Die internationale Staatenwelt wurde nahezu ein halbes Jahrhundert durch die latente Gefahr einer nuklearen Apokalypse geprägt. Ein Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion drohte während des Kalten Krieges jederzeit zu einem nuklearen Schlagabtausch mit vernichtenden Folgen zu eskalieren.1
Mit dem Ende des Ost-West Konflikts und zunehmenden Kooperationsbestrebungen der ehemals verfeindeten Staaten verlor das globale Bedrohungsszenario an Bedeutung. Nuklearwaffen kam in der Folgezeit eine eher untergeordnete Bedeutung in der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik zu. Erst die wachsende Bedrohung der internationalen Sicherheit durch eine Prolifertation von Massenvernichtungswaffen führte im Laufe der neunziger Jahre zu der Forderung, „die Rolle von Nuklearwaffen in der nationalen Verteidigung (...) fundamental zu überdenken.“2 Vor diesem Hintergrund erschien im Januar 2002 ein nuklearstrategisches Planungskonzept der Bush- Regierung, die „Nuclear Posture Review“ (NPR). Ziel des Dokuments war, die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung durch eine Erhöhung der Einsatzoptionen auch unter den veränderten Umweltbedingungen im internationalen System sicherzustellen.3
Die NPR löste weltweit Proteste aus und entfachte eine kontroverse Diskussionen über die zukünftige Rolle von Nuklearwaffen innerhalb der internationalen Sicherheitsarchitektur. Vielfach wurde befürchtet, die Vereinigten Staaten könnten den Einsatz von Kernwaffen in Zukunft für begrenzte militärische Zwecke ernsthaft in Erwägung ziehen, insbesondere im Hinblick auf den Kampf gegen den Terrorismus. Warnungen vor einem Absinken der Hemmschwelle für den Einsatz nuklearer Waffen sowie der Gefahr einer erneuten atomaren Rüstungsspirale wurden laut.4 Die vorliegende Arbeit untersucht vor diesem Hintergrund die Fragestellung, welche Auswirkungen für die internationale Sicherheitsarchitektur mit einer Umsetzung der NPR verbunden sind. Dazu werden nach einer Erläuterung der Kernpunkte der NPR die potentiellen Auswirkungen des nuklearstrategischen Konzeptes auf das internationale System analysiert. Im Fazit werden die Ergebnisse im Hinblick auf künftige sicherheitspolitische Entwicklungen bewertet.
Um die NPR in den sicherheitspolitischen Kontext einordnen zu können, erfolgt zunächst ein kurzer Überblick über die Entwicklung der US-Nuklearstrategie seit dem Ende des Ost-West Konflikts.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Entwicklung der US-Nuklearstrategie seit dem Ende des Ost-West Konflikts
2.2 Die „Nuclear Posture Review“
2.2.1 Konzeptionelle Reorganisation der Nuklearstreitkräfte
2.2.2 Erweiterung von Einsatzspektrum und -optionen
2.2.3 Modernisierung des Kernwaffenarsenals
2.3 Internationale Konsequenzen der „Nuclear Posture Review“
2.3.1 Anpassung der NATO-Nuklearstrategie
2.3.2 Unterminierung des Atomwaffensperrvertrags
2.3.3 Wiederaufnahme von Atomtests
2.3.4 Auswirkungen auf die regionale Sicherheit
3. Fazit
4. Literatur
1. Einleitung
Die internationale Staatenwelt wurde nahezu ein halbes Jahrhundert durch die latente Gefahr einer nuklearen Apokalypse geprägt. Ein Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion drohte während des Kalten Krieges jederzeit zu einem nuklearen Schlagabtausch mit vernichtenden Folgen zu eskalieren.[1]
Mit dem Ende des Ost-West Konflikts und zunehmenden Kooperationsbestrebungen der ehemals verfeindeten Staaten verlor das globale Bedrohungsszenario an Bedeutung. Nuklearwaffen kam in der Folgezeit eine eher untergeordnete Bedeutung in der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik zu. Erst die wachsende Bedrohung der internationalen Sicherheit durch eine Prolifertation von Massenvernichtungswaffen führte im Laufe der neunziger Jahre zu der Forderung, „die Rolle von Nuklearwaffen in der nationalen Verteidigung (...) fundamental zu überdenken.“[2]
Vor diesem Hintergrund erschien im Januar 2002 ein nuklearstrategisches Planungskonzept der Bush-Regierung, die „Nuclear Posture Review“ (NPR). Ziel des Dokuments war, die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung durch eine Erhöhung der Einsatzoptionen auch unter den veränderten Umweltbedingungen im internationalen System sicherzustellen.[3]
Die NPR löste weltweit Proteste aus und entfachte eine kontroverse Diskussionen über die zukünftige Rolle von Nuklearwaffen innerhalb der internationalen Sicherheitsarchitektur. Vielfach wurde befürchtet, die Vereinigten Staaten könnten den Einsatz von Kernwaffen in Zukunft für begrenzte militärische Zwecke ernsthaft in Erwägung ziehen, insbesondere im Hinblick auf den Kampf gegen den Terrorismus. Warnungen vor einem Absinken der Hemmschwelle für den Einsatz nuklearer Waffen sowie der Gefahr einer erneuten atomaren Rüstungsspirale wurden laut.[4]
Die vorliegende Arbeit untersucht vor diesem Hintergrund die Fragestellung, welche Auswirkungen für die internationale Sicherheitsarchitektur mit einer Umsetzung der NPR verbunden sind. Dazu werden nach einer Erläuterung der Kernpunkte der NPR die potentiellen Auswirkungen des nuklearstrategischen Konzeptes auf das internationale System analysiert. Im Fazit werden die Ergebnisse im Hinblick auf künftige sicherheitspolitische Entwicklungen bewertet.
Um die NPR in den sicherheitspolitischen Kontext einordnen zu können, erfolgt zunächst ein kurzer Überblick über die Entwicklung der US-Nuklearstrategie seit dem Ende des Ost-West Konflikts.
2. Hauptteil
2.1 Entwicklung der US-Nuklearstrategie seit dem Ende des Ost-West Konflikts
Die sicherheitspolitische Lage der USA unterlag mit dem Ende des Ost-West-Konflikts einem dramatischen Wandel. Zu Zeiten des Kalten Krieges stellte eine militärischen Konfrontation mit der UdSSR die Hauptbedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten dar. Da eine konventionelle Überlegenheit der sowjetischen Streitkräfte vermutet wurde, basierte die amerikanische Nuklearstrategie auf einer glaubwürdigen Abschreckung des Gegners.[5]
Nach dem Ende des Kalten Krieges ließ die schrittweise Integration Russlands in die westlichen Sicherheitsstrukturen die bisherige Abschreckungsfunktion von Atomwaffen als überholt erscheinen.[6] Die Ausrichtung der Nuklearstrategie unterlag daher einem Prozess der Neuorientierung. Massive Reduzierungen der strategischen Nuklearstreitkräfte sowie der unilaterale Abbau bodengestützter, taktischer Nuklearwaffen unter Präsident Bush unterstrichen dies.[7]
Gleichzeitig entwickelten sich jedoch neue Bedrohungen für die internationale Sicherheit. So betrachtete die 1992 veröffentlichte „Defense Strategy for the 1990s: The regional Defense Strategy“ vor allem regionalen Konflikte als künftige Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA und verwies daneben auf die wachsende Proliferationsgefahr.[8] In diesem Zusammenhang betonte der damalige Verteidigungsminister Cheney die Erfordernis von Nuklearstreitkräften, um derartigen Bedrohungen entgegenzutreten.[9]
Eine offizielle Neuausrichtung der amerikanischen Nuklearstrategie wurde erstmals unter Präsident Clinton vorgenommen. Die 1994 herausgegebene „Nuclear Posture Review“ sollte die Rolle von Kernwaffen für die Zeit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts neu definieren.[10] Das nuklearstrategische Planungskonzept sah einen Einsatz von Kernwaffen auch als Reaktion auf Angriffe mit biologischen oder chemischen MVW vor und erweiterte damit das bisherige Abschreckungsszenario. Im Jahr1996 bestätigte der damalige Außenminister Perry schließlich offiziell, dass die USA sich in einem derartigen Fall das Recht auf nukleare Vergeltung vorbehielten.[11]
Die Überlegungen der NPR wurden im Dezember 1997 mit der „Presidential Decision Directive 60“ weitgehend umgesetzt. Das von Präsident Clinton unterzeichnete Dokument über die nuklearstrategische Richtlinien stellte fest, dass ein Nuklearschlag sowohl als Reaktion auf nukleare, wie auch biologische und chemische Angriffe erfolgen könne. Darüber hinaus wurde der Zielradius der US-Nuklearwaffen von den bisherigen Zielen in Russland und China auf vermutete Forschungs- und Produktionsstätten für ABC-Waffen in Schurkenstaaten, wie Libyen oder Irak ausgedehnt.[12]
Mit der Wahl von George W. Bush zum Präsidenten im Jahr 2000 wurde die Außen- und Sicherheitspolitik der USA wieder vermehrt auf die unilaterale Durchsetzung nationaler Interessen ausgerichtet.[13] George W. Bush kündigte bereits vor seiner Amtsübernahme an, die Strukturen des kalten Krieges hinter sich lassen und eine neue Sicherheitsdoktrin entwickeln zu wollen. Eine Einbindung der USA in internationale Abkommen lehnte er ab, vielmehr betonte er im Vorwort zur nationalen Sicherheitsstrategie die wirtschaftliche und militärische Führungsrolle der USA im internationalen System.[14]
Die bisherige Strategie der nuklearen Abschreckung bezeichnete Bush bereits vor dem 11.09.2001 als unzureichend. Der Kongress beauftragte die neugewählte Regierung daher mit einer grundlegenden Neubewertung von Kernwaffen und der mit ihnen verbundenen Konzepte und Strategien. Gleichzeitig sollte die von Pentagon und Energieministerium verfasste „Nuclear Posture Review“ eine langfristige strategische Planung sowohl für nukleare Abrüstung als auch für die Modernisierung der verbleibenden Kernwaffen entwickeln. Sie wurde dem Kongress am 08.01.2002 als geheimes Dokument übergeben.[15]
2.2 Die „Nuclear Posture Review“
Bei der „Nuclear Posture Review“ handelt es sich um ein konzeptionelles Strategiepapier, welches die sicherheitspolitischen Überlegungen der Bush-Administration hinsichtlich der künftig erforderlichen Größe und Funktion amerikanischen Nuklearstreitkräfte darlegt.[16]
Grundlegendes Ziel der NPR ist, auch im Rahmen der neuen, multipolaren Weltordnung eine glaubwürdige Abschreckungswirkung der amerikanischen Kernwaffen sicherzustellen. Nach Ansicht des Pentagon erfordert dies eine Anpassung von Zusammensetzung und Strategie der Nuklearstreitkräfte.[17]
2.2.1 Konzeptionelle Reorganisation der Nuklearstreitkräfte
Um eine Reaktion der USA auf künftige Bedrohungen, wie regionale Konflikte und weltweiten Terrorismus, zu ermöglichen, sieht die NPR eine flexiblere Organisationsstruktur der Streitkräfte vor.[18] Diese sollen als strategische Triade aus nuklearen und konventionellen Offensivstreitkräften, defensiver Raketenabwehr sowie unterstützender Infrastruktur organisiert werden.[19]
Die Nuklearstreitkräfte werden damit künftig operational in das breite Spektrum militärischer Systeme integriert, die Trennung nuklearer und konventioneller Streitkräfte wird aufgehoben. US-Nuklearstrategen versprechen sich hierdurch eine deutliche Erhöhung der Abschreckungswirkung amerikanischer Kernwaffen. Daneben führt die Möglichkeit eines kombinierten Einsatzes konventioneller und nuklearer Streitkräfte zu einer erheblichen Erweiterung der strategischer Handlungsoptionen und bietet den US-Militärplanern größtmögliche Flexibilität[20]
Im Kontext dieser konzeptionellen Reorganisation verfolgt die NPR eine weitergehende Reduzierung der operativ einsetzbaren, strategischen Nuklearsprengköpfe Diese gelten aufgrund ihrer hohen Sprengkraft als nur bedingt einsatzfähig in künftigen Konflikten und sollen innerhalb der nächsten zehn Jahre von derzeit ca. 6000 auf ca. 2200 verringert werden. Um einen raschen Abbau zu gewährleisten haben die Vereinigten Staaten am 24. Mai 2002 mit Russland einen bilateralen Abrüstungsvertrag geschlossen.[21] Darin verpflichten sich beide Seiten, bis 2012 nicht über mehr als 2200 einsetzbare strategische Gefechtsköpfe zu verfügen.[22]
Daneben plant das Pentagon den Aufbau einer strategischen Einsatzreserve aus deaktivierten Gefechtsköpfen, die sich im Krisenfalle kurzfristig reaktivieren lassen. Dies erlaubt eine flexible Reaktion auf unvorhergesehene Bedrohungsszenarien.[23]
[...]
[1] Siehe Meier, Oliver: Wettlauf ohne Gegner ?. Die amerikanische Atomwaffenpolitik nach dem Ende des Ost-West Konflikts. Münster 1998. S. 11. (=Agenda Frieden. Bd. 27.)
[2] Younger, Stephen M: Nuclear Weapons in the 21st Century. Los Alamos 2000. S.2.
[3] British American Security Information Council (Hrsg.): Bunker Busters: Washingtons Drive for New Nuclear Weapons. London, New York 2002. S. 31.
[4] Vgl. Kamp, Karl-Heinz: Ein “geheimer" Atomplan der USA?. Hintergrundinformationen zum „Nuclear Posture Review“. Sankt Augustin 2002. S. 1.
[5] Vgl. Meier, Oliver: Wettlauf ohne Gegner?. A.a.O.. S. 73.
[6] Siehe Weisser, Ulrich: Amerikas Optionen. Washingtons Pläne für den Einsatz taktischer Atomwaffen zwingen zum sicherheitspolitischen Dialog. In: SZ vom 18.02.2002.
[7] Vgl. Meier, Oliver: Wettlauf ohne Gegner?. A.a.O.. S. 35.
[8] British American Security Information Council (Hrsg.): Bunker Busters: Washingtons Drive for New Nuclear Weapons. A.a.O.. S. 33ff..
[9] Nuklearwaffen kam eine Schlüsselrolle zu, da konventionelle Streitkräfte keine abschreckende Wirkungen gegen Staaten entfalten, welche über ABC-Waffen verfügen.
[10] Vgl. Meier: Wettlauf ohne Gegner ?. A.a.O.. S. 48ff..
[11] Vgl. Rötzer, Florian: Mini-Nukes gegen Schurkenstaaten. In: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/ co/12070/1.html. S.4.
[12] Siehe Weisser, Ulrich: Amerikas Optionen. A.a.O.. China war zuvor im Jahre 1982 von der Zielliste entfernt worden, um seinen Wert als möglicher Partner gegen die UdSSR zu unterstreichen.
[13] Vgl. Schild, Georg: Amerikanischer Anspruch auf Unilateralismus. Nationale Interessen in der US-Außenpolitik. In: Internationale Politik. Heft 4/2002. S. 37.
[14] Vgl. The White House (Hrsg.): The National Security Strategy of the United States of America. Washington 2002. Vorwort des Präsidenten der Vereinigten Staaten.
[15] Siehe Kamp, Karl-Heinz: Ein “geheimer" Atomplan der USA?. A.a.O.. S. 3.
[16] Vgl. Ebenda. A.a.O.. S. 5.
[17] Siehe Younger, Stephen M: Nuclear Weapons in the 21st Century. A.a.O.. S.2.
[18] Die Struktur basiert auf der ursprünglichen Struktur der Nuklearstreitkräfte, die als Triade aus luft-, land-, und seegestützten Systemen konzipiert war.
[19] Department of Defense (Hrsg.): Nuclear Posture Review. Excerpts. In: www.bits.de/NRANEU/docs/ nprexc.pdf. S. 6.
[20] Gleichzeitig wird in der NPR jedoch auch die Entwicklung moderner konventioneller Waffen als Ersatz für Kernwaffen vertreten. Diese könnten Missionen erfüllen, welche bislang Kernwaffen vorbehalten waren.
[21] Vgl. Weisser, Ulrich: Amerikas Optionen. A.a.O..
[22] Siehe Krause, Joachim und Benjamin Schreer: Eine „neue“ Nuklearstrategie der USA?. Die Nuclear Posture Review. In: Internationale Politik. Heft 7/2002. S. 40.
[23] Dabei werden die verschiedenen Komponenten getrennt gelagert und können bei Bedarf innerhalb kurzer Zeit wieder einsatzbereit gemacht werden.
- Arbeit zitieren
- Niels Ridder (Autor:in), 2003, Atomwaffen - Rückkehr des Schreckens? Die Nuclear Posture Review der USA, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11635
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