Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Problemstellung
2 Zielsetzung
3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
3.1 Beschreibung der evolutionären Entwicklung des Menschen bezüglich körperlicher Aktivität
3.2 Körperliche Aktivität
3.2.1 Arten körperlicher Aktivität
3.2.2 Messung von körperlicher Aktivität
3.3 Begriffsklärung „Gesundheit“
3.3.1 Biomedizinisches Krankheitsmodell
3.3.2 Biopsychosoziales Modell
3.3.3 Salutogenesekonzept nach Antonovsky
3.3.3.1 Generelle Widerstandsressourcen
3.3.3.2 Kohärenzgefühl
3.4 Begriffsklärung „psychische Gesundheit“
3.4.1 Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit
3.4.2 Modelle der psychischen Gesundheit
3.4.2.1 Regulationskompetenzmodell
3.4.2.2 Selbstaktualisierungsmodell
3.4.2.3 Sinnfindungsmodell
3.4.2.4 Synthese der Modelle
3.5 Beschreibung des Zusammenhangs von körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit
3.5.1 Positive gesundheitsbezogene Konsequenzen
3.5.2 Negative gesundheitsbezogene Konsequenzen
3.5.3 Gesundheitliche Risiken/Folgen körperliche Inaktivität
3.6 Darstellung der gegenwärtigen Situation
3.6.1 Gegenwärtige Situation hinsichtlich psychischer Gesundheit
3.6.1.1 Deutschland
3.6.1.2 Weltweit
3.6.2 Gegenwärtige Situation hinsichtlich körperlicher Aktivität
3.6.2.1 Deutschland
3.6.2.2 Weltweit
3.7 Maßnahmen und Programme zur Förderung körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit
3.8 Kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschungslage
4 Methodik
4.1 Literaturrecherche über PubMed
4.2 Zusammenfassende Darstellung der Literaturrecherche
4.3 Übersicht aller inkludierter Studien
5 Ergebnisse
6 Diskussion
7 Zusammenfassung
8 Literaturverzeichnis
9 Abbildungs-, Tabellen-, Abkürzungsverzeichnis
9.1 Abbildungsverzeichnis
9.2 Tabellenverzeichnis
1 Einleitung und Problemstellung
„Ein schwacher Körper schwächt die Seele“ und „Vor allem wegen der Seele ist es nötig, den Körper zu üben“ lauten Zitate von Jean-Jacques Rosseau. Bereits im 18. Jahrhundert wurde die körperliche Aktivität mit der psychischen Gesundheit in Zusammenhang gebracht. Das Wohlbefinden vieler Menschen beruht auf ihrer eigenen körperlichen Wahrnehmung; doch nicht nur das soll ein Grund zu Sport und mehr Aktivität im Alltag sein. Es stellt sich die Frage, ob Sport und körperliche Aktivität auch vorbeugend vor seelischer Krankheit schützen und diese behandeln können.
Die psychische Gesundheit eines Menschen wird durch viele Einflussfaktoren geprägt. Negative Einflussfaktoren erhöhen das Risiko von psychischen Erkrankungen. Diese können sehr komplex sein und den Verlust von Freude und Antrieb, Niedergeschlagenheit, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten sowie Schlaf- und Appetitstörungen auslösen. Begleiterscheinungen können außerdem suizidale Gedanken und Handlungen, Innere Leere und Verzweiflung sein (Becker & Minsel, 1982).
Ein Blick auf die Statistik der deutschen Rentenversicherung (2020, S. 98-109) zeigt, dass die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach ausgewählten Diagnosegruppen in den letzten 20 Jahren einen extremen Anstieg in der Rubrik „psychische Störungen“ aufweist. Im Jahr 1993 waren 15,3% der 270.059 vermindert erwerbsfähigen Männer und Frauen mit psychischen Störungen belastet. Seit 2011 schwankt diese Zahl zwischen 40,7% und 43,0% von durchschnittlich 170.000 vermindert Erwerbsfähigen. Keine andere Diagnosegruppe weist eine solch hohe Ziffer auf. Des weiteren ist aus der Statistik zu entnehmen, dass stets mehr Frauen als Männer davon betroffen sind. Diese hohen Zahlen liegen dem hohen gesellschaftlichen Stresspensum zugrunde.
Eine Studie der Techniker Krankenkasse (2016, S. 6) macht deutlich, dass sich mehr als die Hälfte der Befragten immer wieder gestresst fühlen. Frauen empfinden ihr Leben zu 63% stressbelastet, Männer sind mit 58% fast gleichauf. Von den Manchmal Gestressten haben 16% angegeben, seelische Probleme zu haben. Auffällig ist, dass sich 36% der 40- bis 49-Jährigen über psychische Beschwerden beklagen. In den letzten 15 Jahren wurde der Depression den Ruf einer Volkskrankheit zugeschrieben (S. 50).
Eine Bewegungsstudie der Techniker Krankenkasse (S. 18) hat ergeben, dass sich in Deutschland jeder Zweite als Sportmuffel oder Antisportler beschreiben würde. Nur einer von drei Befragten kommt täglich auf eine Stunde Alltagsbewegung. Dennoch geben sechs von zehn Befragten, die sich gesund fühlen, an, Sport zum Ausgleich zu nutzen. Es ist also anzunehmen, dass alltägliche Bewegung und Sport zu dem Abbau von Stress dient.
Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts von November 2014 bis Juli 2015 erreichen 42,6% der Frauen und 48,0% der Männer die WHO-Empfehlung zur Ausdaueraktivität. Die WHO-Empfehlung für muskelkräftigende Aktivitäten mindestens zweimal pro Woche zu erreichen gaben 27,6% der Frauen und 31,2% der Männer an (Robert-Koch-Institut, 2017, S. 37).
Diese Daten zeigen, dass die Effektivität von Bewegung im Hinblick auf die Behandlung und Prävention von psychischen Krankheiten noch lange nicht erreicht ist. Eine fundierte Aufklärung der Bevölkerung über die Vorteile körperlicher Aktivität und die versteckten Zusammenhänge körperlicher und geistiger Erkrankungen sollten den Grundbaustein zu einer verbesserten Gesundheit, sowohl physisch als auch psychisch, setzen.
2 Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist, den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit in Form eines systematischen Reviews darzustellen. Es wird die Frage aufgearbeitet, inwiefern körperliche Aktivität den Erhalt der psychischen Gesundheit oder etwa die Heilung depressiver Erkrankungen beeinflusst.
Um das Verständnis für die Thematik zu erleichtern, werden Begriffe wie beispielsweise „psychische Gesundheit“ und „körperliche Aktivität“ zunächst näher erläutert. Des weiteren werden diese Komponenten auf Grundlage des aktuellen Forschungsstandes hinsichtlich ihrer Wirkung aufeinander dargestellt.
Im weiteren Verlauf soll die Untersuchung von Primärstudien die Fragestellung, welche Auswirkungen körperliche Bewegung auf die psychische Gesundheit hat, konkreter beantworten.
3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
Im Folgenden werden wesentliche Begriffe näher beschrieben, um den aktuellen Kenntnisstand der Thematik der Arbeit zu verstehen.
3.1 Beschreibung der evolutionären Entwicklung des Menschen bezüglich körperlicher Aktivität
Bei näherer Betrachtung der evolutionären Entwicklung des Menschen hinsichtlich der körperlichen Aktivität wird deutlich, dass die heutige Gesellschaft im Vergleich zur Vergangenheit einen Mangel an Bewegung aufweist.
Der sich entwickelnde Mensch war von der Leistungsfähigkeit seines Körpers zum Überleben abhängig, da er in Gefahrensituationen bereit sein musste, entweder fliehen oder angreifen zu können (Cordain, Gotshall, Eaton & Eaton, 1998).
Während in der näheren Vergangenheit schwere, körperliche Arbeiten vorherrschten und es üblich war, fußläufige Strecken mit Verzicht auf öffentliche Verkehrsmittel sowie eigene PKWs zurückzulegen, ist die körperliche Bewegung im Alltag eines Menschen heutzutage nicht mehr damit vergleichbar.
Durch die Industrialisierung und Digitalisierung des Computerzeitalters übt ein Großteil der Bevölkerung heutzutage einen Beruf aus, der hauptsächlich sitzende Tätigkeiten fordert und die Ausführung vieler Arbeitsprozesse ist nicht mehr mit körperlicher Aktivität verknüpft (Rifkin, 1995, S. 5).
Daher ist die Aktivitätsgestaltung in der Freizeit zum Erhalt und der Steigerung der körperlichen Fitness umso wichtiger geworden, um unsere Gesundheit zu fördern.
3.2 Körperliche Aktivität
Durch regelmäßige körperliche Aktivität wird das Risiko vieler Erkrankungen gesenkt und gleichzeitig wird die Behandlung dieser Krankheiten gefördert, bspw. Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes mellitus Typ II und Kolonkrebs (Bouchard, 1994).
Das Risiko für Übergewicht, Osteoporose und Rückenprobleme wird ebenso vermindert. Deutsche Studien haben ergeben, dass ausreichende körperliche Aktivität mit einer höheren Lebenserwartung zusammenhängen (Mensink, 1996).
Sie kann nach Zweck oder Wirkung unterschieden werden. Zweckmäßige Aktivitäten sind z.B. berufs-, transport-, haushalts- oder freizeitbezogene körperliche Aktivitäten; die Wirkungsweise wird in Kraft oder Ausdauer unterteilt (RKI, 2003, S. 3).
Nach WHO-Empfehlung sollten Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten körperlich aktiv sein. In diesem Fall sollten aerobe Aktivitäten von moderater bis hoher Intensität ausgeführt werden. Eine aerobe Aktivität von 75 bis 150 Minuten sei auch ausreichend, wenn sich dabei mit hoher Intensität bewegt wird.
Des Weiteren sollten an zwei oder mehreren Tagen in der Woche ein umfassendes Training von mindestens moderater Intensität zum Muskelaufbau aller wichtigen Muskelgruppen durchgeführt werden, um zusätzliche gesundheitliche Vorteile zu erzielen.
Ab dem 65. Lebensjahr sollte an mindestens drei Tagen in der Woche ein Bewegungsprogramm ausgeübt werden, bei dem das Gleichgewicht, die Koordination und die Stärkung der Muskelkraft im Mittelpunkt stehen (WHO, 2018).
3.2.1 Arten körperlicher Aktivität
Da im Allgemeinen der Unterschied zwischen körperlicher und sportlicher Aktivität nicht bekannt ist, müssen die Begriffe wissenschaftlich differenziert werden. Als körperliche Aktivität wird jede durch die Skelettmuskulatur hervorgebrachte Bewegung beschrieben, die den Energieverbrauch unverkennbar ansteigen lässt. Das Ziel ist es, mit regelmäßigen, geplanten Trainingseinheiten und Übungen die körperliche Fitness zu verbessern (RKI, 2003, S. 3). Es sollte demnach beispielsweise möglich sein, über einen Zeitraum von 30 Minuten Fahrrad zu fahren, auf einem Heimtrainer bis zu einer gewissen Belastung durchzuhalten oder auch ohne große Anstrengung Treppen zu steigen. Alltägliche körperliche Bewegung findet zu Fortbewegungszwecken, bei der Berufsausübung und bei Garten-, Haushalts- und Pflegetätigkeiten statt.
Dem entgegen gilt Sport als eine Untergruppe körperlicher Aktivitäten. Sportliche Aktivitäten beinhalten gezieltes Training, Gruppensport sowie Leistungs- und Wettkampfsport. Diese Art körperlicher Aktivität wird meist zur Gesundheitsförderung, Erholung und Freizeitgestaltung genutzt (Lippke & Vögele, 2006, S. 203).
3.2.2 Messung von körperlicher Aktivität
Mithilfe diverser Messverfahren können die Intensitäten der körperlichen Aktivitäten festgestellt werden. Es gibt vier Merkmale, mit denen die aktuelle körperliche Aktivität gemessen werden kann. Dauer (in Minuten), Frequenz (Häufigkeit), Intensität (Energieverbrauch in Kilokalorien pro Stunde) und die Art der körperlichen Aktivität (Lippke & Vögele, 2006, S. 204). Hiermit können Verhaltensmaße berechnet werden, in etwa die gesamte Aktivitätsdauer pro Woche oder ob Zielkriterien erfüllt werden. Um den Energieverbrauch verschiedener Aktivitäten zu bestimmen, wird oft das metabolische Äquivalent (metabolic equivalent of task; MET) herangezogen. Dies ist der Quotient aus Arbeitsenergieverbrauch und Ruheenergieverbrauch. Die Einheit 1 MET wird durch den Umsatz von 3,5 Milliliter Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht in der Minute bei Erwachsenen bestimmt. Körperliche Aktivitäten können dementsprechend in leichte, moderate und intensive Bewegungsaktivitäten unterteilt werden (Pate, Pratt, Blair, Haskell, Macera, Bouchard, C. et al, 1995).
Tab. 1: Metabolische Äquivalente (MET) bestimmter Aktivitäten (Böhmer et al., 2014)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.3 Begriffsklärung „Gesundheit“
Gemäß der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1946 wird Gesundheit als ein Zustand des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens definiert. Um sich als gesunden Menschen beschreiben zu können, reicht es somit nicht aus frei von Gebrechen oder Krankheit zu sein. Man gilt dann als gesund, wenn nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern auch die gleichzeitige Anwesenheit von Wohlbefinden mehrdimensional in Körper, Geist und Seele stattfindet.
Den heutigen Kenntnisstand betrachtend ist diese Definition jedoch unvollständig und müsste um einige Aspekte weiter ergänzt werden. Infolgedessen wurden neue Forschungsrichtungen erörtert und es entstanden die Modelle der Pathogenese, die sich mit der Entstehung von Krankheit beschäftigen, und der Salutogenese, die sich mit dem Erhalt und der Förderung der Gesundheit befassen.
Nach Becker (1996) kann die physische Gesundheit einerseits in aktuelle körperliche Gesundheit und andererseits in habituelle körperliche Gesundheit differenziert werden. Der aktuelle Gesundheitszustand gibt den aktuellen Status eines Menschen an, inwiefern und ob dieser in diesem Moment gesundheitlich belastet ist. Daher können Schwankungen entstehen, beispielsweise wenn dieser Mensch besonderen Belastungen unterliegt, die das Risiko einer Krankheit ansteigen lassen.
Dementgegen wird bei dem habituellen Gesundheitszustand der Zustand eines Menschen über einen längeren Zeitraum betrachtet.
3.3.1 Biomedizinisches Krankheitsmodell
Das biomedizinische Krankheitsmodell ist ein überholtes Konzept, das Gesundheit durch das Fernbleiben von Krankheit erklärt, auch pathogenetisches Modell genannt. Diese Vorstellung konzentriert sich vor allem auf biologische Faktoren wie etwa Genetik oder Viren. Dazu gehören spezifische Erreger, Ursachen oder Prozesse, die in einem Individuum stattfinden. So gilt eine Person als gesund, wenn keine Symptome einer Krankheit vorliegen. Treffen bei einer Person im Gegensatz dazu diagnostische Kriterien einer Krankheit zu, wird sie als krank eingestuft.
Hier wird schnell deutlich, dass diese Vorstellung sehr eindimensional ist und soziale wie auch psychologische Faktoren vernachlässigt werden. Zudem wurde die Bedeutung anderer Parameter (Lebensgewohnheiten, Risikoverhalten, Umweltbedingungen) im Bezug auf die Gesundheit belegt. Außerdem kann die strikte Aufteilung von Gesundheit und Krankheit nicht aufrechterhalten werden. Dieses Modell wird dennoch auch heute noch vertreten und anerkannt (Lippke & Renneberg, 2006, S. 9).
Als Reaktion auf die Annahme, dass Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit ist, wurde die salutogenetische Betrachtungsweise erforscht und der Pathogenese entgegengesetzt.
3.3.2 Biopsychosoziales Modell
Das biopsychosoziale Modell wird seit 1970 verstärkt betrachtet und stellt eine positive Definition des Begriffs der Gesundheit dar. Hierbei wird der Einfluss von psychischen und sozialen Faktoren auf die Gesundheit miteinbezogen. Weitergehend wird auch die Wechselwirkung von biologischen/somatischen, sozialen und psychischen Faktoren miteinander verknüpft. Zu den biologischen Faktoren gehören Viren, Bakterien, Verletzungen und genetische Dispositionen. Als soziale Faktoren gelten sozioökonomischer Status, ethnische Zugehörigkeit und soziale Netzwerke. Verhalten, Kognitionen, Emotionen und Bewältigung beschreiben die psychischen Faktoren.
Charakteristisch für dieses Modell ist der Schwerpunkt von Schutzfaktoren und generellen Widerstandsressourcen. Daher wird dieses Konzept auch als salutogenetisch beschrieben (Lippke, Renneberg, 2006, S. 9).
Im Gegensatz zu dem vorangegangenen Modell, bei dem eine Dichotomie von Gesundheit und Krankheit angenommen wird, wird bei dem biopsychosozialen Modell ein Gesundheits-Krankheits-Kontinuum vertreten.
3.3.3 Salutogenesekonzept nach Antonovsky
Die Salutogenese, die von dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky bestimmt wurde, ist eines der am häufigsten verwendeten Gesundheitsmodelle und befasst sich mit der Beziehung zwischen Gesundheit und Krankheit. Sie beruft sich auch auf die persönliche Lebenserfahrung, eigene Einstellungen und Sichtweisen.
In einem Forschungsprojekt untersuchte Antonovsky (1979) die psychische und körperliche Gesundheit von Frauen, die während der nationalsozialistischen Diktatur Insassen eines Konzentrationslagers gewesen waren. Diese Ergebnisse wurden mit der psychischen und körperlichen Gesundheit von Frauen verglichen, die während dieser Zeit nicht aus Mitteleuropa deportiert wurden. Die Studie brachte hervor, dass die Frauen, die unter dem Lager leiden mussten, im Durchschnitt einen schlechteren gesundheitlichen Zustand hatten. Dennoch ist aufgefallen, dass etwa ein Drittel dieser Frauen angaben, über eine gute körperliche und psychische Gesundheit zu verfügen. Es stellte sich daher die Frage, was einen Menschen trotz immenser Widrigkeiten, negativer Umstände und ungünstiger Bedingungen, gesund hält (Antonovsky, 1997).
Weiterhin gelangte er ebenfalls zu der Erkenntnis, dass Gesundheit nicht als Dichotomie, sondern als Kontinuum zu erklären ist.
Dieses Kontinuum umfasst einerseits die völlige Gesundheit, die Zufriedenheit und das Wohlfühlen („health ease“) und andererseits die völlige Abwesenheit von Wohlbefinden und Gesundheit („dis-ease“). Antonovsky (1979) prägt hierzu den Begriff des „Health-ease-dis-ease“-Kontinuums (HEDE-Kontinuum). Ein Individuum besitzt also gesunde und kranke Seiten, die durch diverse Ressourcen beeinflusst werden können. Somit ist ein Mensch nie völlig gesund oder völlig krank, sondern bewegt sich innerhalb des Kontinuums zwischen dem „gesunden“ und dem „kranken“ Pol.
Es gibt vier Indikatoren, die bestimmen sollen, auf welcher Position dieses HEDE-Kontinuums sich eine Person befindet. Zu dem Schmerzerleben und der Beeinträchtigung von Funktionen folgen Handlungsimplikationen und prognostische Implikationen. Handlungsimplikationen sind z.B. die Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung. Prognostische Implikationen hängen von der Dauer und der Schwere einer Krankheit oder Störung ab.
3.3.3.1 Generelle Widerstandsressourcen
Antonovsky prägte zwei weitere wichtige Komponenten, um das Salutogenesemodell weiter zu untermauern. Eine wichtige Komponente sind die generellen Widerstandsressourcen (generalised resistance ressources/GRR; Antonovsky, 1979). Diesen Begriff prägte Antonovsky, um die gesundheitsfördernden Faktoren, die Individuen helfen, potenziell krankmachende Einflüsse zu bewältigen, zu beschreiben. Diese sollen schon im Kindes- und Jugendalter entwickelt werden. Antonovsky unterteilte die generelle Widerstandsressourcen in zwei Gruppen: Interne generellen Widerstandsressourcen, welche z.B. das Empfinden von Entspannung, die Ich-Stärke und die Introspektionsfähigkeit beinhalten, sowie externe generelle Widerstandsressourcen, die z.B. die soziale Unterstützung und die materiellen Ressourcen umfassen. Diese Aspekte sorgen für die Manifestation des Kohärenzgefühls, welches für Antonovsky eine weitere wichtige Komponente des Salutogenesemodells darstellt.
3.3.3.2 Kohärenzgefühl
Um das Salutogenesemodell zu vervollständigen, wurde der Begriff des Kohärenzgefühls geprägt. Antonovsky unterbreitete das Konzept des „sense of coherence“ (SOC) um auszudrücken, auf welcher Position des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums sich Menschen abgrenzen (Reimann, 2006, S. 15-16).
Das Kohärenzgefühl wird definiert als eine globale Orientierung, die das Ausmaß ausdrückt, in dem man ein durchdringendes, andauerndes aber dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, daß die eigene interne und externe Umwelt vorhersagbar ist und daß es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, daß sich die Dinge so entwickeln werden, wie vernünftigerweise erwartet werden kann (Antonovsky, 1997; zitiert nach Reimann, S. 15).
Die Stärke des Kohärenzgefühls kann anhand von drei Komponenten festgestellt werden: Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit.
Als Verstehbarkeit wird die Fähigkeit eines Menschen beschrieben, seine Umwelt kognitiv verstehbar einzuschätzen und auch unbekannte Informationen strukturiert verarbeiten zu können.
Die Bewältigbarkeit beschreibt das Gefühl, dass ein Mensch annimmt, mit gewissen Anforderungen mithilfe seines sozialen Umfeldes oder zur Verfügung stehenden Ressourcen zurechtzukommen.
Die aussagekräftigste Komponente ist für Antonovsky die Sinnhaftigkeit. Diese gibt Menschen die Fähigkeit, Bereiche in ihrem Leben anzugeben, die wichtig genug sind, um in diese emotional zu investieren (Reimann, 2006, S. 16).
3.4 Begriffsklärung „psychische Gesundheit“
Neben der körperlichen Gesundheit ist auch das seelische Wohl ein wichtiger Teil der Gesundheit.
„Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann (WHO, 2019).“
Ist eine Person von Störungen der psychischen Gesundheit betroffen, weist diese oft belastende Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen auf. Dann wird auch von psychischen Störungen gesprochen, wie beispielsweise Depressionen, Angststörungen, Verhaltensstörungen, bipolare Störungen und Psychosen.
3.4.1 Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit
Nicht nur individuelle Merkmale, sondern auch soziale Verhältnisse sowie Umweltfaktoren, tragen zur Beeinflussung der psychischen Gesundheit eines Individuums bei (WHO, 2019). Folgende Tabelle stellt die Einflussfaktoren mit Beispielen dar:
Tab. 2: Einflüsse auf die psychische Gesundheit nach WHO (2019)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.4.2 Modelle der psychischen Gesundheit
Becker und Minsel (1982) beschreiben in ihrem Werk „Psychologie der seelischen Gesundheit“ drei Modelle der psychischen Gesundheit. Diese Modelle sind laut Becker und Minsel nicht vollständig voneinander zu differenzieren; vielmehr überlappen sich diese in einigen Aspekten (S. 283). Im Folgenden werden die drei Modelle der psychischen Gesundheit mit ihren stärksten Vertretern vorgestellt.
3.4.2.1 Regulationskompetenzmodell
Tab. 3: Übersicht Regulationskompetenzmodell (Becker & Minsel, 1982, S. 146-147)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Regulationskompetenzmodelle werden am stärksten von Freud, Menninger und Erikson vertreten und beschreiben einen seelisch gesunden Menschen durch das (Meta-)Gleichgewicht und die (Wieder-)Herstellung des inneren und äußeren Gleichgewichts (S. 146).
Verfügt ein Mensch über ein inneres Gleichgewicht, benötigt dieser einen sehr geringen Umfang an Abwehrmechanismen, zeigt keine Symptome auf und besitzt eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen psychische Erkrankungen.
Um einem Individuum das äußere Gleichgewicht zuzuschreiben, benötigt es rationales Denken und Handeln und die Aufrechterhaltung eines engen Kontaktes zur Realität. Dazu gehören eine realitätsangemessene Wahrnehmung, logisches Denken, planvolles Handeln und die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen. Dieser seelisch gesunde Mensch hat eine gute Anpassungsfähigkeit an die Umwelt.
Das (Meta-)Gleichgewicht beschreibt die Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts ohne das äußere Gleichgewicht zu vernachlässigen; dies gilt wechselseitig. Das innere bzw. äußere Gleichgewicht darf nicht zu Lasten des Gegenübers vernachlässigt werden.
Da innere und äußere Bedingungen nicht gleichbleibend sind, benötigt ein Individuum eine hohe Frustrationstoleranz wie auch Widerstandsfähigkeit gegen Stress, sowie eine hinreichende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um diese Gleichgewichte immer wieder herstellen zu können. Nach Menninger wird der Begriff des Fließgleichgewichts verwendet (S. 147). Dies beschreibt die Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Festigkeit herzustellen.
„Der Mensch im Zustand des inneren und äußeren Gleichgewichts ist in der Lage, seine Bedürfnisse adäquat zu befriedigen, wobei Freud und Menninger die genitale Sexualität in Verbindung mit seelischer Gesundheit besonders hervorheben.“ (Becker & Minsel, 1982, S. 147).
Nach der Theorie der Regulationskompetenzmodelle setzt sich psychische Gesundheit aus den Fähigkeiten zusammen, um inneres und äußeres Gleichgewicht zu regulieren.
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