Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Goethes Liebeslyrik - künstlerische Freiheit oder Zeugnis der eigenen Erfahrung?
2.1. Goethe und die Liebe
2.2. Goethe – 1 Dichter, 3 Epochen
3. Das Liebesujet in Goethes Lyrik im Wandel der Zeit
3.1. An den Schlaf
3.2. Das Maifest
3.3. Die Römische Elegien
4. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Es ist ein großer Teil der Liebeslyrik, und zwar sind es diejenigen Gedichte, die nicht direkt an die jeweilige Geliebte gerichtet und geschickt wurden auf diesen anderen Teil komme ich noch zu sprechen-, der diese Funktion der Bewältigung einer Gefühlserfahrung hat. Dazu gehört ein Teil der Sesenheimer Gedichte, ferner die Lili- Gedichte, soweit sie auf der Schweiz Reise geschrieben wurden, dazu könnte man auch die Römischen Elegien rechnen. Wenn man nun fragt, was das Poetische an solchen Gedichten, in denen der Autor einen mächtigen Gefühlseindruck bewältigt, ist so ist in gewisser Weise die Antwort schon gegeben: Es ist die Erkenntnis der Bedeutsamkeit, also das allgemeine im Besonderen was ihn befreit. Damit ist aber noch nicht genug gesagt, denn diese Erkenntnis bzw. die Transformation des Besonderen ins Allgemeine geschieht im Gedicht selbst.“1 (Böhme, Gernot: Über Goethes Lyrik. Bielefeld. 2015).
Das man das Leben des Autors nicht mit dem lyrischen Ich in einem literarischen Werk gleichsetzen kann, ist allgemein bekannt. Um Goethes Vorliebe für die Liebeslyrik durch seine Schaffenszeit hindurch nachzuvollziehen ist es jedoch unumgänglich, die jeweiligen biografischen Ereignisse rund um die Entstehungszeit in Bezug zu setzen. Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Wandel des Liebesmotivs in Goethes Lyrik, an Hand von drei ausgewählten Beispielen. Hierbei werden die Bezüge zu Goethes privatem Liebesglück und die häufige Gleichsetzung von Autorenleben und lyrischem Ich, kritisch beleuchtet und hinterfragt. Zusätzlich werden die drei literarischen Epochen näher betrachtet, in welchen die Lyrik entstand. So spiegelt sich das Liebessujet in Goethes frühen Rokoko Gedichten noch anders ganz wider, als in seinen römischen Elegien, welche zur Zeit der Weimarer Klassik entstanden sind. Wie hat sich das Liebesmotiv in Goethes Lyrik im Laufe der Zeit entwickelt? Sind diese Veränderungen an biografische Ereignisse in Goethes Leben gebunden oder ausschließlich Folge des Literarischen Zeitgeist? Welche stilistischen Mittel verwendet Goethe, um die Liebessemantik im Gedicht noch hervorzuheben? Sind „Die Römischen Elegien“ tatsächlich ein biografisches Abbild von Goethes Italienerfahrung?
„Unbestreitbar boten Italien und vor allem Rom dem reisenden, persönlich und künstlerisch enttäuschten Goethe eine Fülle neuer ästhetischer Erfahrungen, die in hohem Maße eingingen in die Ästhetik des Goetheschen Klassizismus des nachfolgenden Jahrzehnts und dessen Umsetzung in literarische Produktion. Gleichzeitig aber dienen die Elegien der Stilisierung ihres Erlebnishintergrundes als einer ästhetischen Neuorientierung, in der ästhetischen Erfahrung, historische Bildung und erotisches Erlebnis zu Einem werden, zu der neuen, Goeteschen Ästhetik.2 (Reclam: Interpretationen Gedichte von J.W. Goethe. Stuttgart 1998.)
2. Goethes Liebeslyrik - künstlerische Freiheit oder Zeugnis der eigenen Erfahrung?
2.1. Goethe und die Liebe
Um die Inspirationsquelle von Goethes Liebeslyrik zu finden ist es unumgänglich, sich mit dem Privatleben des gefeierten Dichters auseinander zu setzen. Zahlreiche Publikationen und Forschungen drehen sich allein um Goethe und seine Frauenbekanntschaften. Bis heute ist ungeklärt, ob das Verhältnis zwischen dem Dichter und Anna Amalia, der Herzogin Witwe von Sachsen- Weimar und Eisenach, rein freundschaftlich war. Ebenso Gegenstand von weitreichenden Spekulationen, die Beziehung zwischen Charlotte von Stein und dem Dichter, welche zwar mit hunderten Liebesbriefen Goethes an seine Geliebte bis heute belegt werden kann, über deren Glaubwürdigkeit man sich jedoch immer streitet. Da sich diese Hausarbeit auf drei lyrische Werke Goethes beschränkt, werden folgend die drei Damen näher beleuchtet, welche zur Entstehungszeit des jeweiligen Gedichts, im näheren Kontakt zu Goethe standen und ihm somit womöglich als Muse dienten. Gegenstand seines ersten Gedichtbandes ist die Namensgeberin „Annette“, hinter welcher sich Anna Katharina Schönkopf verbirgt. Das Gedicht „An den Schlaf“ ist eines der 19 Werke innerhalb des Zyklus, welcher 1767 entstand. Ob Goethe die Zusammenstellung selbst vorgenommen hat ist nicht mehr nachzuweisen, da sein Leipziger Ratgeber und Freund Ernst Wolfgang Behrisch, die Abschrift vornahm.
„Aus den Briefen an Ernst Wolfgang Behrisch spricht alle dies unmittelbarer noch, auch die heftige Gemütsbewegung, die Goethe immer dann zu überkommen pflegte wenn ein Verhältnis ihn zu ängstigen begann.“3 (Seele, Astrid: Frauen um Goethe. Reinbek.1997.S. 14)
Gegenstand des Gedichtes „An den Schlaf“ ist das Sujet zwei sich Liebender, deren Zusammenkommen jedoch durch die Mutter des Mädchens unterbunden wird. Diese für die Rokokodichtung typische Semantik, spiegelt sich in mehreren Werken des jungen Goethe wider. Ein ausschließlich literarisch inspiriertes Motiv oder gibt es doch Parallelen zu Goethes Privatleben? Ein weiteres lyrisches Werk Goethes, welches sich mit dem Glück der Liebe beschäftigt, ist das auf 1771 datierte „Maifest“. Es stellt den Höhepunkt der „Sesenheimer Lyrik“ dar und feiert die Liebe zu einem Mädchen, sowie zur Natur. Wie es die Strömung des Sturm und Drang im Sinn hatte, verschmelzen in diesem Gedicht Natur und Seele, sowie Landschaft und Mensch zu einer Einheit. In Verbindung mit der „Sesenheimer Lyrik“ wird Goethes Liebe zu Friederike Brion gebracht, welche er im Oktober 1770 das erste Mal traf. Die Liebe zu der Pfarrerstochter aus dem elsässischen Sesenheim soll ihn für sein lyrisches Werk inspiriert haben, jedoch gibt es kaum Quellen, welche das Verhältnis genauer beleuchtet. In der eigens verfassten Biografie des Dichters „Dichtung und Wahrheit“, schildert er die erste Begegnung mit Friederike:
„…und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf. Beide Töchter trugen sich noch deutsch, wie man es zu nennen pflegte, und diese fast verdrängte Nationaltracht kleidete Friederiken besonders gut […] Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte; der Strohhut hing ihr am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehn und zu erkennen“.4 (Goethe, Johann Wolfgang von: Dichtung und Wahrheit. Frankfurt am Main.2010)
Während Goethes „Maifest“ von einem leidenschaftlichen Liebessujet lebt, welches auf ein frisch verliebtes lyrisches Ich schließen lässt, so ist das Leben des Autors zur gleichen Zeit von Zweifeln geprägt. In seiner Biografie äußert er Bedenkenbezüglich seiner Lebensumstände und seiner Liebe zu Friederike. Nach dem abrupten Abschied von der Geliebten und Sesenheim im August 1771, zieht es Goethe weiter nach Weimar. Mitgefühl gegenüber der zurückgelassenen Friederike äußert der Dichter erst viele Jahre später in seiner Biografie. Die Pfarrerstochter blieb ihr Leben lang unverheiratet und verstarb 1810. Auf Ihrem Grabstein steht noch heute „Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie. So reich, daß er Unsterblichkeit ihr lieh“5 (Seele, Astrid: Frauen um Goethe. Reinbek.1997). In seiner Biografie deutet Goethe selbst an, er habe Friederike zu jener Zeit das Herz gebrochen und formuliert eine Form der Literarische Beichte über seine Flucht aus Sesenheim. Auch das zuletzt zu betrachtende lyrische Werk Goethes wird von der Forschung immer wieder mit einer bestimmten Frau in Verbindung gebracht. Nach der Rückkehr Goethes aus Italien entstehen 1788/90 die „Römischen Elegien“. Inspiriert von der antiken römischen Liebeselegie (Catull, Ovid, Properz und Tibull) greift der Dichter deren Form, Motive der Mythologie und Tonfall auf und verarbeitet die Erfahrungen aus der Zeit in Rom, sowie die aufblühende Liebe zu Christiane Vulpius literarisch. Im Mittelpunkt der Handlung stehen Genuss, Kultur und der Bezug der Antike, ganz im Sinne der aufblühenden Epoche der Klassik. Goethes Liebe ist hier eine andere als in seiner anfänglichen Rokoko Dichtung. Beeinflusst von seiner vorangeschrittenen Lebenserfahrung, seiner Italienreise und seinen Frauenbekanntschaften, erkennt man deutliche Unterschiede des Liebesmotivs. Welche dies sind, wird im Folgenden näher betrachtet. Unbestritten haben die Frauen in Goethes Leben, einen Musenfunktion für den Dichter eingenommen und ihn fortwährend inspiriert. Inwieweit sich das lyrische Ich und das Leben des Dichters in der vorliegenden Betrachtung miteinander in Verbindung setzen lassen, bleibt zu klären.
2.2. Goethe – 1 Dichter, 3 Epochen
Johann Wolfgang von Goethe ist einer der wenigen Dichter, welcher drei literarische Epochen erlebt und zu deren Entstehen beigetragen hat. Während seines Jura Studiums in Leipzig erkannte Goethe, dass seine wahre Freude und Berufung zu finden war. Er beschäftigte sich mit den Maßstäben der Rokoko Dichtung und besuchte Vorlesungen von Christian Fürchtegott Gellert. Bei seinem ersten Gedichtzyklus an „Annette“ um 1767, orientierte sich der junge Goethe an den typischen Rokoko Motiven. Doch fast zeitgleich entstanden drei Oden an seinen Leipziger Freund Ernst Wolfgang Behrisch, welche einen Wendepunkt in Goethes Lyrik markieren sollten. So thematisiert die „Erste Ode“ erstmals zerstörerische Naturvorgänge, welche zudem sehr realistisch abgebildet werden. Das paradisische Naturidyll Motiv aus der Rokoko Dichtung wird plötzlich verkompliziert und die negativen Schattenseiten hervorgehoben. Goethes Oden spiegeln nicht mehr nur den heiteren Sinnesreiz und die lockere Erotik wider, sondern repräsentieren den einsetzten Emanzipationsprozess des jungen Dichters, hin zum Sturm und Drang. Während sich der Geniekult und der rebellische Zeitgeist vor allem in Goethes „Prometheus“ und den „Leiden des jungen Werther“ widerspiegelt, findet man im „Maifest“ und in „Mit einem gemalten Band“, dass neue Liebesideal der Epoche wider. Das möglichst intensive Erleben eines einzelnen Augenblicks, wird zum Leitmotiv der jungen literarischen Bewegung und hält nun auch Einzug in Goethes Liebessujet. Doch mit dem blutigen Ausgang der französischen Revolution und zunehmender Lebens- und Schreiberfahrung, verändert sich der Blick des Dichters auf die Welt. Die erste Italienreise im Jahr 1786 wird erneut zu einem Wendepunkt in Goethes Dichtung. In Anlehnung an das antike Kunstideal wird in der Epoche der Weimarer Klassik nun nach Vollkommenheit, Harmonie und der Übereinstimmung von Inhalt und Form gesucht. Die „Römischen Elegien“ markieren den Beginn dieses Bestrebens, in welchen Goethe die Eindrücke seiner Italienreise festhält und das lyrische Ich die Liebe zu Rom, zur Dichtung und zu einer Frau im Besonderen feiert. Goethes lebenslanges Bestreben danach, seine Dichtung immer weiter dem Zeitgeist und seinen Ansprüchen verpflichtend weiter zu entwickeln, wird an Hand der ausgewählten Gedichte deutlich. So vermitteln diese nicht nur die Weiterentwicklung innerhalb der Liebessemantik, sondern auch den stetig qualitativen Anstieg hinsichtlich Form und Stil.
3. Das Liebesujet in Goethes Lyrik im Wandel der Zeit
3.1. An den Schlaf
Wie im Titel „An den Schlaf“ schon angedeutet, richtet sich das lyrische Ich in Goethes Gedicht aus dem Zyklus „Annette“, an den Gott Hermes. Dieser bringt den Menschen den Schlaf und lässt Sie träumen. Über drei Strophen hinweg, kommt es zu einer Zwiesprache zwischen dem lyrischen Ich und der mythologischen Figur. Das Gedicht handelt von dem Wunsch des lyrischen Ich’s seiner Geliebten bei Nacht nahe zu sein, nicht mehr wie zuvor nur im Traum, sondern in der Realität. Dabei gilt es jedoch, die strenge und wachende Mutter zu umgehen. Daher äußert der Sprecher den Wunsch „Sprüh Mohn von dem Gefieder“6 (Goethe, Johann Wolfgang von: Annette. Leipzig.1965) an Hermes, um die Mutter der Geliebten in Schlaf zu versetzen. Das Gedicht wirkt auf den Leser leicht und verspielt. Es ist einfach zu verstehen und das Liebessujet wird schon zum Ende der ersten Strophe mit den Worten „Geliebter, leiste mir“ angedeutet. Durch die drei Strophen des Gedichts zieht sich ein durchgehender Kreuzreim. Ebenso durchgehend vorhanden, ein 3- hebige Jambus und ein alternierendes Metrum. Strophenübergreifend ist der Wechsel von männlicher und weiblicher Kadenz. Das Gedicht verzichtet auf einen komplexen Satzbau oder aufwendige rhetorische Figuren, wodurch es seine Leichtigkeit und Verspieltheit beim Lesen behält.
„Der junge Goethe verzichtet indessen nicht nur auf gedrechselte Formulierungen und syntaktisch komplexe Satzgefüge, sondern umgeht auch die terminologischen Dunkelheiten […] Da sich Goethes Gedichte in Wortwahl und Satzbau am Ideal einer kultivierten Alltagssprache orientieren favorisieren sie über weite Strecken den <vers libre>, der als jambischer Vers mit variabler Silbensumme und freier Reimbildung ein hohes Maß an melodiöser Geschmeidigkeit aufweist.“7 (Valk, Thorsten: Der junge Goethe.München.2012)
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1 Böhme, Gernot: Über Goethes Lyrik. Bielefeld. 2015
2 Reclam: Interpretationen Gedichte von J.W. Goethe. Stuttgart 1998
3 Seele, Astrid: Frauen um Goethe. Reinbek.1997
4 Goethe, Johann Wolfgang von: Dichtung und Wahrheit. Frankfurt am Main.2010
5 Seele, Astrid: Frauen um Goethe. Reinbek.1997
6 Goethe, Johann Wolfgang von: Annette. Leipzig.1965
7 Valk, Thorsten: Der junge Goethe.München.2012