Wilhelm Keitel - Verbrecher oder Offizier?


Facharbeit (Schule), 2003

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

A. Thema der Facharbeit

B. Verbrecher oder Offizier?
1. Die Biographie Keitels:
1.1. Vom Bauern zum Soldaten
1.2. Der Weg an die Spitze der Wehrmacht
1.3. Uneingeschränkter Gehorsam bis in den Tod
2. Die Anklageschrift
2.1. Beteiligung an einem gemeinsamen Plan zum Angriffskrieg
2.1.1. Unterrichteter von Hitlers Kriegsplänen
2.1.2. Unterstützung und Förderung der Aggressions- Politik Hitlers in Europa
2.2. Beteiligung an der Vorbereitung, Auslösung und Führung von Angriffskriegen
2.2.1. Position Keitels im NS-Staat
2.2.1.1. Rolle des OKW und seines Chefs.
2.2.1.2. Mitglied im Reichsverteidigungsrat
2.2.1.3. Vorsitz im Tribunal „Ehrenhof“
2.2.2. Keitels Schaffen im 2.Weltkrieg
2.3. Kriegsverbrechen
2.3.1. Kommissarbefehl
2.3.2. Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener
2.3.3. Unterzeichnung von Verbrechensbefehlen ohne Bedenken oder Skrupel
2.4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit
2.4.1. Mordbefehle gegen Zivilisten
2.4.2. Nachtund Nebel-Erlass.
2.4.3. Bandenund Partisanenbekämpfung
3. Das Urteil gegen Wilhelm Keitel

C. Schlussbemerkungen des Verfassers.

D. Anhang
1. Literaturverzeichnis.
2. Videomaterial
3. Bildernachweis.
4. Ausfertigungsbestätigung

A. Thema der Facharbeit:

Sowohl in der Vergangenheit, wie auch in der Gegenwart, wurde immer wieder die Verwicklung der deutschen Wehrmacht in die Verbrechen des dritten Reiches (1933 - 1945) diskutiert. Weiter stellt sich oft die Frage, ob die hohen Militärs der deutschen Streitkräfte noch als gehorsame Offiziere oder schon als Verbrecher handelten. Betrachtet man jedoch die erdrückenden Beweise, so ist die Antwort zumeist von vornherein klar. Anhand des Beispiels Wilhelm Keitels möchte ich erläutern, aus welchen Gründen der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht 1946 in Nürnberg zum Tode verurteilt wurde, obwohl er eigentlich „nur“ der höchste deutsche Soldat war.

B. Wilhelm Keitel: Verbrecher oder Offizier?

1. Biographie Keitels:

Der Weg, den der spätere Generalfeldmarschall einmal einschlagen sollte, wurde, wie es 1871 im neu gegründeten deutschen Kaiserreich zur Jahrhundertwende üblich war, von seinem Vater Carl Keitel bestimmt. Da er bereits in der Schule unter hohem Erfolgsdruck stand – er hatte vor allem Schwächen in den alten Sprachen (Knopp, 2000, S.106) -, wollte er es seinen Eltern recht machen und fügte sich unter Tränen seinem Schicksal. Wilhelm selbst wollte eigentlich viel lieber den väterlichen Gutshof übernehmen und Landwirt werden. Noch als Feldmarschall trauerte er oft dieser verpassten Gelegenheit nach.

1.1. Vom Bauern zum Soldaten:

In Helmscherode, einem kleinen Bauerndorf an den westlichen Ausläufern des Harzes, scheint die Zeit noch immer still zu stehen. Vieles erinnert dort noch an das „Tausendjährige Reich“, wie zum Beispiel das Bildnis an der Wand der kleinen Dorfkirche, von dem der alte Gönner des Dorfes in Soldatenuniform herunterblickt. Oder auch ein Gedenkstein, den der Dorfpatron 1938 anlässlich des Anschlusses Österreichs für seinen Führer und Reichskanzler Adolf Hitler errichten ließ (Knopp, 2000, S.102f.). Das Andenken an den am 22. September 1882 als Wilhelm Bodewin Johann Gustav Keitel geborenen, bekanntesten Sohn des Dorfes, ist heute trotz seiner vielen Verbrechen noch immer ungetrübt (Görlitz, 1998, S.15).

Wilhelms Vater Carl Keitel, der 1878 den landwirtschaftlichen Gutshof seines Vaters erbte, heiratete 1881 die Landwirtstochter Apollonia Vissering, die jedoch 1888 an Kindbettfieber starb. Die Jugend des Wilhelm Keitel war damit von einer mutterlosen Erziehung geprägt. Dafür verehrte er jedoch seinen Vater, der den Hof durch alle Probleme und Krisen hindurch führte, ohne dabei Schulden zu machen.

Wilhelm selbst unterstützte seinen Vater so gut er konnte, da er sehr gerne bei den Pferden und anderen Tieren auf dem Hofe war. Ihn interessierte auch sein erster Unterricht, durch eine Hauslehrerin, nicht besonders. Er ging lieber seiner neuen Leidenschaft, der Jagd, nach. 1892 wurde er dann auf das königliche Gymnasium und Realgymnasium nach Göttingen geschickt, das er bis zu seinem Abitur im März 1901 besuchte. Seine Leistungen waren eher mittelmäßig, vor allem in den alten Sprachen zeigte er deutliche Schwächen, weshalb auch sein damaliger Religionslehrer zu ihm sagte: „Keitel, Sie würden den Apostel Paulus sicher hundertmal besser mit ein Paar feurigen Pferden spazieren fahren, als verstehen!“ (Görlitz, 1998, S.16).

Nach der Schule war es Wilhelms sehnlichster Wunsch Landwirt zu werden und den Hof in Helmscherode einmal zu bewirtschaften. Jedoch erklärte ihm sein Vater, dass der Hof zu klein sei, um die ganze Familie zu ernähren und zudem könnte Wilhelm dies auch noch später tun, vorerst sollte er seinen Wehrdienst ableisten.

Auf Grund seines hohen Bildungsstandes und des wachsenden Ansehens, das der Stand der Reserveoffiziere in dem damaligen Kaiserreich schon hatte, führte dies zu dem Kompromiss, dass Wilhelm, da er sowieso dienen musste, die Offizierslaufbahn einschlug und dann später wieder auf den Hof als Landwirt zurückkehren sollte. Diese Entscheidung kostete den damals noch 17jährigen zwar die eine oder andere Träne, sein erster Lebensweg war damit jedoch vorbestimmt.

An Ostern 1900 meldete ihn sein Vater zum Eintritt als Avantageur beim 46. Feldartillerie-Regiment in Wolfenbüttel und Celle an und der Weg von der Ausbildung zum Reserveoffizier bis zum zweiten Mann der Wehrmacht konnte beginnen (Görlitz, 1998, S.15-18).

1.2. Der Weg an die Spitze der Wehrmacht:

Keitel selbst wäre viel lieber Kavallerieoffizier geworden, auf Grund von finanziellen Engpässen, die entstanden wären, da er selbst für sein Pferd hätte aufkommen müssen, musste er dann doch zur Feldartillerie. 1902 wurde er zum Leutnant befördert und nach Braunschweig versetzt. Diese Zeit wird die glücklichste seines Lebens gewesen sein, da er ungestört seinen Leidenschaften, wie Jagd, Essen und Trinken oder der Teilnahme an vielen Hofbällen mit Tanz, frönen konnte. Privat jedoch war er sowohl damals, wie auch später immer Soldat. Keine Frauengeschichten sondern nur seine Karriere standen im Fordergrund – Kasernendienst, Schießübungen, Manöver, Reitjagden und Offiziersabende (Knopp, 2000, S. 106- 108). Dies bestätigt auch seine spätere Sekretärin Hilda Haeninchen, die zuerst meinte, ihr Chef würde sich auch für andere Dinge, wie zum Beispiel Musik oder Architektur interessieren. Sie sagte später einmal: „Nein, man hatte das Gefühl, er ist nur Soldat.“ (Knopp, 2000, S.100). Äußerlich wirkte er wie ein preußischer General mit einer imponierenden Erscheinung und sehr korrektem Auftreten (Time Life Video 1998).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1909 heiratete Keitel dann Lisa Fontaine, die Tochter eines Brauereiund Rittergutsbesitzers aus Hannover, die dann mit ihrem Ehrgeiz die militärische Karriere ihres Gatten sehr stark vorantrieb, da sie die Empfänge und Essen in der feineren Gesellschaft liebte (Knopp, 2000, S.108). Keitels bis zum Frühjahr 1945 einziges Fronterlebnis war im 1.Weltkrieg.

Mittlerweile zum Hauptmann befördert, wurde er von einem Grantsplitter verwundet, woraufhin er dann das „Eiserne Kreuz“ erhielt, was ihm auf der Karriereleiter weiter voran brachte. Jedoch hatte diese reale Kriegserfahrung auch einen sehr nachhaltigen Eindruck auf den noch jungen Offizier gemacht, was er zumeist in den Briefen an seine Frau zum Ausdruck brachte. Wilhelm wurde dann von der Front aus zurück ins Hauptquartier des Generalstabes versetzt, was jedoch in ihm Minderwertigkeitsgefühle weckte, da ihm noch fünf Jahre Ausbildung fehlten und damit die notwendige Kenntnis von Kriegsplanung und Führung. Er konnte dies jedoch mit Fleiß kompensieren. Auch auf Grund seines organisatorischen Talents bezüglich Nachschublieferungen und Truppenbewegungen wurde er dafür 1917 zum jüngsten „Ersten Generalstabsoffizier“ ernannt. In der gleich Zeit lernte er auch Major Werner von Blomberg kennen, der für seine zukünftige Karriere noch eine schicksalhafte Bedeutung haben sollte (Knopp, 2000, S.110).

Nach Kriegsende 1918 war Keitel einer von vielen, welche die Dolchstoßlegende fabulierten, obwohl er in seiner Stellung selbst das Übergewicht des Gegners und erste Durchbrüche in der deutschen Front mitbekommen hatte. Durch den Versailler Vertrag wurde das deutsche Heer auf 100.000 Mann begrenzt. Da auch nur eine Anzahl von 4.000 Offizieren gestattet war, suchte Keitel als Ausweg den Anschluss an ein Freikorps. Nach der Wahl Hindenburgs 1925 zum neuen Reichspräsidenten durfte Keitel dann aber wieder aktiv werden, indem er im Truppenamt, das nichts anderes als der verbotene Generalstab war, die Aufrüstung und Ausbildung des „Grenzschutzes Ost“ koordinierte. Seine Arbeit im Reichswehrministerium setzte Keitel bis 1933 fort und war auch sehr zufrieden damit, denn in der Heeres-Organisationsabteilung (T2) des Truppenamtes, in der er 1930 zum Abteilungschef avancierte, konnte er seine Gaben endlich richtig einsetzen (Görlitz, 1998, S.27). Keitel war damit eine der Schlüsselfiguren in der geheimen, deutschen Wiederaufrüstung nach dem Versailler Vertrag. Kurz darauf wurde er zum Oberstleutnant befördert, jedoch hatten seine Arbeit im Büro und sein übersteigertes Pflichtbewusstsein schon deutliche Auswirkungen gezeigt. Er wurde zum Kettenraucher, setzte starkes Übergewicht an, das wie auch die Venenentzündungen auf mangelnde Bewegung zurückzuführen waren (Knopp, 2000, S.115). Keitel musste sich 1933 zu einer Kur nach Hohen Tatra begeben, da er durch Thrombose schon mehrere Herzattacken erlitt.

Genau zu dieser Zeit vollzog sich in Deutschland der Machtwechsel. Keitel, mittlerweile zum Oberst befördert, stand, wie viele andere Generäle auch, der NSDAP und auch Hitler eher skeptisch gegenüber. Jedoch änderte er seine Meinung, als sein alter Freund Blomberg zum Reichswehrminister ernannt wurde. Sein erstes Treffen mit dem 19. Reichskanzler der Weimarer Republik fand am 17. Mai 1933 im Rahmen einer SA-Führertagung in Bad Reichhall satt und Keitel war fasziniert, ja richtig begeistert von Hitler. Seine Frau schrieb: „Er – Keitel – war richtig verjüngt und so energisch. Er hat länger mit Hitler gesprochen und ist direkt begeistert von ihm.“ (Knopp, 2000, S.118). Ein Schlüsselerlebnis für den mittlerweile 51jährigen, denn diese Begeisterung und Verehrung bestimmte sein weiteres Leben. Am 01.04.1934 wurde er zum Generalmajor befördert und stellvertretender Divisionskommandeur in Potsdam und damit vorerst von Schreibtischarbeit befreit. Als dann im Mai 1934 sein Vater starb, wollte Wilhelm zurück nach Helmscherode und sein Erbe antreten, aber seine Frau Lisa und Werner von Fritsch, Oberbefehlshaber des Heeres, konnten ihn anderweitig überzeugen. Er nahm sein bereits eingereichtes Abschiedsgesuch zurück und ging als Divisionskommandeur nach Bremen (Knopp, 2000, S.121). Dies war das zweite Mal, dass andere seinen Lebensweg bestimmten und er nicht nach seinen Wünschen und Empfindungen handelte. Eine weitere Tatsache, die später zu seiner Todesstrafe führte.

1935 besuchte er zusammen mit Blomberg den NSDAP Reichsparteitag in Nürnberg und war so begeistert, dass ihn sein Organisationstalent erneut packte und er zurück in die Heeresleitung wollte. Am 01.10.1935 wurde er dann Chef des Wehrmachtsamtes im Berliner Reichskriegsministerium, obwohl er nach wie vor mit Politik nichts zu tun haben wollte, was jedoch in seiner Position aber nicht mehr möglich war. Keitel erlangte in dieser Zeit den Ruf eines „Ja-Sagers“ und eines Parteimilitärs, denn er ging zusammen mit Blomberg daran, die Wehrmacht auch ideologisch zu durchdringen und „politisch unzuverlässige“ Soldaten der Gestapo zu übergeben. Dadurch verbesserte sich das Verhältnis von Armee zur Partei und Keitel erhielt als einer der ersten hohen Militärs das „Goldene Parteiabzeichen“, als alter Kämpfer, obwohl er als Offizier nicht Mitglied in der NSDAP war (Knopp, 2000, S.124).

Durch den Heiratsskandal von Keitels Vorgesetztem von Blomberg mit Margret Luise Gruhn, die in den Akten der Gestapo als Prostituierte aufgelistet war - dies hatte die von der Generalität geforderte Entlassung Blombergs zur Folge hatte, da dieser nicht mehr tragbar war - erreichte Keitel 1938 den Zenit seiner Macht, denn das Kriegsministerium wurde aufgelöst und der Wehrmachtsgeneralstab blieb übrig. Dieser wurde um eine Verwaltungseinheit, das OKW – Oberkommando der Wehrmacht – erweitert, dessen Hauptaufgabe darin bestand, den Führerbefehlen Gestalt zu geben (Friedrich, 1993). Jedoch hatte es keinen direkten Oberbefehl über die drei Teile der Wehrmacht: Heer, Marine und Luftwaffe. Durch diese Krise hatte Hitler die Möglichkeit sich die Wehrmacht zu unterwerfen und tat dies, indem er ein Vielzahl an Generälen entließ und an deren Stelle Offiziere aus der zweiten Reihe stellte, die besser mit dem System konform waren (Time Life Video 1998). Auch Wilhelm Keitel zählte zu diesen Offizieren und deswegen wurde er zum Chef des OKW ernannt. In einer Rundfunksendung vom 4. Februar 1938 aus Berlin wurde bekannt gemacht: „Der Führer hat den bisherigen Chef des Wehrmachtsamtes, General der Artillerie Keitel, zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht ernannt.“ (Gründler und Manikowsky, 1967, S.783) Dies wurde auch im Reichstagsgesetzblatt 1938, Teil 1, Seite 111 veröffentlicht. Jedoch war das OKW faktisch Hitlers persönlicher Stab und damit war Keitel der erste Handlanger Hitlers und sollte dies auch bis zum Ende bleiben. Den meisten Offizieren, unter anderem auch Alfred Jodl und Walter Warlimont, den Stellvertretern Keitels, war klar, dass Keitel dieser Position nicht gewachsen war, da ihm der politische Sachverstand fehlte und auch das Charisma. Auf der anderen Seite wusste aber auch Hitler, dass Keitels Horizont beschränkt war und er damit den für ihn passenden Mann an eine sehr wichtige Stelle gesetzt hatte (Time Life Video, 1998).

1.3. Uneingeschränkter Gehorsam bis in den Tod:

Keitels, in vieler Hinsicht doch sehr beschränktes Wissen und Können, versuchte selbiger mit uneingeschränktem Gehorsam zu verbergen und so tat er alles was Hitler von ihm verlangte. Es war für Keitel selbst, zum Beispiel, eine große Ehre, dass er bei den olympischen Spielen 1936 in Berlin, hinter Hitler ins Stadion einmarschieren durfte, nur weil er auf Anordnung seines Führers das olympische Dorf organisiert hatte. Der wahrscheinlich größte Fehler in seiner Laufbahn als Offizier war ganz gewiss die Tolerierung und Unterzeichnung ausnahmslos aller Befehle, mögen sie noch so skrupellos gewesen sein, mit seinem Namen. Die Befehle „seines Führers“ standen über allen anderen, dabei war nicht wichtig, ob diese Soldaten, Partisanen oder Zivilisten betrafen. „Der Führer hat immer Recht!“, war sein Leitmotiv, was sich dann „in seiner notorischen Nachgiebigkeit und prinzipieller Überzeugung von der Richtigkeit von Hitlers Tun“ (Hartmann, 1991, S.87) zeigte. Auch in der Ernennung Keitels zum OKW-Chef ist diese Tatsache zu erkennen, denn in dieser offiziell höchsten militärischen Position, wäre viel mehr Fachverstand und Wissen verlangt worden, als Keitel jemals besessen hat, aber seine Mischung aus Fleiß, Rückgratlosigkeit und Unterwürfigkeit bis zur Würdelosigkeit, machten diesen „Bürogeneral“ zu dem, was er wurde und was Hitler in diesem Amt brauchte. Daraus, aber auch durch sein plumpes und oft ungeschicktes Auftreten, resultierte auch sein weit verbreiteter Spitzname „La-Keitel“ (Hartmann, 1991, S. 84). Auch Keitels ehemaliger Vorgesetzter von Blomberg hatte diese Ansicht. Er schrieb in einem Brief: „Er – Keitel – wurde niemals zum Befehlshaber der Wehrmacht ernannt, sondern war immer nur ein ’Chef des Stabes’ unter Hitler. (...) Zu meiner Zeit war Keitel nicht gegen Hitler eingestellt und darum geeignet, zum guten Verständnis zwischen Hitler und der Wehrmacht beizutragen. (...) Wie ich hörte, hat Keitel es dann an einem Widerstand gegen jede Maßnahme Hitlers fehlen lassen. Er wurde zu einem fügsamen Werkzeug in der Hand Hitlers und für jeden seiner Entschlüsse. Er wuchs in eine Stellung hinein, der er nicht gewachsen war.“ (Dokumente der Nürnberger Prozesse, 1984, Band 4, S. 460).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Beförderung Keitels zum Feldmarschall ist ebenfalls auf dessen Hitler- Treue zurückzuführen. Sie kettete Keitel damit aber auch noch enger an Hitler, da er ohne diesen längst nicht den Aufstieg zum wichtigsten deutschen General geschafft hätte. Diese „Vergötterung“ Hitlers zeigte sich dann auch zu Beginn des Krieges, denn Keitel redete als einer der ersten von Hitler als dem „größten Feldherrn aller Zeiten“, auf Grund von dessen militärischen Genies (Time Life Video, 1998). Man sieht sie auch in der Tatsache, dass der „Bauer in Generalsuniform“ für Hitler die Idealbesetzung des Chefs OKW war und von Anfang bis zum Ende des Kriegs im Amt blieb und auch nicht degradiert wurde (Knopp, 2000, S.134).

Problematisch für Keitel wurde es immer dann, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Wehrmachtsführern und Hitler kam. Auch wenn dieser der oberste Befehlshaber der deutschen Streitkräfte war, so waren seine Auffassungen nicht immer die, die auch die Offiziere teilten. Keitel musste dann oft Vermittler spielen, weshalb er auch oft von beiden Seiten kritisiert wurde. Teilweise war es so schlimm, dass Keitel an Rücktritt dachte, was Hitler aber nicht gestattet hätte, oder sich an die Front versetzen lassen wollte, wie es Reichsmarschall Göring in Nürnberg im Kreuzverhör durch Keitels Anwalt Dr. Nelte berichtete (Dokumente der Nürnberger Prozesse, 1984, Band 4, S. 413f). Keitel stand sehr oft zwischen den Fronten, aber zumeist wollte er seinen Führer beruhigen, denn bei einem der vielen Hitlerschen Wutausbrüchen, war Keitel meistens der Hauptschuldige. Um dies zu vermeiden, verschwieg er Hitler oft, die Bedenken und Befürchtungen der Offiziere, die in seiner unmittelbaren Nähe waren. Er liebte seinen Führer und dies auch über seinen Tod hinaus, wie man es auch in seinen Nürnberger Verhören herauslesen kann, auch wenn er kurz vor seinem Tod letzten Endes doch einräumte, dass er Hitlers Persönlichkeit nicht gewachsen war (Knopp, 2000, S.140). Eine Einsicht, die zu spät gekommen ist.

Diese uneingeschränkte Verehrung, ja fast Vergötterung seiner Vorgesetzten setzte sich bis kurz vor Keitels Tod fort. Er wollte unter allen Umständen den Soldatentod durch Erschießung sterben und den Banditentod durch den Strang vermeiden. Dies, aber auch sein schlechtes Gewissen, waren die Gründe, die Keitel dazu gebracht haben ein Geständnis zu machen, wie es Anwalt Dr. Nelte, dem wichtigsten deutschsprachigen Kontaktmann zwischen Anklage und Verteidigung, Dr. Kempner, berichtete. Als der Anwalt jedoch das nächste Mal das Zimmer Kempners betrat, hatte Keitel seine Meinung schon geändert. Er hatte „die Sache mit Göring - unserem höchsten anwesenden Vorgesetzten - besprochen und dieser habe ihm gesagt, dass es so was nicht gibt, denn wenn einer aus dem Boot springe, dann werde es kentern!“, lautete ein Brief Keitels an seinen Anwalt (Gründler und Manikowsky, 1967, S.126). Keitel blieb sich treu, bis zum Ende, indem er den Befehl Görings, dessen Autorität er sich unterwarf, auch wenn der Reichsmarschall bereits entmachtet war, über seine eigene, bessere Ansicht stellte. Dies wurde Keitel unter Hitler zum Verhängnis und verhinderte auch seine letzte Möglichkeit auf einen „achtungsgebietenden Abgang“ (Gründler und Manikowsky, 1967, S.127).

2. Die Anklageschrift:

Bei dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, der vom 14. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 in Nürnberg stattfand, waren neben Wilhelm Keitel noch viele andere hohe Nationalsozialisten, wie zum Beispiel der Reichsmarschall und Chef der Luftwaffe Hermann Göring, der ehemalige Hitlerstellvertreter Rudolf Heß, oder auch der Architekt des Führers Albert Speer angeklagt. Der Militärgerichtshof setzte sich aus Vertretern der Vereinigten Staaten von Amerika, des vereinigten Königreiches Großbritanniens, der Republik Frankreich und der Union der Sozialistischen Sowjet Republiken zusammen, unter dem Vorsitz von Lord Justice Sir Geoffrey Lawrence. Die Anklageschrift lautete wie folgt: „Keitel ist ausschließlich wegen seiner militärischen Tä- tigkeit angeklagt und unter sämtlichen vier Punkten der Anklage.“ (Dokumente der Nürnberger Prozesse, 1984, Band 4, S. 454). Diese Anklagepunkte möchte ich einzeln, im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit Keitels, genauer erörtern. Sein Verteidiger war Dr. Otto Nelte.

2.1. Beteiligung an einem gemeinsamen Plan (Verschwörung) zum Angriffskrieg:

Die Hauptverantwortung, die Keitel bei dem ersten der vier Anklagepunkte auf sich nehmen musste, ist die Tatsache, dass er durch seine unmittelbare Stellung bei Hitler, von allen Plänen wusste, obwohl es, wie Keitel in Nürnberg berichtete, sehr wenige Beratungen mit Hitler, bezüglich Angriffsplänen und militärischen Operationen gab. Jedoch hatte er nie etwas gegen falsche Befehle unternommen, sondern bedingt durch seine bedingungslose Treue zu „seinem Führer“ dessen Pläne, wie skrupellos sie auch waren, toleriert, meistens sogar unterstützt.

2.1.1. Unterrichteter von Hitlers Kriegsplänen:

Bereits als Hitler im Olympiajahr 1936 den Vier-Jahres-Plan, der eine deutsche Autarkie, also militärische und wirtschaftliche Kriegsfähigkeit innerhalb von vier Jahren forderte, an Göring übertrug, musste Keitel, der zu dieser Zeit schon Chef des Wehrmachtsamtes im Berliner Ministerium war, erkennen, welche Ziele Hitler anstrebte. Er hätte in seiner hohen Stellung die weitere Aufrüstung der Wehrmacht reduzieren können, anstatt dessen jedoch unterstützte er diese, sodass Hitler am

1. September 1939 in Polen einfallen konnte.

Auch die Tatsache, dass er durch seine Stellung als Chef in Hitlers „persönlichem Stab“, was das Oberkommando zweifellos war, jeden Befehlsentwurf in die Hände bekam und diese stets mit seinem Namen unterzeichnete (Friedrich, 1996), entlarvt Keitel als Mitwisser der Verbrechen des Hitler-Regimes, obwohl er das in Nürnberg leugnete. Auf Grund seiner Treue und auch seines Glaubens, der Führer sei unfehlbar -„Führerbefehl, wir folgen dir“ -, wollte er die Pläne, aus denen Hitler in seinen Besprechungen ab 1936 keinen Hehl mehr machte, nicht ernst genug nehmen, um darauf zu reagieren.

Man kann also sagen, dass er sich bei dem ersten Anklagepunkt weniger durch aktive Mithilfe, sondern durch Passivität und Duldung schuldig machte.

2.1.2. Unterstützung und Förderung der Aggressionspolitik Hitlers in Europa:

Keitel der, trotz seiner welfischen Abstammung und des Preußenhasses seines Großvaters, sich zu einem echten preußischen Junker mauserte, förderte ohne zu Wissen, den Anschluss Österreichs an das deutsche Reich. Hitler, der zu dieser Zeit mit Keitel noch nie ein Wort gewechselt hatte, bestellte selbigen am 10.02.1938 auf den Obersalzberg, in Hitlers Ferienhaus. Gleich nach ihm trafen auch noch die Generäle von Reichenau und Sperrle ein, jedoch wusste niemand der drei, aus welchem Grunde sie hier anwesend sein sollten. Kurz darauf erschien jedoch der österreichische Bundeskanzler Schuschnigg, um sich mit Hitler zu besprechen. Schnell wurde Keitel klar, welchen Zweck er zu erfüllen hatte. Die Anwesenheit dreier Wehrmachtsoffiziere wirkte wie eine Demonstration der Stärke und sollte Schuschnigg einschüchtern (Dokumente der Nürnberger Prozesse, 1984, Band 10, S.567ff.). Von den politischen Debatten, in denen Hitler Schuschnigg mit einem sofortigen Einmarsch deutscher Truppen drohte, obwohl Hitler im Juli 1936 die Souveränität Österreichs anerkannte, bekam Keitel nichts mit. Am frühen Morgen des nächsten Tages fuhr Keitel zurück nach Berlin, um militärische Scheinmanöver in der Nähe der österreichischen Grenze zu organisieren, welche auf den südöstlichen Nachbarn des Reiches weiteren Druck ausüben sollten (Kershaw, 2000, S.118). Da aber Vereinbarungen mit Österreich erzielt wurden, erwartete niemand der Offiziere in Keitels Umfeld einen kriegerischen Konflikt. Umso überraschender war am 10.03.1938 der Befehl Hitlers zu einem militärischen Einmarsch in Österreich, da dieser meinte, Schuschnigg hätte durch die Anberaumung einer Volksabstimmung die bestehenden Vereinbarungen gebrochen, worauf er militärisch reagieren müsse. Keitel fuhr daraufhin zusammen mit dem Oberbefehlshaber des Heeres, Beck, zu Hitler in die Reichskanzlei um mit ihm den „Fall Otto“ – Anschluss Österreichs - zu besprechen und um zu klären welche Truppen am Morgen des 12. März bereit seien, für einen Einmarsch (Görlitz, 1998, S.228f.). Das Bittschreiben des Leiters der Amtsgruppe im Führungsstab des OKW, General Max von Viebahn, der darin von Hitler forderte, dieser möge den Einmarsch

„abblasen“, übergab Keitel seinem Führer gar nicht, denn er fürchtete, die gesamte Heeresführung würde dann bei Hitler in Verachtung fallen (Kershaw, 2000, S.126). Dies war das erste Mal, dass Keitel den Widerstand in der Wehrmacht vor Hitler verschleierte; es sollten noch mehrere Wiederholungen folgen. Daran anschließend verstärkten Keitel und Hitler mittels falscher Gerüchte, Rundfunksendungen und Truppenübungen den Druck auf Österreich (Friedrich, 1996, S.185), was dann letztendlich zum Anschluss Österreichs an das deutsche Reich führte.

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Wilhelm Keitel - Verbrecher oder Offizier?
Veranstaltung
Leistungskurs Geschichte
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
44
Katalognummer
V116526
ISBN (eBook)
9783640181933
Dateigröße
2185 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wilhelm, Keitel, Verbrecher, Offizier, Leistungskurs, Geschichte
Arbeit zitieren
Sebastian Bretzner (Autor:in), 2003, Wilhelm Keitel - Verbrecher oder Offizier?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116526

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