Finanzierung, Administration und Recht in der Sozialen Arbeit

Ein Portfolio


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

33 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Themenblock: Administration – die freie Wohlfahrtspflege
1.1. Vorstellung und Vergleich zweier Wohlfahrtsverbände

2. Themenblock: Finanzierung und Fundraising- Erstellung eines Finanzierungsmix am Praxisbeispiel von Theater RequiSiT e.V.
2.1. Das Theater RequiSiT als gemeinnützige Non-Profit-Organisation
2.2. Fundraising
2.3. Vorstellung eines Finanzierungsmix für das Theater RequiSiT e.V.

3.Themenblock Recht – Bildung, Bildungsrecht und soziale Ungleichheit im Kontext Sozialer Arbeit
3.1. Der Bildungsbegriff- Was ist Bildung?
3.2. Die sozialräumliche Bildungslandschaft
3.3. Bildungs- und Chancenungleichheiten
3.4. Das Recht auf Bildung
3.5. Bildung als fester Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe

4. Literatur

1. Themenblock: Administration – die freie Wohlfahrtspflege

„Freie Wohlfahrtspflege ist die Gesamtheit aller sozialen Hilfen, die auf freigemeinnütziger Grundlage und in organisierter Form in der Bundesrepublik Deutschland geleistet werden. Freie Wohlfahrtspflege unterscheidet sich einerseits von gewerblichen - auf Gewinnerzielung ausgerichteten - Angeboten und andererseits von denen öffentlicher Träger.“ (BAGFW 2018)

Nach Spiegelhalter (1990) ist die freie Wohlfahrtspflege zu unterscheiden von privater Wohltätigkeit oder privaten Hilfeinstitutionen, ebenso wie von der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabenerfüllung der staatlichen und kommunalen Behörden in den entsprechenden Einrichtungen (vgl. Boeßenecker, 1995, S.13 f.). Als "Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege" werden die sechs größten unter ihnen bezeichnet. Dies sind: die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der deutsche Caritasverband (DCV), das Diakonische Werk (EKD), der deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV), das Rote Kreuz (DRK) und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden. Im Gegensatz zu kleineren Wohlfahrtsverbänden agieren die Spitzenverbände bundesweit und im gesamten Gebiet der Dienstleistungen der Wohlfahrtspflege. Sie sind rechtlich selbstständig und unterliegen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) als Dachverband (vgl. Boeßenecker, 1995, S.17). Insgesamt sind hier über eine Million Mitarbeiter/innen hauptamtlich, sowie zahlreiche ehrenamtliche Helfer/innen beschäftigt (vgl. Sontheimer/Bleek 1997, S.257). Die Wohlfahrtsverbände fordern und fördern soziale Hilfen nicht nur, sondern leisten diese auch selbst. Sie sind sehr komplexe Organisationen, die durch verschiedene äußere Faktoren beeinflusst werden. Ihre unterschiedlichen Zielvorstellungen und Aufgaben, der sozialstaatliche Handlungskontext sowie aktuelle Reformen der Sozialpolitik wirken auf ihre Binnenstrukturen, Verhaltensmustern und Bestandsprobleme ein (vgl. Schmid/Mansour, 2007, S.244).

Auf sozialpolitischer Ebene erfüllen die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege eine wichtige Funktion, da sie „funktionsspezifische Strukturen zur Artikulation der in einer entwickelten Industriegesellschaft vorhandenen, entstehenden und miteinander rivalisierenden Interessen“ darstellen (Merchel 1989, S.17). Darüber hinaus nehmen sie eine Rolle als Mediatoren ein, zwischen betroffenen Individuen und dem Staat, indem sie Anliegen einzelner Bürger gegenüber der Politik sichtbar machen. Die freie Wohlfahrtspflege ist mit über 100.000 Einrichtungen und mit mehr als 1,7 Millionen Beschäftigten eine starke Säule des deutschen Wohlfahrtsstaates. Sie ist „politischer Akteur, Repräsentantin von Wertebindungen, Unternehmer und Dienstleister, fachliche Impulsgeberin. Sie ist zivilgesellschaftlicher Akteur und gleichermaßen ermöglicht sie freiwilliges Engagement für rund 3 Millionen Menschen.“ (Böllert 2016, S.1)

Die starke Stellung der Wohlfahrtsverbände und ihr großer politischer Einfluss fußen auf historischen Entwicklungen und auf dem Wandel gesellschaftlicher und staatlicher Verhältnisse. Die frühe Industrialisierung, aber auch Massennotstände und Kriege führten dazu, dass sich eine organisierte Hilfeleistung für Arme, Kranke oder Menschen in Not herausbildete. Eine besondere Rolle spielt der Konflikt zwischen Staat und Kirche im 19. Jh. und den später etablierten starken christdemokratischen Parteien. Laut Wirtschaftsjurist und Politiker Josef Schmid ist dies charakteristisch für den deutschen Sozialstaat (vgl. Schmid, 1996, S.17). Die Wohlfahrtsverbände sind Träger von rund einem Drittel aller sozialen Dienstleistungseinrichtungen auf dem Gebiet der Fürsorge, dem Gesundheitswesen inklusive der ambulanten und teilstationären Einrichtungen, sowie der Auslandshilfe. Zusammen erwirtschaften die gemeinnützigen Einrichtungen einen geschätzten Jahresumsatz von rund 55 Milliarden Euro, was mehr als die jährlichen Einnahmen der Textilbranche umfasst (vgl. fowid, 2016, o. S.). Die einzelnen Spitzenverbände sind geprägt durch unterschiedliche weltanschauliche oder religiöse Motive und Ziele. Sie arbeiten in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammen und weisen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte auf, wie etwa das Rote Kreuz im Rettungswesen. Im Folgenden werden die beiden Wohlfahrtsverbände, der Paritätische (DPWV) und der Caritas Verband (DCV) vorgestellt und miteinander verglichen, jeweilige Vor- und Nachteile, Stärken und Schwächen sollen herausgearbeitet werden.

1.1. Vorstellung und Vergleich zweier Wohlfahrtsverbände

Auf der offiziellen Website des Paritätischen Gesamtverbandes sind folgende Grundsätze aufgeführt: „Der Paritätische ist ein Wohlfahrtsverband von eigenständigen Organisationen, Einrichtungen und Gruppierungen der Wohlfahrtspflege, die soziale Arbeit für andere oder als Selbsthilfe leisten. Getragen von der Idee der Parität, das heißt der Gleichheit aller in ihrem Ansehen und ihren Möglichkeiten, getragen von Prinzipien der Toleranz, Offenheit und Vielfalt, will der Paritätische Mittler sein zwischen Generationen und zwischen Weltanschauungen, zwischen Ansätzen und Methoden sozialer Arbeit, auch zwischen seinen Mitgliedsorganisationen. Der Paritätische ist der Idee sozialer Gerechtigkeit verpflichtet, verstanden als das Recht eines jeden Menschen auf gleiche Chancen zur Verwirklichung seines Lebens in Würde und der Entfaltung seiner Persönlichkeit. Der Paritätische fördert das soziale Engagement für den anderen und den Einsatz für die eigenen sozialen Belange. Er hilft den Betroffenen, ihre Interessen zu formulieren, vorzutragen und durchzusetzen. Der Paritätische vertritt mit seinen Mitgliedsorganisationen insbesondere die Belange der sozial Benachteiligten und der von Ungleichheit und Ausgrenzung Betroffenen oder Bedrohten. Der Paritätische wirkt auf eine Sozial- und Gesellschaftspolitik hin, die die Ursachen von Benachteiligung beseitigen, ein selbstbestimmendes Leben ermöglichen und sachgerechte Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße soziale Arbeit schaffen.“ (der Paritätische Gesamtverband, 2021)

Dies sind die Grundsätze der Verbandspolitik, die auf der Mitgliederversammlung des Paritätischen Gesamtverbandes am 27. Oktober 1989 verabschiedet wurden. Der DPWV ist also ein Dachverband für freie Wohlfahrtsorganisationen, dessen Grundidee der Zusammenschluss eigenständiger Wohlfahrtsorganisationen und freier Träger ist, zum Austausch und für die Hilfe zur Selbsthilfe (vgl. Moos/ Klug, 2009, S.53 f.). Im Gegensatz zum DCV orientieren sich die im DPWV an keinem gemeinsamen Leitbild und unterliegen auch keiner zentralen Steuerung. Der DPWV wird mitunter als „Sozialanwaltsverband“ bezeichnet, weil er seine Mitgliedsorganisationen gegenüber der Politik und den Kostenträgern vertritt, insbesondere in den Bereichen Armut und Ungleichheit gilt er in Deutschland als sehr engagiert. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hat die Rechtsform eines eingetragenen Vereins und bestand bis ins Jahr 1990 aus zehn rechtlich selbständigen Landesverbänden sowie über 140 überregionalen Mitgliedsorganisationen. Mit der deutschen Wiedervereinigung kamen dann sechs weitere Landesverbände hinzu (vgl. Boeßenecker 1995, S.73). Die Mitgliederversammlung besteht aus den Landesverbänden und den überregionalen Mitgliedsorganisationen. Für eine Dauer von jeweils vier Jahren wählt diese einen Vorstand für den Gesamtverband, der dann die Arbeit des Verbandes leitet. Unter den Vorstandsmitgliedern wird ein Geschäftsführer gewählt, welcher für die Führung der laufenden Geschäfte verantwortlich ist (vgl. ebd.).

Die Hauptgeschäftsstelle des DPWV ist untergliedert in die folgenden Bereiche:

- Abteilung Sozialarbeit und Sozialpädagogik
- Abteilung Haushalt und Verwaltung
- Geschäftsleitung
- Abteilung Recht und Betriebswirtschaft
- Fortbildungswerk
- Abteilung Rehabilitation und Gesundheit

Diese Bereiche sind wiederum einzelnen Fachreferaten zugeordnet. Die zentrale Fortbildungs- und Begegnungsstätte des DPWV ist das Wilhelm-Polligkeit-Institut in Frankfurt am Main (vgl. BAGFW, 1985, S.82 f.). Insgesamt sind etwa 10.000 eigenständige Wohlfahrtsorganisationen, Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich Mitglieder des DPWVs als Dachverband, deren Repräsentanten die Landesverbände sind (vgl. Moos/ Klug, 2009, S.56 f.). Eine Doppelmitgliedschaft in mehreren Spitzenverbänden ist satzungsrechtlich ausgeschlossen. Im Gegensatz zu allen anderen Spitzenverbänden besitzt der DPWV eine dezentrale Aufbauorganisation, sodass die Mitgliedschaft im DPWV keine Auswirkungen auf die rechtliche Selbstständigkeit oder interne Organisation des einzelnen Mitgliedsverbandes hat. Damit fehlen dem DPWV aber auch die Möglichkeiten, die Tätigkeiten seiner einzelnen Mitglieder zu beaufsichtigen oder zu beeinflussen (vgl. Boeßenecker, 1995, S.73 f.). In den Strukturen des DPWV gibt es weder eine einheitliche Organisationsstruktur noch ein gemeinsames Leitbild, und auch keine institutionell verbindlichen Regeln (vgl. ebd., S.86). Aus diesem unstrukturierten Aufbau ergibt sich der große Vorteil einer unmittelbareren Klientenbezogenheit: einzelne Kleinverbände können autonom agieren. Laut Boeßenecker steht der DPWV in einem Spannungsverhältnis zwischen der Lobbyorganisation verschiedener Organisationen, dem Interessenverband für Initiativen und Selbsthilfegruppen, und dem anerkanntem Spitzenverband der Wohlfahrtspflege. Darum könne er keine gemeinsame inhaltliche Stoßrichtung gewinnen, welche über allgemeine Erklärungen hinausgeht (vgl. Boeßenecker 1995, S.87). Durch seine dezentrale Aufbauorganisation und das Fehlen von ideologischen Leitsätzen hebt sich Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband von den übrigen Wohlfahrtsverbänden ab. Ein großer Vorteil einer Mitgliedschaft im DPWV ist es also, dass jede Mitgliedsorganisation ihre individuelle Konzeption und ihren eigenen Namen ganz ohne Beeinflussung durch die Verbandsspitze behalten und so unmittelbar auf vorhandene Bedürfnisse der Klientel reagieren kann. Gleichzeitig ergibt sich daraus der Nachteil einer geschwächten politischen Position des Verbandes, da gemeinsame Ziele der beteiligten Organisationen nicht gut formuliert werden können. Beim Deutschen Caritas Verband verhält sich dies anders.

Der Deutsche Caritasverband (DCV) orientiert sich an der katholischen Soziallehre; im Leitbild des DCV sind folgende grundlegende Positionen zu lesen: „Die Caritas ist mehr als eine Organisation. Sie ist eine Grundhaltung gegenüber Menschen, besonders gegenüber Menschen in Not. Ihre Wurzeln hat sie in der Liebe Jesu zu den Menschen. Wie er sieht die Caritas ihre Aufgabe darin, den Menschen ohne Ansehen von Herkunft, Status oder Religion mit Liebe und Achtung zu begegnen. Überall.“ (Caritas 2021)

Im Leitbild werden Aufgaben und Ziele, Herausforderungen und Perspektiven des Deutschen Caritasverbandes formuliert. Auf der offiziellen Website heißt es: „Caritasarbeit ist Hilfe für Menschen in Not. Der Deutsche Caritasverband versteht sich als Anwalt und Partner Benachteiligter. Die verbandliche Caritas gestaltet Sozial- und Gesellschaftspolitik mit. Der Deutsche Caritasverband trägt zur Qualifizierung sozialer Arbeit bei.“ (Caritas 2021 a)

Im großen Unterschied zum Paritätischen Wohlfahrtsverband teilen alle Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes das benannte, gemeinsame Leitbild. „Es soll ihnen die Identifikation mit den Zielen und Aufgaben des Verbandes erleichtern.“ (ebd.)

Der Caritasverband ist mit 24.391 Einrichtungen und über eine Millionen Plätzen bzw. Betten der größte Wohlfahrtsverband in Deutschland. Über 500.000 Menschen engagieren sich freiwillig bzw. ehrenamtlich. Hinzu kommen ca. 37.000 Auszubildende, Schüler/innen und Berufspraktikanten und -Praktikantinnen, 4.701 Freiwillige im Sozialen Jahr und 5.112 Bundesfreiwilligen­­dienstleistende (vgl. fowid, 2016). Eine große Bandbreite an sozialen Einrichtungen gehören dem Caritasverband an, darunter insbesondere: Gesundheits-, Familien-, Jugend-, Alten- und Behinderteneinrichtungen, Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Sozialstationen, Beratungsstellen für Geflüchtete, sowie für suchtkranke Menschen, Familien und Senioren. Diese vielzähligen Angebote der Caritas für den Menschen als Individuum stellt einen zentralen Unterschied zum Paritätischen Wohlfahrtsverband dar. Überall haben einzelne Klienten und Klientinnen die Möglichkeit einer unverbindlichen und kostenlosen Beratung in den Beratungseinrichtungen des deutschen Caritasverbandes. Seit 2020 gibt es auch eine Online-Beratung. Der DCV wurde bereits 1897 als Hilfsorganisation der katholischen Kirche unter Priester Lorenz Werthmann in Köln gegründet und 1916 als offizieller Sozialdienst der katholischen Kirche durch die Bischofskonferenz anerkannt und gefördert. Seither wurde der Caritasverband schrittweise in den Bereichen Finanzplanung, Infrastruktur und Aufgabenkonzeption professionalisiert. Der neue katholische Wohlfahrtsverband wurde in vielen verschiedenen Bereichen sozialer Problemlagen aktiv, indem er sich sowohl für Seeleute, Arbeiter oder behinderte Menschen, als auch im Frauenschutz, in der Kinder- und Jugendfürsorge oder der Krankenpflege engagierte. In den 1950er-Jahren leistete die Caritas erstmals internationale Not- und Katastrophenhilfe (vgl. Caritas, 2021b). Heute leistet Caritas international als Teil des Deutschen Caritasverbandes die Not- und Katastrophenhilfe für die Länder Europas und der Dritten Welt. Nach der Wende vernetzte sich die Caritas bundesweit. „725 Projekte in 81 Ländern umfasste das Engagement von Caritas international im Jahr 2019. Insgesamt wurden damit 5,6 Millionen Menschen erreicht. Überall gilt: Die Hilfe kommt bei den Bedürftigsten der Bevölkerung an.“ (Caritas International, 2020)

Vorteile einer Mitgliedschaft im Caritasverband sind laut Caritas selbst die folgenden:

„-Erfahrungsaustausch und internationale Kontakte
-Beratung zur Weiterentwicklung der Arbeit des Freiwilligen-Zentrums
-Unterstützung bei der Bearbeitung eines Schwerpunktbereichs
-Informationen zu Themen der Freiwilligentätigkeit
-Rabatte bei Materialbestellungen für den gesamten Verbund
-Kostenlose Informationsmaterialien
-Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen Freiwilligen, Beruflichen und Trägern auf Orts-, Diözesan- und Bundesebene (Partizipationsstruktur)“ (Caritas 2011)

Wie alle Wohlfahrtsverbände und soziale Einrichtungen unterliegt auch die Caritas dem gesamtgesellschaftlichen Wandel und muss sich aktuellen Veränderungen anpassen. Ein Thema, welches in den Medien fortwährend für besonderes Aufsehen sorgt, ist der Spagat zwischen Profit und Nächstenliebe. So lautet eine unter vielen Kritiken in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Wenn die Verbände die Kürzungen des Sozialetats geißeln, dann tun sie das nicht nur im Namen der Nächstenliebe, sondern auch, um das finanzielle Wohlergehen ihrer eigenen Kindertagesstätten, Fortbildungshäuser und Beratungsdienste zu sichern.“ (FAZ 2006)

Auch häufig in der Kritik steht der Umstand, dass die kirchlichen Mitarbeiter von Caritas und Diakonie den arbeitsrechtlichen Besonderheiten unterliegen, welche sich aus der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kirchen nach Artikel 140 GG laut Busch (2002) in folgenden Bereichen ergeben:

- Hinsichtlich des Betriebsverfassungsrechts: Es existiert keine Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes, stattdessen gibt es eigene Mitarbeitervertretungsgesetze.
- Hinsichtlich des Einzelarbeitsvertragsrechts: Es existieren besondere Loyalitätspflichten bzw. Einschränkungen im Bereich der privaten Lebensführung.
- Hinsichtlich des kollektiven Arbeitsrechts: Die Arbeitsrechtssetzung erfolgt (mit Ausnahme einiger weniger diakonischen Einrichtungen) nicht über Tarifverträge, sondern über Arbeitsrechtliche Kommissionen nach dem so genannten dritten Weg der Kirchen (vgl. Ludemann/Negwer, 2000, S.88 f.)
- Hinsichtlich der Gerichtsbarkeit: Es gibt eigene Schlichtungsstellen, Schiedsstellen, kirchliche Verwaltungsgerichte und kirchliche Gerichte mit arbeitsgerichtlichen Funktionen, mit Vorrang vor staatlichen Arbeitsgerichten (vgl. Busch, 2002, S.7).

Die Kirche kann sich als Arbeitgeberin auf Kirchengesetze berufen, welche über einer staatlichen Gesetzgebung stehen. Die besonderen Loyalitätspflichten eines kirchlichen Mitarbeiters sind in der kirchlichen Grundordnung geregelt, als ein Bestandteil des Dienstvertrages. So besteht beispielsweise ein Entlassungsgrund für Mitarbeiter, die nach einer Scheidung wieder heiraten wollen oder die fristlose Entlassung von homosexuellen Mitarbeitern, die sich nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz verpartnern lassen. Die kirchliche Grundordnung betrifft alle Mitarbeiter/innen im caritativen Dienst, also nicht nur jene, die kirchlich arbeiten, sondern auch Ärzte und Ärztinnen in Krankenhäusern, Pfleger/innen, Reinigungskräfte in Seniorenwohnheimen etc. (vgl. ebd.). Dabei ist die Entlohnung der kirchlichen und caritativen Mitarbeitenden angelehnt an die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR), in welchen alle Entlohnungs- und Arbeitsregelungen festgehalten sind. Das System bietet wenig Spielraum für eine modernen, leistungsbezogenen und flexiblen Vergütung. In diesem Zusammenhang spricht Lehner im Jahr 2001, also bereits vor 20 Jahren, von einer notwendigen Reform der Arbeitsvertragsrichtlinien. In ihrer bisherigen Form seien sie zu intransparent, zu aufwändig in der Handhabung und zu starr, um sich den veränderten Rahmenbedingungen und dem Markt anzupassen. Die Vergütung müsse der aktuellen Leistung entsprechen. Bestehende Automatismen bei der Altersstufenerhöhung und den Probezeiten wären demnach aufzulösen. Vergütung und Sozialpolitik sollten voneinander getrennt werden, da sonst die Gefahr bestehen könnte, dass marktorientierte Einrichtungen ältere und kinderreiche Personen nicht mehr einstellen. Der Verheiratetenzuschlag, ebenso wie der Kinderzuschlag müssten abgeschafft werden - hierfür existieren bereits steuerliche Unterscheidungen und Vergünstigungen, durch den Gesetzgeber eingeführt (vgl. Lehner, 2001, S.61 f.). Es wird deutlich, dass der deutsche Caritas Verband der besonderen Herausforderung unterliegt, dass er sich neben den wirtschaftlichen Vorgaben auch einer christlichen Unternehmensethik verpflichtet (vgl. Meier-Gerlich, 2001, S.64 f.). Eine Barmherzigkeit ohne Ökonomie ist auf lange Sicht nicht umsetzbar ist, eine Ökonomie ohne Barmherzigkeit widerspricht dagegen dem kirchlich-sozialen Gedanken. Nach Batkiewicz sind die kirchlichen Träger und Einrichtungen dann zukunftsfähig, wenn sie bewusst das christliche Profil verdeutlichen und dieses ausdrücklich als Qualitätsmerkmal hervorheben, sozusagen den christlichen Mehrwert als einen Wettbewerbsvorteil nach außen tragen (vgl. Batkiewicz, 2002, S.50). Einer der größten Unterschiede zwischen den beiden hier vorgestellten Wohlfahrtsverbänden besteht wohl in der Neutralität des DPVW gegenüber der Verbundenheit zum Christentum des Deutschen Caritas Verbandes. Letztlich muss jede soziale Einrichtung selbst entscheiden, welcher Wohlfahrtverband ihrem eigenen Leitbild am ehesten entspricht und überprüfen, ob sie die jeweiligen Vorgaben einer Mitgliedschaft erfüllt.

Abschließend ist festzuhalten, dass sowohl der Deutsche Caritas Verband als auch der Paritätische Wohlfahrtsverband als wichtige Bestandteile der freien Wohlfahrtspflege auf eine solidarische, inklusive und gerechte Gesellschaft hinwirken. Beide können als sozialpolitischer Anwalt betrachtet werden; durch ihre Angebote unterstützen sie Menschen in schwierigen Lebenslagen. Sie kommen dieser Aufgabe in komplexen, verbandlichen und unternehmerischen Strukturen nach und schaffen stets strukturelle Voraussetzungen, um neue Ideen zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems zu entwickeln und umzusetzen.

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Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Finanzierung, Administration und Recht in der Sozialen Arbeit
Untertitel
Ein Portfolio
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
33
Katalognummer
V1160867
ISBN (eBook)
9783346560612
ISBN (Buch)
9783346560629
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Recht auf Bildung, Caritas, Fundraising
Arbeit zitieren
Sina Krehl (Autor:in), 2021, Finanzierung, Administration und Recht in der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1160867

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