Der Medienwissenschaftler Rudolf Arnheim hat in seinem 1932 erschienenen Klassiker der Film- und Medientheorie, "Film als Kunst", die Frage aufgeworfen, ob sich die Begleitmusik, an die wir beim stummen Film gewöhnt waren, für den Tonfilm übernehmen lassen würde. Arnheim rät darin zur Skepsis, da die Rolle der Begleitmusik im Tonfilm, der bei Erscheinen seines Buches gerade fünf Jahre alt ist, eine gänzlich andere sein würde als im Stummfilm. Generell weist er der Filmmusik eine untergeordnete, unterstützende Rolle zu. Im besten Falle könne sie das Optische intensivieren, aber sich nicht daneben stellen. Denn wenn die Musik die Handlungsebene überlagerte, so würde die Aufmerksamkeit der Zuschauer für den Film, das eigentliche Kunstwerk, leiden. Diese Gefahr einer Irreführung" durch unpassende Begleitmusik sieht Arnheim mehr
noch für den Tonfilm, da die optische und die klangliche Sphäre beim Stummfilm streng getrennt sind, beim Tonfilm aber möglicherweise unmittelbar zur Handlung gehörende Klänge in der Wahrnehmung der Zuschauer mit der Musik verschmelzen könnten
Im Folgenden möchte ich Arnheims Bewertung der Filmmusik vor dem historischen Hintergrund des Übergangs vom Stummfilm zum Tonfilm analysieren und der Frage nachgehen, wie und warum sich der von ihm angesprochene Bedeutungswandel vollzog.
Der Medienwissenschaftler Rudolf Arnheim hat in seinem 1932 erschienenen Klassiker der Film- und Medientheorie, Film als Kunst, die Frage aufgeworfen, ob sich die "Begleitmusik, an die wir beim stummen Film gewöhnt waren, für den Tonfilm übernehmen" lassen würde.1 Arnheim rät darin zur Skepsis, da die Rolle der Begleitmusik im Tonfilm, der bei Erscheinen seines Buches gerade fünf Jahre alt ist, eine gänzlich andere sein würde als im Stummfilm. Generell weist er der Filmmusik eine untergeordnete, unterstützende Rolle zu. Im besten Falle könne sie "das Optische intensivieren, aber sich nicht daneben stellen."2 Denn wenn die Musik die Handlungsebene überlagerte, so würde die Aufmerksamkeit der Zuschauer für den Film, das eigentliche Kunstwerk, leiden.3
Diese "Gefahr einer Irreführung"4 durch unpassende Begleitmusik sieht Arnheim mehr noch für den Tonfilm, da die optische und die klangliche Sphäre beim Stummfilm streng getrennt sind, beim Tonfilm aber möglicherweise unmittelbar zur Handlung gehörende Klänge in der Wahrnehmung der Zuschauer mit der Musik verschmelzen könnten. Arnheim ordnet seine These in einen größeren medientheoretischen Zusammenhang ein: "Noch niemals konnten in einem Kunstwerk Faktoren geduldet werden, die nachträglich hinzuaddiert wurden und die ihre Wirkung unbeachtet, ohne die Aufmerksamkeit des Publikums, ausüben mussten, weil sie sonst dem Eindruck des Kunstwerkes anderswo Abbruch getan hätten!"5 Seine Argumentation gipfelt in der These: "die Wirkungen, die die Musik (in der Stummfilmzeit, Anm. d. Verf.) auf den Film haben konnte, waren recht primitiver, unmusikalischer Art: der Stimmungscharakter der Harmonien und des Rhythmus färbten den Film - und das war mit schlechter Musik ebenso gut zu erreichen wie mit guter, ja besser, denn bei schlechter Musik pflegen diese einfachen harmonischen und dynamischen Charaktere eindringlicher, gradliniger, deutlicher zu sein."6
Trotz seiner großen Vorbehalte gegen die Filmmusik richtet Arnheim an den Tonfilm die Erwartung, dass die Begleitmusik die ihr von ihm zugedachte Rolle besser ausfüllen würde als in der Stummfilmzeit. Denn die Kinotheken - Musiksammlungen, die den Pianisten und Orchestern in den Kinos jeweils passende Stücke für jeden Anlass liefern sollten, waren damit endgültig ad acta gelegt. Erst in den letzten Jahren der Stummfilmzeit waren die Produzenten verstärkt dazu übergegangen, Komponisten mit eigenständigen Filmkompositionen zu beauftragen.
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1 Rudolf Arnheim, Film als Kunst, Frankfurt a.M. 2004 (EA 1932), S. 252.
2 ebd., S. 254.
3 Vgl. ebd., S. 252f.
4 ebd., S. 253.
5 ebd., S. 254.
6 ebd.
- Quote paper
- Jasmin Lienstädt (Author), 2009, Der Bedeutungswandel der Filmmusik im Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm. Unter besonderer Berücksichtigung des Klassikers der Filmtheorie von Rudolf Arnheim, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1165003