Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Hinführung zu Forschungsfrage und Ziel der Studie
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH)
2.2 Tiergestützte Intervention
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Datenerhebung mittels Experteninterview und Dokumentation
3.2 Datenauswertung mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse
3.2.1 Deduktiv angewendete Kategorien
3.2.2 Induktiv gebildete Kategorien
4 Ergebnisse der Schlüsselkategorien
4.1 Besonderheiten des Arbeitsfeldes Sozialpädagogische Familienhilfe
4.2 Sozialpädagogische Aktivitäten mit dem Hund
4.3 Der Hund als Sozialpartner mit Eigensinn
4.4 Deutung der Ergebnisse
4.4.1 Diskussion
4.4.2 Thesen, Bedarfe, Konsequenzen
5 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang: Kategoriensystem mit Ankerbeispielen
Zusammenfassung / Abstract
Tiergestützte Interventionen mit Hunden werden in der Fachliteratur zwar zunehmend für die Felder der Medizin, Psychologie sowie der Heil- und Sonderpädagogik thematisiert. Gleichwohl mangelt es an empirischen Studien zu tiergestützten Interventionen. Insbesondere für die Profession Soziale Arbeit existieren diesbezüglich kaum Forschungsaktivitäten, die aber notwendig wären zur Schärfung des Verständnisses, was eigentlich die spezifische Rolle des in der Sozialen Arbeit eingesetzten Hundes sein könnte und für die Erarbeitung theoretisch fundierter Konzepte hundegestützter Interventionen in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit.
Im Hinblick auf diese Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit dem Einsatz von Hunden im Arbeitsfeld der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH). Die qualitative Studie geht auf Grund von zwei ausführlichen Experteninterviews der Frage nach, was Fachkräfte konkret tun, wenn Sie den Hund in der SPFH einsetzen. Welche Situationen stellen Fachkräfte mit dem Hund her? Wie agieren Sie in diesen Situationen? Wie nutzen Sie das, was in diesen Situationen interaktiv geschieht, für Ihre Arbeit, also für die konkreten Ziele mit dem Familienmitglied? Wie bauen Sie den Hund also in ihr individuelles konzeptionelles Vorgehen mit einer Familie ein? – zusammengefasst in der Forschungsfrage: Wie führen Fachkräfte der Sozialpädagogischen Familienhilfe hundegestützte Interventionen durch?
Durch offen gehaltene Leitfragen wurden weitgehend selbstläufige und umfangreiche Schilderungen erlangt und systematisch dahingehend ausgewertet, wie Fachkräfte der SPFH konkret ihr sozialpädagogisches Handeln mit der hundegestützten Intervention verknüpfen und wie sich die Rolle des Hundes in diesem spezifischen Arbeitsfeld beschreiben lässt. Des Weiteren wurden durch die leitfadengestützte Erhebung Erkenntnisse gewonnen, wie die Fachkräfte mit den Rahmenbedingungen umgehen, die sich aus dem Arbeitsfeld der SPFH und aus allgemeinen fachlichen Anforderungen der tiergestützten Intervention ergeben. Damit könnte die Arbeit einen Beitrag zur konzeptionellen Erschließung dieses Angebots darstellen.
Abkürzungsverzeichnis
SGB: Sozialgesetzbuch
Abs.: Absatz
TGI: tiergestützte Interventionen
SPFH: Sozialpädagogische Familienhilfe
AEH: Ambulante Erziehungshilfe
ASD: Allgemeiner Sozialdienst des Jugendamts
Kursiv: Bezeichnungen für Kategorien und Subkategorien werden kursiv hervorgehoben
B1, B2: anonymisierte Bezeichnung der interviewten Fachkräfte
XX: anonymisierte Bezeichnung des Hundes von B1
XY: anonymisierte Bezeichnung des Hundes von B2
I: Interviewer
OK: Oberkategorie
UK: Unterkategorie bzw. Subkategorie
1 Hinführung zu Forschungsfrage und Ziel der Studie
Menschliche Entwicklung findet nach Erkenntnissen der Sozialisationsforschung immer in einem „Spannungsverhältnis zwischen sozialer Integration und persönlicher Individuation “ statt (Grendel 2019, S. 2). Soziale Arbeit hat einen Auftrag zur Unterstützung, wenn Menschen aus verschiedenen Gründen mangelnden Zugriff auf individuelle und soziale Ressourcen haben, um dieses „Spannungsverhältnis“ in einen Ausgleich zu bringen, der „eine autonome Handlungsfähigkeit, psychische Gesundheit sowie eine gelingende Lebensbewältigung“ ermöglicht (ebd.). In dem Maße, in dem Soziale Arbeit den Menschen in diesem „Spannungsverhältnis zu den gesellschaftlichen Anforderungen, das auf Anpassung und Normierung ausgerichtet ist“, fördert, „sich zu seiner Umwelt aktiv, individuell und situativ verschieden zu verhalten“ unterstützt sie die „aktive Gestaltungsfähigkeit des Subjekts“ (Tillmann 2010, S. 17).
Bei der Weiterentwicklung ihres methodischen Repertoires in den verschiedenen Arbeitsfeldern muss sich Soziale Arbeit deshalb immer fragen, inwieweit ihr methodisches Handeln die Subjektentwicklung von Menschen unterstützen kann, indem sie sich „als eine Praxis konzeptioniert, die ihre Adressateninnen [sic] als eigensinnige Individuen mit ihren Interessen, Bedürfnissen und Haltungen respektier[t]“ (Nauerth 2016, S. 21).
„Im Gegensatz zu einer Objektorientierung und einer hiermit verbundenen Reduzierung der Adressateninnen Sozialer Arbeit auf den Status von Empfängerinnen von Expertise und Behandlung soll das jeweils konkrete Subjekt mit seiner Eigenart zentraler Bezugspunkt der Hilfen werden und Einfluss haben auf deren Ausgestaltung.“ (ebd.)
Hans Thiersch hat dafür im Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit den Begriff der „strukturierten Offenheit“ (Grunwald und Thiersch 2016, 50 f.) entwickelt für ein methodisches Handeln, das zwar eine Zielvorstellung und eine Handlungsstruktur beinhaltet, das aber offen bleibt für die aktuelle Situation und die Menschen in ihrer Individualität, ihrem Eigensinn und ihrer emanzipativen Gestaltungskraft ernst nimmt. Sozialpädagogische Familienhilfe – mit ihrer Arbeit in den vielfältigen Lebens- und Erfahrungswelten der Familien – ist auf die stetige Erschließung und Erforschung methodischer Verfahren angewiesen, die diesem Anspruch gerecht werden können.
Die vorliegende qualitative Studie widmet sich der Durchführung von hundegestützten Interventionen in der SPFH. Seit einigen Jahren ist das Interesse an tiergestützten Interventionen in therapeutischen, pädagogischen und sozialarbeiterischen Kontexten stark gestiegen. Es gibt jedoch ein erhebliches Missverhältnis zwischen der Vielzahl der mittlerweile existierenden tiergestützten Angebote einerseits und der theoretischen Fundierung andererseits. Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie und warum tiergestützte Interventionen wirken, sind kaum vorhanden, systematische empirische Studien äußerst spärlich (Wohlfarth und Mutschler 2020, S. 22). Darüber hinaus bezieht sich ein Großteil der vorhandenen Fachliteratur auf die Bereiche von (Psycho-)Therapie sowie der Schul-, Heil- und Sonderpädagogik und lässt sich nicht ohne weiteres auf die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit übertragen. Fachliche Erörterungen für den Bereich der Sozialen Arbeit sind dagegen kaum zu finden (Kirchpfening 2018, S. 10). Sehr wenige Fachbücher gehen auf tiergestützte Interventionen in einzelnen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit ein.1 Es finden sich jedoch – auch in einschlägigen Fachzeitschriften – kaum Erörterungen des tiergestützten Einsatzes im Arbeitsfeld der ambulanten Erziehungshilfen, insbesondere der Sozialpädagogischen Familienhilfen.
Wegen des mangelhaften Forschungswissens zu diesem Thema ist es zunächst sinnvoll zu fragen, was Fachkräfte konkret tun, wenn Sie den Hund in der SPFH einsetzen. Welche Situationen stellen Fachkräfte mit dem Hund her? Wie agieren Sie in diesen Situationen? Wie nutzen Sie das, was in diesen Situationen, interaktiv geschieht, für Ihre Arbeit, also für die konkreten Ziele mit dem Familienmitglied? Wie bauen Sie den Hund also in ihr individuelles konzeptionelles Vorgehen mit einer Familie ein? – zusammengefasst in der Forschungsfrage: Wie führen Fachkräfte der Sozialpädagogischen Familienhilfe hundegestützte Interventionen durch? Durch deren Beantwortung könnte eine erste Einschätzung ermöglicht werden, ob und wie die hundegestützte Arbeit in der SPFH eine methodische Bereicherung darstellen könnte – gegebenenfalls könnte die Arbeit einen Beitrag zu einer konzeptionellen Durchdringung dieses Ansatzes leisten.
2 Theoretischer Rahmen
Nachfolgend werden die Begriffe der Sozialpädagogischen Familienhilfe und der tiergestützten Intervention sowie der aktuelle Forschungsstand skizziert – mit Hinblick auf die Aspekte, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind.
2.1 Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH)
Die SPFH ist ein Arbeitsfeld, dass in Deutschland als Teil des im Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) geregelten Jugendhilfesystems zu den (ambulanten) Hilfen zur Erziehung gehört.
„Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie.“ (§ 31 SGB VIII).
Gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein „Personensorgeberechtigter Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“. Die SPFH wird bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen vom Jugendamt gewährt und zumeist durch freie Träger der Jugendhilfe ausgeführt (Wolf 2015, S. 140). Sie basiert auf einem Hilfeplan, der im Gespräch zwischen den Familienmitgliedern und den Fachkräften von Jugendamt und SPFH vereinbart wird und in dem für die Durchführung der SPFH überprüfbare Ziele festgelegt werden (§ 36 Abs. 2 SGB VIII). Empfänger der Hilfe sind meist Familien, die auf Grund der Auswirkungen von Armut, sozialer Benachteiligung und/oder biographischer Belastungen der Eltern erhebliche Problemstellungen und Konflikte im Alltag und bei der Erziehung der Kinder zu bewältigen haben. SPFH findet als regelmäßige, aufsuchende Hilfe im Lebensumfeld der Familie und in der Wohnung der Familie statt (Wolf 2015, S. 139) und lässt sich damit zeitlich und räumlich viel weniger als andere Settings der Erziehungshilfen vom Familienalltag abgrenzen. Dabei muss sie sich immer wieder neu auf teils hochindividuelle und komplexe Familienkonstellationen einstellen. Die SPFH soll die notwendige Unterstützung leisten, um die Entwicklung der in der Familie lebenden Kinder und Jugendlichen zu fördern bzw. vor Gefährdungen zu bewahren (Metzger 2019, o.S.). Besondere Bedeutung hat dabei die Ressourcen- und Netzwerkförderung, besonders für die Kinder (Frindt 2009, 79 f.; Metzger 2019, o.S.), vor allem um der sozialen Isolation, in der sich viele betroffene Familien befinden, entgegenzuwirken (Fröhlich-Gildhoff 2014, S. 114). Wesentlich ist, ob es den eingesetzten Fachkräften gelingt, die Familienmitglieder zur Kooperation und Mitarbeit zu motivieren (Metzger 2019, o.S.; Helming 2017, S. 834; Rothe 2013, S. 17). Diese Mitwirkung ist auch und insbesondere dann wichtig, wenn zur Abklärung oder zur Abwendung von Gefährdungen für die kindliche Entwicklung ein kontrollierendes und direktives Handeln der SPFH erforderlich wird – indem Reichweite, Intensität und zeitliche Dauer auf Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung zur SPFH-Fachkraft transparent mit der Familie besprochen werden (Wolf 2015, 207 ff.). Die SPFH wird mittlerweile nahezu in allen denkbaren Problemkonstellationen eingesetzt. Galten früher psychische Erkrankungen von Eltern oder Kindern, Suchtprobleme oder familiäre Gewalt als Ausschlusskriterien für diese Hilfeform, werden diese heute vermehrt durch den Einsatz einer SPFH bearbeitet (Müller 2019, S. 4; Fröhlich-Gildhoff 2014, S. 111). Diese Anforderungen erfordern eine hohe Sensibilität, Reflexivität und Fachlichkeit der eingesetzten Fachkräfte (Messmer et al. 2019, S. 48; Müller 2019, S. 2; Frindt 2010, S. 39). Die SPFH benötigt einen Fundus von vielfältigen methodischen Ansätzen, um im Einzelfall diejenigen Methoden anwenden zu können, die zur Individualität der jeweiligen Familie passt (Metzger 2019, o.S.). Den gestiegenen Anforderungen steht eine Reduzierung der bewilligten wöchentlichen Fachleistungsstunden und zeitlichen Dauer der Familienhilfe gegenüber. Dies stellt an die Fachkräfte „erhöhte Anforderungen an die Beziehungsgestaltung“ (Messmer et al. 2019, S. 48); insbesondere kann das Gelingen der Hilfe gefährdet sein, wenn Zeit fehlt für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu den Familienmitgliedern (Müller 2019, S. 4; Wolf 2015, S. 142).
Trotz ihrer Bedeutung innerhalb der Sozialen Arbeit wird das Arbeitsfeld SPFH jedoch bis heute unzureichend beforscht (Richter 2018, S. 434; Müller 2019, S. 7). Über das konkrete Handeln der SPFH-Fachkräfte und die sich daraus ergebenden Wirkungen ist wissenschaftlich vergleichsweise wenig bekannt (Messmer et al. 2019, S. 41).
Fröhlich-Gildhoff (2014, S. 112 ff.) hat in einer Metaanalyse herausgearbeitet, dass – neben anderen Wirkfaktoren – der gelungene Aufbau einer „vertrauensvollen Beziehung“ das Gelingen einer SPFH wahrscheinlicher werden lassen. Für diese Beziehungsarbeit ist es von erheblichem Einfluss, in welchem Maß eine „Passung“ (ebd.) zwischen Fachkraft und Familienmitgliedern erfahrbar wird. Dies zeigt sich zum einen darin, ob Menschen in ihrer Verschiedenheit aufgrund Erfahrungen, Interessen, aber auch Geschlecht, gut zusammenarbeiten können, zum anderen aber auch darin, ob das fachlich-methodische Handeln zur Familie und ihren Zielen passt. Auch Messmer et.al. (2019) halten in ihrer Bestandsaufnahme der Forschungslage zur SPFH fest, dass der Erfolg von SPFH wesentlich davon abhängt, ob es gelingt, „zu den Familienmitgliedern einschließlich der Kinder rechtzeitig eine vertrauensvolle, auf Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt ausgerichtete Beziehung zu etablieren“ (ebd., S. 48). Die aktuelle – jedoch für den deutschsprachigen Raum noch dürftige – Forschungslage zur SPFH weist darauf hin, dass insbesondere der direkte Einbezug der Kinder entscheidend ist, dieser aber bisher nicht ausreichend stattfindet. Demnach reicht es nicht aus, die Kinder in ihren Bedürfnissen nur indirekt über eine Problembearbeitung mit den Eltern zu erreichen (ebd., S. 45 ff., 50; Tausendfreund 2015, S. 106 f., 113).
2.2 Tiergestützte Intervention
Der Begriff der Tiergestützten Intervention (TGI) wird weltweit und auch im deutschsprachigen Raum nicht einheitlich definiert. Vernooij und Schneider (2018, S. 47 f.) schlagen in Anlehnung an die im deutschsprachigen Raum verwendeten Begriffe vor, den Oberbegriff der tiergestützten Intervention zu unterteilen in Tiergestützte Aktivität, Tiergestützte Pädagogik und Tiergestützte Therapie. Während demnach tiergestützte Aktivitäten von Laien oder Ehrenamtlichen ausgeführt werden, um ganz allgemein die Lebensqualität und das Wohlbefinden von Menschen zu verbessern (z.B. sporadischer Tierbesuchsdienst) und tiergestützte Therapie von therapeutisch in unterschiedlichen Therapieverfahren qualifizierten Berufsgruppen zur Behandlung von Störungen und Krankheiten durchgeführt wird, lässt sich tiergestützte Pädagogik wie folgt definieren:
„Unter tiergestützter Pädagogik werden Interventionen im Zusammenhang mit Tieren subsumiert, welche auf der Basis eines (individuellen) Förderplans oder auf der Basis konkreter Lernziele vorhandene Ressourcen des Kindes stärken, weniger gut ausgebildete Fähigkeiten, insbesondere im emotionalen und sozialen Bereich, fördern und unterstützen sowie die Kompetenzen eines Kindes insgesamt verbessern sollen. Sie werden durchgeführt von unterschiedlich qualifizierten Experten im pädagogisch-sonderpädagogischen Bereich (Lehrpersonal, Heil- und Sozialpädagogen […]) unter Einbezug eines Tieres, welches für den Einsatz spezifisch trainiert wurde. Ziele der tiergestützten Pädagogik sind
- Unterstützung von Entwicklungsfortschritten
- die Initiierung von Lernprozessen in unterschiedlichen Bereichen“ (ebd., S. 49)
Diese Definition kommt zwar unter den verschiedenen Definitionen von TGI dem Handeln der Sozialen Arbeit in der Familienhilfe noch am nächsten, erfasst aber nur einen Teil dieser sozialpädagogischen Tätigkeit. Zum einen bezieht sich diese auch auf die Eltern bzw. erwachsenen Bezugspersonen der Kinder und Jugendlichen. Zum anderen wird hier der zentrale Anspruch der Sozialen Arbeit, Menschen als Subjekte in der Interaktion und Auseinandersetzung mit ihrer sozialen und gesellschaftlichen Umwelt zu stärken, kaum abgebildet. Es kann mit Kirchpfening (2018) grundsätzlich kritisiert werden, dass die „Soziale Arbeit […] bisher im Diskurs der hundgestützten Einsätze nicht vor[kommt]“ (ebd., S. 15) und es erforderlich ist, dass „hundgestützte Methoden und Maßnahmen in der Sozialen Arbeit zusätzlich eigenen Konzepten, Erklärungsmustern und Strategien folgen müssen“ (ebd., S. 14). Wegen seiner sozialkommunikativen Eigenschaften bietet sich der Hund in der Sozialen Arbeit besonders dafür an, ihn in Kommunikations- und soziale Austauschprozesse förderlich einzubeziehen (ebd., S. 20 ff.). Den sozialpädagogisch eingesetzten Hund unter der Bezeichnung „Therapiehund“ zu subsumieren, macht seinen spezifischen Einsatz in den sozialpädagogischen Handlungsfeldern nicht ausreichend deutlich. Kirchpfening schlägt daher vor, von „Hunden in der Sozialen Arbeit“ oder auch von „Sozialbegleithunden“ zu sprechen (ebd., S. 23).
Grundlegend zum Einsatz von Tieren in Therapie und Pädagogik ist zu sagen, dass es sich bei der tiergestützten Intervention um keine eigenständige Methode handelt, sondern nur das professionelle, theoretisch und konzeptionell gestützte Handeln in dem jeweiligen Fachgebiet unterstützen kann (Wohlfarth und Mutschler 2020, S. 32; Kirchpfening und Beetz 2019, S. 63). Das bedeutet für die Soziale Arbeit, dass die hundeführende Person entweder selbst eine sozialpädagogische oder vergleichbare berufliche Qualifikation hat oder andernfalls nur im Tandem mit einer sozialpädagogischen Fachkraft ihren Hund tiergestützt einsetzen kann (Kirchpfening 2018, S. 13, 30). Des Weiteren besteht in der Fachwelt Einigkeit darüber, dass Fachkräfte sich zusätzlich zu ihrem Grundberuf durch Fort- und Weiterbildungen Kenntnisse und Fertigkeiten für den tiergestützten Einsatz angeeignet haben sollten und das Tier für seinen Einsatz geeignet und vorbereitet bzw. ausgebildet sein soll. Dies dient zum einen dem fachgerechten Einsatz des Tieres als auch dem Tierwohl (Kirchpfening 2018, 23, 30 ff.; Wohlfarth und Mutschler 2020, S. 100).
Selbstverständlich ist eine tiergestützte Intervention ethisch nur vertretbar, wenn sie mit Einverständnis der AdressatInnen erfolgt. Dies beinhaltet, dass sie vorab ausreichend über die Methode informiert sein müssen und jederzeit den Kontakt mit dem Tier ablehnen können (Wohlfarth und Beetz 2018, S. 78). Nicht zuletzt ist es aus tierethischer Sicht unabdingbar, dass nur geeignete Hunde eingesetzt werden und die Fachkraft die erforderlichen Kenntnisse besitzt, die es ihr erlauben, jederzeit den Schutz und das Wohlergehen des Hundes sicherzustellen und auf dessen Bedürfnisse zu reagieren (Wohlfarth und Beetz 2018; Arnold und Beetz 2018).
3 Methodisches Vorgehen
Nachfolgend werden die einzelnen Schritte der Datenerhebung und -auswertung beschrieben sowie die Auswahl der dafür verwendeten methodischen Verfahren begründet.
3.1 Datenerhebung mittels Experteninterview und Dokumentation
Der Feldzugang erfolgte über eine umfangreiche Internetrecherche. Im Ergebnis konnten deutschlandweit zwei Fachkräfte2 gefunden werden, die auf den Internetseiten ihrer Arbeitgeber (jeweils freie Träger der Jugendhilfe) hundegestützte Interventionen in der SPFH anbieten. Beide Fachkräfte erklärten sich auf Anfrage per Mail einverstanden, am Projekt teilzunehmen. Im Vorfeld der Interviews wurden statistische und demographische Daten – u.a. berufliche Qualifikation und Erfahrung, Angaben zum Hund – mittels eines Kurzfragebogens schriftlich erhoben und hinsichtlich der Datenspeicherung und -nutzung eine Interviewvereinbarung unterschrieben.
Die Datenerhebungsmethode wurde als Experteninterview mittels eines Leitfadens vorbereitet und durchgeführt (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, 118 ff.). Die befragten Fachkräfte sind insoweit Expertinnen, als sie über „spezialisierte Formen des Wissens über institutionalisierte Zusammenhänge, Abläufe und Mechanismen“ (ebd., S. 119) beim Einsatz hundegestützter Interventionen im Arbeitsfeld der SPFH berichten können. Zudem interessiert aufgrund ihres Erfahrungswissens ihre Einschätzung der Relevanz und Entwicklungsmöglichkeiten der Methode innerhalb des Arbeitsfeldes der ambulanten erzieherischen Hilfen (ebd., S. 120). Das Vorverständnis des Interviewers zum Thema beinhaltete eine mehrjährige eigene Berufserfahrung in der SPFH und Erfahrungen als Halter eines eigenen Hundes, jedoch kein Wissen über tiergestützte Interventionen über das im Vorfeld der Interviews erarbeitete theoretische Wissen hinaus.
Wegen des kaum vorhandenen Forschungswissens, wie hundegestützte Interventionen in der SPFH durchgeführt werden3, war es Ziel der Interviews, die Gesprächssituation so offen wie möglich und so strukturiert wie nötig zu gestalten – zum einen möglichst „selbstläufige“ (ebd., S. 122) umfangreiche und dichte Schilderungen zu stimulieren, wie Fachkräfte den Hund in der SPFH einsetzen, zum anderen aber durch den Leitfaden sicherzustellen, dass die Bandbreite der Themen, die bei der Verknüpfung der hundegestützten Arbeit mit dem Arbeitsfeld der SPFH eine Rolle spielen, zur Sprache kommen. Durch sechs Leitfragen wurden deshalb die großen Themenbereiche abgesteckt, die – aufgrund vorheriger theoretischer Erarbeitung – konzeptionell relevant erschienen. Durch die offene Formulierung der Leitfragen wurde es aber vermieden, die Interviewten über den notwendigen Rahmen hinaus zu stark zu lenken, indem diese zunächst alles thematisieren konnten, was für sie selbst für die Beantwortung des Fragebereichs relevant war (ebd., S. 123). Erst nach der selbstläufigen Beantwortung der jeweiligen offenen Leitfrage wurden bei Bedarf weitere Fragen zur – auch beispielhaften – Detaillierung der gegebenen Antworten gestellt (immanente Nachfragen) oder bestimmte – vorab im Leitfaden notierte – Aspekte erfragt, wenn diese in der Antwort der Interviewten nicht (ausreichend) vorgekommen waren (exmanente Nachfragen) (ebd., S. 123 f.). Wie von Przyborski und Wohlrab-Sahr vorgeschlagen (ebd., S. 124 f.), wurde am Ende des Interviews eine Frage (siebte Leitfrage) zum „Deutungswissen“ der Expertinnen gestellt, indem sie zu ihrer prognostischen Einschätzung einer möglichen Weiterentwicklung der Methode in der SPFH gefragt wurden.
Aus Gesundheitsschutzgründen wegen der Corona-Pandemie und auch wegen der entfernten Arbeitsstellen der Interviewten wurden die Interviews via Video-Kommunikationsplattform ZOOM geführt. Die Interviews wurden gemäß schriftlicher Interviewvereinbarung mit Ton und Bild aufgezeichnet. Die Transkription (Interviewtranskripte (mit Zeitmarken) erfolgte mit der Transkriptionssoftware easytranscript und wurde in Anlehnung an Kuckartz (2018, S. 167 f.) nach folgenden Regeln durchgeführt: Es wurde wörtlich transkribiert, vorhandener Dialekt wurde ins Hochdeutsche übertragen. Längere Pausen wurden durch Auslassungspunkte (…) markiert, besonders betonte Wörter wurden unterstrichen, Lautäußerungen (z.B. Lachen) in Klammern notiert. Jeder Sprechbeitrag wurde als eigener Absatz gefasst, wobei das Kürzel „I“ den Interviewer und „B1“ und „B2“ die befragten Fachkräfte kennzeichnen. Alle Angaben, die einen Rückschluss auf die befragte Person erlauben, wurden anonymisiert.
3.2 Datenauswertung mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse
Der Interviewtext wurde mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet, die für das Projekt geeignet ist, weil es bei der Auswertung der Interviews vor allem um den „manifesten Informationsgehalt des Materials“ geht (Strübing 2018, S. 121). Die Anwendung eines eher interpretativen Verfahrens, das hinter dem Textmaterial „noch weitere, latente Sinnstrukturen“ (ebd., S. 13) heben will, ist hier nicht zielführend. Es wurde nach der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz 2018, 97 ff.) vorgegangen, weil diese sich gut eignet, den Auswertungsprozess sowohl durch vorab festgelegte (deduktive) Kategorien als auch durch induktive – erst anhand des Textmaterials gebildete – Kategorien zu gestalten (ebd., S. 97).
3.2.1 Deduktiv angewendete Kategorien
Die folgenden fünf Oberkategorien und zwei Subkategorien ergaben sich bereits vor Durchführung der Interviews deduktiv aus dem Leitfaden: Oberkategorie Besonderheiten des Arbeitsfeldes mit den Subkategorien: Hilfeplanverfahren und aufsuchendes Arbeiten; Oberkategorie Sozialpädagogische Aktivitäten mit dem Hund; Oberkategorie tiersensibler Einsatz und Oberkategorie Schwierigkeiten, Hindernisse, Grenzen. Die Aussagen der Fachkräfte zur Prognose zur Weiterentwicklung der Methode, die sich vor allem aus der Antwort auf die siebte Leitfrage ergaben, wurden in einer eigenen Kategorie erfasst. Zunächst wurde das Textmaterial beider Interviews den vorab erstellten Kategorien (fünf Oberkategorien und zwei Subkategorien) zugeordnet (erster Codierprozess).
3.2.2 Induktiv gebildete Kategorien
Beim ersten Codierprozess fielen Textstellen auf, die die soziale Beziehung zum Hund als einem eigensinnigen Lebewesen deutlich machten und die von den bisher gebildeten Kategorien nicht ausreichend erfasst wurden; hierfür wurde induktiv eine weitere Oberkategorie festgelegt mit der Bezeichnung: Der Hund als Sozialpartner mit Eigensinn und die entsprechenden Textstellen hier eingeordnet.
In einem zweiten Codierprozess wurden nunmehr anhand des codierten Textmaterials des Interviews B1 zu den Oberkategorien (OK) 2 und 3 (Sozialpädagogische Aktivitäten mit dem Hund und Hund als Sozialpartner mit Eigensinn) induktiv Subkategorien (UK) entwickelt, so wie es Kuckartz (2018, S. 90 ff.) beschrieben hat: Es wurden zunächst beim Lesen des Textmaterials Begriffe für aufscheinende Subthemen ungeordnet neben den Text geschrieben, im zweiten Schritt diese Begriffe zu Subthemen geordnet und systematisiert und schließlich jedem Subthema eine Bezeichnung gegeben, die damit zur Bezeichnung der jeweiligen Subkategorie wurde. Diesen induktiv erstellten Subkategorien wurde nun auch das Textmaterial der OK 2 und 3 des Interview B2 zugeordnet (dritter Codierprozess). Hierbei wurden keine Änderungen oder Anpassungen von Kategorien mehr notwendig. Das im Laufe der Codierprozesse entstandene Kategoriensystem (mit Ankerbeispielen4 ) befindet sich im Anhang. Das gesamte – für die Forschungsfrage relevante – Textmaterial beider Interviews wurde in einer Tabelle – nach Kategorien sortiert – erfasst.
4 Ergebnisse der Schlüsselkategorien
Nachfolgend werden die Ergebnisse der Schlüsselkategorien (Besonderheiten des Arbeitsfeldes, Sozialpädagogische Aktivitäten mit dem Hund und Der Hund als Sozialpartner mit Eigensinn) zusammenfassend beschrieben5 (wobei die Bezeichnung der jeweiligen Subkategorien im Text kursiv hervorgehoben wird). Diese Schlüsselkategorien sind für die Beantwortung der Forschungsfrage besonders bedeutsam, weil sich aus ihnen direkt die Eigenheiten des sozialpädagogischen Handelns mit dem Hund in der SPFH ergeben, während die Kategorien Tiersensibler Einsatz und Schwierigkeiten, Hindernisse und Grenzen eher Aussagen zu den dafür erforderlichen Rahmenbedingungen machen. Diese sind zwar für eine konzeptionelle Durchdringung des Themas durchaus relevant und wurden schriftlich erfasst, werden jedoch in diesem Bericht wegen seiner beschränkten Größe nicht thematisiert. Im Unterkapitel 4.4 werden die Ergebnisse der Schlüsselkategorien diskutiert sowie Thesen, Bedarfe und Konsequenzen formuliert.
4.1 Besonderheiten des Arbeitsfeldes Sozialpädagogische Familienhilfe
Die Fachkräfte müssen ihre hundegestützten Aktivitäten, wie nachfolgend geschildert, so gestalten, dass sie den Besonderheiten des Arbeitsfeldes (Hilfeplanverfahren und aufsuchende Arbeitsweise) gerecht werden.
[...]
1 z.B. Kindertagesbetreuung, Schulsozialarbeit, offene Jugendarbeit, stationäre Erziehungshilfen, Soziale Gruppenarbeit, Streetwork, Wohnungslosenhilfe, Sozialdienst im Krankenhaus, Resozialisierung von Straffälligen, Altenhilfe (Wesenberg und Bieker 2020; Buchner-Fuhs und Rose 2012; Rose 2015; Kirchpfening 2018)
2 Aus den Bundesländern Bayern und Niedersachsen
3 Um wie in dieser Studie neues Wissen über den Forschungsgegenstand zu generieren, bedarf es Methoden der qualitativen (Sozial-)Forschung.
4 Typische Zitate der Interviewten, die den Inhalt der jeweiligen (Sub-)Kategorie besonders gut verdeutlichen.
5 Die befragten Fachkräfte werden im Text mit den Kürzeln „B1“ und „B2“ bezeichnet und ihre Aussagen ihnen mit dem jeweiligen Kürzel zugeordnet.