Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Eine Betrachtung des Triebbegriffes
3. Der Zusammenhang zwischen dem Trieb und der Liebe
4. Triebe - Freiheit oder Determinismus?
5. Fazit
6. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Als nun so ihre ursprüngliche Gestalt in zwei Teile gespalten war, ward jede Hälfte von Sehnsucht zur Vereinigung mit der anderen getrieben […].“1
Worin liegt der Ursprung der Liebe? Diese Frage wurde in der Philosophie bereits von Platon in der hier angeführten Theorie der Kugelmenschen aufgegriffen und im Verlauf der Zeit vielfach diskutiert. Nicht selten wurde sein Konzept, das er in seinem als Dialog verfassten Werk „Das Gastmahl“ (lat. Symposium) darlegte, weiterführend verwendet. Es wurde zum Beispiel von dem Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freund (geb. 1856, gest. 1939)2 aufgegriffen, der zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts zählt und dessen umfassendes Schaffen in Form zahlreicher Theorien und Schriften bis heute stark diskutiert wird. Besonders seine Psychologie des Unbewussten wurde vielfach kritisiert, da sich darin wesentlich häufiger mythische Referenzen als in seinen anderen Werken finden lassen.3 Bei der Beantwortung der Frage nach der Liebe sind nach Freud die Triebe des Menschen essenziell beteiligt. Vom Trieb selbst sprach er als „[…] mythische[s] Wesen, großartig in [seiner] Unbestimmtheit.“4 Freuds Lehre ist eine sogenannte Konfliktlehre, deren Auseinandersetzungen nicht nur den Trieb behandeln, sondern ebenso Diskrepanzen zwischen Individuum und Gesellschaft, Natur und Kultur sowie Eros und Thanatos zum Thema haben.5 Freud thematisierte sie unter anderem in seinem Werk „Das Ich und das Es - metapsychologische Schriften“, das vorrangig als Primärquelle für diese Arbeit herangezogen wird.
Diese Arbeit untersucht den Liebesbegriff in der Freud’schen Trieblehre und hat die Diskussion der Fragestellung „Lässt sich - ausgehend von Sigmund Freuds Liebesbegriff - eine Determination in dessen Trieblehre feststellen?“ als Schwerpunkt. Dabei wird auf den Begriff des Triebes und die Abgrenzung zum Reiz eingegangen, bevor eine Abhandlung über Freuds Verständnis der Liebe vorgenommen wird. Darauf folgend wird anhand verschiedener Argumente und Sichtweisen diskutiert, inwieweit sein Konzept der Triebe eine Determination zur Folge hat und die Kontrolle des eigenen Handels und Denken nicht beim Individuum selbst liegt, sondern durch andere Kräfte bestimmt wird.
2. Eine Betrachtung des Triebbegriffes
2.1 Der Triebbegriff - eine Definition
Um Freuds Trieblehre analysieren zu können, muss eine weitgehend genaue Definition im Sinne des Philosophen vorgenommen werden. Grundlegend für diese präzise Erläuterung Freuds bekannter Theorie sind die drei psychischen Strukturen, die dem Menschen innewohnen: das Ich, dem die zentrale Rolle der Selbsterhaltung zukommt, das Über-Ich, dem die Kontrolle des Ichs obliegt, und das Es, die entscheidende Instanz für die Betrachtung der Triebe. Letzteres steht nicht nur für das Erbgut des Menschen und seine dahingehende Konditionierung, sondern umfasst ebenso die Triebe, deren Ursprung in der Körperorganisation zu sehen ist. Des Weiteren ist unter dem Es nach Freud der Ausdruck der Lebensabsicht des Individuums zu verstehen. Die Kräfte, die mit den damit verbundenen Spannungen in Folge der Bedürfnisse einhergehen, werden von ihm Triebe genannt.6
Der Begriff des Triebes ist in enger Verwandtschaft zum Reiz zu sehen, denn nach Sigmund Freud wird der Trieb diesem untergeordnet. Ein Reiz bezeichnet eine Einwirkung auf eine Nervensubstanz, die eine nach außen wirkende Aktion zur Folge hat. Dabei steht das Ziel im Vordergrund, sich dem Bereich des wirkenden Reizes zu entziehen. Der Trieb bezeichnet eine spezielle Form des Reizes, die sich vor allem darin auszeichnet, dass „der Triebreiz nicht aus der Außenwelt [stammt], sondern aus dem Innern des Organismus selbst.“7 Ein weiterer, daraus resultierender Unterschied zur allgemeinen Definition des Reizes liegt darin, dass ein Trieb als konstante Kraft zu verstehen ist, deren Wirkungsbereich das Individuum nicht entfliehen kann. Begrifflich lässt sich der Terminus mit dem sogenannten „Bedürfnis“ gleichsetzen, das eine Befriedigung durch eine zielgerichtete Veränderung der inneren Reizquelle verlangt. Diese Aufgabe schreibt Freud dem Nervensystem zu, das im Fall des Triebes dazu veranlasst wird, komplexere Tätigkeiten vorzunehmen, um die Außenwelt entsprechend zu verändern.8 Als bedeutsames Merkmal wird den Trieben von Freud zwar eine qualitative Gleichartigkeit zugesprochen, jedoch gleichzeitig eine Heterogenität aufgrund der verschiedenen Triebquellen, auf die im Folgenden eingegangen wird.
2.2 Die Entwicklung der verschiedenen Triebe bei Freud
Wie Freud selbst feststellte, unterliegt die Differenzierung der Triebe einer gewissen Willkür. Er begründete seine Einteilung anhand seiner klinischen Beobachtungen und Untersuchungen von psychischen Krankheiten, wobei sie im Verlauf seines Schaffens mehrere Phasen durchlief. Grundlegend für seine Differenzierung sind die sogenannten Urtriebe, die im Gegensatz zu den breit gefächerten Triebmotiven nicht weiter zerlegbar sind. Dabei unterscheidet Sigmund Freud die Ich- bzw. Selbsterhaltungstriebe und die Sexualtriebe, die ersteren gegenüber stehen. Nach Freud ist die Ursache für jegliche Affektionen wie Hysterie in einem Interessenkonflikt beider Urtriebe zu sehen.9 Dass Sigmund Freud den Sexualtrieb als Ursache für Erkrankungen deklarierte, bewirkte seine Ausgrenzung in Wissenschaft und Gesellschaft, wobei jedoch angemerkt werden muss, dass Sexualität von ihm nicht allein auf den Geschlechtsverkehr bezogen wird, sondern eher im Sinne einer besonderen Form eines Wunsches zu verstehen sei, die in zahlreichen Tätigkeiten des Menschen auftritt.10
Freud führte seine klinischen Untersuchungen fort, indem er beispielsweise Krankheiten wie Schizophrenie einbezog, was eine Entwicklung seiner Trieblehre im grundständigen Zustand notwendig machte. Es folgte die Einführung einer Ichlibido, da sich manche Krankheitsprozesse nur erklären lassen, wenn auch eine zum Ich gewandte Libido möglich ist und nicht ausschließlich eine auf Objekten beruhende. Das Ich wird dabei zum Gegenstand der Liebe und wie es in dem Prozess des Verliebtseins bzw. Liebens typisch ist, wird die Objektlibido zunehmend gesteigert, während jene zum Ich geradezu verarmt. Freud sieht zwischen den beiden Trieben einen engen Zusammenhang, der von dem österreichischen Philosophen mit der sexuellen Bedeutung versehen wird, da sie seines Erachtens nach in beiden Formen der Libido präsent ist. Eine Eingrenzung nimmt er lediglich in der Hinsicht vor, dass es eine Gruppe von Trieben gibt, deren Interessen nicht sexuell ausgerichtet sind. Sie werden von ihm als Ichtriebe bzw. Ichinteressen bezeichnet.11
Die letzte Phase der Entwicklung seiner Trieblehre geht auf die Unerklärlichkeit von Kriegsneurosen zurück, die durch einen fragwürdigen Wiederholungsdrang gekennzeichnet sind, der sich mit dem Luststreben seiner vorherigen Gruppierung nicht erläutern lässt. Die Erklärung der Wiederholung schrecklicher Erlebnisse machte es notwendig, über die libidinöse Art des Strebens hinauszugehen. Freud löste diese Problematik seiner Theorie mittels einer neuen Unterscheidung. Aus der Libido und dem ihr gegenüberstehenden Selbsterhaltungstrieb entwickelte der Philosoph den Lebenstrieb, den sogenannten Eros, und den gegensätzlichen Todes- bzw. Aggressionstrieb, die seine letztendliche Gruppierung der Triebe darstellen. Mit dieser Unterscheidung knüpft er an den antiken Vorstellungen an, da er der Liebe und dem Hass damit eine ähnliche Bedeutung zukommen lässt, wie sie Empedokles vermutete, der in ihnen die ursprünglichsten Prinzipien der Wirklichkeit sah.12
3. Der Zusammenhang zwischen dem Trieb und der Liebe
Mit dem Phänomen der Liebe beschäftigten sich im Verlauf der Geschichte zahlreiche Philosophen, wie Immanuel Kant oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Nietzsche beispielsweise beschrieb die Aufwallungen des Verliebtseins als störend und sah den verliebten Menschen als durch die Leidenschaften beherrscht an, was einen ähnlichen Grundgedanken wie die Trieblehre Freuds aufgreift.13 Es existieren die unterschiedlichsten Auffassungen, was unter Liebe zu verstehen ist und wo sie ihren Ursprung hat. Im Folgenden stellt sich die Frage, worin sich Liebe im Freud’schen Verständnis äußert und inwieweit sie auf die von ihm charakterisierten Triebe zurückzuführen ist. Sie wird von ihm „als die Relation des Ichs zu seinen Lustquellen“14 verstanden. Die erste Beziehung dieser Art, die nach seinen Erläuterungen festzustellen war, ist die Eigenliebe, die mit einer Gleichgültigkeit gegenüber der Welt verbunden ist. Dieser Urzustand des Menschen, den Freud als Narzismus bezeichnet, wurde von Autoerotik bestimmt, da das Individuum dabei in der Lage war, die Triebe teilweise an sich selbst zu befriedigen, weswegen es der Außenwelt nicht bedurfte. Es erfolgte jedoch eine Weiterentwicklung dessen, indem die Objekte der Außenwelt vom Ich aufgrund des herrschenden Lustprinzips aufgenommen wurden, woraufhin sich das Verhältnis von Lust und Unlust änderte. Das Individuum erreichte damit den Status des Lust-Ich, das den Lustcharakter allem überordnet. Dass die Liebe nach der Theorie von Sigmund Freud maßgeblich durch die Triebe charakterisiert wird, äußert sich darin, dass ihr Ursprung in der Fähigkeit des Ichs liegen soll, seine Triebe teilweise allein durch die Gewinnung von Organlust und damit autoerotisch, also ohne jeden Partnerbezug, zu befriedigen. Später geht sie jedoch auf Objekte über, wodurch unter den Lustquellen primär das Streben nach eben jenen Objekten verstanden wird.15 Demnach ist der Ablauf des Liebens eng in Verbindung mit dem Vorgang des Strebens der Sexualtriebe zu sehen.
Es bleibt die Frage offen, in welcher Verbindung die Liebe und die Sexualtriebe des Menschen zu sehen sind, beispielsweise ob sie gleichzusetzen sind. Freud gibt darauf keine eindeutige Antwort, da er einerseits äußert, dass unter dem Wort „lieben“ die Lustbeziehung zwischen dem Ich und dem jeweiligen Objekt zu verstehen ist, andererseits jedoch davon spricht, dass die Bezeichnungen „Liebe“ und „Hass“ nicht auf die Relationen der Triebe zu den Objekten, sondern eher in Bezug auf das Gesamt-Ich und seine Verbindungen zur Außenwelt angewendet werden sollen.16 Folglich lässt sich die Frage nach dem konkreten Verständnis von Liebe in Bezug auf die Triebe nicht eindeutig beantworten, da Freud nicht eindeutig festmacht, in welcher Beziehung die Liebe und die Triebe zueinander stehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass speziell den Sexualtrieben in der Liebe eine große Rolle zukommt, da zum Beispiel das Wort „lieben“ seine häufigste Verwendung in eben dieser Relation findet.
4. Triebe - Freiheit oder Determinismus?
4.1 Triebe in der Abhängigkeit
Freuds Triebbegriff wurde von ihm nachfolgenden Forschern als sehr komplex angesehen, da er ohne andere Aspekte wie Bewusstsein, Lust und Erkenntnis nicht gedacht werden kann und er das menschliche Seelenleben erstmals aus der Perspektive der Biologie betrachtet.17 In der Komplexität des Begriffes spiegelt sich ein Aspekt wider, der von Freud in gewisser Weise außer Acht gelassen wurde. Ein Trieb ist nicht notwendigerweise mit jedem anderen gleichzusetzen, denn die ihn begründenden Affekte Lust und Unlust stellen komplizierte Reaktionen des Individuums dar, die von Abhängigkeiten geprägt sind. Sie unterliegen nicht nur genetischen Bestimmungen, sondern auch dem wandelnden Zustand der psychischen Strukturen: dem Ich, dem Über-Ich und dem Es. Sie liegen in unterschiedlichen Beziehungen zu der jeweiligen Umwelt verschiedenartig vor.18 Dies beinhaltet einen erheblichen Einfluss darauf, wie sich die Triebe nach Freud konkret gestalten und hat die Frage zur Folge, ob dieser Einfluss als Determination verstanden werden kann.
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1 Apelt, Otto (Hrsg.); Platon (1993): Sämtliche Dialoge. Bd. 3. Hamburg: Meiner Verlag. S. 28.
2 Vgl. Lohmann, Hans Martin (1991): Freud zur Einführung. Hamburg: Junius-Verlag. S. 121-124.
3 Vgl. ebd. S. 94f.
4 Freud, Anna; Bibring, Ernst; Kris, Erik; Isakower, Otto (Hrsg.) (2001): Sigmund Freud. Gesammelte Werke in achtzehn Bänden. Bd. 15. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 101.
5 Vgl. Lohmann 1991, S. 12.
6 Vgl. Pleger, Wolfgang H. (2013): Handbuch der Anthropologie. Die wichtigsten Konzepte von Homer bis Sartre. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 173ff.
7 Freud, Sigmund (1992): Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag. S. 82.
8 Vgl. Freud 1992. S. 82ff.
9 Vgl. ebd. S. 86f.
10 Vgl. Schöpf, Alfred (1982): Sigmund Freud. München: Beck Verlag. S. 123.
11 Vgl. Schöpf 1982. S. 124.
12 Vgl. ebd. S. 125 und Freud 1992, S. 223f.
13 Vgl. Paprotny, Thorsten (2006): Die philosophischen Verführer. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 14ff.
14 Freud 1992, S. 96.
15 Vgl. Freud 1992, S. 96-99.
16 Vgl. ebd. S. 98.
17 Vgl. Sigusch, Volkmar (1984): Vom Trieb und von der Liebe. Frankfurt am Main [u.a.]: Campus-Verlag. S. 28f.
18 Vgl. Schur, Max (1973): Sigmund Freud. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 381.