Von der Uneindeutigkeit des Geschlechts

Die soziale Konstruktion von Geschlechtern durch die Gesellschaft am Beispiel von handwerklichen Berufen


Hausarbeit, 2021

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Entstehung von Geschlechtern
2.1 Die Alltagsannahme der Zweigeschlechtlichkeit
2.2 Geschlecht und Geschlechtsstereotype als soziales Konstrukt der Gesellschaft

3. Geschlechterungleichheit am Beispiel von handwerklichen Berufen
3.1 Statistische Verteilung
3.2 Ursachen

4. Möglichkeiten und Chancen für die Soziale Arbeit

5. Persönliches Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Frauen im Handwerk: Die glückliche Minderheit“ (DHKT 2021: 1), diese Pressemittleitung aus dem Handwerk macht aufgrund des Widerspruches in sich neugierig. Wie ist es möglich, dass Frauen in handwerklichen Berufen glücklich sind und trotzdem eine derartige Minderheit in diesem beruflichen Sektor darstellen? Eine Studie des Zentralverbands des Deutschen Handwerks kam zu dem Ergebnis, dass der Anteil von Frauen im Handwerk insgesamt bei 36% im Jahr 2019 lag (vgl. Rimpler 2019: 1). Tatsache ist, dass es keine Berufe gibt, die ausschließlich für ein bestimmtes Geschlecht geschaffen wurden. Trotzdem ist es noch heute so, dass die meisten Wirtschaftsbereiche in denen Frauen unterrepräsentiert sind, die sogenannten MINT-Bereiche, wie beispielsweise Elektro, Bauwirtschaft oder Metall, von dem männlichen Geschlecht dominiert werden (vgl. ZDH 2021: 1).

Die genannte Statistik bringt eine gravierende Geschlechterungleichheit im Handwerk zum Ausdruck und war damit der Anlass, mich mit dem Thema der sozialen Konstruktion von Geschlechtern durch die Gesellschaft am Beispiel von handwerklichen Berufen zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang lautet die Fragestellung der vorliegenden Hausarbeit: Inwiefern besteht eine Geschlechterungleichheit in handwerklichen Berufen? Welche Ursachen können einer Geschlechterungleichheit zu Grunde liegen? Mit dieser Arbeit soll keine pauschalisierte Antwort bezüglich der Ursachen erzielt, sondern vielmehr Ansätze vorgestellt werden, die erklären, wie sich eine anhaltende Geschlechterungleichheit, entwickeln konnte.

Dazu werde ich zunächst definieren, was unter Geschlechtern zu verstehen ist und auf die Alltagsannahme der Zweigeschlechtlichkeit eingehen. Anschließend wird dargelegt, welchen Einfluss die Gesellschaft auf die Konstruktion von Geschlechtern hat und wie sich dieser Einfluss auf die Einordnung in Geschlechterkategorien und -stereotypen auswirkt. Ferner wird die Geschlechterungleichheit am Beispiel von handwerklichen Berufen thematisieren, indem neben statistischen Verteilungen auch auf die Frage eingegangen wird, welche Ursachen für die Ungleichverteilung vorliegt. Des Weiteren ist es mir ein wichtiges Anliegen, auf Chancen und Möglichkeiten durch die Soziale Arbeit einzugehen und abschließend in einem persönlichen Fazit und Ausblick, die erarbeiteten Ergebnissen der statistischen Verteilung und den Ursachen zur sozialen Konstruktion der Geschlechterungleichheit in handwerklichen Berufen in Zusammenhang zu bringen.

2. Zur Entstehung von Geschlechtern

Es ist gesellschaftlich verankert, sich bei der Begriffsbestimmung von Geschlechtern zunächst auf das männliche und das weibliche Geschlecht zu stützen. So bezieht sich eine Definition von Geschlechtern auf die „Gesamtheit der Merkmale, wonach ein Lebewesen in Bezug auf seine Funktion bei der Fortpflanzung meist eindeutig als männlich oder weiblich zu bestimmen ist.“ (Duden 2021: 1). Doch das binäre Geschlechtsmodell schließt damit Menschen aus, die sich nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen möchten, können oder wollen. Seit dem Jahr 2019 ist es möglich, dass sich Personen auf dem Standesamt neben „männlich“ und „weiblich“ nun auch offiziell als „divers“ eintragen lassen können. Damit stellt das dritte Geschlecht für viele Menschen eine wichtige Möglichkeit dar, sich nicht in dem binären Geschlechtsmodell einordnen zu müssen (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2021: 1). In der vorliegenden Hausarbeit wird sich aufgrund der Studienlage und der wissenschaftlichen Quellen allerdings auf die binären Geschlechter bezogen.

2.1 Die Alltagsannahme der Zweigeschlechtlichkeit

Menschen, die der westlichen Kultur angehören, unterliegen primär der wenig hinterfragten binären Differenzierung in Mann und Frau durch die biologisch begründete, dichotome Geschlechtszuschreibung. „Welches Geschlecht eine Person hat, muss gemäß dieser Alltagsannahmen erstens im Umgang erkennbar sein (Eindeutigkeit), zweitens körperlich begründet sein (Naturhaftigkeit), und drittens ist sie angeboren und nicht veränderbar (Unveränderbarkeit).“ (Hahn 2008: 64) Somit wurden Personen von Geburt an aufgrund ihrer Genitalen in die zwei Kategorien „Mann“ und „Frau“ eingeordnet, welcher sie ihr Leben lang angehören. In den 1960er Jahren reagierten angloamerikanische Feministinnen auf die Einordnung des binären Geschlechtsmodells mit einer begrifflichen Unterscheidung von Geschlecht in „sex“ und „gender“. „Sex“ beschreibt hierbei das auf anatomischer Basis vermeintlich eindeutige biologische Geschlecht, während sich „gender“ auf die soziale Zuschreibung von Geschlecht bezieht, die in der Interaktion mit anderen ausgehandelt wird. Die Abgrenzung in „sex“ und „gender“ schien anfänglich sehr sinnvoll (vgl. Küppers 2012: 4). „Sie enttarnte gender als soziales Konstrukt und deckte auf, dass dichotome Geschlechterzuschreibungen, Geschlechterrollen und Hierarchisierungen historisch entstanden sind und durch gesellschaftliche Strukturierungen, Aushandlungen und Bedeutungszuschreibungen zustande kommen.“ 2 (Küppers 2012: 4) Allerdings brachte dieser neue Denkansatz auch Schwächen zum Vorschein, denn durch die Erklärung „sex“ anhand von Geschlechterunterschieden zu kategorisieren, wurde sich nach wie vor auf die anatomische, biologische Einordnung von „Mann“ und „Frau“ bezogen (vgl. Küppers 2012: 4). Hierzu erklärte die Gendertheoretikerin Judith Butler, dass die Zuschreibung und Einordnung in binäre Geschlechter durch soziale Prozesse begründet ist. Zusätzlich wurden Stimmen der Neurowissenschaft laut, die über Wechselwirkungen zwischen Psychologie und Biologie aufmerksam machten, wodurch das Geschlecht nicht isoliert betrachtet werden könne, sondern immer in Wechselwirkung mit der Gehirnstruktur, Hormonen und anderen sozialen Faktoren steht (vgl. Abdul- Hussain 2014: 1). Zusammenfassend können die Begriffe „sex“ und „gender“ gleichermaßen als soziokulturell konstruiert betrachtet werden. „sex (has) been gender all along.“ (Butler 1990: 8)

2.2 Geschlecht und Geschlechtsstereotype als soziales Konstrukt der Gesellschaft

Eine These des „doing gender“ besagt, dass Geschlecht etwas ist, was die Menschen tun, anstatt etwas, das ihnen zu eigen ist oder das sie besitzen (vgl. Küppers 2012: 5). „Doing gender“ ist ein Konzept der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung und beleuchtet anhand von Handlungstheorien die soziale Konstruktion von Geschlechtern durch die Gesellschaft. Individuen einer Gesellschaft schreiben sich demnach durch Normen und Regeln gegenseitig Geschlechterrollen zu und geben diese generationsübergreifend weiter. „Doing Gender“ beschreibt also einen Effekt durch soziale Prozesse und klärt darüber auf, die Geschlechtszugehörigkeit unabhängig von Wesensmerkmalen und Eigenschaften zu betrachten (vgl. Gildemeister 2008: 167). An alltäglichen Beispielen lässt sich demonstrieren, wie „doing gender“ durch das gesellschaftliche Handeln und ihre Wahrnehmung umgesetzt wird. Jede Person ist in gewisser Weise gesellschaftlich befähigt einer anderen Person ein Geschlecht zuzuschreiben, dies geschieht über alltägliche Handlungen. Wenn einer Person kein Geschlecht zugeordnet werden kann, kann das wiederum zu handlungspraktischen Problemen führen. Die Einordnung in Geschlechtskategorien geschieht beispielsweise über Kleidung, Stimme, Mimik oder Gestik. Durch die eigene Verkörperung mit Hilfe eben genannter Ressourcen kommt es zu einem Darstellungsprozess, welcher zu einer sozialen Wirklichkeit wird und in einem zirkulären Prozess endet. Durch konventionell genutzte Objekte, wie zum Beispiel der Lippenstift, welcher überwiegend traditionell von Frauen verwendet wurde, wird dem Lippenstift ein feminines Attribut zugeschrieben, wodurch der Lippenstift und ihr:e Nutzer:innen automatisiert verweiblicht werden (vgl. Küppers 2012: 5). Gleichzeitig wird von Interaktionspartner:innen eine Geschlechtszuordnung dieser Person aufgrund der Lippenstiftnutzung vorgenommen. Ist die Geschlechtszuschreibung erfolgt, werden die vermeintlich „richtigen“ Genitalien unterstellt, da sie nicht erkennbar sind. Können Interaktionspartner:innen kein eindeutiges Geschlecht zuordnen, kann das wiederum zu den angesprochenen handlungspraktischen Problemen führen. Probleme können beispielsweise aufgrund einer Blamage durch eine Verwechslung oder einer unangenehmen Situation für den/die Verwechselte entstehen, der/die aus der anerkannten Ordnung eindeutiger Geschlechter ausgegrenzt wird. Insgesamt ist das Geschlecht somit ein Effekt sozialer Prozesse. Die Geschlechtszuschreibung erfolgt durch die alltägliche Wahrnehmung von Personen und ihrer sozialen Interaktion. Daraus entstehen die soziale Wirklichkeit und das Geschlecht als soziales Konstrukt (vgl. Küppers 2012: 5).

Wenn über die Geschlechtszuordnung durch gesellschaftliche Interaktionsprozesse gesprochen wird, ist es ebenfalls interessant, die Auswirkungen von Geschlechterstereotype, hier am Beispiel von Berufen, zu betrachten. „Geschlechterstereotype beschreiben Ansichten über das Verhalten und die Eigenschaften von Männern und Frauen. Das Komponentenmodel versteht Geschlechterstereotype als eine Reihe von Assoziationen zwischen Geschlechterkennzeichnungen (d. h. weiblich, männlich) und geschlechtsbezogenen, kontextspezifischen Überzeugungen.“ (Boll et. al. 2015: 25) Es ist wichtig zu ergänzen, dass durch Stereotype, Entscheidungen von Personen auf Grundlage von wahrgenommenen und zugeschriebenen Merkmalen und nicht den tatsächlichen Eigenschaften getroffen werden. Frauen werden demnach häufig mit geschlechterstereotypen Eigenschaften wie dankbar, rücksichtsvoll, friedlich, konfliktfähig oder auch beruhigend beschrieben, während Männern Attribute wie selbstbewusst, sorglos, unverwundbar oder systematisch zugeschrieben werden. Die Entstehung dieser Stereotype zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten und hängt neben soziologischen Variablen auch von den Massenmedien, der Erziehung, geschlechtertypischem Spielzeug, Peergruppen und weiteren Faktoren ab. Viel wichtiger als die Entstehung ist im Zusammenhang mit der sozialen Konstruktion des Geschlechts die Tatsache, dass sich die Prozesse der Geschlechterstereotype auf die Übernahme von Geschlechterrollen und 4 berufliche Entscheidungen aufgrund von Stereotypen auswirken (vgl. Boll et al. 2015: 24ff.) Um auf das Beispiel der Berufe zurückzukehren ist zu erwähnen, dass Menschen eigene Berufsstereotype bilden können. Das passiert, indem eigene Berufsbilder verallgemeinert werden und diese geschlechtsstereotype Zuschreibungen erhalten. Gründe für geschlechtsstereotype Berufsbilder können unbewusste Informationen aus der Umwelt, Praktika, allgemeine Beobachtungen, das eigene Umfeld oder schulische Lernangebote sein. Ebenfalls tragen männlich oder weiblich klingende und konnotierte Berufsbezeichnungen oder Berufsbeschreibungen zur Stereotypisierung von beruflichen Entscheidungen bei (vgl. Boll et al. 2015: 26ff.). Als Beispiel könnte hier der Beruf des „Zimmermanns“ oder der Beruf der „Krankenschwester“ angeführt werden.

In diesem Kapitel wird insgesamt deutlich, dass nicht nur die Geschlechtszuschreibung von Individuen durch soziale Interaktion und Handlungen, sondern auch Geschlechterstereotype mit geschlechtsbezogenen Überzeugungen, gesellschaftlich konstruiert werden.

3. Geschlechterungleichheit am Beispiel von handwerklichen Berufen

Wie bereits der Anfang dieser Hausarbeit verlauten ließ, sind Frauen, die einem handwerklichen Beruf nachgehen zwar meist glücklich, allerdings auch stark unterrepräsentiert. Die Ungleichheit betrifft sowohl das gesamte Beschäftigungssystem des Handwerks, als auch dessen System der dualen Ausbildung. Berufseinsteigerinnen interessieren sich überwiegend für Berufe der kaufmännischen Branche oder des Dienstleistungssektors wie Fachrichtungen der Pflege, Erziehung oder Bürotätigkeiten (vgl. Gelzer et al. 2015: 1). Wenn vom Handwerk gesprochen wird, so bedarf es zusätzlich einer definitorischen Eingrenzung. Während des Mittelalters hatte das Handwerk einen besonders hohen Stellenwert, der allerdings aufgrund veränderter Lebens- und Arbeitsweisen oder dem technischen und ökonomischen Wandel bis heute abgenommen hat. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive werden handwerkliche Betriebe dem „[...] produzierendes Handwerk, dem verarbeitenden Gewerbe bzw. dem Baugewerbe und als Dienstleistungshandwerk dem Handel sowie sonstigen selbständigen Gewerbetreibenden [.] zugeordnet. (Glasl et al. 2008: 4) Auch wenn keine allgemeingültige Begriffsbestimmung besteht, können wichtige Kennzeichen für einen handwerklichen Betrieb ausgemacht werden. So kann das Handwerk weder eindeutig den Sachleistungsbetrieben noch den Dienstleistungsbetrieben zugerechnet werden, vielmehr 5 liegt die Branche zwischen diesen beiden Sektoren. Handwerker:innen arbeiten überwiegend an spezialisierten Leistungen, die nach den persönlichen Wünschen der Kund:innen ausgerichtet sind. Die technische Perspektive sieht als weiteres Merkmal die Erstellung eines Erzeugnisses durch eigene Handarbeit vor, auch wenn sich die Tätigkeiten im Laufe der Jahre durch neues technisches Equipment gewandelt hat. Aus soziologischer Sicht darf sich jede/r zum Handwerk zählen, der oder die das eigene Handwerk als Arbeit ansieht und eine entsprechende Prüfung zur Ausübung des Berufes abgelegt hat (vgl. Glasl et al. 2008: 5ff.).

Wie die genaue statistische Verteilung in der handwerklichen Branche aussieht und welche Ursachen hierfür zu Grunde liegen, die im Zusammenhang vorangegangener Kapitel stehen, wird in den nachfolgenden Abschnitten erläutert.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Von der Uneindeutigkeit des Geschlechts
Untertitel
Die soziale Konstruktion von Geschlechtern durch die Gesellschaft am Beispiel von handwerklichen Berufen
Hochschule
Hochschule Bremen
Note
1,5
Autor
Jahr
2021
Seiten
15
Katalognummer
V1167104
ISBN (Buch)
9783346576538
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gender, Diversity, Konstruktion, Diversität, Handwerk, Frauen, Männer, Gesellschaftliche Konstruktion, Handwerkliche Berufe, Soziale Konstruktion, Uneindeutigkeit des Geschlechts
Arbeit zitieren
Beke Ernst (Autor:in), 2021, Von der Uneindeutigkeit des Geschlechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1167104

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Im eBook lesen
Titel: Von der Uneindeutigkeit des Geschlechts



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden