Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, wie sich das Vorgehen von SozialarbeiterInnen im Umgang mit aggressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen in psychiatrischen Tageskliniken gestaltet. Es handelt sich um ein persönlich motiviertes Thema, das durch ein studentisches Praktikum in einer tagesklinischen Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgekommen ist. Durch den nahen Kontakt zu den KlientInnen ergab sich die Möglichkeit, die Kinder und Jugendlichen in ihrem Verhalten, Agieren, Kommunizieren und auch bei der Gestaltung ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen zu beobachten.
Es wurden vermehrt Situationen erlebt, in denen kleine Streitigkeiten unter den Kindern häufig zu Konflikten – geprägt von Aggression, Gewalt und Beleidigungen – führten. Sie sind aufeinander losgegangen und haben sich dabei geschubst, getreten und gehauen. In solchen Situationen wusste die Praktikantin oft nicht, welches Verhalten an der Stelle angebracht wäre. Sollte sie lediglich mit Worten laut ermahnen oder müsste sie die Kinder voneinander zerren? Dürfte sie die Kinder überhaupt anpacken? Wie geht sie vor, wenn die Kinder nicht auf sie hören? Wie bereits aus den situativ entstandenen Fragen zu entnehmen ist, waren sowohl das theoretische Wissen als auch die praktischen Erfahrungen unzureichend und führten somit zu Unsicherheit und Überforderung. Es entstand die Schwierigkeit, in der Praktikantenrolle den richtigen Ansatz zu finden, situationsgerecht zu entscheiden und zu agieren.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
2. Jugendpsychiatrische Versorgung in Deutschland
2.1 Teilstationäre Versorgung
2.1.1 Berufsgruppen
2.1.2 Gesetzliche Grundlagen
2.2 Soziale Arbeit in jugendpsychiatrischen Tageskliniken
3. Begriffsbestimmungen
3.1 Aggression
3.2 Gewalt
3.3 Gewalt und ihre Formen
3.4 Dissozialität
4. Erklärungsansätze für Aggression und Gewalt
4.1 Sozialpädagogische Erklärungsansätze
4.1.1 Soziale Etikettierungstheorie
4.1.2 Interaktions- und Aushandlungstheorie
4.2 Psychologische Erklärungsansätze
4.2.1 Frustrations-Aggressions-Hypothese
4.2.2 Trieb- und Instinkttheorie
4.2.3 Lerntheorien
4.3 Soziologische Erklärungsansätze
4.3.1 Anomie-Theorie
4.3.2 Theorie des differenziellen Lernens
5. Umgang mit aggressiven Verhaltensweisen in kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken
5.1 Auslöser von aggressiven Verhaltensweisen
5.2 Interventions- und Präventionsmaßnahmen
5.2.1 Begriffsbestimmungen
5.2.2 Methoden der Intervention
5.2.3 Methoden der Prävention
5.3 Grundkompetenzen von SozialarbeiterInnen
5.3.1 Professionelle Handlungskompetenz
5.3.2 Interdisziplinäre Kooperation
5.3.3 Teilnahme an Supervision
6. Grenzen von Prävention und Intervention in kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Beispiel für einen Wochenplan einer Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (Quelle: Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 57).
1. Einleitung
Aggression und Gewalt sind Bestandteile im Leben aller Menschen. Sie existieren in jeglicher Art und treten in unterschiedlichen Lebensbereichen auf. Aggressives Verhalten kann beispielsweise entstehen, wenn es „zum Angriff, zur Gegenwehr oder gar zum Schutz eines Anderen“ dienen soll (Schäfer, 2015, S.19). Wichtig ist dabei der Umgang mit aggressiven Zuständen und Konfliktsituationen. Die Übertragung auf psychiatrische Tageskliniken für Kinder und Jugendliche ist ein wesentliches Thema, denn in solchen Kontexten „ereignen sich mehr Episoden körperlicher Gewalt […] als gemeinhin angenommen wird“ (vgl. Schwabe, 2019, S. 30). Damit die Relevanz der Aufgabenstellung begründet ist, wird im nächsten Teilkapitel die Forschungsfrage abgeleitet.
1.1 Problemstellung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einem persönlich motivierten Thema, das durch ein studentisches Praktikum in einer tagesklinischen Kinder- und Jugendpsychiatrie entstanden ist. Durch den nahen Kontakt zu den KlientInnen ergab sich die Möglichkeit, die Kinder und Jugendlichen in ihrem Verhalten, Agieren, Kommunizieren und auch bei der Gestaltung ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen zu beobachten. Es wurden vermehrt Situationen erlebt, in denen kleine Streitigkeiten unter den Kindern häufig zu Konflikten – geprägt von Aggression, Gewalt und Beleidigungen – führten. Sie sind aufeinander losgegangen und haben sich dabei geschubst, getreten und gehauen. In solchen Situationen wusste die Praktikantin oft nicht, welches Verhalten an der Stelle angebracht wäre. Sollte sie lediglich mit Worten laut ermahnen oder müsste sie die Kinder voneinander zerren? Dürfte sie die Kinder überhaupt anpacken? Wie geht sie vor, wenn die Kinder nicht auf sie hören? Wie bereits aus den situativ entstandenen Fragen zu entnehmen ist, waren sowohl das theoretische Wissen als auch die praktischen Erfahrungen unzureichend und führten somit zu Unsicherheit und Überforderung. Es entstand die Schwierigkeit, in der Praktikantenrolle den richtigen Ansatz zu finden, situationsgerecht zu entscheiden und zu agieren.
Grundsätzlich sind PädagogInnen auf derartige Aggression oder auf Verweigerungsverhalten seitens der KlientInnen nicht vorbereitet (vgl. Schwabe, 2019, S. 60). In solchen Situationen sind Gefühle wie Ohnmacht, Schreck oder Panik typische Reaktionen der PädagogInnen (vgl. ebd.).
Demzufolge ist davon auszugehen, dass vor allem BerufsanfängerInnen häufig mit den aufgeführten Problemen konfrontiert sind. Aggressives Verhalten und Gewalt wird in sozialpädagogischen Berufen immer wieder auftauchen, sodass eine zukünftige Veränderung ausgeschlossen wird. Daraus ergibt sich für die pädagogische Tätigkeit angehender SozialarbeiterInnen die Frage, wie sie ihre theoretische und handlungspraktische Basis erweitern können, sodass sie sich in der Einschätzung einer Situation als auch im pädagogischen Handeln in der Lage befinden, mit Aggression und Gewalt seitens der KlientInnen möglichst konstruktiv umzugehen. Das Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit ist es, anhand einer intensiven Literaturrecherche den Umgang im Kontext der Anforderungen an SozialarbeiterInnen in psychiatrischen Tageskliniken für Kinder und Jugendliche zu beleuchten. Daraus wird folgende Forschungsfrage abgeleitet:
„Wie gestaltet sich das Vorgehen von SozialarbeiterInnen im Umgang mit aggressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen in psychiatrischen Tageskliniken?“
Im nächsten Kapitel erfolgt eine detaillierte Zielsetzung und Vorgehensweise zur Lösungsfindung.
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
Die vorliegende Arbeit ist in sieben Kapitel untergliedert. Nachdem die Relevanz des Themas begründet wurde, wird im nächsten Schritt das System psychiatrischer Tageskliniken für Kinder und Jugendliche in Deutschland dargestellt. Neben den tätigen Professionen wird vor allem die Bedeutsamkeit der Sozialarbeiterinnen erläutert und hervorgehoben. Außerdem werden relevante gesetzliche Grundlagen zu Behandlung in einer psychiatrischen Klinik dargestellt. In Kapitel 3 werden thematisch relevante Begriffe definiert, um sie voneinander abzugrenzen und adäquat anwenden zu können.
Danach folgen Erklärungsansätze für Aggression und Gewalt aus sozialpädagogischer, psychologischer und auch soziologischer Sichtweise.
Kapitel 5 behandelt den Umgang mit aggressiven Verhaltensweisen in kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken. Um den LeserInnen ein Verständnis für die möglichen Ursachen von Aggression und Gewalt bei jungen Menschen zu verschaffen, werden diese beleuchtet. Dazu folgen mögliche Maßnahmen der Prävention und Intervention. Zusätzlich werden die Grundkompetenzen für SozialarbeiterInnen für den Umgang kennengelernt und erarbeitet, da diese vor allem für BerufsanfängerInnen relevant sein können. In Kapitel 6 werden die Möglichkeiten und Grenzen, die sich bei der Anwendung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen in Tageskliniken ergeben, dargestellt. Es wird erwartet, dass die Ergebnisse der intensiven Literaturrecherche eine Basis für zukünftiges Handeln bzw. Intervenieren in Konfliktsituationen bieten, damit ein Einstieg in das Berufsleben im adäquaten Umgang mit Kindern und Jugendlichen erleichtert werden kann. Ein Fazit und ein kurzer Ausblick beschließen die vorliegende Arbeit.
2. Jugendpsychiatrische Versorgung in Deutschland
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie existiert seit 1968 als eigenständige Fachdisziplin in Deutschland (vgl. Denner, 2008, S. 71). Sie ist als ärztliches Fachgebiet ein Teil des Gesundheitssystems und verfügt über eigenständige diagnostische sowie therapeutische Methoden (vgl. ebd.). Für die jugendpsychiatrische Versorgung herrschen klare Leitprinzipien, die im Jahr 1988 seitens der Expertenkommission der Bundesregierung festgelegt wurden. Diese sind die Gleichstellung psychisch Kranker mit anderen Patientengruppen, die Integration der psychisch erkrankten Kinder und Jugendlichen in der Medizin, die Gemeindenähe und Angemessenheit der Versorgung (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 50). Darüber hinaus werden Kinder- und Jugendpsychiatrien in Deutschland in drei Bereiche eingeteilt:
- ambulante Versorgung;
- teilstationäre Versorgung;
- vollstationäre Versorgung.
Die ambulante Versorgung umfasst alle psychotherapeutischen Behandlungsleistungen, die nicht im Rahmen einer Klinik erbracht werden (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, o. J.).
Hier wird der größte Teil der psychisch erkrankten Kinder und Jugendlichen behandelt (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 58), die ihre Therapie zu vereinbarten Terminen wahrnehmen. Hingegen wird unter teilstationärer Versorgung eine Tagesklinik verstanden, die als eigenständige Abteilung der Kinder- und Jugendpsychiatrie innerhalb größerer Krankenhäuser untergebracht ist (vgl. ebd.). Die Therapie erstreckt sich als tagesklinische Behandlungseinheit über einen längeren Zeitraum (vgl. ebd. S. 57).
Die vollstationäre Versorgung wiederum erfolgt vermehrt in eigenständigen Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie in Form einer tages- und nachtklinischen Behandlungseinheit (vgl. ebd., S. 50, 57). Sie übernimmt Aufgaben der regionalen Pflichtversorgung, die langfristige Betreuung chronisch psychisch erkrankter oder mehrfach behinderter Kinder und Jugendlichen, vor allem jener PatientInnen, dessen Therapie in ambulanten oder teilstationären Behandlungsformen gescheitert sind (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 50). Die obigen Leitprinzipien werden den drei Bereichen der Jugendpsychiatrie zugeordnet und je nach medizinischen Bedarf werden PatientInnen in dem jeweiligen Bereich behandelt (vgl. ebd., S. 50).
Für die vorliegende Arbeit nimmt die teilstationäre Versorgung – sprich Tagesklinik – eine relevante Rolle ein. Daher werden grundlegende Informationen über Tageskliniken im Folgenden näher dargestellt. Außerdem wird die Rolle der SozialarbeiterInnen in psychiatrischen Tageskliniken näher beleuchtet, da die Betrachtung dieser Berufsgruppe im Rahmen psychiatrischer Tageskliniken für die Beantwortung der Forschungsfrage bedeutsam ist. Wichtige gesetzliche Grundlagen hinsichtlich einer psychiatrischen teilstationären Behandlung werden ebenso dargelegt.
2.1 Teilstationäre Versorgung
Die teilstationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen findet im tagesklinischen Setting statt. Dieses hat einen bedeutsamen Stellenwert in Deutschland und wurde bundesweit erheblich ausgebaut (vgl. ebd., S. 56). Während im Jahr 1986 lediglich acht kinder- und jugendpsychiatrische Tageskliniken bestanden, stieg die Anzahl im Jahr 2001 auf 84. 2008 erhöhte sich die Anzahl, sodass es bundesweit 170 Tageskliniken waren (vgl. ebd.). Heute gibt es in ganz Deutschland 187 psychiatrische Tageskliniken für Kinder und Jugendliche (vgl. DGKJP, 2021).
Gemäß der Autoren Lehmkuhl und Warnke (2011, S. 56) gibt es bestimmte Indikationen für eine tagesklinische Behandlung. Eine Indikation ist die Fortsetzung und Abkürzung einer stationären Behandlung zur graduellen Überleitung aus der stationären Therapie in die Familie des Erkrankten (vgl. ebd.). Des Weiteren sorgt eine tagesklinische Behandlung zur Vermeidung einer stationären Behandlung – solange keine Notwendigkeit darin besteht – oder dient der Vorbereitung auf eine stationäre psychiatrische Behandlung (vgl. ebd.). Die letzte Indikation besteht in der Betreuung von psychisch gestörten PatientInnen, die „im Rahmen einer ambulanten Therapie nicht behandelt werden können“ (ebd.).
Für die Patientenaufnahme in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie wird zuerst eine Anamnese und Exploration durchgeführt. In dieser werden Vorstellungsanlass, aktuelle Symptomatik, gesundheitliche Entwicklung, lebensgeschichtliche Daten für die Eigenanamnese und Daten zur familiären Entwicklung für die Familienanamnese erfragt und erfasst (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 39). Dies geschieht durch eine Befragung von Kind und Eltern mittels standardisierter Interviews, die „diagnostische Kriterien auf der Grundlage von ICD-10 erfassen“1 (ebd.). Es werden Methoden der Symptombeschreibung in Fragebögen, Methoden der Verhaltensbeobachtung und -analyse sowie familiendiagnostische Verfahren angewandt (vgl. ebd.).
Durch ein solches Anamneseverfahren werden Fakten zur psychischen und sozialen Entwicklung der/des PatientIn sowie Kenntnisse über Werte seiner/ ihrer Familie erhalten (vgl. ebd.). Für eine Therapie in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie sind Sorge, Wünsche und Ressourcen der PatientInnen und ihrer Familien von Interesse (vgl. ebd.).
Außerdem sind
„Probleme, Bedürfnisse und Begabungen sowie Ressourcen, die zur Entlastung, Gesundung und besseren Tragfähigkeit sowie zur Entwicklungsförderung von Kind und Familie verfügbar gemacht und genutzt werden können, […] in Erfahrung zu bringen.“ (ebd.).
Somit dient eine Befunderhebung nicht nur zur Feststellung der Diagnose, sondern ebenso einer Informationsgewinnung zu „organischen, psychischen, materiellen und sozialen Begleitumständen“ (ebd., S. 37). Diese sind für die psychiatrische Behandlung sowie Widereingliederung der/des PatientIn vonnöten (vgl. ebd.). Neben der Befragung, Untersuchung und Beobachtung des erkrankten jungen Menschen und seiner Familie werden ebenso andere wichtige „Bezugspersonen aus dem Lebensumfeld des Kindes, z. B. aus Kindergarten oder Schule“ (ebd.) zur Informationsgewinnung herangezogen.
Im nächsten Schritt wird ein psychopathologischer Befund erstellt. Hierbei wird der junge Mensch bezüglich seiner äußeren Erscheinung, Bewusstseinslage, Orientierung hinsichtlich Zeit, Ort, Situation und Person, seiner Aufmerksamkeit und seines Gedächtnisses eingeschätzt (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 39). Ferner werden seine Kontakt-, Beziehungs- und Bindungsfähigkeit sowie seine Gefühle, Stimmungen, Gedanken, seine geistigen, sprachlichen und motorischen Fähigkeiten, seine Interessen, sozialen Begabungen und Positionen erfasst (vgl. ebd.).
Danach erfolgt eine körperliche und neurologische Untersuchung. Diese zeichnet sich durch die Erfassung von internistischen und neurologischen Erkrankungen, die eine psychische Problematik sowie die Einschätzung der körperlichen Entwicklung des jungen Menschen hervorrufen können, aus (vgl. ebd.).
Als Letztes wird eine testpsychologische Untersuchung durchgeführt. Diese dient zur allgemeinen Einschätzung der Entwicklung, der Intelligenz und zur Erfassung von Leistungs- oder Wahrnehmungsstörungen des jungen Menschen (vgl. Denner, 2008, S. 79). Außerdem wird die Ausprägung von Symptomen wie u. a. Angst, Zwang, Depression, Konfliktgestaltung oder Konzentrationsvermögen untersucht (vgl. ebd.).
In Folge der Anamnesen und Exploration, des psychopathologischen Befunds sowie der körperlichen und testpsychologischen Untersuchung können sich „bei der gleichen Symptomatik des Kindes sehr unterschiedliche Diagnosen und darauffolgende Therapien ergeben“ (ebd.). Dies hebt die Bedeutung einer intensiven Untersuchung vor Therapiebeginn hervor, um bei jedem Kind den passenden Ansatz zur Behandlung zu finden und durchzuführen.
Um in einer tagesklinische Behandlung therapeutische Effekte erzielen zu können, müssen grundlegende Voraussetzungen der Verfügbarkeit und Kooperationsfähigkeit der Familien sowie die Gewährleistung der täglichen Rückkehrmöglichkeit der Kinder und Jugendlichen in ihre Familien erfüllt sein (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 56). Dadurch kann der erkrankte junge Mensch den Kontakt zu seiner Familie und seinen Freunden aufrechterhalten. Infolgedessen werden in Tageskliniken vermehrt PatientInnen behandelt, die in einem Umkreis von maximal 35 km wohnen (vgl. ebd., S. 57).
Weitere Voraussetzungen für eine Behandlungsmöglichkeit sind das Alter und die diagnostizierte(n) Störung(en) der PatientInnen. In psychiatrischen Tageskliniken werden ausschließlich Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 18 Jahren behandelt (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 57). Im Rahmen einer Tagesklinik können prinzipiell alle psychiatrischen Erkrankungen außer schwerste Depressionen und Suizidalität, akute Psychose, schwere Störungen des Sozialverhaltens, akute Suchterkrankungen, schwere Anorexia oder Bulimia nervosa behandelt werden. Für die Behandlung der aufgezählten Störungen bedarf es einer Aufnahme in einer stationären Psychiatrie für Kinder und Jugendliche (vgl. ebd.).
Die PatientInnen der teilstationären Versorgung kommen für ihre Behandlung täglich von Montag bis Freitag von 8:00 bis 16:00 Uhr in die Tagesklinik (vgl. ebd.). Auch in den Ferien läuft dies wie gewohnt weiter, wobei eine Behandlung im Durchschnitt drei bis vier Monate andauert (vgl. ebd.). Um die Tagesklinik zu erreichen, werden die PatientInnen von ihren Eltern gefahren, nutzen öffentliche Verkehrsmittel oder Taxen, dessen Fahrtkosten in den meisten Fällen von der Krankenkasse übernommen werden (vgl. ebd.).
Nach Lehmkuhl und Warnke (2011, S. 57) kann der Tages- bzw. Wochenablauf in einer psychiatrischen Tagesklinik beispielhaft folgendermaßen dargestellt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Beispiel für einen Wochenplan einer Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie (Quelle: Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 57).
2.1.1 Berufsgruppen
In der tagesklinischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie herrscht sowohl quantitativ als auch qualitativ ein hoher Personalstand, der für das Gelingen der Behandlungen unabdingbar ist (vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 68). Es ist von hoher Bedeutung, dass die unterschiedlich qualifizierten Fachkräfte miteinander kooperieren.
Der Personalstand umfasst somit Berufsgruppen wie FachärztInnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, klinische PsychologInnen, psychologische PsychotherapeutInnen, Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen, PädagogInnen aus den Bereichen Sonder-, Heil- oder Sozialpädagogik, SozialarbeiterInnen, Krankenschwester und -pfleger, ErzieherInnen, LogopädInnen, PhysiotherapeutInnen, MotopädInnen, ErgotherapeutInnen, eventuell Musik- und KunsttherapeutInnen sowie LehrerInnen und ErzieherInnen der klinikeigenen Schule (vgl. Denner, 2008, S. 73 f.; vgl. Lehmkuhl & Warnke, 2011, S. 68 f.). Wenn eine teilstationäre Versorgung mit den genannten Berufsgruppen ausgestattet ist, kann eine Akutbehandlung jungen Erkrankten innerhalb von 40 bis 60 Tagen gewährleistet werden (vgl. ebd.).
2.1.2 Gesetzliche Grundlagen
Grundsätzlich gilt für jedes Handeln in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in oberster Linie „die Achtung eines jeden Menschen – unabhängig von allen Formen einer psychischen Auffälligkeit, Erkrankung oder Behinderung“ (Clausen & Eichenbrenner, 2016, S. 51). Als Fundament für dieses Prinzip ist das Grundgesetz (GG)2 der Bundesrepublik Deutschland heranzuziehen. Dieser sichert die Gleichberechtigung aller Menschen und hebt das Recht der körperlichen Unversehrtheit hervor. Außerdem greift er das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, der Bewegungsfreiheit sowie die Einhaltung der Privatsphäre. Diese Rechte sind vor allem „in Momenten der veränderten Wahrnehmung, der Aggression und Selbstverletzung, der Angst und Verzweiflung, der Schutz- und Pflegebedürftigkeit“ (ebd.) zu schützen. Besonders in kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken sind die Rechte der KlientInnen „zu beachten und zu respektieren, wo dieser Mensch selbst vielleicht nicht mehr in vollem Umfang gemäß freier Willensentscheidung handeln kann“ (Clausen & Eichenbrenner, 2016, S. 51).
Allgemeine Grundlagen zur Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V)3 geregelt (vgl. Denner, 2008, S. 72).
Gemäß § 27 SGB V haben gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf Psychotherapie und psychotherapeutische Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist.
So übernehmen gemäß § 11 in Verbindung mit §§ 27 bis 52 SGB V die Krankenversicherungen die Finanzierung behandlungsbedürftiger Leistungen. Auch werden, wie in § 60 SGB V dargestellt, die Fahrtkosten der PatientInnen übernommen.
Die Behandlungsbedürftigkeit wird von dem zuständigen Arzt nach diagnostischer Abklärung des Störungs- bzw. Krankheitsbildes bestimmt. Nach dieser Abklärung und einer vorliegenden Krankheit im Sinne des SGB V wird entschieden, ob die Behandlung ambulant, teilstationär oder stationär erfolgen sollte (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V).
Als weitere wichtige gesetzliche Grundlage kann die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a des achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII)4 herangezogen werden. Ebenso verbindet diese Gesetzesgrundlage die Kinder- und Jugendpsychiatrie mit der Jugendhilfe, indem es beide Fachbereiche für die Betreuung des jungen Menschen mit psychischer Erkrankung verantwortlich macht. So wird in § 35a Absatz 1 SGB VIII geklärt, in welchen Fällen Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht. Voraussetzungen für die Eingliederungshilfe sind somit die Abweichung der seelischen Gesundheit von dem für das jeweilige Lebensalter typischen Zustands über einen längeren Zeitraum als sechs Monate und der damit verbundenen (zu erwartenden) Beeinträchtigung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Falls dies zutrifft, hat gemäß § 1 Absatz 1 SGB VIII jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung sowie auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit und somit auch einer Behandlung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Die Jugendhilfe ist gemäß § 35a Absatz 1a SGB VIII dafür verantwortlich, bei Abweichung der seelischen Gesundheit eine Stellungnahme eines Arztes oder Therapeuten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie einzuholen, dessen Stellungnahme auf Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten5 in der deutschen Fassung beruht. In § 35a Absatz 2 Nummer 1 bis 4 SGB VIII wird folglich erläutert, dass sich die zu leistende Hilfe nach dem Bedarf am Einzelfall orientiert und somit in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, durch geeignete Pflegepersonen oder in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstige Wohnformen geleistet werden kann.
Gemäß § 36 SGB VIII wird dann ein Hilfeplan erstellt, wobei Personensorgeberechtigte und der junge Mensch über die Inanspruchnahme einer Hilfe und über notwendige Änderungen von Art und Umfang der Hilfe aufgeklärt sowie auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hingewiesen werden. Bei dem Hilfeplangespräch sowie Aufstellung, Änderung oder Durchführung des Hilfeplans muss gemäß § 36 Absatz 3 SGB VIII ein Arzt oder Therapeut für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie beteiligt werden. Über eine notwendige Kooperation der Fachkräfte untereinander und mit den Eltern zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen wird in § 37 Absatz 1 SGB VIII ebenso hingewiesen.
Weitere gesetzliche Grundlagen für die Behandlung in einer Psychiatrie sind in den Psychisch-Kranken-Gesetzen (PsychKG) festgelegt. Diese Grundlagen werden jedoch in jedem Bundesland anders verordnet und unterscheiden sie sich erheblich voneinander (vgl. DGPPN, 2021). Demzufolge werden hier keine Einzelnormen aus den Psychisch-Kranken-Gesetzen dargestellt.
2.2 Soziale Arbeit in jugendpsychiatrischen Tageskliniken
Soziale Arbeit richtet sich an verschiedene gesellschaftliche Gruppen und befasst sich mit deren Problemlagen, sodass es kaum Bereiche gibt, wo SozialarbeiterInnen nicht eingesetzt werden.
Der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) definiert Soziale Arbeit wie folgt:
„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. […] Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein.“ (DBSH, 2016) .
Gemäß dieser Definition beschäftigt sich die Soziale Arbeit um die sozialen Dimensionen menschlichen Daseins und den daraus resultierenden Herausforderungen für Betroffene. Sie unterstützt deren Lebensweise durch die Beeinflussung der gesellschaftlichen Strukturen und befähigt sie zu handlungsfähigen, autonomen, gesunden und zufriedenen Mitgliedern der Gesellschaft.
So ist die Berufsgruppe auch in psychiatrischen Tageskliniken für Kinder und Jugendliche tätig und kümmert sich um die psychosoziale Lebenslage der KlientInnen sowie der darin auftretenden psychosozialen Problemen (vgl. Walther, 2017, S. 19). Daher sind SozialarbeiterInnen eine unverzichtbare sowie anerkannte Berufsgruppe in der psychiatrischen Versorgung und leisten durch den diagnostisch fundierten Einsatz sozialer Interventionen einen Beitrag zur Beseitigung oder Linderung psychischer Beschwerden betroffener Personen (vgl. ebd., S. 11). Außerdem können sie durch das Ermöglichen eines sozialen, psychischen und körperlichen Wohlbefindens bei der Verbesserung der Lebensqualität der erkrankten jungen Menschen und bei ihrer Partizipation sowie ihrer sozialen Teilhabe mitwirken (vgl. ebd.). Dafür muss die Soziale Arbeit jedoch Erkenntnisse und Handlungsweisen verschiedener Disziplinen einbeziehen, um aus unterschiedlichen Perspektiven „auf umfangreiche theoretische und methodische Kompetenzen in diesem [psychiatrischen] Arbeitsfeld zurückgreifen [zu können]“ (Walther, 2017, S. 13).
Soziale Arbeit kommt in jugendpsychiatrischen Tageskliniken für die Prävention und Reduktion von psychosozialen Belastungen der KlientInnen zum Einsatz (vgl. ebd., S. 39). Ebenso helfen SozialarbeiterInnen den KlientInnen dabei, ihr Handlungsrepertoire zu erhöhen (vgl. ebd.). Durch die Überwindung von psychosozialen Folgen von akuten und chronischen Erkrankungen soll die Soziale Arbeit „zu einer besseren Passung im Klient-Umwelt-System beitragen“ (Walther, 2017, S. 39). Dafür bedienen sich SozialarbeiterInnen konzeptionellen sowie methodischen Zugängen unter anderem aus den Bereichen der Jugendhilfe, der Sozialpsychiatrie oder der Behindertenhilfe (vgl. ebd., S. 40).
Eine weitere Aufgabe der Sozialen Arbeit besteht in administrativen Pflichten, mit Verwaltungen und Kostenträgern verschiedenster Dienste zu kooperieren, da KlientInnen häufig individuelle Unterstützung suchen (vgl. ebd., S. 22). So ist es die Kunst Sozialer Arbeit sowohl pädagogische und rechtliche als auch verwaltungstechnische Arbeitsabläufe zu kennen, um dem jeweiligen Hilfebedarf der/des KlientIn gerecht zu werden.
Nicht zu vergessen ist die interdisziplinäre Kooperation von SozialarbeiterInnen mit anderen Professionen. Sie sind immer auf die „fachliche Kooperation mit Ärzten angewiesen. Der Sozialarbeiter stellt zusammen mit der Klientin den Antrag auf Rehabilitation, doch dieser muss vom Psychiater unterschrieben werden“ (ebd., S. 27). Diese Kooperation erfolgt meist nur durch den Anstoß von SozialarbeiterInnen (vgl. ebd., S. 28). Oftmals sind sie für die Abwägung von komplexen Wirkungen und Folgen, die sich für die Lebenssituation der jeweiligen KlientInnen ergeben, verantwortlich (vgl. ebd.). Somit gelten SozialarbeiterInnen meist als Generalisten, da sie sich um alles kümmern, „was nach der Arbeit anderer Professionen [bzw. Spezialisten] noch unerledigt ist“ (ebd.).
Auch wenn die Soziale Arbeit heute neben den Berufsfeldern der Psychologie, der Medizin und der Pflege als weitere wichtige Profession in Kinder- und Jugendpsychiatrien eingebettet ist, geraten SozialarbeiterInnen trotzdem in einen Rechtfertigungs- und Legitimationsdruck und müssen sich somit „für die Bedeutung und Wahrnehmung des Sozialen in der Psychiatrie immer wieder einsetzen“ (Walther, 2017, S. 36).
Soziale Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie „ist eine Möglichkeit, pädagogische und therapeutische Gesichtspunkte eng miteinander zu verschränken“ (Günter, 2010, S. 55) und sollte somit in ihren Fähigkeiten und ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden.
[...]
1 Die ICD-10 ist ein internationales Klassifikationssystem psychischer Störungen von der Weltgesundheitsorganisation (vgl. Denner, 2008, S. 78).
2 Zuletzt geändert durch Artikel 1 und 2 Satz 2 des Gesetzes von 29.09.2020 (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, o. J.).
3 Zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes von 22.04.2021 (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, o. J.)
4 Zuletzt geändert durch Artikel 4 Absatz 6 des Gesetzes von 12.02.2021 (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, o. J.).
5 ICD-10 (International Classification of Diseases)
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