Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Naturzustand des Menschen
2.1 Materialismus und der Glückseligkeitsbegriff.
2.2 „Homo homini lupus": DerNaturzustand als Kriegszustand
2.3 Das „Naturrecht"
3. Vom Naturzustand zum Gesellschaftszustand
3.1 Frieden durch Furcht: Der „Gesellschaftsvertrag"
3.2 Die Einsetzung des Souveräns und seine Aufgaben
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Thomas Hobbes (1588-1679)1 war ein englischer Philosoph, welcher besonders für sein politisches Denken bekannt wurde. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Problem sozialer und politischer Ordnung und besonders mit der Frage, wie Menschen in Frieden Zusammenleben und die Gefahren ziviler Konflikte vermieden werden können.2 Hobbes machte es sich zum Ziel, rationale Prinzipien für die Konstruktion eines zivilen Gemeinwesens (civil polity) zu finden, was nicht der Gefahr der Zerstörung von innen erliegt. Seine Philosophie steht dabei ganz unter den Erfahrungen des britischen Krieges mit Spanien (1588; 1654-59) und vor allem des seit Anfang des 17. Jahrhunderts tobenden Englischen Bürgerkriegs als Kampf zwischen König und Bürgertum3, welcher auf beiden Seiten viele Todesopfer forderte und mit seinen chaotischen Verhältnissen und seiner Brutalität wohl Hobbes' Eindruck von der menschlichen Natur erheblich beeinflusste.4 Grundsätzlich geht Hobbes in seiner politischen Philosophie vom Menschen aus, welchen er sowohl in seinen Elementa Philosophiae5 und später in seinem Hauptwerk, dem Leviathan6 in seiner Natur zunächst ausführlich zu beschreiben versucht. Auf Basis der Darstellung des Individuums, des späteren „bürgerlichen Subjekts", konstruiert er eine konkrete politische Organisationsform, geht also methodologisch vom Besonderen zum Allgemeinen vor.7 Diese Arbeit folgt gewissermaßen diesem Vorgehen und soll die wesentlichen Merkmale des Hobbesschen Menschenbildes nachzeichnen, die zentralen Begriffe „Naturzustand" und den damit verknüpften „Kriegszustand" erläutern und anschließend klären, wie Hobbes daraus mithilfe des sogenannten „Gesellschaftsvertrages" seinen Staat, den Leviathan entwickelt.
2 Der Naturzustand des Menschen
2.1 Materialismus und der Glückseligkeitsbegriff
In den Elementa Philosophiae beginnt Hobbes mit dem Kapitel „Lehre vom Menschen" (De Homine) und im Leviathan mit „Vom Menschen" (Of Man). Da es hier aber besonders um den Menschen als Bürger, also vor allem um den Teil De Cive in den Elementa Philosophiae und um die Ausführungen zum „Naturzustand" gehen soll, werden diese grundlegenden Kapitel zum Menschen im Folgenden nur kurz umrissen.
In beiden genannten Werken wird früh deutlich, wie sehr Hobbes' Perspektive auf den Menschen durch die Naturwissenschaften beeinflusst war. Er analysiert zunächst die physiologische Natur des Menschen sowie die damit verbundenen organischen Funktionen des Körpers, wobei er mentale Vorgänge als rein physiologische deutet.8 Hobbes argumentiert, dass ohne materielle Körper keinerlei Empfindung existieren würde und vertritt somit eine materialistische Sichtweise der Anthropologie. Empfindung ist für ihn nichts weiter als eine Bewegung von Materie im Gegenstand und Bewegung wiederum ausschlaggebend dafür, dass etwas auf die Sinne wirkt. In der Hobbesschen Theorie existiert auch der klassische Dualismus von Körper und Seele nicht, die sinnliche Wahrnehmung spiegelt für ihn lediglich den Zustand der Seele wieder9 : „Die physiologischen Bewegungen im Körper wirken auf die Sinne und die Sinne wiederum lösen die mentalen Denk- und Verstandesprozesse aus."10 Das Hobbessche Menschenbild basiert somit grundsätzlich auf den Lehren des Materialismus sowie der Bewegungslehre (Kinematik) und distanziert sich von der Spiritualität der antiken und scholastischen Theorie.11 Seinen sogenannten Naturzustand, der weiter unten besprochen wird, sieht Hobbes als Schlussfolgerung der menschlichen Leidenschaften. Macht, Reichtum, Wissen und Ehre sind dabei für ihn diejenigen Güter, die im Zentrum der menschlichen Bedürfnisse, Wünsche und Interessen stehen.12 Im achten Kapitel seines Leviathan spricht Hobbes davon, dass das „mehr oder weniger starke Verlangen nach Macht, Reichtum, Wissen und Ehre" auf den Begriff „Verlangen nach Macht" gebracht werden könne, da es sichjeweils nur um verschiedene Arten von Macht handle.13 Hobbes untersucht auch die Ziele menschlicher Handlungen. Im elften Kapitel des Leviathan kommt er dazu auf die Glückseligkeit {felicity) zu sprechen und nimmt kritisch Stellung zum aristotelischen Begriff der Eudaimonia'.
„Denn es gibt kein finis ultimas, d.h. letztes Ziel, oder summum bonum, d.h. höchstes Gut, von welchen in den Schriften der alten Moralphilosophen die Rede ist. Auch kann ein Mensch, der keine Wünsche mehr hat, so wenig weiterleben wie einer, dessen Empfindungen und Vorstellungen zum Stillstand gekommen sind. Glückseligkeit ist ein ständiges Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zu einem anderen, wobeijedoch das Erlangen des einen Gegenstandes nur der Weg ist, der zum nächsten Gegenstand führt."14
Diese Definition von Glückseligkeit unterscheidet sich maßgeblich von jener der „alten Moralphilosophen". Wahre Eudaimonia hatte für Aristoteles wenig mit bloßer Wunscherfüllung und Bedürfnisbefriedigung zu tun, sondern ist vielmehr eine „Tätigkeit der Seele gemäß der vollkommenen Tugend"15. Sie ist deshalb weder an äußere Güter gebunden noch nur für eine begrenzte Zeit gültig, sondern besteht ein Leben lang. Von dieser sittlichen Form der Glückseligkeit ist in der Hobbesschen Theorie kaum etwas geblieben, da es für ihn „Gegenstand menschlichen Verlangens ist, nicht nur einmal und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu genießen, sondern sicherzustellen, daß seinem zukünftigen Verlangen nichts im Wege steht."16 So ist Glückseligkeit nichts anderes als das komparative Durchschreiten einer prinzipiell endlosen Bahn: „Stets den nächsten vor uns zu besiegen ist Glück; und das Rennen aufgeben heißt Sterben."17 Anhand dieser Formulierung wird deutlich, wie sehr Hobbes' Menschenbild vom Kapitalismus beziehungsweise der Weitsicht zeitgenössischer Kaufleute geprägt ist. Es zeigt sich eine deutliche Abkehr von der klassischen Moralphilosophie, in der die Pleonexie. die Habgier, als Widerpart aller Tugenden galt. Hobbes akzeptiert, was vorher als Wurzel allen gesellschaftlichen Übels gegolten hatte, als Grundlage seiner politischen Ordnung. Es geht ihm nicht um die Verdrängung der Pleonexie, sondern um deren Einbau in eine politische Konstruktion, die die von ihr ausgehenden Gefahren eindämmen kann. Diese Konstruktion ist dann der per Vertrag hergestellte Gesellschaftszustand, in der der absolut herrschende Souverän die friedliche Koexistenz der von Natur aus unfriedlichen Nutzenmaximierer sicherstellt.18 Hobbes unterstellt mit dieser Ansicht aber nicht automatisch allen Menschen eine grundsätzliche Machtgier und damit Skrupellosigkeit. Er führt hinsichtlich dieses Machtstrebens an, es liege „nicht immer darin, daß sich ein Mensch einen größeren Genuss erhofft als den bereits erlangten, oder daß er mit einer bescheidenen Macht nicht zufrieden sein kann, sondern darin, daß er die gegenwärtige Macht und die Mittel zu einem angenehmen Leben ohne den Erwerb von zusätzlicher Macht nicht sicherstellen kann."19 Inmitten der Unwägbarkeiten einer marktvermittelten Gesellschaft existierten nunmal keine dauerhaften Sicherheiten oder stabilen Erwartungen. Der Machtkampf sei das Resultat von Zukunftsangst und damit jener Eigenschaft, die den Menschen vom Tier unterscheide. In De Homine stellt Hobbes dazu fest, der Mensch sei „raublustiger und grausamer als Wölfe, Bären und Schlangen, deren Raubgier nicht länger dauert als ihr Hunger", denn er sei ein Wesen, das „sogar der künftige Hunger hungrig macht".20
Gegen Kritiker dieses Menschenbildes verteidigte sich Hobbes in erkennbar defensiver Haltung, da es sich bei Aussagen über die Natur des Menschen zur damaligen Zeit immer auch in theologischer Dimension um Aussagen zur Schöpfung handelte und demnach die Gefahr des Atheiusmusvorwurfes drohte. Hobbes argumentiert deshalb so, dass eben nicht alle Menschen von Natur aus böse seien, aber dass die Annahme einiger böser Menschen bereits ausreiche, um die anderen Menschen zu einem Verhalten zu nötigen, das so aussieht, als ob auch sie böse wären. Er macht also hier keine Aussagen über den Menschen, sondern über die Art der Beziehungen der Menschen zueinander. Hobbes verschärft diese Argumentation weiter dadurch, dass er den Menschen als ein Vorsorge treffendes Lebewesen fasst. Aufgrund dieser Antizipationsfähigkeit könne er zukünftige Knappheit und Konkurrenz in seine
[...]
1 Vgl. Garrath Williams: Thomas Hobbes: Moral and Political Philosophy. In: Internet Encyclopedia of Philosophy. (URL: https://iep.utm.edu/hobmoral/. letzter Abruf: 05.02.2021).
2 Ebd.
3 Vgl. Sandra Rembold: Das Bild des Menschen als Grundlage der Ordnung. Köln 2006, S.88.
4 Vgl. Sharon A. Lloyd/ Susanne Sreedhar: Hobbes's Moral and Political Philosophy. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy. (URL: https://stanford.library.sydney.edu.au/entries/hobbes-moral/. letzter Abruf: 05.02.2021).
5 Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil. Lehre vom Menschen und vom Bürger. Hg. vonMaxFrischeisen-Köhler. Leipzig 1917 (= Philosophische Bibliothek, Bd. 158).
6 Thomas Hobbes: Leviathan Teil I und II. Kommentar von Lothar R. Waas. Berlin 2011 (= Suhrkamp Studienbibliothek, Bd. 18).
7 Thomas Schneider: Thomas Hobbes. In: Metzler Philosophen-Lexikon. (URL: https://www.spektrum.de/lexikon/philosophen/hobbes-thomas/152. letzter Abruf: 05.02.2021).
8 Vgl. Sandra Rembold: Das Bild des Menschen als Grundlage der Ordnung, S. 89 f.
9 Vgl. Ebd., S. 90.
10 Ebd.,S.9O.
11 Vgl.Ebd.,S.90f.
12 Vgl. Thomas Hobbes: Leviathan. Kommentar Lothar R. Waas, S. 471 f.
13 Vgl. Thomas Hobbes: Leviathan. Kommentar Lothar R. Waas, S. 474.
14 Ebd.,S.475.
15 Ebd.
16 Ebd., S. 474 f.
17 Vgl. Herfried Münkler: Thomas Hobbes. Frankfurt/Main 22001 (= Campus Einführungen), S. 91.
18 Vgl. Herfried Münkler: Thomas Hobbes, S. 90 f.
19 Vgl. Thomas Hobbes: Leviathan. Kommentar Lothar R. Waas, S. 477.
20 Vgl. Herfried Münkler: Thomas Hobbes, S. 93.