Bedeutung der Psychosomatik im hohen Alter


Studienarbeit, 2007

6 Seiten, Note: "keine"


Leseprobe


1. Einführung

Rudolf Virchow sagte: „Ich habe Tausende von Leichen seziert, aber keine Seele darin gefunden.“ Mit der heutigen Vorstellung der Seele, verwundert uns dieser Befund nicht, denn Leichen haben weder psychische noch soziale Probleme. Der Zusammenhang zwischen seelischen und körperlichen Leiden wird im Volksmund durch zahlreiche Redewendungen verdeutlicht. So sagt man beispielsweise, mir bricht das Herz vor Kummer, etwas bereitet jemandem Kopfschmerzen oder in Stresssituationen ist man auf 180 und verdeutlicht dadurch die mögliche Erhöhung des systolischen Blutdruckwertes.

Lipowski1 beschreibt das Phänomen der körperlichen Beschwerden, die durch psycho-soziale Faktoren verursacht werden als Unstimmigkeit zwischen objektiver und subjektiver Gesundheit und Sack2 postuliert, dieses Phänomen als eigen- ständiges Krankheitsbild zu definieren.

Alte Menschen sind in der psychotherapeutischen Behandlung unterrepräsentiert, wenn man annimmt, dass genauso viele alte Menschen unter psychischen und psychosomatischen Störungen leiden wie Erwachsene in den mittleren Lebens- jahren.3 Welche Bedeutung hat die Geronotpsychosomatik für Hochaltrige und wie sieht deren psychosomatische Versorgung aus?

2. Psychosomatik

Die Psychosomatik ist eine medizinische Disziplin und beschäftigt sich mit den Wechselbeziehungen zwischen körperlichen, seelischen und sozialen Vorgängen.4 Das biomechanische Konzept des 19. Jahrhunderts ging davon aus, dass der Körper gleich einer Maschine und die Seele wie ein psychischer Apparat funktioniere. Die Medizin hat es sich zur Aufgabe gemacht, auftretende Betriebsschäden zu reparieren. Dies führte zu einer Aufspaltung in eine somatische und eine psychische Medizin und es werden entweder kranke Körper ohne Seele oder kranke Seelen ohne Körper behandelt. Die psychosomatische Medizin versucht diese Kluft zu überwinden und sucht nach Antworten auf die Frage, was ein lebendiger Organismus ganzheitlich betrachtet ausmacht und wie der Arzt den Patienten in seinen körperlichen und seelischen Dimensionen erfassen kann.5

Eine einheitliche Definition der Psychosomatik gibt es nicht, sondern es werden verschiedene Phänomene unter dem gleichen Überbegriff subsummiert. Dazu gehören im wesentlichen6:

- organische Krankheiten mit fassbaren morphologischen Änderungen auf deren Entstehung oder Verlauf neurotische Faktoren Einfluss haben.
- Darbietung von körperlichen Beschwerden, deren Ursachen in erster Linie psychischen und nicht organischen Ursprungs sind. Diese Form der psychosomatischen Erkrankungen werden auch somatoforme Störungen oder Somatisierungsstörungen genannt.
- Morphologisch fassbare organische Krankheiten, die maßgeblich durch das individuelle Zusammenspiel der Biographie, Umwelteinflüsse, psychogenetische, somatogenetische und psychologische Aspekte des Individuums beeinflusst werden und auch darüber zu beeinflussen sind.
- Teil der Medizin, der versucht die Einheit der Person in seinen körperlichen und seelischen Dimensionen zu erfassen

Nach Gerhard Danzer7 erkrankt beim Menschen nie primär nur die Seele, der Geist oder der Köper allein, sondern immer die ganze bio-psycho-soziale Einheit. Seiner Meinung nach sollte man gar von einer Sozio-Psycho-Spirito-Somatik sprechen.

Zu den Krankheiten, welche für psychosomatische Aspekte besonders prädisponiert sind, gehören Herz-Kreislauferkrankungen, Schmerzen (Rücken, Bauch, Kopf), Schluckstörungen, Allergien, Schlafstörungen, rezidivierende Infekte und Adipositas.

3. Bedeutung der Gerontopsychosomatik im hohen Alter

Die verschiedenen Definitionen der Psychosomatik schliessen alte Menschen keineswegs aus. Die Gerontopsychosomatik berücksichtigt darüber hinaus aber auch die besondere Lebenslage alter Menschen und den fortschreitenden Altersprozess und beschäftigt sich demnach mit folgenden Schwerpunkten8:

- Psychische Auswirkungen des normalen körperlichen Altersprozesses und deren Bewältigung
- Somato-psychosomatische Wechselwirkungen bei schweren Körperkrankheiten im Alter
- Psychische Störungen und Persönlichkeitsstörungen im Alter
- Somatisierungsstörungen im Alter
- Folgen von Traumerlebnissen
- Adaptive Prozesse im Kontext der im Alter auftretenden Gewinne und Verluste

Der normale körperliche Altersprozess wird an gleicher Stelle als unabdingbare Zumutung der Natur bezeichnet. Auch wenn nicht näher erläutert wird, wie der Begriff Zumutung im einzelnen zu verstehen ist, scheint er darauf hinzuweisen, dass der normale biologische Altersprozess möglicherweise als narzisstische Kränkung begriffen wird und dessen Bewältigung hohe Anforderungen an den alternden Menschen stellt. Tatsächlich konnte in der Berliner Altersstudie9 empirisch nachgewiesen werden, dass für Menschen über 60 Jahre die Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit einen zentralen Stellenwert einnimmt, während jüngere Menschen sich hauptsächlich mit Beruf, Familie und Freunden beschäftigen. Mehr als 90% der über 76 Jährigen leiden nach eigenen Angaben unter Glieder- und Gelenkschmerzen.10 Schmerzen des Bewegungsapparates sind im Alter schwer in psychische und somatische Ursachen unterscheidbar. So scheinen Depressionen im Alter in einem engen Zusammenhang zu körperlichen Beschwerden zu stehen.11 Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens aufgrund des normalen Altersprozesses psychische Auswirkungen haben und diese sich wiederum auf die körperliche Befindlichkeit auswirkt. Zwischen 7 bis 25 % der über 65 Jährigen befinden sich in der Phase der Fragilität.12 Der drohende Verlust der Selbständigkeit und der damit verbundene Wechsel der Wohnumgebung oder die durch körperliche Einschränkungen drohend Vereinsamung können zu depressiven Angststörungen führen.13 Im hohen Alter sind 1/3 der über 70 Jährigen in Deutschland von Multimorbidität mit mindestens fünf Erkrankungen betroffen.14 Körperlich Faktoren sind mitunter Ursache für depressive Störungen, da für deren Ätiologie komplexe bio-psycho-soziale Modelle angenommen werden.15

Bei schweren körperlichen Erkrankungen sind neben dem Ertragen der somatischen Beschwerden der psychische Bewältigung der Erkrankung grosse Bedeutung beizumessen. Krankheitsbewältigungsstörungen werden zur psychosomatischen Medizin gezählt. Ihnen geht immer eine manifeste organische Krankheit voraus.

Typisches Beispiel für diese psychosomatische Wechselwirkung sind die depressiven Erkrankungen in Folge eines Schlaganfalls. Die Prävalenz depressiver Störungen bei Patienten mit Schlaganfall sind nicht bekannt und liegen irgendwo zwischen 11 und 79%.16 Das Risiko einen Schlaganfall mit bleibenden Behinderungen zu erleiden steigt mit dem Alter stark an. Deshalb ist zu vermuten, dass auch depressive Störungen in Folge dieses Krankheitsgeschehens im Alter recht häufig ist. Dieser Zusammenhang gilt wahrscheinlich ebenso für viele andere schwere Krankheiten, die im Alter häufig vorkommen.

Der Begriff Persönlichkeitsstörung ist ein Oberbegriff für alle Abweichungen in der Persönlichkeitsentwicklung. Sie sind gekennzeichnet durch Erfahrungs- und Verhaltensmuster, die deutlich von den kulturell erwarteten Normen abweichen.17 Dazu gehören unter anderem Angstentwicklungen, Zwangsstörungen und die Suizidalität. Das Kriterium Alter scheint neben Depressionen und Suchtmittelabhängigkeit zu der wichtigsten Gefährdungskategorie für Selbstmord zu gehören.18 Die Suizidrate, das heisst die Anzahl Suizide pro100`000, steigt mit fortschreitendem Alter an. Die Suizidrate bei Männern zwischen 65 und 84 liegt bei 56.1, während die jüngeren Männer eine Rate zwischen 28 bis 37.6 aufweisen. Bei Männern über 85 ist die Suizidrate sogar 109.1. Alte Frauen töten sich sehr viel seltener selbst als Männer, dennoch steigt auch bei ihnen die Suizidrate mit dem Alter an.19 Die Motive, Auslöser und Einflussfaktoren für den Alterssuizide sind hauptsächlich psychische Erkrankungen wie Depressionen, schwere körperliche Erkrankungen, die schmerzhaft und chronisch verlaufen und kritische Lebensereignisse wie Partnerverlust oder Wohnungswechsel.20 Vermutlich liegen die Raten für Suizidversuche und Suizidgedanken sehr viel höher. Besonders im hohen Alter muss mit eine hohe Rate larvierter Suizide, verdeckte Suizide mit autodestruktivem Verhalten wie Nahrungs- oder Medikamentenverweigerung, gerechnet werden.

Unter Somatisierungsstörungen oder somatoformen Störungen werden körperliche Symptome verstanden, die ohne organische Ursachen auftreten. Psycho-soziale Ursachen können ganz unterschiedliche körperliche Symptome verursachen, häufig jedoch im kardiovaskulären System, im Gastrointestinaltrakt, Urogenitaltrakt und den Atmungsorganen. Stehen bei den Beschwerden chronische Schmerzen im Fordergrund, spricht man von somatoformen Schmerzstörungen.

Somatisierungsstörungen treten bevorzugt bei jungen Frauen auf. Möglicherweise ist dieses Phänomen jedoch im Alter ebenso wichtig, wird aber weniger häufig als Somatisierungsstörung erkannt. Die Prävalenz abdomineller Schmerzen liegt bei selbständig lebenden 65 bis 93 Jährigen bei 24.3 % und nur bei 10.9% wurde eine funktionelle Dyspepsie festgestellt.21 Die Häufigkeit, mit der somatoforme Störungen in der Normalbevölkerung auftreten schwankt je nach Autoren beträchtlich zwischen unter 1% bis über 50%.22 Im Alter, besonders bei Multimorbidität und Altersbeschwerden, ist eine Differenzialdiagnose für somatoforme Störungen ausserordentlich schwierig und aus diesem Grund kann von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.

Die Wahrscheinlichkeit wenigstens einmal ein traumatisches Erlebnis gehabt zu haben, steigt mit der Anzahl bereits gelebter Lebensjahre. Zudem können die Folgen von in jüngeren Jahren erlebten Traumata bis ins hohe Alter wirken und traumatische Erlebnisse werden auch nur schwer vergessen. Es gibt Menschen, die in der Jugend oder dem jungen Erwachsenenalter traumatische Erlebnisse hatten, ohne entsprechende Symptome zu zeigen. Erst im Intervall von Jahrzehnten entwickelt sich die Posttraumatische Belastungsstörung und zwar im Laufe des Altersprozesses. Dieses Phänomen wird mit dem Begriff Trauma-Reaktivierung bezeichnet.23 Sehr eindrücklich konnte dies beim Beginn des Golfkrieges 1991 beobachtet werden. Alte Menschen, die während dem 2.

[...]


1. Lipowski, Z.J. (1988). Somatization: the conzept and its clinical application. Psychiatry, 145: 1358 – 1368

2. Sack M. et al. (1998). Diagnostik und Therapie der Somatisierungsstörungen und undifferenzierten Somatisierungsstörungen – ein Übersicht zur empirischen Literatur. Zeitschrift für psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 3: 214 – 132

3. Heuft, G. und Schneider, G. (2004). Psychosomatik und Psychotherapie im Alter in Enzyklopädie der Gerontologie

4. www.de.wikipedia.org/wiki/psychosomatik

5. von Uexküll, Th. und Wesiack W. (2003). Integrierte Medizin als Gesamtkonzept der Heilkunde: ein bio-psycho-soziales Modell. In Uexküll, Psychosomatische Medizin

6. www.mediwiki.uni-koeln.de/uploads/f/fb/TJ-Psychosomatik.pdf

7. Danzer, G. (1994). Eros und Gesundheit. Psychosomatik, die Medizin von morgen, Berlin

8. Heuft.G, Kruse. A., Radebold H.: Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie, UTB, 2006

9. Berlinder Altersstudie, Mayer et al 1996

10. Gunzelmann, T., Schuhmacher, J., Brähler, E. (2002). Prävalenz von Schmerzen im Alter: Ergebnisse repräsentativer Befragungen der deutschen Altenbevölkerung mit dem Giessener Beschwerdenbogen. Der Schmerz, 4: 249 – 254

11. Böttcher, H. und Saal, I. (2005). Depression im höheren Lebensalter, Grin Verlag

12. Spini, D. (2006). Frail Elderly. In Birren, J.E. Encyclopedia of Gerontology

13. Heuft.G, Kruse. A., Radebold H.: Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie, UTB, 2006

14. Baltes, P.B. und Mayer, K.U. (1999). Berliner Altersstudie

15. Heuft.G, Kruse. A., Radebold H.: Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie, UTB, 2006

16. Kringler, W. (2001). Prävalenz depressiver Störungen bei Patienten mit Schlaganfall, Zt. für Neurophysiologie 12: 4 J.Dominguez, Vertiefungsarbeit Gerontologie Modul C 6

17. Bronisch T: Suizidalität In: H.J. Möller et al. Psychiatrie und Psychotherapie, Springer, Berlin 2000

18. Heuft.G, Kruse. A., Radebold H.: Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie, UTB, 2006

19. www.psychologie.unizh.ch/klipsa/team/uspiegel/lehre/sose06/documents/Reader Homepage.pdf

20. Erlenmeier, N. (1992): Suizidalität im Alter. Kohlhammer

21. Heuft.G, Kruse. A., Radebold H.: Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie, UTB, 2006

22. http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/589/

23. Heuft.G, Kruse. A., Radebold H.: Lehrbuch der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie, UTB, 2006

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Bedeutung der Psychosomatik im hohen Alter
Hochschule
Institut Universitaire Kurt Bösch  (INAG)
Veranstaltung
Universitäres Nachdiplom in interdisziplinärer Gerontologie
Note
"keine"
Autor
Jahr
2007
Seiten
6
Katalognummer
V116530
ISBN (eBook)
9783640184644
Dateigröße
364 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bedeutung, Psychosomatik, Alter, Universitäres, Nachdiplom, Gerontologie
Arbeit zitieren
Judith Dominguez (Autor:in), 2007, Bedeutung der Psychosomatik im hohen Alter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116530

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