Der Mythos von Iphigenie, als Götterglaube zuerst lediglich mündlich überliefert, ist spätestens seit Benjamin Hedrichs Gründlichem mythologischem Lexikon aus dem Jahre 1770 im kulturellen Gedächtnis verankert und somit in all seinen Variationen allgemein zugänglich. Seitdem ist eine Vielzahl literarischer Adaptionen dieses Stoffes entstanden, von denen nur wenige überzeitliche Bedeutung beanspruchen können. Speziell die Iphigenie-Dramen der Gegenwartsliteratur sind in hohem Maß auf ihren Entstehungskontext bezogen, doch auch sie finden als Teil einer literarischen Traditionskette immer einen „Kanon von Werken und ein Inventar an Gattungen, Formen und Stilen vor, […] zu dem sie sich verhalten und gegen das sie sich behaupten müssen, das sie aber unmöglich ignorieren können.“
So fällt bei einer synchronen Betrachtung auf, dass die intertextuelle Bezugnahme auf zwei Texte besonders groß ist: Iphigenie im Taurerlande von Euripides und Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang Goethe, die somit als Prätexte bezeichnet werden können. Bei Euripides ergibt sich dieser Rückbezug aus der großen zeitlichen und inhaltlichen Nähe zum Ursprung des Mythos, bei Goethe aus der Modellhaftigkeit der Behandlung sowie der deutungsoffenen und dadurch zeitunabhängigen Bearbeitung der Geschichte im Hinblick auf die Grund-probleme der Menschheit . Während der Analyse dieser Prätexte wird sich trotz aller Differenzen zeigen, dass Goethe Euripides keineswegs revidiert, sondern vielmehr dessen Grundgedanken weiter ausarbeitet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problemstellung
- Methodik
- Die Prätexte
- Euripides: Iphigenie im Taurerlande
- Handlungsverlauf und Figurenkonzeption
- Konfliktlösung durch den «Deus ex machina>>
- Goethe: Iphigenie auf Tauris
- Handlungsverlauf und Figurenkonzeption
- Prozess der Mündigwerdung
- Kommunikatives Talent
- Konfliktlösung durch ein positives Welt- und Götterbild
- Der Schatten der Humanität: Thoas' Opfer
- Die Variationen in der Gegenwartsliteratur
- Rainer Werner Fassbinder: Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang von Goethe (1968)
- Handlungsverlauf und Figurenkonzeption
- Iphigenie als Sexsklavin
- Keine Charaktere, kein Dialog, keine Handlung
- Aufrechterhaltung der alten Machtstrukturen
- Ilse Langner: Iphigenie und Orest (1977)
- Handlungsverlauf und Figurenkonzeption
- Vom Hochzeitskleid zum Mörderkleid
- Gewalt als Maske
- ,,Die Nacht ist jetzt ganz dunkel.“
- Jochen Berg: Im Taurerland (1978)
- Handlungsverlauf und Figurenkonzeption
- Konfliktlösung durch den kollektiven Widerstand des Volkes
- Volker Braun: Iphigenie in Freiheit (1992)
- Handlungsverlauf und Figurenkonzeption
- Aspekte der Zitatmontage
- Iphigenie als stummes Opfer
- Problematisierung der Utopie
- ,,Materie, die lieben lernt im Winter"
- Schlussfolgerung
- Siglenverzeichnis
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Transformation des Iphigenie-Mythos in der Gegenwartsliteratur. Sie untersucht, wie verschiedene Autoren den Stoff in ihren Werken neu interpretieren und auf die zeitgeschichtlichen und ideologischen Kontexte ihrer jeweiligen Epochen beziehen. Die Arbeit konzentriert sich dabei auf die Gattung Drama und auf die Ereignisse auf Tauris, um die Vergleichbarkeit der Texte zu gewährleisten.
- Intertextuelle Beziehungen zwischen den Prätexten und den Variationen der Gegenwartsliteratur
- Die Rolle der Hauptfigur Iphigenie in den verschiedenen Dramen
- Die Konfliktlösung in den einzelnen Texten und ihre Abhängigkeit von den jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontexten
- Die ästhetischen, soziologischen und politischen Implikationen der Transformationen
- Die Auseinandersetzung mit den „verdeckten Konflikt von Humanität und geschichtlicher Wirklichkeit“ in Goethes Iphigenie auf Tauris
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Problemstellung der Arbeit vor und erläutert die Methodik der Analyse. Sie führt in die Thematik der Intertextualität ein und skizziert das Konzept der Hypertextualität, das für die Untersuchung der Iphigenie-Variationen relevant ist.
Das Kapitel „Die Prätexte“ analysiert die beiden wichtigsten Vorbilder für die Iphigenie-Dramen der Gegenwartsliteratur: Euripides' Iphigenie im Taurerlande und Goethes Iphigenie auf Tauris. Es werden die Handlungsverläufe, die Figurenkonzeptionen und die Konfliktlösungen in beiden Dramen untersucht und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet.
Das Kapitel „Die Variationen in der Gegenwartsliteratur“ widmet sich den Iphigenie-Dramen von Rainer Werner Fassbinder, Ilse Langner, Jochen Berg und Volker Braun. Es werden die Handlungsverläufe, die Figurenkonzeptionen und die Konfliktlösungen in den einzelnen Dramen analysiert und in Bezug zu den Prätexten und den jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontexten gesetzt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Iphigenie-Mythos, die Intertextualität, die Hypertextualität, die Gegenwartsliteratur, die Dramenliteratur, die Figurenkonzeption, die Konfliktlösung, die historische und gesellschaftliche Kontextualisierung, die ästhetischen, soziologischen und politischen Implikationen, sowie die Auseinandersetzung mit den „verdeckten Konflikt von Humanität und geschichtlicher Wirklichkeit“ in Goethes Iphigenie auf Tauris.
- Arbeit zitieren
- M.A. Yvonne Hoock (Autor:in), 2008, Iphigenie-Variationen - Iphigenie-Prätexte und deren Variationen in der Gegenwartsliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115977