Variation für Evolution

Zur Bestimmung des Grundelements soziokultureller Evolution


Hausarbeit, 2003

22 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Abstract

2. Einleitung

3. Erster Teil
3.1 Evolution
3.2 Erläuterungen zu den potentiellen Grundelementen sozio-kultureller Evolution
3.2.1 Kommunikation
3.2.2 Systeminterne Reduktion kommunikativer Komplexität durch den Begriff der Handlung
3.2.3 Der Sinnbegriff der Gesellschaft
3.2.4 Die Form von Sinn
3.2.5 Die gesellschaftliche Semantik
3.2.6 Zum Begriff der Sozialstruktur

4. Zweiter Teil
4.1 Diskussion der möglichen Grundelemente soziokultureller Evolution
4.1.1 Kommunikation und Handlung versus Sinn
4.1.2 Die Relevanz des Formbegriffs im Evolutionsprozess
4.1.3 Semantik und Sozialstruktur – eine weitreichende Problematik
4.2 Sinn als Grundelement soziokultureller Evolution

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Abstract

The text tries to outline the basic element of sociocultural evolution. Beginning with a short explanation of Luhmann’s concept of evolution itself and the potential basic elements of evolution, we are going to discuss the fitness of those elements in the second part of our brainwork. Terms of systems theory taken into account for our discussion are communication, action, sense, form, semantic and social structure.

2. Einleitung

Die folgende Arbeit befasst sich mit der Suche nach dem Grundelement soziokultureller Evolution. In Betracht gezogen werden dabei verschiedene systemtheoretische Begriffe. Ausgehend von dem Kommunikationsbegriff, den Luhmann selbst als den Grundbegriff der Systemtheorie geprägt hat, fassen wir in unserer Diskussion auch die Begrifflichkeiten Handlung, Sinn, Form, Semantik und Sozialstruktur als potentielle Grundelemente soziokultureller Evolution ins Auge.

In einem ersten Teil versuchen wir, die zum Verständnis unserer Arbeit elementaren Kenntnisse über Evolution zu liefern. Anschließend erläutern wir kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit im Hinblick auf unsere Diskussion die oben bereits aufgeführten Begriffskonstrukte aus der Systemtheorie. Wir beginnen beim Kommunikationsprozess, gehen über zu sozialen Handlungen, die Luhmann als eine Komplexitätsreduktion gegenüber dem dreistelligen Selektionsprozess von Kommunikation versteht und wenden uns dann dem Sinnbegriff zu; ein Begriff, dem von Luhmann eine hohe Relevanz für die Soziologie eingeräumt wird. Daran schließt sich unmittelbar der Begriff der Form an. Wir schließen den ersten Teil unserer Ausführungen mit einer Vorstellung der Begriffe Semantik und Sozialstruktur ab. Beide Begriffe sind eng miteinander verknüpft und stellen wichtige Elemente bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Historie dar. Sie dienen uns also quasi als Spiegel von Evolution. Ob sie als Grundelement soziokultureller Evolution bestimmt werden können, wird sich im zweiten Teil unserer Ausführungen zeigen.

Der Chronologie des ersten Teils folgend, diskutieren wir die potentiellen Grundelemente und grenzen, wo nötig und möglich, die einzelnen Begriffe gegeneinander ab. Abschließend gehen wir genauer auf das von uns als Grundelement soziokultureller Evolution angesehene systemtheoretische Begriffskonstrukt ein. Wir schließen unsere Ausführungen mit einem philosophischen Ausblick auf die Ursprünge von Variation.

3. Erster Teil

3.1 Evolution

Luhmann konstruiert seinen systemtheoretischen Evolutionsbegriff eng an den Vorgaben des Neo- Darwinismus. Er setzt dabei die Angepasstheit des Systems an die umgebene Umwelt als Grundvoraussetzung von Evolution ein und beschreibt Evolution als einen Prozess der Modifikation bestehender Zustände. Bewegungsgrund für Evolutionsprozesse ist die Differenz von Wirklichkeit und Möglichkeit und die damit verbundene Selektivität allen Geschehens.[1] Evolution bedeutet Strukturänderungen. Strukturänderungen können ausschließlich durch eigene Operationen innerhalb des Systems vorgenommen werden. Da das System keine Vollkenntnis über seine Umwelt gewinnen kann, tritt die Einstellung des Systems auf Einflüsse aus dieser Umwelt an die Stelle der Vollkenntnis und ermöglicht durch diese Einstellung auf „Zufälle“ überhaupt erst Evolutionsprozesse. „Wir verstehen unter >>Zufall<< eine Form des Zusammenhangs von System und Umwelt, die sich der Synchronisation (also auch der Kontrolle, der >>Systematisierung<<). durch das System entzieht.“ (Luhmann 1998: 449). „In Anlehnung an die erfolgreich arbeitende Theorie präorganischer und organischer Evolution kann auch sozio- kulturelle Evolution begriffen werden als ein spezifischer Mechanismus für Strukturänderungen, und zwar als ein Mechanismus, der „Zufall“ zur Induktion von Strukturänderungen benutzt.“ (Luhmann 1975b: 105: Hervorhebungen im Original)..

In Anlehnung an die biologischen Abläufe von Evolution übernimmt Luhmann die drei Begriffe Variation, Selektion und Retention auch für seinen systemtheoretischen Evolutionsbegriff. Unter Variation versteht man die Herstellung einer Variante für mögliche Selektionen in Form einer unerwarteten und redundanten Kommunikation. „Variation ist also nicht Spontangenese von Neuem [...], sondern abweichende Reproduktion von Elementen des Systems,“ beschreibt Luhmann Variation in „Gesellschaft der Gesellschaft“ (Luhmann 1998: 461).. Diese Variation wird im weiteren Verlauf des Evolutionsprozesses positiv oder negativ selektiert. Eine Variation erzwingt, ähnlich wie ein Sinnzusammenhang, eine Selektion. „Jede Variation hat zwangsläufig Selektion zur Folge. Auch wenn keine positive Selektion stattfindet, findet Selektion statt, weil dann die operationsgebundene Variation vergeht, ohne Strukturen zu ändern, und alles so bleibt, wie es war und ist.“ (Luhmann 1998: 474).. Die Selektion einer neuen Variante erhöht die Systemkomplexität und zwingt das System zur Reduktion dieser durch die Selektion der Variante angestiegenen Komplexität durch eine Restabilisierung, bzw. Retention. „Restabilisierung bezeichnet den Einbau von Strukturänderungen in ein strukturdeterminiert operierendes System.“ (Luhmann 1998: 488).. Jedem der am Evolutionsprozess beteiligten Mechanismen ordnet Luhmann eine eigene Leitdifferenz zu. Im Fall der Variation verwendet er die Einheit der Differenz von normal und abweichend.[2] Selektionen arbeiten mit der Differenz Annahme/ Ablehnung und die Retention benutzt die Differenz von Anpassung und Abgrenzung. „Evolution ist dann jede Strukturänderung, die durch Differenz und Zusammenspiel dieser Mechanismen erzeugt wird.“ (Luhmann 1975b: 105)..

Operationen sind im Evolutionsprozess für Strukturänderungen verantwortlich; Luhmann bezeichnet sie daher auch als systeminterne Funktionsträger. Abhängig sind diese Operationen wiederum von den bereits zur Reduktion der komplexen Verweisungsmöglichkeiten in den drei verschiedenen Sinndimensionen zur Verfügung stehenden Strukturen des Systems.[3] Diese Verweisungsmöglichkeiten sind selektierbar. Im Selektionsprozess neuer Verweisungsmöglichkeiten arbeiten Selektionen mit der Problemstellung, ob neue Sinnangebote wiederholenswert und wiederverwendbar sind oder nicht. Durch Operationen können die positiv selektierten Sinnangebote dann symbolisch generalisiert werden und in Strukturen überführt werden. Durch die Integration neuer Strukturen in das System entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Varietät und Redundanz[4] der Strukturmerkmale und macht eine Readjustierung erforderlich. Oftmals werden aber alte Strukturen nicht komplett durch neue Strukturen ersetzt, sondern „überholt“; ihnen wird eine neue Funktion zugewiesen. Obwohl die Strukturänderungen im System selbst auftreten, müssen sie in der Umwelt Bestätigung erfahren.

Abschließend ist festzuhalten, dass Evolution ein Endlosprozess ist, „jeder sich stabilisierende Zustand ist katalytischer Ausgangspunkt für weitere Variationen.“ (Schützeichel 2003: 163).. Luhmann selbst formuliert es ähnlich: „Mit dem Übergang der Restabilisierungsfunktion auf die Funktionssysteme wird Stabilität selbst zu einem dynamischen Prinzip und indirekt dann zu einem Hauptanreger von Variation.“ (Luhmann 1998: 492).. Schützeichel macht an anderer Stelle jedoch darauf aufmerksam, das „natürlich [...] auch die Umkehrfolgerung erlaubt [ist]. Es herrscht keine innere Notwendigkeit zur Evolution, sie kann zeitweise aussetzen oder insgesamt aufhören.“ (Schützeichel 2003: 139).. Wir wissen also, was Evolution bedeutet und wie Evolution erfolgreich zu Strukturänderungen im System führen kann. Was wir nicht wissen, ist, was überhaupt das ausschlaggebende Element im Evolutionsprozess ist. Was muss variieren, um anschließend selektiert und stabilisiert werden zu können? Es kommen verschiedene systemtheoretische Konstrukte als Grundelement von Evolution in Frage. Im nächsten Teil unserer Arbeit werden wir daher kurz einige Begriffe basal erläutern[5], die sich zur Erklärung von Variation eignen könnten. Anschließend werden wir diese Begriffe in unserer Diskussion auf ihre Eignung als evolutionstheoretisches Grundelement überprüfen.

3.2 Erläuterungen zu den potentiellen Grundelementen sozio-kultureller Evolution

3.2.1 Kommunikation

Kommunikation stellt für Luhmann’s Systemtheorie den „basale[n] Prozess von Systemen [dar], der die Elemente produziert, aus denen diese Systeme bestehen.“ (Luhmann 1987: 192).. Wir wollen ihn daher als ersten Begriff anführen. Das systemtheoretische Verständnis von Kommunikation unterscheidet sich jedoch grundlegend vom Alltagsverständnis des Begriffes. „Luhmann versteht unter Kommunikation einen eigenständigen Vorgang von hoher Komplexität, der sowohl die Möglichkeiten der intentionalen Steuerung, als auch die Wahrnehmungsfähigkeit der an Kommunikation beteiligten Individuen weit übersteigt.“ (Aschke 2002: 46).. Menschen kommunizieren nicht; nur Kommunikation kann kommunizieren. Alles was System ist, ist Kommunikation. Dabei darf man Kommunikation nicht als einen verbalen Prozess beschreiben, der dann auftritt, wenn Menschen über Sprache miteinander in Kontakt treten, sondern muss das Kommunizieren abstrahieren und auf Systemebene ansetzten. Da Menschen die Komplexität des Begriffs nicht fassen können, handeln sie unter bestimmten Voraussetzungen[6]. Über Beobachtungen finden diese Handlungen in das System Einlass, wo weitere Handlungen an die vorangegangene anschließen müssen. Autopoiesis muss also ermöglicht werden.

Die Komplexität des Kommunikationsbegriffs, der es Systemen unmöglich macht, sie als solche zu erfassen, macht ein dreistelliger Selektionsprozess aus; er besteht aus den Teilen Information, Mitteilung und Verstehen. Die Information wird im Kommunikationsprozess mitgeteilt als Auswahl aus den vorgeschlagenen Möglichkeiten, eine Mitteilung ist als Anregung, als Selektionsvorschlag zu bezeichnen. Das Verstehen beendet die Kommunikation. Den Übergang zu den einzelnen Prozessen einer Kommunikation bilden Selektionen aus unendlich vielen Sinnangeboten. Eine Information wird aus vielen Informationen ausgewählt, daran schließt sich die Auswahl einer Mitteilung aus einem durch die Auswahl der Information bereits etwas eingeschränkten Themenpool an und wird schließlich mit der Selektion eines Verstehens abgeschlossen. Luhmann selbst drückt diese dreistellige Selektivität so aus: „Begreift man Kommunikation als Synthese dreier Selektionen, als Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen, so ist die Kommunikation realisiert, wenn und soweit das Verstehen zustande kommt.“ (Luhmann 1987: 203).

[...]


[1] Vergleiche auch die Leitdifferenz der Sinndimension „Sachlich“ unter 3.2.3

[2] Für diese Unterscheidung ist das soziale Gedächtnis der Gesellschaft von großer Bedeutung. Semantik stellt das Gedächtnis dar, wir kommen darauf unter 3.2.5 zurück.

[3] Der Strukturbegriff wird unter dem nächsten Kapitel genauer erläutert.

[4] Luhmann geht davon aus, dass ein System, um erfolgreich zu operieren, über soviel Varietät wie möglich bei so wenig Redundanz wie nötig verfügen muss. Genauer können wir auf diesen Sachverhalt in unserer Arbeit nicht eingehen, da er keine Relevanz für unsere Fragestellung hat. Es sei an dieser Stelle z.B. auf das Kapitel im „GLU – Glossar zu Niklas Luhmann“ von Baraldi et.al. verwiesen.

[5] Dabei erheben wir keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit; lediglich die für unsere spätere Analyse relevanten Zusammenhänge sollen in unsere Ausarbeitung Eingang finden.

[6] Luhmann benutzt zur Erklärung des Zustandekommens von Kommunikationen unter anderem den an sich sehr komplexen Begriff der „doppelten Kontingenz“, wir verweisen an dieser Stelle auf das zugehörige Kapitel in Luhmanns Werk „Soziale Systeme“

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Variation für Evolution
Untertitel
Zur Bestimmung des Grundelements soziokultureller Evolution
Hochschule
Universität Bielefeld
Autor
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V116413
ISBN (eBook)
9783640179053
ISBN (Buch)
9783640179176
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Variation, Evolution
Arbeit zitieren
Dipl. Soz. Carolin Schneider (Autor:in), 2003, Variation für Evolution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116413

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