Videoaktivismus am Beispiel der Videoproduktion der Zapatista- Gemeinschaften in Chiapas (Mexiko)


Magisterarbeit, 2006

124 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung:

I. Videoaktivismus und die Tradition des politischen Dokumentarfilms

2. Das Verhältnis zwischen Dokumentarfilm und sozialen Bewegungen
2.1. Die Tradition des sozialen Dokumentarfilms
2.2. Dokumentarfilm als Agitationsmedium
2.2.1. Revolutionärer Film in den zwanziger Jahren: Dziga Vertov und das
Kino-Glaz
2.2.2. Militanter Dokumentarfilm in den dreißiger Jahren: The Worker‘s Film and
Photo League und Frontier Films
2.2.3. Die 16mm Technik und der dissidente Film in den sechziger Jahren
2.2.3.1. Frankreich: Provokation statt Beobachtung im cinéma vérité
2.2.3.2. Kanada: Der National Film Board. Training von Mohawk- Indianern
2.2.3.3. USA: Der dissidente Film zum Vietnam Krieg
2.2.3.4 Lateinamerika: Kino-Aktion, Kino-Guerrilla und „drittes Kino“
2.3. Technische und ökonomische Aspekte

3. Videoaktivismus
3.1. Die Entdeckung der Videotechnik für die politische Arbeit in den siebziger
Jahren
3.2 Die „Camcorder Revolution“
3.3. Das heutige Verständnis von Videoaktivismus
3.4. Typen von Videoaktivismus
3.4.1. Witness-Video: Die Kamera als Schutz vor Menschenrechtsverletzungen
3.4.2. Video als Mittel zur politischen Mobilisierung
3.4.3. Video als Aufklärungsmedium
3.5. Die Bildung einer Gegenöffentlichkeit

II. Die Videoarbeit der Zapatistas

4. Mediennutzung als politische Strategie der Zapatista Bewegung

5. Die Videoarbeit innerhalb der Organisationsstrukturen der Zapatista-Gemeinden
5.1. Organisation und Strukturen
5.2. Vorführung und Vertrieb
5.3. Finanzierung des Projektes

6. Die Videoproduktion der Zapatistas
6.1. Die Kamera als Waffe
6.2. Video als Kommunikationsmedium: Die Vermittlung der eigenen Realität
6.3. Video als Mittel zur politischen Mobilisierung
6.4. Video als kollektives Gedächtnis
6.4.1. Geschichte der Zapatista Bewegung
6.4.2. Erhalt der Traditionen und der indigenen Identität

III. Fazit

IV. Literaturverzeichnis:

V. Anhang
Interview mit Mario, Medienbeauftragter und Koordinator von Roberto Barrios
Interview mit José, Medienbeauftragter und Koordinator von Los Altos
Interview mit Mario, Promotor und Koordinator von La Garrucha
Interview mit Andrés, Promotor von San Miguel
Interview mit Paco, Mitarbeiter von Promedios
Interview mit Nico, Mitarbeiter von Promedios
Interview mit Amaranta, Mitarbeiterin von Promedios

1. Einleitung:

Die vorliegende Magisterarbeit beschäftigt sich mit Videoaktivismus, als der durch Video ermöglichten Nutzung von Dokumentarfilm als Medium sozialer Bewegungen. Die Nutzung der Videotechnik als taktisches Mittel im politischen Kampf für soziale Gerechtigkeit oder für den Umweltschutz[1] beginnt in den siebziger Jahren. Doch erst in den neunziger Jahren und am Anfang des 21. Jahrhunderts, im Rahmen der weltweiten Vernetzung von politischen Gruppen und sozialen Bewegungen dank der digitalen Technik, erlebt Videoaktivismus einen regelrechten Boom und wird als eigenständige Form der politischen Arbeit gesehen.

Die zunehmende Vereinfachung, Verkleinerung und Kostensenkung der Videotechnik bewirken eine Demokratisierung des Mediums, schaffen die Möglichkeit einer Aneignung von seiten gesellschaftlicher Gruppen. Der Zugang zur nötigen Videoausrüstung, Software und offenen, unzensierten Distributionskanälen ermöglicht es politischen Gruppen, die sich von den offiziellen Medien nicht repräsentiert fühlen, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Aus diesem Grund ist Video eins der meist verwendeten Medien von politischen Aktivisten. Mit dem Begriff Video bezeichne ich die durch die Videotechnik ermöglichte unabhängige Arbeit sowie die daraus entstehenden filmischen Produkte.

Obwohl Videoaktivisten selbst eine Grenze zwischen Videoaktivismus und Dokumentarfilm ziehen, wird in der politischen Arbeit mit Video fasst ausschließlich die dokumentarische Methode eingesetzt. In dieser Arbeit werden Filme als dokumentarisch bezeichnet, die Informationen über eine aktuell existierende Realität enthalten und die an realen Orten aufgenommen worden sind. Die seltenen Beispiele von Spielfilmen und Zeichentrickfilmen, die auch zur Arbeit von Videoaktivisten gehören, werden in dieser Arbeit nicht berücksichtigt, da die Untersuchung den Möglichkeiten des Dokumentarfilms als eines in politische Prozesse eingreifenden Mediums gilt. Die Frage, ob der Dokumentarfilm ein Medium zur Veränderung der sozialen Wirklichkeit sein kann, stellt sich seit den Anfängen der Geschichte des Genres. Da die wissenschaftlichen Theorien des Dokumentarfilms sich kaum die Frage nach seiner gesellschaftlichen Funktion gestellt haben[2], beziehe ich mich in dieser Arbeit zum größten Teil auf die Theorie und Praxis derjenigen Dokumentarfilmemacher, welche die eingreifenden Tendenzen vertreten, um dieser Frage nachzugehen. Unter eingreifende Tendenzen des Dokumentarfilms verstehe ich solche, die eine Veränderung oder Beeinflussung der Realität, die sie abbilden, anstreben.

Viele der Dokumentarfilmbewegungen, die dem Medium ein wirklichkeitsveränderndes Potential zugewiesen haben, haben diesen im Rahmen von progressiven Bewegungen oder linken politischen Gruppen eingesetzt.

Obwohl das politisch-agitatorische Potential des Dokumentarfilms auch sehr oft von Machtgruppen benutzt wurde, geht es in dieser Arbeit um die nicht-institutionalisierte Nutzung des Mediums: um seine Beziehung zu sozialen emanzipatorischen Bewegungen, die Distribution über alternative Kanäle, die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit und die Umkehrung des Produzenten-Konsumenten Verhältnisses. In diesem Zusammenhang betrachte ich Videoaktivismus als eine Weiterentwicklung oder eine Radikalisierung von etwas, dass sich in der Geschichte des Dokumentarfilms seit seinen Anfängen als Versuch wiederholt hat: die Demokratisierung des Mediums und sein Einsatz als Mittel zur gesellschaftlichen Veränderung. Daher setzte ich im ersten Teil der Arbeit Videoaktivismus in Beziehung zu drei historischen Momenten, die wichtige Schritte in diese Richtung bedeuten: die Dokumentarfilmbewegungen der zwanziger, dreißiger und sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich unterscheide dabei zwischen sozialem und agitatorischen Dokumentarfilm.

Mit sozialem Dokumentarfilm meine ich die Tendenz, die sich aus einem politischen Standpunkt heraus sozialen Problemen zuwendet, um in der Gesellschaft ein Bewußtsein dafür zu schaffen, welches zur Veränderung der Situation führen soll. Der soziale Dokumentarfilmemacher lässt die Akteure zu Wort kommen, um Benachteiligten, sozialen Randgruppen oder politische Minderheiten eine Medienpräsenz zu verschaffen. Allerdings tut er dies aus einer (solidarischen) Außenposition, da er nicht Teil der Realität ist, die er dokumentiert und er die Menschen, um die es geht, nicht am Produktionsprozess beteiligt. Die in den dreißiger Jahren von Grierson geführte britische Dokumentarfilmbewegung wird als Beispiel für diese Tendenz herangezogen, weil sie die Entwicklung des sozialen Dokumentarfilms weltweit sehr stark geprägt hat, so dass das Genre gegenwärtig noch von Griersons Werk beeinflusst ist. Am Beispiel Griersons wird die Aussage von Trinh T. Minh-Ha, der soziale Dokumentarfilm bleibe paternalistisch und setze die Hegemonie der Medien fort, untersucht.

Als agitatorisch bezeichne ich die Tendenz des Dokumentarfilms, in der die Aufklärung über gesellschaftliche Missstände die Funktion hat, den Zuschauer zu aktivieren, ihn zu motivieren, gegen diese Missstände anzukämpfen. Der Filmemacher, der eine eindeutige politische Position vertritt, sieht sich als Teil der Gesellschaftsgruppe, für deren Ziele der Film sich einsetzt.

Im ersten Teil dieser Arbeit, werde ich der Frage nachgehen, ob der agitatorische Dokumentarfilm und der Videoaktivismus als radikalste Form davon, durch zunehmende Beteiligung der Betroffenen am Herstellungsprozess im Gegensatz zum sozialen Dokumentarfilm einen echten emanzipatorischen Mediengebrauch mit sich bringt.

Die These, die ich dabei untersuche, ist, dass der Einsatz des Dokumentarfilms als Medium zur Veränderung der sozialen Wirklichkeit durch drei Aspekte vorangetrieben wird:

1) die Entwicklung einer vereinfachten, billigeren Technik. In diesem Sinne wäre die Videokamera die höchste Stufe der Demokratisierung der Film-Technik.
2) die Einbindung des Filmemachers in eine soziale Bewegung oder politische Gruppierung.
3) die durch die ersten beiden Voraussetzungen ermöglichte zunehmende Beteiligung der Betroffenen am Produktions- und Distributionsprozess.

Für die Untersuchung von Videoaktivismus konzentriere ich mich auf zwei historische Momente: die Geburtstunde der politischen Videoarbeit in den Medienzentren und Videoinitiativen der siebziger Jahre und die aktuellen Formen von Videoaktivismus im einundzwanzigsten Jahrhundert, was die Entwicklung der politischen Videoarbeit durch die Digitalisierung veranschaulichen soll. Da die gegenwärtige Bandbreite des Videoaktivismus in diesem Rahmen nicht ausführlich behandelt werden kann, begrenze ich mich auf die Beschreibung der ausgeprägteren Tendenzen und Formen. Um die Aspekte hervorzuheben, die mir in Zusammenhang mit der historischen Entwicklung des agitatorischen Dokumentarfilms relevant erscheinen, bediene ich mich einiger Filmbeispiele aus der globalisierungskritischen Bewegung.

Im zweiten Teil der Arbeit werde ich am Beispiel der Zapatistas, der indigenen, autonomen Gemeinden aus Chiapas im Südosten Mexikos, untersuchen, welche unterschiedlichen Formen und Funktionen Videoaktivismus annimmt. Ziel ist es, am konkreten Fall der Videoarbeit innerhalb einer sozialen Bewegung der Frage nachzugehen, ob Dokumentarfilm ein Medium zur Veränderung der Wirklichkeit sein kann.

Diese Untersuchung basiert auf meinem sechswöchigen Aufenthalt in Chiapas, meiner Mitarbeit bei der Organisation Promedios und den Interviews, die ich mit den Videomachern aus den zapatistischen Gemeinden geführt habe.

I. Videoaktivismus und die Tradition des politischen Dokumentarfilms

2. Das Verhältnis zwischen Dokumentarfilm und sozialen Bewegungen

In der Geschichte des Dokumentarfilms sind die Höhepunkte in der Regel mit sozialen Bewegungen verknüpft. Schließlich: Was nutzt mir ein wahrheitsgetreues Bild der Wirklichkeit, wenn ich nicht zur gleichen Zeit die Hoffnung hege, sie verändern zu können?[3]

Der Dokumentarfilm hat eine lange soziale und politische Tradition, die sich unmittelbar aus dem Umstand ergibt, dass sein häufigster Gegenstand die aktuelle Wirklichkeit ist. Folglich stellt sich die Frage, ob es in der Natur des Genres liegt, politisch zu sein[4]. Wissenschaftliche Dokumentationen, Naturfilme, Lehrfilme historische und ethnographische Filme haben diesen politischen Charakter in den meisten Fällen nicht; sie haben aber bis auf wenige Ausnahmen auch nicht die Geschichte des Dokumentarfilms geprägt und werden in Dokumentarfilmtheorien und Filmgeschichtsbüchern explizit außen vor gelassen.[5] Die einflussreichsten Tendenzen in der Geschichte des Dokumentarfilms stehen meist in Zusammenhang mit emanzipatorischen Impulsen aus der Gesellschaft[6], so dass seit der Politisierung des Dokumentarfilms in den dreißiger Jahren diskutiert worden ist, ob der Umgang mit der gesellschaftlichen Realität als Ausgangspunkt und Gegenstand des Genres, dazu führe, dass die meisten Dokumentarfilmemacher im politisch linken Spektrum zu finden seien:

Es erscheint so, als wenn der Stil und die Praxis des Dokumentarfilms, der die Künstler mit der sozialen Wirklichkeit und den Augenscheinlichkeiten des Lebens konfrontiert, sie unvermeidlich dahin führt, eine progressive Position einzunehmen.[7]

Es genügt Leni Riefenstahls Propaganda-Filme oder die zahlreichen Kriegsfilme in Betracht zu ziehen, um das Gegenteil zu beweisen. Dennoch wiederholt sich in der Geschichte des (außerhalb einer staatlichen Propaganda-Maschinerie) politisch motivierten Dokumentarfilms die Vorstellung, das Genre solle einen sozialen Zweck erfüllen und den gesellschaftlichen Fortschritt fördern.

Für diese Arbeit ist es wichtig, eine Unterscheidung zu treffen zwischen dem sozialen Dokumentarfilm in der Form, in der er gegenwärtig im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und zunehmend auch in kommerziellen Kinos zu sehen ist und in der Linie von Grierson steht, gegenüber dem politisch dissidenten oder agitatorischen Dokumentarfilm, der gegenwärtig im Videoaktivismus in Erscheinung tritt, aber auch eine lange Tradition in der Geschichte des Genres hat.

2.1. Die Tradition des sozialen Dokumentarfilms

Mit Ausnahme des sowjetischen Films der zwanziger Jahre (siehe 2.2.1) sind die Anfänge des Dokumentarfilms durch avantgardistische Experimente und durch Flahertys idealisierte, „poetische Rückgriffe auf vorindustrielle Gesellschaften und ‚primitive‘ Konflikte zwischen Individuen und Naturgewalt“[8] geprägt. Dagegen bedeutet die von Grierson geführte britische Dokumentarfilmbewegung der dreißiger Jahre die „Politisierung des Dokumentarfilms“ und den Anfang der Tradition des „sozialen Dokumentarfilms“.[9]

Als Reaktion gegen Flahertys Stil, den sie wegen der fehlenden Beachtung des sozialen Kontextes und des mangelndem gesellschaftlichen Engagements als unbrauchbar betrachten[10], plädieren die Filmemacher um Grierson für einen Dokumentarfilm mit einem politischen Standpunkt, der einen progressiven Beitrag zur Gesellschaft leiste[11], und im Hinblick auf seine propagandistische, erzieherische Wirkung statt mit künstlerischen oder ästhetischen Maßstäben bewertet wird.[12]

Mit Grierson bekommt der Dokumentarfilm die Bedeutung eines realistischen Genres, das seine gesellschaftliche Funktion in der Bildung von Öffentlichkeit und politischem Konsens gewinnt.[13]

Dokumentarfilm soll nach Grierson einen Beitrag zu einem besseren Funktionieren von Staat und Gesellschaft leisten, indem es ein allgemeines Bewusstsein für akute soziale Probleme weckt, Diskussionen darüber provoziert und Ansätze, um den Ursprung der Probleme aufzuspüren und mögliche Lösungen zu finden, enthält.[14] Die Bildung von Öffentlichkeit begrenzt sich nicht darauf, über gesellschaftlich relevante Themen zu informieren, sondern es geht dabei um den Versuch, die Zuschauer zum Handeln zu bewegen.[15] Der Dokumentarfilm soll dazu dienen, die moderne, komplexe, industrialisierte Gesellschaft zu durchleuchten und mitzugestalten[16].

Zu diesem Zweck werden Themen der Arbeit in großen Betrieben, sowie Probleme des Alltags in der industriellen Gesellschaft, wie Armut, Elendsviertel, Umweltverschmutzung, Unterernährung und die Mängel des öffentlichen Gesundheits- und Bildungssystems bevorzugt behandelt. Solche Themen werden aus der Perspektive der Arbeiter dargestellt, so dass aus den Filmen die Notwendigkeit von dringenden Reformen hervorkommt, was sie nach Barnouw zu Dokumenten des sozialen Protestes macht.[17] Allein durch die Tatsache, dass die britische Dokumentarfilmbewegung die Arbeiter als Helden des Alltags auf die Leinwand bringt, wird den Filmen eine revolutionäre Wirkung zugesprochen[18], weil sie der Arbeiterklasse, die bis zu diesem Zeitpunkt nur zu komischen Zwecken im Spielfilm zu sehen war, eine neue Würde geben. Das ist der Fall in Drifters (1929), der die Arbeit der Heringsfischfänger zeigt. Solche Filme verfolgen den Zweck, ein Teil der Gesellschaft für die Allgemeinheit als Bestandteil des modernen Englands zu erklären, um so dem Publikum das Gefühl zu vermitteln, Teil eines sinnvollen Ganzen zu sein[19].

Die Darstellung sozialer Probleme aus dem Gesichtspunkt der Betroffenen findet teilweise mit der Einführung neuer durch die Tonfilmtechnik ermöglichte Methoden statt: zum Beispiel werden im Film Housing Problems (1935) zum ersten Mal Interviews mit betroffenen Bewohnern der Slums durchgeführt, die direkt in die Kamera sprechen. Die Interviews wechseln sich ab mit dem Voice-over-Kommentar eines Experten für Wohnungspolitik. Diese Technik, die das grundlegende Format des späteren Fernsehdokumentarfilms etabliert, stellt zu der Zeit eine revolutionäre Innovation dar, da es eine größere Wirkung auf die Zuschauer hat, wenn sie die Situation von den Betroffenen selbst geschildert bekommen.[20]

The spoken word is used to provide information and analysis and to allow persons to reveal themselves more fully and colourfully than was altogether possible in silent films.[21]

Auf dieser Weise bekommt der Dokumentarfilm im Sinne Griersons eine erzieherische Qualität und verfolgt „einen kommunikativ zusammenführenden, demokratisierenden Auftrag“[22] mit dem Ziel, die Institutionen der Gesellschaft im öffentlichen Interesse zum besseren Funktionieren zu bringen.[23] Dadurch dass Meinungsführer Und Entscheidungsträger zum Zielpublikum gehörten, ist davon auszugehen, dass ein Film wie Housing Problems einen Einfluss auf die darauf folgenden Reformen in der Wohnungspolitik des Landes gehabt hat[24]. Daraus kann man folgern, dass die von Grierson bezweckte gesellschaftlich eingreifende Funktion des Dokumentarfilms sich erfüllt, und zwar mit einem reformistischen Ansatz: die erst staatlich und später privatwirtschaftlich subventionierten Produktionen spüren Missstände auf, sie stellen jedoch die Rolle der Institutionen grundsätzlich nicht in Frage, sondern streben einen gesellschaftlichen Konsens an. Dissidente Stimmen bleiben jedoch dabei ausgeschlossen:

One of the requisites for the success of the Grierson enterprise was the notion of consensus. The documentary films did not advance partisan political positions; they stayed within what the two major political parties, Conservative and Labour, might agree upon.[25]

Hohenberger zufolge möchte Grierson die Komplexität des Sozialen „in der Reduktion auf eine filmische Story vereinfachen, um Konsens über eine bestehende Gegenwart zu erzielen“[26] und bleibt somit ein „progressiver Denker innerhalb des Systems“[27].

Die institutionelle Förderung setzt dem Dokumentarfilm inhaltliche Grenzen, was sich am Beispiel des für den Empire Marketing Board produzierten Industrial Britain (1933) zeigt. Der Film ignoriert systematisch solche Realitäten wie Arbeitslosigkeit und gewerkschaftliche Organisation.[28] Das heißt, dass die Arbeiter, deren Perspektive eigentlich durch die Filme vertreten werden soll, nicht in der Wahl der Themen einbezogen sind. Es bleibt die Entscheidung des Filmemachers, welche Themen für die Allgemeinheit relevant sind. Die angestrebte demokratisierende Wirkung des Dokumentarfilms im Sinne Griersons beschränkt sich darauf, Informationen über soziale Kontexte zu vermitteln, um „im Sinne demokratischer Partizipation eine Parteinahme der Bürger für eine Expertenmeinung zu ermöglichen“.[29] Somit entsteht eine Haltung, die im sozialen Dokumentarfilm im Wesentlichen beibehalten wurde: er „verleiht den politischen Subjekten eine Stimme, verwehrt ihnen aber gleichermaßen die Autonomie“.[30]

Für Min-Ha bleibt der soziale Dokumentarfilm paternalistisch, indem er sich über seinen Gegenstand erhebt und nur beobachtend ist[31]. Obwohl Griersons Theorie zufolge der Dokumentarfilm nicht eine rein beobachtende, sondern eine eingreifende Funktion haben soll, trifft diese Kritik auf seine Form des sozialen Dokumentarfilms insofern zu, als der Film aus einer Distanz zwischen der dargestellten Realität und dem Filmemacher entsteht. Eine gesamtgesellschaftliche demokratisierende Wirkung des Mediums bleibt dadurch aus: die Protagonisten der Filme, die eigentlichen Betroffenen, haben weder am Produktionsprozess noch an der Rezeption teil[32]. Weil der soziale Dokumentarfilm in der Tradition Griersons die Kluft zwischen dem gebildeten, intellektuellen Produzenten und dem unaufgeklärten Konsumenten bewahrt, ändert er Min-Ha zufolge nichts daran, dass die Hegemonie der Medien ihren Kurs fortsetze[33].

Ein weiterer Aspekt, dass die britische Dokumentarfilmbewegung von den agitatorischen Tendenzen unterscheidet ist, dass trotz Griersons Anspruch, der Dokumentarfilm solle propagandistisch und nicht ästhetisch sein, aus der britischen Dokumentarfilmbewegung solche Filme entstehen wie Night Mail (Watt, 1936), die das „drama on the doorstep“ auf sehr künstlerische Weise behandeln, so dass die politische Intention der Filme verdeckt bleibt:

It is a paradigm of propaganda so intertwined with art that the viewer experiences pleasure while absorbing the message (painlessly, effortlessly, and probably even unconsciously).[34]

Dies widerspricht dem Anspruch der meisten agitatorischen Tendenzen von Vertov bis zum Videoaktivismus, die durch die Sichtbarmachung des Mediums einen „erkenntniskritischen Abstand“[35] sichern wollen. (Siehe dazu 2.2.)

Die Tendenzen des agitatorischen Dokumentarfilms, die im Folgenden als Vorläufer des Videoaktivismus eingeführt werden, stellen Bestrebungen dar, sich von der paternalistischen Haltung des sozialen Dokumentarfilms zu distanzieren und einen in politische Prozesse eingreifenden Film zu produzieren.

2.2. Dokumentarfilm als Agitationsmedium

In der Geschichte des Genres gibt es verschiedene Filmbewegungen, die versuchen, die Hegemonie aufzubrechen, damit ein „emanzipatorischer Mediengebrauch“[36] stattfinden kann und die in verschiedenen Hinsichten gegenüber der griersonschen Konzeption Neuerungen aufzeigen, was die Nutzung von Dokumentarfilm als eingreifendes politisches Medium betrifft. Die politische Arbeit mit Film in den zwanziger, dreißiger und sechziger Jahren bringt die als Vorbilder oder Bezugspunkt für Videoaktivismus relevantesten Beispiele dafür, da sie die beiden von Tretjakow[37] aufgestellten „hauptsächlichen sozialen Funktionen“ von Film verwirklichen: „das Aufweisen der Tatsache, das heißt die informierende Funktion und die Aktivierung des Zuschauers, das heißt die agitierende Funktion“[38].

2.2.1. Revolutionärer Film in den zwanziger Jahren: Dziga Vertov und das Kino-Glaz

Dziga Vertovs filmisches Schaffen findet überwiegend in einem institutionalisierten Kontext statt[39]. Dennoch weist die in Vertovs theoretischem Werk enthaltene Konzeption über den Film sehr viele Aspekte auf, die relevant für eine Diskussion über die politische Kraft des Mediums sind und auf die sich zukünftige Dokumentarfilmemacher und Videoaktivisten fortlaufend bezogen haben[40]. Der wesentliche Aspekt davon ist, dass Vertov und die jungen sowjetischen Filmemacher zum ersten Mal in der Geschichte des Genres den Dokumentarfilm als Agitationsmedium behandeln und ihm eine zentrale Rolle in der Bildung einer neuen revolutionären Gesellschaft zuweisen. Damit der Dokumentarfilm seine soziale Funktion erfüllen kann, sieht Vertovs Theorie des Kino-glaz eine Demokratisierung der Rezeption und des Produktionsprozesses vor.

Die agitatorische Kraft sieht Vertov in der filmischen Sichtbarmachung der gesellschaftlichen Prozesse, die zur aktiven Erziehung der Massen, zur Indoktrinierung und Politisierung führen sollen. Diese Funktion des Films kann seiner Theorie nach nur vom Dokumentarfilm erfüllt werden, da dieser durch das Aufnehmen, Sortieren und Verbreiten von Fakten auf das Bewußtsein der Zuschauer wirkt, ihnen die Augen öffnet und das Sehen aufklart.[41] Spielfilme, dagegen, „wirken vor allem auf das Unterbewußtsein des Zuschauers und umgehen auf jegliche Weise sein protestierendes Bewußtsein.“[42] Der Spielfilm verhindert die Analyse der revolutionären Gesellschaft und ist daher ein Überrest der vorrevolutionären Welt[43].

Die gesellschaftliche Aufgabe des sowjetischen Films besteht demzufolge im Dokumentieren der revolutionären Realität als Mittel zur Politisierung. In der ersten Phase seiner Arbeit, während der ersten Jahre der Revolution, ist Vertov zuständig für die Montage der Wochenschau Kino-Nedelia (ab 1918). In dieser Zeit wird der Dokumentarfilm als Mittel zur Steigerung der Aufmerksamkeit entwickelt und eingesetzt. In „Agit-Züge“ und „Agit-Bote“ werden Kameramänner durch das ganze Territorium der Sowjetunion geschickt, mit der Aufgabe, Bilder von der Kriegsfront zurückzubringen; Wochenschau-Material aus dem ganzen Land, das später von Vertov montiert und mit denselben Agit-Zügen und Agit-Boten bis in die entferntesten Gegenden geschickt und vorgeführt wird, damit Bauern und Soldaten fortwährend ein Panorama der Kämpfe im Land zu sehen bekommen.

Nach dem Ende des Krieges sieht Vertov die Rolle von Wochenschauen darin, die Menschen der einander zum Teil sehr fremd wirkenden Regionen des Landes miteinander zu verbinden, dadurch dass sie über die Krisen und Fortschritte im Aufbau der neuen Gesellschaft informiert bleiben.[44] Diese verbindende Funktion erfüllt auch der Langfilm Ein Sechstel der Erde (1926), der Bilder aus allen Territorien der Sowjetunion, die geografische Reichweite und die Verschiedenheit der Bewohner zeigt, um den Menschen ein Gefühl von Einheit zu vermitteln:

The enthusiastic reception won by this film is not surprising. To men and women with only a dim awareness of the scope and resources of their land, and with a deep desire to believe in its destiny, One Sixth of the world was a prideful pageant.[45]

Das Dokumentieren der sozialistischen Realität ist auch die Funktion der monatlichen Ausgaben der „Kinopravda“. Themen der Reihe sind u.a.:

Hungernde Kinder, Konfiszierung kirchlicher Wertgegenstände, Eröffnung eines Elektrizitätswerkes, Prozeßberichte, Demonstrationen, Motorradrennen und Sportfeste, Portraits von Partisanen, Arbeitern, landwirtschaftlichen Kommunen, die Arbeit der Wanderkinos, Berichte von Gewerkschaftskongressen und Jubiläumsfeiern der Revolution.[46]

Durch zwischenmontierte Aufnahmen von Krieg- und Hungerzeiten wird das „Neue“ dem „Alten“ gegenübergestellt und das Ausmaß des Aufbaus der Gesellschaft hervorgehoben.

Die wichtigste Aufgabe der „Kinopravda“ ist es, „Alltagsleben und Organisation des Alltagslebens“ zu dokumentieren[47]:

Die Prüfung unserer gesamten Übergangszeit im Ganzen und gleichzeitig die Prüfung jedes einzelnen Dekrets und jeder Verfügung an Ort und Stelle, in den Massen. [...] Das ist ein Thermometer oder Aräometer unserer Wirklichkeit.[48]

Hier sieht man, wie eng für Vertov das dokumentarische Schaffen und die politische Aufgabe miteinander verwoben sind. Das Dokumentieren des Lebens stellt an sich schon eine revolutionäre Aufgabe dar, weil dadurch Veränderungen wie Industrialisierung oder Kollektivierung analysiert werden können. Deswegen ist die ökonomische Struktur der

Gesellschaft das Hauptthema des Dokumentarfilms:

Wenn wir das Leben – selbst und unmittelbar – in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit und unserer Arbeit stellen und wenn wir – Sie einbegriffen – einmal unter der Fixierung des Lebens die Fixierung des historischen Prozesses verstehen, so gestatten Sie uns, den Technikern und Ideologen dieser Arbeit, zur Grundlage unserer Beobachtung die ökonomische Struktur der Gesellschaft zu machen.[49]

Hervorzuheben ist das Vertrauen in die Macht der Kamera als Medium, mit dem die von der Revolution in allen Aspekten des modernen Lebens hervorgebrachten Veränderungen fixiert und analysiert werden können[50]. Das „bewaffnete Auge“, das vollkommener ist als das menschliche Auge, ist das Instrument „zur Erforschung des Chaos von visuellen Erscheinungen“[51], der Komplexität der modernen Gesellschaft und Politik. Mit der Kamera werden die Augen des Zuschauers auf jene Fakten gerichtet, die es zu erkennen gilt „auf jene Abfolge von Details, die man unbedingt sehen muß“ und die man mit bloßem Auge so nicht erkannt hätte.[52]

In den Jahren der „Kinopravda“ entwickelt Vertov seine Idee des „Kinoglaz“[53] und gründet die Bewegung der „Kinoki“, deren „grundlegende und programmatische“ Aufgabe es ist:

Jedem Unterdrückten als einzelnen und dem Proletariat in seiner Gesamtheit in dem Bestreben zu helfen, sich in den Lebenserscheinungen der Umwelt zurechtzufinden.[54]

Zu dieser Aufgabe gehört neben der „Dechiffrierung des Lebens“ die Herstellung einer „Klassenverbindung zwischen den Proletariern aller Nationen und aller Länder auf der Plattform der kommunistischen Dechiffrierung der Welt“.[55] Somit versteht sich die Filmbewegung als Teil einer politischen Bewegung:

Die Bewegung „Kinoglaz“, an deren Spitze wir Mitarbeiter der Kinochronik, die Kinoki, stehen, ist eine Bewegung von internationalem Rang; ihre Entwicklung hält mit der proletarischen Weltrevolution Schritt.[56]

Die Aufgabe des Kinoglaz richtet sich an die Werktätigen, auf deren Bewusstsein mit Fakten eingewirkt werden soll.[57] Im Unterschied zu Grierson macht Vertov die Filme für „das Volk“ und nicht (nur) über „das Volk“. Dank des großen Stellenwerts der Distribution im ganzen Land erreichen die Filme tatsächlich die Arbeiter, Bauern und Soldaten.

Um die Trennung zwischen Produktion und Konsumption aufzuheben, sieht Vertov die Notwendigkeit, neue Mitarbeiter zu schulen und weiterzubilden, die aus der „heranwachsenden Arbeiterjugend“ stammen. Der Produktionsprozess soll demokratisiert und von der „bourgeoisen Kunstkinematographie“[58] emanzipiert werden, indem man von einer individuellen zu einer kollektiven Autorenschaft gelangt:

Die bisher übliche Hierarchie unter den Mitarbeitern sollte zugunsten einer kollektiven Produktionsweise und eines kollektiven Lernprozesses aufgegeben werden, das kollektiv der Kinoki sollte Autor und Schöpfer aller folgenden Filmsachen sein.[59]

Dennoch bleibt trotz dieser theoretischer Überlegungen der Produktionsprozess des sowjetischen Films zentralistisch: die Filmfakten werden „von den Schnittmeistern nach Anweisung der Partei organisiert“[60], die „sorgfältig ausgewählte, fixierte und organisierte Fakten“ werden den Werktätigen „von den Technikern und Ideologen dieser Arbeit“ vermittelt[61]. Trotz Enthierarchisierung und Kollektivierung innerhalb der Gruppe der Mitarbeiter , sind die „Kinoki“ auf unterschiedliche Aufgaben spezialisiert[62]. Die Aufhebung des Spezialistentums und der Trennung zwischen Produzenten und Konsumenten, die als Bedingung für die soziale Funktion der Kunst in der sowjetischen Gesellschaft gesehen wird[63], wird nicht durchgeführt. Die Haltung des Filmemachers bleibt was den Produktionsprozess betrifft, trotz emanzipatorischer Ansätze paternalistisch.

Und doch unterscheidet sich diese Haltung in zwei für den agitatorischen Film wesentliche Aspekten von der Griersons. Erstens sieht sich Vertov als Teil der proletarischen Bewegung, die er mit dem Dokumentarfilm mitorganisieren möchte[64]. Zweitens ist die Nutzung des Mediums bei Vertov demokratischer, weil er die Filme „für die Massen“ macht, wodurch die Verbreitung eine große Bedeutung als Mittel zur Politisierung bekommt.

Das in Hinsicht auf Videoaktivismus entscheidende Element der Theorie und Praxis Vertovs ist die Idee, der Dokumentarfilm könne in den revolutionären Prozess eingreifen:

[Demgegenüber] greift die revolutionäre, faktografische Filmkunst in die revolutionäre Gegenwart ein, motiviert sie, organisiert sie und gibt ihr ein Bild von sich selbst, das über die Gegenwart hinausweisen kann.[65]

Der Gedanke, dass der Dokumentarfilm durch die Analyse gesellschaftlicher Prozesse nicht nur informieren, sondern, motivieren und mitorganisieren kann ist der Grundgedanke des agitatorischen Films bis zum Videoaktivismus.

Während Grierson auf die Produktion sozialer Werte zielt, will Vertov mit Hilfe eines technologisierten Blicks, der einen erkenntniskritischen Abstands zwischen der Welt und ihrem Bild ermöglicht, das Handeln in der Welt neu organisieren[66]. Auf diesem Unterschied basiert die Abgrenzung zwischen dem agitatorischen und dem sozialen Dokumentarfilm.

2.2.2. Militanter Dokumentarfilm in den dreißiger Jahren: The Worker‘s Film and Photo League und Frontier Films

Der Film ist das unmittelbare, lebendigste Medium für die Dokumentation und Propaganda im Klassenkampf [...] eine politische Waffe, die in einer solchen Zeit stärker wirken kann als eine Waggonladung Munition und Maschinengewehre.

Leo Hurwitz, Mitbegründer der WFPL[67]

In den Vereinigten Staaten beginnt in den dreißiger Jahren der dissidente Dokumentarfilm als Medium von außerparlamentarischen politischen Gruppen.[68] Es entwickelt sich eine Bewegung von Arbeiter-Filmklubs als Reaktion gegen das durch die Wirtschaftskrise hervorgerufene Identitätsproblem vieler Menschen, die nirgendwo in den Massenmedien eine Darstellung ihrer Probleme finden können[69]. Die Worker’s Film and Photo Leagues

entstanden aus der Notwendigkeit, durch Photo und Film die Menschen über die Realitäten der 30er Jahre zu informieren, über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und sich daraus entwickelnden Kämpfe.[70]

In den Augen der Arbeiterbewegung „entstellten, vernebelten oder vermieden“ die Massenmedien die Probleme der Arbeitslosigkeit und des Hungers[71]. Tatsächlich fand in Presse und Rundfunk keine Auseinandersetzung mit der Wirtschaftskrise statt, da jede Kritik als „Unterminierung des Vertrauens“ und als „Verrat an den öffentlichen Interessen“ gesehen wurde.[72] Die Wochenschauen vermieden absichtlich eine Berichterstattung über die ärmlichen Zustände und die sozialen Kämpfe der Zeit. Das Monopol und die Kontrolle von Hollywood auf die Distribution von Filmen ließ den Unmut über die sozialen Probleme, der beinahe eine revolutionäre Gestalt annahm, keinen Raum, sich filmisch zu artikulieren. Diese Situation spitzte sich zu, als 1931 die Fox Corporation seinen Kinos die Vorführung von

Wochenschauen mit einer „kontroversen Natur“ untersagte.[73]

Als Reaktion darauf treten die „radikalen Filmprojekte und Filmgruppen der Depressionszeit“[74] auf. Militante Fotografen und Filmemacher gründen die „Worker‘s Film and Photo League“ (WFPL), mit dem Ziel „auf die Bedürfnisse der Masse, sich zu artikulieren“ zu reagieren[75]. Die Liga ist einer Massenorganisation der Arbeiterklasse angeschlossen, der „Worker’s International Relief“ (WIR), deren Hauptzweck es ist, Nahrungsmittel, Kleidung und Obdach für die Streikenden bereitzustellen. Da beide Organisationen zusammenarbeiteten, ist es den Filmemachern und Fotografen möglich, dicht an die sich entwickelnden Kämpfe heranzukommen und sich an ihnen zu beteiligen.

Die Arbeit der „Film and Photo League“ startet mit systematisch organisierten Vorführungen ausländischer Filme[76]. Weil der Marktpreis der Vorführgeräte für Stummfilm mit dem Beginn des Tonfilms sehr gesunken war, ist es den Gruppen der „League“ möglich, Projektoren zu kaufen. Durch diesen Zugang zur 35-mm-Stummfilmtechnik wird die Produktion und der Austausch von eigenem Filmmaterial motiviert. Die Mitglieder der „Film and Photo Leagues“ filmen Hungermärsche, Zwangsräumungen von Slums, Arbeitslosigkeit, Streikaktionen und Proteste, die zu typischen Erscheinungen der Periode zwischen 1930-32 geworden sind.[77]

Mit den unter den regionalen Verbänden der Liga ausgetauschten Materialien, werden die mit dem Namen Workers Newsreel erscheinenden Arbeiterwochenschauen zusammengestellt, die in den Filmklubs untereinander weitergegeben werden. Solche Wochenschauen werden als notwendig gesehen, um die strenge Zensur und die „böswillige Verzerrung, welche die kapitalistischen Filmgesellschaften üblicherweise bei der Behandlung aller mit dem Arbeitskampf in Verbindung stehenden Vorgänge aufwenden“, zu umgehen[78]. Dagegen sollen die Wochenschauen aufklären und agitieren.

Diese Newsreels erfüllen eine ebenso aufklärerische wie agitatorische Funktion für die Arbeiterklasse, und sie dienen als ein Korrektiv für die Lügen der kapitalistischen Agenten. Ein Streik, eine Demonstration, ein Hungermarsch zeigen die ganze Brutalität der Polizei auf, den ganze n Heroismus, die ganze Kampfbereitschaft der Arbeiter und zwar ohne den ablenkenden, begütigenden oder spötischen Kommentar der bourgeoisen Sprecher.[79]

Agitation wird durch die Vorführung der Arbeiterwochenschauen in Zusammenhang mit den Aktivitäten der Organisationen, die an den in den Filmen behandelten Aktionen beteiligt sind, betrieben[80]. In diesem Zusammenhang bekommen die Filme eine motivierende Funktion und dienen der Kräftigung der politischen Gruppen.

Wann immer eine Demonstration stattfand, wir nahmen sie auf und kamen zurück und zeigten den Film den Demonstranten. Das war für sie ein gewaltiger moralischer Antrieb.[81]

Die Filme werden eingesetzt, um eine Basismobilisierung der Gewerkschaften zu fördern oder Unterstützung für eine bestimmte Kampagne zu bekommen. Die Themen werden nach Dringlichkeit gewählt, je nachdem welche Aktionen man glaubt, damit einleiten zu können:

Die Arbeitslosen meldeten uns, hier ist was los, und das half uns, unsere Entscheidung zu treffen.[82]

Die Filmemacher sehen ihre Aufgabe darin, den Bedürfnissen der politischen Bewegung zur Verfügung zu stehen[83]. Da die Filme „nur gesellschaftlichen Zwecken dienen sollten“[84] sind sie an ästhetischen Experimenten nicht interessiert.

Obwohl die WFPL sich als Teil der Bewegung versteht, sind es oft professionelle Filmemacher oder Menschen, die einen Zugang zur Technik haben und sich auf das Filmen spezialisiert haben, die diese Aufgabe im Dienste des Arbeiterkampfes übernehmen. Trotzdem überwiegt bei den Filmemachern die politische Motivation:

Ich möchte erst einmal klar stellen, daß ich mich selbst nicht als Filmemacher betrachte. Ich sah gewisse Notwendigkeiten und ich lernte, mit einer 35-mm-Kamera umzugehen, und berichtete über einige wichtige Sachen, weil ich wußte, daß kein anderer es tat.[85]

Es gibt keine systematischen Bestrebungen, die Kamera in die Hände der Beteiligten zu geben, damit sie sich selbst artikulierten. Dennoch versucht die Liga bei ihrem Bemühen um "korrekte Berichterstattung" mitunter Bergleute, Arbeitslose oder Gewerkschaftler als Korrespondenten zu gewinnen[86], und betrachtet es als eines ihrer Ziele, Filmemacher und Photographen auszubilden[87].

Die Film and Photo League stellt eine lose Bewegung dar, die Film als Teil der politischen Arbeit sieht und sich überregional organisiert[88]. Gelegentlich führt überregionale Zusammenarbeit zu einer „organisierten Produktionstätigkeit“[89]. Im Jahr 1932 nehmen viele Gruppen an der Herstellung des Dokumentarfilms Hunger teil, der aus gemeinsamem, beim nationalen Hungermarsch gefilmtem Material montiert wird. Genauso wie die fertigen Filme unter den regionalen Verbänden der WPFL ausgetauscht werden, so wird auch das Rohmaterial von verschiedenen Gruppen benutzt und einfach weitergegeben, so dass das Material eines Films aus verschiedenen Quellen stammt und dieselben Bilder für verschiedene Filme benutzt werden können, ohne dass die Quelle angegeben wird.

Wir empfanden es nicht als notwendig, unsere Namen auf den Filmen anzugeben. Es ging nicht darum, jemand zu sein, sondern etwas zu tun.[90]

Das Konzept der Autorschaft verschwindet zugunsten einer kollektiven Nutzung des Mediums Innerhalb eines Netzwerkes.[91] Im Unterschied zur Arbeitsweise der „Kinoki“ findet hier keine Spezialisierung auf unterschiedliche Aufgaben statt sondern der gesamte Produktionsprozess bleibt in den Händen eines einzigen Filmemachers.

Die Endfertigung war der integrale Teil einer vollständigen Aktivität vom Beginn bis zum Ende, vom Aufnehmen, bis zum Zeigen des vollendeten Films.[92]

Die Organisationen, die im Kampf stehen, betrachten die Arbeit der Liga als einen wesentlichen Beitrag, da sie die großen Streitfragen der Zeit aus der Perspektive der Arbeiterklasse zeigt[93]. Es gibt keine Zweiteilung von Film und Politik, sondern die Filme sind ein integraler Teil des politischen Prozesses. Die Haltung der Filmemacher ist die eines „völligen Beteiligtseins“ an dem, was in der Welt geschieht[94].

Meine Filmaktivitäten – da gab es keine Alternativen, solange sie mich interessierten. Sie waren relevant, sie waren wichtig, sie waren aufregend. Da war etwas, was ich intuitiv erfaßte, die Menschen, die ich filmte waren von derselben Art wie ich.[95]

Die Workers Film and Photo League steht der politischen Bewegung zur Verfügung. Es handelt sich somit nicht um eine politische Gruppe, die Film als ein Mittel zur Mobilisierung nutzt,[96] sondern um eine Filmgruppe, die sich als Teil einer Bewegung sieht.

Als Mitte der dreißiger der wirtschaftliche und gesellschaftliche Druck und die Intensität der alltäglichen Kämpfen nachlässt, sehen einige Mitglieder der WFPL die rasche und kontinuierliche Produktion von Nachrichtenfilmen, von kurzen Dokumentarfilmen, Wochenschauen und Kompilationen mit denen die Liga die täglichen Kämpfe begleitet als nicht mehr ausreichend für die Bildung eines revolutionären Films[97]. Es beginnt eine Diskussion über die Form der Filme, deren unterschiedliche Positionen in der theoretischen Auseinandersetzung zwischen Samuel Brody und Leo T. Hurwitz reflektiert werden[98], und die in ähnlicher Weise heute unter den Videoaktivisten geführt wird (siehe 3.4.1.).

Brody vertritt die von Vertov beeinflusste Sicht des Dokumentarfilms als einzige Möglichkeit des proletarischen oder revolutionären Films. Nach dieser in der WFPL am weitesten verbreiteten Position ist der Dokumentarfilm „das überzeugendste und effektivste Medium der Kamera im Klassenkampf“ und er wird dann zur bedeutendsten Kunst, wenn er am meisten Waffe ist[99]. Innerhalb des Dokumentarfilms unterscheidet Brody drei Typen: die naheliegendste Variante ist die der Newsreels: die einfache Filmreportage oder die „Aufzeichnung von Höhepunkten des Klassenkampfes, die von politischem Wert sind“[100]. Der zweite Typ ist der von Vertov inspirierte „synthetische Dokumentarfilm“: „die Zusammenführung und Bearbeitung des Rohmaterials unter dem Aspekt einer einheitlichen revolutionären Interpretation“. Diese elaboriertere Art von Film, bei der die Montage eine wichtigere Rolle spielt, wird von Brody hoch bewertet, er sieht sie aber bei der WFPL als kaum erforscht, da sie mehr Zeit und mehr technisches Können erfordert . Als drittes benennt er den kurzen Erziehungsfilm zur „direkten politisch-ökonomischen“ Erziehung der Arbeiter, der von der WFPL gänzlich vernachlässigt wird. Alle anderen Formen des Films, wie z.B. die Kombination des Dokumentarfilms mit Eigenschöpfungen, hält Brody für bürgerliche, reaktionäre Abweichungen, da sie „die Wahrnehmung der Realität sprengen“ und dadurch weniger wirksam als politische Waffe sind.[101]

Hurwitz widerspricht Brody insofern als er die Newsreels als fragmentarisch und lückenhaft bezeichnet. Seiner Meinung nach braucht die revolutionäre Bewegung auf Dauer eine synoptischere Form „um ein ganzheitliches Bild der Lebensbedingungen und Daseinskämpfe der Arbeiterklasse vermitteln zu können“[102] Auf dieser Weise komme dem synthetischen Dokumentarfilm, der einen „umfassenderen und entlarvenderen Kommentar der Klassenwelt erlaubt“, seine grundlegende Bedeutung für die revolutionären Filmarbeiter zu. Anders als Brody, der die Entscheidung für den Dokumentarfilm als eine prinzipielle sieht[103], führt Hurwitz die Begrenzung auf die dokumentarische Form auf ökonomische und technische Gründe zurück[104] und plädiert für eine „gemischte Form aus synthetischem Dokumentarfilm und dramatischem Film“ als nächste notwendige Stufe des revolutionären Films, die durch ihr „synoptisches Vorgehen“ den Spielraum des revolutionären Dokumentarfilms erweitern werde.[105]

Die Gruppe Frontier Films beginnt mitte der dreißiger Hurwitzs Überlegungen in die Praxis umzusetzen und verschiedene Arbeitsmethoden und Techniken zu erforschen,[106] wodurch sie in Kauf nehmen, dass sich die Produktion verzögert. Das bedeutet, dass die Produktion von Agitations- und Mobilisierungsfilmen als unmittelbare Reaktion auf die Bedürfnisse einer Kampagne nicht stattfindet. Dafür bekommt Frontier Films sehr große Aufmerksamkeit Mitte der dreißiger Jahre[107], als sich das Interesse der Öffentlichkeit auf internationale Ebene begibt und Frontier Films Widerstandsbewegungen oder die Geburt von militanten Gruppen im Ausland dokumentiert, um Unterstützung dafür zu bekommen, oft im Zusammenhang mit Solidaritätskampagnen in den USA.

So wird China strikes back (1937), der den Chinesischen Widerstand gegen der japanischen Besatzung dokumentiert, mit aus China in die Vereinigten Staaten geschmuggeltem Material fertiggestellt, und als Werbefilm für eine Boykottkampagne gegen den Verkauf von Metallschrott nach Japan eingesetzt. Ein weiteres Beispiel ist Heart of Spain (1937), ein Film über einen kanadischen Arzt, der als Freiwilliger während des Bürgerkriegs nach Spanien geht, um den Loyalisten zu helfen und eine Blutbank ins Leben zu rufen. Frontier Films stellt den Film aus übergebenem Material zusammen, um Unterstützung, Blutspenden und medizinische Ausrüstung für die spanische Republik zu sammeln.[108]

Frontier Films unterscheidet sich von der WFPL darin, dass das filmische Schaffen nicht innerhalb einer konkreten Bewegung stattfindet; stattdessen werden verschiedene Bewegungen und Formen des Widerstands gegen Faschismus, gegen Ausbeutung oder gegen Menschenrechtsverletzungen von außen, aber aus einer expliziten linken Position heraus dokumentiert, um Solidarisierung und Unterstützung dafür zu schaffen.

Frontier Films setzt also den kurzen, schnell produzierten Newsreels zur unmittelbaren Berichterstattung oder Mobilisierung eine synthetischere, kunstvollere Dokumentarfilmform entgegen, womit die Filmemacher sich stilistisch in die Nähe von Grierson positionieren:

It represents those committed to art in behalf of social action rather than the more doctrinaire party-liners of the Film and Photo League.[109]

Sie unterscheiden sich aber grundsätzlich von der britischen Dokumentarfilmbewegung, dadurch dass sie eine systemkritische Position einnehmen und eine Gegenöffentlichkeit gegenüber den herrschenden Massenmedien schaffen, um Widerstandsbewegungen oder militante Gruppen, für die sie die Filme produzieren, konkret zu unterstützen.

Die im Hinblick auf Videoaktivismus relevantesten Errungenschaften der Worker’s Film and Photo League und Frontier Films sind die Aneignung der filmischen Produktionsmittel, die finanzielle Unabhängigkeit der Filmgruppen gegenüber staatlichen Mitteln und die Bildung von alternativen Distributionskanälen, die diese Gegenöffentlichkeit ermöglichen.

2.2.3. Die 16mm Technik und der dissidente Film in den sechziger Jahren

Nachdem die Nutzung des Dokumentarfilms als Mobilisierungs- und Agitationsmedium von Seiten außerparlamentarischer Oppositionsgruppen durch den zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde, beginnt in den sechziger Jahren eine Ära des dissidenten Films, die durch zwei Komponenten hervorgerufen wird: die sozialen Umwälzungen der Zeit und die Einführung der 16-mm-Technik.[110]

Paradoxerweise ist es auch die 16-mm-Technik, die zur selben Zeit das cinema direct ermöglicht, und den daraus resultierenden Eintritt des Dokumentarfilms in den von Nichols benannten „beobachtenden Modus“[111].

Die technische ‚Revolution‘ des cinema direct und die ‚spontane Philosophie‘ seiner Regisseure und Propagandisten, die den Dokumentarfilm ab jetzt mit unverfälschter Realitätsabbildung gleichsetzen, prägen ab den sechziger Jahren die dokumentarische Produktion und Selbstdefinition.[112]

Die Filmemacher des cinema direct nutzen die neuen technischen Mitteln, die leichten, tragbaren 16-mm-Kameras und die Möglichkeit des Synchrontons, um überall, in jeder Situation Filmen zu können, mit dem Anspruch, dass die neue bewegliche, „unaufdringliche“ Technik es ihnen ermöglicht, unbemerkt zu bleiben und somit die Realität einfangen zu können, ohne sie zu beeinflussen. Das Vorhaben des cinema direct ist es, dank der Synchronton-Technik „die Lücke zwischen Realitäts- und Filmwahrnehmung schließen zu können“[113], so dass der Dokumentarfilm die Realitätserfahrung des Zuschauers ersetzen kann und soll. Mit dieser Tendenz verschwindet Hohenberger zufolge der von Vertov propagierte erkenntniskritische Abstand zwischen dem Zuschauer und dem beobachteten Gegenstand des Films[114].

Das cinéma vérité[115] ist die erste Dokumentarfilmrichtung, die die 16-mm-Technik als Anlass sieht, den eingreifenden Dokumentarfilm zu propagieren. Obwohl es keine politische Nutzung von Dokumentarfilm darstellt, stellt das cinéma vérité die Weichen für die politischen eingreifenden Tendenzen ab den sechziger Jahren bis zum Videoaktivismus.

2.2.3.1. Frankreich: Provokation statt Beobachtung im cinéma vérité

Jean Rouch ist der erste, der in der filmischen Suche nach der Wahrheit eingreifende, improvisierte Methoden ausprobiert, um sich von der „überheblich kolonialistischen Haltung“, die ihn bei seinen frühen ethnografischen Filme vorgeworfen worden war, zu distanzieren.[116] Um dem entgegenzuwirken, fängt er damit an, die Akteure in dem Prozess des Films mit einzubeziehen und sich als Filmemacher am Geschehen zu beteiligen.

Die neue Methode, die in Chronik eines Sommers (1960) zum ersten Mal durchgeführt wird, besteht darin, in Kommunikation mit den Gefilmten zu treten, so dass die Wahrheit in gemeinsamer Interaktion erschlossen werden kann. Rouch und sein Co-autor Morin stellen sich gegen die beobachtende Rolle des Dokumentaristen, indem sie vor der Kamera erscheinen und das Vorhaben und die Ergebnisse des Films als gemeinsames Experiment mit den Beteiligten diskutieren.

Statt die Einflussnahme der Kamera auf das Geschehen zu leugnen, wird diese bewusst als Katalysator eingesetzt, um Momente der Enthüllung zu provozieren. Die eindringende Präsenz der Kamera soll die Protagonisten des Films oder zufällige Passanten zu Aktionen oder Aussagen stimulieren[117], die ohne Kamera so nicht stattgefunden hätten. Die Kamera veranlasst in Rouchs Methode die Menschen dazu, über sich selbst zu reflektieren[118].

Im Gegensatz zu der Haltung des beobachtenden Dokumentaristen, der in angespannten Situationen hoffnungsvoll auf eine Krise wartet[119], versuchen Rouch und Morin eine zu beschleunigen, indem sie Begegnungen und Auseinandersetzungen provozieren. Chronik eines Sommers beobachtet nicht die Menschen in deren Alltag, im Gegenteil ist alles, was vor

der Kamera geschieht, durch den Film veranlasst.

Das cinéma vérité hat mehrere wichtige Implikationen für den Videoaktivismus. Erstens hat die „teilnehmende Kamera“ keinen Anspruch auf Objektivität, sondern sie soll die soziale Realität, wie sie sich für einige Individuen aus ihrer Sicht darstellt, zeigen. Der Filmemacher bezieht einen klaren Standpunkt zu den Geschehnissen und zu dem Film, was auf dem politischen Dokumentarfilm übertragen die Möglichkeit der Parteilichkeit bedeutet.

Zweitens werden die Akteure insofern am Entstehen des Films beteiligt, als sie den Verlauf mitentscheiden und die Situationen lenken können. Ihnen wird das Material schon im Rohzustand vorgeführt, und ihre Reflexionen und Kritiken, sowie die daraus entstehende Diskussion werden dem Film beigefügt. Dies dient als Korrektiv für den Filmemacher, um festzustellen, ob sich seine Sichtweise mit der der Gefilmten deckt. Somit wird der Dokumentarfilm ein Stück weit in die Hände derjenigen gebracht, von denen der Film handelt. Indem sie sich stark am Filmprozess beteiligen, werden die Akteure aus ihrem Objektcharakter befreit und als Subjekte behandelt.

Als zusätzliche Folge dieser Methode bekommt der Film eine starke selbstreflexive Ebene, die den von Vertov verlangten erkenntniskritischen Abstand für den Dokumentarfilm zurückbringt. Im Gegensatz zum cinema direct, der die Realität vermitteln möchte, ohne die Vermittlung kenntlich zu machen, wird mit der vérité –Methode der Film selbst thematisiert.

The approach is persistently reflexive: The people on camera and we in the audience are continually reminded that a film is being made, that we are watching a film. The penultimate scene is of the persons the film is about discussing themselves as they have appeared in the film they and we have just seen. The final scene is of Rouch and Morin talking to each other about their expectations in regard to the film and about their subjects reactions to it.[120]

Die Filmarbeit wird als Bestandteil eines Erkenntnisprozesses für alle Beteiligten, sowohl für die Akteure als auch für die Macher, thematisiert. Mit dem cinéma vérité wird dem Dokumentarfilm der Anspruch gestellt, in Situationen eingreifen, sie zu beeinflussen und das Leben der Akteure nachhaltig zu verändern.

2.2.3.2. Kanada: Der National Film Board. Training von Mohawk- Indianern

Das cinéma vérité und die Rolle des Filmemachers als Katalysator beeinflussen die Nutzung des Dokumentarfilms als integralen aktiven Bestandteil eines politischen Prozesses. Ein Beispiel dafür ist das 1967 vom kanadischen National Film Board gestartete Projekt „Challenge for Change“, welches das Ziel hat, benachteiligten Minderheiten Zugang zu den Medien zu verschaffen, um sie an der Lösung sozialer Probleme zu beteiligen.[121] Durch die Aneignung der Medien sollen die Betroffenen in der Lage sein, ihre eigenen Bedürfnisse und Probleme auszudrücken, mit dem Ziel, einen Dialog mit den für soziale Programme zuständigen Regierungsstellen aufzunehmen. Obwohl „Challenge for Change“ ein staatlich finanziertes Projekt ist, ist der Ansatz grundsätzlich von dem Griersons verschieden:

Unlike Grierson, and any other prior program, Challenge for Change was proposing that rather than communicating to the people, or even for the people, it would attempt to make films with the people. Eventually this led to enabling the people to make their own films. Grierson characterized this program as „decentralizing the power of propaganda.“[122]

Aus eins der ersten Projekte des Programms entstand der Film You are on Indian Land (1969), der eine direkte Folge einer Protestbewegung war. Nachdem die Mohawk Indianer über lange Zeit erfolglos gegen die Verletzung ihres zollfreien Übergangsrechts über einer internationalen Brücke zwischen Kanada und den USA protestiert hatten[123], plante die indianische Einheit von „Challenge vor Change“ eine Blockade der Brücke zusammen mit einem Film, der die Resonanz der Protestaktion sichern sollte. Während die Berichterstattung der Massenmedien die Gewalt der Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei betonte, zeigten die Aufnahmen des National Film Board, dass die offizielle Sicht auf die Ereignisse verzerrt war.[124]

Es fanden Vorführungen statt, durch die veranlasst wurde, dass die Mohawk Indianer, die Royal Canadian Mountain Police, die Polizei aus Cornwall, die Repräsentanten der städtischen Verwaltung und Indian Affairs zum ersten Mal zusammenkamen. Auch im Parlamentsgebäude von Ottawa wurde der Film vorgeführt, und schließlich wurde die Entscheidung, die Brücke für die Mohawks zu schliessen, aufgehoben.

Das Beispiel von You are on Indian Land zeigt auf bahnbrechende Weise fast alle Voraussetzung für die politische Arbeit mit Dokumentarfilm in der Form, wie sie im Videoaktivismus stattfindet: der Film wird gemacht, um einer Gruppe zu einem politischen Ziel zu verhelfen. Von Anfang an greift der Film im politischen Prozess ein, indem er der Anlass für die Mobilisierung ist, die bekannt gemacht werden soll. Er schafft erfolgreich eine Gegenöffentlichkeit, durch die die Gruppe sich artikulieren und ihre Sicht der Dinge darstellen kann, was zu einer Veränderung des öffentlichen Bewusstseins der Situation führt. Die Betroffenen kommen nicht dadurch zu Wort, dass ein Filmemacher sich für sie interessiert oder dass sie inhaltlich am Filmprozess beteiligt sind, sondern sie sind direkt in die Dreh- und Schnittarbeiten involviert. Schließlich beeinflusst You are on Indian Land die Veränderung der politischen Situation auf zwei Ebenen: er führt zur konkreten Behebung des Problems und gleichzeitig zur Stärkung der Gruppe, die durch die Erstellung des Films an Selbstbewusstsein und Einheit gewinnt.[125]

Nach der Einführung von tragbaren Videokameras, hat „Challenge for Change“ benachteiligte Gesellschaftsgruppen zunehmend in die Bedienung der Technik eingeführt, so dass sie in der Lage waren, ihre eigenen Dokumentarfilme selbständig zu produzieren (siehe 3.1.).

2.2.3.3. USA: Der dissidente Film zum Vietnam Krieg

Den 16-mm-Dokumentarfilmen zum Vietnam Krieg in den USA gelingt es trotz einer massiven Medienkampagne der Regierung die offizielle Darstellung des Krieges zu durchbrechen. Sie sind ein Beispiel für das Potential vom dissidenten Film, trotz staatlicher Bestrebung eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.

The vicissitudes of dissident films and of efforts to suppress, smother, deflect, and neutralize them have been dramatically illustrated in the case of the Vietnam war – a war fought not only with bombs and booby traps but also with documentaries – by governments, corporations, and others throughout the world.[126]

Obwohl das Fernsehen täglich den Vietnam Krieg in die Wohnzimmer der Zuschauer in den USA brachte[127], diente die einseitige Berichterstattung ausschließlich der Politik der Sender, keinen Zweifel über den Krieg aufkommen zu lassen.[128] Bilder von den Auswirkungen der Angriffe auf die vietnamesische Bevölkerung waren im Fernsehen nicht zu sehen:

For several years network policy seemed determined to shield the public against doubts about the war. prime time“ – tha large-audience hours – was a fortress not to be pierced.“[129]

Die ersten Filme, die die Grausamkeiten des Krieges zeigten, kamen aus dem Ausland und nur über Umwege in die USA. Besonders relevant darunter waren solche, die von den Vietcong Partisanen gedreht wurden. Der erste davon war Nguyen Hun Tho speaks to american people (1965), ein sehr simpler Film, bestehend aus einer Erklärung vom Anführer der Partisanen in die Kamera, mit zwischenmontierten aufklärenden Bildern. Darauf folgten ehrgeizigere Vietcong-Filme, die erstens dem offiziell verbreiteten öffentlichen Bild des Vietcongs ein positives entgegensetzten[130], zweitens die verheerenden Auswirkungen der amerikanischen Angriffe auf Land und Menschen dokumentierten, wie es Some evidence (Vai

Toibac Cua de Quoc My, 1969) tat.

Nord-Vietnamesische Produktionen waren zunächst nur in kommunistischen Ländern und in einigen auf soziale Themen spezialisierte Filmzentren in Europa zu sehen[131], wurden aber bald illegal in die USA eingeschmuggelt und in universitären Kreisen im Umlauf gesetzt, zusammen mit Filmen von der New Yorker Antikriegsgruppe Newsreel Collective. Die Vietcong Filme lösten eine weltweite Welle von Vietnam-Filmen aus (vor allem aus Kuba, der DDR, England und Kanada), die auf demselben Wege in die USA gelangten. Solche Filme dokumentierten das Leben der Vietnamesen unter den amerikanischen Bombardements oder die Einstellung der US-Soldaten.[132] Bald entstanden Dokumentarfilme über den Protest gegen den Krieg. Einer der ersten ist The Demonstration (GB, 1968) der eine große Antikriegsdemonstration vor dem US Konsulat in London begleitet.[133] Wenn auch die Ost-Filme in den USA verboten oder als kommunistische Propaganda abgetan wurden, waren die Filme aus England und Kanada für die Fernsehanstalten verfügbar. Dennoch wendeten sich die Sender nicht von deren Politik ab, nur eigene Dokumentarfilme zu zeigen.

Ende der sechziger Jahre fing das in den USA bislang kaum Aufmerksamkeit bekommendes öffentliche Fernsehen damit an, von den kommerziellen Sendern abgelehntes oder ignoriertes Filmmaterial zu benutzen. So wurde das Public TV Schauplatz für einen wichtigen Durchbruch, als der Film Inside North Vietnam (1968) gesendet wurde. Der Film, den Felix Green trotz des Ausreiseverbots für Reporter und Filmemacher in Vietnam gedreht hatte, verursachte heftige Diskussionen und wurde, trotz heftigen Protests und der Forderung von dreiunddreißig Kongressabgeordneten, die Ausstrahlung zu stoppen, weiter gesendet.[134] Inside North Vietnam hatte eine große Wirkung, da es den amerikanischen Fernsehzuschauern ein Bild von der Situation in Vietnam zeigte, das bislang nur im Ausland oder in alternativen Kanälen zu sehen gewesen war: er erzählte die Geschichte aus der Perspektive des Gegners, indem er die Menschen von deren Leiden am Krieg erzählen ließ. Unter dem Eindruck, den Inside North Vietnam in der Öffentlichkeit hinterlassen hatte, folgte eine Welle von Antikriegs-Protest-Filmen. Sogar der kommerzielle Sender CBS produzierte einen kritischen Film: The selling of the Pentagon (Peter Davis, 1971), der die Kriegspropagandamaschinerie des Verteidigungsministeriums demaskierte. Der Film erlangte sehr hohe Zuschauerzahlen und entzündete eine heftige Diskussion in der Öffentlichkeit, mit der Folge, dass das Pentagon einige der Kriegspropaganda Filme aus dem Verkehr nahm. Barnouw zufolge zeigt dieses Beispiel die Wirkung des dissidenten Films auf die Öffentlichkeit im Vergleich zu anderen Medien:

Much of what The selling of the Pentagon revealed had been discussed in print, without wide impact. Prime-time documentation had ringing reverberations.[135]

Der dissidente Film zum Vietnam Krieg ist ein Beispiel für den hohen Stellenwert von unabhängigen Distributionskanälen im Aufbau einer Gegenöffentlichkeit, die in manchen Fällen die offiziellen Medien beeinflussen kann:

The multiplication of distribution systems permits one system to bring pressure on others. In the United States the pressure of protest films, foreign and domestic, eventually had its impact – via campus, film society, citizen group, public television – on prime time.[136]

Für Barnouw schafft die Verbreitung alternativer Distributionssysteme zusammen mit dem durch Vietnam verursachten Geist des Protestes ein Zeitalter des „Guerrilla-Films“[137]. Zum einen wird der Dokumentarfilm zu einem weit verbreiteten Instrument zur Organisation von Grassroots-Bewegungen in den USA, wo die 16-mm-Technik Ende der sechziger zugänglicher geworden ist[138].

Filmmaking, especially documentary filmmaking, became accessible to a generation of affluent young americans, and it evolved into a principal medium through which antiwar and „youth movement“ values were promulgated. Hundreds of 16mm films that criticized the status quo of U.S. military and social policies were made and shown.[139]

Es entsteht eine 16-mm-Filmszene von Gruppen wie Newsreel Collective, die Kurzfilme zur Unterstützung der Anti-Kriegsproteste und später der Studentenproteste macht. Columbia Revolt (1968), zum Beispiel, dokumentiert die Besetzung des Verwaltungsgebäudes der Columbia Universität und wird zur Unterstützung der Protestierenden in verschiedenen Campus gezeigt. Das vermehrte Entstehen unabhängiger Vorführorte außerhalb der kommerziellen Kinos schafft die Voraussetzung für die Produktion von unabhängigen 16-mm-Filmen in den USA:

[...]


[1] Vgl. Nach Hardings Definition von Videoaktivismus. In: Thomas Harding: The video activist handbook. London 2001, S. 1.

[2] Vgl. Eva Hohenberger: Dokumentarfilmtheorie. Ein historischer Überblick über Ansätze und Probleme. In: Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms. Hrsg. v. Eva Hohenberger. Berlin 1998, S. 8-34.

[3] Georg Seeßlen: Marsch in die Mitte. Anmerkungen zur Renaissance des politischen Dokumentarfilms. In: epd Film 1/2005, S. 22.

[4] Diese Frage haben sich schon u.a. die französischen sozialen Dokumentarfilmer der dreissiger Jahre in deren theoretischen Texten zum sozialen Dokumentarfilm gestellt. Siehe dazu: Marcel Martin: Dreissig Jahre französischer Dokumentarfilm. In: Französischer Dokumentarfilm Hrsg. Von Wolfgang Klaue und Martin Lichtenstein, Berlin 1966. S. 5-7.

[5] Siehe dazu: Ellis/ MacLane 2005, S.IX f.; Hohenberger 1998, S. 8-18.

[6] Vgl. Seeßlen 2005, S. 22-25.

[7] Martin 1966, S. 6.

[8] Hohenberger 1998, S. 14.

[9] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. IX. Die Politisierung des Dokumentarfilms ist nicht Griersons Verdienst, sondern ein Produkt der Zeit. Ein Hinwenden zu sozialen Problemen und die Darstellung des Arbeiterlebens aus einem politischen Standpunkt heraus fanden in den Dreissiger Jahren auch in Deutschland und in Frankreich statt. Vgl. dazu Lewis Jacobs: The Documentary Tradition. From Nanook to Woodstock, New York 1971. Dennoch prägte Griersons praktisches und theoretisches Werk den Dokumentarfilm weltweit im größtem Maße, weswegen diese Einschätzung in den Texten zur Dokumentarfilmgeschichte wiederholt auftaucht.

[10] Paul Rotha bezeichnete Man of Aran als „ a reactionary return to the heroic“. Zitiert nach Barnouw. In: Erik Barnouw: Documentary. A history of the non-fiction film. New York, Oxford 1993, S. 99.

[11] Roy Armes: Film and Reality. An Historical Survey, London 1974, S. 34.

[12] Vgl. Barnouw 1993, S. 90

[13] Hohenberger 1998, S. 14.

[14] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. 63.

[15] Vgl. ebd., S. 71.

[16] Vgl. ebd., S. 73.

[17] Barnouw 1993, S. 90 f.

[18] Ebd., S. 85.

[19] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. 61-64.

[20] Vgl. ebd., S. 69.

[21] Ebd.

[22] Hohenberger 1998, S. 14.

[23] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. 71.

[24] Z. B. steuerte Housing problems zu Reformen in der Wohnungspolitik bei. Vgl. dazu Harding 2001, S. 2.

[25] Ellis/ MacLane 2005, S. 74.

[26] Hohenberger 1998, S. 12 .

[27] Ebd.

[28] Vgl. Armes 1974, S. 46.

[29] Hohenberger 1998, S. 13. Für Hohenberger nimmt Griersons Dokumentarfilmtheorie, durch ihre „Bindung an die Idee staatsbürgerlicher Aufklärung und Konsensbildung“ den Bildungs- und Erziehungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vorweg. Vgl. ebd.

[30] Ebd., S. 14.

[31] Vgl. Trinh T. Minh-ha: Die verabsolutierende Suche nach Bedeutung. In: Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms. Hrsg. von Eva Hohenberger, Berlin 1998, S. 307-311.

[32] Trotz Griersons Bemühungen, von den Filmtheatern unabhängige Distributionskanäle einzurichten, damit die Dokumentarfilme ohne Rücksicht auf wirtschaftlichen Erfolg ein breites Publikum in Kirchen, Schulen, Fabriken und gewerkschaftliche Einrichtungen erreichen konnten, wurden die Filme hauptsächlich von den oberen und mittleren Schichten gesehen und kaum von der Arbeiterklasse, obwohl sie hauptsächlich von ihr handelten. Vgl. dazu Ellis/ MacLane 2005, S. 74.

[33] Minh-ha 1998, S. 311.

[34] Ellis/ MacLane 2005, S. 69.

[35] Hohenberger 1998, S. 15.

[36] Hans Magnus Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20. März 1970, S. 170.

[37] Tretjakov gilt als einer der Vordenker des Videoaktivismus. Er war vor allem relevant als theoretischer Bezugspunkt für die deutsche Videobewegung der siebziger Jahre. Vgl. dazu Wolfgang Stickel: Zur Geschichte der Videobewegung. Politisch-orientierte Medienarbeit mit Video in den 70er und 80er Jahren – am Beispiel der Medienwerkstatt Freiburg. Diplomarbeit an der PH Freiburg 1991, S. 17-21.

[38] Sergej Tretjakov: Die Arbeit des Schriftstellers. Aufsätze. Reportagen. Porträts. Hamburg 1972, S. 62.

[39] Die sowjetische Filmindustrie wurde 1919 verstaatlicht, und Film wurde offiziell als Mittel zur sowjetischen Propaganda benutzt. Vgl. Barnouw 1993, S. 54 ff.

[40] Vgl. Stickel 1991, S. 11-17.

[41] Dziga Vertov: Schriften zum Film. München 1973, S. 26.

[42] Ebd., S. 38.

[43] Der Spielfilm ist für Vertov ideologisch und ästhetisch an bourgeoise Traditionen des Theaters gebunden, betreibt „Filmzauberei“ und „Filmmystifikation“ (Vertov 1973, S. 33) und Versetzt den Zuschauer „in einem Zustand der Berauschtheit“ der sein Blick verschleiert. (Ebd., S. 37).

[44] Vgl. Barnouw 1993, S. 53.

[45] Ebd., S. 6.

[46] Stickel 1991, S. 15 f.

[47] Vertov 1973, S. 25.

[48] Ebd.

[49] Ebd., S. 28 f.

[50] Vgl. Stickel 1991, S. 14.

[51] Vertov 1973, S. 15.

[52] Ebd., S. 17.

[53] „Kinoglaz“ (Kinoauge) ist der zentrale Begriff in Vertovs Theorie des Dokumentarfilms, die er in den Manifesten der Kinoki (Kinoäugler) formuliert. Der Begriff meint sowohl die Aufgabe der Kinoki: die Erstellung des Films der Fakten, als auch deren Methode: eine „wissenschaftlich-experimentelle Methode der Untersuchung der sichtbaren Welt“. Vgl.Hohenberger 1998, S. 10.

[54] Stickel 1991, S. 14.

[55] Vertov 1973, S. 29.

[56] Ebd., S. 28.

[57] Vgl. ebd., S. 28.

[58] Ebd., S. 44.

[59] Stickel 1991, S. 15.

[60] Vertov 1973, S. 28.

[61] Vgl. ebd., S. 28 f.

[62] Stickel unterteilt sie in: „Beobachtung von Orten, Personen oder zu bestimmten Themen, Vorplanung, Esrtellung eines Drehplans und Aufnahme, Konstruktion, Montage und Entwicklung (Laboratorium).“ Vgl. Stickel 1991, S. 15.

[63] Vgl. dazu. Tretjakov 1972, S. 78.

[64] Trotzdem bleibt Vertov wie Grierson im Rahmen eines (in diesem Fall revolutionären) gesellschaftlichen Konsenses. Seine Agitation wird durch staatliche Mittel finanziert und ist Teil der staatlichen Propaganda. Die „Dissidenz“ findet gegenüber dem vorherigen Herrschaftssystem und der bourgeoisen kapitalistischen Gesellschaft statt.

[65] Hohenberger 1998, S. 10.

[66] Vgl. ebd., S. 16.

[67] Zit. n. Manfred Lichtenstein / Gerd Meier / Klaus Lippert (Hrsg.): American Social Documentary. Beiträge zur Geschichte des Dokumentarischen Filmschaffens in den USA bis 1945, Berlin 1981, S. 6.

[68] Barnouw nennt diese Nutzung des Films, in Gegensatz zu der staatlich kontrollierten Produktion von Dokumentarfilm u.a. bei Vertov, als „medium of dissent“. In: Barnouw 1993, S. 284. Ich nenne demzufolge die Nutzung von Dokumentarfilm als Mittel der Kritik gegen staatlicher Politik ab jetzt dissidenten Dokumentarfilm.

[69] Vgl. Barnouw 1993, S. 111 f.

[70] Fred Sweet, Eugen Rosow und Allan Francovich: Pioniere. Ein Interview Tom Brandon. In: American Social Documentary. Hrsg. von Manfred Lichtenstein. Berlin 1981, S. 67.

[71] Vgl. Ebd, S. 68.

[72] Barnouw 1993, S. 111.

[73] Vgl. Harding 2001, S. 2.

[74] Sweet/ Rosow/ Francovich: Interview mit Tom Brandon, S. 67.

[75] Vgl. ebd. S. 68.

[76] V. a. ging es um Filme von René Clair, Pabst, Eisenstein, Pudowkin und anderen Stummfilm-Klassikern, die in den rein US-orientierten Filmtheatern nicht zu sehen waren. Später wurden diese Vorführungen in unabhängige Verleiharbeit ausgeweitet, so dass unabhängige Filmemacher ihre Filme zeigen konnten.

[77] Vgl. Barnouw 1993, S. 112.

[78] Vgl Leo T. Hurwitz: Der revolutionäre Film – Die nächste Stufe. In: American Social Documentary. Hrsg. von Manfred Lichtenstein. Berlin 1981, S. 131.

[79] Ebd.

[80] Vorgeführt wurde in den Versammlungsräumen von Gewerkschaften, Arbeiterclubs, bei Studenten und in Räumen von so genannten „Nationalitätengruppen“. Großer Wert wurde darauf gelegt, dass auch Bergleute und Farmer in den landwirtschaftlichen Gebieten die Filme sehen konnten. Die Filme wurden einem Auditorium vorgeführt, „welches das lebendige Objekt dieser Filme war“. Vgl. Russell Campbell: Eine totale und realistische Erfahrung. Interview mit Leo Seltzer. In: American Social Documentary. Hrsg. von Manfred Lichtenstein. Berlin 1981, S. 81.

[81] Ebd. S. 87.

[82] Sweet/ Rosow/ Francovich: Interview mit Tom Brandon, S. 73.

[83] Vgl. Ebd. S. 75.

[84] Ebd. S. 76.

[85] Ebd. S. 77.

[86] Ebd. S. 73.

[87] Brody, z.B. sieht die Notwendigkeit Menschen auszubilden, die in der Lage wären Medien zu produzieren, die der kapitalistischen Presse eine marxistisches Interpretation des Lebens in den USA entgegensetzen. Vgl. Tony Safford: Die Kamera als Waffe im Klassenkampf. Interview mit Samuel Brody. In: American Social Documentary. Hrsg. von Manfred Lichtenstein. Berlin 1981, S. 30.

[88] Die regionalen Verbände der FPL machten vor Ort Filme, die den eigenen Bedürfnissen entsprachen. Diese wurden von der New Yorker Gruppe teilweise fertig gestellt und die fertigen Filme wurden weitergeleitet.

[89] Barnouw, Erik: Die Verteidiger. In: American Social Documentary. Hrsg. von Manfred Lichtenstein. Berlin 1981, S. 60.

[90] Interview mit Tom Brandon. In: Safford 1981, S. 71.

[91] Dieser Umgang mit dem Rohmaterial findet heute in derselben Form unter Videoaktivisten statt.

[92] Interview mit Leo Seltzer. In: Campbell 1981, S. 82.

[93] Interview mit Tom Brandon. In: Safford 1981, S. 71.

[94] Interview mit Leo Seltzer. In: Russell 1981, S. 81.

[95] Ebd.

[96] Dies entspricht eher der Arbeit von den Videogruppen der siebziger Jahre. Siehe 3.1.

[97] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. 115.

[98] Diese Auseinandersetzung hatte die Aufspaltung der Film and Photo League zur Folge und führte zur Bildung der Gruppe Nykino, aus der später Frontier Films wurde.

[99] Vgl. Brody: Der revolutionäre Film – Problem der Form. In: American Social Documentary. Hrsg. von Manfred Lichtenstein. Berlin 1981, S. 128-130.

[100] Ebd., S. 129.

[101] Vgl. Ebd.

[102] Leo Hurwitz: Der revolutionäre Film – Die nächste Stufe. In: American Social Documentary ..., S. 131-133

[103] Brody s 129

[104] Vgl. Hurwitz, S. 132.

[105] Ebd.

[106] Z.B. experimentierten sie mit dramatisierten Rekonstruktionen im Film Native Land, der von Menschenrechtsverletzungen in polizeilichen Vernehmungen handelte, was man mit einer rein dokumentarischen Methode nicht hätte darstellen können. Vgl. Barnouw 1993, S. 66.

[107] Für Jacobs produzierte Frontier Films „die meisten wichtigen unabhängigen sozialpolitischen Dokumentarfilme des Jahrzehnts“. Vgl. Jacobs 1971, S. 74.

[108] Vgl. Barnouw 1993, S. 66.

[109] Ellis/ MacLane 2005, S. 92.

[110] Barnouw 1993, S. 282.

[111] Nichols, zitiert in Hohenberger 1998, S. 15.

[112] Ebd. S. 15 f.

[113] Ebd. S. 16.

[114] Ebd.

[115] Cinéma vérité und cinema direct werden oft in den Dokumentarfilmtheorien als identische Begriffe benutzt, um die Dokumentarfilmtendenzen, die in den sechziger Jahren die Entwicklung des Synchrontons nutzen, um die uninszenierte Realität einzufangen, zu benennen. Vgl. Jacobs 1971, S. 137 ff. Dennoch sind beide Ansätze grundsätzlich verschieden. Ich benutze den Begriff c inéma vérité um die französische von Jean Rouch eingeführte Richtung zu beschreiben.

[116] Diese Kritik wurde von den afrikanischen Akteuren seiner ersten Filme geäußert, nachdem er ihnen die fertigen Filme vorgeführt und zur Diskussion gestellt hatte. Vgl. Barnouw 1993, S. 253.

[117] Vgl. Ebd. S. 254.

[118] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. 217.

[119] Vgl. Barnouw 1993, S. 254.

[120] Ellis/ MacLane 2005, S. 215.

[121] Vgl. ebd., S. 245 ff.

[122] Ebd., S. 245 f.

[123] Die Brücke befand sich im indianischen Reservat St. Regis, in der Nähe von Cornwall, Ontario, und wurde von den Mohawk Indianern regelmäßig genutzt. Die kanadischen Behörden verboten ihnen den zollfreien Übergang mit Einkäufen, obwohl seit 1794 ein Vertrag den Mohawks dieses Recht garantierte. Vgl. Barnouw S.258 und http://www.nfb.ca Zugriff am 20.8.06.

[124] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. 246.

[125] Vgl. Ebd. S. 251.

[126] Barnouw 1993, S. 268.

[127] Vgl. ebd., S. 273.

[128] Vgl. ebd., S. 273.

[129] Ebd.

[130] So, z.B. The way to the front (Duong Ra Phia Truoc, 1969), der eine Innenansicht einer jungen Gruppe von Partisanen bot, und deren Motivation, Mut, Entschlossenheit, Humor und Kameradschaft betonte, womit der Film sich gegen die Darstellung des Vietcongs als „Tyrannische Verrückte“ und „Königreich des Terrors“ durch den damaligen US-Staatssekretär Dean Rusk stellt. Vgl. ebd., S. 274.

[131] Z.B. im Film Centrum in Stockholm, wo Anti-Kriegs Filme auch vertrieben und vermietet wurden. Vgl. ebd.

[132] Hervorzuheben sind die vier Filme von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann, die unter dem Titel Piloten in Pyjama (DDR, 1967) im cinéma vérité Stil Interviews mit amerikanischen Soldaten präsentieren, die die Bombardements einfach als einen Job betrachten. Vgl. ebd., S. 275.

[133] Vgl. ebd., S. 279.

[134] Vgl ebd., S. 281.

[135] Ebd., S. 282.

[136] Ebd., S. 283

[137] Vgl. ebd., S. 283 ff.

[138] Vgl. Ellis/ MacLane 2005, S. 243.

[139] Ebd., S. 243.

Ende der Leseprobe aus 124 Seiten

Details

Titel
Videoaktivismus am Beispiel der Videoproduktion der Zapatista- Gemeinschaften in Chiapas (Mexiko)
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Theater- Film- und Fernsehwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
124
Katalognummer
V115517
ISBN (eBook)
9783640234776
Dateigröße
1143 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Videoaktivismus, Beispiel, Videoproduktion, Zapatista-, Gemeinschaften, Chiapas, Zapatistas, politischer Dokumentarfilm, Kommunikationsguerrilla, soziale Bewegung, Medien, politische dokumentarfilm, dokumentarfilmgeschichte, dokumentarfilm
Arbeit zitieren
MA Karin de Miguel Wessendorf (Autor:in), 2006, Videoaktivismus am Beispiel der Videoproduktion der Zapatista- Gemeinschaften in Chiapas (Mexiko), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115517

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