Die Demokratiekrise in Peru


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

29 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG

II. DEFEKTE DEMOKRATIE
2.1 Definition des Terminus Defekte Demokratie
2.2 Kriterien einer defekten Demokratie

III. FALLBEISPIEL PERU
3.1 Geschichtlicher Abriss der peruanischen Demokratie
3.2 Die Wahlen 2021
3.2.1 PerúLibreund Pedro Castillo
3.2.2 Fuerza Popular und Keiko Fujimori

IV. DEFEKTE IN PERUS DEMOKRATIE

V. FAZIT

VI. LITERATURVERZEICHNIS

I. Einleitung

Die Qualität der Demokratien in Südamerika wird seit der Loslösung der Länder vom Au­toritarismus permanent in Frage gestellt. So wie viele andere südamerikanische Länder befindet sich auch Peru in einer politischen Krise, die das Land seit Jahren begleitet. In den Medien finden sich Schlagzeilen über Korruptionsskandale bei wichtigen Politi­kerinnen. Das Land befindet sich zudem in einer institutionellen Krise, die u. a. daraus resultiert, dass es innerhalb von der jüngsten Legislaturperiode von 2016-2021 vier Prä­sidenten gab. Aus all diesen Gründen wächst die Unzufriedenheit der Peruanerinnen über die politische Situation in ihrem Land stetig. Diese Unzufriedenheit drückt sich v. a. in der Politikverdrossenheit der Bevölkerung sowie in den aktuellen Wahlen aus, in denen eine rechts-konservative und eine linkspopulistische Partei, die nun auch den amtieren­den Präsidenten (Pedro Castillo) stellt, die größten Erfolge verzeichnen konnten.

Nach dem Demokratieindex der Zeitschrift „The Economist" befindet sich Peru im Ran­king von 2020 auf Platz 57, hat sich aber zum Vorjahr 2019 verschlechtert und wird als unvollständige Demokratie eingestuft.

Die folgende Arbeit wird sich daher mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern Perus Demokratie defekt ist und welche Faktoren dafür verantwortlich sind. Dafür wird zu­nächst die Definition der Defekten Demokratie nach Wolfgang Merkel sowie ihre Kriterien fokussiert. Im Anschluss wird die Geschichte der Demokratie Perus erläutert und hinter­fragt, inwiefern die verschiedenen Phasen derselben zurjetzigen politischen Krise beige­tragen haben. Danach erfolgt eine kurze Analyse der Wahlen von 2021 und der beiden wichtigsten Parteien im Kongress, darunter die Partei des amtierenden Präsidenten Pedro Castillo. Des Weiteren wird aus den Ergebnissen der erfolgten Erläuterungen der peruanischen Politik verdeutlicht, welche Defekte in Perus Demokratie vorliegen und in­wiefern sie die von Wolfgang Merkel aufgestellten Kriterien entsprechen. Zuletzt werden ein Fazit und ein Ausblick darüber gegeben, vor welchen Herausforderungen die perua­nische Demokratie und ihr neu gewählter Präsident stehen.

II. Defekte Demokratie

Im Folgenden wird ein theoretischer Rahmen für die darauffolgende Analyse des Fallbei­spiels Peru geschaffen. Dazu wird zunächst der Terminus der Defekten Demokratie einge­grenzt, von autokratischen Herrschaftsformen abgegrenzt und definiert. Zusätzlich wer­den zwei der Kriterien, und zwar das der Gewaltenkontrolle und das der bürgerlichen Freiheitsrechte, genauer beleuchtet, da es im späteren Verlauf der Arbeit auf Peru ange­wandt wird.

2.1 Definition des Terminus Defekte Demokratie

Um den Begriff der Defekten Demokratie zu verstehen, muss man zunächst definieren, welche Kriterien auf eine funktionierende Demokratie zutreffen und wie diese entsteht. Die Etablierung einer Demokratie setzt die Einführung von Institutionen voraus, die für die Regulation des Handelns der politischen Amtsträgerverantwortlich sind. Dieses Han­deln ist rechtlich universell genormt (vgl. Merkel 2003: 20). Ein definierendes Charakte­ristikum eines funktionierenden demokratischen Systems ist die Anerkennung der Ergeb­nisse von demokratischen Wahlen durch die Regierungen, woraufhin ein Regierungs­wechsel erfolgt. Außerdem existiert ein checks and balances-System, also eine horizontale Gewaltenteilung. Die Exekutive akzeptiert somit die Kontrolle durch die anderen Instan­zen. Weiterhin werden bürgerliche und politische Freiheiten beschützt.

Bei der Demokratisierung eines Landes kann der Ablauf zweier Prozesse beobachtet wer­den: Zum einen gibt es die Phase der Transition und zum anderen die der Konsolidierung. Die Transition stellt dabei den ersten Abschnitt dar, in dem die zentralen demokratischen Institutionen etabliert werden. Er endet nach der Implementierung derselben mit dem Inkrafttreten einer demokratischen Verfassung und dem Amtsantritt der von diesen vor­gesehenen demokratisch gewählten Organen (vgl. ebd., 21). Danach erfolgt in den meisten jungen Demokratien die Phase der Konsolidierung. Oft fängt sie schon während der Tran- sitionsphase an, sich zu konsolidieren. Einen genauen allgemein festgelegten Zeitpunkt für diese Phase gibt es allerdings nicht, da dieser immer vom Einzelfall abhängig ist. Wäh­rend der Konsolidierung werden die Minimalbedingungen von Demokratie anhaltend ge­sichert und ihre effektive Funktionalität wird gesichert. Dadurch minimiert sich die Mög­lichkeit einer Regression und die Chancen auf einen Zusammenbruch des Systems werden beseitigt. Um diese Phase erfolgreich zu beenden, muss sich ein demokratisches System institutionalisieren, legitimieren und stabilisieren. Defekte Demokratien kann man als Transformationssysteme klassifizieren, die die Minimalbedingungen der Transition erfül­len (vgl. ebd., 21).

Eine funktionierende Demokratie zeichnet sich demnach dadurch aus, dass sie diese Pha­sen der Demokratisierung durchlaufen hat und konsolidiert ist. Sie besitzt eine demokra­tische Verfassung, eine Gewaltenteilung, und vom Volk gewählte Vertreter, die durch de­mokratische Wahlen in ihr Amt gekommen sind. Allerdings lässt die Beobachtung, dass ein demokratisches System über einen bestimmten Zeitraum hinweg stabil ist, noch kaum Rückschlüsse auf seine Funktionsweise zu.

Es gibt verschiedene Faktoren, die eine Demokratie schwächen können und durch die die Defekte in der Demokratie entstehen können. Bei der Verwendung des Terminus defekt ist folgendes zu beachten:

[Er] bedeutet nicht, dass wir von der Existenz einer .perfekten' Demokratie ausgehen. Nicht die .ideale' oder die .perfekte' Demokratie bilden den Gegenpart zur defekten Demo­kratie, sondern die liberale, rechtsstaatliche und konstitutionell eingehegte Demokratie, (ebd., 15)

Eine defekte Demokratie kann als unvollständige Herrschaftsform, die durch formal oder informell entgrenzte Machtpotentiale beeinträchtigt ist, angesehen werden. Somit unter­scheidet sie sich von weichen autokratischen Regimen, denn wesentliche Merkmale einer Demokratie sind vorhanden. Sie ist aber auch differenziert von funktionierenden Demo­kratien zu betrachten, da die Volkssouveränität nicht vollständig gegeben ist (vgl. Thiery 2002, 71). Das Prinzip wurde zwar durch allgemeine, freie und gleiche Wahlen etabliert, aber wird von oder informell entgrenzten Machtpotentiale unterlaufen, indem bspw. dem Militär oder anderen nicht durch eine Wahl legitimierten Gruppen Privilegien zugestan­den werden. Wenn das Militär in einer Demokratie einen zu großen Einflussbereich hat, ist außerdem die Chance höher, dass ein Putsch seitens desselben stattfindet, was auch dazu beiträgt, dass das demokratische System geschwächt wird (vgl. Haggard; Kaufmann 2016,226).

The politicization of the military increases the vulnerability of democracy through at least three casual routes. First and most obviously, the military is not a neutral arbiter in such systems [...] Second, military involvement in politics also alters the structure of the broader political game. Both incumbent and opposition elites are more likely to consider appeals to militaries as potential allies in political or factional conflicts. Finally, [...] exter­nal events such as social mobilization, violence, or economic crisis are likely to trigger mil­itary intervention at much lower thresholds, (ebd.)

Die Machtkreisläufe innerhalb einer Demokratie, die von wirksamen institutionellen Ar­rangements einer Demokratie erzeugt, bevollmächtigt und auch eingehegt werden, wer­den demnach durch die Machtquellen eigenen Rechts (wie z. B. durch das Militär) in Mit­leidenschaft gezogen.

Das Konzept ist der defekten Demokratie ist so konstruiert, dass es keinen eigenen Re­gimetyp darstellt, sondern eine verringerte Form der Demokratie. „[Es] erlaubt [...] somit, die Grauzone zwischen rechtsstaatlich-konstitutionellen Demokratien und autoritären Systemen [,] systematisch zu erhellen und typologisch zu strukturieren. (Thiery 2002, 86)

Des Weiteren sind nach Merkel verschiedene Ausprägungen und Typen defekter Demo­kratien zu unterscheiden: Einen Typus stellen die exklusiven Demokratien dar, die durch die Merkmale des eingeschränkten Wahlrechts, und die Nichteinhaltungen von freien und fairen Wahlen gekennzeichnet sind. Weiterhin gibt es die illiberale Demokratie, deren Charakteristika der unvollständige Verfassungs-und beschädigte Rechtsstaat und die Be­schädigung der Grund-, Menschen, und liberalen Freiheits- und Bürgerrechte durch ge­wählte Regierungen sind. In der delegativen Demokratie ist die horizontale Gewaltentei­lung beschädigt, d. h. Regierungen können das Parlament umgehen bzw. die Justiz beein­flussen. Bei der Enklavendemokratie sind das Militär oder andere nicht durch Wahlen le­gitimierte Akteure im Besitz des Vetorechts (vgl. Merkel 2003, 69).

Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt bei der Erklärung des Begriffs ist, dass man davon ausgehen, kann „daß es sich bei defekten Demokratien nicht um rein transitorische Phänomene handelt." (Thiery 2002, 86) Die Regime von defekten Demokratien befinden sich demnach nicht in einer Übergangsphase mit Startschwierigkeiten.

Dies mag in einigen Fällen zutreffen, in denen die nachweisbare progressive Entwicklung eher für eine verzögerte Konsolidierung als für die Ausbildung einer defekten Demokratie spricht. Es existiere jedoch eine Fülle von defekten Demokratien, die - auf unterschiedli­chen Niveaus - stagnieren, regredieren oder ihr Defektprofil verändern, (ebd., 87)

Für die nachfolgende Analyse Fallbeispiels Peru wird basierend auf den bisherigen Aus­führungen folgende Definition, welche Wolfgang Merkel für den Terminus Defekte Demo­kratie vorschlägt, herangezogen:

[Defekte Demokratien sind] Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur Regelung des Herr­schaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik eines oder meh­rerer der übrigen Teilregime die komplementären Stutzen verlieren, die in einer funktio­nierenden Demokratie zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind. (Merkel 2003, 66)

2.2 Kriterien einer defekten Demokratie

Im Folgenden werden Kriterien einer defekten Demokratie dargestellt, wobei die der Ge­waltenteilung und der politischen Teilhaberechte genauer erläutert werden, da sie rele­vant für die Analyse des Fallbeispiels sind. Dazu wird sich erneut auf die Ausführungen von Wolfgang Merkel bezogen, der diese Kriterien aufgestellt hat.

Zu den Kriterien einer defekten Demokratie zählen die Beeinträchtigungen und die Be­schädigung in folgenden Teilregimen: das Wahlregime, die politischen Teilhaberechte, die bürgerlichen Freiheitsrechte, die Gewaltenkontrolle sowie die effektive Regierungskon­trolle (vgl. ebd., 80). Teilweise können sich einige Bereiche überschneiden. Wie bereits erwähnt, werden nun die Kriterien der Gewaltenkontrolle und der politischen Teilhaber­echte fokussiert.

Eine defekte Demokratie zeichnet sich durch die Defizite bzw. Defekte in deren Rechts­staatlichkeit aus: Das Justizwesen ist mangelhaft organisiert und die territoriale Durch­setzung desselben ist nicht zureichend. Der Rechtsethos bei der politischen und gesell­schaftlichen Oberschicht gilt als nicht habitualisiert. Politische Akteure umgehen schlicht­weg die Rechtsstaatlichkeit und beeinträchtigen somit formale Regeln, während infor­male undemokratische Regeln bevorzugt werden. So wird die Kontrollkette zwischen den Gewalten auseinandergerissen, obwohl das checks and balances-System unabdingbar für demokratische Prinzipien wie das der Volkssouveränität ist. Sobald sich die Exekutive verselbstständigt und Korruption durch fehlende Kontrolle der Gewalten untereinander ermöglicht wird, wird eine Demokratie anfälliger für autoritäre Regierungsstile. Dieser Mangel an Gewaltenkontrolle ist v. a. in den Ländern Südamerikas, Südkorea, der Slowa­kei, Kroatien und der Ukraine zu finden. Die Mechanismen der horizontalen Gewalten­kontrolle sind erst möglich, wenn ein Staat eine pluralistische Verfassung besitzt. Dadurch ist eine gegenseitige Kontrolle von Judikative, Exekutive und Legislative in der politischen Realität garantiert. Dabei soll keine der Instanzen in die andere eingreifen bzw. sie domi­nieren. Eine Überschreitung der Kompetenzen einer Gewalt kann allerdings manchmal durch gewisse Krisensituationen gerechtfertigt sein (vgl. ebd., 87f.).

Außerdem kann man zwei grundlegende Ausprägungen der Funktionsbeschränkungen unterscheiden. Zum einen wird eine Instanz dann beschränkt, wenn eine Andere verfas­sungswidrige Übergriffe in ihrem Kompetenzbereich vornimmt. Zum anderen können öf­fentliche Ämter für private Zwecke genutzt werden, was sich in Korruption äußert. "The weakening of checks on executive discretion also has an important political economy di­mension. Corruption, fraud, and abuse of office are routine features of incumbency in weakly institutionalized systems." (Haggard; Kaufman 2016: 228)

Noch problematischere Eingriffe in die Gewaltenteilung finden statt, wenn keine Kon­trolle der Exekutive durch das Parlament erfolgt, die Gerichte sie und andere öffentliche Amtsträger nicht ausreichend kontrolliert oder wenn die Gerichtsbarkeit nicht souverän gegenüber der Exekutive ist. Des Weiteren tendieren solche delegativen Regierungssys­teme dazu, Gesetzgebungsrechte der Legislative an die Exekutive abzugeben.

Je häufiger und je umfangreicher Staatspräsidenten ihre delegierten Legislativrechte zur Setzung unmittelbar geltenden Rechts nutzen, desto stärker wird die Exekutive zu einem obersten Gesetzgeber und die Legislative zu einem gesetzgeberischen ,Ersatzinitiator‘, der lediglich dort tätig werden kann, wo die Exekutive nicht aktiv werden will, (ebd., 89)

Eine besondere Bedeutung kommen den Beziehungen zwischen Regierung und Gericht- barkeit zu. In einer liberalen, rechtsstaatlichen und konstitutionellen Demokratie wird die Vereinbarkeit von Gesetzgebung und Gesetzanwendung durch einen Richter beauf­sichtigt, der demokratisch legitimiert wurde. Die Justiz muss aufgrund ihrer Überwa­chungsfunktion über die Legislative und Exekutive unabhängig sein (judicial review). Von der Verfassung müssen dafür Möglichkeiten zur Überwachung hoheitlicher Akte des Par­laments und der Regierung garantiert sein. Richter dürfen nicht von Dritten beeinflusst werden und keine Parteien bevorzugen bzw. benachteiligen. Daher muss es genügend Kompetenzen und Ressourcen in den Gerichten geben, um das Handeln von Regierung und Parlament, an die die Normen von Verfassung und Gesetz zu binden. „Erst dann kann ohne Rücksichtnahme auf persönliche politische Präferenzen und Sympathien für ein­zelne Akteure die Rechtmäßigkeit politischen Handelns nach allen Seiten hin erzwungen werden." (ebd., 90). In der Realität existieren unterschiedliche Formen der judicial review und deren Praktiken verorten sich somit unterschiedlich nah am richterlichen Aktivismus bzw. richterlicher Inaktivität.

Somit kann man das Kriterium der defekten Gewaltenteilung folgendermaßen zusam­menfassen:

Ein delegatives Syndrom liegt [...] vor, wenn über eine gewisse Dauer hinweg, also nicht nur in zugespitzten Krisenzeiten, die Exekutive umfangreiche Gesetzgebungskompeten­zen wahrnehmen kann, die Gerichte außerkonstitutionelles und illegales Verhalten der Amtsträger in der Regel nicht ahnden oder die Judikative insgesamt nicht unabhängig ge­nug ist, um gegen politische Eingriffe widerstandsfähig zu sein und eine relative Unabhän- gigkeitzu gewährleisten, (ebd., 91)

Dabei wird die die Grenze zum Autoritarismus überschritten, wenn eine der Gewalten eine andere de facto ausschaltet, oder permanent in ihren Kompetenzbereich eindringt und sich diesen auf diese Weise aneignet. Somit entsteht ein Machtmonopol der staatli­chen Herrschaft.

Wenn das Teilregime der politischen Teilhaberechte beschädigt ist, ist einerseits die As­soziationsfreiheit und andererseits die Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheit ein­geschränkt. Politische Teilhaberechte „umfassen das R.echt, Parteien und andere Vereini­gungen zu organisieren, sich ohne Behinderung in politischen Aktivitäten jeglicher Art zu engagieren (wie Versammlungen, Demonstrationen, Streiks, u.ä.)." (ebd., 81) Außerdem inkludiert dieses Teilregime die Garantie auf freie Meinungsäußerung und da­rauf, dass die Bevölkerung nicht in ihrem politischen Engagement auf irgendeine Art ein­geschränkt wird. Defekte in diesem Teilregime resultieren in derfallacy ofelectoralism, d. h., dass ein Großteil der Bevölkerung keine Partizipations- und Artikulationsmöglichkei­ten hat, wenn ihr kein freier Zugang zur Öffentlichkeit gewährt wird (vgl. ebd.).

Die Beeinträchtigung der Assoziationsfreiheit unterbindet dabei die Partizipation und In­teressenrepräsentation. Es sind dabei zwei Aspekte der Einschränkungen zu unterschei­den: Einerseits wird die Formation politischer und zivilgesellschaftlicher Organisationen behindert, bspw. die Bildung von Parteien, welche eine besonders beliebte Form der kol­lektiven Einflussnahme auf politische Prozesse darstellt. Sie ist außerdem notwendig, um die Offenheit von Wahlen und für den Prozess politischer Einflussnahme zwischen den Wahlen zu garantieren und für die Kontrolle von R,egierungsaktivitäten. Einschränkungen in diesem Aspekt sind nur dann legitim, wenn sie Organisationen betreffen, die den de­mokratischen Status gefährden und sich gegen die Grundsätze einer Demokratie wenden. Ansonsten erschweren sie die Partizipation, die Kontrolle und die gesellschaftliche und politische Pluralität (vgl. ebd., 82). Auf der anderen Seite steht der Aspekt des R.echts auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, welcher ein komplementäres Freiheitsrecht darstellt (vgl. ebd.).

Das Kriterium der Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheit bezieht sich auf die Mas­senmedien. Diese müssen vom Staat unabhängig sein und dürfen keiner Einschränkung durch politische Restriktionen erliegen. Es beschreibt das Recht, von Regierung und Staat unabhängig, seine Meinung äußern zu können, ohne durch Verbote oder Drohungen, da­rin beschränkt zu werden. „Wo die Bevölkerung keine oder manipulierte Informationen über Politiker und Politiken erhält, ist ihre Fähigkeit zur Teilnahme am politischen Pro­zess eingeschränkt." (ebd., 83) Die Eingriffsmöglichkeiten des Staates sind hierbei divers und reichen von rechtlichen Eingriffen, politischer Forcierung und Kontrolle und wirt­schaftlichen Einflüssen auf die Inhalte der Medien bis hin zu repressiven Handlungen wie die Ermordung von Journalistinnen, Zensur oder Verhaftungen (vgl. ebd.).

Anhand der beschriebenen Kriterien der Gewaltenteilung und der politischen Teilhaber­echte sowie der Definition einer defekten Demokratie, wird in den folgenden Kapiteln analysiert, inwiefern diese Konzepte auf das Fallbeispiel Peru zutreffen.

III. FallbeispielPeru

Um die vorher beschrieben Defekte einer Demokratie anhand des ausgewählten Kriteri­ums der Gewaltenteilung zu beschreiben, eignet sich Peru als Beispiel aufgrund seiner Geschichte sowie aufgrund von aktuellen Ereignissen. Deshalb werden im Folgenden ein geschichtlicher Überblick über die Transitionsphase der peruanischen Demokratie gege­ben sowie die aktuellen Wahlen von 2021 und mit ihnen die erfolgreichsten Parteien Perú Libre und Fuerza Popular fokussiert.

3.1 Geschichtlicher Abriss der peruanischen Demokratie

In Peru setzte die Demokratisierung nach 12 Jahren Militärdiktatur in den 80er Jahren ein. 1980 wurde Fernando Belaünde, der 1968 vom Militär aus seinem Amt geputscht wurde, Präsident und übergab die verstaatlichten Unternehmen teilweise wieder in Pri­vatbesitz. Somit kamen auch die alten politischen Eliten wieder an die Macht. Das Partei­ensystem begann sich mit den zuvor auch präsenten Parteien erneut zu etablieren. Au­ßerdem standen die 80er Jahre in Peru unter dem Vorzeichen terroristischer Gewalt, wel­che durch die linksgerichtete Guerilla-Organisation Sendero Luminoso begangen wurde. Sie führten ihren Kampf gegen die Regierung, begangen aber auch massive Gewaltverbre­chen an der Zivilbevölkerung (vgl. Merkel; Puhle et al. 2006, 38).

Schon bald nach dem demokratischen Neunanfang entwickelte sich in den 1980er Jahren ein Krisensyndrom aus beschleunigtem soziokulturellem Wandel, Erschöpfung des Ent­wicklungsmodells, Verschuldungskrise, Hyperinflation und Terrorismus, dass die staatli­che Handlungskapazität und schließlich auch die politischen Repräsentationsstrukturen zu überfordern begann, (ebd.)

Am Ende der Amtszeit von Belaünde (1985) hatte das Militär seinen Einflussbereich im Zuge von Terrorismusbekämpfung wieder ausgeweitet. Unter Alan García, der 1985 an die Macht kam, spitzte sich die Staats-und Wirtschaftskrise zu. Außerdem exponierte sich das Militär als Vetomacht und illiberale Tendenzen weiteten sich aus. Die peruanische Demokratie in den 80er Jahren lässt sich als delegativ charakterisieren. Sie hinterließ ei­nen Staat am Rande des Zerfalls, in dem das Militär, welches aufgrund der fehlerhaften Wahrnehmung des Terrorismus durch die Präsidenten eigene Anti-Terror-Strategien ent­wickelte, die einzig funktionierende Institution darstellte (vgl. Muno; Thiery 2002, 294). 1990 wurde der unabhängige Kandidat Alberto Fujimori gewählt, der sich im zweiten Wahlgang gegen die Rechte unter Führung des Schriftstellers Mario Vargas Llosa, eine uneinige Linke und die Regierungspartei APRA unter Alan García durchsetzte. Er ver­dankte seinen Wahlerfolg der Regierungsbilanz seines Vorgängers Alan García Pérez und hatte keinerlei politischen Erfahrung. Die Mehrheit, die ihn wählte, wollte aber das Risiko eingehen, weil sie nicht mehr bereit war, dem diskreditierten politischen Establishment ein weiteres Mal zu vertrauen (vgl. Paap; Schmidt-Welle 2016, 63). Fujimori gelang es, erste Schritte zur Eindämmung der wirtschaftlichen Krise zu unternehmen. 1992 mar­kierte das Jahr, indem es unter Fujimori zu einer ersten autoritären Regression kam. Er ließ das Parlament auflösen, intervenierte die Judikative und setzte die Verfassung außer Kraft. Somit begann innenpolitisch ein intensiver Kampf gegen die marxistische Guerilla. Dabei schonte er auch seine politischen Gegner nicht, obwohl diese teilweise keine Ver­bindung zur Guerilla hatten. Bis 1995 herrschte im peruanischen Staat eine parakonstitu­tionelle Situation. Fujimori legitimierte sich aus der Direktwahl des Präsidenten und die demokratischen Institutionen blieben bis zu diesem Jahr suspendiert. Außerdem fun­gierte die Verfassungsgebende Versammlung als Gesetzgebende Versammlung. 1993 wurde eine Verfassung erarbeitet, die stark auf Fujimoris Herrschaftsansprüche zuge­schnitten war. Eine wichtige Reform der neuen Verfassung bestand darin, dass der am­tierende Präsident sich zur Wiederwahl stellen konnte. Zusammen mit den Wahlergeb­nissen von 1995 resultierte daraus eine starke Machtmonopolisierung Fujimoris. Ein gro­ßer Erfolg während seiner Amtszeit war die Gefangennahme des Führers des Sendero Lu­minoso, Guzmán, der zu einem Waffenstillstand aufrief. Zusammen mit der wirtschaftli­chen Erholung bekam Fujimori dadurch die Zustimmung breiter Volksschichten (vgl. Merkel; Puhle et al. 2006, 39).

Von 1995-1997 etablierte sich eine defekte Demokratie, die durch delegative und popu­listische Merkmale, Privilegien des Militärs, schwachen Representationsstrukturen und starker Dominanz der Regierung in den Medien gekennzeichnet war. Als Fujimori 2000 die Präsidentschaftswahlen erneut gewann, was die Verfassungsgebende Versammlung nicht anerkennen wollte, setzte das Parlament, in dem der Großteil hinter Fujimori stand, drei der sieben Verfassungsrichter ab. Damit war die Gewaltenteilung endgültig außer Kraft gesetzt. Die Zustimmung für Fujimori in der Bevölkerung, v. a. bei der Unterschicht, war der Regierungspropaganda, zahlreichen Wahlorganisationen und klientelistischen Bindungen sowie Sozialmaßnahmen auf dem Land zu verdanken (vgl. ebd., 63).

Ohnehin verfing die Rhetorik des Präsidenten vor dem Hintergrund offenkundiger Unre­gelmäßigkeiten vor und während der Wahlen nicht mehr. Hinzu kam, dass Fujimoris wich­tigster Gegenspieler Toledo, in erster Linie von der Mittelschicht sowie jungen Leuten un­terstützt, der ihm mit seiner Gruppierung Perú Posible mit 40,3 % der Wählerstimmen im ersten Wahlgang gefährlich nahe gekommen war, wegen Benachteiligung den entschei­denden zweiten Wahlgang boykottierte. Ein Großteil der Bevölkerung ging also davon aus, dass diese Wahlen irregulär und damit ungültig waren. (Paap; Schmidt-Welle 2016, 66)

Zusammenfassend lässt sich über die Ära Fujimoris feststellen, dass sein Regime korrupt sowie autoritär war. Seine Regierungszeit hat den Lernprozess der politischen Eliten an­gestoßen, was ein höheres Maß an Kooperation zwischen den Parteien und eine höhere Achtung der Gewaltenteilung zur Folge hat. „Auch die Bedingungen der Enklavendemo­kratie haben sich durch Säuberungen im Militär, die Reform der zivil-militärischen Bezie­hungen und das geringe Ansehen des Militärs stark abgeschwächt." (Merkel; Puhle et al. 2006, 65) Jedoch gibt es einige Ursachen der Demokratiedefekte, die die Ära Fujimori überstanden haben. Viele Merkmale des Typus der illiberalen Demokratie waren nach Ende seiner Amtszeit noch immer in Perus Demokratie vorzufinden, insbesondere die so­zialen Segmentierungen und die Schwächen der staatlichen Institutionen. Die in Peru tra­ditionell schwachen, wenig institutionalisierten und fragmentierten Parteien waren, wie alle anderen Repräsentationssysteme, noch fragiler geworden (vgl. ebd.).

Nach Fujimori gab es in Peru ein präsidiales System ohne einen gewählten Präsidenten. Außerdem existierten keine Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Grundlage. Der Ein­fluss des Parlaments war minimal, das Parteiensystem fragil. Es herrschte Korruption und durch die Polizei und das Militär waren Menschenrechtsverletzungen begangen worden, weshalb das Vertrauen der Zivilbevölkerung in diese Institutionen nicht mehr vorhanden war.

Im Juni 2001 löste Alejandro Toledo Manrique Fujimori als Präsident ab. Wie von seinem Vorgänger war es sein primäres Ziel, die Wirtschaft zu fördern und Wachstum zu gene­rieren. Außerdem versprach er das Ende der Korruption und die Fortsetzung der Demo­kratisierung des Landes. Jedoch konnte er diese Versprechen nicht einhalten und die Ent­wicklung des Landes blieb dahinter zurück. Während seiner gesamten Amtszeit berück­sichtigte er die sozialen und ethnischen Probleme nicht genug, weshalb es zu sozialen Protesten kam, die er gewaltsam niederlegen ließ. Er galt als erster Präsident mit indige­nen Eltern und damals als geeigneter Mann für den demokratischen Neuanfang, jedoch bekam er die bereits erwähnten Probleme sowie die Korruption nicht in den Griff (vgl. ebd., 75ff.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Die Demokratiekrise in Peru
Hochschule
Universität Rostock
Note
1,7
Autor
Jahr
2021
Seiten
29
Katalognummer
V1169230
ISBN (Buch)
9783346582126
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Peru, Lateinamerika, Südamerika, Demokratie, Krise, Transition, Diktatur, Politik, Defekt, Autokratie
Arbeit zitieren
Marie Brockmann (Autor:in), 2021, Die Demokratiekrise in Peru, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1169230

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