"An die Nachgeborenen" von Bertolt Brecht. Analyse des Gedichts im Spannungsfeld von kollektivem Trauma und kollektivem Gedächtnis


Hausarbeit, 2021

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung:

2 Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ als kultureller Erinnerungsort:

3 Brechts Gedicht zwischen kollektiver Erinnerung und kollektivem Trauma:

4 Fazit:

5 Literaturverzeichnis:

1 Einleitung:

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“.

„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“1

Mit diesen Worten beginnt das Gedicht „An die Nachgeborenen“ von Bertold Brecht. Das Gedicht gehört zu der Gedichtsammlung der Svendborg Gedichte, die Brecht in seiner Zeit im Exil in Svendborg auf Fünen in dem Zeitraum zwischen 1926 und 1939 verfasst hat.

Die Frage mit der sich diese Hausarbeit beschäftigen will ist, in welcher Form und warum Brecht sich in diesem Gedicht an „die Nachgeborenen“ richtet. Welchen Zweck verfolgt Brecht bei diesen und den Lesenden?

Die These ist, dass Brecht dieses Gedicht, als einen kollektiven Erinnerungsort inszeniert hat und sich mit dem Text in einem Spannungsfeld zwischen kollektiver Erinnerung und kollektivem Trauma bewegt. Hierfür soll das Gedicht analytisch betrachtet werden.

Als Ausgangspunkte für die Untersuchung dienen die Texte von Ingvild Folkvord „Bertolt Brechts An die Nachgeborenen – kulturelle Erinnerungsarbeit in Kontaktzonen“ und die beiden Bücher „Kollektive Traumata“ und „Traumata und Kollektives Gedächtnis“ von Angela Kühner.

2 Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ als kultureller Erinnerungsort:

Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ soll im folgenden auf zwei Arten als kultureller Erinnerungsort betrachtet werden. Es soll gezeigt werden, wie auch ein literarisches Werk als kultureller Erinnerungsort interpretiert werden kann. Hierbei soll zuerst die „Theorie“ des Kristallisationspunktes nach François und Schulze mit Brechts Gedicht in Verbindung gesetzt werden. Im darauffolgenden Kapitel wird dann ein genauerer Blick darauf geworfen, wie Brecht selber sein Gedicht als kulturellen Erinnerungsort inszeniert hat.

2.1 „An die Nachgeborenen“ als Kristallisationspunkt nach François und Schulze:

François und Schulze sprechen in ihrer Einleitung zu dem Buch „Deutsche Erinnerungsorte“ von „langlebige[n] Generationen überdauernde[n] Kristallisationspunkte[n] kollektiver Erinnerung und Identität, die in gesellschaftliche, kullturelle und politische Üblichkeiten eingebunden sind und die sich in dem Maße verändern, in dem sich die Weise ihrer Wahrnehmung, Aneignung, Anwendung und Übertragung verändert.“2

Diese Kristallisationspunkte sind sinnstiftend für das jeweilige Kollektiv und helfen dabei, dessen Identität in der Gegenwart zu festigen und es zwischen Gegenwart und Vergangenheit einzuordnen und abzugrenzen.

Während sich François und Schulze hierbei noch auf reale Orte bezogen, erweitert Ingvild Folkvord diesen Begriff des Kristallisationspunktes um literarische Texte. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt in einem einzelnen literarischen Text und sieht ihn vergleichbar eines Erinnerunsortes. Zu diesen Texten zählt sie unter anderem Die Nationalhymne oder Wir sind das Volk – oder auch Bertold Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“.3 Diese Zuordnung lässt sich durchaus durch die hohe Rezeption, die dieses Gedicht bei späteren Autoren sowohl in West- als auch in Ostdeutschland, unter anderem bei Wolf Biermann oder auch Günther Kühnert, erfahren hat, begründen. Karen Leeder sieht dies auch in einem weiteren Aspekt des Gedichtes begründet, in dem Grade was Gedichte in finsteren Zeiten tun sollen, nämlich das allgemeine Schweigen zu durchbrechen und die Notwendigkeit die Dinge auszusprechen.4 Ein weiterer nicht unerheblicher Teil der Rezeption ist die Aufnahme von Brechts Gedicht in den 2018 erschienen Film „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ von Joachim A. Lang, in dem das Gedicht von Bertold Brecht selber vorgelesen, gegen Ende des Films eingespielt wird. Durch diesen Film wird die Rezeption auch medial weiter getragen und in der kollektiven Erinnerung verfestigt, in dem Sinne von François und Schulze, als auch in der Begriffserweiterung von Ingvild Folkvord, die es als Kristallisationspunkt versteht. Aber es gibt noch einen Aspekt unter dem das Gedicht als kultureller Erinnerungsort gesehen werden kann, der im nächsten Kapitel erörtert werden soll.

2.2. „An die Nachgeborenen“ als von Brecht inszenierter kultureller Erinnerungsort:

In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass Brecht selber sein Gedicht als kulturellen Erinnerungsort inszeniert hat, in Form eines „literarischen“ Grabsteins. Die Formulierung „zum Andenken der Nachgeborenen“ (in memoriam posteriorum) ist häufig auf altertümlichen Grabinschriften zulesen und soll der Unterrichtung der Nachwelt dienen. Brecht hat diese Formulierung der Grabinschrift etwas verändert, aber spätestens in Teil 2 seines Gedichtes „An die Nachgeborenen“ wird durch Formulierungen, wie „zu meiner Zeit“ oder „So verging meine Zeit die auf Erden mir gegeben war“5 deutlich, dass sich sein Text auch als eine Grabuinschrift lesen lässt, als ein Text post mortem.

Aleida Assmann spricht in ihrem Buch „Erinnerungsräume“ von Grabsteinen als „von Menschenhand und Menschenbewußtsein gebildete [Monument]; ihre Botschaften sind steinerne Briefe, die einen bestimmten Erinnerungsinhalt an die Nachwelt adressieren.“6

Auch Brechts Gedicht, lässt sich als ein solches „Momument“ sehen.

Welchen Erinnerungsinhalt Brecht in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“ weitergeben will, soll an dieser Stelle noch nicht näher erörtert werden. Es geht hier vielmehr darum, dass sich Brechts Gedicht nicht nur nach dem Begriff des Kristallisationspunkt in das kollektive Gedächtnis einfügt, sondern das es schon in Brechts Absicht stand mit seinem Gedicht auf das kollektive Bewusstsein und die kollektive Erinnerung Einfluss zunehmen. Auf welche Art dies geschieht und mit welcher Absicht, soll in den folgenden Kapiteln näher untersucht werden.

3 Brechts Gedicht zwischen kollektiver Erinnerung und kollektivem Trauma:

Im folgenden soll Brechts Gedicht „An die Nachgeboren“ im Spannungsfeld zwischen kollektiver Erinnerung und kollektivem Trauma betrachtet werden. Daher sollen hier kurz die Begriffe der „kollektiven Erinnerung“ und des „kollektiven Traumas“ und wie sie in diesem Text verstanden werden, erläutert werden.

3.1 Definition der Begriffe „kollektive Erinnerung“ und „kollektives Trauma“:

3.1.1 Kollektive Erinnerung:

Kollektive Erinnerung speist sich aus dem kollektiven Gedächtnis. Der Begriff des „kollektiven Gedächtnis“, beschreibt, wie Mitglieder einer Gruppe ein vergangenes Ereignis wahrnehmen und erinnern. Dieses umfasst soziale Erinnerungspraktiken, wie Gedenktage, Erinnungsorte, oder auch Narrative im Bezug auf ein vergangenes Ereignis. Einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Gedächtnisdebatte leistete Jan Assmann. Dieser unterscheidet zwischen zwei „Modi des Erinnerns“7 : dem des „kommunikativen Gedächtnis“ und dem „kulturellen Gedächtnis“. Das kommunikative Gedächtnis umfasst die Erinnerung von Familien und reicht in etwa ein bis zwei Generationen zurück. Das „kulturelle Gedächtnis“ reicht weiter zurück. Bei diesem handelt es sich um ein kollektives identitätsstiftendes Gedächtnis.8 Auf diese beiden Unterscheidungen soll noch einmal in einem späteren Kapitel Bezug genommen werden.

[...]


1 Bertolt Brecht: Gesamte Werke in acht Bänden: Band 4 Gedichte. Hg von Suhrkamp Verlag. Frankfurt a. Main 1967, S. 772.

2 Etienne François, Hagen Schulze, : Einleitung; In: Etienne François, Hagen Schulze (Hrsg.) Deutsche Erinnerungsorte. Band 1; (2003), S. 16.

3 Vgl. Ingvild Folkvord,: Bertolt Brechts An die Nachgeborenen – kulturelle Erinnerungsarbeit in Kontaktzonen; In.Kulturelles Gedächtnis und Erinnerungsorte im hochschuldidaktischen Kontext: Perspektiven für das Fach Deutsch als Fremdsprache. Frankfurt a. Main [u.a.] (2015), S. 138.

4 Vgl. Karen Leeder: Those born later read Brecht: the reception of ‚An die Nachgeborenen‘; In: Roland Spiers (Hrsg.) Brecht‘s Poetry of Political Exile (2000), S.234 f.

5 Bertolt Brecht: Gesamte Werke in acht Bänden: Band 4 Gedichte. S. 724.

6 Aleida Assmann: Erinnerungsräume, München 2018.

7 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, Schrift, Erinnerung und politische Identitätin frühen Hochkulturen, München 1992, S. 50.

8 Ebd. S. 51 ff.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
"An die Nachgeborenen" von Bertolt Brecht. Analyse des Gedichts im Spannungsfeld von kollektivem Trauma und kollektivem Gedächtnis
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienästhetik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
18
Katalognummer
V1162493
ISBN (eBook)
9783346565150
ISBN (Buch)
9783346565167
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bertold Brecht, An die Nachgeborenen, Gedicht, kollektives Gedächtnis
Arbeit zitieren
Sandra Offermanns (Autor:in), 2021, "An die Nachgeborenen" von Bertolt Brecht. Analyse des Gedichts im Spannungsfeld von kollektivem Trauma und kollektivem Gedächtnis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1162493

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