Vor 450 Jahren wurde Johannes Kepler geboren. Ein Astronom in der Umbruchsphase vom Spätfeudalismus zum Frühkapitalismus


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2021

12 Seiten


Leseprobe


Johannes Kepler erschien am Horizont der Wissenschaften zu einer Zeit, die nach Engels “Riesen brauchte und Riesen hervorbrachte, Riesen an Gelehrsamkeit, Geist und Charakter“ 1. Einer dieser Riesen war der am 27.12. 1571 in Weil der Stadt in arme, protestantische Verhältnisse hineingeborene Johannes, der wissenschaftsgeschichtlich wie Kopernikus als Denker der Renaissance verortet wird. Dieser allerdings, der Kepler vorarbeitete, wurde 1473 in Torun (Polen) in reiche, katholische Verhältnisse hineingeboren. Wie finster auch die Zeit Keplers noch war, wird schon allein dadurch unterstrichen, dass seine Mutter als Hexe verfolgt wurde, ihr überdurchschnittlich intelligenter Sohn sie aber vor der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen retten konnte.

Zugleich war es aber auch eine Zeit des Umbruchs vom Spätfeudalismus, in dem die katholische Kirche zu den größten Feudalherren avanciert war, zum Frühkapitalismus, in der positive Marksteine für eine hellere Zukunft der Menschheit gesetzt wurden. Das menschliche Denken fing an, religiöse Fragen in weltliche aufzulösen. Machtpolitisch versuchte die Bourgeoisie, den König dem Common Law (dem allgemeinen Gesetz) zu unterwerfen. Die Wissenschaften entzogen sich mehr und mehr ihrer Bevormundung durch die Theologie und der Triumph der Physik über die Metaphysik zeichnete sich, wenn auch mit Rückschlägen versehen, unaufhaltsam ab, ein unendliches Universum ohne Gott verheißend, der nach altem Weltbild jenseits der Fixsternsphäre hauste. In England forderte Bacon, der für Marx der Stammvater aller experimentierenden Wissenschaft war, die Trennung von Philosophie und Religion, eine Vermischung führe auf der einen Seite zum Unglauben, auf der anderen zur Phantasterei in der Philosophie und in den Naturwissenschaften. Er klagte die Metaphysiker der fruchtlosen Spekulation an. Für Galilei war die Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben, damit beherrschbar, während sie für Thomas von Aquin in der Schrift `De Trinitatis‘ viel zu unbeständig daherkam, um zuverlässige wissenschaftliche Aussagen über sie zuzulassen. Die Naturwissenschaften verlegten sich auf wiederholbare, Konstanz sichernde Experimente und sieht in ihnen Erkenntnisquellen. Als fix gesetzte Kategorien gerieten ins Wanken. 1614 behaupteten die Scholastiker zum letzten Mal, Mathematik sei Teufelswerk. Gassendi hatte richtig bemerkt, wenn Gott eine angeborene Idee sei, könne es keine Atheisten geben. Es dauerte nicht lange, und Descartes wird zweifeln schlechthin und besonders zweifeln an alten, überlieferten Anschauungen zu einer wesentlichen Aufgabe des Philosophierens erklären, ohne Zweifel gibt es keine Gewissheit. Ich bin mir erst durch zweifelndes Denken, das alles begründet, meiner selbst bewusst. Gott hat mir kein Leben geliehen, ich habe frei nach Luther über mich selbst zu entscheiden. Der Boden unter den Füßen der alten Philosophie, die weltliche Fragen in religiöse auflöste, fing an zu wanken. Weltanschaulich lagen das geozentrische bzw. theozentrische, den Papst als Mittelpunkt des Universums postulierend, und das heliozentrische, auf die Sonne fokussierte Weltbild über Kreuz. Nach Kopernikus war die Erde nicht der Weltmittelpunkt, sondern sie war Mittelpunkt nur für die Mondbahn, sie vollzieht jeden Tag eine Eigendrehung um ihre Achse und kreist pro Jahr einmal um die Sonne. Das war das letzte, auch von Bruno, Galilei und Kepler verbreitete Wort der Wissenschaft, das die “Diktatur des Papstes“ (Engels) unterhöhlte. Je mehr durch das Fernrohr immer wieder neue Belege für die Richtigkeit der kopernikanischen Lehre gefunden wurden, desto aggressiver reagierte Rom. Der das Monopol über alle weltlichen und weltanschaulichen Fragen beanspruchende Vatikan fing an, mit einer pervers-exzessiven, faschistische Terrormethoden vorwegnehmenden Inquisition gegen alle Abweichungen vom offiziellen Katholizismus und gegen die Degradierung seines obersten Hirten zu wüten. Die Protestanten waren aber auch nicht viel besser, Calvin ließ zum Beispiel in der evangelischen Stadt Genf den Reformator Servet am 27. Oktober 1553 verbrennen. Man lebte damals wie heute noch gefährlich als materialistischer Wissenschaftler im Besonderen und als denkender atheistischer Mensch im Allgemeinen. Die urbane Bourgeoisie erhob sich gegen die Demütigungen durch Adel und Klerus und beanspruchte perspektivisch die politische Führung der Nation. Kepler, in dessen Werk sich sogar erste Anhaltspunkte für den erst später aufkommenden, zunächst fortschrittlichen mechanischen Materialismus finden, arbeitete der aufstrebenden Bourgeoisie zu. Der Bau der Welt sei analog einem göttlichen Uhrwerk zu denken. Es waren die Deisten zur Zeit der bürgerlichen Aufklärung, die ihre Religion mit Hilfe einer Uhr erklärten: Gott sei zwar der Uhrmacher des Alls, dieses tickt dann aber eigenständig ohne göttliche Eingriffsmöglichkeit vor sich hin, eine Positionierung gegen die Okkasionalisten, die vertraten, dass Gott bei rechter Gelegenheit aus Gründen der menschlichen Erkenntnis der Wahrheit in das Weltgeschehen eingreife.

Kepler ist 18 Jahre alt, als er ab 1589 an der Hohen Schule zu Tübingen evangelische Theologie studiert. Zweifel an diesem Fach bestürmen den jungen Mann, als Magister bricht er mit der Theologie, aber nicht mit der Religion überhaupt. Vielmehr fasziniert ihn die Astronomie. Und in ihr tritt er epochemachend auf. Er entdeckt die bis heute geltende Gesetze der Planetenbewegung als nicht kreisförmige, sondern als elliptische, mit der Sonne als Mittelpunkt. So lautete das erste Keplersche Gesetz, dem zwei weitere folgen sollten: Die Verbindungslinie Sonne-Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen und drittens: Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Bahnhalbachsen 2. Aber auch die Frage: Kreis, den noch Kopernikus und Galilei in aristotelisch-platonischer Tradition stehend, als ausgemacht hielten, oder Ellipse? hatte einen weltanschaulichen Gehalt: Kepler, zehn Jahre jünger als Francis Bacon (geboren 1561 in London), zerstörte den von der Scholastik, die Aristoteles als ihren Kernphilosophen ansah, in Schutz genommenen Mythos zweier Welten, einer himmlisch-vollkommenen und also höherwertigen und einer profanen irdischen (sublunaren). Überdrehte, bis in die Antike zurückreichende Vorstellungen von der Welt wurden verscheucht, das Auge des Menschen wurde nüchtern. Aristoteles, mit dessen Demontage, und die Liste derer, die sich an ihr beteiligten, darunter auch Luther und Bacon, ist lang, der Zweifel an einer teleologischen Vorbestimmung der Natur anstieg, hatte gelehrt, und die sich in fruchtloser Intellektualität verzehrenden Scholastiker des Mittelalters plapperten es ihm unentwegt nach, dass im Himmel die Bewegungskonstanz herrsche, alles sei hier unveränderlich, gleichförmig und als ideal-konstant gilt die Kreisbewegung, so auch für Väterchen Plato. Dieses ideale Übergewicht einer eingebildeten Welt über die reale zerbrach, es gibt für die menschliche Wissenschaft nur EINE Physik. Schon Kopernikus hielt seine Lehre für eine einfachere, deshalb vorzüglichere als die ptolemäische. Was zunächst wie eine Reduktion aussieht erweist sich als ungemeine Horizonterweiterung: Der Begriff der Natur konnte mit dem Grab Gottes unter den Füßen auf den ganzen Kosmos ausgedehnt werden. 3. Kepler leistete einen wesentlichen Beitrag zur Lehre von der materiellen Einheit der Welt. Bei Kepler liegt hier jedoch zugleich ein Nachklang der Lehre Luthers vor, dass der gläubige Mensch Gott mehr gehorchen muss als dem Menschen (Clausula Petri) und daher keine Priester, die das göttliche Buch gelesen haben und vorgeben, es auslegen zu können, als biblisch bewanderte Brückenschläger zwischen zwei Welten braucht, aber von der Existenz Gottes und damit zweier Welten musste Luther als Theologe, als Professor der Heiligen Schrift, eine Professur, die er bis an sein Lebensende innehatte, natürlich noch ausgehen. Luther, zehn Jahre jünger als Kopernikus, verwarf die Heilige Schrift zitierend mit voller Wucht die kopernikanische Wende. „Wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!“

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Details

Titel
Vor 450 Jahren wurde Johannes Kepler geboren. Ein Astronom in der Umbruchsphase vom Spätfeudalismus zum Frühkapitalismus
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V1167153
ISBN (eBook)
9783346574527
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kepler entdeckte die bis heute geltende Gesetze der Planetenbewegung als nicht kreisförmige, sondern als elliptische, mit der Sonne als Mittelpunkt. So lautete das erste Keplersche Gesetz, dem zwei weitere folgen sollten.
Schlagworte
Kepler Kopernikus heliozentische geozentrische Welbild Idealismus Materialusmus Bacon Gassendi
Arbeit zitieren
Magister artium Heinz Ahlreip (Autor:in), 2021, Vor 450 Jahren wurde Johannes Kepler geboren. Ein Astronom in der Umbruchsphase vom Spätfeudalismus zum Frühkapitalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1167153

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