz mancher autoritärer Verformungen, immer Bedeutung gehabt.
4. Theoretische Vorstellungen zu historischen Zusammenhängen und Prozessen
In Kruses Aufsatz wird Freverts Ansatz einer Neuen Politikgeschichte eingelöst. Kommunikation spielt auch für Kruse eine bedeutende Rolle. Er zeigt wie in den verschiedenen Ländern kommuniziert wird und wie auf diese Weise Probleme angegangen werden. So zeigt er zum Beispiel, wie in Deutschland innenpolitische Konflikte eskaliert sind, da die verschiedenen Institutionen nebeneinander existierten und eher versuchten sich voneinander abzugrenzen, als zu kooperieren. In den parlamentarischen Ländern, konnte Konflikten mit parlamentarischen Mitteln begegnet werden, wie zum Beispiel durch Erweiterung der parteipolitischen Basis, durch Aufnahme neuer Minister, um weitere Gruppen hinter der Regierung zu versammeln, oder durch Neubildungen von Regierungen, wenn die alten Regierungen nicht mehr genügend Rückendeckung besaßen um voll handlungsfähig zu sein. Außerdem wird deutlich, dass Kruse die Ansicht vertritt, dass die parlamentarischen Ländern, besser als das autoritäre Deutschland, in der Lage waren auf Krisen und auf Beschwerden aus der Bevölkerung zu reagieren. Durch das Parlament oder durch Gremien gab es Verbindungspunkte zwischen Regierung und Bevölkerung, die der Bevölkerung bessere Artikulationsmöglichkeiten eröffnete, als im autoritären Deutschland.
Daher vertritt Kruse auch die Meinung, dass die Demokratie entscheidende Vorteile birgt, die Frankreich und England dabei halfen den Krieg zu gewinnen. Denn Demokratie sei besser geeignet, um verschiedene Institutionen und die Bevölkerung zu koordinieren, und sie sei am Besten geeignet, um flexibel auf Krisen reagieren zu können, die in autoritären System schneller eskalieren würden. Für Kruse ist die Demokratie der Monarchie beziehungsweise Diktatur überlegen.
5. Literaturverzeichnis
Ute Frevert, Neue Politikgeschichte, in Joachim Eibach, Günther Lottes (Hg.),
Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002, S. 152-164.
Wolfgang Kruse, Nationale Einheit und politisches System, in: Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914-1918, Frankfurt am Main 1997, S. 56-72.
- Arbeit zitieren
- Matthias Bärenfänger (Autor:in), 2008, Wolfgang Kruse: Nationale Einheit und politisches System, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115445
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