Erfassung der Emotionen und des Attributionsstils von alkoholabhängigen Personen mit depressiver Symptomatik - eine qualitativ-empirische Untersuchung


Masterarbeit, 2007

148 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Begriffserläuterungen

1. Diagnostik und Theorie
1.1. Forschungsanliegen
1.2. Emotionen in der Depressionsdiagnostik
1.2.1. Depressionsnosologie
1.2.2. Allgemeinpsychologische Überlegungen zu Emotionen
1.2.3. Arbeitsdefinition von Emotionen
1.2.4. Evolutionspsychologische Theorien der Primäremotionen
1.2.5. Emotionen im Rahmen der diagnostischen Manuale
1.2.6. Emotionen im Depressionsinventar nach Beck
1.3. Depressionsmodelle und Theorien
1.3.1. Depressionsmodell nach Freud
1.3.2. Modell zu Depression und Substanzabhängigkeit
1.3.3. Kognitive Diathese-Stress-Modelle
1.3.4. Neuere Depressionstheorien
1.3.5. Kognitive Theorie nach Beck
1.3.6. Kognitive Theorie nach Ellis
1.4. Attributionsstile
1.4.1. Ursprüngliche Theorie der erlernten Hilflosigkeit
1.4.2. Attributionale Neuformulierung der Theorie der erlernten Hilflosigkeit
1.4.3. Bedeutung der Emotionen in der attributionalen Neuformulierung der Theorie der erlernten Hilflosigkeit
1.4.4. Attributionale Emotionstheorie nach Weiner
1.4.5. Zusammenführung der Neuformulierung der Theorie der erlernten Hilflosigkeit und der Emotionstheorie

2. Fragestellungen

3. Hypothesen

4. Forschungsdesign
4.1. Evaluationsinstrument Fragebogen
4.1.1. Fragebogenkonzeption
4.1.2. Fragebogenkonstruktion
4.2. Normalbevölkerung
4.3. Zielgruppe
4.4. Planung und Durchführung der Erhebung
4.5. Resonanz der Datenerhebung und Fragebogenrücklauf
4.6. Auswertungsmethoden

5. Ergebnisse
5.1. Soziodemographische Daten
5.2. Überprüfung der ersten Hypothese
5.3. Überprüfung der zweiten Hypothese
5.4. Überprüfung der dritten Hypothese

6. Diskussion
6.1. Diskussion der ersten Hypothese
6.2. Diskussion der zweiten Hypothese
6.3. Diskussion der dritten Hypothese
6.4. Gesamtdiskussion

7. Ausblick

Abstract

Persönliche Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Internetverzeichnis

Anhang I: Tabellen

Anhang II: Fragebogen

Vorwort

„Das Suchtsystem fördert negatives Denken: Wer annimmt, er könne sein wie Gott, der ist zum Scheitern verurteilt. Wer glaubt, er könne allwissend sein, muss ebenso notwendigerweise scheitern. Auf diese Weise gerät das Leben zu einem einzigen Versagen, man wird nie so richtig erfolgreich sein und fortwährend einen Schritt hinter dem als erstrebenswert betrachtenden Ziel herhinken.“

SCHAEF 1997

„Eine meiner Klientinnen war mit einem Alkoholiker verheiratet, der seit kurzem trocken war. Sie selber versuchte, sich von ihrer Co-Abhängigkeit zu befreien. Als wir ihrer Depression auf den Grund gingen, erkannte ich, dass diese in direkter Beziehung zu einem Suchtmerkmal stand - nämlich der Illusion, alles unter Kontrolle haben zu müssen.“

SCHAEF 1997

„In einer Hinsicht gleicht der Depressive einem rein „zerebralen“ Wesen: Er kann die Pointe eines Witzes verstehen, ist jedoch nicht amüsiert. Er beschreibt die ansprechenden Züge seiner Frau oder seiner Kinder ohne ein Gefühl der Befriedigung. Er kann den Reiz eines guten Essens oder eines Musikstückes erkennen - empfindet dabei jedoch kein Gefühl des Behagens. Paradoxerweise erlebt der Depressive trotz seiner eingeschränkten Fähigkeit, positive Gefühle zu empfinden, extreme Schwingungen der unangenehmen Emotionen. Es ist, als liefe sein ganzes Gefühlsreservoir durch Schleusen der Trauer, Apathie und Freudlosigkeit.“

BECK 1999

Beim Verfassen dieser Master Thesis haben mich viele Menschen mit ihren positiven Gedanken begleitet. War ich dennoch bei der Erstellung dieser Arbeit zeitweise selbst „out of control“, hat mich meine Frau beruhigt.

In wissenschaftlicher aber auch menschlicher Hinsicht bin ich von meinen Betreuern Prof. Dr. Wolfgang Schwarzer und Dr. Bernd Schneider bei der Durchführung der Befragung und Erstellung der Arbeit hilfreich unterstützt worden, wofür ich Ihnen meinen herzlichen Dank aussprechen möchte.

Danken möchte ich ebenfalls dem Leiter der Arbeitsgruppe Suchtforschung der Innenstadtklinik München, dem Leiter der Toxikologischen Abteilung der Technischen Universität München, dem Leiter der Psychiatrie der Technischen Universität München sowie den Leitern der Fachkliniken Würmtalklinik in Gräfelfing, Fachklinik Lechbruck-Gründl in Prem, sowie der Klientenzentrierten Problemberatung in Dachau, der Caritas Fachambulanz für erwachsene Suchtkranke in München, der Fachklinik Furth im Wald und der Fachklinik Tö- nisstein.

Schließlich wäre diese Arbeit nicht mit Leben in Form von Daten und Fakten gefüllt worden, wenn nicht so zahlreiche Teilnehmer und Teilnehmerinnen mich bei der Befragung unterstützt hätten. Ihnen und allen Kooperationspartnern gilt mein besonderer Dank.

Einleitung

Depressive Menschen kennen häufig den kulturell und gesellschaftlich akzeptierten stimmungsaufhellenden Aspekt des Alkoholkonsums. Dieser führt zu einer trügerischen Verbesserung des Befindens - aber ab und zu auch zu einem eigenständigen Problem, nämlich zu einer schleichend einsetzenden Abhängigkeit. Auch Frauen, ohnehin häufiger depressiv als Männer, geraten in zunehmendem Maße in den Teufelskreis von Stimmungsstörung und unmerklicher Abhängigkeitsentwicklung.

Die Abhängigkeitserkrankung wirkt jedoch verstärkend auf die erfolglos „bekämpfte“ Depression zurück. Die abhängige Person wird unter den bekanntermaßen häufigen Rückschlägen bei dem Versuch, dieses Problem zu bewältigen, immer niedergeschlagener und hoffnungsloser. Es kommt zu sozialem Rückzug, Isolation und zu sozialem Abstieg. Selbst in der Phase der Abstinenz kann diese Freudlosigkeit bestehen bleiben, ja sogar zunehmen. Dies ist aus Sicht des Autors ein Hinweis dafür, dass unter der Oberfläche der Abhängigkeit eine Depression gelegen hat. Ohne das Suchtmittel, tritt sie deutlicher zutage. Weniger häufig hat sich das depressive Bild, auch ohne von Beginn an bestanden zu haben, über den Zeitraum der Abhängigkeitserkrankung sekundär entwickelt (TRENCKMANN et al.1997).

Die Zerrüttung der Persönlichkeit, des Körpers und der Lebensumstände durch die „Suchtkarriere“ münden in der Depression. Für einen Menschen in einer solchen Situation ist es unwichtig, was nun gerade die Ursache seines schlechten Stimmungszustandes ist.

Eine Doppeloder Mehrfacherkrankung wird in der Fachsprache als Komorbidität bezeichnet. Depressive Gemütsverstimmung und Alkohol-abhängigkeit sind eine häufig gestellte doppelte oder duale Diagnose.

Bei einer Recherche des Autors in der Fachliteratur zeigte sich, dass circa 30 Prozent der alkoholkranken Personen auch nach erfolgter Entgiftungsbehandlung längerfristig affektive Störungen von der Art einer Dysthymie oder einer schweren Depression aufweisen. Es finden sich aber auch andere Zweiterkrankungen z.B. Angstund Persönlichkeitsstörungen sowie Gedächtnisstörungen (TRENCKMANN et al.1997).

Die prozentuale Aufteilung der verschiedenen Krankheitsbilder, so genannter Syndrome, ist in der folgenden Grafik zusammengestellt:

Abbildung 1 Prozentuale Aufteilung verschiedener Krankheitsbilder (Syndrome) bei alkoholabhängigen Personen während der Entgiftungsphase in einem psychiatrischen Krankenhaus (TRENCKMANN et al. 1997)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fast ein Drittel der behandelten Alkoholkranken (30%) leidet an einer Depression, auf ein weiteres Drittel verteilen sich, zusätzlich zur Abhängigkeit, andere psychische Störungen. Nur das letzte Drittel (32%) weist ausschließlich eine Alkoholproblematik auf.

Was Depression im allgemeinen betrifft, kann von zwei unbestreitbaren Tatsachen ausgegangen werden. Zum einen ist Depression ein extrem weit verbreitetes Störungsbild. Die Punktprävalenz, die Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt als krank angetroffenen Personen, liegt für sämtliche depressive Störungen einschließlich leichter Formen bei über 10%, für schwere bei 2 bis 7%. Die Lebenszeitprävalenz, das Risiko, mindestens einmal im Leben zu erkranken, wird für die als „major depression“ bezeichneten depressiven Zustände auf 7 bis 18% geschätzt. Schätzungsweise erleiden ca. 17% aller Erwachsenen auf der Welt zu irgend einem Punkt ihres Lebens eine depressive

Episode im klinischen Sinn und die Prävalenzrate ist immer noch im Steigen begriffen (BLAZER et al. 1994).

Bei der Depression handelt es sich um eine affektive Störung (SASS et al. 2000).

Vorliegende Arbeit präzisiert, worin sich konkret die Emotionen und Attributionsstile einer Norm albevölkerung (NORM) im Vergleich zu A lkoholabhängigen P ersonen mit D epressiver S ymptomatik (APDS) unterscheiden und worin diese pathologische Affektivität besteht. Der Autor verwendet im nachfolgenden Text oft die Abkürzung APDS für alkoholabhängige Personen mit depressiver Symptomatik sowie die Abkürzung NORM für die Normalbevölkerung.

Psychologische Depressionsforschung hat sich bisher vor allem mit den Kognitionen depressiver Personen befasst und damit einen bedeutenden Beitrag zur Erklärung und Therapie dieser Störung geleistet (BECK 1967). Es existieren zahlreiche empirische Untersuchungen, die kognitive Konzepte in Abhängigkeit von depressiver Stimmung erfassen, während eine genaue Analyse der affektiven Effekte bisher vernachlässigt wurde. Aus einigen dieser kognitiven Depressionstheorien, insbesondere aus der Theorie von Ellis (ELLIS 1962) und der Reformulierung der Theorie der erlernten Hilflosigkeit (AB- RAMSON et al.1978), können konkrete Hypothesen hinsichtlich der emotionalen Reaktionen von APDS im Vergleich zur Normalbevölkerung abgeleitet werden.

Zur Prüfung der Hypothesen im Rahmen dieser Masterarbeit wurden in Befragungen neben typisch depressogenen Kognitionen wie Ursachenzuschreibungen auch emotionale Reaktionen auf hypothetische Ereignisse erfasst. Dabei wurde der Blick nicht lediglich auf Misserfolgsemotionen wie Traurigkeit oder Schuldgefühle gelenkt, sondern auch in Betracht gezogen, dass sich die Befragungsgruppen (APDS versus NORM) hinsichtlich Erfolgsemotionen wie Freude oder Stolz unterscheiden können.

Zur Hypothesenbildung diente die Theorie sozialer Motivation von Weiner (WEINER 1995).

Begriffserläuterungen

Zunächst sollen einige Begriffe erklärt werden, die für das Verständnis dieser Master Thesis erforderlich sind. Diese sind: Emotion, Attribution, Attributionsstil, Alkoholabhängigkeit, depressive Symptomatik und quantitativempirische Erhebung.

Eine Emotion ist ein psychophysiologischer Prozess, der durch die mentale Bewertung eines Objekts oder einer Situation ausgelöst wird und mit physiologischen Veränderungen, spezifischen Kognitionen, subjektivem Gefühlserleben und einer Veränderung der Verhaltensbereitschaft einhergeht. Emotionen treten beim Menschen und bei höheren Tieren auf. Davon zu unterscheiden ist der Begriff Gefühl, der nur das subjektive Erleben der Emotion bezeichnet, wie z.B. Freude, Lust, Geborgenheit, Liebe, Trauer, Ärger, Wohlbehagen. Im Gegensatz zu Stimmungen sind Emotionen relativ kurz und intensiv (http://de.wikipedia.org/wiki/Emotion).

Als Attribuierung oder Attribution bezeichnet man in den Sozialwissenschaften die Zuschreibung von Ursache und Wirkung von Handlungen und Vorgängen durch Menschen im Alltag mit der Funktion der Aufrechterhaltung der Selbstwertschätzung und der Stärkung des Gefühls der Kontrolle über die Umwelt. Die Attribuierung wird in der Sozialpsychologie von verschiedenen Attributionstheorien erklärt (http://de.wikipedia.org/wiki/Attribution). Diese Master Thesis stützt sich hauptsächlich auf die Attributionstheorie von Weiner (WEINER 1979) und die Theorie der gelernten Hilflosigkeit von Seligman (SE- LIGMAN 1975), wie sie unter anderem im Skript „Sozialpsychologische Theorien zur Sucht“ (HOFF 2003) beschrieben wurden.

Ein Attributionsstil ist eine individuelle Vorgehensweise in der Art, Ursachen für Ereignisse zu erklären bzw. zu attribuieren. Einer zentralen Aussage der Reformulierung der Theorie der erlernten Hilflosigkeit von Abramson, Seligman und Teasdale zufolge gibt es individuelle Unterschiede in der Art zu attribuieren, die als Attributionsstile bezeichnet werden. Zur Messung des Attribu- tionsstils liegt der A ttributions s til f ragebogen für E rwachsene (ASF - E 2005) vor (http://www.wissenschaft-online.de/abo/lexikon/psycho/1594).

Die internationale Klassifikation „ICD 10“ fasst die Definition von Abhängigkeit sehr gut zusammen. Für die Diagnose der Alkoholabhängigkeit (ICD10, F10.2) wird in der Regel ein Katalog von acht Kriterien (IFT98) oder 6 Kriterien (WHO97) herangezogen. Bei Erfüllung von mindestens drei Kriterien ist eine Alkoholabhängigkeit gegeben. Dabei treten statistisch gehäuft eine verminderte Kontrollfähigkeit und Toleranzentwicklung in Erscheinung.

1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren
2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Menge des Alkoholkonsums
3. Alkoholkonsum mit dem Ziel, Entzugssymptome zu mildern und der entsprechenden positiven Erfahrung
4. Ein körperliches Entzugssyndrom
5. Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch niedrige Dosen hervorgerufene Wirkung zu erreichen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich, die bei Konsumenten ohne Toleranzentwicklung zu schweren Beeinträchtigungen oder gar zum Tode führen
6. Ein eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit Alkohol, wie z.B. die Tendenz, Alkohol an Werktagen wie an Wochenenden zu trinken und die Regeln eines gesellschaftlich üblichen Trinkverhaltens außer acht zu lassen
7. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen und Interessen
8. Anhaltender Alkoholkonsum trotz Nachweis eindeutiger schädlicher Folgen

(http://www.alkohol-lexikon.de/icd10.shtml)

Die typische depressive Symptomatik ist eigentlich jedermann geläufig, so häufig kann man sie bei sich oder bei anderen Menschen beobachten:

- Allgemein reduziertes Lebensgefühl
- Hartnäckige, oft grundlose, durch äußere Faktoren kaum beeinflussbare depressive Verstimmtheit aller Schweregrade mit Reduktion oder Verlust der affektiven Schwingungsfähigkeit, oft tiefe Traurigkeit
- Hemmung allen seelischen Geschehens oder unproduktive Betriebsamkeit
- Interesselosigkeit und Freudlosigkeit
- Antriebsstörung
- Rasche Ermüdbarkeit
- Konzentrationsstörung und Merkfähigkeitsstörung
- Schlafstörungen
- Morgentief
- Schuldund Versagensängste, Gefühle innerer Leere und Sinnlosigkeit, Lebensüberdrussoder Suizidgedanken
- Zukunftsängste, andere Ängste, Hoffnungslosigkeit
- Wut gegen sich selber
- Tiefe Verzweiflung
- Verlust des sexuellen Verlangens
- Appetitlosigkeit, Störung des Essverhaltens
- Körperliche Symptome wie Schwitzen, Kopfschmerz, andere Schmerzen, Tinnitus, Schwindel

(http://www.psychiatriegespraech.de/psychische krankheiten/depression/depr ession u...)

Keines dieser Symptome muss erfüllt sein, oft findet sich nur eine individuelle Auswahl der genannten Symptome. Auch der Schweregrad variiert erheblich. Das Beck-Depressions-Inventar (BDI) ist ein Selbstbeurteilungsinstrument zur Erfassung der Schwere depressiver Symptomatik (BECK et al. 1986). Das BDI ist nach Coyne eher für eine mäßige und mittelgradige depressive Symptomatik angelegt und entsprechend aussagekräftig (COYNE 1994).

Unter empirischer Sozialforschung versteht man die Erhebung und Interpretation von Daten über soziale Tatsachen. Diese erfolgt systematisch anhand von Methoden der empirischen Sozialforschung (http://de.wikipedia.org/wiki/ Empirische Sozialforschung). In dieser Arbeit wird das Instrument der Fragebogenerhebung verwandt.

Eine quantitative Methode ist eine Vorgehensweise zur numerischen Darstellung empirischer Sachverhalte. Quantitative Methoden betreffen die Bereiche der Stichprobenauswahl, der Datenerhebung (Messung) und der Datenanalyse (http://de.wikipedia.org/wiki/Quantitative Methode).

Die Datengewinnung oder Datenerhebung stellt den zweiten Prozess einer Erhebung dar, der nach der Erhebungsvorbereitung abläuft. Wesentliches Ziel der Datenerhebung ist die Feststellung bzw. Sammlung möglichst vollständiger, vollzähliger und plausibler Daten für die Aufbereitung (http://de.wikipedia. org/wiki/Datenerhebung).

In dieser Master Thesis werden mit Hilfe des entwickelten Fragebogens numerische Daten über soziale Tatsachen gewonnen, analysiert und dargestellt. Es handelt sich daher um eine quantitativ-empirischer Erhebung.

1. Diagnostik und Theorie

In der Fachliteratur mangelt es an quantitativen Vergleichen bezüglich der Emotionen und des Attributionsstils von Personen mit und ohne Alkoholabhängigkeit.

In dieser Arbeit geht der Autor der Frage nach, ob es nachweisbare Unterschiede bezüglich der Emotionen und des Attributionsstils bei nichtalkoholabhängigen Personen ohne depressiver Symptomatik im nichtklinischen Bereich (NORM) und bei alkoholabhängigen Personen mit depressiver Symptomatik im klinischen Bereich (APDS) gibt.

1.1. Forschungsanliegen

Unter Berücksichtigung eigener Erfahrungen in der beruflichen Arbeit mit alkoholabhängigen Personen und depressiver Symptomatik sowie nach Recherchen in der einschlägigen Fachliteratur kam der Autor zu folgender Fragestellung für die Master Thesis:

Lassen sich Unterschiede der Emotionen und des Attributionsstils bei APDS im Vergleich zu einer Normalbevölkerung erfassen und können diese beschrieben werden ?

Es wird angenommen, dass jedes Individuum nach dem Auftreten eines negativen Ereignisses nach dessen Ursache fragt. Alle Ursachen, die Personen zur Erklärung von Ereignissen heranziehen, lassen sich mit den drei Attributionsdimensionen Internalität, Stabilität und Globalität beschreiben.

Die Einordnung einer Ursache auf den drei Dimensionen kann personenspezifisch variieren (MEYER 2000). Es ist dabei die subjektive Einordnung der Ursache in den Dimensionen, nicht die Ursache an sich, die das Erleben und Verhalten beeinflusst.

In einer Studie von Huselied zeigte sich, dass weibliche Personen mit Suchtmittelabhängigkeit, die auf den Dimensionen Stabilität und Globalität bei negativen Ereignissen attribuieren, eine bessere Prognose bzgl. der erfolgreichen Beendigung einer Suchtmitteltherapie aufweisen. Personen, die ihren ersten Alkoholmissbrauch auf der globalen Dimension attribuierten, zeigten ebenso einen größeren Therapieerfolg (HUSELIED et al.1991).

Bisher liegen allerdings kaum Untersuchungen zum Attributionsstil und den Emotionen auf den Dimensionen der Internalität, Stabilität und Globalität bei suchtmittelabhängigen Personen vor.

Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass Alkoholabhängige eine Lifetime- Prävalenz zusätzlicher psychiatrischer Störungen in Höhe von 78 bis 80 % und eine aktuelle Prävalenz von ca. 65 % aufweisen. Allerdings liegen aufgrund methodologischer Probleme und Stichprobeneffekte erhebliche Variationen in den Angaben vor. 20 bis 73 % der alkoholabhängigen Personen zeigen eine Komorbidität mit affektiven Störungen (LINDENMEYER 2005).

1.2. Emotionen in der Depressionsdiagnostik

Depressionen werden in der fünften Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Manuals (DSM-IV) psychischer Störungen den affektiven Störungen zugeordnet (SASS et al. 2000). Die affektiven Störungen werden unterteilt in

„Depressive Störungen“ wie Monopolare Depressionen, „Bipolare Störungen“, bei welchen sich manische und depressive Phasen abwechseln und „Andere Affektive Störungen“, die eher ätiologieorientiert sind.

Vorliegende Master Thesis widmet sich ausschließlich den suchtassoziierten Depressiven Störungen.

1.2.1. Depressionsnosologie

Zu den Depressiven Störungen gehören die Major Depression, die Dysthyme Störung sowie die Nicht Näher Bezeichnete Depressive Störung. Alle drei Depressiven Störungen können Symptome aus dem kognitiven, emotionalen, motivationalen und somatischen Bereich umfassen. Unerlässliches Symptom für eine Diagnose „Depressive Störung“ ist in jedem Fall eine Veränderung der Stimmung oder Affektivität, also der Gefühlsansprechbarkeit (SASS et al. 2000).

Bevor das DSM-IV (SASS et al. 2000) und ergänzend dazu das ICD-10 (DIL- LING et al. 2004) einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, was unter einer depressiven Verstimmung konkret zu verstehen ist und welche Gefühle damit assoziiert sind, sollen allgemeinpsychologische Überlegungen gemacht werden, was Stimmungen, Affekte, Gefühle und Emotionen eigentlich sind.

1.2.2. Allgemeinpsychologische Überlegungen zu Emotionen

In den Standardwerken der Emotionspsychologie besteht keine Einigkeit dar- über, wie Emotionen eigentlich definiert sind. Dies führte dazu, dass eine Vielzahl von Definitionen entstanden sind.

Es stellt sich nun die Frage, wann es sich tatsächlich um Emotionen handelt und welche Zustände im Alltagsverständnis mit Emotionen assoziiert werden, ohne wirklich welche zu sein. Einige Emotionsforscher befassten sich mit dem Phänomen, welche Zustände im Alltag als Emotionen betrachtet werden und unterschieden hierbei bis zu 100 Bezeichnungen von Emotionen (GOOZEN et al. 1993).

Der Autor hat bei der Analyse der diagnostischen Manuale (DSM-IV und ICD-10) hinsichtlich der emotionalen Symptomatik im Rahmen einer Depressiven Störung zwei emotionspsychologische Überlegungen herangezogen. Diese wurden von ihm als hilfreich eingeschätzt, um zwischen Emotionen, Stimmungen, Gefühlen, Affekten und emotionsähnlichen beziehungsweise emotionsassoziierten Phänomenen zu unterscheiden. Als erstes wurde eine Arbeitsdefinition von Emotionen (MEYER et al. 2001) berücksichtigt, der die meisten heutigen Emotionsforscher zustimmen dürften. Als zweite Überlegung wurde die von evolutionspsychologisch orientierten Emotionstheoretikern postulierte Ansicht aufgegriffen, dass sogenannte Basisoder Primäremotionen existieren, aus denen sich alle anderen Emotionen als sogenannte Sekundäremotionen ableiten lassen.

1.2.3. Arbeitsdefinition von Emotionen

Es lassen sich bei der Arbeitsdefinition von Emotionen zwei Aspekte unterscheiden. Der erste Aspekt beinhaltet Beispiele für psychische Zustände, die zu den Emotionen subsumiert werden.

Der zweite Aspekt beinhaltet die Merkmale, welche als Phänomene im ersten Aspekt in Form von psychischen Zuständen beschrieben werden.

Diese Aspekte werden wie folgt definiert:

„1. Emotionen sind zeitlich datierte, konkrete einzelne Vorkommnisse von zum Beispiel Freude, Traurigkeit, Ärger, Angst, Eifersucht, Stolz, Überraschung, Mitleid, Scham, Schuld, Neid, Enttäuschung, Erleichterung sowie weitere Arten von psychischen Zuständen, die den genannten genügend ähnlich sind.
2. Diese Phänomene haben folgende Merkmale gemeinsam: Sie sind aktuelle Zustände von Personen. Sie haben eine bestimmte Qualität, Intensität und Dauer. Sie sind in der Regel objektgerichtet. Personen, die sich in einem dieser Zustände befinden, haben normalerweise ein charakteristisches Erleben (Erlebensaspekt von Emotionen), und häufig treten auch bestimmte physiologische Veränderungen (physiologischer Aspekt von Emotionen) und Verhaltensweisen (Verhaltensaspekt von Emotionen) auf“ (MEYER et al. 2001).

Bei Emotionen handelt es sich demnach um aktuelle Zustände und keine Dispositionen. Man spricht von einer emotionalen Disposition dann, wenn bei einem Menschen eine erhöhte Bereitschaft oder Neigung zum Auftreten von aktuellen emotionalen Zuständen vorliegt.

Von großer Bedeutung, um Emotionen in Klassen oder Typen einzuteilen, sind die Merkmale Qualität, Intensität und zeitliche Dauer. Die Begriffe „Ärger“,

„Angst“ und „Freude“ sind eigentlich Qualitätstypen von Emotionen, werden aber der Einfachheit halber meist Emotionen genannt. Die unterschiedliche Intensität von Emotionen spielt eine wesentliche Rolle. Dies reicht im Alltag beispielsweise von schwacher bis hin zu extremer Angst. Weiterhin ist die zeitliche Dauer sehr unterschiedlich.

In der Regel sind Emotionen objektgerichtet, wobei das Objekt nicht zwingend zu existieren braucht, sondern allein die Überzeugung des Menschen genügt, dass Ereignisse vorhanden sind bzw. eintreten könnten.

„Die Annahme, dass für das Entstehen von Emotionen nicht objektive Ereignisse per se, sondern vielmehr die Sichtweise oder Interpretation der Ereignisse durch die Person entscheidend ist, bildet den Kerngedanken der kognitiven Emotionstheorien, ... (MEYER et al. 2001).“

Neben den genannten Merkmalen von Emotionen, wie Aktualität, Qualität, Intensität, Dauer und Objektbezug, enthält die Arbeitsdefinition drei Aspekte: den Erlebensaspekt, physiologischen Aspekt und den Verhaltensaspekt von Emotionen.

Die Autoren weisen darauf hin, dass es sich bei den Aspekten nicht um Bestandteile von Emotionen handelt, sondern um charakteristische Merkmale von Personen, die eine Emotion erleben. Sie legen sich damit nicht darauf fest, ob die Emotion selbst ein bestimmter Erlebenszustand, ein Verhaltensmuster oder eine Kombination aus beidem ist. Es existieren allerdings Emotionstheorien die genau diese Festlegung treffen und Emotionen als „Reaktionssyndrome“ beziehungsweise „multidimensionale Zustände“ definieren (LAZARUS et al. 1970).

Im folgenden soll auf die drei Aspekten im Einzelnen eingegangen werden:

Der Erlebensaspekt wird häufig als der subjektive Aspekt einer Emotion bezeichnet wie beispielsweise Freude oder Ärger.

Es bestehen unterschiedliche Erklärungsansätze diverser Theoretiker. Dies reicht von der Erklärung, dass das Erleben von Gefühlen durch das Empfinden körperlicher Veränderungen bedingt ist (JAMES 1984) bis hin dazu, dass bei emotionsspezifischem Erleben von Gefühlen ein spezifischer Handlungsimpuls wahrgenommen wird (ARNOLD 1960).

Unter dem physiologischen Aspekt von Emotionen verstehen die Autoren sowohl peripher-physiologische Veränderungen (STEMMLER 2000), wie beispielsweise Erröten und Veränderung der Atmung als auch physiologische Vorgänge im zentralen Nervensystem (LEDOUX 1996).

Der Verhaltensaspekt von Emotionen untergliedert sich in den expressiven und instrumentellen Aspekt. Unter dem expressiven Aspekt verstehen die Autoren das meist unwillkürliche Ausdrucksverhalten beim Vorliegen einer Emotion wie beispielsweise Gesichtsausdruck, Gestik und Körperhaltung, sowie bestimmte Merkmale der Sprechstimme. Der instrumentelle Aspekt von Emotionen umfasst zielgerichtete Handlungen wie beispielsweise das Fluchtverhalten.

Von einigen Autoren wird anhand dieser Arbeitsdefinition eine Abgrenzung zwischen Stimmungen wie z.B. depressiv, gereizt usw. und Emotionen wie z.B. Traurigkeit, Ärger usw. vorgenommen, indem sie Stimmungen im Ver- gleich zu Emotionen eine geringere Intensität, längere Dauer und das Fehlen der Objektgerichtetheit zuschreiben. Jedoch wird von den Autoren hervorgehoben, dass keine dieser Definitionen von Stimmungen allgemeine Akzeptanz gefunden hat (MEYER et al. 2001).

Die Arbeitsdefinition von Meyer (MEYER et al. 2001) stellt eine Definition von Emotionen dar, die unter zahlreichen Emotionstheoretikern größtenteils Zustimmung erhält.

Einige namhafte Vertreter von evolutionspsychologischen Emotionstheorien identifizieren eine überschaubare Anzahl von Emotionen, die sie als Primäremotionen oder Basisemotionen benennen. Aus diesen können alle anderen Emotionen, die sogenannten Sekundäremotionen, ihrer Ansicht nach abgeleitet werden.

1.2.4. Evolutionspsychologische Theorien der Primäremotionen

Im Folgenden soll betrachtet werden, wie evolutionspsychologisch orientierte Theorien Emotionen definieren und welche Funktion speziell den Primäremotionen Traurigkeit, Freude, Furcht und Ärger zugeschrieben wird.

Evolutionstheoretisch orientierte Emotionsforscher postulieren zwei wesentliche Annahmen (MCDOUGALL et al.1960):

„1. Eine Teilmenge der Emotionen des Menschen, die Primäroder Basisemotionen, beruhen auf psychophysischen Mechanismen, die in der Evolution zur Lösung spezifischer Anpassungsprobleme entstanden sind. 2. Alle übrigen Emotionen leiten sich von den Basisemotionen ab, während die Basisemotionen selbst nicht auf andere, noch grundlegendere Emotionen zurückgeführt werden können (MEYER et al. 2001).“

Unterschiedliche Einschätzungen der Emotionstheoretiker kommen durch deren verschiedene Beurteilungskriterien zustande. Empirische Evidenz, die eine Unterscheidung in Primärund Sekundäremotionen rechtfertigt, ist noch nicht erbracht.

Bei der Betrachtung der Funktionalität einzelner Basisemotionen hat sich der Autor auf die Emotionen Traurigkeit, Freude, Furcht und Ärger beschränkt. Diese Emotionen sind seines Erachtens bei der depressiver Symptomatik von zentraler Bedeutung.

Plutchik beschreibt als auslösendes Ereignis für das Erleben von Traurigkeit den „Verlust eines geschätzten Individuums“ (PLUTCHIK 1993).

Power zeigt zwei adaptive Funktionen von Traurigkeit auf, eine persönliche und eine soziale. Wenn Menschen Traurigkeit zeigen, lösen sie bei anderen Mitleid und Hilfeverhalten aus. Somit reflektieren sie sich und die Welt und räumen sich dadurch eine Chance zum Wachstum ein (POWER 1999).

Freude ist laut Izard gekennzeichnet durch ein Gefühl von Vertrauen, von Bedeutsamkeit und dem Gefühl, geliebt zu werden und liebenswert zu sein (IZARD 1994). Wer Freude empfindet ist mit sich und seiner Umgebung zufrieden und kann die schönen Seiten des Lebens entdecken. Eine Empfindung von Harmonie und Unbeschwertheit stellt sich ein.

Furcht ist für jede Person eine vertraute Emotion. Ihre evolutionäre Rolle ist offensichtlich. Sie sichert als Warnsignal vor Gefahren nicht nur das Überleben, sondern hat auch eine sozialadaptive Funktion. Sie motiviert Menschen zur gemeinsamen effektiveren Verteidigung.

Verschiedene Emotionstheorien unterscheiden zwischen Angst und Furcht (IZARD 1994). Freud sah in der so genannten Signalangst als Vorwegnahme einer Furchtsituation eine adaptive Funktion, da das Individuum dadurch auf die Furchtsituation besser vorbereitet ist oder sie sogar vermeiden kann (FREUD 1959).

Andere Konzeptionen von Angst sehen bei der Angst eine Beteiligung weiterer Affekte neben der Furcht und zusätzliche affektiv-kognitive Strukturen. Sie kann nicht als Basisemotion verstanden werden, da Angst laut McDougall nicht auf einer angeborenen Disposition beruht und mit keinem für sie spezifischen Handlungsimpuls assoziiert ist (MCDOUGALL 1969).

Ärger hat die evolutionspsychologische Bedeutung, dass durch diese Emotion die notwendigen Kräfte zur Verteidigung aktiviert werden. Starkes Selbstbewusstsein in Kombination mit erhöhter Impulsivität erzeugt Extraversion und Mut zum Handeln.

Im Folgenden werden die diagnostischen Manuale des DSM-IV und ICD-10 daraufhin analysiert, welche konkreten Aussagen sie über die emotionale Symptomatik der Depressiven Störung machen können.

1.2.5. Emotionen im Rahmen der diagnostischen Manuale

Bei Betrachtung der Aussagen im Hinblick auf emotionale Symptome, lassen sich drei unipolare Depressive Störungen differenzieren:

Die Diagnose einer Major Depression wird gestellt beim Auftreten von mindestens fünf von neun genannten Symptomen aus dem kognitiven, motivationalen, somatischen und emotionalen Bereich. Diese müssen „während derselben Zwei-Wochen-Periode“ vorherrschen (DSM IV, SASS 2000). Eine „depressive Verstimmung“ oder der „Verlust an Interesse oder Freude“ muss eines der fünf Symptome sein.

Bei der sogenannten „Minussymptomatik“ liegt ein Verlust an Interesse oder Freude bzw. mangelnde Aufhellbarkeit bzw. Reagibilität und ein Gefühl der Leere vor. Bei der „Plussymptomatik“ steht die depressive Verstimmung bzw. Traurigkeit im Vordergrund. Weitere affektive Symptome sind „übermäßige oder unangemessene Schuldgefühle“ oder „Gefühle der Wertlosigkeit“ (DSM IV, SASS 2000).

Von einer Dysthymen Störung spricht man, wenn „über einen mindestens zweijährigen Zeitraum“ eine depressive Verstimmung milderer Ausprägung vorhanden ist. Bei dieser müssen mindestens zwei von sechs möglichen Symptomen vorliegen Zu den zusätzlichen Symptomen gehören „geringes Selbstwertgefühl“ und „Gefühl der Hoffnungslosigkeit“ als emotionsnahe Symptome (DSM-IV, SASS 2000).

Eine Nicht Näher Bezeichnete Depressive Störung weist depressive Merkmale auf, erfüllt aber nicht die Kriterien einer Major Depression oder Dysthymen Störung. Bei dieser werden keine spezifischen emotionalen Symptome angegeben.

Im DSM-IV werden unter „Diagnostische Merkmale“ diagnostische Kriterien detaillierter benannt. Im Rahmen der Depressiven Störungen werden explizit die Emotionen Freude, Traurigkeit, Schuld, Angst und Ärger erwähnt.

Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Emotionen in den Diagnostischen Manualen aufgezählt werden:

Die verloren gegangene Freude bezieht sich auf fast alle Aktivitäten, die vormals Freude bereiteten bzw. Interesse geweckt haben. Häufig ist jegliches Interesse an sich und der Umwelt erloschen oder nur noch rudimentär vorhanden.

Im Zusammenhang mit der Emotion Traurigkeit weist das DSM-IV darauf hin, dass diese von manchen Betroffenen als solche zunächst gar nicht wahrgenommen wird und lediglich phänomenologisch aus dem Gesichtsausdruck und der Haltung ersehen werden kann, wie beispielsweise hängende Schultern und eine verlangsamte, sehr leise Sprache. Laut DSM-IV kann die Traurigkeit manchmal im subjektiven Erleben der Betroffenen als Angst empfunden werden.

Depressives Verhalten kann anstelle von Niedergeschlagenheit durch Reizbarkeit gekennzeichnet sein. In diesen Fällen schildern die Betroffenen eher Ärger und weniger Traurigkeit auf die Frage nach ihrem emotionalen Status. Die Emotion Schuld äußert sich bei Depressiven in Form von Selbstvorwürfen und unrealistisch negativen Selbsteinschätzungen. Sie grübeln beständig über kleinste Versäumnisse der Vergangenheit und sehen in unwichtigen Alltagsereignissen unverrückbare Bestätigungen ihrer eigenen Unfähigkeit.

Die diagnostischen Manuale machen keine Aussagen über Anlass oder Auslöser der einzelnen depressionsassoziierten Emotionen. Es werden jedoch Auslöser für die Gesamtheit der beschriebenen Symptome, die Depressive Störung, aufgeführt, wie saisonal, postpartal, medizinisch, Sucht und psychosoziale Belastungsfaktoren.

Im Fallbuch der diagnostischen Manuale (ZAUDIG et al. 2000) finden sich einige wenige konkretere Beiträge. Darin heißt es, wertneutrale, unwichtige Alltäglichkeiten lösen bei Depressiven Schuldgefühle aus, soziale Zurückweisung sowie Versagen im Leistungsbereich führt zu Traurigkeit, Freudlosigkeit und Ziellosigkeit. Außerdem wird geschildert, dass die Zurückweisung durch eine nahe stehende Person für depressive Personen eine starke Kränkung darstellt und in Verzweiflung mündet.

Diese Beschreibungen implizieren, dass eine nicht-depressive Kontrollgruppe in solchen Situationen nicht mit den genannten Emotionen reagiert. Im Falle von sozialer Zurückweisung oder Versagen im Leistungsbereich ist es allerdings durchaus wahrscheinlich, dass auch Nicht-Depressive mit Traurigkeit beziehungsweise Freudlosigkeit reagieren. Empirische Studien, worin sich Depressive von Nicht-Depressiven in ihren emotionalen Reaktionen auf solche Alltagssituationen unterscheiden, existieren nicht, erst recht nicht, worin APDS im Vergleich zur Normalbevölkerung differieren. Erleben APDS beispielsweise nach Misserfolgen im Leistungsbereich eine bestimmte Kombination aus Emotionen wie beispielsweise Traurigkeit und Schuld, während Personen aus der Normalbevölkerung lediglich traurig sind? Oder erleben APDS möglicherweise stärkere Traurigkeit nach solchen Misserfolgen als Personen aus der Normalbevölkerung ?

Einige Emotionstheoretiker (EKMAN et al. 1975) unterscheiden bereits konkret zwei Varianten von Traurigkeit, beispielsweise Traurigkeit (sadness) und Kummer (grief), oder weisen zumindest darauf hin, dass eine adaptive Traurigkeit von einer maladaptiven Traurigkeit zu differenzieren ist.

Auch eine Depressionstheorie (ELLIS 1962) greift diese Überlegung auf, indem sie der adäquaten Emotion Traurigkeit die inadäquate Emotion Depression gegenüberstellt. In dieser Theorie stellen generell die Basisemotionen Traurigkeit, Ärger und Furcht in Übereinstimmung mit den evolutionspsychologisch orientierten Emotionstheorien adäquate Emotionen, Emotionen mit adaptiver Funktion, dar. Diesen werden die inadäquaten Emotionen Depression, Wut und Angst gegenübergestellt. Das bedeutet, die in den Manualen depressiven Personen zugeschriebenen Emotionen Traurigkeit und Ärger wären gemäß dieser Theorie treffender als Depression und Wut zu bezeichnen. In Bezug auf die Basisemotion Furcht ist dies bereits getan worden, indem im DSM-IV und ICD-10 ausschließlich von Angst gesprochen wird.

Neben den in den diagnostischen Manualen beschriebenen Emotionen im Rahmen einer Depressiven Störung werden außerdem emotionsnahe Zustände und, als eines der zentralen Symptome, die depressive Verstimmung genannt.

Die depressive Verstimmung wird mit Hilfe von Meyer et al. (MEYER et al. 2001) in der Weise von den beschriebenen Emotionen abgegrenzt, dass sie von längerer Dauer als die Emotionen ist. Sie hält über einen Zeitraum von zwei Wochen an, während bei Emotionen besser von häufigem Auftreten als von „anhaltend“ gesprochen werden sollte. Vor allem aber sind Stimmungen im Gegensatz zu Emotionen nicht objektgerichtet.

Kennzeichnend für die depressive Stimmung laut DSM-IV und ICD-10 ist, dass der/die Patient/in sich niedergeschlagen (deprimiert), verzweifelt, entmutigt beziehungsweise schwermütig fühlt. Auf der Verhaltensebene ist eine andauernde Tendenz zum Weinen feststellbar und eine völlige Antriebslosigkeit bzw. Ziellosigkeit.

Als emotionsnahe Zustände sollen die im DSM-IV und ICD-10 beschriebenen Kognitionen oder möglicherweise Persönlichkeitseigenschaften depressiver Personen bezeichnet werden, die in engem Bezug zu Emotionen stehen beziehungsweise mit Emotionen einhergehen. Dazu zählen Vorstellungen der Nutzund Wertlosigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, übertriebene Verantwortlichkeitsgefühle, pessimistische Erwartungen, Hoffnungslosigkeit, Besorgnis um die eigene körperliche Gesundheit, geringe Frustrationstoleranz, leichte Kränkbarkeit und das Gefühl des Gequältseins.

Häufig wird ein Gefühl der Leere geschildert oder auch, überhaupt keine Gefühle mehr empfinden zu können. Hier handelt es sich offenbar um eine Kognition den emotionalen Erlebensaspekt betreffend.

In Übereinstimmung damit, dass Depression in der klinischen Diagnostik eine Affektive Störung darstellt, ist eine Veränderung in der Affektivität Voraussetzung der Diagnosestellung. Diese Veränderung kann entweder in einer depressiven Verstimmung bestehen oder darin, dass eine Person keine Freude mehr empfinden kann und jegliches Interesse an Aktivitäten/Personen/Dingen verliert, die ihr üblicherweise etwas bedeutet haben.

Als Emotionen, wie sie hier mit Hilfe der Emotionspsychologie definiert wurden, werden im Rahmen einer Depressiven Störung in den diagnostischen Manualen Freude, Interesse, Traurigkeit, Schuld, Angst und Ärger genannt.

Hinsichtlich ihrer Qualität differenziert leiden depressive Personen unter dem Verlust positiver Emotionen, wie Freude und Interesse sowie unter der Anwesenheit negativer Emotionen, wie Angst, Ärger, Traurigkeit und Schuld. Über die Intensität der einzelnen Emotionen werden keine Aussagen gemacht. Die Intensität aller Symptome führt dann zur Diagnose „Depressive Störung“, wenn man von klinisch bedeutsamen Leiden ausgehen kann oder eine Beeinträchtigung wichtiger Funktionsbereiche, wie sozialer, beruflicher etc. Bereich, vorliegt. Bezüglich Dauer und Häufigkeit der Emotionen heißt es, dass für eine Diagnose „Depressive Störung“ die Symptome eine gewisse Zeitstabilität aufweisen müssen (Major Depression: zwei Wochen; Dysthyme Störung: zwei Jahre). Was die Emotionsaspekte betrifft wird erwähnt, dass der subjektive Erlebensaspekt von Traurigkeit fehlen kann, der Betroffene selbst also gar nicht urteilen würde, dass er traurig ist. In solchen Fällen kann die vorhandene Traurigkeit nur aus den Verhaltensaspekten der Traurigkeit erschlossen werden, wie Körperhaltung, beispielsweise hängende Schultern und Sprache, die verlangsamt und leise ist.

Zu den vorausgehenden Bedingungen bzw. Auslösern einzelner depressionsassoziierter Emotionen wird lediglich im Fallbuch zu DSM-IV und ICD-10 in geringem Umfang berichtet. Dort wird beschrieben, dass Depressive mit Traurigkeit nach Misserfolgen im Leistungsbereich reagieren. Es wird allerdings nicht klar, was das spezifisch Depressive daran ist, denn die meisten Menschen reagieren wohl nach Misserfolgen mit Traurigkeit. Wird die Auffassung der evolutionstheoretisch orientierten Emotionstheorien berücksichtigt, die Traurigkeit als eine ererbte Emotion ansieht, weil sie sich im Laufe der Menschheitsentwicklung als adaptiv erwies, dann zeigt sich deutlich, dass hier präziser formuliert werden muss, worin der Unterschied in der emotionalen Reaktion beispielsweise auf Misserfolge im Leistungsbereich zwischen APDS und Personen aus der Normalbevölkerung genau besteht und woran das Pathologische festgemacht werden kann.

Derartige Befunde liegen zurzeit nicht vor. Neben einzelnen Emotionen im Rahmen einer Depressiven Störung werden im DSM-IV und ICD-10 emotionsassoziierte Zustände und als zentrales Merkmal die depressive Verstimmung beschrieben. Emotionsassoziierte Zustände, die das DSM-IV und ICD- 10 mit Depressionen in Verbindung bringt, sind z.B. Minderwertigkeitsgefühle, übertriebene Verantwortungsgefühle oder die leichte Enttäuschbarkeit, die depressiven Personen attestiert wird.

Basierend auf den Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10, die klinische Störungsbilder systematisieren beziehungsweise von einander abgrenzen und damit Zuordnungsregeln aufstellen, sind zahlreiche Instrumente zur Diagnostik entwickelt worden. Der Autor möchte nun zuletzt ein Diagnostikinstrument zur Erfassung der Schwere einer Depressiven Störung betrachten, das Beck- Depressions-Inventar (BDI 2005). Dieses Inventar wird häufig in psychologischen Studien zur Depression eingesetzt und auch in der vorliegenden Master Thesis zusätzlich zum entwickelten Fragebogen verwendet.

Es stellt sich die Frage, inwieweit emotionale Symptome im BDI thematisiert werden, also welche Gewichtung ihnen bei der Feststellung des Schweregrades einer Depression zukommt. Diese Analyse erscheint insbesondere wichtig, da im Fragebogen emotionale Reaktionen erfasst werden. Das Instrument zur Erfassung des Depressionsgrades, das BDI, erfasst allerdings ebenfalls Emotionen. An dieser Stelle sollen zunächst die im BDI erfassten Emotionen identifiziert werden.

1.2.6. Emotionen im Depressionsinventar nach Beck

Als Selbstbeurteilungsinstrument zur Erfassung der Schwere depressiver Symptomatik wurde das Beck-Depressions-Inventar (BDI) eingesetzt. Es ist jedoch nicht zur Diagnosestellung geeignet. Aus der klinischen Arbeit mit depressiven Patienten wurde das BDI nach der Logik entwickelt, Symptome, die von depressiven Patienten häufig und von nichtdepressiven Patienten selten berichtet wurden, zu 21 Items zusammenzufassen, denen jeweils vier Aussagen zur Wahl mit aufsteigender Schwere der Symptomatik zugeordnet werden.

Im ersten Item, dem Item A, wird die für Depressionen zentrale Emotion Traurigkeit wie folgt abgefragt:

0 Ich bin nicht traurig.
1 Ich bin traurig.
2 Ich bin die ganze Zeit traurig und komme nicht davon los.
3 Ich bin so traurig oder unglücklich, dass ich es kaum noch ertrage.

Von den 21 Items des BDI betreffen drei ausdrücklich eine Emotion (A Traurigkeit, E Schuldgefühle, G Enttäuschung/Selbsthass). Daneben gibt es fünf physiologische Items (R Appetitverlust, P Schlafstörungen, S Gewichtsverlust, Q Ermüdbarkeit, U Libidoverlust), ein Item, das sich auf die Arbeitsleistung (O Arbeitsunfähigkeit) bezieht, sieben kognitive Items (T Hypochondrie, N Negative Selbstvorstellung, M Entschlussunfähigkeit, H Selbstvorwürfe, F Strafbedürfnis, B Hoffnungslosigkeit, C Versagensgefühle), ein soziales Item (L Kontaktstörung), zwei Items, die Persönlichkeitsmerkmale messen (D Objektbezugsstörung, K Reizbarkeit), ein Verhaltensitem (J Weinen) und schließlich eines, das die Suizidgefährdung hinterfragt (I Suizidalität).

Stellt man die Frage nach der Bedeutung von Emotionen im BDI lässt sich feststellten, dass nur drei der 21 Items Emotionen thematisieren. Item A stellt das zeitliche Ausmaß und die Intensität von Traurigkeit fest.

Item E prüft das Vorhandensein von Schuldgefühlen entlang der Zeitdimension (häufig, fast immer, immer).

Der Selbsthass, der in Item G aufgeführt wird, wurde vom Autor dieser Master Thesis anhand der Arbeitsdefinition als Emotion identifiziert. Dieses Item beinhaltet in seiner Abstufung einen Wechsel der Begrifflichkeit. Nachdem zunächst die Emotion Enttäuschung abgefragt wird, folgt plötzlich eine Frage zum Selbstkonzept („Ich finde mich fürchterlich“). Als letzte Abstufung dieses Items wird wieder eine Emotion, nämlich der Hass abgefragt:

0 Ich bin nicht enttäuscht von mir.
1 Ich bin von mir enttäuscht.
2 Ich finde mich fürchterlich.
3 Ich hasse mich.

Diesem Phänomen begegnet man innerhalb des BDI noch mehrmals in umgekehrter Weise, indem Items, die eigentlich Kognitionen oder Persönlichkeitsmerkmale messen wollen, konkrete Aussagen zu einer Emotion beinhalten. Das Item zur Feststellung der Hoffnungslosigkeit beispielsweise diagnostiziert Hoffnungslosigkeit unter anderem mit der Abwesenheit von Freude, mit Hilfe einer Emotion („Ich habe nichts, worauf ich mich freuen kann“). Analog dazu stellt das Item Kontaktstörung, ein soziales Item, fest, inwieweit das Inte- resse an Menschen verloren gegangen ist. Auch das Item Reizbarkeit, das ein Persönlichkeitsmerkmal hinterfragt, macht das Vorhandensein dieses Merkmals konkret an der Emotion Ärger fest („Ich bin jetzt leichter verärgert oder gereizt als früher.“). Gleiches gilt für das Item Objektbezugsstörung, das Zufriedenheit beurteilen lässt („Ich bin mit allem unzufrieden oder gelangweilt“).

Kognitionen, die gewöhnlich mit spezifischen Emotionen assoziiert werden, sind aufgrund ihrer Formulierung folgende Items: Item H Selbstvorwürfe („Ich gebe mir für alles die Schuld, was schief geht“ impliziert die Emotion Schuld), Item N Negative Selbstvorstellungen („Ich mache mir Sorgen, dass ich alt oder unattraktiv aussehe“ impliziert Angst/Furcht oder auch Scham) und das Item T Hypochondrie („Ich mache mir so große Sorgen über gesundheitliche Probleme, dass ich an nichts anderes mehr denken kann“ impliziert Angst/Furcht).

Zuletzt soll noch erwähnt werden, dass auch das Item J (Weinen), das einen Verhaltensaspekt misst, auf eine Emotion bezogen ist. Weinen stellt nämlich eine mit der Emotion Traurigkeit verbundene Verhaltensweise dar.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich das BDI in drei Items explizit emotionalen Symptomen zuwendet (Traurigkeit, Schuldgefühle, Enttäuschung/ Selbsthass). Über die konkrete Fragestellung zu kognitiven und sozialen Symptomen sowie zu Persönlichkeitsmerkmalen werden jedoch sieben Emotionen erfasst (zusätzlich Freude, Interesse, Ärger und Zufriedenheit).

Vergleicht man BDI und DSM-IV, inwieweit diese jeweils Emotionen thematisieren, ist erwähnenswert, dass im BDI die im DSM-IV erwähnte Angst kein separates Item darstellt. Des weiteren beginnt das BDI direkt mit der Emotion Traurigkeit und hinterfragt auch im weiteren Verlauf nie die depressive Verstimmung, wie Niedergeschlagenheit oder Deprimiertheit, die im DSM-IV als zentrales Diagnosekriterium angegeben ist.

Hinsichtlich der Anzahl der erwähnten Emotionen unterscheiden sich BDI (Traurigkeit, Schuld, Enttäuschung/Selbsthass, Freude, Interesse, Ärger, Zufriedenheit) und DSM-IV (Traurigkeit, Schuld, Freude, Interesse, Ärger, Angst) kaum.

Zunächst sollen die diagnostischen Manuale und das BDI daraufhin untersucht werden, welche Veränderungen der Emotionalität kennzeichnend für eine Depressive Störung sind. Es zeigte sich, dass für eine Diagnose „Depression“ als affektive Störung erwartungsgemäß eine Veränderung der Affek- tivität Voraussetzung ist (Verlust von Freude/Interesse und/oder depressive Verstimmung). Das ausgewählte Diagnoseinstrument, das BDI, beurteilt die Schwere einer Depression ebenfalls zu einem großen Teil anhand emotionaler Symptome. Wie schon zuvor dargestellt, werden darin sieben Emotionen erfasst.

Die Analyse von DSM-IV und BDI ergab, dass sich depressive von nichtdepressiven Personen dahingehend unterscheiden, dass sie bestimmte negative Emotionen häufiger und/oder intensiver empfinden und bestimmte positive Emotionen seltener und/oder weniger intensiv erleben. Depressive Personen erleben häufiger und intensiver Traurigkeit, Ärger, Angst und Schuldgefühle, empfinden kaum mehr Freude, sind mit allem unzufrieden und vor allem von sich selbst enttäuscht (bis hin zum Selbsthass) und haben jegliches Interesse verloren.

Die Analyse der Diagnostischen Manuale des DSM-IV und ICD-10 hat gezeigt, dass die Depressive Störung zu Recht als affektive Störung bezeichnet wird, da zahlreiche emotionale Symptome vorherrschen. Insbesondere sind mehrere Basisemotionen betroffen, wie Traurigkeit und Ärger sowie Freude und Interesse, auf welchen laut evolutionspsychologisch orientierten Emotionstheorien alle Emotionen beruhen.

Für die empirische Erhebung der emotionalen Reaktionen von alkoholabhängigen Personen mit depressiver Symptomatik (APDS) und Personen aus der Normalbevölkerung (NORM) im Rahmen dieser Master Thesis wurde durch diese Analyse bereits eine Vorstellung gewonnen, worin die Unterschiede zwischen diesen beiden Personengruppen bestehen könnten. Bevor jedoch diese Vorstellungen an konkreten Sachverhalten geprüft und präzisiert werden, ob beispielsweise APDS nach Misserfolg im Leistungsbereich im Vergleich zu Personen aus der Normalbevölkerung trauriger und ängstlicher reagieren, soll analysiert werden, ob es Theorien zur Erklärung von Depression gibt, die weitere Hinweise auf Emotionsund Attributionsunterschiede zwischen diesen beiden Personengruppen geben könnten. In der Theorie von Ellis (ELLIS 1962) werden Depressiven und Nicht-Depressiven verschiedene Klassen von Emotionen zugeordnet. Depressiven nicht adaptive, inadäquate Emotionen wie Depression, und Nicht-Depressiven adaptive, adäquate Emotionen wie Traurigkeit.

1.3. Depressionsmodelle und Theorien

Trotz hohen wissenschaftlichen Interesses an der Depression kann bisher keineswegs von einer integrativen Theorie der Depression gesprochen werden.

Die zahlreichen theoretischen Ansätze zur Depression unterteilt Izard (IZARD 1994) in neurophysiologisch-biochemische, psychoanalytische, biogenetische, soziokulturelle und kognitive Theorien sowie Verhaltensund Emotionstheorien.

Im nachfolgenden Teil dieser Thesis soll eruiert werden, inwieweit sich Modelle und Theorien zur Depression mit Emotionen befassen.

Einige dieser Theorien erlauben die Generierung konkreter Hypothesen über die Unterschiede zwischen APDS und der Normalbevölkerung hinsichtlich ihrer emotionalen Reaktionen, die in Form der durchgeführten Befragung geprüft werden sollen.

Zunächst soll das psychoanalytische Modell zur Depression als historischer Beginn der psychologischen Depressionsforschung kurz erläutert werden, da in diesem die Emotion Wut eine zentrale Rolle spielt. Danach wird das Stö- rungsmodell bei Depression und Substanzabhängigkeit erläutert, um einen Zusammenhang zwischen beiden Störungsbildern herzustellen. Zuletzt folgt die Darstellung verschiedener kognitiver und neuerer Theorien zur Depression.

1.3.1. Depressionsmodell nach Freud

Das Depressionsmodell nach Freud macht kaum Aussagen zu Emotionen. Gleichzeitig ist allerdings die Emotion Wut ein zentraler Bestandteil des Mechanismus, den Freud bei der Entstehung von Depression annimmt. Objektverlust als Abzug libidinöser Energie von einem geliebten Objekt wird mit Hilfe unbewusster Prozesse verhindert, indem die libidinöse Energie auf das eigene Ich verschoben wird. Dies geschieht durch Introjektion des Objektes.

Die ambivalenten Gefühle dem Objekt gegenüber sind nun allerdings gegen die eigene Person gerichtet. Wenn das „Ich“ keine realistische Objektreprä- sentanz herstellen kann, wird aus Trauer Depression.

Als Freud seine Theorie zur Melancholie formulierte, fokussierte er hauptsächlich auf Triebgeschehnisse und nicht auf Emotionen, die seiner Ansicht nach lediglich Repräsentanten von Triebzuständen waren. Im heutigen Verständnis der Psychoanalyse werden Emotionen dagegen als eigenständige psychische Zustände angesehen, die sogar häufig die Ursache für Aktivierung sind. Trotzdem ist das Freudsche Verständnis von Depression nicht maßgeblich von seinen Nachfolgern verändert worden. Zur Erklärung von Depressionen wird jedoch heutzutage der Emotion Angst neben der Emotion Wut eine zentrale Rolle zugeschrieben.

1.3.2. Modell zu Depression und Substanzabhängigkeit

Bisher liegt kein integriertes Störungsmodell bei Depression und Substanzstö- rung vor (MOGGI et al. 2004). Befunde legen mehrere und komplexe Wirkungszusammenhänge nahe. Das Vorliegen einer Depressionssymptomatik kann das Risiko der Entwicklung einer sekundären Substanzstörung erhö- hen. Anhaltender Suchtmittelkonsum und akute Suchtmittelintoxikation rufen direkt depressive Zustände hervor, die meist nach zwei, spätestens vier Wochen ohne Behandlung remittieren (MOGGI et al. 2004). In diesem Fall liegt eine substanzinduzierte Depression vor.

„Bezüglich der Frage, ob eher affektive oder alkoholbezogene Störungen zuerst auftreten, wurde festgestellt, dass sich affektive Störungen häufig sekundär entwickeln“ (HINTZ et al. 2004).

Suchtbedingte Folgeerscheinungen, wie organische Erkrankungen, Arbeitsplatzverlust oder Trennung vom Lebenspartner können indirekt Depressionen verursachen. Hierbei handelt es sich um eine sekundäre Depression.

Hasegawa et al. (HASEGAWA et al. 1991) ermittelten in einer Stichprobe alkoholabhängiger Personen eine Lebenszeitprävalenz von 33,8 % affektiver Störungen. Von diesen traten 28,3 % vor und 71,7 % nach Einsetzen der alkoholbezogenen Störung auf. Diese Befunde legen nahe, dass alkoholbezogene Störungen zumindest teilweise affektive Störungen mitverursachen und somit ein essentieller Risikofaktor für deren Entstehung sind. Allerdings ermittelte Blume (BLUME 1998) bei einer Reanalyse der Schuckit-Daten 50,4 % primäre affektive Störungen bei Frauen.

Die Ergebnisse zur Ätiologie von substanzgebundenem Suchtverhalten und Depression sind nicht eindeutig. Die empirisch gefundenen Korrelationen sind wenig spezifisch und können auch durch andere Komorbiditätsformen hervorgerufen werden. Angstund depressive Störungen treten beispielsweise gehäuft zusammen auf, so dass sich das Suchtverhalten möglicherweise aufgrund eines misslungenen Selbstmedikationsversuchs der Angst entwickelte. Uneindeutig ist jedoch der zeitliche Ablauf innerhalb dieser Komorbiditätsform (RAIMO et al. 1998).

„Das Auftreten unterschiedlicher Prävalenzraten depressiver Syndrome bei Alkoholkranken hängt auch wesentlich vom Zeitpunkt der Untersuchung ab. Nach exzessivem Alkoholkonsum und während Entzugsbehandlungen wurden höhere Prävalenzraten festgestellt als während Entwöhnungsbehandlungen und längerer Abstinenz. In vor oder nach Entzugsbehandlungen durchgeführten Untersuchungen wurden Prävalenzraten für depressive Syndrome zwischen 27 und 85 % ermittelt“ (SOYKA et al. 2004).

Die für die Erhebung im Rahmen der Master Thesis ausgewählten Personen wiesen eine Komorbidität von Alkoholabhängigkeit und depressiver Symptomatik auf. Da die Befragung nach fünfwöchiger Alkoholabstinenz durchgeführt wurde, handelte es sich hierbei jedoch um keine direkte substanzinduzierte depressive Symptomatik.

1.3.3. Kognitive Diathese-Stress-Modelle

Viele kognitive Depressionstheorien stellen Diathese-Stress-Modelle (MON- ROE et al. 1991) der Depression auf. Vulnerabilitätsmodelle (Diathese-Stress- Modelle) gehen davon aus, dass die Störungsursache im gleichzeitigen Auftreten von aversiven Lebensereignissen/Stress und individuellen psychologischen Diathesen besteht. Aversive Ereignisse sind etwa Verlusterlebnisse, konflikthafte familiäre Interaktionen, aber auch das Fehlen von engen Beziehungen. Eine psychologische Diathese ist beispielsweise ein Persönlichkeitsmerkmal wie das Ausmaß an Pessimismus (SELIGMAN 1993).

Im Vulnerabilitätsmodell zur Depression werden überwiegend kognitive Diathesen benannt. Diese weisen auf eine negativ verzerrte Informationsverarbeitung des Stressors hin. Überzeugend wäre jedoch ebenso eine Diathese emotionaler Ausprägung anzunehmen, wie eine individuell global-stabile Disposition dazu, Angst und Traurigkeit unter aversiven Bedingungen zu erleben. Solche Dispositionen sind spezifische Persönlichkeitseigenschaften (STRELAU 1987) und werden oft emotionale Persönlichkeitseigenschaften genannt (MEYER et al. 2001). Menschen, die aufgrund ihrer individuellen Beschaffenheit unter Stressbedingungen häufiger und/oder intensiver als andere Menschen Traurigkeit und Angst erleben, könnten anfälliger dafür sein, im Laufe ihres Lebens eine Depressive Störung zu entwickeln.

Brown hingegen postuliert, dass die individuell-emotionale Reaktionsbereitschaft, unabhängig ob angeboren oder erworben, aversiven Ereignissen gegenüber kein Depressionsprädiktor sein kann (BROWN 2000). Emotionen sind nach diesem Autor von der individuellen Bewertung der Situation abhängig, somit postkognitive Phänomene. Die kognitiven Depressionstheorien sprechen daher von kognitiven Diathesen und betrachten Emotionen in der Regel als Symptome der Depression. Kennzeichen dieser Theorien sind: Dysfunktionale Kognitionen, wie ein negatives Selbstbild (BECK 1967), ein depressogener Attributionsstil (PETERSON et al. 1984) oder eine verzerrte Aufnahme und Verarbeitung bzw. Interpretation von aversiven Ereignissen.

Neuere Depressionstheorien (TEASDALE et al. 1993), auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird, begreifen Kognitionen und Emotionen im Prozess der Depressionsentstehung anders.

[...]

Ende der Leseprobe aus 148 Seiten

Details

Titel
Erfassung der Emotionen und des Attributionsstils von alkoholabhängigen Personen mit depressiver Symptomatik - eine qualitativ-empirische Untersuchung
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
148
Katalognummer
V115573
ISBN (eBook)
9783640170418
ISBN (Buch)
9783640172658
Dateigröße
875 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erfassung, Emotionen, Attributionsstils, Personen, Symptomatik, Untersuchung
Arbeit zitieren
Master of Science Tobias Mehler (Autor:in), 2007, Erfassung der Emotionen und des Attributionsstils von alkoholabhängigen Personen mit depressiver Symptomatik - eine qualitativ-empirische Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115573

Kommentare

  • Carola Mehler am 27.12.2010

    eine qualitativ sehr hochwertige Arbeit zu einem komplexen Thema. Erweitert den Horizont

  • Gast am 25.9.2008

    Erfassung der Emotionen und des Attributionsstils.

    Eine qualitativ empirisch umfassende und sehr gute Arbeit. Hat mir sehr geholfen!

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Titel: Erfassung der Emotionen und des Attributionsstils von alkoholabhängigen Personen mit depressiver Symptomatik - eine qualitativ-empirische Untersuchung



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