Holocaustkomödien im Geschichtsunterricht


Examensarbeit, 2007

110 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

Theorieteil

2. Der Holocaust
2.1. Begrifflichkeit
2.2. Der Holocaust als geschichtliches Ereignis

3. Holocaust – Spielfilme
3.1. Was sind Holocaust – Spielfilme?
3.2. Die Entwicklung von Holocaust – Spielfilmen
3.3. Tragisch – komische Spielfilme als alternative Auseinandersetzungsform mit dem Holocaust

4. Ethisch – moralische Betrachtung von Holocaust – Komödien

5. Filmographie
5.1. Holocaust – Spielfilme
5.1.1. Der 9. Tag
5.1.2. Aimée und Jaguar
5.1.3. Der Pianist
5.1.4. Comedian Harmonists
5.1.5. Der große Diktator
5.1.6. Ghetto
5.1.7. Schindlers Liste
5.2. Holocaust – Komödien
5.2.1. Enemies. A love story
5.2.2. Das Leben ist schön
5.2.3. Zug des Lebens

Praxisteil

6. Mein Forschungsthema: Der Umgang von Schülern mit Holocaust - Komödien
6.1. Das Leben ist schön im Geschichtsunterricht der Klasse 10 des TM- Gymnasium
6.1.1 Organisation und technische Voraussetzungen
6.1.2. Stundenverlauf zum Film das Leben ist schön Datenerfassung
6.1.3. Der Fragebogen zum Film Das Leben ist schön
6.1.3.1. Konzipierung des Fragebogens mit Hilfe von GrafStat
6.1.3.2. Der Fragebogen
6.1.3.3. Schülerantworten/ Ergebnisse der Fragebögen
6.1.4. Gruppeninterviews zum Film Das Leben ist schön
6.1.4.1. Leitfragen für die Gruppeninterviews
6.1.4.2. Ausgewählte Antworten aus den Gruppeninterviews
6.2. Zug des Lebens im Geschichtsunterricht des Kurs 11 des TM – Gymnasiums
6.2.1. Stundenverlauf zum Film Zug des Lebens
Datenerfassung
6.2.2. Der Fragebogen zum Film Zug des Lebens
6.2.2.1. Schülerantworten/ Ergebnisse der Fragebögen
6.2.3. Gruppeninterviews zum Film Zug des Lebens
6.2.3.1. Leitfragen für die Gruppeninterviews
6.2.3.2. Ausgewählte Antworten aus den Gruppeninterviews

Auswertung

7. Der Umgang der SchülerInnen mit den Holocaust – Komödien Das Leben ist schön und Zug des Lebens
7.1. Auswertung der Fragebögen und Gruppeninterviews
7.2. Auswertung der Fragebögen und Gruppeninterviews über die Holocaust – Komödie Das Leben ist schön und Schlussfolgerungen
7.3. Auswertung der Fragebögen und Gruppeninterviews über die Holocaust – Komödie Zug des Lebens und Schlussfolgerungen

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Was das Komische an Hitler betrifft, möchte ich nur sagen, dass es, wenn wir nicht ab und zu über Hitler lachen können, noch viel schlechter um uns bestellt ist als wir glauben. Es ist gesund zu lachen, auch über die dunkelsten Dinge des Lebens, sogar über den Tod. (...) Lachen ist ein Stärkungsmittel, Lachen erleichtert; Lachen ist eine Atempause, die es ermöglicht, den Schmerz auszuhalten.“

Charlie Chaplin; New York Times, 1940[1]

Um genau dieses eher außergewöhnliche, groteske Lachen dreht sich im weiteren Sinne meine Arbeit. Wenn Chaplin von dem Lachen über Hitler, Lachen als Stärkung, zur Erleichterung und dem Lachen, dass einem die Atempause gibt, die es möglich macht den Schmerz auszuhalten ,spricht, denke ich an die Holocaust – Komödien Das Leben ist schön und Zug des Lebens, die dieses von Chaplin beschriebene Lachen zum Ausdruck bringen. So schreibt die TV – Today im Juli 2000 über den Film Zug des Lebens: „So witzig wie bewegend. Eine märchenhafte […] Groteske über

den Humor als Waffe gegen das Grauen.“[2]

Bedeutet das Komische im Film für den einen die Überlegenheit und Hoffnung der Opfer, können Holocaust – Komödien bei anderen Rezipienten den Eindruck erwecken es sei nur „eine lustige Geschichte“.

Diese gefährliche, verharmlosende, Auffassung über den Holocaust resultiert aus dem fehlenden Wissen über die Grausamkeit der Judenvernichtung.

Gerade junge Menschen lassen sich von dem Medium Film stark beeinflussen. Geschichten über Liebe und Leid, Glück und Unglück, Krieg und Frieden prägen ihre Gedanken und Einstellungen.[3] Bezieht man jetzt noch das Merkmal der Trivialität von Spielfilmen[4] in die Überlegungen mit ein, muss man sich fragen, in wie weit die Filminhalte bewusst aufgenommen werden oder unreflektiert im Raum stehen bleiben.

In Bezug auf Holocaust – Komödien möchte ich folgende These aufstellen: Jugendliche sind potentielle „Mitglieder“ der Gruppe „Es war eine lustige Geschichte“.

Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, sehe ich es als wichtig, ja sogar notwendig an, dass die Institution Schule die Jugendlichen beim Umgang mit Holocaust – Komödien unterstützt, ihnen die Möglichkeit gibt zu hinterfragen und die Spielfilme kritisch zu betrachten In meiner Arbeit thematisiere ich nicht den Einsatz von Holocaust – Komödie im Geschichtsunterricht, sondern deren Wirkung auf die SchülerInnen, d.h. wie gehen sie mit der Komik in den Filmen um. Durch die Präsenz der Filme in Kino und TV muss man davon ausgehen, dass die Jugendlichen außerhalb der Schule schon einmal damit in Kontakt gekommen sind. Hier stellt sich mir nun die Frage, ob sie in der Lage sind zwischen Realität und Fiktion unterscheiden zu können.

Für die praktische Auseinandersetzung mit dem Thema „Holocaust – Komödien“ ist eine theoretische Vorbetrachtung notwendig. In diesem Rahmen werde ich detailliert auf die Definitionen von Holocaust – Spielfilmen und – Komödien eingehen, wobei meine Betrachtungen zu Letzterer intensiver sein werden. Schwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust mittels einer Komödie, die die Frage aufwirft, ob die Verwendung von Humor im Zusammenhang mit dem Holocaust ein moralisches Problem darstellt. Mit dem Vorstellen der Holocaust – Komödien Das Leben ist schön und Zug des Lebens möchte ich meinen Theorieteil abschließen und in die Praxis übergehen.

Da es in meiner Arbeit nicht um die theoretische Abhandlung über

„Holocaust – Komödien im Geschichtsunterricht“ geht, werde ich darauf nicht näher eingehen, sondern ausführlich über die Erkenntnisse, die ich während meines praktischen Schuleinsatzes gesammelt habe, berichten. Am TM – Gymnasium hatte ich die

Möglichkeit den Umgang der SchülerInnen mit den Holocaust – Komödien Das Leben ist schön und Zug des Lebens zu erleben und auszuwerten. Unterrichtsgespräche, selbstkonzipierte Fragebögen und Gruppeninterviews sollten zu meiner Erkenntnisfindung beitragen.

Abschließend treffe ich dann mit dem gesammelten Datenmaterial Aussagen über den Umgang mit Holocaust – Komödien und stelle sie meiner eingangs formulierten These, dass Jugendliche potentielle Mitglieder der Gruppe „Es war eine lustige Geschichte“ sind, gegenüber.

2. Der „Holocaust“

2.1. Begrifflichkeit

Der Begriff „Holocaust“ kommt aus dem Griechischen [„ holókaustos “] und heißt wörtlich übersetzt „ganz verbrannt“. In Deutschland wurde der Begriff Holocaust erst ca. 25 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches aus dem Amerikanischen übernommen. Davor verwendete man für die Ermordung von sechs Millionen Juden die Bezeichnungen „Judenvernichtung“ oder

„Endlösung“. Aus dem Englischen übersetzt, bedeutet Holocaust „Inferno, Zerstörung“ bzw. „Brandopfer“. Der Begriff stammte aus dem amerikanischen Dokumentationsdrama „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ und wurde erstmals 1978 in Deutschland ausgestrahlt. Durch die Serie wurde das Wort Holocaust in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt.[5] Das bis dahin verwendete Nazi – Unwort

„Endlösung“ wurde durch den Begriff Holocaust ersetzt und 1980 zum „Wort des Jahres“ gewählt.[6]

Religiös verwurzelt, ist die Bedeutung „Brandopfer“ im ersten Buch Mose (Genesis), Kapitel 22, Vers 2 – 13 oder im dritten Buch Mose, Kapitel 1, Vers 3 – 17 näher beschrieben.[7] Im ersten Buch Mose wird Abraham von Gott aufgefordert, seinen Sohn Isaak als Brandopfer auf einem Altar zu opfern.[8] Im dritten Buch Mose, Kapitel 1 verkündet Gott Mose das „Gesetz über Brandopfer“.[9] Der in beiden Bibelstellen beschriebene Altar oder Tisch, auf dem das Brandopfer dargebracht wird, wird als „Holocaust“ bezeichnet. Aus diesem Grund findet man in der französischen

Bibelübersetzung auch das Wort „holocauste“. Ähnlich ist der Begriff

„Holocaust“ auch dem hebräischen Wort „ola“, dass als „heiliges Opfer“ übersetzt wird.

In einem Leserbrief der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27.6.1978 wird die Bedeutung des Begriffs „ Holocaust “ von Theo Stemmler näher erläutert. Hier spricht man von vier grundsätzlichen Wortelementen, wenn man das Wort „Holocaust“ übersetzt: vollständig/ Brand/ Opfer/ Tier, deren Bedeutungen sich aber im Laufe der Zeit wandelten. So ergänzte z.B. das 15. Jahrhundert den rituellen Begriff Brandopfer, der wie oben durch die Bibelstellen bewiesen, religiös verwurzelt ist, mit den beiden Bedeutungen „Opfer und Aufopferung“, die später der Säkularisierung unterliegen. Das Übersetzungselement „Tier“ des Wortes holókaustos geht verloren und wird durch „Mensch“ ersetzt. Eine Umwandlung muss auch das Wort „vollständig“ (griechisch holo) erfahren, dass die Bedeutung „groß, zahlreich“ angenommen hat. Resultierend aus dieser Bedeutungs - verschiebung der einzelnen Wortelemente kommt Martina Thiele zu dem Schluss, dass es sich nicht mehr um ein „Brandopfer“, sondern um einen „Feuertod“ handelt, der wiederum später als „vollständige Vernichtung zahlreicher Menschen“ bezeichnet wird. Betrachtet man die Umwandlung, ist zu erkennen, dass aus dem zunächst positiven religiösen – rituellen Begriff „Brandopfer“ ein negativer säkularisierter, Vernichtung darstellender, geworden ist. Da nach dieser begrifflichen Bestimmung der Holocaust eine bestimmte Art des Tötens beschreibt und für „vollständige Vernichtung“ steht, sieht Theo Stemmler die Bezeichnung Holocaust für die Vernichtung der europäischen Juden als eindeutig zutreffend an.[10] Neben dem Begriff Holocaust werden auch die Begriffe Shoah und Churban verwendet. Wobei hier zu beachten ist, dass Letzterer eher im jüdischen Sprachgebrauch zu finden ist. Sie beziehen sich auf schon vergangene Ereignisse der jüdischen Geschichte, in denen es zur Vernichtung von Menschenleben kam. Man berief sich auf diese Ereignisse, um die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg in Worte fassen zu können. Die Shoah bezieht sich auf die Vernichtung Israels durch seine benachbarten Völker und auf die Knechtung Babylons. Wobei der Begriff Churban für die Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels steht.[11] Aus dem Jiddischen übersetzt, heißt Churban Vernichtung und Shoah Katastrophe.[12]

2.2. Der Holocaust als geschichtliches Ereignis

Unter dem geschichtlichen Ereignis Holocaust versteht der Autor Yair Auron, die von den Nationalsozialisten systematisch geplante und bürokratisch organisierte Vernichtung der Juden. Nicht nur Juden, sondern auch Zigeuner, psychisch Kranke und körperlich Behinderte waren vom Ausrottungswillen der Nationalsozialisten betroffen.[13] Der Holocaust, dem man die Begriffe „Völkermord“ bzw. „Genozid“ überordnet, steht aber nicht allein für die Vernichtung der europäischen Juden, sondern auch für deren Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung.[14]

Schon kurz nach der Machtübernahme Hitlers 1933 äußerte sich dessen Antisemitismus in der nationalsozialistischen Politik. Die Ausgrenzung und Diskriminierung der in Deutschland lebenden Juden fand ihren Beginn in dem im April 1933 erlassenen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Ziel dieses Gesetzes war der Ausschluss aller politischen Gegner, darunter jüdische Beamte, aus dem öffentlichen Dienst. Viele Gesetze, die der jüdischen Ausgrenzungen dienen sollten, folgten. Unter anderem ebenfalls im April 1933 erlassen das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“, dass eine Begrenzung des jüdischen Anteils mit sich zog. Im Oktober 1933 wurde das „Schriftleitergesetz“ verabschiedet, mit der Absicht Juden aus Presseberufen zu entfernen. Ab Mai 1935 durften die Juden nicht mehr in den Wehrdienst eintreten und im September des gleichen Jahres fiel der Erlass über die „Nürnberger Gesetze“.[15] Das erste war das „Reichsbürgergesetz“, was die Juden zu Bürgern zweiter Klasse machte. Das zweite Nürnberger Gesetz nannte sich „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehe“ und verbot die Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden. Nicht nur die Eheschließung wurde durch dieses Gesetz unterbunden, sondern auch außereheliche sexuelle Beziehungen, die als „Rassenschande“ bezeichnet und hart bestraft wurden.[16] Die „Nürnberger Gesetze“ bildeten den Grundbaustein für weitere darauf aufbauende diskriminierende Gesetze. Zu nennen wäre hier die „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz“, erlassen am 14. November 1935, dass eine genaue Definition von einem „Juden“ festlegt:[17] „Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt […]. Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische Mischling, a) der beim Erlass des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b) der beim Erlass des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c) der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt.“[18] All diese verabschiedeten Gesetze dienten dazu, die Rechte der jüdischen Bevölkerung einzuschränken. Nicht nur die Einschränkung der Rechte war Sinn und Zweck der Erlasse. Den Juden die wirtschaftliche Lebensgrundlage zu nehmen, war ein weiteres Ziel. Um diesem näher zu kommen, wurde ab März 1936 kinderreichen jüdischen Familien die staatliche Beihilfe verwehrt, im Oktober 1936 verbot man jüdischen Lehrern Nichtjuden Privatunterricht zu geben, im Juli 1938 entzog die nationalsozialistische Regierung den jüdischen Ärzten die Berufserlaubnis, später waren davon dann auch Rechtsanwälte und andere Berufsgruppen betroffen. Die öffentliche Diskriminierung fand des

Weiteren Ausdruck in der Verordnung vom August 1938, in der die Juden dazu gezwungen wurden, die Vornamen „Sara“ bzw. „Israel“ zu tragen.

Im November 1938 erging das Verbot für jüdische Kinder deutsche Schulen zu besuchen. Neben den vom Staat erlassenen diskriminierenden und die Ausgrenzung zum Ziel habenden Gesetzen, wurden die Juden z.B. durch Schilder an Ortseingängen, wo darauf hingewiesen wurde, dass Juden hier unerwünscht seien oder Parkbänke mit der Aufschrift „Nur für Arier“, schikaniert.

Einen radikalen Umbruch in der nationalsozialistischen Judenpolitik stellte das Novemberpogrom von 1938, auch unter „Reichskristallnacht“ bekannt, dar. Anlass dafür bot der 17 – jährige Jude Herschel Grünspan, der am 7. November 1938 den deutschen Botschaftsbeamten Ernst vom Rath in Paris anschoss. Das Motiv für Grünspan Attentat war das Leiden, dass seine Familie bei der gewaltsamen Austreibung aus Deutschland erlitt. Zu dieser kam es wie folgt: Im März 1938 wurde der „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich vollzogen. Daraufhin hatte die polnische Regierung die Gültigkeit der Pässe aller im Ausland lebenden Polen in Frage gestellt. Man befürchtete, dass die ca. 20 000 in Österreich lebenden Juden mit polnischem Pass wieder in ihre Heimat zurückkehren würden, um dem nationalsozialistischen Regime zu entkommen. Am 31. Oktober 1938 wurde in Polen das Gesetz erlassen, dass die in Österreich und die 50 000 in Deutschland lebenden Juden, staatenlos machte. Die Gestapo hingegen fasste den Entschluss alle polnischen Juden abzuschieben. Resultat dieser beiden Entscheidungen war, dass die deportierten Juden im Niemandsland zwischen Deutschland und Polen herumirrten. Unter ihnen befand sich auch die Familie Grünspan.

Das Attentat wurde als Verschwörung gegen das Deutsche Reich angesehen und von der NSDAP dazu genutzt zum Vergeltungsschlag gegen das Judentum aufzurufen. Das Pogrom vom 9. November 1938 forderte Hunderte von Opfer, die durch Misshandlungen starben, fast alle Synagogen wurden abgebrannt und jüdische Geschäfte zerstört. Tage später wurden 30 000 jüdische Männer festgenommen und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen gebracht. Am 12. November 1938 wurde die weitere Vorgehensweise in der nationalsozialistischen Judenpolitik beschlossen: zunächst sollten die deutschen Juden enteignet, dann in Ghettos gesteckt und später deportiert und vernichtet werden.[19]

Als am 1. September 1939 mit dem deutschen Angriff auf Polen der Zweite Weltkrieg ausbrach, radikalisierte sich die Judenpolitik der Nationalsozialisten. Die polnischen Juden wurden in Ghettos zusammengedrängt, wo sie bis zur geplanten Deportation unter katastrophalen Verhältnissen lebten.[20] Kurz nach der Besetzung Polens begann das Vorhaben der Nationalsozialisten, die polnische Intelligenz und die nationale Geistlichkeit zu vernichten. Davon betroffen waren auch die jüdischen Gegner. Im Herbst 1939 kam es zu ersten Massenerschießungen.[21] Im Zuge des Russlandfeldzuges erreichte der Vernichtungswillen der Nationalsozialisten durch die Ermordung zahlreicher sowjetischer Juden im Sommer 1941 eine weitere Steigerung und die nationalsozialistische Judenpolitik trat in ihre letzte Phase.[22]

Am 30. Juli 1941 erteilte Hermann Göring an Reinhard Heydrich[23] den

Befehl, dass alle Maßnahmen, die zur Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage notwendig seien, einzuleiten sind.[24] Zu diesen Maßnahmen gehörte die Errichtung von Vernichtungslagern, in denen seit Oktober 1941 mittels Einsatz von Gas Massentötungen vorgenommen wurden.

Das größte Konzentrations- und Vernichtungslager war Auschwitz, dass in Auschwitz I, II und III eingeteilt war. Schon allein in Auschwitz II wurden durch das Gas Zyklon B pro Tag mehr als 10 000 Menschen getötet und danach in Krematorien verbrannt. Insgesamt liegt die Zahl der jüdischen Opfer etwa bei sechs Millionen. Davon sind 2,7 Millionen polnischer Herkunft, 2,1 Millionen sowjetischer, 550 000 ungarischer, 200 000 rumänischer, 160 000 deutscher, 143 000 tschechoslowakischer, 102 000 niederländischer, ca. 76 000 französischer, 65 000 österreichischer, 60 000 jugoslawischer, über 59 000 griechischer und 28 000 belgischer Herkunft.[25]

3. Holocaust - Spielfilme

3.1. Was sind Holocaust – Spielfilme?

Als Holocaust – Spielfilme werden solche Filme bezeichnet, die den Holocaust, d.h. die Diskriminierung, Entrechtung und Vernichtung der europäischen Juden und anderer Minderheiten durch die Nationalsozialisten, zum Thema haben. Des Weiteren zählt man auch die Filme dazu, die nicht explizit den Holocaust zeigen, sondern die Auseinandersetzung mit und die Verarbeitung des Holocausts durch die Überlebenden, Täter, Sieger und Besiegte und natürlich auch der Generation, die nach der Zeit des Nationalsozialismus kam. Das heißt also, alle Filme, die nach 1945 entstanden, gehören zu dieser Kategorie und vermitteln dem Zuschauer eine bestimmte Erinnerung über die Zeit des Nationalsozialismus. Deshalb können solche Filme als mentalitätsgeschichtliche Quelle genutzt werden. Es kommt aber auch oft vor, dass Spielfilme, in denen der Holocaust im Mittelpunkt steht, Scheindokumentationen sind. Doch die Verwendung von fiktiven Handlungen bedeutet nicht zwangsläufig, dass dem Zuschauer ein falsches Bild von Geschichte vermittelt wird. In dem tatsächlich historische Ereignisse auf die Leinwand gebracht werden, versucht man dem Zuschauer möglichst unverfälscht die historische Wahrheit aufzuzeigen. Dabei nimmt die Authentizität einen großen Stellenwert ein. Um dies zu erfüllen, muss darauf geachtet werden, dass die Darsteller der historischen Wahrheit entsprechende Kleidung tragen oder die Requisiten stimmen. Und wenn dann noch in der Filmhandlung historische Filmdokumente verwendet werden, ist es für den Zuschauer schwer zwischen einem Holocaust – Dokumentar – und einem Holocaust – Spielfilm zu unterschieden. Tilo Werner nennt als grundlegendes Unterscheidungskriterium die frei erfundenen Szenen bei Holocaust – Spielfilmen.[26]

3.2. Die Entwicklung von Holocaust – Spielfilmen

Im Jahre 1940 wurden in den USA die ersten Holocaust – Spielfilme produziert: Tödlicher Sturm und Charlie Chaplins Der große Diktator. Diese beiden Filme zeigen, welche Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit dem Holocaust es gibt: auf der einen Seite die Tragödie und auf der anderen die Komödie.

Die herkömmlichere ist die Tragödie, deren Geschichte ich mich zuerst widmen möchte.

Wie schon erwähnt, gab es die ersten Holocaust – Spielfilm – Produktionen in den USA, wo Hollywood von Seiten der Regierung damit beauftragte wurde, aktiv einen Beitrag am Kampf gegen den Nationalsozialismus zu leisten und sich für diesen von der Leinwand aus einzusetzen. Die Verbrechen der Nazis an den Juden wurden im Kino nicht gezeigt. Werner bringt hierfür die Begründung an, dass Filme, die Nazi – Verbrechen thematisieren, sich keine großen Erfolgschancen ausrechnen könnten. Grund dafür sei der immer stärker werdende Judenhass in den USA gewesen, der Mitte der 40er Jahre seinen Höhepunkt erreichte. Holocaustfilme, die vor 1945 entstanden sind, stellen die historischen Ereignisse eher verharmlosend und naiv dar. Diese Filmeigenschaften resultieren aus den Tatsachen, dass der Holocaust erst zu dieser Zeit begann und das zu wenige Informationen über das genaue Ausmaß des Holocausts vorhanden waren. Nachdem 1945 die Deutschen besiegt waren und die Konzentrationslager befreit, mangelte es nicht mehr an Informationen. Folge dieses Informationsflusses war die Herausbildung von zwei Grundannahmen über den Holocaust: einmal die Einzigartigkeit des Holocausts als geschichtliches Ereignis und andererseits die Undarstellbarkeit dieses Ereignisses.

Schon kurz nach 1945 fand die Auseinandersetzung mit dem Holocaust mittels des Mediums Film statt. Der erste deutsche Nachkriegsfilm Die Mörder sind unter uns erschien 1946. Ein Jahr später wurde Ehe im Schatten, 1947/48 Morituri 1948 Lang ist der Weg veröffentlicht. Die frühe Phase des Holocaust – Spielfilms in Deutschland endete 1965 mit Ein

Tag, denn in den späten 60er und 70er Jahren erschien erst mal kein weiterer Film über dieses Thema. Erst 1979 kaufte der WDR die Rechte für die amerikanische Fernsehserie Holocaust, deren Ausstrahlung heftig kritisiert wurde, da die Zuschauer der Meinung waren, dass der Massenmord an den europäischen Juden zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gezeigt werde. Trotz der Anschuldigungen, wie die Serie sei zu trivial, emotional und würde die Geschichte verfälschen, erreichte sie einen Zuschauerquote von 40%. Vergleichbar mit der Wirkung, die die Serie Holocaust auf die Zuschauer hatte, war erst wieder der Kinofilm Schindlers Liste, gedreht von Steven Spielberg. Auch er versuchte über Emotionalität und Empathie mit den Opfern die Zuschauer anzusprechen. Nachdem Schindlers Liste in den Kinos erschien, folgten viele weitere Holocaust – Tragödien.

Nun stand nicht mehr die Darstellbarkeit des Holocausts in der Öffentlichkeit zur Diskussion, sondern die Auseinandersetzung mit dem Holocaust durch das Genre „Komödie“.[27]

3.3 Tragisch – komische Spielfilme als alternative (neue) Auseinandersetzungsform mit dem Holocaust

Kurt Tucholsky: „Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich Ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt sich nicht – so tief kann man nicht schießen.“

[Peter Panter in Schnipsel (Weltbühne 8.3.1932)]28

Ich denke, dass man hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „Holocaust

– Komödie nicht mehr darauf hinweisen muss, dass das geschichtliche Ereignis Holocaust komische oder lustige Elemente enthält. Die Komödie birgt als Auseinandersetzungsform mit dem Holocaust die Gefahr der Verharmlosung und Respektlosigkeit, d.h. dass der Holocaust ohne Achtung betrachtet wird, in sich.

Die erste Holocaust - Komödie, die veröffentlicht wurde, war Charlie Chaplins Der große Diktator. Chaplin glaubte daran, dass man Hitler mit Komik und Lächerlichkeit Hitler bekämpfen könne. Das gleiche Ziel verfolgte auch Lubitsch mit seinem Film von 1942 Sein oder Nichtsein. Beide wurden kritisiert: Chaplin musste sich den Vorwurf „Kriegshetze zu betreiben“ anhören, da die USA zu dieser Zeit noch eine neutrale Position zum Zweiten Weltkrieg einnahmen und Lubitsch wurde von den Kritikern angegriffen, die es ablehnten den polnischen Widerstandskampf zum Thema einer Satire zu machen. Voraussetzung für die Entstehung beider Filme war die Tatsache, dass man die schreckliche Wahrheit über den Holocaust nicht kannte. Chaplin selbst sagte Jahre, nachdem der Krieg beendet war, wenn er von den Konzentrationslagern gewusst hätte, wäre er nie auf die Idee gekommen Der große Diktator zu drehen. Laut eigener Aussage hätte er sich nie über den nationalsozialistischen Schrecken und Terror lustig machen können. Chaplins Einstellung änderte nichts daran, dass nach 1945 weiterhin Holocaust - Komödien gedreht wurden.[29] Doch dies geschah erst Jahre später. In den 50 Jahren stellt die Komödie als Auseinandersetzungsform mit dem Holocaust eher eine Randfigur der Filmbranche dar. Schon 1954 wurde die Bevorzugung von Tragödien, die den Holocaust thematisieren, von Friedrich Dürrenmatt kritisch betrachtet.

Seiner Auffassung nach sind die tragischen Helden von der Bildoberfläche verschwunden, und was bleibt sind Tragödien,[30] „die von Weltmetzgern inszeniert und von Hackmaschinen ausgeführt werden.“[31] Er ist der Ansicht, dass man die Tragödie aus der Komödie hervorbringen muss.[32] 1997 lief Roberto Benignis Das Leben ist schön in den Kinos an und löste eine Debatte in der Öffentlichkeit aus, die die moralische Frage aufwarf, ob man über den Holocaust eine Komödie drehen darf. Benigni reagierte darauf mit einem klaren „Ja“, da sein Film nicht in erster Linie die historische Wahrheit wiedergeben soll, sondern[33] „eine Fabel über die Kraft der Liebe sowie über die Möglichkeiten des Witzes in der Zeit tiefster Unmenschlichkeit“ ist.[34] Das Leben ist schön macht deutlich, wie lebenswichtig es sein kann, wenn man sich vom Zynismus der Täter und ihrer Gewalt nicht unterkriegen lässt und sich die Einbildungskraft und die befreiende Komik bewahrt. Der Titel Das Leben ist schön basiert auf einem Zitat von Trotzki, der seiner Frau aus stalinistischer Gefangenschaft schrieb, dass das Leben trotzdem noch schön sei.

Eine Rechtfertigung und Anerkennung erhält der Film durch die positive Zustimmung der Betroffenen. Jüdische Organisationen in den USA sahen darin eine neue Möglichkeit sich mit dem Holocaust auseinander zusetzen. Sich mit Humor dem Holocaust anzunähern ist wahrscheinlich nicht so aufgebraucht wie Trauer und Entrüstung.[35]

4. Ethisch – moralische Betrachtung von Holocaust – Komödien

„Natürlich muss man über Hitler lachen! (…) Man kann nicht über die Opfer Hitlers lachen! (…) Man versucht im Namen, in der Gesinnung der Unterdrückten die Unterdrücker lächerlich zu machen. Ja, man versucht durch das Gelächter den Hass der Unterdrückten zu mildern, damit Hass nicht nur Gegenhass, sondern eine Überlegenheit erzeugt. Wer lacht ist obenauf, auch in der untersten Lage.“

Zitat von: Herbert Achternbusch: Wohin?, Köln 1988.[36]

Die von Roberto Benigni 1998 veröffentlichte Holocaustkomödie „Das Leben ist schön“ führte in der Öffentlichkeit zu kontroversen Diskussionen darüber, ob die Darstellung der Shoa im Rahmen einer Komödie unangebracht, ja nicht sogar verwerflich sei.[37] Die zentrale Frage dieser Diskussion ist: Ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust mittels einer Komödie geeignet? bzw. wirft die Verbindung von Komik und Holocaust ein moralisches Problem auf. Erscheint es der einen Seite als geschmacklos den Holocaust, wie Benigni in „La vita é bella“ und Radu Mihaileanu in „Zug des Lebens“, zum Gegenstand einer Komödie zu machen[38], so lassen Filmkritiken wie z.B. in der Sächsischen Zeitung oder in der TV Today (Juli 2000) eine andere öffentliche Meinung verlauten, nämlich die, dass der „Humor als Waffe gegen das Grauen“ eingesetzt wurde und das beide Komödien für Lebensmut stehen.[39]

Radu Mihaileanu, Regisseur von Zug des Lebens, sagt selber über seine Komödie, dass man die Shoa nicht nur wie bei Schindlers Liste mit einer Geschichte, die Tränen und Schrecken hervorruft, zum Ausdruck bringen kann.[40] Er sagt: „Ich wollte […] die Komödie nutzen, um den Blick für die Tragödie zu schärfen. Lachen ist schließlich eine andere Form des Weinens.“[41] Doch die Holocaust – Komödie erntet nicht nur Zustimmung von Seiten der jüdischen Öffentlichkeit,[42] sondern muss auch Kritik von Holocaustüberlebenden, deren Angehörigen und Nachkommen, einstecken. Hat man die Schrecken des Nationalsozialismus nicht selber miterlebt oder keinen Bezug bzw. Beziehung zu einem Holocaustüberlebenden scheint das Lachen die Schrecken des Holocaust, die sich jeglicher Vorstellungskraft entziehen, erträglicher zu machen, da es dem Weinen sehr ähnlich sei. Die verlautete Kritik weist Mihaileanu zurück und erklärt, dass man hinsichtlich des Lachens eine Unterscheidung vornehmen müsse. Sich über etwas lustig machen, heißt für ihn, diese Sache verachtend, ohne Betroffenheit zu betrachten. Doch in seinem Film lacht man, um zu überleben. Mit Witz wird der Tod bekämpft.[43] Frölich, Loewy und Steinert sind derselben Auffassung und nehmen in ihrem Einleitungstext zu ihrem Werk Lachen über Hitler – Auschwitz – Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust genau diese Unterscheidung vor. Die eine Form ist das boshafte Lachen der Herrschenden über die Hilflosigkeit der Beherrschten und die andere wird als anti – autoritäres Lachen bezeichnet. Wobei bei Letzterem die Beherrschten sich durch dieses Lachen nicht einschüchtern und die Würde nehmen lassen wollen. Lachen in künstlerischen Darbietungen ist nicht automatisch gleichzusetzen mit billiger Unterhaltung oder dem Lachen über dritte Personen. Die Autoren differenzieren hier zwischen einem selbstironischem Lachen, einem aufmüpfigen Lachen derer, die sich nicht bezwingen oder unterjochen lassen und einem Lachen über falsche Autoritäten und leere Ideologien. Bei dieser Unterscheidung des Lachens geht man von der Ausweglosigkeit der Welt aus.[44]

Wie oben schon erwähnt und in vielen Zeitungsartikeln, Rezensionen über den Film Das Leben ist schön und Interviews des Regisseurs zu finden, ist für Benigni der Humor eine Überlebenswaffe.[45] So unrealistisch und abwegig kann diese Annahme bzw. Vorstellung nicht sein, wenn man sich auf die Aufzeichnungen eines im Konzentrationslager inhaftierten Psychologen beruft:[46] „Auch der Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung. Ist es doch bekannt, dass der Humor wie kaum sonst etwas im menschlichen Dasein geeignet ist, Distanz zu schaffen und sich über die Situation zu stellen, wenn auch nur…für Sekunden.[47] Sieht Benigni den Humor als Überlebenswaffe, meint er hier explizit den jüdischen Humor:[48] „Lachen rettet uns, die andere, unwirkliche und amüsante Seite der Dinge zu sehen oder sich vorzustellen hilft uns, nicht zertreten zu werden. Sie gibt uns die Kraft zum Widerstand, die Nacht zu überleben, selbst wenn sie sehr lang ist. In diesem Sinne kann man die Menschen zum Lachen bringen, ohne sie zu verletzen: der jüdische Humor ist sehr mutig.“[49] Und das ist auch der zentrale Gesichtspunkt, dem die Kritiker von den Holocaust – Komödien Das Leben ist schön und Zug des Lebens keine Beachtung schenken.[50] Die Tradition des jüdischen Witzes reicht bis in die Anfangszeit des Judentums und ist charakteristisch für das jüdische Schrifttum. Erging es den Juden schlecht, machten sie nicht ihre Umwelt dafür verantwortlich, sondern waren der Auffassung,

Benigni und Zug des Lebens von Radu Mihaileanu, in: Wende, Waltraud (Hg.): Geschichte im Film. Mediale Inszenierung des Holocaust und kulturelles Gedächtnis, Stuttgart und Weimar 2002, S. 181f. dass sie für ihre Sünden bestraft wurden. Dieses Verhalten resultiert aus der Tatsache, dass der Maßstab für ihr Verhalten das göttliche Gesetz war. Das ist die Ursache für die selbstkritische und „überobjektive“ Geschichtsschreibung der Juden.[51]

Der jüdische Witz thematisiert in der Regel die Leiden des eigenen Volkes. Die Juden machen sich über sich selber lustig, indem sie mit einem freudig, befreienden Gefühl Schwäche zeigen.[52] „Wenn man einen jüdischen Witz hört, sieht man förmlich vor sich, wie ein witziger Jude seinem Gegner behutsam einen spitzen Dolch aus der Hand nimmt, ihn schärft, bis sich ein Haar damit spalten lässt, ihn putzt bis er hell aufblinkt, ihn in die eigene Brust stößt und ihn alsbald galant dem Antisemiten zurückreicht mit dem stillen Vorwurf: Nun sieh zu, ob du es auch nur halb so gut kannst.“[53] Auch in Salcia Landmanns Werk Der jüdische Witz manifestiert sich die Auffassung, dass der Witz über Hunderte von Jahren hinweg die einzige Waffe des Juden, der in der Literatur oft als wehrlos beschrieben wird, war.[54]

Bei der moralischen Betrachtung von Holocaust – Komödien gehen die Meinungen auseinander. Zusammenfassend kann man hier sagen, dass die Betrachtungsweise davon abhängt, in welchem Verhältnis der Betrachter zum Holocaust steht, welche Bedeutung das Lachen in den Filmen hat und welche moralische Legitimation der Film erfährt, z.B. wie Zug des Lebens von der jüdischen Öffentlichkeit begeistert aufgenommen wurde.[55]

5. Filmografie

5.1. Holocaust - Spielfilme

5.1.1. Der 9. Tag

Der Priester Henri Kremer, inhaftiert im „Pfarrersblock“ im Dachauer Konzentrationslager, bekommt ungewöhnlicherweise neun Tage Urlaub. In seiner Heimat Luxemburg muss er sich täglich bei Untersturmbannführer Gebhardt, dessen Mutter schon immer den Wunsch hegte, dass ihr Sohn Priester werde, melden. Nationalsozialist Gebhardt will den Abbé Kremer zum Verrat bewegen, um somit den passiven Widerstand des Luxemburger Bischofs zu brechen.

Die Nationalsozialisten drohen Henri Kremer, wenn er während seines Urlaubs an Flucht denken sollte, sei das Leben seiner Glaubensbrüder und seiner Familie in Gefahr.

Als sich herausstellt, dass der Versuch, den Bischof mit Hilfe Kremers kleinzubekommen, misslingt, fordert Gebhardt von dem Priester, er solle sich zur nationalsozialistischen Kirche bekennen.

Nicht nur die schrecklichen Ereignisse, die Henri Kremer im KZ Dachau erlebte, verfolgen ihn, sondern auch Schuldgefühle – das Gefühl, Schuld am Tod eines Mithäftlings zu sein. Durch den Fund eines Wasserrohrs konnte er seinen Durst löschen, erzählte aber niemanden davon. Ein anderer Gefangener ertrug die Not im KZ nicht und beging Selbstmord indem er sich in den Stacheldrahtzaun warf. Die Geheimhaltung des gefundenen Wasserrohrs vor den anderen Gefangenen treibt Henri Kremer in das Gefühl, am Tod des Mithäftlings Schuld zu sein. Auch das lang erhoffte, und von Gebhardt erwartete, Gespräch mit dem Bischof konnten die seelischen Probleme des Abbé nicht lösen. Der einzige Weg, den er mit seinem Gewissen vereinbaren kann, ist der Versuchung Gebhardts zu widerstehen und in das KZ zurückzukehren.[56]

5.1.2. Aimée und Jaguar

Aimée und Jaguar, gedreht von Max Förberböck, erschien erstmals 1998 in den deutschen Kinos. Der Film erzählt die wahre Geschichte von Aimée und Jaguar, die sich 1943 in Berlin kennen und lieben lernen.

Den Rahmen der Handlung bildet die Gegenwart, in der sich Lilly (Aimée) und eine frühere Bekannte, Ilse, im Altersheim wieder treffen. Diese Begegnung ruft in Lilly die Erinnerung an Felice und ihre Liebe wach:

Lilly Wust, auch Aimée genannt, Nazi – Mitläuferin, Mutter von vier Kindern, ist auf sich alleine gestellt, da ihr Mann im Krieg ist. Als Mutterkreuzträgerin und angesehene Helferin bei der Verteilung der Lebensmittelkarten versucht sie ihre Affären geheim zu halten, um den Schein aufrecht zu erhalten.

Felice und Lilly lernen sich zu dem Zeitpunkt kennen, als die nationalsozialistische Regierung die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen hatte und die Juden, aus Angst vor Deportationen, versteckt leben mussten.

Felice und ihre jüdischen Freundinnen lassen sich von der Angst und den Schrecken nicht unterkriegen. Neben der Furcht entdeckt zu werden und den Suchen nach Wegen, um dem nationalsozialistischen Terror zu entkommen und ins Ausland zu fliehen, versuchen sie weiterhin auch die schönen Dinge des Lebens zu genießen. Mit falschen Namen getarnt, ist es ihnen möglich sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, Konzerte und Theateraufführungen zu besuchen. Und hier trifft Felice auf Lilly, die mit ihrem äußeren Erscheinungsbild genau die Vorstellungen von einer arischen Frau erfüllt: Sie ist groß, schlank und blond. Die Jüdin findet Gefallen an Lilly und will deren Interesse wecken. Der Wunsch nach einer Beziehung mit Lilly ist größer als die Angst von den Nazis entdeckt zu werden. Felice’ Vertrauen ist so groß, dass sie Lilly gegen den Willen ihrer Freundin Ilse, die dazu verpflichtet wurde Lilly im Haushalt zu helfen, in den Freundeskreis aufnimmt.

Die Liebe zwischen Aimée und Jaguar, die Kosenamen, die sich beide gaben, ist so groß, dass Felice die rettenden Auslandspapiere zurückweist, um bei Lilly bleiben zu können. Kurz darauf wird Felice von der Gestapo entdeckt, verhaftet und, wie man später in einem Gespräch zwischen Lilly und Ilse erfährt, nach Theresienstadt gebracht.

An diesem Punkt schwenkt der Film wieder in die Gegenwart zu den zwei alten Damen im Altersheim, die in ein Gespräch vertieft sind. Ein Gespräch, das zur Versöhnung zwischen beiden führt, da Ilse Lilly einst die Schuld an Felice’ Deportation gab.

Mit einem Rückblick in die Vergangenheit endet der Film: Felice, Lilly und ihre Freunde spielen ausgelassen Karten während Felice dazu das Lied „Immer und ewig“ singt.

Im Abspann wird dem Zuschauer die traurige Vermutung übermittelt, dass Felice bei einem der Todesmärsche ums Leben kam.[57]

[...]


[1] www.der-grosse-diktator.de/start.html [8.02.07].

[2] www.djfl.de/entertainment/djfl/1105/110669.html [28.12.06]

[3] Vgl. Kleinschmidt, Michael M.: Filmheft Zug des Lebens, Radu Mihaileanu. F/RO/NL/BE 1998, (Hg.): Institut für Kino und Filmkultur (IKF) im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung, Augsburg 2001, S. 19.

[4] Vgl. Werner, Tilo: Holocaustspielfilme im Geschichtsunterricht, Norderstedt 2004, S. 16.

[5] Vgl. Gilbert, Martin: Nie wieder! Die Geschichte des Holocaust, Berlin, München 2001, S. 62.

[6] Vgl. Werner, 2004, S. 23.

[7] Vgl. Thiele, Martina: Publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film, Münster 2001, S. 17.

[8] Vgl. Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers: 1. Buch Mose (Genesis), Kapitel 22, Vers 2 – 13, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1996, S. 22f.

[9] Vgl. Ebd. 3. Buch Mose, Kapitel 1, Vers 3 – 17, S. 106.

[10] Vgl. Thiele, 2001, S. 17.

[11] Vgl. Young, James E.: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation, Frankfurt/Main 1992, S. 142ff.

[12] Vgl. Gilbert, 2001, S. 62.

[13] Vgl. Auron, Yair: Der Schmerz des Wissens. Die Holocaust – und Genozid – Problematik im Unterricht, Lich/ Hessen 2005, S. 175.

[14] Vgl. Werner, 2004, S. 23.

[15] Vgl. Benz, Wolfgang: Die Juden im Dritten Reich, in: Benz, Wolfgang/ Bergmann, Werner (Hg.): Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus, Freiburg, Basel, Wien 1997, S. 373f.

[16] Vgl. Benz, Wolfgang: Der Holocaust, München: Beck 1995, S. 23.

[17] Vgl. Informationen zur politischen Bildung: Nationalsozialismus II, Führerstaat und Vernichtungskrieg, Nr. 266/2000, S. 16.

[18] Ebd. S. 16.

[19] Vgl. Benz: Die Juden im Dritten Reich, 1997, S. 374ff.

[20] Vgl. Informationen zur politischen Bildung: Nationalsozialismus II: Führerstaat und Vernichtungskrieg, Nr. 266/ 2000, S. 57f.

[21] Vgl. Strauss, Herbert A.: Der Holocaust. Reflexionen über die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen und menschlichen Annäherung, in: Strauss, Herbert A./ Kampe, Norbert (Hg.): Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust, Frankfurt/ Main; New York 1985, S. 220f.

[22] Vgl. Informationen zur politischen Bildung: Nationalsozialismus II: Führerstaat und Vernichtungskrieg, Nr. 266/ 2000, S. 58.

[23] Reinhard Heydrich war im Dritten Reich SS – Obergruppenführer, General der Polizei und Leiter des Reichssicherheitshauptamts (RSHA). Heydrich war Leiter der Wannseekonferenz am 20.1. 1942, bekam von Hermann Göring die „Endlösung der Judenfrage“ zugeteilt und wurde somit zum Organisator des Holocausts gemacht. Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, S. Fischer Verlag, Frankfurt/ Main, 2003, S. 253.

[24] Vgl. Strauss, 1985, S. 224.

[25] Vgl. Informationen zur politischen Bildung: Nationalsozialismus II: Führerstaat und Vernichtungskrieg, Nr. 266/ 2000, S. 59.

[26] Vgl. Werner, 2004, S. 25.

[27] Vgl. Ebd. S. 26ff.

[28] www.kerber-net.de/literatur/deutsch/prosa/tucholsky/satire-komm.htm [20.02.07]

[29] Vgl. Werner, 2004, S. 29f.

[30] Vgl. Frölich/ Loewy/ Steinert: Lachen darf man nicht, lachen muss man. Zur Einleitung, in: Frölich/ Loewy/ Steinert (Hg.): Lachen über Hitler – Auschwitz – Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust, München 2003, S. 12.

[31] Ebd. S. 12.

[32] Vgl. ebd. S. 12.

[33] Vgl. Werner, 2004, S. 29f.

[34] Ebd. S. 30.

[35] Vgl. Werner, 2004, S. 30ff.

[36] Paech, Joachim: Das Komische als reflexive Figur im Hitler – oder Holocaust – Film, in: Frölich/ Loewy/ Steinert (Hg.): Lachen über Hitler – Auschwitz – Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust, München 2003, S. 65.

[37] Walsh, David: Ziel verfehlt, 17. November 1998, World Socialist Web Site, www.WSWS.org. [27.12.06]

[38] Vgl. Frölich/ Loewy/ Steinert: Lachen darf man nicht, lachen muss man. Zur Einleitung, 2003, S. 9.

[39] Vgl. www.djfl.de/entertainment/djfl/1105/110669.html [28.12.06]

[40] Vgl. Hollstein, Miriam/ Schmitt – Hollstein, Dorothea: Zug des Lebens, Film des Monats März 2000, in: Medien praktisch 3/2000, S. 39.

[41] Kortmann, Géraldine: Das Absurde als Element der Komik. Anmerkungen zum Film Train De Vie von Radu Mihaileanu, in: Frölich/ Loewy/ Steinert (Hg.): Lachen über Hitler – Auschwitz – Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust, München 2003, S. 293.

[42] Vgl. Werner, 2004, S. 30.

[43] Vgl. Hollstein/ Schmitt – Hollstein, 2000, S. 39f.

[44] Vgl. Frölich/ Loewy/ Steinert: Lachen darf man nicht, lachen muss man. Zur Einleitung, 2003, S. 9ff.

[45] Vgl. Schäfer, Eva: Mediendidaktische Reflexionen über Erinnerungskonstruktionen in Walter Benjamins Baudelaire – Studien und Roberto Benignis Film Das Leben ist schön: zwischen Kunst und Holocaust, Frankfurt/M.; Berlin; Bern; Bruxelles; New York, Oxford; Wien 2002, S. 84.

[46] Vgl. Frankl, Viktor E.: „…trotzdem ja zum Leben sagen“ – Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, München 2000, S. 74.

[47] Frankl,2000, S. 74.

[48] Vgl. Schäfer, 2002, S. 84.

[49] Ebd. S. 84.

[50] Vgl. Bleicher, Kristin Joan: Zwischen Horror und Komödie: Das Leben ist schön von Roberto

[51] Vgl. Landmann, Salcia: Der jüdische Witz, Olten 1960, S. 31f.

[52] Vgl. Grotjahn, Martin: Vom Sinn des Lachens. Psychoanalytische Betrachtungen über den Witz, den Humor und das Komische, München 1974, S. 26f.

[53] Ebd. S. 26.

[54] Vgl. Landmann, 1960, S.13.

[55] Vgl. Werner, 2004, S. 30.

[56] Vgl. Heinzelmann, Herbert: Filmheft: „Der neunte Tag“ Volker Schlöndorff, Deutschland/ Luxemburg 2004, (Hrsg.) Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004, S.4.

[57] Vgl. Brenneisen, Claudia: Filmheft Aimée und Jaguar Max Förberböck BRD 1997/1998, (Hg.): Institut für Kino und Filmkultur (IKF) im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung, Augsburg 2001, S. 5f.

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Holocaustkomödien im Geschichtsunterricht
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
110
Katalognummer
V115789
ISBN (eBook)
9783640191505
Dateigröße
1144 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien. Eingereicht beim Kultusministerium-Landesprüfungsamt für Lehrämter in Sachsen-Anhalt.Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien. Eingereicht beim Kultusministerium-Landesprüfungsamt für Lehrämter in Sachsen-Anhalt.
Schlagworte
Holocaustkomödien, Geschichtsunterricht
Arbeit zitieren
Josefine Just (Autor:in), 2007, Holocaustkomödien im Geschichtsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115789

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Holocaustkomödien im Geschichtsunterricht



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden