Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Sozialkritik und Kirchenkritik: Ausdruck Heines Enttäuschung
4. Heine als gläubiger Atheist
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit wird ein Ausschnitt der Äußerungen und lyrischen Verarbeitung kirchenkritischer und religiöser Gedanken Heinrich Heines betrachtet. Als „Kind der Aufklärung“ wird dieser als junger Mann zum Romantiker, mit der Zeit aber dann „entlaufener“ Romantiker, oder „der letzte“ Romantiker. Denn statt für sich stehender Gedichte über typische romantische Motive wie die Nacht oder Natur schreibt er umfassend über Missstände in Politik, Kirchen und kritisiert auch den Umgang anderer Lyriker wie in der im Seminar besprochen Schwäbischen Dichterschule.1 Sein vielschichtiges sozialpolitisches Kirchenverständnis soll in der vorliegenden Hausarbeit in Gegenüberstellung und in Verbindung zu seiner Religiosität behandelt werden und der Frage, wie man seine ambivalenten, paradox erscheinenden Äußerungen verstehen und ob man in diesen schlussendlich eine sinnvolle Einheit in seinem Werk diesbezüglich sehen kann, soll auf den Grund gegangen werden. Da Heines Wirken zu diesem Thema äußerst umfangreich ist, bedarf es starker Eingrenzungen; so werde ich mich in dieser Arbeit exemplarisch auf die Gegenüberstellung zentraler Aussagen aus seinen Schriften sowie ausgewählter Verse seines lyrischen Schaffens konzentrieren, nicht aber auf den gesamten Inhalt seiner einzelnen Werke eingehen. Es kann weiterhin differenziert werden zwischen „typisch religiösem Vokabular“, welches Heine, wie viele andere Dichter nur einsetzt, um utopische Zustände zu beschreiben, als Hyperbel oder Metapher, zur Ausschmückung seiner Gedichte und tatsächlichen Aussagen über Philosophie und Religion; hier sollen nur letzte thematisiert werden.
Zunächst sollen wesentliche Aspekte seiner Kirchenkritik genannt werden. Im Folgenden soll sein Ideal der Religion besprochen werden. Anschließend wird Heines eigene Religiosität, vor allem anhand der Frage nach der Existenz und dem Umgang mit dem „ewigen Leben“, einer postmortalen Existenz, Thema sein. Diese ist meines Erachtens zentraler Punkt von Spiritualität, Glaube und Religiosität und die Untersuchung der diesbezüglichen Aussagen Heines bietet sich besonders ob seiner jahrelanger, tödlich endender Krankheit an, da dies der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Jenseits außerordentliche Bedeutung gibt.
Der Dichter, Journalist und Schriftsteller ist als gebürtiger Jude im antisemitischen deutschen 19. Jahrhundert prädestiniert für die intensive Auseinandersetzung mit Religionen. Die Problematik aus der Gleichzeitigkeit der Selbstfindung und Assimilation hat seinen ideologischen und religionsbezogenen Werdegang zu nicht bestreitbaren Teilen ausgemacht: Frühe biographische Ereignisse wie seine aus geschäftlichen Gründen durchgeführte Taufe2, welche ihm nur „Unglück“ brachte oder der erst durch einen Regierungsbeschluss möglich gemachte Wechsel von einer israelitischen Privatschule zu einer christlichen Schule haben Heine wohl früh geprägt. Spätestens in seiner Zeit als Volontär bei Bankier Rindskopf spürte und beobachtete er in der Frankfurter Judengasse er zum ersten Mal das bedrückende Ghettodasein der Juden.3Nach Brod gehöre er deshalb „naturgemäß“ in den „Geschichtszusammenhang des jüdischen Geis- tes“.4 Doch wird man Heines Vielschichtigkeit auf keinen Fall gerecht, wenn man seine jüdische Herkunft als einzigen Deutungsschlüssel für sein Werk und seine Ansichten nutzt und monoperspektivisch auf seine geistige Gestalt blickt.
Sozialkritik und Kirchenkritik: Ausdruck Heines Enttäuschung
Seine Werke wurden 1833 zunächst in Preußen, 1835 dann in allen Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes mit der Begründung, sie zielen darauf ab, „in belletristischen, für alle Classen von Lesern zugänglichen Schriften die christliche Religion auf die frechste Weise anzugreifen, die bestehenden socialen Verhältnisse herabzuwürdigen und alle Zucht und Sittlichkeit zu zerstören“, verboten.5 So kommt man trotz der Eingrenzung des Themas in kirchenkritische und religiöse Komponenten seinem Werkes nicht umhin, einige zeitgeschichtliche und politische Themen anzuschneiden. Politik und Religion sind hier kaum trennbare Fachgebiete, denn seine Philosophien und Theorien fordern meistens sowohl praktische, sozialpolitische, als auch gedankliche, religiöse und gefühlsbezogene Veränderungen. Seine Kirchenkritik ist also meist sehr eng verbunden mit Kritik am feudalen System.
Die große Aufgabe Heines, für das er gerungen hat, war die Emanzipation der Menschen von jeglichen geistlichen und weltlichen Autoritäten. Er sah sich in einer kranken Zeit voller sozialer, drängender Probleme; in seiner Sozialutopie sind die Menschen mündig und nicht bevorrechtet. Das physische Wohlbefinden, welches in hohem Maße von äußeren, auch politische Gegebenheiten bestimmt wird, ist für Heine Voraussetzung für das psychische Wohlbefinden, so wie die Erlösung des Menschen Voraussetzung für die Entfaltung des den Menschen als solchen ausmachenden Spieltriebes.6 Heine parallelisiert Christentum und Rittertum und äußert sich hierbei zwar noch nicht namentlich über den Katholizismus, lehnt jedoch entschieden die
Machtbefugnisse, die durch die feste Konstellation von Kirche und Staat entstehen, ab. In seiner Romantischen Schule wendet er sich deutlich gegen die durch Mittelalterrezeption entstehende künstlerische Verherrlichung der feudalen Ordnung und die Verbindung zwischen Thron und Altar.7
Heine meint, sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche habe sich bislang deutlich zu viel mit den Äußerlichkeiten der Religion und dogmatischen Spitzfindigkeiten beschäftigt und es gäbe somit noch keine Geschichte und keine zentrale Antwort zu ideologischen Fragen im Christentum.8 Wichtige, die Grundsätze des Christentums betreffende Fragen wie die, ob der Logos Gott Homousios sei oder ob Jesus nun Gott oder Mensch sei und welche Rolle man Maria dann als Mutter zuschreiben solle, ob Jesus hungern wollte oder aus situativen Gründen wie die Urgemeinde später auch hungern musste, blieben ungeklärt. Besonders die Prioritätensetzung des römischen Bischofs kritisierte er:
Dieser war über eigentliche Glaubenspunkte immer sehr nachsichtig, spie aber Feuer und Flamme, sobald die Rechte der Kirche angegriffen wurden; er disputierte nicht viel über die Personen in Christus, sondern über die Konsequenzen der Isidorschen Dekretalen; er zentralisierte seine Gewalt, durch kanonisches Recht, Einsetzung der Bischöfe, Herabwürdigung der fürstlichen Macht, Mönchsorden, Zölibat u. s. w. Aber war dieses das Christentum? Offenbart sich uns aus der Lektüre dieser Geschichten die Idee des Christentums? Was ist diese Idee?9
Im Paradebeispiel für politische Lyrik im Vormärz, dem Gedicht Die schlesischen Weber, klagt er nicht nur „König“ und „Vaterland“, sondern zuerst Gott an, welcher das dringende Beten der Arbeiter nicht erhört:
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterkälte und Hungersnöthen;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!10
Hier zeigt sich die Enttäuschung der Arbeiter, die Verbitterung und Frustration über die aktuellen und schon lange andauernden Missstände. Besonders der paradoxe Ausspruch „ein Fluch dem Gotte“ drückt die Verzweiflung und die höchst unnatürlichen Zustände der Menschen aus, in denen es ihnen anscheinend nicht mehr möglich ist, ihren Glauben „normal“ auszuüben.
[...]
1 Vgl. Jung, Werner: Heinrich Heine. Paderborn: Wilhelm Fink 2010. S. 10.
2 Vgl. Heine, Heinrich: Brief an Moses Moser am 09.01.1826. In: Heinrich Heine Briefe. Hrsg. von Friedrich Hirth. 1. Auflage. Mainz: Florian Kupferberg 1950. S.250.
3 Vgl. Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermärchen. In: Heine. Ein Lesebuch für unsere Zeit. Hrsg. von Gotthard Erler, Hans Kaufmann. 29. Aufl. Berlin: Aufbau-Verlag 1987 S.13-16 im Vorwort.
4 Vgl. Max Brod: Heinrich Heine. Amsterdam: Allert de Lange 1934. S. 217.
5 Bundesbeschluß vom 10. Dezember 1835: Verbot der Schriften des Jungen Deutschland. zit. nach: verfassun- gen.de.
6 Vgl. Hofrichter, Laura: Heinrich Heine. Biographie seiner Dichtung. Göttingen: 1966. S. 86.
7 Wirth- Ortmann, Beate: Heinrich Heines Christusbild: Grundzüge seines religiösen Selbstverständnisses. Paderborn: Schöningh1995. S.19.
8 Vgl. Heine, Heinrich: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Hrsg: Jürgen Ferner. Stuttgart: Reclam 1997. S. 9.
9 Ebd. S.10.
10 Heine, Heinrich: Die schlesischen Weber. In: Album. Originalpoesien. Hrsg. von: H. Püttmann. Borna: Reiche 1847.