Gelassenheit im Alter. Zur Konzeptualisierung des Konstruktes

Ein Beitrag zur Erforschung von altersbedingten Positivitätseffekten


Diplomarbeit, 2009

98 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Das Konstrukt Alter
2.2 Positivität im Alter?
2.3 Zur Lebenssituation älterer Menschen
2.3.1 Körperliche und geistige Abbauprozesse
2.3.2 Kognitive Veränderungen im Sinne von Positivitätseffekten?
2.3.3 Die Langsamkeit des Alters
2.3.4 Verluste im sozialen Leben
2.3.5 Schwindende Lebenszeit und unverwirklichte Ziele
2.3.6 Psychische Erkrankungen im Alter
2.4 Differentielles Altern
2.5 Das erfolgreiche Altern und seine Indikatoren
2.6 Die Bedeutung von Emotionen und Emotionsregulation im Lebenslauf
2.7 Das Zwei-Prozess-Modell der Entwicklungsregulation
2.8 Die Sozioemotionale Selektivität der Emotionsregulation
2.9 Empirische Befundlage zum erfolgreichen Altern und zu Positivitätseffekten
2.9.1 Empirische Befundlage zum erfolgreichen Altern
2.9.2 Empirische Befundlage zu Positivitätseffekten
2.10 Das Konstrukt Gelassenheit
2.10.1 Philosophische Annäherung
2.10.2 Gelassenheit als psychologischer Begriff
2.10.3 Einordnung der Gelassenheit in den Emotionskanon
2.10.4 Die Emotion Ärger: der Gegenspieler zur Gelassenheit (State)
2.10.5 Gelassenheit als Persönlichkeitseigenschaft (Trait)
2.10.6 Forschungsbefunde zu Gelassenheit im Lebenslauf
2.10.7 Die Verknüpfung von Gelassenheit und Weisheit (Lebenserfahrung)
2.10.8 Die Einordnung der Gelassenheit in das Zwei-Prozess-Modell

3 Zusammenführung von Theorie und Empirie und Entwicklung der eigenen Fragestellung
3.1 Das Konstrukt Gelassenheit
3.2 Fragestellung
3.2.1 Differenzierte Sicht auf das Alter
3.2.2 Zusammenhänge zwischen Gelassenheit und Alter
3.3 Empirisches Vorgehen
3.4 Erhebungsinstrument
3.4.1 Beschreibung der verwendeten Skalen
3.5 Stichprobenbeschreibung

4 Ergebnisse
4.1 Gelassenheit: zugrunde liegende Dimensionen
4.2 Differenzierte Sicht auf das Alter
4.2.1 Prüfung von Unterschieden zwischen den Kohorten in soziodemographischen Merkmalen
4.2.2 Zusammenhänge zwischen Alter und Befindensmaßen
4.2.3 Zusammenhänge zwischen Alter und Bewältigungsdispositionen
4.2.4 Zusammenhänge zwischen Alter und Zielen sowie Zielanpassungsprozessen
4.3 Die Betrachtung der Gelassenheit
4.3.1 Zusammenhänge zwischen Alter und Gelassenheit
4.3.2 Moderatorwirkung der Bewältigungsdispositionen auf den Zusammenhang zwischen Alter und Gelassenheit
4.3.3 Einflüsse soziodemographischer Merkmale und des gesundheitlichen Zustandes auf Gelassenheitsmaße
4.3.4 Vorhersagen der Gelassenheit unter Berücksichtigung soziodemographischer Merkmale und Bewältigungsdispositionen

5 Diskussion und Kritik
5.1 Zusammenfassung der Befunde
5.2 Kritische Diskussion der Befunde

6 Literaturverzeichnis 7

7 Tabellenverzeichnis

8 Abbildungsverzeichnis

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei den Leuten bedanken, die einen erheblichen Einsatz für die Gelassenheit gezeigt haben.

Einen herzlichen Dank an Herrn Dr. Dirk Kranz, dessen Anregungen den Entstehensprozess dieser Arbeit durch einige wertvolle Impulse bereichert haben. Danke für diese Unterstützung! Vielen Dank auch an Herrn Prof. Dr. Brandtstädter und das Forschungskolloquium für interessante Gedankenanstöße.

Einen ganz besonderen Dank an Lydia, die mir geholfen hat, diese Arbeit in einer Haltung der gelassenen Anstrengung zu verfassen.

Marc und Tatjana danke ich für wichtige Hinweise auf fehlende Vokale und den Eifer für einen Niedergang der Schachtelsätze. Einen Dank an Peter für das Bemühen um die ganz korrekte Kommastellung. Für unsichtbaren Beistand danke ich Uli und dem Multi, einem Ort der geistigen Anregung.

Zusammenfassung

Können Menschen im Verlauf ihres Lebens gelernt haben, mit Dingen umzugehen, die nicht zu ändern sind? Die Gelassenheit wird als Kriteriumsvariable für einen gelungenen Prozess des Alterns diskutiert. Hierzu wird das Konstrukt der Gelassenheit theoretisch erkundet, Ausgangspunkt sind postulierte Positivitätseffekte im Alter. Aus diesen inhaltlichen Vorüberlegungen heraus werden drei reliable und valide Maße zur Erforschung der Gelassenheit entwickelt. Unter besonderer Berücksichtigung des Alters werden verschiedene Variablen auf ihren Zusammenhang zur Gelassenheit hin überprüft: Es werden soziodemographische Faktoren, der Gesundheitszustand und Bewältigungsdispositionen der Flexiblen Zielanpassung und Hartnäckigen Zielverfolgung auf ihre Bedeutung für die Entwicklung einer gelassenen Haltung hin diskutiert. Es zeigt sich, dass der gesundheitliche Zustand sowie beide Bewältigungsdispositionen einen wesentlichen Beitrag zur Vorhersage der Gelassenheit leisten. Zusammenhänge zwischen dem Alter und der Gelassenheit können in der querschnittlichen Untersuchung auf der Ebene subjektiver Einschätzungen nicht bestätigt werden.

1 Einleitung

„Und wenn man es dann doch geschafft hat ist man ein Held!“. Dieser Ausruf eines älteren Herrn, der zuvor, aus einer Überforderung mit den Kniffen der modernen Technik heraus, lautstark fluchend seinem Ärger Ausdruck verliehen hatte, ließ mich über die Rolle des Ärgers beziehungsweise einer gelassenen Haltung im Handlungsverlauf reflektieren. Vielleicht ist der Ärger Teil der menschlichen Lebendigkeit und der Bestrebung, das Leben nach eigenen Vorstellungen leben zu wollen...

Den Schwerpunkt dieser Arbeit stellt das Phänomen der Gelassenheit dar. Es geht um eine Exploration des Konstruktes sowie seine Einordnung in den Lebensverlauf. Der hier angenommenen „Gelassenheitshypothese“ zufolge stellt sich mit fortschreitendem Alter zunehmende Gelassenheit ein. Die Gelassenheit wird als ein mögliches Entwicklungsphänomen untersucht. Zur vollständigen Betrachtung dieser Entwicklungskomponente wird zunächst eine genaue Untersuchung des Alters vorgenommen. Die Kennzeichnung des Begriffs Alter erfolgt anhand der biologischen, psychologischen und sozialen Dimension und hebt den Altersprozess als einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess hervor. An dieser Stelle wird bereits auf die Problematik hingewiesen, das Alter als erklärende Größe für psychologische Forschung heranzuziehen (Wohlwill1970).

Der Positivitätseffekt wird, als Ausgangspunkt dieser Arbeit und als Forschungstrend, der eine Positivierung des Wahrnehmens und Erlebens mit dem Älterwerden annimmt, im Folgenden kurz begrifflich erläutert. Die Beschreibung der Lebenssituation älterer Menschen verdeutlicht, mit welchen Veränderungen und Verlusten der Mensch im Alter konfrontiert wird. Eine kurze Darstellung von Veränderungsprozessen auf neuronaler Ebene stellt die Überleitung zu der Frage nach der Bedeutung dieser Entwicklung in der Erklärung von Positivitätseffekten dar. Gleichzeitig werden Befunde vorgestellt, die auf verschiedenen Ebenen im Informationsverarbeitungsprozess verminderte Negativitätseffekte bzw. verstärkte Positivitätseffekte empirisch belegt haben (z.B. Turk-Charles, Carstensen & Mather, 2003). Eine Forschergruppe (Jacques, Dolcos & Cabeza, in press) konnte auf neurobiologischer Ebene zeigen, dass bei älteren Personen rationale Abwägungsprozesse bei der Bewertung negativen Materials eine größere Rolle spielen. Verstanden und gedeutet werden kann dieser Befund im Sinne einer verbesserten Emotionsregulation und somit zunehmenden Gelassenheit im Alter.

Auch die Langsamkeit des Alters wird an folgender Stelle angesprochen, da eine mögliche Beziehung zur Gelassenheit vermutet wird. Der Alterungsprozess konfrontiert den Menschen mit Entwicklungsverlusten, die sich möglicherweise als Diskrepanzen zwischen Zielen und Handlungsmöglichkeiten zeigen (Brandtstädter, 2001). Die Erkenntnis im Alter, aufgrund eines eingeschränkten Zukunfts- und Handlungshorizontes bedeutsame Ziele nicht erreichen zu können, nennen Brandtstädter und Wentura (1994) ein existentielles Grundproblem. Ist das Alter demnach mit psychischen Erkrankungen, insbesondere mit Zunahmen depressiver Störungen assoziiert? Nach Klärung dieser Frage wird auf die Komplexität und Vielseitigkeit von Altersverläufen hingewiesen und die Unzulänglichkeit, Alterstrends als über Personen und Funktionsbereiche gemittelte Aussagen vorzustellen (Baltes, Mayer, Helmchen & Steinhagen-Thiessen, 1996). Zur Bewertung von Altersprozessen wird das Konstrukt des Erfolgreichen Alterns vorgestellt sowie des Wohlbefindens als Indikator zur Messung des Alterserfolgs, mit einer kognitiven Komponente der Lebenszufriedenheit und einer affektiven Komponente der Emotionen und Stimmungen. An dieser Stelle wird Gelassenheit als Kriteriumsvariable eines gelungenen Altersprozesses diskutiert, die eine Trennung kognitiver und affektiver Prozesse nicht zulässt (vgl. Levenson, 2000). Der kurzen Erläuterung der Bedeutung von Emotionen und emotionaler Regulierungsprozesse im Lebensverlauf folgt die Vorstellung des Zwei-Prozess-Modells (z.B. Brandtstädter, 2007b) und der Sozioemotionalen Selektivitätstheorie (z.B. Carstensen, 1995) als wirksame Anpassungsprozesse im Zuge des Alterns. Die Ausführung empirischer Befundlagen zum Erfolgreichen Altern gliedert sich erstens in eine auf den Begriff des Wohlbefindens und der Lebenszufriedenheit ausgerichteten Forschung und zweitens in die Darstellung der Veränderung von Emotionen und Emotionsregulation im Lebensverlauf. Sprechen Effekte verminderter physiologischer und erlebter emotionaler Intensität bei älteren Menschen für eine größere Gelassenheit? Die folgende philosophische Annäherung an den Begriff der Gelassenheit kennzeichnet diese als eine Haltung des Hinnehmens von Dingen aus einer Überzeugung heraus, die Dinge geschähen notwendigerweise. Folgend wird die Gelassenheit aus einer psychologischen Perspektive heraus erkundet, wobei siein der Definition als Gegenpol zu der Emotion Ärger eine genauere Bestimmung erfährt. Exemplarisch werden Forschungsbefunde zu Gelassenheit im Lebensverlauf vorgestellt. Anschließend wird eine Verknüpfung zu den Begriffen der Weisheit und Lebenserfahrung hergestellt. Es folgt eine theoretische Einordnung der Gelassenheit in das Zwei-Prozess-Modell.

Aus den inhaltlichen Vorüberlegungen heraus werden zwei Maße der Gelassenheit zur empirischen Messung entwickelt. Gelassenheit als Haltung (Trait) erfasst als aktuelles sowie als retrospektives Maß die Gelassenheit als Selbstkonzeptfacette, die mit affektiven Einschätzungen der eigenen Person einhergeht. Zweitens dient ein situatives Maß (State) der Erfassung der Gelassenheit in Ärgersituationen. Die Prüfung der Annahme einer zunehmenden Gelassenheit im Alter wird in einer querschnittlich konzipierten Untersuchung mit einem Stichprobenumfang von 381 Probanden im Alter von 50 bis 85 Jahren getestet. Hierzu wird zunächst das Konstrukt der Gelassenheit exploriert. Es ergeben sich die drei Maße Gelassenheit Aktuell, Gelassenheit Zunahme sowie Gelassenheit in Situationen. Um der Entwicklungskomponente der Untersuchung gerecht zu werden, erfolgt ein differenzierter Blick auf das Alter und die Betrachtung diesbezüglicher empirischer Zusammenhänge. Folgend werden Beziehungen der Gelassenheitsmaße zu Befindensmaßen und soziodemographischen Variablen aufgezeigt. Schließlich wird der Zusammenhang zwischen Gelassenheit und Alter untersucht. Hierbei wird die Gelassenheit in das Zwei-Prozess-Modell eingeordnet.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Das Konstrukt Alter

Auf den ersten Blick bestimmt das Alter als chronologisches Lebensalter die seit der Geburt vergangene Zeit, also die Summe an gelebten Jahren. Tatsache ist, dass Menschen immer älter werden. Die Zunahme an Lebensjahren ist an den demographischen Daten abzulesen. Laut dem Statistischen Bundesamt (2006) steigen die allgemeine Lebenserwartung und die durchschnittliche Lebenserwartung für ältere Personen kontinuierlich an. Prognostiziert wird eine weiter zunehmende Verlängerung der Lebensphase Alter. Die durchschnittlich zu erwartenden Lebensjahre betragen bei Geburt 2003 75,9 Jahre für Männer und 81,5 Jahre für Frauen, wobei Zuwächse von etwa 6 bis 7 Jahren für das Jahr 2050 erwartet werden.

Das Konstrukt Alter lässt sich anhand der Perspektiven des biologischen, psychologischen und sozialen Alter(n)s näher kennzeichnen:

Der biologische Alterungsprozess ist, ausgeschlossen der Reifungsprozesse der ersten Lebensphasen, durch eine Verlustperspektive, bedingt durch körperliche und geistige Abbauprozesse, gekennzeichnet. Aus der Einschränkung der Funktionalität des Organismus folgt eine Zunahme an körperlicher Vulnerabilität und verminderte Adaptationsleistungen des alternden Menschen.

Während eine biologische Definition des Alterns unidirektional ausgerichtet ist und auf Funktionsverluste sowie Leistungsabbau des Alterungsprozesses fokussiert, nimmt die psychologische Forschung auch positive Aspekte in den Blick und definiert das Altern als multidirektionales und richtungsoffenes Phänomen (z.B. Baltes& Baltes, 1994). Die Psychologie formuliert das Altern als einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess. Die Konzeption der psychischen Entwicklung als lebenslangen Prozess (vgl. etwa Lindenberger, 2007) kommt der Erforschung der Lebensphase Alter entgegen, da sich von Unidirektionalität (Alter als Synonym für Abbauprozesse) und Leistungsverringerung im Alter entfernt wird. Stattdessen kann von Multidirektionalität (Gewinne und Verluste sind auf allen Altersstufen zu finden) und Multidimensionalität (in verschiedenen Persönlichkeitsbereichen vollzieht sich Entwicklung nicht gleichartig) gesprochen werden (vgl. etwa Hasselhorn, 1998), womit der Komplexität des Alterns entsprochen wird.

Das Alter ist Grundlage sozialer Normierungsprozesse. Als sozial konstruierte Größe stellt das Alter eine Ordnungsdimension dar, die den Lebensverlauf strukturiert sowohl im Hinblick auf "altergemäßes" alltägliches Verhalten, als auch auf Entwicklungsaufgaben (Havighurst, 1974) die Aufgaben und Themen darstellen, die in der jeweiligen Altersphase abzuarbeiten sind. Eine bedeutsame Größe im Lebensverlauf ist der Eintritt ins Rentenalter und die Rentenphase als solche, mit potentiellen Auswirkungen auf psychologisch relevante Merkmale.

Welches Alter grenzt die "Altersphase" von vorherigen Lebensabschnitten ab? Je nach Autoren werden verschiedene Einteilungen des höheren Erwachsenalters vorgenommen. Der Forschungskonvention nach wird die Altersgruppe ab 60 aufwärts für alterspsychologische Untersuchungen interessant (Martin & Kliegel, 2005). In der Altersforschung wird auch die grobe Unterscheidung zwischen den „jungen Alten“ (ca. 65 bis 75 Jahre) und den „alten Alten“ (über 75) getroffen (Filipp & Mayer, 1999). Diese Einteilung ist auch als die Unterscheidung zwischen dem dritten und vierten Lebensalter bekannt (Baltes, 1999).

Die Frage nach der Unterteilung des Alters in Zeitabschnitte ist auch eine Frage der Kontinuität von Entwicklungsverläufen im Alter, in Abgrenzung zu rasanten Veränderungen in Kindheit und Jugend (vgl. Salisch & Kunzmann, 2005), wobei nicht zuletzt angesichts der Zunahme der „Hochbetagten“ über angemessene Differenzierungen reflektiert werden sollte.

Wohlwill (1970) zeigt die Problematik auf, das chronologische Alter als erklärende Größe in der psychologischen Forschung heranzuziehen und somit Altersunterschiede anstelle von Entwicklungsprozessen zu erfassen. Vielmehr fungiert das Alter als Träger zahlreicher dynamischer Einflussgrößen (siehe auch Schmiedek & Lindenberger, 2007). Veränderungen in psychologisch relevanten Bereichen können teilweise prägnanter vorhergesagt werden, wenn anstelle des chronologischen Alters die geschätzte subjektive Restlebenszeit (Differenz zwischen subjektiver Lebenserwartung und Alter) betrachtet wird (Brandtstädter & Wentura, 1994; Rothermund & Brandtstädter, 1998).

Wie bereits deutlich geworden ist, können Altersdefinitionen an unterschiedlichen Kriterien orientiert sein. In einer psychologischen Untersuchung, die aus Fragebogendaten schöpft und auf Selbstauskünften der Probanden basiert, nehmen das subjektive Alterserleben und subjektive Selbsteinschätzungen eine zentrale Rolle ein.

2.2 Positivität im Alter?

Ein "Negativitätsbias" im Sinne einer Bevorzugung negativ valenter Informationen wurde auf kognitiver, motivationaler und auf affektiver Ebene gefunden (Rozin & Royman, 2001) und beispielsweise aus dem Grund, dass aversive Ereignisse schnelle Reaktionen erfordern, für adaptiv erklärt. Im Alter zeigt sich eine Beseitigung dieser Negativitätstendenz (Wood & Kisley, 2006) oder gar eine Umkehrung in Richtung eines Positivitätseffektes (Cartstensen, Mikels & Mather, 2006; Kisley, Wood & Burrows, 2007). In der vorliegenden Arbeit werden Entwicklungsverläufe in affektiver Hinsicht und allgemein im Hinblick auf eine positive Bewertung des Lebens betrachtet, wobei an verschiedenen Stellen die Gelassenheit als positives Entwicklungsresultat diskutiert wird.

2.3 Lebenssituation älterer Menschen

Rentsch (1994) bestimmt das Wesen des Alterungsprozesses als „ Radikalisierung der menschlichen Grundsituation “, auch zu begreifen als das „ aufdringliche Zutagetreten der humanen Sinnkonstitution“ (S.297). Über die Bestimmung der physischen und psychischen Entwicklung als sichtbare und messbare Komponenten des Alterns, die Annäherung an soziale Veränderungen im Lebenslauf sowie Betrachtungen der Zeitlichkeit des Lebens, wird diese Aussage im Folgenden expliziert.

2.3.1 Körperliche und geistige Abbauprozesse

Der menschliche Alterungsprozess ist von vielen negativen Veränderungen, sowohl in körperlicher als auch psychologischer Hinsicht, begleitet. Der alternde Mensch muss Verluste und Funktionseinbußen hinnehmen. Aus medizinischer Sicht ist neben einer Zunahme an Krankheiten sowie der Multimorbidität ein gehäuft chronischer Verlauf von Krankheiten festzustellen (vgl. etwa Gsell, 1973; Kruse, 1994). Das Konzept der Morbiditätskompression setzt dieser negativen Sicht positive Aspekte entgegen, da angenommen wird, dass Krankheiten auf eine sehr späte Lebensphase hinausgezögert werden können, womit ein langes Gesundbleiben möglich ist (siehe z.B. Fries, 2003).

Welche Veränderungen sind unausweichlich mit dem Alterungsprozess verknüpft, und lassen sich Folgen für psychologische Merkmale entdecken?

Die Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt vollzieht sich über die Sensorik und Motorik, weshalb Veränderungen der Sinnesleistungen im Zuge des Alterungsprozesses aufschlussreich für Veränderungen psychologischer Natur sein können. Der Berliner Alterstudie (BASE) zufolge können altersbedingte Sinnesbeeinträchtigungen als Risikofaktoren für eine effektive Alltagsgestaltung deklariert werden (Marsiske, Delius, Maas, Lindenberger, Scherer & Tesch-Römer, 1996).

Studien zeigen eine Verschlechterung des Geruchssinns mit zunehmendem Alter, Gerüche werden weniger intensiv wahrgenommen und sind schwerer zu identifizieren, wobei für verschiedene Geruchsstoffe differentielle Alterseffekte vorhanden sind. Dagegen werden für den Geschmackssinn geringere altersbedingte Beeinflussungen berichtet (Bartoshuk & Weiffenbach, 1990). Beide Sinnesleistungen, Geschmack und Geruch wirken sich auf das Erleben des Menschen aus. Von größerer Relevanz sind jedoch das Sehen und Hören als bedeutsame Lieferanten der Informationen aus der Umgebung, die nicht zuletzt der Orientierung dienen. Altersbedingte Einschränkungen dieser sensorischen Qualitäten, (bezüglich des Wahrnehmungsprozesses sowie weiterer Aspekte der sensorischen Informationsverarbeitung) sind für psychologische Merkmale (z.B. Intelligenz) folgenreich (siehe Lindenberger & Baltes, 1994; Schneider & Pichora-Fuller, 2000).

Für die visuelle Leistung werden zahlreiche alterskorrelierte Einbußen berichtet. Das Sehvermögen verringert sich mit zunehmendem Alter. In der BASE-Studie wurden signifikante Verschlechterung der Sehschärfe mit jedem Lebensjahrzehnt (Studienteilnehmer waren 70 bis über 90 Jahre) sowohl für den Nahvisus als auch den Fernvisus ermittelt (Marsiske et al., 1996). Schieber (2006) zufolge wird studienübergreifend das 6. Lebensjahrzehnt als Beginn einer sich beschleunigenden Abnahme der Effizienz des visuellen Systems präsentiert.

Neben einem eingeschränkten Sehvermögen wird auch die Alterschwerhörigkeit als klares Anzeichen des Alterns gewertet. Der Verlust der Wahrnehmung hoher Tonfrequenzen setzt bereits mit dem 20. Lebensjahr ein, wobei im Alter neben Hörverlusten auch funktionelle Defizite, wie eine verlangsamte Reizverarbeitung, zu einem schlechten Sprachverständnis führen können. Bei etwa 30% der 65-jährigen Männer werden klinisch signifikante auditive Hörverluste berichtet (Mariske et al., 1996).

Auch die Motorik verlangsamt sich im Alter. Mit einer Schwächung des Bewegungsapparates, mitunter abhängig von individueller Fitness und kardiovaskulärem Zustand, ist hinsichtlich Planung, Kontrolle und Ausführung von Bewegung zu rechnen (Raz & Nagel, 2007). Die verminderte Funktionalität des sensomotorischen Systems, beispielsweise verdeutlicht in verlängerten Reaktionsgeschwindigkeiten (Welford, 1984), wirkt sich negativ auf die Koordination und Kontrolle komplexer Bewegungsabläufe aus (vgl. Ketcham & Stelmach, 2001), einhergehend mit einer erhöhten Sturzgefahr älterer Menschen (Brown, Shumway-Cook, Woollacott, 1999).

Das kognitive System altert. Das Gehirn betreffende alterbedingte Veränderungen werden in der Forschungsliteratur zahlreich auf unterschiedlichen Struktur- und Funktionsebenen beschrieben, wobei global und regional unterschiedliche Veränderungsprozesse stattfinden (vgl. Raz & Nagel, 2007). Hier wird nicht von Belang sein, neuronale Grundlagen des Hirnalterungsprozess im Detail zu inspizieren, vielmehr interessieren kognitive, emotionale und behaviorale Auswirkungen der Veränderungen.

Die Annahme der Plastizität besagt, dass Entwicklung über die gesamte Lebensspanne beeinflussbar ist (vgl. etwa Hasselhorn, 1998). Wenn das höhere Alter auch mit Einbußen in kognitiven Leistungen verknüpft ist, so wirkt die Plastizitätsforschung dem Fehlschluss entgegen, das Alter sei mit irreversiblen Verlusten an Lernfähigkeit und kognitiver Effektivität verbunden (Singer & Lindenberger, 2000).

Informationsverarbeitungsprozesse verlangsamen sich im Alter, die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen verlangt mehr Zeit und schlägt sich in verschlechterter kognitiver Leistung nieder (McCabe & Hartman, 2008; Salthouse, 1996). Die Aufmerksamkeit als bedeutende Ressource ist altersgebundenen Veränderungen ausgesetzt (Raz, 2007). Dabei zeigt sich eine Reduktion der zur Verfügung stehenden kognitiven Ressourcen, die sich wieder in abnehmender kognitiver Leistung (Craik & Byrd, 1982), insbesondere unter Bedingungen geteilter Aufmerksamkeit, zeigt, also wenn ältere Probanden gefordert sind, mehrere Aufgaben gleichzeitig (multiple-task-Paradigma) auszuführen (Anderson, Craik & Naveh-Benjamin, 1998; Tsang & Shaner, 1998). Ferner zeigen ältere Menschen Prozesse verminderter kognitiver Hemmung, sie können im Zuge von Aufgabenstellungen und Problemlösungen irrelevante Informationen schlechter ausblenden (Hasher, Quig & May, 1997). Zahlreichen Studien zufolge nimmt die Leistung des Gedächtnisses, wenngleich sich für verschiedene Funktionen des Gedächtnisses differentielle Effekte zeigen, mit dem Alter ab (siehe z.B. Bopp & Verhaeghen, 2005; Raz & Nagel, 2007; Verhaeghen, Marcoen & Goossens, 1993). Dabei wirkt sich die nachlassende Gedächtniskapazität z.B. auf das Namens- und Gesichtsgedächtnis (Naveh-Benjamin, Shing, Kilb, Werkle-Bergner, Lindenberger & Li, 2009) und allgemein die Alltagsbewältigungskompetenz aus (Reese, Cherry & Norris, 1999).

Während Messungen kognitiver Leistungen auf behavioraler Ebene (Reaktionszeiten, Aufmerksamkeit, Gedächtnis) altersbedingte Abnahmen der Leistungen zeigen, sind auf neuronaler Ebene sowohl "Abnahmen" als auch "Zunahmen" der Hirnaktivität festzustellen (Dennis & Cabeza, 2008). Grob formuliert zeigen neuronale Aktivierungsmuster älterer Probanden eine geringere und weniger spezifische Aktivierung, eine schwächere Verbindung zwischen den Gehirnregionen, sowie eine zusätzliche Aktivierung von Gehirngebieten (vgl. Nielson, Garavan & Langenecker, 2002; Raz & Nagel, 2007). Diese Veränderungen in neuronalen Aktivierungsmustern werden im Sinne von Kompensationsleistungen, die einen nutzbringenden Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit haben (Cabeza, Anderson, Locantore & McIntosh, 2002; Grady, Maisog, Horwitz, Ungerleider, Mentis, Salerno, Pietrini, Wagner & Haxby, 1994) aber auch als Dedifferenzierungsprozesse (Park, Polk, Park, Minear, Savage & Smith, 2004; Voss, Erickson, Chaddock, Prakash, Colcombe, Morris, Doerksen, Hu, McAuley, Kramer, 2008) gewertet.

2.3.2 Kognitive Veränderungen im Sinne von Positivitätseffekten?

Von wesentlichem Interesse für die eigene Fragestellung sind Auswirkungen struktureller und funktionaler Degenerationsprozesse des Gehirns auf das emotionale System. Zahlreich wurden altersbedingte hirnphysiologische Veränderungen (von besonderer Relevanz ist die Amygdala) beschrieben, die Auswirkungen auf emotionale Verhaltensweisen haben (vgl. Tessitore, Hariri, Fera, Smith, Das, Weinberger, Mattay, 2005). Eine Forschergruppe (Mather, Canli, English, Whitfield, Wais, Ochsner, Gabrieli & Carstensen, 2004) zeigte, dass bei älteren Menschen eine größere Aktivierung der Amygdala bei Betrachtung positiver vs. negativer Bilder besteht, was für jüngere nicht zutraf.

Hirnphysiologische Messungen lassen unterschiedliche Schlüsse und Interpretationen zu. Carstensen, Fung und Charles (2003) vermuten, dass die beschriebenen Prozesse verminderter Hemmung (als vermutete Grundlagen der Abbauprozesse bezüglich Aufmerksamkeit und Gedächtnis) auf eine verminderte Fähigkeit hindeuten, eigene Gefühle zu unterdrücken, wodurch es zur größeren Relevanz von Emotionen im Alter kommt. Kritisch wird angemerkt, dass die Enthemmungsprozesse nicht die differentiellen Gedächtniseffekte hinsichtlich positiv valenter Inhalte erklären.

Auf Ebenen der Aufmerksamkeit wurden Effekte verstärkter Hinwendung zu positiven Stimuli, beispielsweise fröhlichen Gesichtern, im höheren Alter aufgezeigt (Mather & Cartsensen, 2005). Gleichzeitig zeigen sich auch auf höheren Ebenen der Informationsverarbeitung, in Zusammenhang mit Gedächtnisfunktionen, verminderte Negativitätseffekte bzw. Positivitätseffekte (Turk-Charles, Carstensen & Mather, 2003; Mather & Carstensen, 2005; Mikels, Larkin, Carstensen & Reuter-Lorenz, 2005). Die verschiedenen Studien zeigen, dass ältere Menschen positiv valentes Material deutlich besser verarbeiten und erinnern als negative Informationen.

Präferenzen für positive Informationen werden mit verbesserten emotionalen Regulierungsprozessen im Alter in Zusammenhang gebracht. Erklärungsversuche auf neurobiologischer Ebene belegen, dass ältere Probanden bei Beurteilung negativer Stimuli, eine verstärkte Kommunikation zwischen der rechten Amygdala und dem vorderen cingulären Cortex (zuständig für rationale Abwägung) zeigten (Jacques, Dolcos & Cabeza, in press), bei gleichzeitig verminderter funktionaler Konnektivität zu posterioren Gehirnregionen, im Sinne verminderter perzeptueller Verarbeitung. Die Forscher interpretieren diese Befundlage im Sinne einer Zunahme emotionaler Regulierungsprozesse mit zunehmendem Alter. Dabei wurden negative Reize von älteren Personen als weniger negativ erlebt.

2.3.3 Die Langsamkeit des Alters

Laut Bobbio (1997) spielt sich das Leben der Alten im Zeitlupentempo ab, erzeugt durch das Langsamerwerden der Bewegungen des Körpers und Geistes. Auch Peters (2002) sieht das Alter als einen natürlichen Ort der Langsamkeit, für ihn bildet der veränderte Lebensrhythmus gar einen Kontrast zur Schnelligkeit der postmodernen Gesellschaft. Die altersbedingte

Verlangsamung des Verhaltens (kognitiver und motorischer Funktionen) ist als Slowing-with- Age-Phänomen bekannt (Birren, 1974; Salthouse, 1985). Salthouse (1985) weist in einer Übersicht über zahlreiche konsistente Befunde den Verlangsamungsprozess nach, welcher sich mittels Korrelationskoeffizienten als positiver Zusammenhang zwischen Alter und aufgewendeter Zeit für eine Aktivität, angefangen bei Messungen einfacher Reaktionszeiten, zeigt. Potvin, Tourtellotte, Pew, Albers, Henderson und Snyder (1973) wiesen eine altersbedingte Verlangsamung für viele mit feinmotorischen Fertigkeiten verknüpfte alltägliche Handlungen, wie das Anziehen von Kleidungsstücken oder Zuziehen eines Reißverschlusses nach, ebenso wurde eine Verlangsamung kontinuierlicher Bewegungsabläufe nachgewiesen (Pohl, Winstein & Fisher, 1996). Welford (1984) stieß auf der Suche nach Begründungen für die Altersverlangsamung auf die Tendenz älterer Menschen ihre Handlungen in stärkerem Maße kontrollieren zu wollen und höhere Kriterien an die Genauigkeit ihrer Reaktionen anzulegen (siehe auch Goggin & Meeuwsen, 1992). Ältere Menschen neigen dazu, ihre Verhaltensweisen bei komplexeren Reaktionen zu überwachen als wollten sie Fehler durch Hast vermeiden (Faltermaier, Mayring, Saup & Strehmel, 1992).

2.3.4 Verluste im sozialen Leben

Soziale Beziehungen sind altersbedingten Veränderungen unterworfen, mitunter bedingt durch Verluste ausgeübter Rollen, z.B. das Ausscheiden aus dem Beruf, der Auszug des letzten Kindes oder auch Krankheit und Tod nahestehender Personen (vgl. Minnemann & Lehr, 1994). Empirisch lässt sich eine Abnahme der Größe des sozialen Netzwerkes zeigen (Wagner, Schütze & Lang, 1996; Wagner & Wolf, 2001) und auch die Einschätzungen wahrgenommener Kontaktmöglichkeiten liegen ab dem 60. Lebensjahr deutlich unterhalb der Einschätzungen jüngerer Altersgruppen (Wagner & Wolf, 2001). Die Umstrukturierungen des sozialen Netzwerkes betreffen überwiegend periphere Bekanntschaften, während enge Beziehungen nicht aufgegeben werden und bis in ein sehr hohes Alter stabil bleiben (Lang, 2000). Der Berliner Altersstudie zufolge sind etwa 50% der über 70jährigen Personen vom Verlust des Partners betroffen (Wagner et al., 1996). Der Verlust des Lebenspartners als "eine der am schwersten zu vollbringenden existentiellen Leistungen" (S.301) sowie der Zerfall von vertrauten Kontexten, Sprachkonventionen und gemeinsamen Erfahrungen durch das Wegsterben von Weggefährten schafft (schlimmstenfalls) Prozesse der Vereinzelung und des Fremdwerdens (Rentsch,1994). Doch soziale Isolation im Alter entspricht vielmehr einem Mythos (Minnemann & Lehr, 1994) als empirischen Fakten, stattdessen wird vielfach gezeigt, dass die Mehrzahl der älteren Menschen über ein tragfähiges soziales Netzwerk verfügt (Minnemann & Lehr, 1994, Wagner et al. 1996). Was die Zusammensetzung des Netzwerkes betrifft, kann gezeigt werden, dass unabhängig vom Alter soziale Kontakte überwiegend innerhalb einer Altersgruppe stattfinden, d.h. soziale Beziehungen sind am stärksten durch Altersgleichheit charakterisiert (Fischer, 1982). Eine bedeutende Rolle bezüglich der Sozialkontakte älterer Menschen wird in modernen Forschungsansätzen aktiven Gestaltungsprozessen zugesprochen (z.B. Turk-Charles & Carstensen, 1999).

2.3.5 Schwindende Lebenszeit und unverwirklichte Ziele ?

„Einer hat Zukunft, solange er nicht weiß, daß er keine Zukunft hat.“ (Gadamer, 1993, S. 88)

Der Zukunfts- und damit individuelle Handlungshorizont wird mit dem Alter knapper, wodurch die Erkenntnis, bedeutsame Lebensziele nicht erreichen zu können zum existentiellen Grundproblem des Alters wird (Brandtstädter & Wentura, 1994).

Verschiedene Facetten des Zeitlerlebens verändern sich mit dem Alter, die Zukunft wird als weniger konkret, kontrollierbar und offen erlebt, während die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit zunimmt und sich Obsoleszenzgefühle (Entfremdungs- und Orientierungsprobleme vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels) stärker bemerkbar machen (Brandtstädter & Wentura, 1994; Brandtstädter, Wentura & Schmitz, 1997). Zudem entwickeln ältere Menschen tendenziell eine gelassenere Einstellung zur Endlichkeit des Lebens, die sich jedoch in der Mitte des achten Lebensjahrzehnts in zunehmende Besorgnis wandelt (vgl. Brandtstädter, 2007a).

Die Wahrnehmung der zur Verfügung stehenden Lebenszeit prägt das Wahrnehmen und Erleben des Menschen und wirkt sich essentiell auf Ziele und Lebensentwürfe aus (siehe z.B. Turk-Charles & Carstensen, 1999).

Betrachtet man die Lebenssituation älterer Menschen (siehe oben), so sticht die Konfrontation mit Entwicklungsverlusten hervor, die sich wohlmöglich als Diskrepanzen zwischen Zielen und Handlungsmöglichkeiten zeigt (vgl. Brandtstädter, 2001). Havighurst (1974) beschreibt als dominante Entwicklungsaufgaben des Alters Anpassungsprozesse an erlebte Beeinträchtigungen und Verluste wie Abnahmen der Gesundheit, Pensionierung, Tod des Partners. Im Alter geht es folglich verstärkt darum, von welchen Zielen sich die Person ablösen sollte (z.B. Freund, 2004). Eine ernüchternde Erkenntnis, insbesondere da die Verfolgung persönlich bedeutsamer Ziele als ein zentraler Prädiktor für das subjektive Wohlbefinden (Brunstein, Schultheiss & Maier, 1999) gilt.

Eine mögliche positive Wirkung hat die begrenzte Lebensperspektive im Alter auf die Ausbildung der Gelassenheit. Vorstellbar ist, dass Verluste weniger belastend erlebt werden, gewissermaßen mit einer größeren Gelassenheit hingenommen werden, wenn sie sich über eine kurze Lebensspanne auswirken (vgl. Brandtstädter, 2007a).

2.3.6 Psychische Erkrankungen im Alter

Was psychische Erkrankungen im Alter anbetrifft, so treten Demenzen, die sich gravierend auf den Alltag (Abnahme instrumenteller Aktivitäten, Verdopplung von Schlafzeiten) auswirken und mit Entfremdungsprozessen und Orientierungsverlusten einhergehen, am häufigsten auf (Helmchen, Baltes, Geiselmann, Kanowski, Linden, Reischies, Wagner & Wilms, 1996). Dabei zeigt eine Metaanalyse (Jorm, Korten, Henderson, 1987) Prävalenzraten von unter 2% für 65jährige, mit exponentiellen Anstiegen der Raten über das spätere Lebensalter hinweg (durchschnittliche Verdopplung alle 5,1 Jahre). Der Anteil von Demenzerkrankungen bei 90jährigen Menschen beträgt etwa 50 % (Helmchen et al. 1996).

Sind Depressionen oder depressive Symptome eine natürliche Folge der Alterung und implizierter Verluste? Anders als demenzielle Erkrankungen zeigen Depressionen keine eindeutige Altersabhängigkeit (Helmchen et al. 1996), wenn sie auch neben der Demenz als die häufigste psychische Erkrankung gelten (z.B. Wolfersdorf & Schüler, 2005). Häufig zeigen sich keine Unterschiede in den Prävalenzraten bei älteren und jüngeren Menschen (vgl. Weyerer & Bickel, 2007), wobei die Angaben der Prävalenzraten je nach Methodik der Studien z.B. zwischen 11,5% und 26,8% schwanken (Wernicke, Reischies & Linden, 2001). Rothermund und Brandtstädter (2003) analysieren die inkonsistente Befundlage und weisen klärend darauf hin, dass sich eine relative Stabilität depressiver Symptome bis etwa ins 7. Lebensjahrzehnt hält, und es anschließend zu einem Anstieg depressiver Tendenzen kommt.

2.4 Differentielles Altern

Ist z.B. angesichts der Ähnlichkeit biologischer Alterungsprozesse von einer zunehmenden Homogenisierung im Alter in Bezug auf psychologische Merkmale auszugehen (Smith & Baltes, 1996)? Nach Martin und Kliegel (2005) stellt die Gruppe der über 60jährigen keine homogene Gruppe dar, das Alter zeichnet sich durch vielfältige, interindividuell unterschiedliche Erscheinungsweisen aus. Baltes und Baltes (1994) nennen die Erkenntnis, dass ältere Menschen äußerst verschieden voneinander sind und sehr unterschiedlich altern als einen der wichtigsten Befunde der Gerontologie. Über interindividuelle Differenzen bei gleichaltrigen Personen darf nicht hinweggesehen werden. Ebenso sind bei der Betrachtung intraindividueller Verläufe differenzielle Effekte in den verschiedenen zu betrachtenden Merkmalsbereichen nicht zu unterschätzen (z.B. Filipp & Mayer, 1999). Baltes et al.(1999) weisen darauf hin, dass Alterstrends, als über Personen und Funktionsbereiche gemittelte Aussagen, Altersverläufe nicht angemessen abbilden können. Stattdessen müssen Alter und Variabilität zusammen gedacht werden, wobei die Idee des differentiellen Alterns verdeutlicht, dass das chronologische Alter weder als Quelle aller Altersphänomene begriffen werden kann, noch die Gesamtvarianz des Alterns aufklärt. Bedingt durch eine vergrößerte Variabilität an Entwicklungsmöglichkeiten kann zudem von zunehmender Heterogenität der Biographien im Alter gesprochen werden, wobei Lebensläufe Individualisierungen und Pluralisierungen ausgesetzt sind (Augst, 2003). Veränderte Kontextbedingungen tragen also zur Unterschiedlichkeit der Altersverläufe bei und fördern Variabilität und Differenzen in der Gruppe alter Menschen.

Die Vielseitigkeit und Komplexität von Altersverläufen kann anhand verschiedener Lebensbereiche aufgezeigt werden: Bezüglich kognitiver Alterungsprozesse weisen interindividuelle Variabilität, die ihren Ausgang nimmt in unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen und intellektuellen Kapazitäten (siehe Mercado, 2008), und intraindividuelle Variabilität (Hultsch, Strauss, Hunter & MacDonald, 2008) auf die Beschränkung von Vergleichen durchschnittlicher Leistungsfähigkeit von Altersgruppen hin. Werden Altersverläufe betrachtet, muss grundsätzlich die große Variationsbreite gegebener biologischer, sozialer und psychologischer Bedingungen (Thomae, 1983) ins Auge gefasst werden.

2.5 Das erfolgreiche Altern und seine Indikatoren

Der Prozess des Alterns ist ein (bedingt) gestaltbarer Prozess. Im Konzept des "erfolgreichen Alterns" (Havighurst & Albrecht, 1953; Havighurst, 1963) ist die Frage verankert, was ein gutes Leben (in späteren Lebensjahren) ausmacht. Wie aber lässt sich feststellen, ob ein Mensch erfolgreich altert? Anhand welcher Kriterien ist dieses abstrakte Konstrukt sichtbar zu machen?

In Abgrenzung zum erfolgreichen Altern stehen das normale Altern, gekennzeichnet durch das Erreichen der durchschnittlichen Lebensspanne mit alterstypischen Einbußen, während das Auftreten von Krankheiten, bis hin zu Multimorbidität und chronischen Krankheitsverläufen sowie einer verkürzten Lebensphase krankhaftes Altern charakterisiert (z.B. Gerok & Brandtstädter, 1994).

Welche geeigneten Operationalisierungen zur Messung der Idee "Erfolgreiches Altern" kann die psychologische Forschung vorweisen? Auf der Suche nach Faktoren, die zu Lebens- oder Alterserfolg führen, lassen sich Konstellation verschiedener Merkmalsbereiche beschreiben. Beispielsweise erforschte die BASE-Studie (Mayer & Baltes, 1996) neben der sozialen und ökonomischen Lebenssituation, auch Entwicklungsprozesse der geistigen und körperlichen Gesundheit, intellektuellen Leistungsfähigkeit, Persönlichkeit sowie psychischen Befindlichkeit. Als häufig eingesetzter Indikator erfolgreichen Alterns wird das Konstrukt des Wohlbefindens geführt.

Der Begriff Wohlbefinden zeichnet sich durch viele unterschiedliche Operationalisierungen aus, es werden Gliederungen nach unterschiedlichen Facetten vorgenommen (vgl. Abele & Becker, 1991). Eine Entwirrung und konkrete Bestimmung des Begriffs ist erforderlich. Wohlbefinden kann konzeptualisiert werden als die erfolgreiche Anpassung an den Alterungsprozess und persönliche Einschätzung des Alterserfolgs (vgl. Westerhof, Dittmann- Kohli & Thissen, 2001). In der Erforschung des Alterserfolgs wird häufig eine Trennung zwischen einer affektiven und kognitiven Komponente des Wohlbefindens vollzogen (Lischetzke & Eid, 2006; Schimmack, 2008).

Der Begriff der Lebenszufriedenheit stellt die kognitive Komponente der Lebensbewertung dar und geht auf Bewertungsprozesse des eigenen Lebens zurück, die aus Bilanzierungen von Ist-Soll-Vergleichen resultieren (Filipp & Buch-Bartos, 1994). Somit werden die Lebenssituation und wahrgenommene Gegebenheiten den subjektiven Ansprüchen und Zielen gegenüber gestellt. Die Beurteilung stellt sich als ein Abwägen zwischen Positivem und Negativem, unter Einbezug sozialer Vergleichsnormen dar (Mayring, 1996). Lebenszufriedenheit ist die häufigste Operationalisierung von Wohlbefinden (Pinquert & Sörensen, 2000). Der Fokus in der Bewertung des eigenen Lebens liegt je nach Alter auf unterschiedlichen Bedeutungskategorien, wobei Gesundheit und allgemeine Funktionstüchtigkeit im späteren Alter eine zunehmende Bedeutung gewinnt (Westerhof et al., 2001).

Die Erforschung der affektiven Komponente des Wohlbefindens konzentriert sich stärker auf Bewertungen eigener Stimmungen und Emotionen (z.B. Lischetzke & Eid, 2006), wobei es im Hinblick auf das Wohlbefinden auf eine Balance zwischen positiven und negativen Affekten ankommt (Ryff, 1989).

Wie lässt sich der Begriff der Gelassenheit bereits an dieser Stelle im Kanon entwicklungs­und gerontopsychologischer Forschung verankern? Kann Gelassenheit als Kriteriumsvariable für einen gelungenen Prozess des Alterns fungieren ? Zunächst einmal wird davon ausgegangen, dass keine strikte Spaltung emotionaler und kognitiver Prozesse vollzogen werden kann. Vielmehr ist von einer engen Verknüpfung und Interaktion physiologischer und psychologischer Prozesse auszugehen (Levenson, 2000). Zwar scheinen auf den ersten Blick emotionale Erwägungen der eigenen Person im Hinblick auf die Gelassenheit sehr relevant zu sein, doch führen Prozesse kognitiver Elaborierung vor dem Hintergrund persönlicher Motive und "Zielkonzepte" zu einer Einschätzung der emotionalen Befindlichkeit. Sehr vereinfacht formuliert: Der Mensch fühlt nie ohne seinen Kopf.

Diese Überlegungen geben Anlass dazu, einen weiten Bogen über theoretische und empirische Befundlagen aus dem Fundus der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne zu spannen. Nach der begrifflichen und theoretischen Einordnung des Emotionskonzepts werden zwei bedeutsame theoretische Modelle vorgestellt, die entwicklungsbezogene und emotionsbezogene Regulierungsprozesse beschreiben: das Zwei-Prozess-Modell nach Brandtstädter (z.B. Brandtstädter, 2007b) sowie die Sozioemotionale Selektivitätstheorie nach Carstensen (Carstensen, 1995; Carstensen & Lang, 2007). Vor dem Hintergrund eines durch zahlreiche Altersverluste entstandenen Ungleichgewichts (Thomae, 1983) beschreiben beide Modelle Anpassungsprozesse, die zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens im Alter (siehe Staudinger, 2000) führen. Im Anschluss wird die Wirksamkeit dieser Adaptationsleistungen empirisch belegt. Dabei wird es zunächst um das Wohlbefinden als Kriterium des Alterserfolgs gehen, anschließend wird die emotionale Situation des Alters näher beleuchtet.

2.6 Die Bedeutung von Emotionen und Emotionsregulation im Lebenslauf

Was sind Emotionen? Der fehlende Konsens in der begrifflichen und theoretischen Einordnung und Konzeptualisierung von Emotion und Emotionsregulation erschwert eine definitorische Eingrenzung.

Frijda (1986) beschreibt Emotionen als Resultate der Beurteilung der Welt, womit also Emotionen aufgrund von Bewertungsprozessen (appraisal) vor dem Hintergrund eigener Interessen und Bedeutungen entstehen. Als ein definitorisches Element von Emotionen gilt, dass sie auf ein bestimmtes Objekt (man ärgert sich über jemanden) gerichtet sind (z.B. Lischetzke & Eid, 2006).

Emotionen wird die Funktion zugesprochen, in jungen Jahren für die Etablierung spezifischer behavioraler und psychologischer Gewohnheiten verantwortlich zu sein, weshalb von einer zentralen Rolle des emotionalen Systems auszugehen ist, die im Verlauf der Entwicklung abnimmt (Panksepp & Miller, 1996). Die Überlegungen der Autoren gehen zudem in die Richtung, dass aufgrund der verfestigten behavioralen Routinen die Wahrscheinlichkeit intensiver Emotionen in einem alltäglichen Handlungsablauf mit dem Alter abnimmt, womit die Frage aufgeworfen ist, ob von einer "Verschlechterung" des emotionalen Systems, zumindest auf einem physiologischen Level auszugehen ist oder stattdessen von einer sinkenden Notwendigkeit der Emotionen für die Handlungsmotivation.

Dieser recht pessimistischen Sichtweise steht die Vorstellung einer Positivierung des Wahrnehmens und Erlebens im Alter gegenüber. Positivitätseffekte im Alter bzw. verminderte Negativitätseffekte wurden auf verschiedenen Ebenen der Informationsverarbeitung sowie des Erlebens gefunden, wobei weder zugrunde liegende Prozesse noch eine breitere theoretische Einordnung vorliegen.

Diesem Widerspruch ("Verschlechterung" vs. "Verbesserung" des emotionalen Systems im Alter) kann durch die Vorstellung einer Zunahme der Gelassenheit im Alter etwas entgegengesetzt werden: Dabei kann die Verringerung der Amplitude negativer und positiver Affekte (siehe unten) im Alter als mögliches Zeichen einer größeren Gelassenheit gedeutet werden, ebenso ist, wie noch zu zeigen sein wird, von Prozessen verbesserter Emotionsregulierung im Alter auszugehen. Auf mögliche neuronale Korrelate einer wachsenden Gelassenheit im Alter wurde bereits hingewiesen.

Die Prozesse der Emotionsgenerierung und die Emotionsregulation sind sehr eng verflochten, wenn überhaupt zu trennen (z.B. Gross & Thompson, 2007). Orientiert an einem Prozess­Modell der Emotionen unterscheidet Gross (1998) zwischen Antezedent-Fokussierten Strategien der Emotionsregulation sowie Reaktions-Fokussierten Strategien. Strategien der Regulation von Emotionen können demnach zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzen und sowohl bewusst als auch unbewusst ablaufen. Antezedent-Fokussierte Strategien (Regulierung der Emotionen, bevor Emotionsregulationstendenzen (voll) generiert wurden) zielen auf die Modifikation zukünftiger emotionaler Reaktionen ab, während Reaktions­Fokussierte Strategien den Umgang mit bestehenden Emotionen thematisieren. Unterschieden werden fünf Prozesse emotionaler Regulierung: Situationsauswahl, Situationsmodifikation, Aufmerksamkeitsausrichtung, Kognitionsveränderung und Reaktionsmodifikation (Gross, Richards & John, 2006).

2.7 Das Zwei-Prozess-Modell der Entwicklungsregulation

Wie schafft es das alternde Selbst eine positive Selbst- und Lebensperspektive zu bewahren (vgl. Brandtstädter, 2007b)? Das Zwei-Prozess-Modell (z.B. Brandtstädter, 2007b) beschreibt adaptive Dynamiken der Zielverfolgung und Zielanpassung. Das Modell wird insbesondere vor dem Hintergrund eingeschränkter Handlungsressourcen, die das höhere Alter mit sich bringt, interessant:

Der Bereich des assimilativen Handelns umfasst intentionale Aktivitäten, welche auf die Verfolgung persönlicher Ziele ausgerichtet sind. Es werden drei Grundformen unterschieden. Zum einen geht es um die Selektion und Konstruktion von Entwicklungsumwelten : Handlungsmöglichkeiten und Bewegungsspielräume verändern sich über die Lebensspanne, wobei eine mangelhafte Passung zwischen Interessen und Lebensbedingungen negative psychische Auswirkungen haben kann. Eine zunehmende Einengung von Entwicklungspfaden und das Leben mit getroffenen Entscheidungen kennzeichnen das Alter (Brandtstädter, 2001), wobei das Altern auch ein Leben mit teilweise unaufhebbaren Fehlentscheidungen und Irrtümern bedeuten kann (Rosenmayr, 2004). Eine Einschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten ist zudem durch das Schwinden von Lebenszeitreserven (vgl. auch Brandtstädter, 2007b) gegeben. Zweitens wird selbstregulatorisches und selbstkorrektives Handeln als dem assimilativen Modus zugehörig beschrieben. Gesetzte Ansprüche und Ambitionen (Ziele) bringen unter anderem in Abhängigkeit von erlebten Handlungsmöglichkeiten und Kontrollerleben regulatorische Aktivitäten in Gang. Die dritte Form der Assimilation betrifft kompensatorische Aktivitäten, die aufgrund von Ressourcenverlusten und der Gefährdung der Zielerreichung einsetzen, die im höheren Alter besonders relevant werden.

Ein besonderes Kennzeichen assimilativer Prozesse ist das hartnäckige Festhalten an gesetzten Zielen und Standards, sowie reaktante Anstrengungssteigerung, sobald die Person mit Schwierigkeiten konfrontiert wird (Brandtstädter, 2007b).

Die Akkommodation als nicht direkt intentionaler Prozess, gliedert sich in Ablösung von blockierten Zielen und Zielabwertung, Konstruktion entlastender Bedeutungen und Anspruchsregulation. Thematisiert wird der Umgang mit Veränderungen, die sich der Kontrolle entziehen (vgl. Brandtstädter, 2007b), wenn also ein aktives Bemühen um Beseitigung oder Kompensation von Verlusten scheitert (Brandtstädter, 2007a). Es lässt sich beispielsweise empirisch zeigen, dass mit wachsender Zieldistanz die Wichtigkeit eines Ziels oftmals sinkt (Brandtstädter & Rothermund, 2002), was, unter gewissen Voraussetzungen, in allen Altersphasen als notwendiger Anpassungsprozess statt als Phänomen der Resignation interpretiert werden kann. Akkommodative Prozesse gewinnen gerade vor dem Hintergrund zahlreicher altersbedingter Verluste und Einschränkungen an Bedeutung. Bestätigung findet diese Annahme in Befunden, die eine Zunahme akkommodativer Strategien, sowie eine Abnahme assimilativer Strategien mit zunehmendem Alter aufzeigen (z.B. Brandtstädter & Renner, 1990). Dabei fungiert die akkommodative Flexibilität als eine Art Puffer, negative Auswirkungen von Alterseffekten, die aus den vielen Verlusten und Einschränkungen resultieren, auf Wohlbefindensmaße werden abgemildert (Brandtstädter, 2007a).

Brandtstädter (2007a) weist darauf hin, dass die beiden Facetten auf unterschiedliche Weise zum subjektiven Wohlbefinden beitragen.

2.8 Die Sozioemotionale Selektivität der Emotionsregulation

Die Autoren der Sozioemotionalen Selektivitätstheorie (Carstensen, 1995; Carstensen & Lang, 2007) ziehen die Wahrnehmung der Zeit bzw. den zeitlichen Zukunftshorizont als Erklärungsgrundlage für zahlreiche altersbedingte Veränderungen heran. Es wird von einer essentiellen Bedeutung der Zeitwahrnehmung eines Individuums für Entwicklungsprozesse über die Lebensspanne ausgegangen, wobei sich die Zeit, die einem Menschen für seine Entwicklung zur Verfügung steht, stark auf kognitive, motivationale und emotionale Prozesse auswirkt (Turk-Charles & Carstensen, 1999).

Die Theorie soll einen theoretischen Rahmen für die verbesserte Emotionsregulation im Alter bieten, sie postuliert zunehmende Bedeutung emotionaler Ziele mit zunehmendem Alter. Wird Lebenszeit als unbegrenzt, also offen erlebt, so ist ein starker Zukunftsbezug vorhanden und Ziele der Informationssuche stehen im Vordergrund der Motivation, während bei begrenzter Zeitperspektive, welche auf das höhere Alter im Besonderen zutrifft, ein stärkerer Gegenwartsbezug sowie emotionales Wohlbefinden an Bedeutung gewinnen. Es werden drei motivational begründete lebenszeitliche Veränderungen beschrieben, welche zu einer verbesserten emotionalen Regulierung beitragen (Carstensen, Fung & Charles, 2003):

Als antezedente Strategie der Emotionsregulation wird die Präferenz älterer Menschen für emotional bedeutende Kontakte genannt. Es geht dabei um aktive Bestrebungen, negative emotionale Zustände zu vermeiden: der graduelle Prozess der Reduzierung sozialer Kontakte wird entgegen der Disengagement-Theorie (Cumming & Henry, 1961) als Indiz für selektive Beziehungspräferenz gewertet, die mit positiven Affekten im Sinne emotionaler Regulierung einhergeht (Lang, 2000).

Auf der Ebene reaktionsbezogener Emotionsregulationsstrategien werden Bewältigungsprozesse (Coping) beschrieben, die auf den verbesserten Umgang älterer Menschen mit negativen Ereignissen fokussieren. Beispielsweise verweisen die Autoren auf eine zunehmende Fähigkeit zur Flexiblen Zielanpassung im Alter (siehe Brandtstädter & Renner, 1990).

[...]

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Gelassenheit im Alter. Zur Konzeptualisierung des Konstruktes
Untertitel
Ein Beitrag zur Erforschung von altersbedingten Positivitätseffekten
Hochschule
Universität Trier
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
98
Katalognummer
V1168189
ISBN (eBook)
9783346578532
ISBN (Buch)
9783346578549
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gelassenheit, Alter, Entwicklung, Positivität, Emotionen, Ziele, Bewätligung, psychische Gesundheit, Flexibilität, Veränderung, erfolgreiches Altern, Lebenszufriedenheit, Ärger, Lebenszeit, Psychische Erkrankung, Differentielles Altern, Altersverläufe, Anpassung, Hartnäckigkeit, Emotionsregulierung, Wohlbefinden, Persönlichkeit, Zufriedenheit
Arbeit zitieren
Bozena Anna Schmidt (Autor:in), 2009, Gelassenheit im Alter. Zur Konzeptualisierung des Konstruktes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1168189

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Gelassenheit im Alter. Zur Konzeptualisierung des Konstruktes



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden