Statistische Denkprozesse bei Schülern der Sekundarstufe 1 im Stochastikunterricht

Aufgabenkonstruktion zur Analyse


Examensarbeit, 2017

88 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorie
2.1 Relevante Konzepte und Theorien
2.2 Stochastik
2.2.1 Historischer Hintergrund
2.2.2 Begriffsklärung
2.2.2.1 Statistik
2.2.2.2 Wahrscheinlichkeitstheorie
2.2.3 Stochastik im Alltag
2.2.4 Stochastik in der Schule
2.3 Grundvorstellungen in der Mathematik
2.3.1 Mathematische Grundbildung
2.3.2 Begriffslernen
2.3.3 Grundvorstellungen
2.3.4 Grundvorstellungen zum Wahrscheinlichkeitsbegriff
2.3.5 Modellieren
2.4 Entdeckendes Lernen
2.4.1 Das Unterrichtsprinzip
2.4.2 Materialnutzung
2.4.3 Simulieren
2.5 Mentale Modelle
2.6 Zusammenfassung und Forschungsfragen

3. Methode
3.1 Qualitative Forschungsmethode
3.2 Stichprobe
3.3 Versuchsmaterial
3.3.1 Aufgaben
3.3.2. Leitfadeninterview
3.4 Versuchsablauf

4. Auswertung
4.1 Auswertung nach Kategorien
4.2 Aufgabe 1: Murmelaufgabe
4.3 Aufgabe 2: Papierkugeln
4.4 Aufgabe 3: Sammelkarten
4.5 Aufgabe 4: Süßigkeitenschalen

5. Diskussion

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang
Aufgabe 1: Murmelaufgabe
Aufgabe 2: Papierkugeln
Aufgabe 3: Sammelkarten
Aufgabe 4: Süßigkeitenschale

1. Einleitung

Was ein Punkt, ein rechter Winkel, ein Kreis ist, weiß ich schon vor der ersten Geometriestunde, ich kann es nur noch nicht präzisieren. Ebenso weiß ich schon, was Wahrscheinlichkeit ist, ehe ich es definiert habe (Freudenthal 1975: 7).

Dieses Zitat stammt von Hans Freudenthal (1905-1990), einem Mathematikdidaktiker aus den Niederlanden. Obwohl Kinder mathematische Begriffe noch nicht definieren oder benennen können, kann man davon ausgehen, dass durch die alltägliche Begegnung mit der Mathematik schon viele Voraussetzungen für mathematisches Verständnis geschaffen werden. Stochastik ist nicht etwas, was man nur in der Schule lernen kann, sondern durch die Anwendung wirklichkeitsnaher Mathematik.

Heutzutage gibt es kaum einen Bereich, in dem wir nicht mit statistischen Daten konfrontiert werden. Ziel der Statistik ist die Erfassung, Auswertung und Interpretation von Daten, welche Informationen über die Gesamtheit bzw. Teilpopulationen geben - oder kurz: die Aufdeckung von Zusammenhängen.

Jedoch können Daten, Grafiken und Statistiken leicht manipuliert werden. So ist es die Aufgabe eines eigenverantwortlichen Bürgers, solche Statistiken mit einem kritischen und reflektierten Blick zu betrachten. In der Schule sollen die Kinder zu solchen mündigen und selbstständigen Menschen erzogen werden. Da Schülerinnen und Schüler im alltäglichen Leben schon mit statistischen Daten konfrontiert werden, ist es wichtig, an die individuellen Erfahrungen dieser anzuknüpfen und Anwendungs­bezüge herzustellen. So wird gewährleistet, dass statistisches Wissen optimal vermittelt und verstanden wird.

Da Kinder schon durch ihre eigenen Erfahrungen mit Statistik im Alltag Vorwissen mitbringen, ist es interessant zu erfahren, wie sie Aufgaben lösen, bevor sie in der Schule in statistischen Bereichen unterrichtet wurden.

Diese Arbeit mit dem Thema „Aufgabenkonstruktion zur Analyse statistischer Denkprozesse bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 im Stochastik­unterricht“ hat zum Ziel, Denkprozesse junger Menschen beim Lösen statistischer Aufgaben zu erfassen und zu beschreiben. Hierzu werden eigene Aufgaben konstruiert, mit denen die Kinder konfrontiert werden. Außerdem ist es interessant zu erfahren, wie selbige reagieren, wenn sie aktiv mit dem Material der jeweiligen Aufgabe handeln können und ob gegebene Antworten revidiert werden.

Die Arbeit ist in vier große Bereiche unterteilt: Im ersten Kapitel werden die wichtigsten theoretischen Aspekte aufgezeigt. Hierzu gehören relevante Konzepte und Theorien, Grundlagen der Stochastik, Grundvorstellungen in der Mathematik, das Prinzip des entdeckenden Lernens und mentale Modelle.

Im zweiten Teil wird die eigene Forschungsmethode vorgestellt. Es wird zunächst ein kurzer Vergleich von qualitativer und quantitativer Forschung gezogen und anschließend die Stichprobe, das Versuchsmaterial und die Versuchsdurchführung erläutert.

Der dritte Teil der Arbeit befasst sich mit der Auswertung der durchgeführten Untersuchung. Hierbei werden die konstruierten Aufgaben getrennt voneinander analysiert und die Denkprozesse der Schülerinnen und Schüler aufgezeigt.

Im letzten Teil werden in der Diskussion die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und die zuvor formulierten Forschungsfragen beantwortet. Anschließend wird mit dem Fazit abgeschlossen.

2. Theorie

Im folgenden Kapitel werden die wichtigsten theoretischen Aspekte aufgezeigt. Hierzu werden zunächst bestehende Konzepte und Theorien vorgestellt, Begriffe der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie geklärt und die Bedeutung von Stochastik in Alltag und Schule aufgezeigt. Außerdem wird die Wichtigkeit von mathematischer Grundbildung im Hinblick auf Grundvorstellungen, das Prinzip des entdeckenden Lernens und die Bedeutung mentaler Modelle erläutert.

2.1 Relevante Konzepte und Theorien

Um die Denkprozesse bei Schülerinnen und Schülern in dieser Arbeit analysieren zu können, muss zunächst geklärt werden, wie kognitive Entwicklung bei Kindern stattfindet und welche bedeutsamen Theorien dazu aufgestellt wurden.

Die wohl bekannteste Theorie stammt von Piaget. Dieser formulierte ein Stufenmodell, bei dem Anlage und Umwelt die kognitive Entwicklung von Kindern beeinflusst. Laut Piaget durchlaufen Kinder vier Stufen, in denen bestimmte Strategien und Fähigkeiten erlernt werden. Dabei können Kinder bestimmten Alters nur auf die Strategien und Problemlösefähigkeiten der Stufe zurückgreifen, in der sie sich gerade befinden (vgl. Siegler 2001: 35ff).

Siegler stellt das Stufenmodell Piagets in Frage und formuliert daraufhin die Theorie der überlappenden Wellen. Diese besagt, dass Kinder eines bestimmten Alters nicht nur eine Methode zum Lösen von Problemen verwenden, sondern eine Vielzahl an Herangehensweisen nutzen. Mit zunehmendem Alter entwickeln Kinder immer mehr Strategien, zwischen denen sie flexibel wählen können. Hierbei werden Methoden, die zur erfolgreichsten Lösung führen, ausgebaut und beim nächsten Problem wieder herangezogen und solche, die zu zeitaufwändig sind oder nicht das gewünschte Ergebnis bringen, verworfen und durch effizientere Verfahren ersetzt. Durch die Anwendung verschiedener Strategien wird die Problemlösefähigkeit bei Kindern ausgebaut und Denkprozesse weiterentwickelt. Sie können sich durch die Variabilität der Strategien besser an die wechselnden Herausforderungen des Lebens anpassen. Bereiche, bei denen Kinder mehrere Strategien zur Lösung eines Problems verwenden, sind beispielsweise Kopfrechnen, Zeitangaben oder wissenschaftliches Experimentieren (Siegler et al. 2011: 149f).

Durch Sieglers Theorie der überlappenden Wellen wurde deutlich, dass Kinder beim Problemlösen mehrere Strategien nutzen. Eichler und Vogel untersuchten in einer Studie mögliche Denkprozesse, die Kinder beim Lösen von statistischen Aufgaben durchlaufen. Dabei wurden Kinder befragt, die in der Schule noch nicht mit statistischen Bereichen konfrontiert wurden. Im Zentrum der Analyse stand insbesondere, inwieweit Aspekte statistischen Denkens genutzt werden und welches Wissen die Kinder aufgrund von Alltagserfahrungen mitbringen. Durch bestimmte Aufgaben wurden die Schülerinnen und Schüler dazu angeregt, Entscheidungen im Hinblick auf Vergleich und Vorhersage zu treffen. Die Aufgaben, die für die Studie entwickelt wurden, sind verschiedenen Schwierigkeitsstufen zugeordnet. Diese unterscheiden sich im Hinblick auf gegebene bzw. nicht-gegeben Objekte und Daten und ob eine Vorhersage zukünftiger Ereignisse durch mentale Simulation von den Kindern gefordert wird (vgl. Vogel und Eichler 2013: 777- 785).

Innerhalb eines umfassenden Forschungsprojekts wurden zwei Studien mit zwei unterschiedlichen Schülerstichproben durchgeführt. Zum einen wurde ein Fragebogen quantitativ ausgewertet, zum anderen ein Interview qualitativ analysiert. Die Ergebnisse ergaben, dass die Unterschiede zwischen vierten und sechsten Klassen gering sind. Bei Betrachtung der verschiedenen Schwierigkeitslevel wird deutlich, dass die Leistung der Schülerinnen und Schüler bei schwierigeren Aufgaben nachlässt. Zusätzlich nehmen die Kinder Eigenschaften von gegebenen Objekten unterschiedlich war und nicht alle erkennen statistische Aspekte, wie Zentrum und Streuung, sondern konzentrieren sich hauptsächlich auf Minimum und Maximum. Betrachtet man die mentale Simulation kann zwischen zufalls- und zufallsun­abhängigen Aussagen unterschieden werden (vgl. Eichler und Vogel 2012).

2.2 Stochastik

Im folgenden Kapitel wird ein kurzer Einblick zum geschichtlichen Hintergrund, zu wichtigen Begriffen der Stochastik, sowie zum Alltags- und Schulbezug gegeben.

2.2.1 Historischer Hintergrund

Schon vor Jahrtausenden wurden statistische Erhebungen durchgeführt, um die Verwaltung der Gesellschaft zu vereinfachen. Hierzu wurde beispielsweise die Anzahl der Bewohner, der Bodenschätze, des Landbesitzes oder des Viehbestandes statistisch erfasst. Solche Volkszählungen und Landesvermessungen, wie sie schon 3.000 v.Chr. durch die Pharaonen durchgeführt wurden, kann man unter dem Begriff der amtlichen Statistik zusammenfassen. Erst im 17. und 18. Jahrhundert ist auch von politischer Arithmetik und Universitätsstatistik die Rede. In der politischen Statistik versuchte man durch Geburtenhäufigkeiten und Sterbezahlen die Bevölkerungsentwicklung zu beobachten und zu dokumentieren. Erst in der Universitätsstatistik kam auch der wissenschaftliche Aspekt hinzu. Das Wort Statistik wurde erstmals von Gottfried Achenwall (1719-1772) in den Universitäten eingeführt, um die Verwaltung des Staates lehren zu können. Hier wurde Staatskunde unter den Gesichtspunkten Bevölkerung, Staatsform, Verwaltung und Finanzen unterrichtet. Durch die Entstehung der Wahrscheinlichkeitstheorie und das Entdecken neuer Verfahren beginnt die mathematische Statistik. Nun waren nicht mehr nur Gesamterhebungen interessant, sondern auch repräsentative Teilerhebungen, welche vor allem den zeitlichen Aufwand verringerten. Auf Grundlage von mathematischen Methoden konnte von einer Teilerhebung auf die Gesamtheit zurückgeschlossen werden und es entstand neben der rein deskriptiven Statistik schließlich die induktive Statistik (vgl. Kütting und Sauer 2014: 2-7).

In der heutigen Statistik geht es nicht mehr nur um die Beschreibung von Daten, sondern um deren Auswertung und kritische Betrachtung. Statistik und Wahrschein­lichkeit sind eng miteinander verkettet und werden unter dem Begriff der Stochastik zusammengefasst.

Den Ursprung der Wahrscheinlichkeitsrechnung findet man im 17. Jahrhundert bei Glücksspielen, welche hauptsächlich aus Würfelspielen bestanden. Um das Würfelproblem und das Teilungsproblem lösen zu können, wurden zahlreiche mathematische Theorien aufgestellt (siehe hierzu Kütting und Sauer 2014: 76-89). So entstand durch die Lösung von Anwendungsproblemen schließlich die Wahrschein­lichkeitstheorie, die auch heute noch bei stochastischen Problemen zum Einsatz kommt (vgl. Kütting und Sauer 2014, 2014: 76-89).

2.2.2 Begriffsklärung

Die Stochastik umfasst zwei große Teilbereiche der Mathematik: Die Statistik und die Wahrscheinlichkeitstheorie. Im Folgenden werden die wichtigsten Begriffe zu beiden Bereichen erläutert.

2.2.2.1 Statistik

Bei mathematischen Methoden unterscheidet man zwischen der beschreibenden bzw. deskriptiven Statistik und der schließenden bzw. induktiven Statistik .

Unter der beschreibenden oder deduktiven Statistik versteht man vor allem die Erfassung von Daten in Sachsituationen, sowie die Aufbereitung und die Interpretation gewonnener Daten (vgl. ebd.: 8). Dazu werden große, unübersichtliche Datensammlungen durch die Ermittlung von Mittelwerten und Verhältniszahlen komprimiert und die Betrachtung der Datenmenge vereinfacht. Die Untersuchung von Einzeldaten wird bei der deskriptiven Statistik weitestgehend vermieden (vgl. Müller und Poguntke 2015: 3).

Bei der Datengewinnung der beschreibenden Statistik können nie alle Eigenschaften erfasst werden. Es ist notwendig, sich auf bestimmte Beschaffenheiten der zu untersuchenden Objekte zu konzentrieren. Um Daten erheben zu können ist die Festlegung von Merkmalen, Merkmalsträgern und -ausprägungen zu berücksichtigen.

Unter einem Merkmalsträger versteht man die Objekte, meistens Personen, auf die sich die statistische Untersuchung bezieht. Diese Objekte werden nach bestimmten Eigenschaften, sogenannten Merkmalen untersucht. Ein Merkmal kann verschiedene Ausprägungen annehmen, die als Merkmalsausprägungen bezeichnet werden (vgl. Eichler und Vogel 2011: 4). So können beispielsweise alle Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse (hier: Merkmalsträger) nach dem Geschlecht (hier: Merkmal) untersucht werden. Dabei können Daten, wie weiblich oder männlich (hier: Merkmalsausprägungen) erfasst werden.

Merkmale können differenziert betrachtet werden. Dabei wird zwischen qualitativen Merkmalen, quantitativen Merkmalen und Rangmerkmalen unterschieden:

Qualitative Merkmale oder normalskalierte Merkmale sind Merkmale, die sich nicht in eine Reihenfolge bringen lassen, sondern gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Diese Merkmale lassen sich nicht messen oder miteinander in Vergleich setzen. Beispiele für solche Merkmale sind Haarfarbe, Beruf oder Geschlecht (vgl. Kütting und Sauer 2014: 11f).

Rangmerkmale oder ordinalskalierte Merkmale sind Merkmale, bei denen Vergleiche und Ranglisten aufgestellt werden können. Die Abstände zwischen den Ausprägungen sind jedoch nicht gleich und damit nicht mathematisch interpretierbar. Beispiele für Merkmalsausprägungen sind „gar nicht“, „manchmal“ oder „oft“ (vgl. ebd.).

Quantitative Merkmale oder metrische Merkmale sind Merkmale, bei denen die Merkmalsausprägungen reelle Zahlen beinhalten. Die Abstände zwischen den Werten sind gleich und mathematisch analysierbar. Bei diesen Merkmalen können Rechenoperationen, wie Summen- und Differenzbildung oder die Berechnung des arithmetischen Mittels durchgeführt werden, wodurch ein Vergleich unter den Merkmalen ermöglicht wird. Beispiele hierzu sind Körpergröße, Alter oder Einkommen (vgl. ebd.).

Sind die zu untersuchenden Daten erfasst, müssen diese strukturiert und aufbereitet werden. Die erhobenen Daten werden in einer Urliste, meistens der Größe nach, in eine Reihenfolge gebracht. Um eine Interpretation zu vereinfachen, können die gewonnenen Daten graphisch dargestellt werden. Beliebte Darstellungsformen sind Säulendiagramme, Stabdiagramme, Balkendiagramme, Kreisdiagramme, Punktdia­gramme, Histogramme oder Stängel-Blatt-Diagramme (siehe hierzu Eichler und Vogel 2011: 20-24).

Wurden die Daten mithilfe geeigneter Darstellungsformen strukturiert, wählt man passende Kennziffern, um umfangreiche Daten zu beschreiben und zu interpretieren. Mithilfe der Parameter können die Werte verschiedenster Erhebungen miteinander in Vergleich gesetzt werden. Zu den Kennwerten zählen Lage- und Streuungsmaße (vgl. Mittag 2016: 63).

Lagemaße geben Aufschluss über das Zentrum der Verteilung, wie beispielsweise das arithmetische Mittel, der Median und der Modalwert (vgl. ebd.: 64).

Das arithmetische Mittel, auch Durchschnitt oder Mittelwert genannt, zählt zu den bekanntesten Lagemaßen in Schule und Alltag. Es kann ausschließlich bei quantitativen Merkmalen ermittelt werden und benötigt keine Rangfolge der Daten. Das arithmetische Mittel wird gebildet, indem man die Summe aller Daten durch die Summe der Anzahl dieser Daten dividiert (vgl. ebd.: 65).

Der Median, oder auch Zentralwert genannt, liegt in der Mitte einer geordneten Datenreihe, welche Daten beinhaltet, die der Größe nach geordnet sind. Um den Median zu bestimmen, braucht es keine quantitativen Merkmale, es genügen Rangmerkmale. Ist der Median ermittelt, teilt dieser die Datenreihe so, dass mindestens 50% der Daten kleiner oder gleich und mindestens 50% der Daten größer oder gleich als der Median sind (vgl. ebd.: 64f).

Der Modalwert, auch Modus oder dichtester Wert genannt, gibt die Merkmalsausprägung an, die in der Datenreihe am häufigsten vertreten ist. Dieses Lagemaß ist bei allen drei Merkmalstypen anwendbar und einfach zu ermitteln. Da mehrere Werte am häufigsten vorkommen können, ist der Modalwert nicht immer eindeutig bestimmbar (vgl. Eichler und Vogel 2011: 25).

Streuungsmaße werden verwendet, um die Streuung der Werte einer Verteilung darzustellen. Hierzu zählen beispielsweise die Spannweite und der Quartilsabstand (vgl. Mittag 2016: 31).

Die Spannweite, oder Variationsbreite genannt , ist ein weit verbreitetes Streuungsmaß, welches die Differenz zwischen der größten und kleinsten Merkmalsausprägung angibt (vgl. ebd.: 32).

Durch den Quartilsabstand wird ein Bereich festgelegt, indem die Hälfte aller Daten liegen. Das unterste Quartil markiert den Bereich, in dem 25% der Werte liegen, die keiner als das unterste Quartil sind und das oberste Quartil den Bereich, in dem 25% der Werte liegen, die größer als das oberste Quartil sind. Der Quartilsabstand liegt zwischen dem untersten und obersten Quartil und beinhaltet auch den Median (vgl. ebd.: 32f).

Die schließende oder induktive Statistik untersucht, inwieweit man von der stichprobenartigen Datenmenge Rückschlüsse auf die Gesamtmenge ziehen kann. Sie schließt also von Teilen auf das Ganze. Die induktive Statistik ist immer mit Unsicherheiten behaftet, da sie sich mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Methoden befasst. Hat man es mit komplexen Vorgängen zu tun ist es sinnvoll hier den Zufall und wahrscheinlichkeitstheoretische Modelle zu unterstellen (vgl. Müller und Poguntke 2015: 65).

2.2.2.2 Wahrscheinlichkeitstheorie

Die Begriffe „Wahrscheinlichkeit“ und „Zufall“ haben in der Mathematik und im Alltag viele Bedeutungen. So sollen bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung Zukunftsvorher­sagen kalkulierbar und Prognosen zukünftiger Ereignisse aufgestellt werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Wahrscheinlichkeitsbegriffe vorgestellt und erklärt. Ein Zufallsexperiment beinhaltet Situationen über deren Ausgang Behauptungen aufgestellt werden. Der Ausgang eines Zufallsexperiments ist eines von vorher festgelegten Ergebnissen und kann einmalig oder mehrmals durchgeführt werden. Da nicht vorausgesagt werden kann, welches Ergebnis eintrifft, wird berechnet, wie wahrscheinlich das Auftreten der möglichen Ergebnisse ist (vgl. Büchter und Henn 2007: 160).

Die Ergebnismenge beinhaltet alle möglichen Ergebnisse, die beim Zufallsexperiment theoretisch eintreten können. Es können jedoch auch Ergebnismengen entstehen, bei denen die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einzelner Ausgänge sehr gering oder auszuschließen sind (vgl. ebd.: 162).

Ereignisse sind Teilmengen der Ergebnismenge und alle möglichen Ergebnisse eines Zufallsexperiments. Diese werden in der Ergebnismenge, auch Potenzmenge genannt, zusammengefasst (vgl. ebd. 163).

Es kann zwischen verschiedenen Wahrscheinlichkeitsansätzen und Zufalls­experimenten unterschieden werden:

Bei Laplaceexperimenten kann jedem einzutreffenden Ereignis die gleiche Wahrscheinlichkeit seines Eintretens zugeschrieben werden. Das bekannteste Beispiel ist der Spielwürfel, bei dem alle Seiten gleichgroß sind und damit auch die Wahrscheinlichkeit aller möglichen Ereignisse gleichwahrscheinlich ist. Laplace nimmt also an, dass bei einem Zufallsexperiment mit endlicher Ergebnismenge alle Ergebnisse gleichberechtigt sind. Man spricht auch von Gleichwahrscheinlichkeit (vgl. ebd. 167ff). Der Laplace Wahrscheinlichkeitsansatz ist ein theoretischer Ansatz a prio-ri und wird vor der Durchführung des Zufallsexperimentes angewandt (vgl. ebd.: 182).

Bei frequentistischen Wahrscheinlichkeiten ist die Laplace-Methode nicht anwendbar. Die Wahrscheinlichkeiten der Ergebnisse sind vor der Durchführung nicht bestimmbar und somit ist dieses Wahrscheinlichkeitskonzept ein empirischer Ansatz a posteriori (vgl. ebd.). Ein passendes Beispiel für die frequentistischen Wahrscheinlichkeiten ist der Riemer-Quader, ein Würfel, bei dem nicht alle Seiten gleichgroß sind. Nur durch die Wiederholung des Experimentes und die Beobachtung der relativen Häufigkeiten kann die Wahrscheinlichkeit der Ergebnisse ermittelt werden (vgl. ebd. 171f).

Bei frequentistischen Wahrscheinlichkeiten spielt auch das empirische Gesetz der großen Zahlen eine wichtige Rolle. Dieses besagt, dass sich mit steigender Versuchs­zahl die relativen Häufigkeiten der Ergebnisse stabilisieren. Man geht davon aus, dass bei einem Zufallsexperiment jedem Ergebnis eine bestimmte innewohnende Wahrscheinlichkeit, die objektive Wahrscheinlichkeit, zugeschrieben werden kann. Die ermittelten Wahrscheinlichkeiten sind jedoch niemals wirklich bekannt, sondern nur die eingependelten relativen Häufigkeiten (vgl. ebd.: 174-177).

Da manche Ereignisse nicht genügend wiederholbar sind und auch die Annahme der Gleichwahrscheinlichkeit nicht immer getroffen werden kann, wird noch ein weiteres Konzept vorgestellt: Der subjektive Wahrscheinlichkeitsansatz. Dies ist ein theoretischer Ansatz, bei dem häufig eigene Wünsche und Erfahrungen miteinfließen. Die Überzeugung für eine bestimmte Wahrscheinlichkeit kann daherkommen, dass ein anderes Ergebnis als unwahrscheinlich eingestuft wird. Die Bewertungen für Wahrscheinlichkeitsaussagen beruhen auf intuitiven Aspekten und subjektiven Erfahrungen (vgl. ebd. 179ff).

Alle vorgestellten Wahrscheinlichkeitskonzepte bieten die Möglichkeit, stochastische Probleme zu lösen. Um eine stochastische Situation optimal zu bewältigen, sollten alle Wahrscheinlichkeitsaspekte flexibel eingesetzt und angewandt werden.

Im Gegensatz zum stochastischen Ansatz steht der deterministische Ansatz, bei dem angenommen wird, dass ähnliche Ursachen auch ähnliche Wirkungen nach sich ziehen. Dieser deterministische Ansatz kommt meist bei Experimenten in der Physik zur Geltung. Es wird angenommen, dass beim mehrfachen Durchführen des gleichen Experimentes immer wieder gleiche oder ähnliche Ergebnisse beobachtet werden können (vgl. ebd.: 160f).

2.2.3 Stochastik im Alltag

Begriffe wie „Zufall“ und „Wahrscheinlichkeit“ begegnen uns nicht nur bei mathematischen Theorien, sondern auch im alltäglichen Leben. So liegt der Aussage „Was für ein Zufall, dass wir uns heute getroffen haben“ keine mathematische Berechnung zugrunde, sondern stellt eine normale Situation im Alltag dar. Im Leben werden wir häufig mit Statistiken oder Wahrscheinlichkeiten konfrontiert, denn fast überall wird mit Zahlen und Daten argumentiert: sei es am Arbeitsplatz, beim Lesen von Zeitungsartikeln, beim Radiohören oder beim Fernsehen. Der Zuhörer soll, meist durch anschauliche Grafiken, von etwas überzeugt werden. Immer mehr Entscheidungen und Vorhersagen in der Gesellschaft beruhen zudem auf der Analyse statistischer Daten. Die Aufgabe des Bürgers liegt darin, aus der Menge der Daten die wesentlichen Informationen herauszufiltern und kritisch zu betrachten (vgl. ebd.: 15).

Auch Kinder sammeln im alltäglichen Leben Erfahrungen mit stochastischen Situationen. So kann beispielweise die Abwägung, wie wahrscheinlich es ist, den Bus noch zu erwischen, eine Schätzung für das Eintreffen möglicher Ereignisse sein. Außerdem werden Kinder auch bei Karten-, Brett- oder Würfelspielen mit Wahr­scheinlichkeiten und Daten konfrontiert. Aussagen, wie „Es ist so unwahrscheinlich, dass ich jetzt eine 6 würfle, wenn ich sie brauche“ oder „Immer wenn ich auf Kopf setze, wird Zahl geworfen“ sind keine seltenen. Kinder werden schon früh mit stochastischen Begriffen konfrontiert und bauen ihre eigenen Vorstellungen, welche eng mit den eigenen Erfahrungen verwurzelt sind, auf. Ohne die fachlich korrekten mathematischen Begriffe zu kennen, können Kinder auf Grundlage von Daten argumentieren und handeln. Erst im Mathematikunterricht lernen sie, wie bestimmte Begriffe definiert werden.

2.2.4 Stochastik in der Schule

Mathematik spielt nicht nur im alltäglichen Leben eine wichtige Rolle, sondern hat auch in der Schulbildung einen hohen Stellenwert. Mathematische Kompetenzen sollen den Schülerinnen und Schülern das Verstehen der Welt und das Problemlösen erleichtern. Außerdem fördert die Auseinandersetzung mit mathematischen Situationen die Entwicklung der Persönlichkeit, die Leistungsbereitschaft, Konzentrationsfähigkeit und Zielstrebigkeit in Schule und Alltag (vgl. Bildungsplan 2016: 3). Im Fach Mathematik wird dem Bereich der Stochastik die Leitidee Daten und Zufall zugeordnet. Diese beinhaltet die Teilgebiete der beschreibenden Statistik und der Wahrscheinlichkeitstheorie.

Laut Bildungsplan 2016 werden von den Schülerinnen und Schülern in Jahrgangsstufe 5 und 6 folgende Kompetenzen gefordert:

Die Schülerinnen und Schüler planen Datenerhebungen und sammeln systematisch Daten. Sie beherrschen unterschiedliche Darstellungsformen, um aus ihnen die für eine Fragestellung relevanten Daten zu entnehmen oder um selbst Daten zu visualisieren. Sie sind in der Lage, verschiedene Darstellungsformen derselben Datenmenge untereinander vergleichend - auch hinsichtlich möglicher Irreführung - zu beurteilen und vorliegende Daten auszuwerten (ebd.: 27).

Die Schülerinnen und Schüler sollen laut Bildungsplan also nicht nur Daten erheben und darstellen können, sondern auch lernen diese miteinander zu vergleichen und auszuwerten. In Jahrgangsstufe 7 und 8 werden Kompetenzen, wie das Beschreiben, Verstehen und Interpretieren von Zufallserscheinungen in alltäglichen Situationen und der Nutzung von Wahrscheinlichkeitsaussagen gefördert (vgl. ebd.: 41). In Jahrgangsstufe 9 und 10 folgt dann das Modellieren von Alltagssituationen und das Berechnen von Wahrscheinlichkeiten (vgl. ebd.: 48). Um an das Vorwissen und den subjektiven Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen, sollten im Unterricht die Aufgaben mit der Alltagswelt der Kinder verbunden werden. Eine der wichtigsten Kompetenzen im Bereich Daten und Zufall ist das kritische Reflektieren und Interpretieren gegebener Daten, wobei es immer um Fragen zu Phänomenen der unmittelbaren Umwelt geht. Von den Schülerinnen und Schülern werden Ver­allgemeinerungen und prognostische Aussagen verlangt. Beides wird benötigt, um anhand gegebener Angaben noch nicht bekannte Daten abzuschätzen (vgl. Plackner und Schroeders 2016: 7ff).

2.3 Grundvorstellungen in der Mathematik

Das Verstehen von mathematischen Begriffen und Konzepten ist die Grundlage für die Anwendung von Mathematik im Alltag. Im folgenden Kapitel wird deshalb auf die mathematische Grundbildung, das Modellieren, das Begriffslernen und vor allem auf die Entwicklung von Grundvorstellungen eingegangen.

2.3.1 Mathematische Grundbildung

Nach PISA und TIMMS rückte der Mathematikunterricht und die Kritik am Auswendiglernen von Regeln und deren sturen Anwendung, immer mehr in den Vordergrund. Um Aufgaben flexibel lösen zu können, müssen die Schülerinnen und Schüler mathematische Begriffe und Verfahren verstehen und diese richtig einsetzen können. Durch die aktive Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten und deren Anwendung in Alltagssituationen, sollen sogenannte Grundvorstellungen aufgebaut werden (vgl. Bruder 2015: 262). Mathematische Grundbildung besteht also nicht nur aus der Verwendung von Formeln: Vielmehr soll sie als Werkzeug zur Modellierung und geistigen Gestaltung der Umwelt genutzt werden. Nach PISA befähigt mathematische Grundbildung dazu, Mathematik in Umwelt und Alltag, im gegenwärtigen und zukünftigen Leben zu erkennen und zu verstehen und dabei konstruktiv, engagiert und reflektiert zu handeln (vgl. Rudolf vom Hofe 2003: 4f).

Nach Freudenthal (1983) sind mathematische Begriffe, Strukturen und Vorstellungen Werkzeuge, die im Alltag dazu befähigen mathematische Probleme zu bewältigen. Mathematikunterricht sollte daher durch aktiv- entdeckendendes Lernen geprägt sein (vgl. ebd.: 5).

2.3.2 Begriffslernen

Um einen Begriff wirklich verstehen zu können müssen bestimmte Aspekte berücksichtigt werden. Zum Begriffslernen im Mathematikunterricht gehört das Verständnis über den Inhalt, also der Umgang mit den Begriffseigenschaften und deren Beziehung zueinander, wie auch der Überblick über den Umfang. Zusätzlich sind auch die Beziehungen des Begriffes zu anderen Bereichen, die Anwendung, sowie die kritische Reflexion von großer Bedeutung (vgl. Bruder 2015: 264). Durch das Verstehen eines Begriffes soll sichergestellt werden, dass mathematische Inhalte verinnerlicht wurden und diese flexibel bei verschiedenen Problemsituationen einsetzbar sind.

2.3.3 Grundvorstellungen

Grundvorstellungen beschreiben Beziehungen zwischen der individuellen Begriffswelt der Schülerinnen und Schüler und der mathematischen Welt. Um solche Vorstellungen aufzubauen, sind das Anknüpfen an vertraute Sach- und Handlungszusammenhänge, der Aufbau passender Repräsentationen und die Anwendung des Begriffs bei Problemsituationen von großer Bedeutung (vgl. vom Hofe 1995: 97f). Primäre Grundvorstellungen sind mentale Modelle, die dem Begriff einen Bezug zu Handlungs- und Umweltsituationen ermöglichen. Durch sekundäre Grundvorstellungen gelingt es schließlich verschiedene mathematische Darstellungs­formen zu entwickeln (vgl. Bruder 2015: 262). Nach Rudolf vom Hofe sind Grund­vorstellungen die Beziehungen zwischen Mathematik, Individuum und Realität (vgl. Vom Hofe 1995: 98).

Durch eigene Erfahrungen besitzen viele Schülerinnen und Schüler schon geprägte Grundvorstellungen, die nicht der mathematischen Bedeutung entsprechen. Um solche Fehlvorstellungen zu beheben, sollten die Vorstellungen zu dem entsprechenden Begriff erweitert oder verändert werden. Dies kann beispielsweise durch reflektierende Diskussionsphasen während dem Unterricht stattfinden. Begriffe können zudem durch neue Vorstellungen ergänzt und an jeweilige Problem­situationen angepasst werden (vgl. Bruder 2015: 263). Im Unterricht sollte der Lehrer an den tatsächlichen Grundvorstellungen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen und durch geeignete Methoden Fehlvorstellungen beheben. Die Entwicklung und Anpassung von Grundvorstellungen ist kein zeitlich begrenzter Prozess, sondern findet über einen längeren Zeitraum statt (vgl. vom Hofe 1995: 103).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Ausbilden von Grundvorstellungen (vom Hofe 1995: 124)

Das Schaubild zeigt, wie Grundvorstellungen in der Schule ausgebildet werden können. Die linken Pfeile stellen die didaktischen Entscheidungen, die die Lehrperson für ihren Unterricht trifft, dar. Auf der rechten Seite sind die Pfeile der Aktivitäten seitens der Schülerinnen und Schüler abgebildet, die durch die Didaktik angeregt und unterstützt werden. Zu Beginn muss die Lehrperson über die auszubildende Grundvorstellung reflektieren und darauf die didaktischen Entscheidungen, sowie die inhaltliche Festlegung aufbauen. Dabei sollte die inhaltliche Entscheidung nicht nur mathematische Inhalte miteinbeziehen, sondern auch an den Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler und den Anwendungsmöglichkeiten anknüpfen. Um die Grundvorstellungen geeignet ausbilden zu können, muss den Kindern der aufzubauende Begriff in einer verständlichen Art und Weise übermittelt werden. Dazu ist das Wählen eines geeigneten Sachzusammenhangs notwendig. Die individuellen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler werden durch Lern- und Interaktions­prozesse aktiviert und der neue Sachzusammenhang wird an den vorhandenen Vorstellungen angeknüpft. Durch diesen Prozess können Grundvorstellungen von den Schülerinnen und Schülern verinnerlicht und Handlungs- und Erklärungsmodelle miteinbezogen werden (vgl. vom Hofe 1995: 123-126).

Das Ausbilden von Grundvorstellungen deckt wichtige Aspekte der mathematischen Kompetenzentwicklung ab. Dazu gehören die Erfassung und das Verstehen neuer Begriffe und deren Vernetzung zu bekannten Sachzusammenhängen, der Aufbau mentaler Modelle, sowie die Anwendung des Begriffs (vgl. Rudolf vom Hofe 2003: 7).

2.3.4 Grundvorstellungen zum Wahrscheinlichkeitsbegriff

Um einen Begriff, wie beispielsweise den der Wahrscheinlichkeit, verstehen zu können, sollten bei Schülerinnen und Schülern mehrere Grundvorstellungen ausgebildet werden:

Bei der Wahrscheinlichkeit als Maß für eine Erwartung wird der Grad der Erwartung durch eine Zahl von 0 bis 1 dargestellt.

Die Wahrscheinlichkeit als relativer Anteil gibt den relativen Anteil eines Ereignisses, im Hinblick auf alle möglichen Versuchsergebnisse, an.

Bei der Wahrscheinlichkeit als relative Häufigkeit wird das Eintreten eines Ereignisses in einer Versuchsserie als relative Häufigkeit angegeben.

Bei der Wahrscheinlichkeit als subjektives Vertrauen wird der Grad des Vertrauens in das Eintreten eines Ereignisses genommen.

Oft entwickeln Schülerinnen und Schüler Fehlvorstellungen, nicht zuletzt auch zum Wahrscheinlichkeitsbegriff. Beispielsweise wird Wahrscheinlichkeit als Wunsch, als Glück, als fehlende Erklärbarkeit oder als persönliches Vermögen verstanden. Diese Fehlvorstellungen gilt es im Mathematikunterricht aufzudecken und anzupassen (vgl. Malle und Malle 2003: 52-55).

2.3.5 Modellieren

Um mit realen Situationen aus dem Alltag arbeiten zu können sind Grund­vorstellungen von großer Wichtigkeit. Der Modellierungskreislauf zeigt den Zusammenhang zwischen der realen Welt und der Mathematik. Hier werden für Alltagssituationen geeignete mathematische Verfahren verwendet, um die Situationen darzustellen. Die ermittelten Ergebnisse werden schließlich im Hinblick auf die Sachsituation interpretiert und es wird geprüft, ob die Lösung zur tatsächlichen realen Situation passt. Ist dies nicht der Fall, beginnt der Modellierungskreislauf erneut. Um zwischen Realität und Mathematik übersetzen zu können, werden Grundvorstellungen benötigt (vgl. Rudolf vom Hofe 2003: 5).

Abbildung 2: Modellierungskreislauf (von Schupp 1988 in vom Hofe 2003: 5)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.4 Entdeckendes Lernen

Durch Entdeckendes Lernen können Sachverhalte von Schülerinnen und Schülern besser verstanden werden. Im folgenden Kapitel wird das Unterrichtsprinzip des entdeckenden Lernens, die Wichtigkeit der Materialnutzung, sowie die Bedeutung von Simulationen dargestellt.

2.4.1 Das Unterrichtsprinzip

Bei der Entwicklung von Grundvorstellungen und differenziertem Begriffsverständnis ist besonders die reale Auseinandersetzung und das aktive Handeln mit Lernmaterial von großer Bedeutung. Das Unterrichtsprinzip des entdeckenden Lernens ist für die Erklärung von Phänomenen und die Entwicklung neuer Denk- und Lösungswege von großer Bedeutung. Entdeckendes Lernen erfordert selbstständiges und forschendes Lernen von Schülerinnen und Schülern und fördert dabei Kreativität, Selbstständigkeit und Problemlösefähigkeit (vgl. Liebig 2012: 1f).

Durch dieses Unterrichtsprinzip erwerben Schülerinnen und Schüler zahlreiche Kompetenzen, die sie zu lebenslangem Lernen befähigen sollen. Dazu gehören beispielsweise Fragekompetenzen, bei der Schülerinnen und Schüler lernen, interessengeleitete Fragen zu stellen, Zielfindungskompetenzen, bei denen durch individuelle Lernwege, Strategien und Methoden auf ein bestimmtes Ziel hingearbeitet und dadurch Selbstvertrauen gestärkt wird und Planungskompetenzen, bei denen Kinder den eigenen Lernprozess planen, organisieren und durchführen. Aber auch Problemlösekompetenzen, bei denen Schülerinnen und Schüler Probleme lösen und den Lösungsweg auf andere Inhalte übertragen können und Handlungskompetenzen, bei denen die Kinder in der Lage sind, das erlernte Wissen in konkrete Handlungen zu übertragen, sind wichtige Kompetenzen, die beim entdeckenden Lernen gefördert werden (vgl. ebd.: 6).

Entdeckendes Lernen bringt für den Unterricht und für Schülerinnen und Schüler einen großen Gewinn: Sie lernen selbstständig zu arbeiten und sich neues Wissen anzueignen und dieses zu verstehen. Durch Ausprobieren, aktives Handeln und einer reflektierten Auseinandersetzung mit dem Sachinhalt, sollen Lösungsmöglichkeiten auch auf andere Inhalte übertragen werden. Durch individuelles Lernen und einer hohen Eigenaktivität wird die Selbstständigkeit der Kinder gefördert (vgl. ebd.: 7).

2.4.2 Materialnutzung

Zum entdeckenden Lernen gehört außerdem der Einsatz von geeignetem Material. Eine fiktive Situation kann praktisch veranschaulicht werden, sodass sich Schülerinnen und Schüler anschließend mentale Handlungen besser vorstellen können. Durch den konkreten Umgang mit dem Material werden bei den Kindern mehrere Sinne zugleich angesprochen und es entstehen mehr Anknüpfungspunkte, auf die die Kinder zurückgreifen. Günstige Lernvoraussetzungen werden vor allem dann geschaffen, wenn die Schülerinnen und Schüler eine emotionale Verbindung zum Inhalt aufbauen. Durch die Aktivierung verschiedener Sinne und der Schaffung von neuen Erfahrungen können solche Emotionen entstehen (vgl. Andreas Büchter und Rheinhold Hauk 2013: 2ff).

Materialien können im Mathematikunterricht vielseitig eingesetzt werden. So können beispielsweise Lehrkräfte Materialen als Veranschaulichung verwenden und Schülerinnen und Schüler dieses Material als Anschauungsmaterial nutzen. Universelles Material kann bei unterschiedlichen fachlichen Inhalten eingesetzt werden, wobei spezielles Material meist nur für einen bestimmten Inhalt verwendet wird (vgl. ebd.: 5).

Bruner (1974) nennt in seiner Theorie der Darstellungsebenen drei Stufen auf die Schülerinnen und Schüler zum Erfassen eines Sachinhaltes zurückgreifen. Dies sind die enaktive Darstellung, in der die Schülerinnen und Schüler mit geeignetem Material die Situation aktiv darstellen, die ikonische Darstellung, bei der Bilder, wie beispielsweise Skizzen, helfen den Sachinhalt zu verstehen und die symbolische Darstellung, bei der der Inhalt durch Zeichen, wie Terme und Gleichungen, abgebildet wird. Schülerinnen und Schüler durchlaufen diese Darstellungsebenen nicht zwingend in der aufgeführten Reihenfolge, sondern nutzen in der Schulzeit meist alle Ebenen. Der enaktive Zugang wird mit zunehmenden Erfahrungen jedoch durch eine ikonische und symbolische Darstellung ausgetauscht (vgl. ebd.: 4f).

Lompscher (1972) hingegen formuliert in seiner Theorie der etappenweisen Ausbildung geistiger Handlungen insgesamt vier Stufen, die ebenfalls nicht in der aufgezeigten Reihenfolge von Schülerinnen und Schülern durchlaufen werden. In der ersten Ebene, der praktisch-gegenständlichen Handlung, wird das Verstehen eines Sachinhaltes durch Wahrnehmung gefördert. Bei der unmittelbaren Anschauung erfolgt das gedankliche Durchdringen des Sachverhaltes durch Wahrnehmung und Vorstellung und bei der mittelbaren Anschauung durch wahrnehmungsbasierte Vorstellung eines früher wahrgenommenen Sachverhaltes. Bei der letzten Etappe, der sprachlich-begrifflichen Erkenntnis, findet die gedankliche Tätigkeit auf abstrakter Ebene durch sprachlich logisches Denken statt (vgl. ebd.).

Beide Theorien betonen, dass Schülerinnen und Schüler die aufgeführten Ebenen nicht zwingend in einer bestimmten Reihenfolge durchlaufen, sondern flexibel auf alle Etappen zurückgreifen können. Auch der sprachlich logische Aspekt spielt eine wichtige Rolle und sollte schon bei Handlungen mit dem Material gefördert werden (vgl. ebd.).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aktives Handeln mit Material und entdeckendes Lernen hilft an Alltagserfahrungen anzuknüpfen und verschiedene Grundvorstellungen aufzubauen. Dadurch wird der Übergang von praktischen Handlungen hin zur kognitiven Vorstellung gefördert (vgl. ebd.: 4).

2.4.3 Simulieren

Obwohl das aktive Handeln mit realen Objekten einen großen Lernerfolg zeigt, ist es nicht immer möglich die Situation nachzustellen und Handlungen durchzuführen. Da das vorhandene Problem trotzdem gelöst werden soll, werden Modelle entwickelt, die aus der Realität abgeleitet werden. So kann statt des Originals eine Nachbildung zum Einsatz kommen.

Es gibt zwei verschiedene Arten von Modellen: Zum einen gibt es reale Modelle, bei denen das Originalobjekt nachgebildet wird. Meist werden diese Modelle bei naturwissenschaftlichen oder technischen Problemen herangezogen. Zum anderen gibt es mathematische Modelle, welche häufig durch Simulationen am Computer oder auf numerischer und algebraischer Ebene dargestellt werden.

Simulationen sind Experimente, welche Erkenntnisse über eine reale Situation bringen und Daten leicht überschaubar darstellen. Durch Simulationen können Zusammenhänge besser erkannt werden und es ist möglich, den Schülerinnen und Schülern verschiedene Zugänge durch graphische, numerische oder algebraische Darstellung zu bieten (vgl. Greefrath und Weigand 2012: 2-6).

2.5 Mentale Modelle

Nun stellt sich die Frage, wie neue Informationen verarbeitet und im Gedächtnis gespeichert werden. Der Mensch wird als informationsverarbeitendes Wesen betrachtet, welches aktiv Repräsentationen im Gedächtnis konstruiert. Neue Informationen können aus Text- oder Bildmaterial gezogen und kodiert werden. Dieses Wissen wird in einem bestimmten Format, meist in Zeichen- oder Symbolsysteme, gespeichert und kann bei Bedarf wieder abgerufen werden. Neue Informationen werden in bereits vorhandene Wissensstrukturen eingebaut, sodass eine ständige Interaktion zwischen den Wissensbeständen stattfindet (vgl. Martschinke 2001: 16).

Das gespeicherte Wissen im Gedächtnis kann auch als Schemata bezeichnet werden. Dieses Wissen bezieht subjektive Erfahrungen, Vorstellungen, Gefühle und Gedanken einer Person mit ein. Grundlage für mentale Simulation ist laut Rumelhart et. al. (1986) die Beziehung zwischen dem mentalen Modell der Welt und dem Interpretationsnetzwerk, welche zusammen das kognitive System bilden. Das Interpretationsnetzwerk empfängt Inputs, also Signale, aus der unmittelbaren Umwelt, welche zu bestimmten Bereichen weitergeleitet werden. Diese enthalten die Reaktionen, die auf die Inputs wirken und diese verändern. Das Modell der Welt ist der Bereich, in dem gehandelt wird. Es hilft dabei sich geistig Handlungen vorzustellen, die Konsequenzen zu beurteilen und zu interpretieren und die darauffolgenden Schlussfolgerungen zu begründen. Beide Bereiche sind eng miteinander verknüpft und die Schemata, die durch Aktivitäten im Interpretations­netzwerk gebildet werden, sind die Grundlage für mentale Modelle (vgl. Seel 2003: 51f).

[...]

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Statistische Denkprozesse bei Schülern der Sekundarstufe 1 im Stochastikunterricht
Untertitel
Aufgabenkonstruktion zur Analyse
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
88
Katalognummer
V1167142
ISBN (eBook)
9783346585394
ISBN (Buch)
9783346585400
Sprache
Deutsch
Schlagworte
statistische, denkprozesse, schülern, sekundarstufe, stochastikunterricht, aufgabenkonstruktion, analyse
Arbeit zitieren
Janina Bucher (Autor:in), 2017, Statistische Denkprozesse bei Schülern der Sekundarstufe 1 im Stochastikunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1167142

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