Pädagogisches Leadership im schweizerischen Schulsystem. Vorteile der Implementierung des Führungsmodells in der Schule


Master's Thesis, 2021

86 Pages, Grade: sehr gut


Excerpt


Inhalt

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Einleitung
1.1 Ausgangslage
1.2 Problemstellung
1.3 Aktueller Forschungsstand
1.4 Fragestellung und Zielsetzung
1.5 Methodik
1.6 Vorgehensweise

Mega-Trends der heutigen Vuca-Welt und deren Auswirkungen aufdas
Schulsystem
2.1 Globalisierung
2.2 Migration
2.3 DemografischerWandel
2.4 Digitalisierung
2.5 Corona-Pandemie

Schule und ihre Entwicklung
3.1 Schule als soziale Organisation
3.2 AufgabenderSchulleitung
3.3 Formen der Organisation einer Schulleitung

Reaktion der Organisation Schule aufdie Mega-Trends
4.1 Umgang mit der Heterogenität
4.1.1 Geschlechterungleichheiten in derSchule
4.1.2 Kulturell-ethnische Heterogenität
4.1.3 Sozio-ökonomische Heterogenität
4.1.4 Behinderungsbedingte Heterogenität
4.2 Aufstellung auf Digitalisierung und Vernetzung

Das schweizerische Schulsystem im Umbruch
5.1 Das Schulsystem in der Schweiz
5.2 Entwicklung von teilautonomen Schulen in der Schweiz

Theoretische Basis des Führungskonzeptes
6.1 Führungsbegriff und Verständnis
6.2 Wichtige Führungskompetenzen derSchulleiter*in
6.3 Wichtige Führungskonzepte

Pädagogische Leadership: Transformationales Führungskonzept der Schulleitung
7.1 Zweiteilung der Schulführung nach Dubs
7.2 TransaktionaleFührung
7.3 Transformationale Führung
7.4 Kooperativer Führungsstil

Fazit

Literaturverzeichnis

Abstract

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht das Konzept der pädagogischen Leadership, dessen Implementierung im Bildungswesen und vor allem im Schulsystem von vielen Wissenschaftlerinnen als empfehlenswert empfunden wird. Die Untersuchung bezieht sich auf die schweizerische Schullandschaft, nämlich auf teilautonome geleitete Schulen, deren Zahl in der Schweiz in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist.

Das Konzept der pädagogischen Leadership basiert auf zwei grundlegenden Elementen - auf der transaktionalen Führung, die sich auf der operativen Ebene (Management) vollzieht und der transaktionalen Führung, die sich auf die strategische Ebene (Leadership) bezieht. Die Berücksichtigung der beiden Ebenen ist für eine effektive und effiziente Führung einer modernen Schuleinrichtung unverzichtbar. Das im Rahmen der vorliegenden Arbeit präsentierte Führungsmodell hat als theoretische Basis das von Rolf Dubs adaptierte das St.-Galler Management-Modell, das vor allem auf teilautonome geleitete Schulen ausgerichtet ist. Die Arbeit soll die Antwort auf die Forschungsfrage geben, worin Vorteile der Implementierung des Modells von Pädagogischer Leadership in der Organisation Schule bestehen. Dabei fokussiert sich die Arbeit auf das Verhältnis ,,Schulleiter*in - Lehrkräfte“, das heißt das Modell setzt sich zum Ziel, das Verhältnis zwischen den beiden Akteuren zu optimieren und effektiver zu machen. Es wird davon ausgegangen, dass vom effektiven Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiterinnen die von der Organisation Schule erbrachten Leistungen (Output) positiv beeinflusst werden.

Die durchgeführte Analyse der wissenschaftlichen und fachlichen Literatur liess eine Reihe von Schlussfolgerungen machen und die Forschungsfrage beantworten. Es wurde herausgefunden, dass die Implementierung des Führungskonzeptes „pädagogische Leadership“ das Verhältnis zwischen der Schulleiterin und Lehrkräften positiv beeinflusst, was sich in besserer Involvierung und Partizipation der Lehrkräfte in Entscheidungsprozessen, Gestaltung einer engeren persönlichen Beziehung zwischen Führungskraft und Lehrpersonen, Sensibilisierung von Lehrpersonen auf eine konzeptionelle Weiterentwicklung der Organisation Schule, kontinuierlicher Erhöhung von ihren Lehrkompetenzen, Schaffung einer nachhaltigen, auf Werten und Traditionen basierten Schulkultur und als Folge erhöhterArbeitszufriedenheit und besserem Output der Schuleinrichtung ausdrückt.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Leadership-Konzept fürdie Schulleitung nach Dubs

Abbildung 2: Zusammenspiel von transaktionaler und transformationaler Führung

Abbildung 3: Die vier I’s nach Bass

Abbildung 4: Fünf Kräfte des pädagogischen Leadership

1 Einleitung

1.1 Ausgangslage

Das Thema Führung hat in den letzten Jahren im Schweizerischen Schulkontext an hoher Relevanz gewonnen.1 Die Veröffentlichung von ersten Ergebnissen der internationalen Schulleistungsvergleichsstudien wie TIMMS und PISA sowie die aufkommende Finanzierungsproblematik von Bildungsleistungen haben die schweizerische Gesellschaft und Politik für das Thema Qualität von Schulleitung und Lehrkräften sensibilisiert.2

Inzwischen hat sich in der schweizerischen Bildungspolitik wie auch in der Bildungspolitik anderer europäischen Länder die Einsicht durchgesetzt, dass ein dezentrales Schulsystem mit der damit einhergehenden größeren Autonomie einzelner Schulen pädagogisch wirksamer ist. Das Konzept der „teilautonomen geleiteten Schule“ wurde in der Schweiz breit akzeptiert, im Verlaufe der letzten Jahre entwickelte sich in vielen Kantonen die teilautonome Schule über die Einführung von Schulleitungen.3

Infolge der erweiterten Selbstständigkeit der Einzelschule in der Schweiz stehen Schulleiterinnen heutzutage vor gestiegenen Anforderungen, indem nicht nur operative, alltägliche, sondern auch nachhaltige, strategische Entscheidungen getroffen werden müssen. Die Schulleiterin muss heute ein Vermittler zwischen den innerschulischen Entscheidungsstrukturen und der ausserschulischen Umwelt sein, indem die wichtigste Führungsaufgabe darin besteht, Schulen zu Organisationen werden zu lassen, in denen kollektiv bindende Entscheidungen getroffen werden können.4

Die ausserschulische Umwelt ist durch Etablieren von zahlreichen gesellschaftlichen Megatrends wie Digitalisierung oder Migration geprägt, die eine enorme Auswirkung auf die Schullandschaft haben und als Folge die vor der Schulleitung stehenden Aufgaben und Herausforderungen determinieren. Die Megatrends führen zu fundamentalen, mittel- bis langfristig wirkenden globalen Effekten und eröffnen zusammen damit diese Megatrends auch neue Perspektiven und Felder, in denen die das soziale System Schule orientieren und organisieren muss.5

1.2 Problemstellung

Bis in die späten 1980er Jahre hinein nahm die Führung einer Schuleinrichtung eine marginalisierte Stellung in der deutschsprachigen Bildungsforschung ein. Das Forschungsinteresse fokussierte sich vor allem auf das Interaktionsgeschehen zwischen Lehrkräften und Schülerinnen. Auch aus der bildungspolitischen Perspektive „blieb der Schulleitung lange Zeit der Status eines Berufsbildes sui generis verwehrt“.6 Infolge eines output-orientierten Steuerungsparadigmas hat die Anzahl von schulleitungsorientierten Veröffentlichungen seit den 2000er Jahren bemerkbar zugenommen.7 In den letzten fünfzehn Jahren ließ sich ein drastischer Anstieg von Forschungsarbeiten zum Thema Führung im schulischen Kontext verzeichnen.8 Auf die aktuellen Publikationen zu dieser Problematik wird im Unterkapitel „Aktueller Forschungsstand“ näher eingegangen.

Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion stand dabei die Schaffung eines effektiven Modells zur Führung einer teilautonomen geleiteten Schule, das nicht die Dimension „Lehrkräfte - Schülerschaft“ in Blick nimmt, sondern das Verhältnis „Schulleitung - Lehrkräfte“ in den Vordergrund rückt. Im Fokus der Diskussion standen folgende Fragen: Wie ist die Schulleitung zu organisieren? Welche Kompetenzen muss die Schulleiter*in haben? Welcher Führungsstil sollte angewandt werden? usw.9

Unter den zahlreichen theoretischen Führungsansätzen, die in den letzten Jahrzehnten erschienen sind, gewinnt die transformationale Führung in Zeiten des Wandels im Schulkontext zunehmend an Bedeutung und rückt immer mehr in den Fokus der Wissenschaftlerinnen. Dieses Leadership-Konzept ist auf die Implementierung von Veränderungen ausgelegt und steht mit verschiedenen Indikatoren effektiver und effizienter Personalführung im Zusammenhang. Das Konzept basiert auf der Annahme, dass „nicht allein das intendierte Führungshandeln der Schulleitung Voraussetzung für gelingende Führungsprozesse ist, sondern ebenso die wahrgenommene Führung“.10 Dubs weist auf wesentliche Unterschiede zwischen der traditionellen Schulführung und dem transformationalen Führungskonzept hin, indem sich die Schulleitung nicht nur mit unmittelbaren, aktuellen, schulpraktischen Problemen auseinandersetzt, sondern vor allem eine strategische, nachhaltige, langfristige Vision der Organisation Schule schafft.11 Dubs adaptiert das St.-Galler Management-Modell an die Bedürfnisse der Organisations Schule und bietet eine vernetzte Darstellung von zentral geleiteten und teilautonomen Schuleinrichtungen. Das Führungskonzept von Dubs umfasst diverse Aspekte der Schulleitung: von der Organisation über Mitarbeiterführung und Personalmanagement bis hin zum Qualitätsmanagement.12 Dubs’ Führungsmodell bildet die theoretische Basis der vorliegenden Arbeit.

1.3 AktuellerForschungsstand

Der Überblick über die wissenschaftliche Literatur hat gezeigt, dass in den letzten Jahren relativ viele Arbeiten veröffentlicht wurden, die sich mit der Problematik der Führung der Organisation Schule und der Schulentwicklung auseinandersetzen. Einen der wichtigsten Beiträge in die Erforschung des Themas hat der oben erwähnte schweizerische Wissenschaftler Rolf Dubs geleistet. Die Forschungsinteressen von Dubs liegen vor allem im Bereich der Schulentwicklung, Schulqualität und des Schulmanagements. Die wichtigsten Publikationen sind: „Die Führung einer Schule: Leadership und Management“ (1994), „Die teilautonome Schule: Ein Beitrag zu ihrer Ausgestaltung aus politischer, rechtlicher und schulischer Sicht“ (2011), „Bildungspolitik und Schule wohin? Eine Orientierungshilfe für Schulbehörden und Lehrpersonen“ (2016) und andere. Auf die Personalentwicklung als Führungsaufgabe von Schulleitungen fokussiert sich die explorative Studie von Elisabeth Steger Vogt (2013). Jürgen Van Buer und Cornelia Wagner (2009) befassen sich mit dem Problem der Qualitätsentwicklung und mit Zukunftsperspektiven von Einzelschule. Im Fokus der Untersuchung von Schewa Mandel (2006) steht das Schulleitbild als Mittel zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung; die Arbeit ist auf schweizerische Gymnasien fokussiert.

Eine Reihe von Arbeiten ist den aktuellen Herausforderungen gewidmet, mit denen sich die Schule heute konfrontieren muss. Mit dem Problem der Inklusion in der Organisation Schule und der Rolle der Schulleitung in inklusiven Schulen in der Schweiz befassen sich Huber, Sturm und Köpfer (2017). Die Aufgabe der Schulleiterinnen sehen die Autoren vor allem in der Verbesserung der bildungsbiografischen Möglichkeiten der Schülerinnen und Erreichung von höherer Bildungsqualität. Dem Thema Heterogenität in der Schule und dem Umgang damit seitens der Schulleitung ist die Arbeit von Tanja Sturm (2013) gewidmet. Im Fokus der Arbeit von Lange und Pitsoulis (2019) steht der Megatrend Digitalisierung und deren Auswirkung auf die Organisation Schule. Die Arbeit von Fickermann und Edelstein (2020) ist den aktuellen Ereignissen - der Corona-Pandemie - gewidmet. Die Autoren reflektieren über das Lernen in Corona-Zeiten, Vor- und Nachteile des digitalen Fernunterrichts und darüber, ob die Corona-Pandemie als Katalysator für weitere Schulreformen betrachtet werden kann.

1.4 FragestellungundZielsetzung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, ein transformationales Führungsmodell für die Leitung einer teilautonomen geleiteten Schule zu untersuchen. Die Arbeit fokussiert sich vor allem auf die schweizerische Schullandschaft, die aus dem europäischen Kontext natürlicherweise nicht herausgenommen werden darf.

Aus der Zielsetzung ergibt sich die Forschungsfrage: Worin bestehen Vorteile der Implementierung des Modells von Pädagogischer Leadership in der Organisation Schule?

Das im Rahmen der vorliegenden Arbeit dargestellte Modell stellt keine fertige Lösung dar, sondern ist eher ein Ordnungsrahmen für das Verständnis der Führung der Organisation Schule. Dabei grenzt sich das Modell auf die Dimension „Schulleitung - Lehrkräfte“ ein und lässt die Dimension „Lehrkräfte - Schülerschaft“ außerAcht.

Aufgrund der immer schnell veränderten Umstände, welchen sich Schulen gegenübersehen, werden folgende Hypothesen erstellt:

- Schulen benötigen ein pädagogisches Leadership-System, um der immer schneller lebenden Welt agil entgegen zu treten.
- Von Schulleitern wird vermehrt eine Vernetzung zwischen operativen und strategischen Tätigkeiten gefordert.
- Das pädagogische Leadership hat zum Ziel die Brücke zwischen der strategischen Ebene und den operativen Tätigkeiten der Lehrpersonen zu bilden.

1.5 Methodik

Als methodisches Vorgehen zur Ausarbeitung des vorliegenden Themas ist die Literaturarbeit gewählt worden. Diese Methode sieht eine literaturfundierte und kompilatorische Vorgehensweise sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den Texten voraus, die einen umfassenden Vergleich von diversen Quellen durchführen und Lücken im Forschungsstand aufzeigen lässt. Kompilatorisch bedeutet, sich mit der bereits vorhandenen Literatur auseinanderzusetzen und die unterschiedlichen Betrachtungen in Beziehung mit den neuen Untersuchungsgegenständen zu setzen. Die Forschungsgrundlage der Untersuchung bilden wissenschaftliche Texte, Monographien, Sammelbände, Fachzeitschriften, Fallstudien sowie offene Uni­Datenbanken und Bibliotheksportale. Mithilfe dieser literarischen Grundlage ist es möglich einen gezielten Zugang zum untersuchten Themengebiet herzustellen. Im Gegensatz zu einer empirischen Studie ist in diesem Themenbereich eine gezielte wissensbasierte Analyse möglich. Bei einer empirischen Studie aufgrund des schwierigen Zugangs zu potentiellen Personen, welche dieses Knowhow mitbringen, wäre diese nicht gegeben und es könnte zu einerVerwässerung der Resultate führen.

1.6 Vorgehensweise

Die Arbeit beginnt mit der Einleitung, in der Ausgangslage, Problemstellung, Zielsetzung und Vorgehensweise dargestellt werden. Kapitel 2 ist den Mega-Trends gewidmet, die sich auf die Organisation Schule heute auswirken, darunter: Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel, Migration sowie die neue Herausforderung Corona-Pandemie. Im Mittelpunt des Kapitels 3 stehen die Schule als soziales System und deren Entwicklung, dabei fokussiert sich das Kapitel vor allem auf die Schulleitungsebene und beleuchtet Organisationsformen der Schulleitung. Kapitel 4 befasst sich mit der Reaktion der Organisation Schule auf einige Mega-Trends, eine besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem Phänomen Heterogenität geschenkt. So wird beispielsweise die kulturell-ethnische Heterogenität als Folge der Migration und Globalisierung gesehen. Die voranschreitende Vernetzung der Schule lässt sich als Antwort auf den Mega-Trend Digitalisierung interpretieren. Kapitel 5 fokussiert sich auf das schweizerische Schulsystem und die Tendenz zur Entwicklung von teilautonomen Schulen in der Schweiz. Kapitel 6 bildet die theoretische Basis der Arbeit. Im ersten Schritt wird die Definition des Führungsbegriffs gegeben, im zweiten Schritt werden die wichtigsten Führungskompetenzen der Schulleiter*in genannt und wichtigste Führungskonzepte präsentiert. Kapitel 7 bildet den Kern der Arbeit, im Vordergrund steht das Konzept der pädagogische Leadership, die auf der Zweiteilung der Schulführung (in Anlehnung an Rolf Dubs) beruht. Es wird zwischen den Konzepten Leadership und Management unterschieden, indem das erste für die strategische Ebene der Schulleitung steht (transformationale Führung) und das zweite sich auf die operative Ebene der Schulleitung (transaktionale Führung) bezieht. Demgemäss wird die pädagogische Leadership als „Verflechtung“ von transaktionaler und transformationaler Führung gesehen. In Kapitel 8 werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst.

2 Mega-Trends der heutigen Vuca-Welt und deren Auswirkungen auf das Schulsystem

Das Auseinandersetzen mit dem Thema „Führung in der Schule“ setzt vor allem das Wissen über den Aufbau und die Gestaltung der Organisation „Schule“ voraus. Dazu gehören Zusammenarbeit im Kollegium über die Schul- und Klassenführung, die Kooperation mit Schülerinnen und Eltern, die Gestaltung des Unterrichts, das Schulimage sowie die Kooperation mit dem unmittelbaren Umfeld der Schule. Dazu sind hinzuzufügen allgemeines Wissen über die Führung von Menschen und Organisationen sowie das Wissen über aktuelle Herausforderungen, mit denen sich die moderne Führungskraft in der Schulwirklichkeit konfrontieren muss. Die Führungskräfte brauchen Anregungen und Handlungsmodelle für die aktive Gestaltung ihrer Schule.13 Die vorliegende Untersuchung beginnt mit der Analyse von aktuellen Herausforderungen, vor die das heutige Schulwesen gestellt worden ist. Es wird davon ausgegangen, dass wir in einer Vuca-Welt - in einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Realität - leben. Natürlich gab es schon zu allen Zeiten Umbrüche und Wandlungen, denen sich Menschen und soziale Systeme stellen mussten - seien es technologische Fortschritte wie die Einführung des Internets in den menschlichen Alltag oder ökonomische Disruptionen wie die erste Ölkrise in den 1970er Jahren. Heute sind aber diese Umbrüche zu einer „Normalität“ geworden: Globalisierung, Digitalisierung, Migration, demografischer Wandel, Klimawandel, Wertewandel, Individualität, Ressourcenknappheit,- um nur einige Mega-Trends zu nennen.14 „Als Konstanten des Wandels liegt in ihnen jene Zukunft eingeschrieben, mit der wir uns als Gesellschaft schon längst angefreundet haben“.15

Zu den oben genannten Mega-Trends ist eine weitere Herausforderung hinzuzufügen, mit der man sich heute konfrontieren muss - die Corona-Pandemie. Seit März 2020 leben wir in einer ganz neuen Realität, die zwar längst noch nicht beendet ist und die voraussichtlich noch Jahre dauern wird, bis alle gesellschaftlichen und ökonomischen Schäden einigermaßen überwunden sind.16

Im Rahmen des vorliegenden Kapitels wird auf die aktuellen Mega-Trends näher eingegangen. Es wird unter anderem analysiert, welche Auswirkungen diese Mega­Trends aufdas Bildungssystem haben, und zwaraufdie Schullandschaft.

2.1 Globalisierung

Der Megatrend Globalisierung ist kein neues Phänomen, sondern ein historischer Prozess, derdie internationale Entwicklung seitfast dreißig Jahren prägt. Es handelt sich um eine weltweit zunehmende Verflechtung verschiedener Lebensbereiche - von der Ökonomie und Wissenschaft bis zur Kultur und Politik. Auf der sozialen Ebene bedeutet die Globalisierung eine verstärkte Durchdringung früher eher national geprägter Gesellschaften.17 Die Globalisierung wird definiert als „zunehmende internationale Integration von Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkten, unmittelbar verursacht durch wachsende internationale Mobilität von Produkten und Produktionsfaktoren und zumindest mittelbar getragen von technologischem Wandel und den Veränderungen in der staatliche Wirtschaftspolitik“.18

Die Globalisierung beschleunigt die Einbindung der Staaten in internationale und supranationale Zusammenhänge sowie eine erhebliche Zunahme gesellschaftlicher Verbindungen über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus.19 Merkel und Wulf schreiben über die „Gleichzeitigkeit des Ungleichen“ in Zeiten der Globalisierung: Die heutigen Menschen nehmen an globalen Prozessen teil, denen Angleichung und Differenzierung, Anpassung und Widerstand eigen sind. Was als Globalisierung bezeichnet wird, ist durch das Zusammenwirken von diversen multidimensionalen Faktoren und eine sich daraus resultierende Komplexität geprägt.20

Die weltweiten Globalisierungsprozesse verändern die Erziehungswirklichkeit, in der die nachwachsende Generation heute auswächst. Neben Familienbereich, Peer Group und Schule gewinnen weitere Sozialisationsinstanzen zunehmend an Bedeutung, die gewissermaßen aus der Ferne wirken. Es handelt sich um neue Medien (vor allem soziale Netzwerke), eine globale Jugendkultur, fremde Länder und Kulturen, aber auch globale Krisen, Kriege und Klimakatastrophen. „Die Kinder kommen, was die globale Wirklichkeit anbelangt, nicht als unbeschriebenes Blatt, als tabula rasa, in die Schule“.21

Um zu den Gewinnern dieser komplexen Globalisierungsprozesse zählen zu können, ist eine gute Bildung für die heutige junge Generation unverzichtbar. Eine gute Bildung war zu allen Zeiten der Wirtschaftsgeschichte ein maßgeblicher Vorteil für die Menschen, um bessere Einkommen, ein höheres Wohlstandsniveau und größere soziale Anerkennung zu erzielen.22

Auf die Globalisierung vorbereitet zu sein, bedeutet für die Bildungspolitik, internationaler zu denken. Die Internationalisierung setzt die Revision hergebrachter Konzepte und Strukturen voraus:

- Umwandlungen derjugendlichen Lebenswelt,
- Anpassung der nationalen Bildungssysteme,
- pädagogische Globalisierung,
- Rolle der Bildung bei der Entstehung von Globalisierungsproblemen,
- Beitrag der Bildung zur Lösung der Globalisierungsprobleme.23

Die Anpassung des nationales Bildungssystems an Herausforderungen der Globalisierung bedeutet konkret: verstärktes Fremdsprachenerlernen, Vorbereitung der Kinder auf ein Leben als „Weltenbürger*innen“, Verbesserung der internationalen Kompatibilität von Ausbildungsgängen, horizontale sowie vertikale Optimierung der Durchlässigkeit, mehr Bedeutung für internationale Qualifikationen usw.24 Als pädagogische Reaktion auf die Globalisierung ist innerhalb der Erziehungswissenschaft und Bildungspraxis die „global education“ (das globale Lernen) aufgekommen - der heute von der UNESCO propagierte und geförderte Ansatz.25 Eine der grundlegenden Aufgaben des globalen Lernens besteht darin, das Vorwissen, die Weltbilder bzw. auch Vorurteile der Schülerinnen darüber, was die Welt zusammenhält, sichtbar zu machen und aufzuarbeiten.26 Von Scheunpflug wurde die Globalisierung des Bildungswesens aus der systemtheoretischen Perspektive skizziert, indem die Forscherin auf die unstrittig globale Verbreitung des Schulsystems sowie die globale Standardisierung des Bildungswesens hinweist. Scheunpflug schreibt überdie Entwicklung einerweltweitgeteilten Bildungssemantik und eines Weltcurriculums.27

2.2 Migration

Das mit dem Mega-Trend Globalisierung aufs Engste verbundene Phänomen der Migration gehört zu einem der wichtigsten Dauerthemen in der politischen Diskussion. Es werden dabei vielfältige Bereiche wie der Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen, das Bildungssystem, die Rechtsinstitutionen usw. tangiert. Insbesondere die Bereiche Arbeitsmarkt und Bildung sind in den letzten Jahren in den Vordergrund der politischen und öffentlichen Debatten gerückt worden. „Damit in einem direkten Zusammenhang steht ein Thema, das bisher in der migrationspolitischen Diskussion noch keinen prominenten Stellenwert genießt: Die möglichen Auswirkungen von Einwanderung aufdie demographische Entwicklung.28 Unter dem Begriff „Migration“ sind verstanden Wanderungsbewegungen von Individuen entweder innerhalb von staatlichen Grenzen (Binnenmigration) oder über diese hinweg (internationale Migration). Diese Bewegungen sind verbunden mit einer temporären oder permanenten Verlagerung des Lebensmittelpunktes von Migrant*innen. Der Migration sind Konnotationen wie „schnell“ und „unvorhersehbar“ eigen, da die Migration in hohem Masse von großen politischen bzw. umweltbedingten Veränderungen abhängt. Diese können innerhalb kürzester Zeit enorme Flüchtlingsströme verursachen und dadurch zu Bevölkerungswanderungen führen.29

Migration ist ein wichtiger Faktor demographischer Umwandlungen, vor allem die internationale Migration. Dies ist damit verbunden, dass sich die Migration auf die zukünftige Bevölkerungszahl und die Altersstruktur stark auswirkt. Eine Zuwanderung jüngerer Altersgruppen kann zu einer Abmilderung der Alterung im Zielland führen und umgekehrt. Migration ist heutzutage ein aktuelles Thema auch in der Schweiz, wo neben den vier Landessprachen nicht weniger als Dutzend anderer Sprachen im Alltag weit verbreitet sind. Die Daten des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 2016 zeugen von mehr als 190 verschiedenen Nationalitäten, die in der schweizerischen Wohnbevölkerung vertreten sind.30 Laut den statistischen Angaben lebten Ende 2019 in der Schweiz circa 2,2 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, was einem Bevölkerungsanteil von 25,3 Prozent entspricht. Die größten Ausländergruppen sind Italiener (319.000), Deutsche (306.000) und Portugiesen (263.000).31 Die Zahl der Migrantinnen und Migranten nimmt in der Schweiz seit den 1980er Jahren konstant zu.32

In der Schweiz gilt die Nationalität bei den statistischen Analysen traditionell als wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen den Bevölkerungsgruppen. In den letzten Jahren erscheint jedoch dieses Kriterium nicht mehr zweckdienlich zu sein, um die Entwicklungen von Migrant*innen und deren Nachkommen zu erfassen. Aus diesem Grund wurden vom schweizerischen Bundesamt für Statistik (BFS) die Kategorien revidiert. Es wird zwischen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund und der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund unterschieden. Dabei lässt sich die erste Kategorie einteilen in: 1. Generation, das heißt die im Ausland geborene Personen und 2. Generation, das heißt die in der Schweiz geborene Personen.33

Auch wenn die Migrationsgründe unterschiedlich sind, gilt für alle Migrant*innen die gleiche Regel einer erfolgreichen Integration: Eine gute Ausbildung, und zwar eine qualifizierte Berufsausbildung bildet die Basis für einen nachhaltigen Eintritt in den Arbeitsmarkt. Wenn man über keine guten professionellen Kompetenzen verfügt, muss man mit erheblichen Einschränkungen in den beruflichen Chancen über den Lebensverlauf hinweg gerechnet werden.34 Für das Verhältnis von Pädagogik und Migration sind Problembeschreibungen unter pragmatisch-technischer sowie moralischer Hinsicht charakteristisch. „Pädagogisches Handeln und pädagogische Institutionen werden sowohl unter der Perspektive Handlungsfähigkeit als auch unter dem Gesichtspunkt Legitimität durch die Anwesenheit von Migrantinnen und Migranten herausgefordert. Von derTatsache der Migration ist Pädagogik in vielerlei Hinsicht grundlegend betroffen“.35

In der gesellschaftlichen Wahrnehmung werden Kinder mit Migrationshintergrund häufig mit sozialen Problemen, Identitätskrisen und Schulschwierigkeiten assoziiert. In der Schweiz existiert dieses negative Vorurteil noch heute, obwohl in der Zwischenzeit positive Erfahrungen mit der Integration der ersten Einwanderungsgenerationen gemacht wurden.36 Die meisten wissenschaftlichen Studien fokussieren explizit die Bildungsmisserfolge von Schülerinnen mit Migrationshintergrund und rücken somit einen negativen Einfluss der Migrationssituation für die Erlangung schulischen Erfolgs in den Vordergrund. Im schweizerischen Kontext gibt es lediglich zwei Studien, die bildungserfolgreiche Migrantinnen als Untersuchungsobjekt haben: Die Arbeit von Juhasz-Liebermann und Mey (2003) und die Arbeit von Stamm (2014).37 Eine große Anzahl von Beiträgen ist der institutionellen Diskriminierung der Schülerinnen mit Migrationshintergrund gewidmet, die sich in Schulnoten, Schulerfolg bzw. Schulversagen manifestiert. Da der Schulerfolg von Migrantenkindern immer noch hinter dem der einheimischen Kinder zurückbleibt, liegt der Schluss nahe, dass

Diskriminierung existiert.38 Von Gomolla und Radtke wird die institutionelle Diskriminierung als Ergebnis sozialer Prozesse in der heutigen Gesellschaft interpretiert. Zu den Aufgaben des modernen Schulsystems gehört, die institutionelle Diskriminierung der Schülerinnen mit Migrationshintergrund zu erkennen und zu vermeiden.39

2.3 DemografischerWandel

Der Megatrend Globalisierung steht in Wechselwirkung mit der globalen demografischen Entwicklung. Laut der Prognose der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf über neun Milliarden Menschen anwachsen. Die zu erwartenden Bevölkerungszuwächse sind allerdings je nach Kontinent sehr ungleichmäßig verteilt: Während in Europa ein leichter Rückgang der Bevölkerung erwartet wird, ist in Latein- und Nordamerika mit einem verhaltenen Wachstum zu rechnen.40

Die aktuellen demografischen Veränderungsprozesse, ihre Breite und Tiefe sowie mögliche Konsequenzen für die Gesellschaft stellen die Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Bildung vor große Herausforderungen. Es wird dringend ein konkretes praxisorientiertes politisches Engagement notwendig, das „die Zeichen der Zeit erkennt und den Mut hat, mit Blick auf die nächsten Jahrzehnte heute beherzt einzugreifen. Der demografische Wandel ist kein schicksalhafter Prozess; er birgt viele Chancen, die ergriffen werden, indem der Prozess aufgegriffen und aktiv gestaltet wird“.41

Der demografische Wandel entwickelt sich im europäischen Raum heutzutage in zwei Richtungen: a) der Rückgang der Geburtenzahl und b) der Anstieg der älteren Menschen und als Folge der immer höhere Anteil von älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung.42 Dies bedeutet, dass die Bevölkerung immer älter wird und dass vergleichsweise wenig junge Menschen nachwachsen. Die aktuellen statistischen Daten zeugen davon, dass die jetzt aufwachsenden Altersgruppen deutlich kleiner sind als die Vorgängergruppen. Die negative Folge für die Arbeitswelt besteht darin, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben werden, ausschneidende ältere Beschäftigte durch neue, frisch ausgebildete Fachkräfte, die auf dem neusten Stand sind, zu ersetzen. Der demographische Wandel ist also mit zahlreichen negativen Folgen für die Arbeitswelt verbunden, da die Erwerbsbevölkerung zukünftig kräftig zurückgehen wird.43

Was die aktuelle Altersstruktur in der Schweiz angeht, waren 19,9 Prozent der schweizerischen Bevölkerung unter zwanzig Jahre alt, 61,4 Prozent zwischen 20 und 64 Jahre alt und 18,7 Prozent 65 Jahre und älter. Der Langzeitverlauf zeigt einerseits die stetige Abnahme der jüngeren und mittleren Altersgruppen und andererseits einen entsprechend deutlichen Zuwachs der Senioren.44 Das Bundesamt für Statistik der Schweiz erwartet bis 2030 einen Anstieg der über 65­jährigen Bevölkerung je nach Region in Höhe von 20 bis 30 Prozent. Nach Hochrechnungen des Bundesamtes wird die Anzahl der über 65-Jährigen in der Schweiz in den nächsten Jahrzehnten um weitere sieben Millionen Menschen zunehmen.45

In Zeiten des demografischen Wandels stellt die Bildung einen Schlüsselfaktor dar. Es wird angenommen, dass der demografische Wandel hohe Anforderungen an die Qualität der Fachkräfte stellt, dass aber das Bildungswesen vieler europäischer Länder bisher aus diversen Gründen nicht gewachsen ist. Es gibt zu viele Schulabbrecher, zu viel fehlgeleitete Schülerinnen, zur viel Differenzierung, zu wenig Durchlässigkeit im Schulsystem, zu wenig Förderung.46 Das schweizerische Bildungssystem entwickelt sich permanent weiter, um sich den sich stetig verändernden gesellschaftlichen Kontexten sowie Bedürfnissen eines Arbeitsmarktes im Umbruch anzupassen. Unter den in den letzten 25 Jahren im schweizerischen Bildungswesen durchgeführten Reformen sind zu nennen: Fachhochschulgesetz FHSG vom 6. Oktober 1995, die Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS-Konkordat) vom 14. Juni 2007, Bologna-Reform 2001, Berufsbildungsgesetz (BBG) vom 1. Januar 2004, Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz (HFKG) vom 15. September 2017, SR 413.14Verordnung vom 2. Februar2011 usw.47

2.4 Digitalisierung

Heutzutage gibt es im menschlichen Leben nur wenige Bereiche, die sich nicht durch die zunehmende Digitalisierung verändern: die Kommunikation erfolgt durch Messenger-Dienste, Einkäufe und Zahlungen werden bargeldlos und online getätigt, Filme und Musik werden nach Bedarf im Internet abgerufen. Das „Internet of Things“ steht für die Vernetzung von Systemen und Anlagen im Haushalt, indem alle elektronischen Geräte vom Radio bis zur Glühlampe über Sprache bzw. aus der Ferne gesteuert werden können.48

Die Digitalisierung prägt nicht nur unser privates Umfeld, sondern findet zunehmend Einzug in unseren betrieblichen Alltag. Die Megatrends in der Arbeitswelt und vor allem die Digitalisierung bestimmen das künftige Denken und Handeln auch von Unternehmen und Organisationen. Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien verändern die Art und Weise, wie man kommuniziert, konsumiert und arbeitet, und prägen letztendlich unser Denken, Handeln und Fühlen. Die Digitalisierung und die Welt der Arbeit stehen heute in einem komplexen Wechselverhältnis zueinander. Wie die Arbeit organisiert und ausgestaltet ist, wird seit einigen Jahrzehnten stark von technologischen Innovationen geprägt. Trotzdem hängt es letztlich von menschlichen Akteur*innen ab, wie diese Umwandlungen auf rechtlichem, kulturellem, politischem und sozialem Niveau organisiert werden.49 Die Entwicklung von innovativen Technologien und deren Implementierung bedeuten nicht, dass die traditionellen Geschäftsmodelle durch digitale Modelle komplett verdrängt werden. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die beiden in Zukunft miteinander existieren. Darüber hinaus gibt es hybride Geschäftsmodelle, bei denen physische und digitale Leistungsbestandteile miteinander verbunden sind und der Leistungserstellungsprozess physisch und digital aufgebaut ist.50

Die digitalen Trends sind auch zuständig für einen grundlegenden Umbruch in der Beziehung zwischen den Mitarbeiterinnen und den Führungskräften. Zu den wichtigsten Herausforderungen für das Personalmanagement in den Zeiten der Digitalisierung gehören: Neue Rekrutierungsmodelle und -prozesse,

Talentmanagement, Flexibilität und Agilität der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Partnerinnen, Employer Branding, Neugestaltung von Informations- und Kommunikationskanälen, Verbesserung der nachhaltigen und permanenten Lernkultur, Optimierung von Bildungsprogrammen für Führungskräfte usw. Dies sind die fundamentalen Aktionsschwerpunkte, um die eigene Organisation fit für das Zeitalter der Digitalisierung und die damit verbundenen neuen Formen des Arbeitens zu machen.51

Die Digitalisierung wird und hat schon heute eine nachhaltige Auswirkung nicht nur auf die Arbeitswelt, sondern auch auf das Bildungswesen und fordert Konzepte des lebenslangen Lernens für neu entstehende Lebensarbeitskonzepte ein. Damit stellt die Digitalisierung das zentrale Zukunftsthema für den gesamten Bereich der Bildung dar. „Um ihren beruflichen Aufgaben gerecht zu werden, müssen Lehrerinnen erkennen, was sie ihren Schülerinnen an Wissen, besonders aber auch an Kompetenzen zu vermitteln haben. Da sich digitale Lehrwerkzeuge in unserer Zeit schnell und ständig verändern, müssen Lehrerinnen vermitteln können, wie mit ihnen und dieser Dynamik umzugehen ist“.52

Pädagogische Anforderungen und Gegebenheiten sollten Ausgangspunkt der Überlegungen um die Erweiterung des schulischen Medienpools und den Ausbau der IT-Infrastruktur darstellen. Beim Auseinandersetzen mit der Frage, welche Neuanschaffungen erforderlich sind, spielen technische, finanzielle sowie bauliche Gegebenheiten eine große Rolle.53 Im Vergleich zu Nachbarstaaten Deutschland und Österreich steht die Schweiz gemäß Angaben des im Mai 2020 veröffentlichten Schul­Barometer der Pädagogischen Hochschule Zug viel besser. Dieselbe Situation lässt sich bei der Nutzung von Online-Lernplattformen feststellen. Im Schweizer Bildungswesen gibt es viele Beispiele für eine sehr gute digitale Infrastruktur. Seit Beginn der Corona-Pandemie und des damit verbundenen Lockdowns gehört der digitale Unterricht zum schweizerischen Schulalltag, indem die Schulen in diesem europäischen Land technisch sehr gut ausgestattet sind, - so Direktor der Fachagentur fürBildung und KulturToni Ritz.54

2.5 Corona-Pandemie

Seit einem halben Jahr haben sich die Welt und unsere Wahrnehmung der Welt radikal verändert. Markiert die weltweite Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 eine regelrechte Zeitwende, wie es bereits bei Epidemien in der Geschichte gewesen ist? Das weiß man noch nicht, eines ist aber klar: Es gibt kaum einen Menschen, auf dessen Alltag die Corona-Pandemie keine Auswirkung gemacht hat.55 Die Ausbreitung des Coronavirus ist allgegenwärtig und hat unser Leben zunehmend eingeschränkt: Schulen werden geschlossen, Mitarbeiterinnen ins Homeoffice geschickt, die Bewegungsfreiheit reduziert, die wirtschaftliche Existenz bedroht. Zudem hat die Corona-Virus-Pandemie viel Unsicherheit und Angst mit sich gebracht, da sie eine nie früher erlebte Situation darstellt.56

Das Schulwesen leidet neben der Wirtschaft und dem Gesundheitssystem am stärksten an negativen Folgen der Corona-Krise. In Schulen werden Ausbrüche in zunehmendem Ausmaß beobachtet, die Schülerinnen sind zwar nicht „Treiber“ der Pandemie, aber sie sind empfänglich für das Virus und können andere Menschen infizieren. Von den Experten werden das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht, die Teilung von Klassen sowie zeitversetzter Unterricht empfohlen.57 Die Politik verspricht, dass die Schulen geöffnet bleiben sollen, doch ganze Klassen müssen inzwischen daheim bleiben, viele Lehrkräfte fallen aus.58

„Zu Anfang war der Jubel von Kindern und Jugendlichen gross. Hurra, die Schule schliesst, ein Traum wird wahr! Die Freude währte aber nur kurz, denn schnell wurde deutlich: Gelernt wird weiterhin - nur eben online“.59 In vielen europäischen Ländern stellte die Corona-Krise die Schulen auch im Lockdown vor massive Herausforderungen, darunter fehlende digitale Lernplattformen, Schülerinnen ohne Zugang zu Computern, Unklarheiten beim Abitur usw. Das E-Learning funktioniert nicht überall und vor allem nicht überall gleich gut. Problematisch erscheinen nicht nur die technische Ausstattung, sondern auch Infrastrukturen und Inhalte. In den meisten Fällen sind Schulen an das Engagement Lehrkräfte und Eltern stark angewiesen.60

Die Frage danach, welche Rolle Schulen bei der Corona-Pandemie spielen, ist weiterhin nicht eindeutig geklärt. Die Eltern weltweit fragen sich danach, wie der Unterricht ihrer Kinder in Zeiten von Corona aussehen soll. Soll er virtuell oder in Präsenz stattfinden? Auch in der Schweiz herrscht die Unsicherheit über die Gegenwart und die Zukunft des Schulwesens. Die Gefühle sind dabei gemischt, wie auch die kantonalen Ansätze: Da im föderalistischen System der Schweiz die Kantone für Bildungsfragen Verantwortung tragen, haben sie also das letzte Wort, wie alles vorgegangen werden soll.61

Die Experten weisen darauf hin, dass die Corona-Pandemie hat Schweizer Schulwesen in kurzer Zeit zukunftsfähig gemacht hat. Die Erfahrungen der Schülerinnen mit dem Fernunterricht hat nicht nur sie, sondern auch die Schulen für immer verändert.62 Auch in der Schweiz steht das Lehrpersonal vor einer ungewohnten Herausforderung: Den Unterricht ohne Anwesenheit der Schülerinnen zu gestalten. Mit dem Distance Learning rückt die Digitalisierung der Lernbegleitung in den Fokus der Lehrkräfte, der Prozess braucht aber Zeit.63 Jedenfalls irritiert der Ruf nach Fernunterricht sowohl Lehrkräfte als auch Eltern, da fast alle der Meinung ist, dass der Präsenzunterricht das höchste Gut der Schule ist. In Zeiten der Corona-Pandemie ist aber das Recht, in die Schule zu gehen, zu einem grossen Privileg geworden.64

3 Schule und ihre Entwicklung

Bevor man auf die Reaktion der Organisation Schule auf die oben dargestellten Mega­Trends eingeht, scheint es angebracht, zuerst die Schule als soziales System zu analysieren, die Schulleitungsformen zu beschreiben, grundlegenden Aufgaben der Schulleitung darzustellen und die wichtigsten Tendenzen in der Schulentwicklung aufzuzeigen.

3.1 Schule als soziale Organisation

Die Schule ist eine besondere Art der Organisation, was von deren Organisationsform und Bildungs- sowie Erziehungsauftrag bedingt ist. Aus technischer Sicht stellt die Schule eine einfache Organisation dar, denn sie verfügt über wenig Maschinen und Geräte. In Bezug auf das engagierte qualifizierte Personal handelt es sich dagegen um eine verhältnismäßig grösste und sozial komplizierte Organisation. Von Rolff wird die enorme Größe der Organisation Schule betont: „Das Schulsystem hat [...] vermutlich mehr Mitglieder als jede andere Einrichtung [...]. Zählt man nur das feste Personal, also Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulverwaltung und Schulaufsicht, wird die immense Größe noch nicht so deutlich, wie wenn man die „fliessenden“ oder „temporären“ Mitglieder mitzählt, also die Schülerinnen und Schüler [...]. Zudem gehören auch die Eltern mehr oder weniger fest zur Schule ihrer Kinder“.65

Unter dem Begriff Organisation versteht man ein soziales Gebilde, in dem eine Mehrzahl von Menschen zu einem spezifischen Zweck bewusst zusammenwirkt. Der Schule als Organisation sind folgende Merkmale eigen:

- sozialer Gebilde-Charakter,
- Interne Rollendifferenzierung,
- bewusste Orientierung an Zwecken und Zielen,
- Organisiert-Sein.66

Von Allmendinger und Hinz wird die Schule als Organisation bezeichnet, die durch kennzeichnende Ziele, Mitglieder, ein Innenverhältnis, ein Außenverhältnis zu anderen Organisationen sowie Anpassungs- und Austauschbeziehungen mit einer vielfältigen Umwelt geprägt ist.67

Die Schule als Organisation zu sehen, hat sich aus der organisationssoziologischen Perspektive entwickelt. Dieser Blickwinkel begann zu Anfang der 1980er Jahre zu etablieren, wobei Verfahren zur Umwandlung einer betrieblichen Organisation aus der Arbeits- und Organisationspsychologie entsprechend übernommen wurden. Aus dieser Perspektive betrachtet handelt es sich bei der Schulentwicklung um keinen linearen Ablauf, der zentral gesteuert wird, sondern um einen komplexen politischen, ideologischen, gesellschaftlichen, organisatorischen und personalen Prozess. Demgemäß ist die Schule ein veränderungsfähiges, nicht bürokratisches, sondern demokratisches System und ihre Mitglieder sind handlungsfähige Subjekte, deren Tätigkeit durch Mitgestaltung und Partizipation geprägt ist.68

Die Schule darf nicht mit wirtschaftlich orientierten Organisationen verglichen werden, da sich ihre Ergebnisse nicht an dem ökonomischen Massstab des Vergleichs von Input und Output messen lassen. Aufgrund ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags muss die Schule mehr und anderes sein als eine Bürokratie, was an ihren spezifischen Merkmalen deutlich wird69:

- Der Bildungsauftrag der Schule ist die wichtigste Besonderheit der Schule. Der Bildungsauftrag prägt die Schulkultur und den Arbeitsalltag in der Schule und besteht darin, den Kindern, Heranwachsenden und Jugendlichen gesellschaftlich nützliches Wissen, notwendige Informationen, Vorstellungen, Ideale und Ideen zu vermitteln. Diese Vermittlung erfolgt durch Bildungs- bzw. Lehrpläne.70 - Der pädagogische Zusammenhang. Die Schule besteht aus Lehrenden (aus dem pädagogischen Fachpersonal) und den Lernenden (Schülerinnen und Schüler). Die meisten Mitglieder der Schule sind Schülerinnen, das heisst Kinder und Jugendliche. Im Unterschied zum Lehrpersonal sind sie keine Vollmitglieder, sondern nur temporäre Mitglieder, die über eingeschränkte Rechte verfügen. Zusammen damit stellen gerade sie den einzigen Grund für die Existenz der Organisation Schule dar. Das Verhältnis zwischen den Lehrenden und Lernenden basiert auf dem padagogischen Prozess, der personliche Begegnung zwischen den beiden akteuren voraussetzt.

[...]


1 Vgl. Drossel & Strietholt 2014: S. 109

2 Vgl. Fischer2016: S. 15

3 Vgl. Van Buer & Wagner 2009: S. 517

4 Vgl. Helsper et al. 2008: S. 160

5 Vgl. Schröder2019: S. 108

6 Warwas2012: S. 1

7 Vgl. Warwas 2012: S. 1

8 Vgl. Schmerbauch 2017: S. 24

9 Vgl. Dubs 2005: S. 21

10 Drossel etal. 2014: S.110

11 Vgl. Dubs2005: S. 166

12 Vgl. Dubs2005: S. 10

13 Vgl. Lindemann 2017: S. 9

14 Vgl. Armutat et al. 2018: S. 79

15 Gatterer 2020

16 Vgl. Bluth & Petersen 2020

17 Vgl. Vornholz 2017: S. 145

18 Schöler & Nikitina 2011:S.72

19 Vgl. Ernst2008: S. 141

20 Vgl. Wulf & Merkel 2002: S. 11

21 Girmes & Korte 2003: S. 69

22 Vgl. Globalisierung der Weltwirtschaft 2002: S. 262

23 Vgl. Girmes & Korte 2003: S. 68

24 Vgl. Rösler & Lindner 2009: S. 78

25 Vgl. Hornberg2010: S. 40

26 Vgl. Girmes & Korte 2003: S. 69

27 Vgl. Scheunpflug 1996: S. 9

28 Vgl. Frevel, 2004, S. 42

29 Vgl. Pötzl, 2018, S. 38

30 Vgl. Engelage 2019: S. 11

31 Vgl. Statistiken zu Ausländern und Migration in der Schweiz 2020

32 Vgl. Bevölkerung mit Migrationshintergrund 2019

33 Vgl. Bader & Fibbi 2012: S. 7

34 Vgl. Engelage 2019: S. 12

35 Dirim & Mecheril 2009: S. 7

36 Vgl. Bader & Fibbi 2012: S. 7

37 Vgl. Suter2016: S. 8

38 Vgl. Auernheimer 2001: S. 59

39 Vgl. Gomolla & Radtke 2009: S. 88

40 Vgl. Megatrends 2012: S.118

41 Mayer, 2016, S. 1

42 Vgl. Länge, Menke, 2007, S. 12

43 Vgl. Buhretal., 2008, S. 126

44 Vgl. Altersstruktur der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz von 2009 bis 2019

45 Vgl. Bechtel, Smerdka-Arhelger, 2012, S. 16

46 Vgl. König 2016: S. 136

47 Vgl. Demografische Entwicklung und Auswirkungen aufden gesamten Bildungsbereich 2019: S. 12

48 Vgl. Sextroetal., 2019, S. 1

49 Vgl. Fritz, Tomaschek, 2019, S. 7

50 Vgl. Rump, Eilers, 2019, S. 3

51 Vgl. Lang, 2018, S. 10, 14

52 Bresges & Habicher 2019: S. 7

53 Vgl. Endberg et al. 2018: S. 4

54 Vgl. Schweizer Erfahrungen mit digitaler Schule 2020

55 Vgl. Hoß, 2020

56 Vgl. Heise, 2020

57 Vgl. Gensing 2020

58 Vgl. Eickemeier et al. 2020

59 Gehringer 2020

60 Vgl. Frumkina 2020

61 Vgl. Leybold-Johnson 2020

62 Vgl. Gehring 2020

63 Vgl. Bättig & Senn 2020

64 Vgl. Schmid 2020

65 Rolfzitiert nach Hunneshagen 2005: S. 19

66 Vgl. Mayntz 1963: S. 36

67 Vgl. Allmendinger & Hinz 2002: S. 10

68 Vgl. Helsperetal. 1996: S. 389

69 Vgl. Rolff1995: S. 28

70 Vgl. Helsperet al. 2008: S. 31

Excerpt out of 86 pages

Details

Title
Pädagogisches Leadership im schweizerischen Schulsystem. Vorteile der Implementierung des Führungsmodells in der Schule
Grade
sehr gut
Author
Year
2021
Pages
86
Catalog Number
V1162861
ISBN (eBook)
9783346583987
ISBN (Book)
9783346583994
Language
German
Keywords
Pädagogische Führung, transformale Führung, Schulführung, Schulleitung, pädagogisches Leadership
Quote paper
Yannik Andrea Bless (Author), 2021, Pädagogisches Leadership im schweizerischen Schulsystem. Vorteile der Implementierung des Führungsmodells in der Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1162861

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