Arbeitsmigrationspolitik in Deutschland, ein Nachkriegsphänomen oder bereits eine lange deutsche Tradition?! Es gibt zwei Jahreszahlen, an denen die ersten Arbeitsmigrationsströme in Deutschland festgemacht werden. Das sind die Jahre 1955 und 1961, in denen die ersten italienischen und türkischen Gastarbeiter nach Deutschland kamen. In der Literatur gibt es eine regelrechte Fixierung der Arbeitsmigrationspolitik auf die Nachkriegszeit. Allerdings hat es in Deutschland zu allen Zeiten Migrationsbewegungen und Arbeitsmigrationen gegeben. „Daß es in Deutschland lange Traditionen mit ausländischen Arbeitskräften gab, ja, daß es nach 1945 nur eine zehnjährige Unterbrechung der massenhaften Ausländerbeschäftigung gegeben hatte und von den letzten 100 Jahren mehr als 80 ein >Ausländerproblem< kannten, wurde weiterhin verdrängt.“
Durch die Beschränkung auf die eher unverfängliche Phase der deutschen Geschichte werden „Fragen nach Brüchen und Kontinuitäten in der gesellschaftlichen Konzeption von Arbeitsmigration im Rahmen der historischen Entwicklung des deutschen Nationalstaates“ , also Fragen, die auf die Zeit vor 1955 abzielen, nicht gestellt. Die Politik verstärkte die Wahrnehmung der sog. Stunde Null des Jahres 1955 nicht rein zufällig. Diese Zeitmarkierung war ein Bestandteil symbolischer Politik, der einen absoluten Bruch mit der belastenden Geschichte darstellen sollte. Doch diese „Befreiung“ von der Geschichte hatte die paradoxe Folge, dass die historische Verdrängung zur Grundlage einer weitgehenden Rekonstruktion von überwunden geglaubten Gesellschaftsdiskursen und –praktiken wurde. In dieser Arbeit soll deshalb der Frage „In wieweit prägten und prägen die kolonialen Muster die deutsche Arbeitsmigrationpolitik?“ nachgegangen werden. Zuerst sollen die Begriffe `Kolonialismus` und `Migration` dargestellt werden. Im Anschluss daran werden die Jahre von 1880 bis 1919 in Bezug auf den deutschen Kolonialismus und die sich zeitgleich entwickelnde Arbeitsmigrationspolitik erläutert. Danach wird die Arbeitsmigrationspolitik ab 1955 bis 1970 untersucht und ggf. Parallelen zum ersten Zeitabschnitt herausgearbeitet. In Punkt 5 soll dann mit einem Resümee geendet werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Definitionen
2.1 Kolonialismus
2.2 Migration
3. Historische Bedingungen
3.1 1880 - 1919
3.2 1955 - 1970
4. Gemeinsamkeiten/ Unterschiede
4.1 Legitimationskarte (eingeführt 1908)
4.2 Rotationsprinzip/ Karenzzeit
4.3 Forcierte Unterschichtung
4.4 Wirtschaftlicher Vorteil
4.5 Gesellschaftliches Bewusstsein
5. Fazit
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1. Einleitung
Arbeitsmigrationspolitik in Deutschland, ein Nachkriegsphänomen oder bereits eine lange deutsche Tradition?!
Es gibt zwei Jahreszahlen[1], an denen die ersten Arbeitsmigrationsströme in Deutschland festgemacht werden. Das sind die Jahre 1955 und 1961, in denen die ersten italienischen und türkischen Gastarbeiter nach Deutschland kamen. In der Literatur gibt es eine regelrechte Fixierung der Arbeitsmigrationspolitik auf die Nachkriegszeit. Allerdings hat es in Deutschland zu allen Zeiten Migrationsbewegungen und Arbeitsmigrationen gegeben. „Daß es in Deutschland lange Traditionen mit ausländischen Arbeitskräften gab, ja, daß es nach 1945 nur eine zehnjährige Unterbrechung der massenhaften Ausländerbeschäftigung gegeben hatte und von den letzten 100 Jahren mehr als 80 ein >Ausländerproblem< kannten, wurde weiterhin verdrängt.“[2]
Durch die Beschränkung auf die eher unverfängliche Phase der deutschen Geschichte werden „Fragen nach Brüchen und Kontinuitäten in der gesellschaftlichen Konzeption von Arbeitsmigration im Rahmen der historischen Entwicklung des deutschen Nationalstaates“[3], also Fragen, die auf die Zeit vor 1955 abzielen, nicht gestellt.
Die Politik verstärkte die Wahrnehmung der sog. Stunde Null des Jahres 1955 nicht rein zufällig. Diese Zeitmarkierung war ein Bestandteil symbolischer Politik, der einen absoluten Bruch mit der belastenden Geschichte darstellen sollte. Doch diese „Befreiung“ von der Geschichte hatte die paradoxe Folge, dass die historische Verdrängung zur Grundlage einer weitgehenden Rekonstruktion von überwunden geglaubten Gesellschaftsdiskursen und –praktiken wurde. In dieser Arbeit soll deshalb der Frage „In wieweit prägten und prägen die kolonialen Muster die deutsche Arbeitsmigrationpolitik?“ nachgegangen werden.
Zuerst sollen die Begriffe `Kolonialismus` und `Migration` dargestellt werden. Im Anschluss daran werden die Jahre von 1880 bis 1919 in Bezug auf den deutschen Kolonialismus und die sich zeitgleich entwickelnde Arbeitsmigrationspolitik erläutert. Danach wird die Arbeitsmigrationspolitik ab 1955 bis 1970 untersucht und ggf. Parallelen zum ersten Zeitabschnitt herausgearbeitet. In Punkt 5 soll dann mit einem Resümee geendet werden.
2. Definitionen
2.1 Kolonialismus
Der Begriff `Kolonialismus` bezeichnet „die Ausdehnung der Herrschaftsmacht europäischer Länder auf außereuropäische Gebiete mit dem vorrangigen Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung.“[4]
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern[5], begann Deutschland erst relativ spät Kolonien[6] zu gewinnen.
In Deutschland gibt es sowohl in breiten Teilen der Wissenschaft als auch der Öffentlichkeit eine regelrechte Fixierung des Kolonialismus auf stereotype Bilder. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass sich koloniale Präsenz auf die Kolonien beschränken würde. Doch koloniale Beziehungen sind nie nur einseitig zu begreifen, sie wirken sich auf die Kolonisierten ebenso aus, wie auf die Kolonisierenden selbst,[7] wie im folgenden zu zeigen sein wird.
2.2 Migration
Es gibt keine allgemein gültige Definition des Begriffs `Migration`. Dieser Arbeit liegen die Definitionen von Annette Treibel und Silvio Ronzani zugrunde. Nach Annette Treibel ist Migration „der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen.“[8] Migrationen können in Form von Stadt- oder Landflucht (sog. Binnenmigration) oder auch in Form von Ein- bzw. Abwanderung (Immigration, Emigration) stattfinden.[9]
Silvio Ronzani konkretisiert den Begriff Migration insoweit, „daß Individuen aus einem Gesellschaftssystem in ein anderes überwechseln, wodurch direkt oder indirekt in beiden Systemen interne und externe Beziehungs- und Strukturveränderungen induziert werden.“[10] Ronzanis Definition ist insoweit für diese Arbeit wichtig, da die Bedeutung des Kolonialismus in Bezug auf die heutige (Arbeits-) Migrationspolitik untersucht werden soll. Und somit natürlich die internen sowie externen Beziehungs- und Strukturveränderungen betroffen sind.
3. Historische Bedingungen
Die deutsche Kolonialherrschaft begann ab dem Jahr 1880 und endete 1919[11] mit der erzwungenen Aufgabe der letzten Kolonien. Im Folgenden wird die Zeit von 1880 bis 1919 in Bezug auf den deutschen Kolonialismus sowie auf die sich fast zeitgleich entwickelnde Arbeitsmigrationspolitik in Deutschland erläutert. Danach soll die Arbeitsmigrationspolitik von 1955 bis 1970 untersucht und ggf. Parallelen zum ersten Zeitabschnitt herausgearbeitet werden.
3.1 1880 - 1919
Die Kolonialherrschaft Deutschlands begann im Jahr 1880 und hatte eine Auswanderungswelle von ca. 1,8 Mio. Menschen zur Folge. Viele der Ausgewanderten halfen bei dem Aufbau und der Verfestigung der Kolonien im Ausland. In Deutschland entstand durch diese starke Abwanderung eine Knappheit an Arbeitskräften vor allem in der Landwirtschaft (sog. Leutenot) aber auch in der Industrie. Um diese `Leutenot` auszugleichen, wurden Arbeiter aus Russland, Österreich und Polen angeworben. Es entstand durch die relativ große Zahl der polnischen Gastarbeiter, Angst vor einer sog. `Polonisierung`[12] bestimmter Landstriche. 1885 wurden deswegen harte Maßnahmen gegen die Zuwanderung polnischer Gastarbeiter erlassen, in deren Folge ca. 40.000 Polen ausgewiesen und eine erneute Zuwanderung untersagt wurde. Zeitgleich sah sich die Landbevölkerung durch die zunehmend saisonbedingte Arbeit der Landwirtschaft in ihrer ganzjährigen Beschäftigung bedroht, weshalb sie verstärkt in die Industriezentren des Westens abwanderte. Infolge der erneut entstandenen `Leutenot`, wurde über eine Wiederzulassung der polnischen Gastarbeiter diskutiert. Sie sollten den Arbeitskräftemangel ausgleichen und durch ein Überangebot an Arbeitskraft den entstandenen Lohndruck senken.
Ende 1890 wurden wieder polnische Gastarbeiter zugelassen, allerdings nur unverheiratete, da sich keine Familien bilden oder ansiedeln sollten. Außerdem war die Zuwanderung an eine Zwangsrotation (sog. Karenzzeit) gekoppelt, d.h. die Arbeiter mussten außerhalb der Arbeitssaison[13] in ihr Land zurückkehren.[14] Des Weiteren brauchten ab 1908 alle Arbeitsmigranten eine Legitimationskarte (s. 4.1), um arbeiten zu dürfen.
Zu Beginn des ersten Weltkrieges 1914 wurde ein Rückkehrverbot für Arbeitsmigranten ausgesprochen. D.h. der Rückkehrzwang wurde in ein Ausreiseverbot umgewandelt. Speziell die ausländischen Männer im wehrpflichtigen Alter wurden an der Ausreise gehindert, damit sie nicht gegen Deutschland kämpfen konnten. An den Arbeitsbedingungen, die sich bis dahin entwickelt hatten, änderte sich jedoch nichts. Während des ersten Weltkrieges wurden die Gefangenen in Deutschland zur Arbeit gezwungen.[15]
3.2 1955 - 1970
Im Zuge des Wirtschaftswunders um 1955 gab es einen erheblichen Arbeitskräftemangel, der mit der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften auszugleichen versucht wurde. Am 22. Dezember 1955 wurde das erste Anwerbeabkommen für Arbeitsmigranten Deutschlands mit Italien unterzeichnet.
Zwischen 1959 und 1962 gab es einen Wendepunkt auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die deutsche Erwerbstätigenzahl sank und die ausländische Arbeitnehmerzahl nahm zu. Für diese Entwicklung werden vier Gründe angeführt. Erstens kamen in dieser Zeitspanne die geburtenschwachen Kriegsjahrgänge auf den Arbeitsmarkt, zweitens führte die verbesserte Altersvorsorge zu einer Absenkung des durchschnittlichen Eintrittsalters in den Ruhestand, drittens verlängerte sich die Ausbildungszeit und viertens sank die durchschnittliche Arbeitszeit. Außerdem blieben seit dem Mauerbau die Flüchtlingsströme aus der DDR aus und demnach fehlten deutsche Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt Westdeutschlands. Die ausländischen Arbeitskräfte füllten die so entstandenen Lücken auf dem Arbeitsmarkt. Bereits 1959 wurde es für viele Unternehmen schwierig weitere Arbeitskräfte zur Produktionsausweitung zu bekommen. Im März 1960 wurden deswegen weitere Anwerbeabkommen mit Griechenland und Spanien geschlossen. 1961 folgte der Vertrag mit der Türkei, 1964 mit Portugal und 1968 mit Jugoslawien.
Das Ausländergesetz von 1965 löste die bis dahin geltenden Gesetze und Erlasse aus der Vorkriegszeit ab und gab den Ausländerbehörden einen gewissen Ermessungsspielraum in Bezug auf die Ausländer aus Nicht-EWG-Staaten, um die `Arbeitskräftezufuhr` der wirtschaftlichen Situation Deutschlands anzupassen. Die Arbeitsmigranten aus EWG-Staaten, also nur die italienischen Arbeitsmigranten, sollten demgegenüber den deutschen Arbeitnehmern arbeitsrechtlich gleichgestellt werden, was bis 1970 auch schrittweise geschah. Für die Mehrheit der ausländischen Arbeiter aber prägte das Ausländerrecht, mit dem Konzept des vorübergehenden Aufenthalts, ihr Leben in Deutschland.
[...]
[1] Vgl. Ha, Kien Nghi, Die Kolonialen Muster deutscher Arbeitsmarktpolitik, in: Steyerl, Hito/ Rodriguez, Encarnacion Gutierrez (Hg.), Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik, Münster, 2003, S. 56.
[2] Herbert, Ulrich, Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880 bis 1980, Berlin, 1986, S.9.
[3] Ha, Kien Nghi, Die …, S. 56.
[4] Schubert, K./ Klein, M., Politiklexikon, Bonn, 2006, S. 159.
[5] Andere europäische Mächte begannen bereits ab dem 15. Jahrhundert Kolonien zu gewinnen; Deutschland begann damit erst im 19. Jahrhundert.
[6] Kolonien des damaligen Deutschen Reiches waren: Deutsch Neuguinea, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Witu, Kiautschou, Kamerun, Samoa und Togoland.
[7] Vgl.: Ha, Kien Nghi, Die …, S. 56 ff.
[8] Treibel, Annette, Migration in modernen Gesellschaften : soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht, 2., Aufl. – Weinheim, Juventa-Verl., 1999.
[9] Vgl.: Schubert, K./ Klein, M., Politiklexikon, Bonn, 2006, S. 196.
[10] Ronzani, Silvio, Arbeitskräftewanderung und gesellschaftliche Entwicklung. Erfahrungen in Italien, in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland, Hain, 1980, S.17.
[11] Vgl.: Ha, Kien Nghi, Die kolonialen Muster deutscher Arbeitsmigrationspolitik, in: Steyerl, Hito/ Rodriguez, Encarnacion Gutierrez (Hg.) Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik
Unrast: Münster, 2003, S. 61.
[12] Vgl.: Herbert, Ulrich, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, Bonn, 2003, S. 15 ff.
[13] Eine Arbeitssaison in der Landwirtschaft ging vom 1.April bis zum 15. November eines Jahres.
[14] Vgl. Herbert, Ulrich, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, Bonn, 2003, S. 14 ff.
[15] Ebenda.
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