Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Zur Bedeutung von Traum und Realität
3 Fridolins Abenteuer
4 Albertines Traum
5 Schnitzler und die Psychoanalyse
6 Schlußbemerkung
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Als 1926 Schnitzlers Traumnovelle in Wien erschien, wurde sie als unerhört freizügig empfunden. Um die Jahrhundertwende galten bestimmte Wertvorstellungen und Normen, welche die Verdrängung der sexuellen Wünsche forderten. Schnitzler gehörte zu den Vorreitern, welche die Sexualität in ihren Werken nicht mehr ausklammern wollten.
In seiner Traumnovelle verknüpft er Traum und Realität miteinander und räumt dem Traum einen außergewöhnlich hohen Stellenwert ein. Inwieweit ihm dies gelingt und ob der Traum in diesem Werk der Realität als gleichwertig gelten kann, soll ein Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sein.
Schon der Titel Traumnovelle weist auf die Wichtigkeit des Traumes in der Novelle hin.
Dank der um 1900 erschienen Traumdeutung Freuds wurde dem Traum bereits eine größere Bedeutung als Träger verdrängter, unbewußter oder geheimer Wünsche, beigemessen. Es soll in dieser Arbeit beachtet werden, ob die traumhaften Erlebnisse tatsächlich in diesem Sinne gedeutet werden können und den Protagonisten, durch die Beschäftigung mit ihren Träumen, beziehungsweise traumhaften Erlebnissen, eine Weiterentwicklung ermöglicht wird.
Um in diesem Zusammenhang die traumhafte Ebene in der Novelle wirklich erfassen zu können, wird im folgenden auch Schnitzlers Verhältnis zur Psychoanalyse Freuds zu klären sein.
2 Zur Bedeutung von Traum und Realität
Traum und Realität sind in der Novelle schwer trennbar. Beide Ebenen sind miteinander verwoben und werden so zu einem Gemisch aus Schein und Wirklichkeit, aus verdrängten Wünschen, geheimen Träumen, begleitet von rätselhaften Vorgängen denen oft keine Erklärung folgt. Man kann nur ahnen, aber nichts mit Sicherheit wissen.
Mit Realität hat diese Welt auf den ersten Blick wenig zu tun und doch beschreibt Schnitzler sie außerordentlich real. Möglicherweise um die Wahrhaftigkeit dieser Triebhaften, im Unterbewußtsein verborgenen Welt zu beweisen. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, so läßt sich daraus folgende, durch die Psychoanalyse unterstützte Aussage ableiten, die Welt des Wachens nicht als einzige Wirklichkeit anzusehen und dem
Traum eine größere Bedeutung zuzumessen. Seit Freuds Untersuchungen im Bezug auf die Traumdeutung, welche Schnitzler durchaus bekannt waren[1], kein abwegiger Gedanke mehr.
Beide Ebenen werden durch eine Reihe von Motiven und Polaritäten unterstützt.
Tag steht hier gegen Nacht, Liebe gegen Trieb, Leben gegen Tod, der Wachzustand gegen den Traum, die gesellschaftliche Ordnung gegen das Chaos, oder psychoanalytisch betrachtet, das Ich gegen das Es.[2]
Beide Ehepartner fühlen sich den dunklen Mächten ausgesetzt, die ihre heile Welt zu zerbrechen drohen, spüren am eigenen Leib, dass sie nicht vor den Kräften des Eros gefeit sind. Zum erstenmal zeigt sich dies beiden ganz unvermittelt auf ihrer Dänemarkreise. Beide geraten in Versuchung und beide entgehen dieser mehr aus Zufall denn aus eigenem Willen. „Wenn er mich riefe- so meinte ich zu wissen- ich hätte nicht widerstehen können. Zu allem glaubte ich mich bereit; dich, das Kind, meine Zukunft hinzugeben, glaubte ich mich so gut wie entschlossen“[3] beichtet Albertine ihrem Mann, der wiederum ein erotisches Erlebnis mit dem jungen Mädchen am Steg hat, welchem er am letzten Urlaubstag begegnet. Bevor jedoch die Ehepartner der Versuchung erliegen, ist der Offizier abgereist und das Mädchen weist Fridolin mit einem flehenden Blick zurück.
Dass sie sich diesen Fehler gegenseitig eingestehen, ist für diese Zeit recht ungewöhnlich. Albertine und Fridolin führen also eine sehr fortschrittliche Ehe, in der aber durchaus die konventionelle Rollenverteilung gegeben ist. So ist Fridolin der aktive, praktizierende Arzt, während Albertine als Hausfrau und Mutter zuhause bleibt. Ferner ist sie jungfräulich in die Ehe gegangen, während Fridolin schon sexuelle Kontakte zu anderen Frauen hatte.
„Und wenn es auch mir beliebt hätte, zuerst auf die Suche zu gehen?“[4] fragt sich Albertine und weist mit dieser Aussage schon auf ihren späteren Traum hin, in welchem sie diesen Wunsch auslebt.
Fridolin ist wie aus der Bahn geworfen, als sein Bild von Albertine, von welcher er derartige Wünsche nie erwartet hätte, zu bröckeln beginnt.
Durch ihre Geständnisse geraten die Ehepartner in Zweifel an der Treue des anderen, die Ehe gerät ins Wanken und eine weitere Bewährungsprobe wird notwendig. Diese kommt in Form von Fridolins nächtlichem Abenteuer und Albertines Traum.
3 Fridolins Abenteuer
Das nächtliche Erlebnis Fridolins wird zwar nicht als Traum beschrieben, trägt aber durchaus Attribute eines solchen. So beginnt Fridolins Reise nachts und führt ihn in die lasterhafte Welt des Eros. Auch in der Natur tritt eine plötzliche Veränderung ein: „Auf der Strasse mußte er den Pelz öffnen. Es war plötzlich Tauwetter eingetreten, (...) in der Luft wehte ein Hauch des kommenden Frühlings.“[5] Fridolin kann seine Reaktionen nicht mehr richtig kontrollieren, so folgt er der Prostituierten Mizzi in ihr Zimmer, obgleich solch ein Verhalten sehr untypisch für ihn ist. Er fühlt sich „in irgendeine andere, ferne, fremde Welt“[6] getrieben. Möglicherweise eine Traumwelt; zumindest aber eine Welt in welcher Traum und Realität sich immer mehr angleichen.
[...]
[1] Vgl. Michaela L. Perlmann: Arthur Schnitzler. Stuttgart 1987, S. 159
[2] Vgl. William H. Rey: Arthur Schnitzler. Die späte Prosa als Gipfel seines Schaffens. Berlin 1968, S. 99.
[3] Arthur Schnitzler: Traumnovelle. Stuttgart 2002, S. 14.
[4] Ebd., S. 18
[5] Ebd., S. 20
[6] Ebd., S. 34.