Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Ausgangslage und Relevanz des Themas
1.2 Forschungsfrage und Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit und methodische Vorgehensweise
2. „Remote Leadership“ – Mitarbeiterführung im Wandel
2.1 Arbeit 4.0
2.1.1 Die Megatrends Digitalisierung und Globalisierung
2.1.2 Abgrenzung „Virtuelle Teams“ und „Homeoffice“
2.1.3 Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Arbeit
2.1.4 Homeoffice Kultur
2.2 Definition von Führung und Führungskraft
2.2.1 Virtuelle Führung
2.2.2 Herausforderungen, Anforderungen und Rollenbilder
2.3 Erfolgsvariablen für Remote Leadership
2.3.1 Feedback und Wertschätzung
2.3.2 Selbstführung
2.3.3 Teamkohäsion
2.3.4 Effektive Zielerreichung
3. Fazit und Ableitung der empirischen Forschungshypothesen
4. Empirisches Forschungsdesign
4.1 Untersuchungsplanung
4.1.1 Stichprobenplan
4.1.2 Entwicklung des Erhebungsinstruments
4.1.3 Pretest des Messinstruments
4.2 Untersuchungsdurchführung
4.2.1 Verlauf der Datenerhebung
4.2.2 Aufbereitung und Plausibilitätsprüfung der Untersuchungsbefunde
4.2.3 Skalenreliabilität
4.2.4 Empirische Güte der Forschung
4.2.5 Reflexion der Feldarbeit
5. Darstellung der Forschungsergebnisse
5.1 Charakteristika der Stichprobe
5.2 Zukünftige Arbeitsmodelle
5.3 Signifikanztest der Items
5.4 Überprüfung der Forschungshypothesen
6. Diskussion der zentralen Ergebnisse
7. Kritische Würdigung und Handlungsempfehlungen
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1+2 Interaktionseffekt der Variable Feedback und Wertschätzung mit den unabhängigen Variablen Alter sowie Arbeitszeitmodell
Abbildung 3+4 Interaktionseffekt der Variable Selbstführung mit den unabhängigen Variablen Alter sowie Arbeitszeitmodell
Abbildung 5+6 Interaktionseffekt der Variable Teamkohäsion mit den unabhängigen Variablen Alter sowie Geschlecht
Abbildung 7+8 Interaktionseffekt der Variable Teamkohäsion mit den unabhängigen Variablen Führungskraft ja/nein sowie Arbeitszeitmodell
Abbildung 9+10 Interaktionseffekt der Variable Zieleffektivität mit den unabhängigen Variablen Führungskraft ja/nein sowie Alter
Abbildung 11 Mittelwertergebnisse der t-Tests bei verbundenen Stichproben
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Wilcoxon-Tests auf Unterschiede zwischen Büro und Homeoffice
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
„Vertrauen ist für alle Unternehmungen das große Betriebskapital, ohne welches kein nützliches Werk auskommen kann."1
Durch die zunehmende Anforderung Arbeit auch auf Distanz zu ermöglichen, verändern sich die Arbeitsstrukturen in Unternehmen und beeinflussen die bisherigen Arbeitsabläufe sowie Arbeitsweisen von Mitarbeitern2 und Führungskräften.
Diese Master-Thesis untersucht das Thema „Remote Leadership“ – Einfluss der Digitalisierung auf die Führung von Mitarbeitern auf Distanz. Mittels einer empirischen Untersuchung wird in der vorliegenden Arbeit analysiert, ob und inwiefern Veränderungen bedingt durch die Distanzführung von Mitarbeitern wahrgenommen werden. Hierbei werden sowohl betriebswirtschaftliche als auch sozialwissenschaftliche Aspekte betrachtet und diskutiert.
1.1 Ausgangslage und Relevanz des Themas
Bedingt durch den weltweiten Ausbruch der COVID-19 Pandemie und der damit verbundenen Notwendigkeit, die Ausbreitung durch Kontaktbeschränkungen so weit wie möglich einzudämmen, wurden eine Vielzahl von Unternehmen schlagartig mit neuen, ihnen bislang unbekannten Herausforderungen konfrontiert.3 Trotz der fortschreitenden Digitalisierung im 21. Jahrhundert, den damit einhergehenden technischen Möglichkeiten4 sowie dem Angebot durch den Arbeitgeber zur Arbeit im Homeoffice, haben viele Arbeitnehmer bislang von der Chance der virtuellen Zusammenarbeit im Homeoffice keinen, oder nur bedingt, aktiven Gebrauch gemacht.5 Laut einer Online-Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung im Jahr 2020 gaben lediglich rund 4% der befragten Beschäftigten an, bereits vor Ausbruch der COVID-19 Pandemie regelmäßig im Homeoffice gearbeitet zu haben.6 Gründe für den geringen Grad der Nutzung von Homeoffice können sowohl individuelle als auch unternehmenskulturelle sein.7
Aufgrund der Krisensituation hat eine Vielzahl an Unternehmen die bisherigen Bürotätigkeiten ihrer Beschäftigten ins Homeoffice verlagert. Dazu haben Arbeitgeber innerhalb kürzester Zeit sowohl ihre Arbeitsprozesse als auch diverse Kommunikationskanäle digitalisiert und somit die technischen Voraussetzungen für ihre Beschäftigten geschaffen, im Homeoffice zu arbeiten.8 Dieser Umbruch führt dazu, dass sich die bisherigen gewohnten Arbeitsweisen für Mitarbeiter, Führungskräfte und ihre gesamten Organisationen verändert haben.
Eine Umfrage des Marktforschungsunternehmen Appinio im Dezember 2020 ergab, dass 67% der Befragten zukünftig ein hybrides Arbeitsmodell, das bedeutet partiell im Büro und im Homeoffice arbeiten, befürworten würden.9 Auch Arbeitgeber wollen in Zukunft verstärkt Homeoffice und hybride Arbeitsformen anbieten. Die IHK Berlin befragte hierzu im Jahr 2020 305 Wirtschaftsvertreter. Davon gaben 23,5% an, in Zukunft nach erfolgreicher Eindämmung der Pandemie, mehr Homeoffice zu planen bzw. bereits umzusetzen und 47,4% beabsichtigen, eine hybride Arbeitsform in ihrem Unternehmen zu etablieren.10
Obwohl die Corona-Arbeitsschutzverordnung der Bundesregierung, die die Arbeitgeber zum Angebot von Homeoffice verpflichtete, sofern keine zwingenden betriebliche Gründe entgegenstanden, zum 30. Juni 2021 ausgelaufen ist11, befinden sich weiterhin zahlreiche Arbeitnehmer dauerhaft im Homeoffice, ohne persönlichen Kontakt zu Kollegen oder Vorgesetzten.
Die Absicht vieler Unternehmen, auch nach der Corona-Pandemie zumindest eine hybride Arbeitsform in ihrer Organisation zu etablieren, illustriert die Notwendigkeit, sich wissenschaftlich intensiv mit der Thematik „Remote Leadership“ auseinanderzusetzen und handlungsleitende Maßnahmen zu erarbeiten und zu diskutieren.
1.2 Forschungsfrage und Zielsetzung
Mit der zugrunde liegenden Forschungsfrage dieser wissenschaftlichen Arbeit wird untersucht, ob Mitarbeiter einen Unterschied zwischen der Führung vor Ort im Büro und der Führung auf Distanz im Homeoffice wahrnehmen.
Um das Führungsverhalten im Homeoffice und im Büro miteinander vergleichen zu können, werden die folgenden Variablen empirisch untersucht:
- Feedback und Wertschätzung
- Selbstführung
- Teamkohäsion
- Effektive Zielerreichung
Diese vier Führungsaufgaben werden als wesentliche Aspekte von Führungsverhalten angesehen.
Wie bereits in Kapitel 1.1 erwähnt, wird Homeoffice auch nach der COVID-19 Pandemie ein wichtiger Aspekt in der Arbeitswelt bleiben, wodurch „Remote Leadership“ in Zukunft zu einem festen Bestandteil im Führungskontext wird.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, herauszufinden und mit aussagekräftigen Ergebnissen zu belegen, worin genau die Unterschiede zwischen Führung im Büro und Führung auf Distanz liegen.
Sofern anhand der erhobenen Studienergebnisse nachgewiesen wird, dass sich Mitarbeiterführung bedingt durch die Distanz verändert hat, werden die konkreten Veränderungen und daraus resultierenden Herausforderungen sowie neuen Anforderungen dargestellt und erörtert. Im Speziellen wird untersucht, welches Verhalten, welche Rahmenbedingungen und Kompetenzen erforderlich sind, um die Führung von Mitarbeitern erfolgreich digital abzubilden. Abschließend werden aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen abstrahiert und diskutiert, die für Remote Leadership hilfreich sein können.
1.3 Aufbau der Arbeit und methodische Vorgehensweise
Um die forschungsleitende Fragestellung ganzheitlich zu beantworten, werden im ersten Teil dieser Arbeit zunächst die theoretischen Grundlagen, der bisherige Forschungsstand und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu dem Thema „Remote Leadership“ aus der vorhandenen Literatur zusammengefasst.
Hierfür wird auf den Einfluss der Digitalisierung eingegangen sowie eine Abgrenzung zwischen virtuell verteilt arbeitenden und Homeoffice Teams vorgenommen. Zudem wird die bisherige Haltung zur Homeoffice Kultur in Deutschland sowie die durch die COVID-19 Pandemie erzwungene Umstellung zur Arbeit im Homeoffice thematisiert. Darauf aufbauend wird der Begriff der Führung erörtert und das virtuelle Führungskonzept ausführlich dargestellt. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen und neuen Rollenbilder von Führungskräften folgen im Anschluss. Abschließend werden die vier zentralen Führungsvariablen, die bereits in Kapitel 1.2 genannt werden, theoretisch abgebildet. Das darauffolgende dritte Kapitel fasst die zentralen Erkenntnisse zusammen und führt am Ende zu der Definition der zu untersuchenden Forschungshypothesen.
Der zweite Teil der Ausarbeitung dokumentiert die empirische Untersuchung. Zunächst wird im vierten Kapitel auf das Forschungsdesign eingegangen. Dieses umfasst die Untersuchungsplanung, die Entwicklung des Messinstruments, die Durchführung der Befragung sowie die Aufbereitung der Untersuchungsbefunde.
Die anschließende empirische Darstellung der gewonnenen Forschungsergebnisse erfolgt im fünften Kapitel. Anhand der deskriptiven Auswertungen wird die Stichprobe charakterisiert und die Vorstellung über zukünftige Arbeitsmodelle abgebildet. Darauf folgt der Signifikanztest der Items, den Abschluss bildet die ausführliche statistische Hypothesenüberprüfung.
Nach der Darstellung aller Forschungsbefunde werden im sechsten Kapitel die zentralen Ergebnisse kritisch diskutiert sowie mögliche Ursachen und Folgen erörtert.
Das siebte und letzte Kapitel dient dem Abschluss der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit. An dieser Stelle wird die Untersuchung kritisch gewürdigt und Optimierungsvorschläge für nachfolgende Forschungen formuliert. Abschließend werden resultierend aus den Ergebnissen und der Diskussion Handlungsempfehlungen erörtert.
2. „Remote Leadership“ – Mitarbeiterführung im Wandel
In den nachfolgenden Abschnitten werden zentrale theoretische Grundlagen der virtuellen Führung dargestellt.
2.1 Arbeit 4.0
Im digitalen Zeitalter wird oftmals der Begriff „Arbeit 4.0“ verwendet. Dieser beschreibt zukünftige Arbeitswelten mit ihren Chancen und Schwierigkeiten, die sich durch den verstärkten Einsatz von Technologien im Arbeitsmarkt und Unternehmensstrukturen ergeben.12 Es handelt sich hierbei um einen Sammelbegriff, welcher von der zunehmenden Individualisierung, Digitalisierung und Globalisierung geprägt wird. Diese Entwicklung ist branchenunabhängig und somit als perspektivischer Ausblick für jede Organisation relevant, allerdings in ihren Auswirkungen und Anforderungen, je nach Branche, unterschiedlich. Eine eindeutige Definition von Arbeit 4.0 konnte bisher aus der Forschung nicht abgeleitet werden. Als wesentliche Kernaspekte werden jedoch die Bereiche Flexibilisierung, Organisationsstrukturen und Arbeitsbeziehungen identifiziert. Durch die zunehmende Entkopplung der Arbeit von fixierten Arbeitszeiten und einem festen Arbeitsort wächst der Grad an Flexibilisierung.13 Unternehmen setzen daher verstärkt auf die Erprobung diverser Gleitzeit- und Vertrauensarbeitszeitmodelle und bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit an, ortsflexibel im Homeoffice zu arbeiten.14 Für den erfolgreichen Einsatz von offenen und agilen Arbeitsmethoden bedarf es weniger starrer, hierarchischer Organisationsstrukturen, sodass verstärkt in Netzwerkorganisationen gearbeitet wird. Dies führt folglich dazu, dass Mitarbeiter nicht mehr festen Organisationseinheiten zugeordnet werden und sich infolgedessen Arbeitsbeziehungen verändern. Die Auswirkungen sind also vielschichtig und komplex, sodass sich sowohl Mitarbeiter, Führungskräfte als auch Unternehmen auf veränderte Erwartungen und Anforderungen in Bezug auf Arbeit einstellen sollten.15
2.1.1 Die Megatrends Digitalisierung und Globalisierung
Die Neugestaltung unseres Alltags wird geprägt durch die Nutzung des Internets und den Einsatz neuer digitaler Technologien, die ebenfalls in mobiler Form verfügbar sind und die Interaktion zwischen Menschen grundlegend erweitern. Dadurch eröffnen sich Potenziale für gesellschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen, die ebenfalls tiefgreifende Veränderungen für die Wirtschaft und Arbeitswelt mit sich bringen.16 Somit umfasst der Megatrend Digitalisierung nicht nur den Fortschritt und die Entwicklung neuer Technologien, sondern steht vielmehr für eine grundlegende Transformation auf strategischer, organisatorischer sowie gesellschaftlicher Ebene. Beeinflusst wird die Art und Weise der zukünftigen Zusammenarbeit in Unternehmen sowie die Führung von Mitarbeitern und Organisationen.17
Diese tiefgreifenden Veränderungen infolge der Digitalisierung werden flankiert von dem Megatrend Globalisierung. Auch hierbei handelt es sich um einen Prozess, der die Integration von politischen und ökonomischen Einflüssen unterschiedlicher Weltregionen beschreibt. Dadurch wird der Rahmen für wirtschaftliches und soziales Handeln erweitert und es entstehen weltweite, gegenseitige Abhängigkeiten.18
Die Kombination dieser Megatrends, die Globalisierung in Verbindung mit den vielfältig verfügbaren elektronischen Kommunikationstechnologien, ermöglicht die Kooperation und Zusammenarbeit verteilter Teams, unabhängig von Wohnort, hinweg über Zeitzonen und Kontinente.19
2.1.2 Abgrenzung „Virtuelle Teams“ und „Homeoffice“
„Virtuelle Teams“, „verteilte Teams“, „multikulturelle Teams“ sowie „remote Teams“ sind die gängigsten Bezeichnungen, die in der Literatur verwendet werden. Der zentrale Unterschied und das exklusive Merkmal von virtuellen Teams zu klassischen Präsenzteams ist, dass es sich um eine auf räumliche Distanz verteilte Arbeitsgruppe handelt. Durch die geografische Verteilung wird Distanz im Team sowie zu verschiedenen anderen Ebenen erzeugt und ist bei Büroteams seltener vorzufinden.20 Zudem sind virtuelle Teams unabhängig von organisationalen, zeitlichen oder kulturellen Grenzen.21 Um Arbeitsaufträge zu bearbeiten und gemeinsame Ergebnisse zu erreichen, erfolgt die arbeitsbedingte Abstimmung hauptsächlich durch den Einsatz der zur Verfügung stehenden technologischen Informations- und Kommunikationskanäle. Hierzu zählen analoge (Telefon, Fax) sowie digitale Medien (Unternehmenschat, E-Mail, Videotelefonie oder -konferenzen). Ebenso werden webbasierte Softwareprogramme eingesetzt, um die virtuelle Zusammenarbeit transparent zu organisieren und zu monitoren.22 Auf diese Weise können Mitarbeiter seit Anfang der 2000er Jahre aus verschiedenen Bereichen weltweit zusammenarbeiten. In den letzten fünf Jahren ist die Anzahl virtuell agierender Teams angestiegen.23 Persönliche Begegnungen sind aufgrund der geografischen Distanz schwer durchführbar und finden daher selten statt.24 Auch, wenn sich das virtuelle Team vor allem aufgrund der räumlichen Distanz in der Art der Zusammenarbeit zum Präsenzteam vor Ort unterscheidet, so haben beide Teamarten dennoch ein zentrales gemeinsames Merkmal: Virtuelle Teams stehen genauso wie klassische Präsenzteams in Abhängigkeit zueinander, da gemeinsame Aufgaben, Arbeitsaufträge und Ziele nur durch kooperative Zusammenarbeit erreicht werden können.25 Die Arbeitsgruppe ist der Struktur nach vorhanden.26
Durch die von Ort und Zeit unabhängige Zusammenarbeit virtueller Teams eröffnen sich für Unternehmen und Mitarbeiter neue Perspektiven27 sowie bedeutende Vorteile im Wettbewerb am Markt. Durch die globale Arbeitskooperation gewinnen Unternehmen an internationaler Präsenz, etablieren weltweite Netzwerke, erarbeiten sich einen Wissensvorsprung und identifizieren sowie erschließen vor der Konkurrenz neue Marktpotenziale. Zudem können über den gesamten Globus hinweg Fachkräfte rekrutiert werden, die Unternehmensflexibilität und -agilität kann gesteigert werden und durch den sinkenden Bedarf an Büroflächen und Reisetätigkeiten können Kosten eingespart werden. Die virtuelle Zusammenarbeit impliziert aber auch Risiken und Schwierigkeiten, die nicht zu unterschätzen sind. Hierzu gehören kulturelle und sprachliche Missverständnisse, die die Zusammenarbeit erschweren oder sogar aufgrund von Konflikten das Team scheitern lassen können. Weiterhin sind die Teammitglieder größtenteils auf sich allein gestellt und sollten einen hohen Grad an Selbstorganisation mitbringen. Auch der Motivationsaspekt ist zu beachten, denn aufgrund der Zusammenarbeit auf Distanz wird es schwierig, eine dauerhafte Motivation aufrechtzuerhalten. Für Vorgesetzte ist die Führung, Steuerung und Organisation von verteilten Teams im Vergleich zu einem klassischen Präsenzteam herausfordernder.28
„Ein virtuelles Team ist – wie jedes andere Team – eine Gruppe von Menschen, die mittels voneinander abhängiger – interdependenter – Aufgaben, die durch einen gemeinsamen Zweck verbunden sind, interagieren. Im Gegensatz zum konventionellen Team arbeitet ein virtuelles über Raum-, Zeit- und Organisationsgrenzen hinweg und benutzt dazu Verbindungsnetze, die durch Kommunikationstechnologien ermöglicht werden.“29
Die zeitweise Ausführung von beruflichen Tätigkeiten von Mitarbeitern aus dem eigenen Zuhause heraus wird als „Homeoffice“ bezeichnet.30 Synonyme Begriffe in dem Zusammenhang sind „Telearbeit“, „Heimarbeit“ oder auch aus dem englischen Sprachgebrauch „remote-work“.31
Für den Begriff Homeoffice gibt es bislang noch keine gesetzliche Definition. Im Allgemeinen wird unter Homeoffice das vollumfängliche oder anteilige Arbeiten aus dem privaten Umfeld des Arbeitnehmers verstanden.32
Für die Arbeit im Homeoffice ist es erforderlich, dass die Arbeitnehmer mit zu Verfügung gestellten Laptops oder vom Arbeitgeber installierten Desktop-Computern ausgestattet werden und selbst über einen Internetzugang verfügen, damit sie sich mit dem firmeneigenen Intranet verbinden können. Werden diese Voraussetzungen erfüllt, können Angestellte auch aus dem Homeoffice konstruktiv zusammenarbeiten. Jedoch muss eine Abgrenzung zu der Arbeitsform des „mobilen Arbeitens“ erfolgen. Mitarbeiter können beim mobilen Arbeiten frei entscheiden, von welchem Ort aus sie ihrer Tätigkeit nachgehen. Dies bedeutet, dass sie nicht an ihren Arbeitsplatz zu Hause oder im Büro gebunden sind. Dieses Konzept wird als Weiterentwicklung der Arbeitsform Homeoffice verstanden und überwiegend von beruflich reisenden Beschäftigten genutzt.33
Der Vorteil der Arbeit von zu Hause aus ist, dass alle Beschäftigtengruppen, unabhängig von Geschlecht, Alter und Position, die ihre Arbeit überwiegend über den Computer erledigen, das Angebot nutzen können. So lassen sich Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren.34 Weitere Vorteile für Beschäftige sind die Möglichkeit zur flexiblen Arbeitszeiteinteilung, der Wegfall der Fahrtzeit zum Arbeitgeber, so wie vermeintlich weniger Ablenkung am Arbeitsplatz. Unternehmen haben Einsparungen durch einen geringeren Büroraumbedarf und Energieverbrauch, eine höhere Reichweite im Recruiting von Spezialisten und profitieren von der steigenden Eigenverantwortung sowie Produktivität ihrer Mitarbeiter. Zu den Nachteilen zählen die soziale Isolation der Arbeitnehmer durch den fehlenden persönlichen Kontakt und der Kommunikation mit Kollegen, die Entgrenzung des Arbeits- und Lebensalltags, das Erfordernis einer hohen Selbstdisziplin sowie -organisation und die Schwächung des Teamgefühls. Organisationen stehen vor größeren Herausforderungen im Onboarding Prozess neuer Mitarbeiter, die Unternehmenskultur verliert an Bedeutung, wodurch die Gefahr einer geringeren Identifikation mit dem Arbeitgeber besteht. Technische Schwierigkeiten können additional zu Arbeitsausfällen führen.35 Für Vorgesetzte ist eine der zentralen Herausforderungen in der virtuellen Zusammenarbeit die Mitarbeiterführung auf Distanz unter Einsatz von elektronischen Medien.36
Zusammenfassend wird festgestellt, dass der grundlegende Unterschied zwischen „virtuellen Teams“ und „Homeoffice“ in der Distanz innerhalb des Teams und zu weiteren Ebenen liegt.37 Virtuelle Teams zeichnen sich durch dieses exklusive Merkmal aus. Homeoffice Mitarbeiter haben diese Distanz in dem Maße nicht zu ihren Kollegen oder anderen Ebenen, da sie ebenfalls ihrer Tätigkeit im Büro nachgehen und dort in persönlichen Kontakt treten können.
2.1.3 Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Arbeit
Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgrund der weltweit rapiden ansteigenden Fallzahlen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 mit der Bezeichnung „COVID-19-Virus“ offiziell zu einer Pandemie.38 Die Gefahr des Virus SARS-CoV-2 ist, dass die virushaltigen Partikel durch Atmen, Sprechen, Niesen, Husten und Singen von Mensch zu Mensch, mittels der sogenannten Tröpfcheninfektion, übertragen werden.39 Bedingt durch die hohe Ansteckungsgefahr hat die Bundesregierung seit März 2020 eine Vielzahl von Maßnahmen erlassen, um die sozialen Kontakte zu reduzieren und so den Verbreitungsgrad der Infektionskrankheit einzudämmen. Viele Unternehmen haben umgehend reagiert und ihren Beschäftigten, sofern es ihr Tätigkeitsfeld erlaubte, die Arbeit aus dem Homeoffice ermöglicht bzw. sie dazu aufgefordert. Diese plötzliche Veränderung stellt Organisationen, ihre Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen vor neue Herausforderungen.40 Die Möglichkeit die Arbeitstätigkeit im Homeoffice auszuführen, wurde Mitarbeitern im Jahr 2018 bereits von 39% der Unternehmen unterbreitet.41 Nichtsdestotrotz herrschte in deutschen Unternehmen weiterhin eine hohe Anwesenheitskultur.42 Durch die geringe Nutzung der Homeoffice Tätigkeit, war der Anteil der Führungskräfte, die aus der Distanz ihre Mitarbeiter führen mussten, entsprechend gering. Dies änderte sich mit dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie.
Die weiter anhaltende kritische Pandemiesituation führte dazu, dass die Führung von Mitarbeitern seit dem vergangenen Jahr einen starken Wandel erlebt hat. Der persönliche Kontakt zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern wurde auf Grund der vielfach erlassenen Homeoffice Regelungen stark reduziert. Der Austausch fand von nun an primär auf digitaler, virtueller Ebene statt.43 Die klassische Führung vor Ort hat sich somit innerhalb kürzester Zeit zu „Remote Leadership“ gewandelt. Daraus ergeben sich für Führungskräfte neue Herausforderungen und Spannungsfelder, da der Einfluss der Digitalisierung eine Neugestaltung des Führungsverhaltens erforderlich macht. Das Verhältnis von Kontrolle und Vertrauen, Nähe und Distanz sowie Integration und Autonomie müssen neu definiert werden.44
2.1.4 Homeoffice Kultur
In deutschen Unternehmen herrscht bislang überwiegend eine hohe Anwesenheitspflicht45, die von Mitarbeitern durch Präsenz am Arbeitsplatz erfüllt wird. Die Ursache hierfür ist die postindustrielle Arbeitsmoral, die auch die heutige Arbeitswelt noch stark prägt. Diese ist in den hierarchischen Top-down Unternehmensstrukturen wiederzufinden. Klar definierte Arbeitszeiten erzeugen eine Scheinproduktivität, Loyalität und ermöglichen Kontrolle. Diese Faktoren werden höher bewertet als die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung und kooperatives Vertrauen.46 Der europaweite Vergleich zur Nutzung von Homeoffice im Jahr 2018 ergab, dass die Niederlande (14%), Finnland (13,3%) Luxemburg (11%) sowie Österreich (10%) deutlich vor Deutschland (5%) lagen. Auch Belgien und Frankreich wiesen mit 6,6% eine höhere Homeoffice Quote auf.47 Laut einer aktuellen Studie des Ifo Instituts wird das Homeoffice Potential in Deutschland allerdings auch im Jahr 2021 nicht vollends ausgeschöpft, da die Obergrenze der Homeoffice Nutzung ca. bei 56% liegt und aktuell rund 30% der Beschäftigten ihrer Tätigkeit von zu Hause aus nachgehen.48
Die Nicht-Inanspruchnahme von Homeoffice hat verschiedene Gründe: Berufliche Tätigkeiten im Handwerk, in der Produktion oder auch im Einzelhandel fallen zwangsweise aus dem Möglichkeitsraum heraus, da sie nicht von zu Hause aus leistbar sind und eine Anwesenheit vor Ort erfordern.49
Insgesamt zeigen Vorgesetzte öfters Bedenken gegenüber der Arbeit im Homeoffice und fordern die Präsenz ihrer Mitarbeiter ein, um auf diese Weise einem möglichen Kontrollverlust entgegenzuwirken, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu kontrollieren50 und das Monitoring durch deren Anwesenheit am Arbeitsplatz aufrechtzuerhalten.51 Homeoffice erfordert ein hohes Maß an Autonomie und Vertrauen, wozu einige Führungskräfte noch nicht bereit sind.52 Begleitet werden diese Sorgen aber auch aufgrund mangelnder Erfahrungswerte und Unsicherheiten hinsichtlich der Mitarbeiterführung auf Distanz.53 Ebenso werden von Mitarbeiterseite unterschiedliche Gründe angegeben, weswegen das Angebot von Homeoffice nicht aktiv genutzt wird. Zum einem ist die Forderung und Haltung des Vorgesetzten zur Präsenzkultur bekannt, zum anderen wird auch die Umsetzung der eigenen beruflichen Tätigkeit im Homeoffice in Frage gestellt. Des Weiteren legen Beschäftigte Wert darauf, Privat- und Berufsleben bewusst voneinander zu trennen und zweifeln ihre eigene technische Ausstattung zur Ausführung ihrer Tätigkeiten an. Auch potenzielle Schwierigkeiten durch die virtuelle Zusammenarbeit im Team werden genannt.54
Um eine Homeoffice Kultur im Unternehmen zu etablieren, sollten zwei wesentliche Aspekte erfüllt werden: Zum einem sollte der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass die technischen und organisatorischen Voraussetzungen vorhanden sind. Zum anderen sollte eine Veränderung und Adaptierung der Unternehmenskultur initiiert werden, die nicht ausschließlich auf die Präsenz der Mitarbeiter ausgerichtet ist, sondern sich vielmehr auf eine Ergebniskultur konzentriert. Entscheidende Faktoren sind in diesem Zusammenhang eine wertschätzende Kommunikation, eine starke Vertrauensbasis, gute organisatorische Bedingungen zur Tätigkeitsausführung sowie die Führungsstruktur. Dieser Wandel sollte von Vorgesetzten in ihrer Haltung und ihrem Führungsverhalten sichtbar werden. Wenn die Vorbildfunktion eingenommen wird, indem sie selbst aktiv aus dem Homeoffice arbeiten, werden ihre Mitarbeiter ermutigt, diesen Schritt ebenfalls zu wagen. Auf diese Weise kann sich eine Kultur hin zum Homeoffice entwickeln und in Zukunft die Arbeit von zu Hause stärker in Anspruch genommen werden.55
2.2 Definition von Führung und Führungskraft
Der Themenfokus dieser Ausarbeitung liegt auf der Führung von Mitarbeitern durch Vorgesetzte. Daher ist es erforderlich, zu Beginn auf die Definitionen der Begriffe „Führung“ und „Führungskraft“ einzugehen, um ein grundlegendes Verständnis zu ermöglichen.
Der erste Abschnitt definiert den Begriff Führung. In der Praxis und Theorie sowie in dieser Ausarbeitung werden synonym auch die Bezeichnungen Leadership56, Mitarbeiterführung oder Personalführung57 verwendet.
In der Literatur findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen von Führung. Die folgende begriffliche Erklärung umfasst wesentliche Aspekte von Mitarbeiterführung: „Im engeren Sinne wird Führung meist als die direkte Interaktion zwischen Menschen in Organisationen gesehen, in der Vorgesetzte sich darum bemühen, die ihnen unterstellten Personen zielgerichtet zu aktivieren, zu steuern und zu kontrollieren, um die Ziele der Gruppe, der Abteilung und der Organisation zu erreichen.“58
Führung stellt somit einen entscheidenden Wirkungsfaktor auf das Verhalten von Mitarbeitern in Unternehmen dar, welches wiederum maßgeblich den Erfolg des Unternehmens beeinflusst, indem Ziele wie bspw. Gewinn, Wachstum, Produktivität und Marktanteile erreicht oder sogar übertroffen werden. Um erfolgreich zu führen, bedarf es der Betrachtung weiterer entscheidender Faktoren. Das Führungsverhalten und die Führungssituation haben einen zentralen Einfluss auf die Güte der Führung. Mitarbeiter beobachten das Verhalten ihrer Führungskraft, welches sich unmittelbar auch auf das eigene Verhalten auswirkt. Zudem ist die Führungssituation mit zu berücksichtigen, die ebenso in Abhängigkeit mit dem gezeigten Führungsverhalten des Vorgesetzten steht. Die daraus hervorgehende Leistung der geführten Mitarbeiter ist ein Indikator für Führungserfolg, da Vorgesetzte ihre Mitarbeiter dazu befähigen sollen, Leistung zu erbringen. In der Literatur wird zwischen einem mitarbeiterorientiertem und aufgabenorientiertem Führungsverhalten differenziert. Das Wohlbefinden, die persönlichen Bedürfnisse sowie der respektvolle Umgang mit der geführten Person sind Aspekte der mitarbeiterorientierten Führung. Dem gegenüber steht die aufgabenorientierte Führung, die die Zielerreichung des Unternehmens fokussiert.59
Um diese gemeinsamen Ziele zu erreichen und Leistung zu erzeugen, bedarf es eines Interaktionsprozesses zwischen Mitarbeiter und Führungskraft, welcher beidseitig beeinflusst und gestaltet wird. Aus diesem Grund wird Führung auch als Gestaltung der Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter verstanden, da alle Beteiligten für den Aufbau und Erhalt mitverantwortlich sind. Mitarbeiter haben somit wesentlichen Einfluss auf die Qualität der Führung. Führung ist demzufolge ein Prozess, welcher durch verschiedene Faktoren bedingt wird und nicht aus einzelnen, in sich abgeschlossenen Handlungen besteht.60 Es lässt sich abstrahieren, dass effiziente Teamarbeit Führung bedarf, um die einzelnen Leistungserbringungen der Mitarbeiter zur Erfüllung des übergeordneten Ziels zu koordinieren, einen Wissenstransfer sicherzustellen sowie den Zusammenhalt des Teams auf sozialer Ebene zu stärken und zu fördern.61
Eine Kernvariable von Führung ist die Rolle und das Verhalten der Führungskraft. Führungskräfte werden oftmals auch als Vorgesetzte, Chef und Manager bezeichnet.62 Immer häufiger wird in diesem Zusammenhang der Begriff Leader verwendet, welcher aus dem englischen Sprachgebrauch stammt. Diese Begrifflichkeiten werden in der vorliegenden Thesis entsprechend verwendet.
Die einschlägige Literatur bietet eine Vielzahl an Veröffentlichungen zu der Begrifflichkeit Führungskraft an. Allerdings liegt auch hierfür keine allgemeingültige oder einheitliche Definition vor. Ein Definitionsvorschlag wurde folgendermaßen formuliert: „Als „Führungskraft oder Führungsperson“ werden hier Personen bezeichnet, die aufgrund der Entscheidung des Unternehmens das Recht haben (legitime oder formale Führer), den Mitarbeitern in ihrem Verantwortungsbereich Weisungen zu geben“.63 Demzufolge zeichnen sich Führungskräfte durch formal unterstellte Mitarbeiter aus, denen gegenüber sie eine Führungsverantwortung tragen sowie über eine Weisungsbefugnis verfügen.64
Führung ist ein dynamischer Prozess und erlebt durch jede Ära Veränderungen, da vielfältige gesellschaftliche und organisatorische Einflüsse einwirken.65 Durch die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung haben sich in Unternehmen flexible und dezentrale Organisationsformen entwickelt66, die den Einsatz neuer, sich stetig weiterentwickelnder Kommunikations- und Informationsmittel in Organisationen bewirken sowie geografisch und zeitlich verteilte Arbeitsstrukturen bedingen. Diese Veränderungen stellen neue Anforderungen an Führungskräfte dar und führen den Übergang zu neuen Führungsformen herbei.67
In den nachfolgenden Kapiteln wird das virtuelle Führungskonzept ausführlich dargestellt sowie auf die damit verbundenen Veränderungen für Führungskräfte eingegangen. Die Führung von virtuellen Teams ist vergleichbar mit der Führung von Mitarbeitern im Homeoffice.68
2.2.1 Virtuelle Führung
Für die Mitarbeiterführung in der digitalen Arbeitswelt finden sich in der Literatur unterschiedliche Terminologien. Die gängigsten Bezeichnungen aus dem englischen Sprachgebrauch sind „remote leadership“, „distance leadership“, „E-leadership” sowie „virtual leadership”. Oftmals werden diese Begrifflichkeiten auch im deutschen Sprachgebrauch verwendet oder die deutsche Übersetzung „verteilte Führung“, „Führung auf Distanz“, „E-Leadership“ sowie „virtuelle Führung“ genutzt.69 Im englischsprachigen Raum wird die Arbeit im Homeoffice als „remote work“ bezeichnet.70 Im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung werden die Bezeichnungen „Remote Leadership“, „Führung auf Distanz“ sowie „virtuelle Führung“ verwendet.
Die erste empirische Forschung zur virtuellen Führung wurde im Jahr 1997 durchgeführt.71 Zu Beginn des 21. Jahrhundert wurden zunehmend mehr Untersuchungen, überwiegend kontrollierte Experimente und nur wenige Feldstudien in Bezug auf die Führung virtueller Teams durchgeführt.72 Im Verlauf der letzten 20 Jahre wurden weitere Publikationen veröffentlicht und die Thematik in der Wissenschaft verstärkt fokussiert und diskutiert. In diversen Definitionen von Führung auf Distanz werden oftmals zentrale Elemente der traditionellen Führungsdefinitionen aufgegriffen.73 Die Merkmale der traditionellen Mitarbeiterführung lauten: „1. Direkte Einflussnahme von Vorgesetzten auf Mitarbeiter, 2. zielgerichtet, 3. in Organisationen.“74
Virtuelle Führung wird in dieser Ausarbeitung entsprechend als Führungskonzept und nicht als Führungsansatz verstanden. Die drei aufgeführten traditionellen Führungsaspekte finden sich ebenfalls im Remote Leadership wieder. Der Unterschied liegt ausschließlich in der Ausführung der Merkmale, den spezifischen Kontextbedingungen und den damit zusammenhängenden Anforderungen an Führungsstrategien. Aufgrund dessen wird von einem Führungskonzept gesprochen.75 Führungskonzepte beschreiben die praktische Anwendung sowie Ausgestaltung von Führung in einem bestimmten Bezugsrahmen, im vorliegenden Fall dem virtuellen Kontext.76
Der Prozess der zielgerichteten Einflussnahme des Vorgesetzten auf einen oder mehrere Mitarbeiter im virtuellen Kontext wird als Führung auf Distanz verstanden. Einflussnehmende Prozessvariablen sind der unternehmerische Kontext sowie die individuellen Fähigkeiten, das Verhalten und die Eigenschaften der Mitarbeiter und Führungskräfte. Beide Personengruppen beeinflussen sich gegenseitig in einem Führungsprozess, welcher hauptsächlich aufgrund der örtlichen Entfernung auf der Interaktion mittels technischer Kommunikationsmedien basiert.77
Führung von Mitarbeitern auf Distanz unterscheidet sich entsprechend in drei wesentlichen Merkmalen von der traditionellen Kontakt-Führung von Mitarbeitern im Büro. Zwischen Mitarbeitern und ihrer Führungskraft besteht eine räumliche Distanz sowie wenig direkter persönlicher Kontakt. Die Zusammenarbeit erfordert neue, veränderte virtuelle Arbeitsstrukturen und Organisationsformen und der Führungsprozess ist stark geprägt von einer medienunterstützten Kommunikation.78
Aufgrund dessen wird auch die virtuelle Führung als wechselseitiger Beeinflussungsprozess zwischen Geführten und Führungskraft verstanden.79 Die zu führenden Zielgruppen, Individuen sowie Teams unabhängig von der zugehörigen Hierarchiestufe, stellen eine weitere Gemeinsamkeit der beiden zu vergleichenden Führungskonzepte dar. Die entscheidende Besonderheit des remote Führungsprozesses, der einen neuen Kontext für Führung bewirkt, ist die vordergründliche Bedeutung der modernen Technologien. Denn erst durch deren Einsatz wird Führung zwischen den betroffenen Personen realisierbar.80 Die Ausübung der mediengestützten Personalführung wird in zahlreichen Definitionen zur virtuellen Führung als wesentliche Komponente aufgeführt.81 Durch den Einsatz von Internet/Intranet-Zugänge, E-Mail-Dienste, Chats, Foren sowie Telefon- bzw. Videokonferenzen82 wird eine erweiterte Führungsspanne sowie erhöhte Flexibilität ermöglicht.83 Informationen können eine größere Anzahl an Mitarbeitern zur selben Zeit erreichen.84 Zudem ermöglichen digitale Clouds eine einfache und schnelle Projektzusammenarbeit.85
Die Zusammenführung der Mitarbeiter mit den zur Verfügung stehenden technischen Medien ist für die virtuelle Zusammenarbeit unabdinglich. Es bedarf der Qualifizierung sowie Motivation der Mitarbeiter durch den Vorgesetzten, um deren Haltung, Emotionen und Verhalten zu beeinflussen und die Aufrechterhaltung ihrer Leistung in der remote Zusammenarbeit sicherzustellen.86
Als zentrale Unterschiede zur klassischen Kontakt-Führung werden die Selbstorganisation der Mitarbeiter sowie die Abwendung hierarchischer Steuerung durch den Vorgesetzten hin zur Selbststeuerung durch den Mitarbeiter identifiziert. Auch wenn die virtuelle Zusammenarbeit stärker durch Selbstführung geprägt wird, impliziert das nicht, dass keine Führung mehr notwendig ist, da die Aktivitäten weiterhin auf die Unternehmensziele ausgerichtet werden sollen und das soziale Gefüge des Teams gestärkt und gesichert werden soll.87 Der Bedarf an Personalführung wird auch bei der virtuellen Zusammenarbeit bestehen bleiben.88
2.2.2 Herausforderungen, Anforderungen und Rollenbilder
Virtuelle Führungskräfte werden mit herausfordernden Spannungsfeldern von Nähe und Distanz, Integration und Freiraum sowie Kontrolle und Vertrauen konfrontiert.89
Um Distanzen mittels notwendiger elektronischer Medien zu überwinden und systematisch Vertrauen aufzubauen, wird eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit der Führungskraft erforderlich.90
Die virtuelle Zusammenarbeit, teilweise in asynchroner Form von verschiedenen Standorten aus, reduziert die direkten face-to-face Begegnungen zwischen Führungskraft und Mitarbeitern, sodass die Aufrechterhaltung der hierarchischen Strukturen von Führung sowie die gezielte Beeinflussung von Mitarbeiterverhalten für Vorgesetzte neue Herausforderungen darstellen.91 Der Mangel an physischer und sozialer Interaktion erschwert im virtuellen Kontext den gegenseitigen Vertrauensaufbau, beeinflusst die Bereitschaft zu Engagement92 und führt zu Missverständnissen in der Kommunikation.93 Bedingt durch die überwiegend schriftlich stattfindende Kommunikation94 fehlt weitestgehend die Wahrnehmung der Körpersprache (Mimik, Gestik) des Gegenübers, wodurch die Qualität sowie Intensität virtueller Interaktion stark beeinflusst wird.95 Folglich wird die Identifizierung sowie Interpretation von Emotionen und Verhalten beeinträchtigt.96
[...]
1 Schweitzer, 1954.
2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der Ausarbeitung verallgemeinernd das generische Maskulinum
verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen weibliche und männliche Personen sowie alle
weiteren Geschlechter; alle werden damit selbstverständlich gleichberechtigt angesprochen.
3 s. Deloitte, 2020, S.1.
4 s. Becker/Knop, 2015, S.1-2.
5 s. Deloitte, 2020, S.1.
6 s. Hans-Böckler-Stiftung, 2021.
7 s. Deloitte, 2020, S.1.
8 s. Deloitte, 2020, S.1-2.
9 s. Appinio, 2020.
10 s. IHK Berlin, 2020a, S.2.
11 s. BPA, 2021.
12 s. Lindner, 2020, S.2.
13 s. Bruckner/Werther, 2018, S.15-18.
14 s. Lindner, 2020, S.2.
15 s. Bruckner/Werther, 2018, S.17-18.
16 s. Hämmerle et al., 2018, S.5.
17 s. Petry, 2019, S.23-24.
18 s. Widuckel, 2015, S.31.
19 s. Krejci, 2009, S.303.
20 s. Boos et al., 2017, S.3-4.
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