1 Einleitung
Das Nibelungenlied ist eines der ältesten Zeugnisse deutscher Sprache. Es trägt mit der Figur der mächtigen Königin Brünhild einen Mythos in sich, der bis heute wahrscheinlich wegen seiner Widersprüchlichkeit fasziniert. Vor allem die Figur der Brünhild ist gerade in der Gegenwart so interessant, denn sie ist eine Frau [und] repräsentiert ihr Geschlecht.1
In den meisten mittelalterlichen Texten spielt die Frau eine eher passive Rolle. So fungiert sie zum Beispiel in den Artusromanen als Auslöser für das Abenteuer eines Helden oder wird in der Minnelyrik von einem Ritter angehimmelt. Der Frau selbst wird aber meist keine aktive Handlung zutei, mit der sie ihr Leben autonom bestimmen könnte.
Brünhild im Nibelungenlied dagegen scheint nicht in diese stereotype Frauenrolle zu passen. Sie ist Alleinherrscherin auf Island und will sich ihren zukünftigen Mann selbst aussuchen, indem sie alle Bewerber zum Kampf au ordert. Hagen geht sogar soweit, sie als Teufelsweib zu bezeichnen:
Der ir dâ gert ze minnen, diu ist des tíuvéles wîp.2 (Die Dame, die ihr lieben wollt, ist ein Teufelsweib.)
So spricht Hagen zu Gunther kurz vor der Wettkampfszene auf Isenstein.
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Rolle Brünhilds im Nibelungenlied und versucht zu klären, ob es sich bei der Königin von Island tatsächlich um ein Teufelsweib (tíuvéles wîp) oder nicht vielleicht doch um eine hö sche Dame handelt. Sind die Gegensätze zwischen der Brunhild of Islant and the Brunhild of Worms3 wirklich so groÿ, oder gibt es doch Eigenschaften, welche die beiden Brünhilds verbinden?
Dabei werden chronologisch, dem Nibelungenlied entsprechend, ihre Rollen auf Isenstein und am Wormser Hof näher beleuchtet, wobei die letztere Rolle noch einmal unterteilt betrachtet wird: zunächst ihr Verhalten in der Brautnacht, danach das während des Streits mit Kriemhild. Hierbei sollen Dartsellungen Brünhilds in anderen Werken oder mündlichen Sagentraditionen weitgehend unbeachtet bleiben.
Zunächst soll jedoch der Blick darauf gerichtet werden, wie Brünhild vom Erzähler des Nibelungenlieds vorgestellt wird.