Selbstbestimmtes Wohnen. Wohnpolitische Analyse zur Umsetzung der Inklusion von Behinderten nach UN-Recht


Hausarbeit, 2021

25 Seiten, Note: 1,0

Florian Wondratschek (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Selbstbestimmtes Wohnen - ein Menschenrecht
2.1. UN-rechtliche Bestimmungen
2.2. Emotionale Annäherung an das Wohnen als Heimatbegriff
2.3. Anforderungen der Erklärung von Barcelona

3. Stand der Umsetzung der Inklusion auf dem Wohnungsmarkt in der Region Stuttgart
3.1. Verfügbarkeit
3.1.1. Allgemeine Verfügbarkeit von Wohnraum
3.1.2. Verfügbarkeit von barrierearmem Wohnraum
3.2. Finanzierbarkeit
3.3. Angebot an Unterstützerleistungen und Gestaltung inklusiver Sozialräume

4. Fazit

5. Abbildungsverzeichnis

6. Literaturverzeichnis

In der vorliegenden Ausarbeitung soll gendergerechte Sprache verwendet werden. Maskuline Wortverwendungen sollen stets geschlechtsunabhängig verstanden werden. Behinderungen werden als Benachteiligungen durch die Gesellschaft verstanden. Nationalitäten sind politisch definiert im Sinne einer Staatsbürgerschaft.

1. Einführung

Wohnen in der Region Stuttgart und das mit einer Behinderung? Vielen Menschen, auch nichtbehinderten, ist es bewusst, was es für ein immenser Aufwand ist, sich in einer Großstadtregion ein Zimmer oder gleich eine passende Wohnung zu finden. Für Menschen mit Behinderung stellen sich im Alltag ganz grundsätzliche Fragen: Wie komme ich von meinem Wohnort zur Schule oder zur Bildungseinrichtung, wie zu meinem Arbeitsplatz? Wie schaffe ich es von dort aus, meinen weiteren Alltag zu bewältigen, etwa den Einkauf oder den Arzttermin? Wie komme ich zu meinen Freizeiteinrichtungen? Verschiedene Umstände erschweren die Suche nach einer mobilitätsfreundlichen Umgebung. Wenn es sich bei dem Wunsch- und Wahlort auch noch um die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart handelt, ist die Skepsis oft hoch: In eine Metropole mit einer für eine Großstadt unüblichen Kessellage ziehen zu wollen, in der die dritthöchsten Mieten deutschlandweit erhoben werden und der Wohnraummangel immer Thema in kommunalpolitischen Diskursen ist, erscheint für viele riskant. Hohe Kosten für Wohnraum bereiten gerade Menschen mit Behinderungen, die durchschnittlich weniger Einkommen haben als Menschen ohne Behinderung, haben dabei besondere Schwierigkeiten. Fehlende oder nur an bestimmte Wohnformen geknüpfte Unterstützung sowie eine unzulängliche kommunale Infrastruktur führen oft dazu, dass Betroffene in abgelegenen Wohneinrichtungen untergebracht oder zwangsläufig von Familienmitgliedern abhängig sind. Immer noch ist das Vorurteil verbreitet, dass diese Menschen nicht in der Lage sind, selbstbestimmt zu wohnen. Kuhlig und Theuniesen (2016) verweisen in dieser Debatte auf das immer noch vorherrschende Bild, was „wohnen“ bedeutet:

Die allgemeingültige Vorstellung des Wohnens in der westlichen Welt ist zentral mit einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Haus verknüpft. Dieses eigene Heim ist mehr als eine Behausung; es ist ein Ort des Rückzuges und der selbst kontrollierten Sozialkontakte, ein Ort der selbst gestaltet werden kann und an dem man weniger als an anderen Orten einen äußerem Zeitregime unterworfen ist. Es ist sicher nicht vermessen, zu behaupten, dass die für die bürgerliche Gesellschaft grundlegende Idee der Trennung von öffentlichem und privatem Raum eng mit der angedeuteten Vorstellung von Wohnen verbunden ist. Dass die eigene Wohnung ein besonderer Ort ist, macht auch ihr gesetzlicher Schutz deutlich; von den allgemeinen Menschenrechten über die Europäische Menschenrechtskonvention bis hin zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schreiben die Gesetze die Unverletzlichkeit der Wohnung zum Schutz des privaten Raumes fest bzw. definieren enge Ausnahmen von dieser Grundregel. Andere Formen des Wohnens, z.B. Studentenwohnheime oder Wohngemeinschaften, folgen ebenfalls der genannten Grundidee, sind sie doch allermeist mit abgetrennten Wohneinheiten bzw. Zimmern ebenfalls auf die Erhaltung eines privaten Raumes hin konzipiert. Die wenigen Unterbringungssituationen, die dieses Grundprinzip verlassen (z.B. Krankenhäuser, Kasernen), sind temporär und über entsprechende Notwendigkeiten (Beispiel medizinische bzw. militärische) legitimiert. Problematisch ist die Umsetzung des Rechtes auf ein Leben in privater Häuslichkeit immer dann, wenn es mit einem Hilfebedarf durch Dritte aufgrund der individuellen Voraussetzungen oder der biografischen Situation verbunden ist. Dies trifft in den westlichen Gesellschaften vor allem auf zwei Personengruppen zu. Zum einen ältere Menschen, die aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen (z.B. demenziellen Erkrankungen) oder steigender Pflegebedürftigkeit nicht ohne Hilfe in der eigenen Wohnung leben können; zum anderen Menschen mit Behinderungen. (Kulig/ Theuniesen 2016, 7f.)

Das Augenmerk dieser Ausarbeitung gilt der zweiten Personengruppe. Spezielle Anforderungen an das Wohnen, die mit einer Behinderung als besonderer Lebenslage einhergehen, sollen unter theoretischen und praktisch erforschten Gesichtspunkten dargestellt werden. Zunächst soll das selbstbestimmte Wohnen als Menschenrecht aufgezeigt werden. Dafür eignet sich, zunächst die UN-rechtlichen Bestimmungen zu beleuchten. Anschließend soll über eine emotionale Annäherung Wohnen als Heimatbegriff verdeutlicht werden, um anhängend den Übergang zur Erklärung von Barcelona nachvollziehen zu können. Dann wird es konkret um den Stand der Umsetzung der Inklusion auf dem Wohnungsmarkt in der Region Stuttgart gehen, bei dem verschiedene wohnpolitische Aspekte analysiert werden, um letzlich ein Fazit zum Status quo in der Region Stuttgart zu verfassen, wie es konkret um die Wohnsituation von Behinderten in Stuttgart und Region steht.

2. Selbstbestimmtes Wohnen - ein Menschenrecht

2.1. UN-rechtliche Bestimmungen

Das Menschenrecht auf Wohnen ist von besonderer Bedeutung für ein selbstbestimmtes Leben. Wo ein Mensch wohnt und seinen Lebensmittelpunkt hat - dauerhaft oder nur auf Zeit - bestimmt über seine Möglichkeiten und Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das Wohnumfeld kann zu einem selbstbestimmten Leben beitragen oder dieses verhindern. In Artikel 19 der UN-BRK sind eine unabhängige Lebensführung und die Einbeziehung in die Gemeinschaft festgeschrieben. Behinderte sollen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen (Artikel 19 a) - dies gilt im Sinne eines Wahl-, Entscheidungs- und Verweigerungsrechts und unabhängig von der Art und Schwere ihrer Beeinträchtigung. Sie sollen auch Zugang zu Unterstützungsdiensten zu Hause haben (Artikel 19 b). Das setzt voraus, dass diese Unterstützungsdienste und Einrichtungen auch zur Verfügung stehen (Artikel 19 c). Die UN-BRK verpflichtet den Staat dazu, ein inklusives und befähigendes Wohnumfeld für alle Menschen im Sinne eines „inklusiven Sozialraums“ zu schaffen. Eine inklusive Sozialraumgestaltung von Städten soll dafür sorgen, dass die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass Menschen - mit oder ohne Behinderung - selbstbestimmt gemeinschaftlich miteinander leben können und nicht von Institutionen abhängig sind. Dazu gehört die Planung und Koordinierung von (wohn-) ortsnahen Unterstützungsdiensten wie persönlicher Assistenz, aber auch medizinischen Dienstleistungen, wie die Unterstützung bei der Pflege und im Haushalt. Außerdem ist ein gleichwertiger Zugang zu allen Einrichtungen des alltäglichen Lebens erforderlich, beispielsweise zu Diensten und Einrichtungen der allgemeinen sozialen Unterstützung, zu Bildungsangeboten, Infrastruktur, sportlichen und kulturellen Freizeiteinrichtungen. (vgl. Kroworsch 2019, 16f.)

Zugleich geht Kroworsch (2019) davon aus, dass die UN-BRK eine Deinstitutionalisierung, einen Veränderungsprozess weg von institutionalisierten Wohnformen hin zu Wohnmöglichkeiten fordert, damit Menschen mit Handicap Kontrolle über ihr eigenes Leben haben, sowie Partizipation in der Gemeinschaft verwirklichen können (vgl. ebd.). Sie meint damit aber auch Vorgaben abzubauen, die die Wahlfreiheit indirekt einschränken oder dazu führen, dass Unterstützung nur in bestimmten Einrichtungen angeboten wird, etwa Richtlinien für Einrichtungen durch die Träger und Kostenvorgaben. So sehen Hacker/ Küst- Lefebvre (2019) es für notwendig, ehemalige Heimstandorte zu inklusiven Wohnquartieren zu öffnen und insbesondere „bei großen regionalen Einrichtungen“ es notwendig sei, „die als Sonderbaugebiete ausgewiesenen Grundstücke in Wohnbaugebiete umzuwandeln“ (Hacker/ Küst-Lefebvre 2019).

Den Nachdruck zu dieser Entwicklung erzeugte auch die internationale Seite. Der UN­Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der die Umsetzung der UN- BRK in allen Vertragsstaaten - also auch in Deutschland - begleitet, hat 2017 in einer allgemeinen Bemerkung noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass es nicht ausreicht, Einrichtungen - unabhängig von ihrer Größe - zu schließen, um die Vorgaben der UN-BRK zu erfüllen. Vielmehr müssten umfassende Programme zur Stärkung von Dienstleistungen und ganzen Gemeinden sowie Aufklärungsprogramme aufgelegt werden. Ziel müsse es außerdem sein, Wohnmöglichkeiten für behinderte Menschen zu schaffen, die ihnen Entscheidungen und Kontrolle über das eigene Leben sowie Inklusion und soziale Teilhabe ermöglichen. Folglich müssten auch rechtliche Vorschriften abgeschafft werden, die die Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung einschränken und sie praktisch zwingen, entgegen ihren Wünschen in Institutionen und anderen segregierenden Orten zu leben. Bereits 2015 kritisierte der UN-Ausschuss im Rahmen der Staatenprüfung Deutschlands hohen Grad an Institutionalisierung, den Mangel an alternativen Wohnformen und die fehlende Infrastruktur für Menschen mit Behinderungen. Er forderte Deutschland als Vertragsstaat der UN-BRK auf, die notwendigen sozialen Assistenzdienste und ambulanten Dienste auszubauen. Der UN-Ausschuss empfahl den staatlichen Stellen, ausreichend Finanzmittel für den Abbau von institutionalisierten Wohnformen und für die Förderung unabhängiger Lebensführung sowie für die Verbesserung des Zugangs zu Programmen und Leistungen zum Leben in der Gemeinschaft bereitzustellen.

2.2. Emotionale Annäherung an das Wohnen als Heimatbegriff

Wohnen wird emotional eng auch mit dem Wort Heimat verknüpft. Kaufmann (2015) verdeutlicht, dass Heimat zwar auch räumlich geographisch „als Ort des Geborenwerdens und Heranwachsens (locus natalis) - dort wo die Wiege stand“ gedacht werden kann, dass Heimat aber immer auch darüber hinaus auf bedeutsame Grundbedürfnisse verweist (Kaufmann 2015, 22f.). „Symbolisch für Heimat als Raum dieser Geborgenheit und Sicherheit, Stillung, Befriedung und Ruhe steht das ,Haus‘: also Heimat als das Wort selbst prägende ,Heim‘“ (ebd.). Die enge Verknüpfung mit dem Phänomen der Beheimatung spiegelt sich bereits in den Begriffen Heim und Heimat (vgl. Hoanzl 2017, 42). Damit aus einem Ort ein echtes Zuhause werden kann, ist eine aktive Aneignung, ein „Sich-vertraut- machen“ mit dem Vorzufindenden unerlässlich (vgl. ebd.). Die Bedeutung des Gefühls beheimatet zu sein, wird oft erst dann erfahrbar und erkennbar, wenn diese brüchig wird bzw. verloren geht (Hoanzl 2017, 47f.). Solange etwas sicher verfügbar ist, denken Menschen nicht darüber nach (vgl. ebd.). Erst mit dem Vermissen beginnt ein Reflexionsprozess, in welchem durch den fremden bzw. verfremdeten Blick das bis dahin unbeachtete Selbstverständliche zum Vorschein kommt (vgl. ebd.). Wenn man sich dem Thema aus der Perspektive der Neurobiologie nähert, fällt auf, dass die Beziehung zu den Mitmenschen dieses erlebte Heimatgefühl beim Wohnen bedingen können. Renate Zöller, die als Historikerin schon seit 2005 interdisziplinär zum Heimatbegriff forscht und publiziert, schreibt: „Medizinisch gesehen entsteht das warme Gefühl für unsere Heimat schlicht durch ein riesiges Sammelsurium an Engrammen, also Spuren in unserem zentralen Nervensystem, die durch besondere Reize oder Eindrücke hinterlassen wurden. Je positiver die Eindrücke waren, je öfter wir sie erlebt haben, umso stärker sind die Engramme synaptisch verfestigt. Ein bestimmter Geruch, eine Melodie, eine besondere Landschaft - all das kann sich neurologisch gesehen wie ein Spinnennetz in unser Gehirn weben und Heimatgefühle erzeugen. Heimat kann damit an mehreren Orten empfunden werden oder überhaupt nicht örtlich gebunden sein“ (Zöller 2015, 8). Das konkrete Hormon, welches neurobiologisch als eindrucksvolles Gefühl bereits in der frühkindlichen Erfahrung im Gehirn abspeichert wird, ist Oxytocin. Seine Anwesenheit im Zentralnervensystem wirkt belohnend auf sozialen Kontakt, setzt soziale Hemmschwellen herab, erzeugt die Basis für Vertrauen und fördert darüber hinaus die Entwicklung von engen zwischenmenschlichen Bindungen (vgl. Uvnäs-Moberg/ Petersson 2005, 70). Auf das Wohnen bezogen heißt das: Wo Wohnen als angenehme gemeinschaftliche Erfahrung gemacht worden ist, um so eher fühlt sich ein Mensch beheimatet und desto mehr mag er auch zukünftig diese Gefühle wiedererleben. Des Weiteren wird dies noch verstärkt, wenn man mobil eingeschränkt wird, sei es über eine Behinderung oder über ein nicht gut ausgebautes Mobilitätsnetz, da gemeinsame Zeit häufiger regional verbracht wird.

Die Frage, wann und wie ein Mensch diesen „sicheren Hafen“ verlässt, ist entscheidend für die Teilhabe. Jede Form von Fremdbestimmung kann sich negativ auf das Selbstbild und Selbstkonzept auswirken, Beispiele für fremdbestimmte Auszüge sind:

- Entfernung des Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes
- Koppelung des Arbeitsplatzes an Wohnformen
- Gewünschte Trennung von Bezugspersonen von den Betroffenen
- Nicht mehr finanzierbare Mietpreise für das Wohnen
- Druck Dritter auf den Betroffenen

Damit Wohnorte als Heimat empfunden werden können, braucht es die Miteinbeziehung der intrapersonellen Bedürfnisse (vgl. Krapp 2005, 635). Ansonsten wird inklusive Teilhabe ad absurdum geführt. Obwohl grundsätzlich angenommen werden muss, das Menschen sich auch im Wohnen voneinander unterscheiden, hat die Sozialforschung 2019 in der Vermächtnisstudie eine deutliche Tendenz gesehen, was in der Bundesrepublik unter Heimat verstanden wird: Für 80 Prozent ist es der Ort, an welchem die Familie und/oder der/die Lebenspartner*in lebt (vgl. Steinwende 2019, 25). Diese Tendenz ist ein deutlicher Widerspruch zum neoliberalen Zeitgeist, der ein Verlassen als wirtschaftliche Flexibilisierungsmaßnahme vorgibt (vgl. Zöller 2015, 11). Nach Hoanzl (2017) ist Individualisierung „demnach - ebenso wie Mobilität - längst kein Beleg für geglückte Freiheit, sondern vielmehr eine Verschiebung von Zwängen und ein Verdammtsein, das Eigene im Chaos der Veränderungen finden zu müssen“ (Hoanzl 2017, 48). Es ist ein klares Plädoyer, Heimat selbst zu bestimmen, wenngleich stets hinterfragt werden soll, inwiefern die Entscheidung von äußeren deterministischen Faktoren abhängen könnte - insbesondere bei Behinderten wäre folglich diese Überprüfung hilfreich, um inklusives Wohnen als gewonnene Freiheit und Heimat empfinden zu können.

2.3. Anforderungen der Erklärung von Barcelona

Inwieweit Wohnen den inklusiven Ansprüchen genügt, bedarf im Normalfall konzipierte Reifegradmodelle, welche detailgenau angeben, an welchen Kriterien gemessen werden sollte, wann die Wohnsituation einer Stadt oder Region als „inklusiv“ bezeichnet werden kann. Solche Reifegradmodelle, die typischerweise in politik- oder wirtschaftwissenschaftlichen Fachdisziplinen erstellt werden, existieren bislang für den Bereich des „inklusiven Wohnens“ noch nicht. Aus diesem Grund bedarf es einer Orientierung an schlichten Regelwerken: Als Leitlinie wurde die Umsetzung der UN­Behindertenrechtskonvention in der sogenannten „Erklärung von Barcelona“ konkretisiert. Anlässlich des Europäischen Kongresses „Die Stadt und die Behinderten“ am 23. und 24. März 1995 haben sich die unterzeichnenden Städte auf mehrere Punkte verständigt, damit Menschen mit Behinderung stärker selbst bestimmen, teilhaben und ohne Barrieren leben können.

So sollen sich die Kommunen dafür einsetzen, dass mehr Verständnis für Behinderte entwickelt wird und dass Städte sich verstärkt den individuell entsprechenden Bedürfnissen zuwenden. In Punkt 8 wird ein klarer Bezug zum Wohnort deutlich: Die Kommunen sollen ermöglichen, für die alltäglichen Bedürfnisse von Behinderten Hilfen bereitzustellen, dass sie in ihrem eigenen Heim und in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können. Man erkennt hier die im oberen Kapitelabschnitt beschriebene emotionale Verknüpfung zum Heimatsbegriff. Ebenfalls ist festgeschrieben, dass „auf diese Weise eine permanente Unterbringung in Behinderten-Einrichtungen“ umgegangen werden soll (vgl. Europäischen Kongresses 1995, 3). Auch zur Finanzierung sollten Maßnahmen für behinderungsgerechtes Wohnen in Anlehnung an die persönliche und wirtschaftliche Situation der Betroffenen geschaffen werden (ebd.). Darüber hinaus sollen die Städte Gelder für Forschungen über neue Impulse für die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen ausgeben. Bereits im Vorfeld solcher Vorhaben sollen behinderte Menschen über Verbände, Organisationen oder privat miteinbezogen werden, um gemeinsame Strategien für eine globale und nachhaltige Stadtentwicklung zu entwickeln. Diese Forschungen können natürlich auch auf dem Bereich der Stadtplanung zur Ergründung passender Wohnkonzepte geführt werden. Auch eine Stadt wie Stuttgart verpflichtet sich in der Erklärung zu diesen verschiedenen Punkten. Inwieweit die Stadt diesen Themen gerecht wird, soll im Rahmen dieser wissenschaftlichen Hausarbeit näher erörtert werden. Trotz des Anspruchs der evidenzbasierter Forschung muss auf die prekäre Forschungslage verwiesen werden, wodurch es zur Herausforderung wird, für die gesamte Stuttgarter Region darüber ein Urteil zu fällen und um bereits umgesetzte Projekte auf Basis wissenschaftlicher Vergleichsforschungen vorzustellen. Die Arbeit soll eng der Gegenwart und der Zukunft zugewandt sein, um eine realistische Orientierung erhalten zu können, wie der derzeitige Stand an Selbstbestimmung in der Region ist, um Politik, Verwaltung, Raum- und Verkehrsplaner*innen zu sensibilisieren. Aus dem Grund der Plastizität sollen Kommunen aufgeführt werden, von denen der Autor einen hohen Grad an Erfüllung eines Punktes annimmt.

3. Stand der Umsetzung der Inklusion auf dem Wohnungsmarkt in der Region Stuttgart

Das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen ist in Stuttgart ein gesellschaftlich wie politisch bekräftigtes Ziel. Inwieweit dieses Ziel in der Landeshauptstadt allerdings erreichbar ist, soll in diesem Kapitelabschnitt vertieft geklärt werden. Methodisch sollte mithilfe einer Sekundäranalyse dieser Umsetzungsstand erörtert werden. Heaton (2004) definiert Sekundäranalyse als eine Forschungsstrategie, die bereits existierende quantitative oder qualitative Daten nutzt, um neue Fragestellungen zu untersuchen oder vorherige Studien zu reanalysieren. Für ganz Baden-Württemberg liegt unter dem Titel „Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg“ eine groß angelegte Studie von Günther/ Abraham (2020) vor. Diese sollen genauer auf die Region Stuttgart und insbesondere die Landeshauptstadt als bevölkerungsreichste Stadt übertragen werden, um den konkreten Umsetzungsstand von inklusiver Teilhabe beim Wohnen wissenschaftlich ermitteln zu können. Weil entsprechende Daten verfügbar sind, die auch die Nutzung von aktuellen Statistiken umfasst, wird eine zentrale Voraussetzung für eine Sekundaranalyse erfüllt (vgl. Heaton 2004, 27). Landesweit zeigt sich der Trend, dass der Anteil der Wohnunterstützungsbezieher*innen in stationären Einrichtungen von 2012 bis 2018 um knapp 7 Prozentpunkte gesunken ist (vgl. Günther/ Abraham 2020, 26). Die absoluten Zahlen derjenigen, die in stationären Einrichtungen wohnen, sind allerdings insgesamt gestiegen, da die Anzahl der Empfänger von Wohnunterstützungsleistungen deutlich gewachsen ist. Die angestrebte „Ambulantisierung“, also die Möglichkeit, in der eigenen Wohnung leben und sich die notwendige Unterstützung holen zu können, wird zwar vorangetrieben, ohne die Zahl der in stationären Einrichtungen Wohnenden zu senken. Aufgrund des Bundesteilhabegesetzes ist künftig auch nicht mehr von „stationärem Wohnen“ die Rede, sondern von „besonderen Wohnformen“. Der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg hat darüber hinaus in seinen jüngsten Erhebungen (2020) über Leistungsberechtigte mit geistiger und körperlicher Behinderung von Werkstätten kleinere Unterschiede in der Region Stuttgart festgestellt:

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Abbildung 1: Leistungsberechtigte mit einer geistigen und/oder körperlichen Behinderung in Werkstätten für behinderte Menschen

Im Landkreis Böblingen zeigt sich, dass 50,3 % aller Behinderten bereits privat untergekommen sind. Auch im eher ländlich gelegenen Landkreis Göppingen ist der Anteil an Privatlösungen überdurchschnittlich hoch mit 48,8 %. Der landesweite Durchschnitt bei Landkreisen liegt bei 47,2 %. Auffällig ist zudem, dass bei der ambulanten Versorgung Stuttgart eine Vorreiterrolle in der Region Stuttgart einnimmt. Hier liegt der Anteil um knapp 10 Prozent höher als der im Landkreis Göppingen. Dafür ist der Anteil an stationär betreuten Menschen in der Region vergleichbar. Dieser variiert nur um sechs Prozentpunkte. Im Vergleich zu anderen Großstädten wie Heidelberg (46,5 %), Freiburg (47,8 %), Konstanz (50,5 %), Ulm (44,1 %) liegt Stuttgart (34,5 %) deutlich niedriger. Hypothetisch könnte dies damit zusammenhängen, dass gerade diese Städte einen großen universitären Medizinstandort besitzen und stationäre Unterbringung möglicherweise mit einer stärkeren Hospitalisierung von Behinderten korellieren kann. Inwieweit Tübingen (36,3 %) als weiterer Uniklinikumsstandort diese Hypothese entkräftet, sollte ebenfalls hinterfragt werden, da dieser Wert sich nicht nur auf die Stadt, sondern den ganzen Landkreis bezieht. Um eine zunehmende Deinstitutionalisierung auch außerhalb der Region Stuttgart zu ermöglichen, bedarf es einer Überprüfung dieser These, um eine disziplinäre Blockade beim inklusiven Wohnen aufdecken zu können. Ansonsten ist es notwendig, sich mit den wohnpolitischen Gegebenheiten für Menschen mit Behinderungen sich zu beschäftigen.

Ob Menschen mit Behinderungen selbst entscheiden können, wo und mit wem sie leben möchten, ob sie sozial einbezogen sind und ob sie gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können, hängt im Wesentlichen von vier Voraussetzungen ab:

- von der Verfügbarkeit von barrierefreiem, uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbarem Wohnraum
- vom Preis
- vom Angebot an Unterstützungsleistungen
- von der Gestaltung inklusiver Sozialräume.

Wie die Vorgaben der UN-BRK in diesen Bereichen in Stuttgart umgesetzt werden, wird im Folgenden untersucht.

3.1. Verfügbarkeit

3.1.1. Allgemeine Verfügbarkeit von Wohnraum

In der Studie von Günther und Abraham (2020) wird als zentraler Indikator für die Konstellation auf den Wohnungsmärkten der Leerstand bezeichnet. Für diesen Indikator gibt es allerdings seitens der Statistischen Landesämter keine jährliche Fortschreibung, weswegen die Daten nur aus den Großzählungen gewonnen und Mikrozensuszusatzerhebung erhoben worden ist. Sinkt die Leerwohnungsquote, so bilden sich „Umzugsstaus“, weil „die umzugswilligen Haushalte [...] auf das Freiwerden oder den Neubau einer Wohnung warten und behindern ihrerseits wieder Haushalte, die in ihre bisherige Wohnung ziehen wollen“ (Günther/ Abraham 2020, 15). Deshalb muss dieser Wohnungsleerstand nicht unbedingt „unvermietet“ oder „ungenutzt“ bezeichnet werden, da der Zustand praktisch bei jedem Mieter- und Eigentümerwechsel auftritt.

Erst wenn der Leerstand über 3 Prozent hinausgeht, gehen die Forscher von Vermarktungsproblemen aus - bei 4,2 bis 9,0 Prozent sprechen sie von „Überhängen“ und bei noch höheren Leerständen ist von „starken Überhängen“ auszugehen. Sinkt die Leerstandsquote unter 1,8 Prozent, so ist von einem „Wohnungsdefizit“ auszugehen, liegt der Wert unter 1 Prozent wird zusätzlich die Haushaltsbildung beeinträchtigt, weswegen man von „starken Wohnungsdefiziten“ spricht. In der Region Stuttgart gab es 2011 „ausgeglichene“ Zustände, landesweit besonders in ländlicheren Regionen des Schwarzwaldes, der Alb und des Nordens sogar vereinzelt Überhänge.

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Abbildung 2: Wohnungsmarktsituation der Landkreise 2011 und 2019 im Vergleich

In der neusten Erhebung hat in der Region Stuttgart nur der Kreis Göppingen Ende 2019 einen ausgeglichenen Zustand, alle andere Kreise des Verbands Region Stuttgart wiesen „starke Wohnungsdefizite“ auf. Natürlich stellt sich anhand dieser Entwicklung die politische Frage, was für eine Wohnungspolitik in Baden-Württemberg in den letzten zehn Jahren betrieben worden. Bevor aber darüber ein Urteil zu fällen ist, müssen verschiedene Trendentwicklungen mitberücksichtigt werden, die eben mitursächlich für den prekärsten Wohnungsmarkt in einem Flächenland nach Hessen verantwortlich ist (vgl. Günther/ Abraham 2020, 18).

Zum einen ist seit 2011 ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum im Land Baden- Württemberg zu verzeichnen. In der Region Stuttgart gab es ein Wachstum von über 6 Prozent und die Kreise Stuttgart, Ludwigsburg, Böblingen verzeichneten einen noch deutlicheren Zuzug. Deutlich gemacht werden muss, dass die Zuzugtendenzen auch in Phasen erkennbar ist, in denen kaum Geflüchtete deutschlandweit aufgenommen worden sind (vgl. Günther/ Abraham 2020, 7). So muss auch ganz klar eine Binnenwanderung nach Baden-Württemberg als Ursache in Betracht gezogen werden.

Zum anderen gab es eine fiskalpolitische Trendentwicklung, dass der Wohnungsmarkt liberalisiert worden ist. Dies hat die Eigentumsverhältnisse stark geändert: In Stuttgart befinden sich über drei Viertel aller Grundstücken im Besitz von Privatpersonen (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2021, 33). Während der Anteil der Wohnungsunternehmen auch ansteigt, sind nur noch 13 % im Besitz der Stadt, des Landes oder des Bundes (vgl. ebd.). Sie gelten „für eine Wohnraumentwicklung besonders geeignet, da die öffentliche Hand Zugriff auf die Flächen hat“ (ebd.). In anderen Großstadtregionen wie Berlin ist ein Gegentrend erkennbar, da die Stadt vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen will, bzw. im September 2021 per Urabstimmung entschieden wird, ob die Deutsche Wohnen & Co. enteignet wird und damit mehr Einfluss auf die Mietpreise genommen werden könnte.

3.1.2. Verfügbarkeit von barrierearmem Wohnraum

Eine zentrale Voraussetzung für Wahlfreiheit und ein Leben außerhalb von Sondereinrichtungen, ist die Verfügbarkeit von zugänglichem und bedarfsgerechtem Wohnraum. Der ohnehin angespannte Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg ist für Menschen mit Behinderungen besonders brisant. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist es daher von entscheidender Bedeutung, ob die Politik sich nicht nur das Ziel gesetzt hat, barrierefreien, uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbaren Wohnraum zu schaffen, sondern ob sie die Erreichung dieses Ziels auch mit wirksamen Maßnahmen und Förderprogrammen in einem abgesteckten und zeitlich überschaubaren Zeitrahmen vorantreibt. Um eine bedarfsgerechte Wohninfrastruktur sicherzustellen, muss barrierefreier Wohnraum nicht nur vorhanden, sondern auch bezahlbar sein. Für Behinderte, die Eingliederungshilfen, Grundsicherung oder ein geringes Entgelt aus ihrer Beschäftigung erhalten, beispielsweise aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) oder inklusiven Minijobs, ist barrierefreier Wohnraum häufig nicht erschwinglich.

In der Region Stuttgart wurde in der qualitativen Befragung nach Günther und Abraham (2020) über die Suchdauer festgestellt, dass behinderte Menschen enorm lange Wartezeiten für das Finden einer passenden Wohnung haben.

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Abbildung 3: Wartezeit für eine Wohnung für Behinderte in der Region Stuttgart

Eine Wohnung in einer Großstadt zu finden, ist auch bei Behinderten folglich viel schwieriger als im ländlichen Raum. Wohnungen mit schlechter ÖPNV-Anbindung, die für so viele maßgeblich notwendig ist, um selbstbestimmt zu leben, eignen sich nicht. Es wird auch erwähnt, dass Behinderte in der Befragung betonen, dass die Verteilung „in die Fläche“ zudem zu Isolation und Vereinsamungen dieser Personen führen, da abends oder am Wochenende die soziale Interaktion und Zugangsmöglichkeiten zu kulturellen oder Freizeitangebotenfehlen (Günther/ Abraham 2020, 34). Auch in den Städten wie Stuttgart ist der Wohnungsstandort ein Problem, da passende Sozialwohnungen häufig in „abgehängten“ Stadtteilen liegen, die als Wohnort wenig geeignet seien (vgl. ebd.). Des Weiteren wird die „fehlende Akzeptanz von Behinderung“ immer noch als Hinderungsgrund genannt, was nach „fehlendem Angebot und hohen Preisen“ an dritter Stelle kommt. Oftmals überwiege die Sorge um den Umgang mit der Wohnimmobilie oder das Zusammenleben in der Hausgemeinschaft, der Umgang mit anderen Mietparteien bei psychisch, sozial­emotionalbenachteiligten und kognitiv beeinträchtigten Personen, wenngleich auch von Fortschritten in den letzten Jahren gesprochen wird (vgl. ebd.).

In der Günther/Abraham-Studie (2020) wurden qualitative Daten erhoben, wie die Behinderten die Lage über das Angebot an barrierearmen Wohnangeboten einschätzen würden. Dies wurde von 65,2% als „schlecht“, von 26,1% als „sehr schlecht“ und lediglich von 8,7% als „ausreichend“ bezeichnet. Wenn die Wohnung darüber hinaus auch bezahlbar sein soll, wird die Stimmungslage noch gravierender: Fast zwei Drittel sehen das Angebot als „sehr schlecht“ an, 27,3% als „schlecht“ und 9,1% als „ausreichend“ (Günther/ Abraham 2020, 43). Quantitative Daten über die Wohnsituation von behinderten Menschen sind nicht amtlich verfügbar, obwohl diese Forschung ebenfalls ein Kriterium der Erklärung von Barcelona ist. In Deutschland sind es 2% der Wohnungen/ Einfamilienhäuser, die als barrierefrei bezeichnet werden. Der Anteil der vollkommen barrierefreien Wohnungen in Baden-Württemberg ist marginal - festgestellt wurde, dass 15% der Wohnungen überhaupt landesweit einen barrierefreien Zugang haben. Bis 2040 sollen im Land 500 000 barrierefreie Wohnungen nötig sein (vgl. Schneider 2021).

3.2. Finanzierbarkeit

Im April 2018 bezeichneten behindertenpolitische Organisationen bei einer Konsultation mit der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention den großen Mangel an geeignetem und bezahlbarem Wohnraum als größte Schwierigkeit für Menschen mit Behinderung. Ein Leben in einer Großeinrichtung ist daher für Behinderte oftmals nur die einzige Option. Insbesondere in Großstädten wie in Stuttgart fehlten Anreize, barrierefreie, uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnungen in allen Wohnlagen zu bauen. Das gelte sowohl für Neu- als auch für Umbauten. Befragte Behinderte gaben an, dass sie häufig schon aufgrund von Wohnraummangel gezwungen waren, aus der Wohngegend ihrer Wahl wegzuziehen, Neubauwohnungen seien für sie nicht finanzierbar gewesen.

In den 1990er Jahren ist es noch weitgehend gelungen, niedrige Mietkosten anzubieten „durch einen umfangreichen Sozialwohnungsbestand“. 1987 lag der Anteil der Sozialwohnungen bei 291.000 Wohnungen oder 14,1 Prozent. Bis zum Jahr 2019 ist der Mietwohnungsbestand auf rund 2,74 Millionen angestiegen, während sich der Sozialwohnungsbestand auf gut 55.000 Wohnungen verkleinert hat. Die auslaufenden Sozialwohnungs-Bindungen wurden nicht oder nicht vollständig durch neue Sozialwohnungen ersetzt oder die Belegrechte und Mietpreisbindungen wurden zu Ungunsten des Mietpreises geändert. Insgesamt hat sich der Bestand an Sozialwohnungen seit 1987 um 80 Prozent reduziert, wodurch auch sehr viele günstige Wohnungen weggefallen sind. Obwohl die Förderung im sozialen Wohnungsbau seit 2017 deutlich ausgeweitet wurde, konnte das weitere Abschmelzen des Bestandes an Sozialwohnungen nicht verhindert werden. Nach Berechnungen des Landes würde sich nach planmäßigem Auslauf der Bindungen die Zahl der Sozialwohnungen bis 2030 um 17.000 auf gut 38.000 Wohnungen noch weiter reduzieren, wenn keine neuen Bindungen durch Neubau, Modernisierung oder den Ankauf von Belegrechten geschaffen werden. (vgl. Günther/ Abraham 2020, 20)

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Abbildung 4: Anzahl der Wohnungen mit Sozialbindung in Baden-Württemberg

Wenn konstant Wohnungen mit Sozialbindungen auf dem Niveau des Jahres 2019 geschaffen werden, würde der Sozialwohnungsbestand wieder auf etwa 67.000 Wohnungen steigen (ebd.). Angesichts der aktuellen Lage mit einem Wohnungsdefizit in Stuttgart, der Region und Baden-Württemberg, würde genau dies wohnungspolitisch ausreichend sein (vgl. ebd.).

Um die Finanzierung auch außerhalb von Sozialwohnungen zu schaffen, wie es realpolitisch im Moment nötig ist, sollten andere Fördermöglichkeiten für selbstbestimmtes Wohnen von Menschen mit Behinderung noch vorgestellt werden: Überwiegend das öffentliche Unterstützungssystem aus Sozialhilfeträgern, wie des Sozialamts der Kommune, sowie zusätzlich Kranken- und Pflegekassen, wenn bspw. eine Pflegestufe für die Person vorhanden ist. In der Landesstudie stellte sich heraus, dass „am häufigsten [...] nur die üblichen Leistungen, etwa die Kostenzuschüsse für Umzüge oder die Finanzierung der Erstausstattung der Wohnung, genannt“ wurden (Günther/ Abraham 2020, 37). Es kristallisiert sich auch in Baden-Württemberg heraus, dass nämlich zu wenigen Menschen die Förderprogramme auf Bundesebene bekannt sind: So besteht die Möglichkeit über die Kreditanstalt für Wiederaufbau - der Förderbank (KfW) - Förderungen und Kredite für Umbaumaßnahmen im häuslichen Umfeld zu erhalten (vgl. ebd.). Erheblich kritisch anzumerken ist, dass aktuell während der Coronapandemie diese staatlichen Unterstützungshilfen vollständig aufgebraucht worden sind. In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Förderzuschüssen aus dem KfW-Programm für barrierefrei Umbauten erheblich gestiegen - allein im ersten Vierteljahr 2021 um 25 %. Festzustellen ist auch, dass die Nutznießende dieser Regelung nicht vorrangig Behinderte waren, sondern über den Namen „Altersgerechtes Umbauen“ alle unabhängig vom Alter betrifft, die Barrieren in ihrer Wohnung reduzieren wollen. Es wird seitens der KfW die Hypothese aufgestellt, dass diese Entwicklung „den höheren Bedarf aufgrund des demografischen Wandels“ widerspiegelt. Freilich wird auch eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, dass durch die Pandemie die eigenen vier Wände erheblich an individueller Bedeutung dazugewonnen haben. Für alle, einschließlich der Behinderten, sind die Bundesmittel für barrierereduzierende Maßnahmen für 2021 bereits aufgebraucht und es können keine Anträge mehr für Investitionszuschüsse zur Barrierereduzierung gestellt werden. (vgl. KfW 2021)

In Europa gibt es auch Staaten, die in solchen Fonds bewusst Behinderte bevorzugt fördern möchten, da gerade sie inklusive Wohnungsmöglichkeiten sofort benötigen und nicht erst in ein paar Jahren, wie es mit älteren Menchen ist.

Kommunalpolitisch existiert in der Landeshauptstadt die Förderrichtlinie „Stuttgart für alle inklusiv“, in der auch alle eine Förderung beantragen können. Sie fördert eine qualifizierte Beratung bis 3.000 Euro, konkrete Maßnahmen zur Förderung der Barrierefreiheit im Innen- und Außenbereich bis 30.000 Euro und barrierefreie Informationszugänge und technische Ausstattung mit 15.000 Euro. (Landeshauptstadt Stuttgart 2020a, 2f.)

Außerhalb des staatlichen Unterstützungssystems gibt es nur in den seltensten Fällen weitere finanzielle Hilfsmöglichkeiten: Förderprogramme der „Aktion Mensch“ würden vor allem einen barrierefreien Umbau bestehender Wohnungen unterstützen, und vereinzelt engagieren sich kirchliche oder andere sozial engagierte Stiftungen noch per Beteiligung an den Wohnkosten (vgl. ebd.).

3.3. Angebot an Unterstützerleistungen und Gestaltung inklusiver Sozialräume

Bei behinderten Menschen heißt eine barrierefreie und bezahlbare Wohnung noch lange nicht, dass ein „selbstbestimmtes Wohnen“ möglich gemacht worden ist. Es kommt auch darauf an, was für Unterstützungsangebote es beim Wohnen gibt und wie die vorzufindene Situation aussieht.

Sehr positiv bewertet wurde die Anerkennung von „Wohntrainings“ für Menschen mit Behinderung als eine Art Eingliederungshilfe: Diese geht beim Einzug in eine Einzelwohnung oder in eine Wohngemeinschaft voraus (vgl. Günther/ Abraham 2020, 38). Das Wohntraining wird dabei in zwei Stufen gestaltet, um Übergänge von stationären zu ambulant betreuten Wohnformen zu erleichtern, aber auch „um das Leistungssystem insgesamt durchlässiger zu gestalten“ (Landeshauptstadt Stuttgart 2017, 4). Das Wohntraining I ist gekennzeichnet durch eine sehr persönliche, individuelle und intensive Begleitung von Neuaufnahmen in das ambulant betreute Wohnen und wird bei Bedarf direkt im Anschluss einer stationären Unterbringung gewährt (vgl. ebd.). Das Wohntraining II kann einen weniger intensiv betreuten Übergang in das ambulant betreute Wohnen ermöglichen und dabei sowohl im Anschluss an das Wohntraining I, als auch ohne vorhergehendes Wohntraining I gewährt werden (ebd.). Es bietet zudem die Möglichkeit einer zeitlich begrenzten Krisenintervention für alle Menschen mit Behinderung im ambulant betreuten Wohnen, auch wenn sie zuvor nie in einer stationären Einrichtung gelebt haben (ebd.). Ob diese Unterstützungsleistung auch in die Breite genutzt wird, ist fraglich: Es sind nur 224 Stuttgarter*innen mit körperlicher und geistiger Behinderung aufgeführt, die von der Stadt ambulant betreut werden und von denen waren es 43, die Leistungen dieser Eingliederungshilfe in Anspruch nahmen. Es ist unklar, ob 80 Prozent diese Hilfe nicht mehr einfordern, weil sie bereits „selbstbestimmt leben“ oder ob sie einfach von diesem städtischen Projekt nichts wisssen. Bei insgesamt 47 907 Menschen in Stuttgart mit einem Schwerbehindertenausweis erscheint die Zahl doch sehr gering (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2020b, 11). Der Stadt Stuttgart ist allerdings bewusst, dass mit solchen Wohntrainings, „die Lebensqualität deutlich gesteigert werden konnte“ (Landeshauptstadt Stuttgart 2017, 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Nutzung der Eingliederungshilfe in Stuttgart

Assistenz- bzw. Unterstützungssysteme wurden nach einem Wechsel von einer Wohngruppe in einem Individualwohnraum evaluiert, wobei die meisten sagen, dass es sehr von individuellen Gegebenheiten abhängt und nicht pauschal zu beantworten ist. Feststellbar ist, dass der Betreuungsaufwand in der Zeit nach dem Umzug zunächst zunimmt. Sich auf die neue Umgebung und die veränderte Betreuungssituation einzustellen, bedarf viel Kraft um einerseits verbundene Ängste zu überwinden und neue Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung zu entwickeln. In dieser Zeit wird mehr Unterstützung gefordert. Wenn die Umstellung gelingt, nimmt nach einem Zeitraum von drei bis zwölf Monaten der Betreuungsaufwand ab und bewegt sich dann meist auf dem Niveau des vorherigen Betreuungssettings, manchmal ist in den günstigen Fällen auch eine weitere Reduzierung möglich (vgl. Günther/ Abraham 2020, 39). Der am Anfang genutzte Zeitaufwand, ein UN-rechtlich erstrebenswertes unabhängiges Wohnen zu ermöglichen, kann auf langfristige Sicht somit auch volkswirtschaftlich günstiger sein. Damit so etwas möglich ist, kommt es darauf an, dass die Assistenz- und andere Hilfspersonen möglichst räumlich nah sind (vgl. ebd.). In der Stadt ist dieses wohnortnahe Assistenzsystem einfacher zu verwirklichen als in den umliegenden ländlicheren Kreisen. Genau an dieser Stelle kommt es darauf an, wie tief inklusive Wohnprojekte strukturell verfolgt werden. Die Behinderte haben in der Studie nämlich diese Strukturen klar angesprochen:

- Durchmischung : Menschen mit Behinderung stellen bei inklusiven Wohnformen in der Regel die Minderheit; ebenso fiel der Anteil an Wohnungen, die ausschließlich für Wohngemeinschaften von Menschen mit Behinderung vorgesehen sind, gering aus. Es kommt auf die Verteilung dieser Wohnungen im Haus an, also das alle über verschiedene Etagen verteilt sind, was zu einem besseren Zusammenleben beiträgt und das Entstehen eines „Hausnetzwerkes“ begünstigt. Hierfür ist aber auch der barrierefreie Ausbau aller Stöcke notwendig.
- Synergien : Das Vorhandensein von weiteren Angeboten und
Servicedienstleistungen in der Nachbarschaft - etwa Hausmeisterdienste eines Pflegeheims oder Haushalts-hilfen - ermöglichen die Bildung von Netzwerken und bei kurzfristig höherem Be-treuungsbedarf die unkomplizierte Erweiterung der Betreuung.
- „Concierge“-Prinzip : Leben in den Wohnungen oder Wohngemeinschaften vermehrt Menschen mit Behinderungen, biete sich ein Concierge-Dienst an, d.h. einen festen Ansprechpartner im Haus, der über die Bedarfe und Konditionen der beeinträchtigen Hausbewohner*innen im Bilde ist und bei Notfällen oder Konflikten die richtigen Partner*innen und Betreuer*innen kontaktieren oder selbst intervenieren kann. (vgl. Günther/ Abraham 2020, 46)

Ob ein solches Concierge-Prinzip in der Region Stuttgart bei den bestehenden inklusiven Wohnheinheiten vorhanden ist, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen, da auch hier keine amtlichen Daten vorliegen. Die Planung solcher Serviceangebote können sowohl von städtischer Seite aus erfolgen, aber auch von anderen Organisationen: So hat der Verein WOHN:SINN - Bündnis für inklusives Wohnen ein Regionalbüro in München errichtet, bei denen ab sofort Privatgruppen sowie Organisationen der Behindertenhilfe und Wohnwirtschaft in Baden-Württemberg und Bayern die Planung und Umsetzung von Wohnformen, in denen behinderte Menschen selbstbestimmt mit anderen Menschen zusammenleben, begleiten (Polsfuß 2020, 1). Dieses Concierge-Prinzip wird nach Erfahrungswerten vielfach von Studierenden ausgeübt, „die nach dem Prinzip ,Wohnen für Hilfe‘ in inklusiven WGs leben und stundenweise ihren behinderten Mitbewohner*innen im Alltag und Haushalt helfen“ (Polsfuß 2020, 2). Die Organisation bezeichnet dies als eine „Win-Win-Situation für alle Beteiligte“, sodass heute auch Menschen mit komplexem Pflegebedarf inklusiv leben können (vgl. ebd.). Solche engmaschigen, begegnungsorientierten und inklusiven Stadtquartiere hat der Schweizer Städteplaner Burckardt in verschiedenen Städten Europas umgesetzt, in denen heute ein hoher Grad an inklusiver Wohneinheiten besteht (vgl. Weiss 2019a, 59). Ein positives Beispiel für eine solche ausgeklügelte Stadtplanung ist die Werdwies Grünau in Zürich-Altstetten (vgl. Weiss 2019b, 119). Es zeigt grundsätzlich, dass Stadtplanung die Möglichkeiten von inklusiver Wohnkultur massiv beeinflussen kann und über Dauer zwangsläufig determiniert. Man kann für die Region Stuttgart auch Projekte aufzeigen, die Ähnlichkeitscharakter aufweisen.

Im Raum Ludwigsburg wurde ein Projekt erstellt, dass in Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe Karlshöhe die „Konzeption inklusives Wohnen im Theodor-Lorch-Weg“ umgesetzt wurde, das durch die WBL errichtet und von der Karlshöhe angemietet und betrieben wird (vgl. Mainz 2018, 4). Es sind drei Häuser in Würfelform entstanden, die mit rund 1.000 Quadratmetern Wohnfläche Platz für 42 Personen bieten (vgl. ebd.). Bislang wird das Quartier von der Jugendhilfe genutzt. Obwohl nach Ablauf der Unterbringungsnutzung das gesamte Ensemble von Studierenden genutzt werden soll, wurde mit dem Wohnhaus Manara ein inklusives Wohnprojekt zwischen Studierenden und Behinderten geschaffen. Die Bewohner*innen der inklusiven Wohngemeinschaften werden durch eine Sozialarbeiterin und einer Diakonin begleitet, das Concierge-Konzept wird anhand dieses Beispiels abermals sichtbar.

Strukturpolitisch sei auch die Frage berechtigt, an welchen Orten in der Region überhaupt mehr Wohnraum entstehen könnte. Einmal gebe es die umweltverträgliche Variante Nachverdichtung. Hierbei handelt es sich um das Nutzen freistehender Flächen und die Erhöhung der Wohnfächen innerhalb bereits existierender Bebauung, die einer Zersiedelung entgegenwirken soll. Für das Concergience-Prinzip wäre dies einerseits vorteilhaft, da häufig sich genug Engagierte finden lassen. Andererseits befürchten Anwohner*innen, das in ihren Hinterhöfen zusätzliche Gebäude entstehen und die Lebensqualität in der eigenen Wohnung bspw. durch mehr Lärm leiden könnte. In der „Potenzialanalyse Wohnen“ kam die Stadt Stuttgart zum Schluss, man könne über die Nachverdichtung bis zu 18.000 Wohnungen bauen (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2021, 101). Kritisch anzumerken ist, dass teilweise dabei auch die Frischluftschneisen eingeschränkt werden und insgesamt die Stadtökologie dadurch ungünstig beeinflusst wird. Die einstige Betitelung Stuttgarts mit seinen Parkanalagen und Heilquellen als „Kurort“ wird völlig ins Gegenteil überführt, wenn man durch eine Zubetonierung von Frischluftschneisen die ohnehin schon problematische Luftqualität noch weiter verschlechtern würde. Viel schneller nutzbar und über weit größere Potenziale könnten durch sofortige Umnutzungen erreicht werden. „Die großen, noch in Nutzung befindlichen Militärflächen werden immer wieder im Zusammenhang mit Wohnbaupotenzialen genannt. Im Falle einer Nutzungsaufgabe liegen auf diesen Flächen tatsächlich große Potenziale“ (ebd.). Wie hoch das Reservoir insbesondere für inklusiven Wohnungsraum tatsächlich wäre, wurde in der Studie nicht aufgeführt. Die Robinson Barracks liegen eng am Robert-Bosch-Krankenhaus und der schon befindliche Stadtteil Burgholzhof wurde über verschiedene Buslinien erschlossen, die in drei Minuten an die Stuttgarter Werkstätten der Lebenshilfe angeschlossen sind. Die Patch Barracks (Stuttgart- Vaihingen) und Kelley Barracks (Stuttgart-Möhringen) befinden sich in einem Bereich, in dem die größte Anzahl an sonderpädagogischen (Aus-) Bildungseinrichtungen im Raum Stuttgart existiert. Es ist in Anbetracht dessen, dass ein Abzug der Soldat*innen aus Stuttgart noch 2020 beschlossene Sache war, unverständlich, weshalb ein Ende der militärischen Nutzung aufgrund des Wohnraummangels nicht thematisiert wird. Die vorhandenen Möglichkeiten, die zur Gestaltung inklusiver Sozialräume genutzt werden könnten, werden daher noch bei Weitem nicht ausgeschöpft.

4. Fazit

Die Fragestellung dieser Arbeit war, inwieweit die Wohnpolitik in der Region Stuttgart den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung unter Maßgabe der UN-Behindertenkonvention gerecht wird. Es kann anerkannt werden, dass in der Region Stuttgart verschiedene Wohnprojekte zeigen, dass die Region die Deinstitutionalisierung voranbringt, wenn sie auch in absoluten Zahlen noch höher liegt.

Dennoch muss hinterfragt werden, ob behinderte Menschen ihr Menschenrecht auf Wohnen und Leben in der Gemeinschaft in vollem Umfang ausüben können. In vielen Fällen können sie aufgrund eines Mangels an barrierearmen und finanzierbaren Wohnraumen nicht mit dem Maß an Selbstbestimmung über ihren Wohnort entscheiden, wie es in der Erklärung von Barcelona oder in der UN-Behindertenrechtskonvention vorgesehen ist. Das liegt größenteils an einem strukturpolitischen Problem, dass es in der schwäbischen Metropolregion schlicht zu wenig Wohnraum gibt, der mit einer Sozialbindung geschaffen wird. Auch lässt sich mit den vorhandenen politischen Maßnahmen nicht deutlich sagen, ob die Wohnungsnot von Menschen mit Behinderungen auf absehbare Zeit gelindert werden könnte, da bislang im Land weiterhin geplant ist, noch weniger Wohnungen mit Sozialbindung anzubieten. Beim der Sozialraumgestaltung ließ sich feststellen, dass zum Teil inklusive Wohnprojekte von Anfang an strategisch geplant und umgesetzt werden, wie es der Theodor-Lorch-Weg in Ludwigsburg zeigt. Andererseits lässt sich ein Rückgrat in Bereichen vermissen, wenn mehr günstigen Wohnraum über Umnutzungen erzielt werden soll. Anstatt eine Kasernenumnutzung einzufordern, arrangiert sich die Landeshauptstadt mit einem permanenten Hin und Her beim Abzug der US-Streitkräfte. Außerdem wird in keinem Kreis der Region daran gearbeitet, die Quote von öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungen steigern zu wollen, um mehr Einfluss auf die marktwirtschaftlich angestiegenen Wohnungspreise nehmen zu können.

Darüber hinaus ist fragwürdig, ob flächendeckend die vorhandenen Unterstützungsangebote für Behinderte ankommen, bei denen sie für die Gestaltung barrierefreier Zugänge finanzielle Unterstützung erhalten. Die Miteinbeziehung von Behinderten, die insbesondere bei der Erklärung von Barcelona verstärkend genannt ist, sollte besonders bei inklusiven Förderungsprojekten viel stärker sichergestellt werden. Da bei der KfW auch 2021 die Mittel vollständig ausgeschöpft worden sind, sollte der Bund als Finanzier in Erwägung ziehen, direkt Betroffene, also Behinderte, zu priorisieren. Außerdem wäre es im Sinne der Teilhabe notwendig, sich für eine Aufstockung der Mittel einzusetzen, da Barrierefreiheit nicht nur Behinderte, sondern immer auch die ältere Generation betrifft.

Ziel muss es sein, den Bedarf an Wohnraum für Menschen mit Behinderungen einrichtungsunabhängig in einem überschaubaren Zeitraum zu decken und den sozialen Wohnungsbau unter Beachtung des Prinzips der Inklusion stärker wieder einzubinden. Daher muss die Region Stuttgart im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention, der Erklärung von Barcelona und der grundgesetzlichen Verpflichtung „gleichwertige Lebensverhältnisse“ zu schaffen, tiefgreifende struktur- und fiskalpolitische Maßnahmen umsetzen. Zusätzlich kann das Land durch eine Steigerung der Sozialbindung und der Bund durch eine Mittelerhöhung der inklusiven Fördertöpfe diesen Prozess maßgeblich unterstützen und vereinfachen.

5. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Leistungsberechtigte mit einer geistigen und/oder körperlichen Behinderung in Werkstätten für behinderte Menschen. In: Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (2020). Berichterstattung - Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII und dem SGB IX Planungs- und Steuerungsunterstützung für die Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg. Stuttgart. S. 64.

Abb. 2: Wohnungsmarktsituation der Landkreise 2011 und 2019 im Vergleich. In: Günther, Matthias/ Abraham, Jonas (2020). Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden- Württemberg. Pestel Institut. I.A.v. Caritas Baden-Württemberg. Hannover. S. 16-17.

Abb. 3: Wartezeit für eine Wohnung für Behinderte in der Region Stuttgart. Daten aus: Günther, Matthias/ Abraham, Jonas (2020). Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg. Pestel Institut. I.A.v. Caritas Baden-Württemberg. Hannover. S. 32.

Abb. 4: Anzahl der Wohnungen mit Sozialbindung in Baden-Württemberg. Daten aus: Günther, Matthias/ Abraham, Jonas (2020). Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg. Pestel Institut. I.A.v. Caritas Baden-Württemberg. Hannover. S. 19f.

Abb. 5: Nutzung der Eingliederungshilfe in Stuttgart. Daten aus: Landeshauptstadt Stuttgart (2020b). Jahresbericht 2019. Inklusion 2.0. Barrierefreiheit und Teilhabe verstetigen. Beauftragte für Belange für Menschen mit Behinderung. Stuttgart. S. 11. Sowie: Landes­hauptstadt Stuttgart (2017). Flexiblisierung ambulant betreuter Wohnformen: Weiterentwicklung des Wohntrainings. GRDrs 168/2017. Referat Soziales und gesellschaftliche Integration. Stuttgart. S. 4f.

6. Literaturverzeichnis

Alle Quellen wurden auf ihre Funktionalität am 16. August 2021 überprüft.

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Günther, Matthias/ Abraham, Jonas (2020). Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg. Pestel Institut. I.A.v. Caritas Baden-Württemberg. Hannover.

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Zöller, Renate (2015). Was ist eigentlich Heimat? Annäherungen an ein Gefühl. Christoph Links-Verlag. Berlin.

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Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Selbstbestimmtes Wohnen. Wohnpolitische Analyse zur Umsetzung der Inklusion von Behinderten nach UN-Recht
Hochschule
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
25
Katalognummer
V1160377
ISBN (eBook)
9783346560094
ISBN (Buch)
9783346560100
Sprache
Deutsch
Schlagworte
UN-Recht, Inklusion, Stuttgart, Selbstbestimmung, Behindert, Wohnen
Arbeit zitieren
Florian Wondratschek (Autor:in), 2021, Selbstbestimmtes Wohnen. Wohnpolitische Analyse zur Umsetzung der Inklusion von Behinderten nach UN-Recht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1160377

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