Leseprobe
Zu Sprache und Handeln in Georg Büchners Dantons Tod
In der folgenden Ausarbeitung soll untersucht werden, ob und inwiefern Sprache und Handeln in Büchners Danton gleichgesetzt werden können und welche Rolle das (Nicht-)Handeln des Protagonisten in diesem Zusammenhang spielt. Um die dem Drama inhärente Revolutionsrhetorik herauszuarbeiten, die die Grundvoraussetzung dafür bildet, einen Zusammenhang zwischen Sprache und Handeln untersuchen zu können, scheint es sinnvoll, zunächst darzulegen, worin die Besonderheit des Dramas als Zitat-Montage besteht.
Wenn in Büchners Danton ca. ein Sechstel des Textes1 nachweislich aut historische Quellen2 zurückzuführen ist, dann ist wichtig zu erwähnen, dass diese im Drama nicht bloß im Sinne einer literarischen Umschrift dargestellt, sondern so montiert werden, dass sich erst durch diese Technik ein eigener Handlungszusammenhang konstituiert.3 Die im Drama aufgerufenen historischen Kontexte werden selbst zur ästhetischen Faktur des literarischen Textes, wenn sie durch die Montage aut der Textoberfläche präsentiert und so selbst zu einem Teil des Textes werden.4 Reiner Niehott etabliert in diesem Zusammenhang den Begriff eines eigenen >Zitattextes<, der die Szene umfasst, in denen sich die historischen Zitate bündeln, woraus sich ein eigenes >Drama im Drama< ergibt, dass einer eigenen, in sich kohärenten (Handlungs-)Logik folgt.5 Dabei sind es vor allem die >offiziellen< Reden im Drama, die Büchner fast vollständig aus den ihm vorliegenden Geschichtswerken übernommen hat. Wenn diese Parlamentsreden wiederholt aut der Straße zitiert, imitiert und persifliert werden, dann trägt das dazu bei, dass Büchners Stück durchweg als inszeniertes Sprechen erscheint und den rhetorischen Charakter jeglicher (Sprach-)Handlung unterstreicht.6 Das Drama reflektiert seine eigene Zitathaftigkeit7 und macht sie zum Gegenstand im Danton.
Unter dem Aspekt der Sprache fällt auf, dass sich durch alle gebündelten Zitatszenen des Zitattextes derselbe Sprachstil zieht. Sie ähneln sich nicht nur in ihrer Thematik und Struktur, sondern scheinen auch einer bestimmten Rhetorik zu folgen.8 Vor allem die Reden Robespierres folgen einer >Sprache der Revolution^ die sich in theatralen Gebärden, geschichtshistorischen Floskeln und moralischen Stigmatisierungen äußert.9 Diese Revolutionsrhetorik wird bereits in der ersten Rede Robespierres vor dem Jakobinerklub deutlich: er verwandelt Antonyme in Synonyme, wenn er vom „Despotismus der Freiheit“ (I, 3) spricht und argumentiert so, dass Danton durch seinen lasterhaften Lebenswandel als „politische[r] Feind der Freiheit“ (ebd.) erscheint.10 Als „Gesetzgeber des Volkes“ (ebd.) lässt er keine Abweichungen von dem pathetischen Ton und den heroischen Sitten zu, die auf die Republikaner des alten Roms11 verweisen12 und herrscht über das „erhabne Drama der Revolution“ (ebd.).13
Der Zitattext scheint nicht nur über Anfang, Verlauf und Ende der Handlung zu bestimmen und die handelnden Figuren gewissermaßen zu seinen Agenten zu machen. Vielmehr verfolgt er den totalitären Anspruch, alles Sprechen regulieren und alle Akteure zu sienen Sprechern machen zu wollen.
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1 Vgl. Nicolas Pethes (2006): »Das war schon einmal da! Wie langweilig!« Die Melancholie des Zitierens in Georg Büchners dokumentarischer Poetik, S. 521.
2 Eine Erarbeitung der dem Drama zugrundeliegenden historischen Quellen findet sich u.a. bei Karl Viëtor: Die Quellen von Georg Büchners Drama >Dantons Tod<. In: Euphorion 34 (1933), S. 357-379.
3 Vgl. Pethes (2006): Die Melancholie des Zitierens, S. 525.
4 Vgl. Pethes (2006): Die Melancholie des Zitierens, S. 519.
5 Vgl. Reiner Niehoff (1991): Die Herrschaft des Textes. Zitattechnik als Sprachkritik in Georg Büchners Drama »Danton's Tod« unter Berücksichtigung der »Letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus, S. 41f. Diese Szenen umfassen u.a. die Reden Robespierres (I, 3 u. II, 7), den Antrag Legendres (II, 7), die Intrige Hèrmans (III, 2), die Reden Dantons vor dem Tribunal (III, 4 u. III, 9). Die Szenenangaben beziehen sich dabei auf folgende Textausgabe, aus der fortlaufend zitiert wird: Georg Büchner: Dantons Tod. Reclam: Stuttgart/Ditzingen 2002.
6 Vgl. Pethes (2006): Die Melancholie des Zitierens, S. 525.
7 Vgl. Pethes (2006): Die Melancholie des Zitierens, S. 522.
8 Vgl. Niehoff (1991): Die Herrschaft des Textes, S. 42.
9 Vgl. ebd., S. 52. Für eine detaillierte Analyse der Revolutionsrhetorik in den politischen Reden im Danton vgl. Simonetta Sanna (2010): Die andere Revolution. »Dantons Tod« von Georg Büchner und die Suche nach friedlicheren Alternativen. Sanna geht hier der Frage nach, worin die Revolutionsrhetorik sich konkret äußert und welcher sprachlichen Mittel sich die politischen Rhetoren im Danton bedienen, um den dritten und vierten Stand zu manipulieren und ihre eigenen Interessen durchsetzen zu können, vgl. dazu u.a. Sanna 2010, S. 34f. Zur Entlarvung der Rhetorik Robespierres als Täuschung und Lüge vgl. ebd., S. 68f.
10 Vgl. Sanna (2010): Die andere Revolution, S. 76.
11 Vgl. dazu Walter Benjamin: „Die französische Revolution verstand sich als ein wiedergekehrtes Rom. Sie zitierte das alte Rom genau so wie die Mode eine alte Tracht zitiert.“ In: Das Hannah- Arendt-Manuskript. Walter Benjamin: Uber den Begriff der Geschichte. Hg. von Gérald Raulet. Walter Benjamin. Werke und Nachlaß. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 19. Suhrkamp: Berlin 2010, XII, S. 24.
12 Vgl. Sanna (2010): Die andere Revolution, S. 22.
13 Vgl. ebd., S. 77.