Am Michaelistage, eben als bei den Karmelitern die Abendhora eingeläutet wurde, fuhr ein mit vier Postpferden bespannter stattlicher Reisewagen donnernd und rasselnd durch die Gassen des kleinen polnischen Grenzstädtchens L. und hielt endlich still vor der Haustür des alten teutschen Bürgermeisters. Neugierig steckten die Kinder die Köpfe zum Fenster heraus, aber die Hausfrau stand auf von ihrem Sitze und rief, indem sie ganz unmutigihr Nähzeug auf den Tisch warf, dem Alten, der aus dem Nebenzimmer schnell eintrat, entgegen: „Schon wieder Fremde, die unser stilles Haus für eine
Gastwirtschaft halten, das kommt aber von dem Wahrzeichen her. Warum hast du auch die steinerne Taube über der Tür aufs neue vergolden lassen?“ Der Alte lächelte schlau und bedeutsam, ohne etwas zu erwidern; im Augenblick hatte er den Schlafrock abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange her noch wohlgebürstet über der Stuhllehne hing, angezogen, und ehe die ganz erstaunte Frau den Mund zur Frage öffnen konnte, stand er schon, sein Samtmützchen unterm Arm, so daß sein silberweißes Haupt in der Dämmerung hell aufschimmerte, vor dem Kutschenschlage, den indessen ein Diener geöffnet. Eine ältliche Frau im grauen Reisemantel stieg aus dem Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Gestalt mit dicht verhülltem Antlitz, die, auf des Bürgermeisters Arm gestützt, in das Haus hinein mehr wankte als schritt und, kaum ins Zimmer getreten, wie halb entseelt in den Lehnstuhl sank, den die Hausfrau auf des Alten Wink schnell herangerückt. Die ältere Frau sprach leise und sehr wehmütig zu dem Bürgermeister: „Das arme Kind! – ich muß wohl noch einige Augenblicke bei ihr verweilen“, damit machte sie Anstalt, ihren Reisemantel herunterzuziehen, worin ihr des Bürgermeisters ältere Tochter beistand, so daß bald ihr Nonnengewand sowie ein auf der Brust funkelndes Kreuz sichtbar wurde, welches sie als Äbtissin eines Zisterzienser- Nonnenklosters darstellte. Die verhüllte Dame hatte unterdessen nur durch ein leises, kaum vernehmbares Ächzen kundgetan, daß sie noch lebe, und endlich die Hausfrau um ein Glas Wasser gebeten.
Inhaltsverzeichnis
- Am Michaelistage
- Die Ankunft
- Cölestines Leben im Bürgerhaus
- Die Entbindung
- Die Ankunft des Karmelitermönchs
- Die verbleibenden Monate
- Der Auftritt des Offiziers
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Geschichte „Das Gelübde“ von E.T.A. Hoffmann spielt mit den Motiven des Geheimnisvollen, der Verhüllung und der Angst vor dem Unbekannten. Sie erzählt die Geschichte einer geheimnisvollen Frau namens Cölestine, die von der Äbtissin eines Zisterzienserklosters bei einem Bürgermeisters in einem kleinen polnischen Städtchen untergebracht wird.
- Geheimnis und Verhüllung
- Die Angst vor dem Unbekannten
- Die Rolle des Übernatürlichen
- Menschliche Reaktionen auf das Geheimnisvolle
- Die Suche nach Wahrheit und Erlösung
Zusammenfassung der Kapitel
Am Michaelistage
Die Geschichte beginnt mit der Ankunft einer geheimnisvollen Frau, Cölestine, bei einem Bürgermeister in einem kleinen polnischen Städtchen. Sie wird von der Äbtissin eines Zisterzienserklosters begleitet und ist schwer krank. Der Bürgermeister, ein gläubiger Mann, nimmt Cölestine bei sich auf und kümmert sich um sie.
Die Ankunft
Cölestine ist tief religiös und lebt ein strenges klösterliches Leben. Sie ist ständig verschleiert und weigert sich, ihr Gesicht zu zeigen. Das Geheimnis um ihre Person und die Verhüllung ihres Gesichts erzeugen Angst und Neugier bei den Bewohnern des Hauses.
Cölestines Leben im Bürgerhaus
Cölestine betet und liest fromme Bücher. Sie lebt zurückgezogen in einem kleinen Zimmer und weigert sich, mit den Bewohnern des Hauses in Kontakt zu treten. Ihre Anwesenheit erzeugt eine unheimliche Atmosphäre, die sich auf alle im Haus auswirkt.
Die Entbindung
Cölestine bringt einen Sohn zur Welt. Die Entbindung verläuft ohne Komplikationen, und das Kind ist gesund. Das Ereignis bringt eine gewisse Erleichterung in das Haus, da es die unheimliche Atmosphäre etwas aufzulockern scheint.
Die Ankunft des Karmelitermönchs
Ein Karmelitermönch tauft den neugeborenen Jungen. Er unterhält sich lange mit Cölestine, und es wird deutlich, dass sie ein tiefes religiöses Geheimnis hütet.
Die verbleibenden Monate
Cölestine bleibt im Haus des Bürgermeisters. Sie kümmert sich um ihren Sohn und lebt weiterhin ein frommes Leben. Der Bürgermeister und seine Familie gewöhnen sich an ihre Anwesenheit, obwohl die ständige Verhüllung ihre Annäherung verhindert.
Schlüsselwörter
Die Geschichte „Das Gelübde“ von E.T.A. Hoffmann befasst sich mit den Themen des Geheimnisvollen, der Verhüllung, der Angst vor dem Unbekannten, der Religion, der Moral und der Suche nach Wahrheit. Wichtige Schlüsselwörter sind: Cölestine, Äbtissin, Zisterzienserkloster, Schleier, Geheimnis, Angst, Verhüllung, Religion, Moral, Wahrheit, Tod, Erlösung.
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- E.T.A. Hoffmann (Autor:in), 2008, Das Gelübde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116119