Märchenerzählen mit Rotem Faden in der Grundschule (3.Klasse Deutsch)


Unterrichtsentwurf, 2015

12 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Thema der Unterrichtseinheit

2 Ziele der Unterrichtseinheit

3 Aufbau der Unterrichtseinheit

4 Didaktischer Schwerpunkt
4.1 Didaktische Begründung der Unterrichtsreihe
4.2 Lernvoraussetzungen für die gezeigte Unterrichtsstunde
4.3 Didaktische Begründung der Unterrichtsstunde
4.4 Individueller Lernzuwachs bei der zentralen Lernaufgabe

Verlaufsplan

Quellenverzeichnis

1 Thema der Unterrichtseinheit

Ein Spaziergang durch den Märchenwald – Eine fächerübergreifende, integrative Unterrichtseinheit zur Förderung der Erzählkompetenz und –freude, die durch die Auseinandersetzung mit individuell bedeutsamen Märchen angeregt wird.

2 Ziele der Unterrichtseinheit

Die SuS1 sollen ihre Erzählkompetenz im Bereich „Sprechen und Zuhören“ mit dem Schwerpunkt „Zu anderen sprechen“ erweitern, indem sie mithilfe der Methode des „roten Fadens“ ein für sie bedeutsames Märchen nacherzählen und das glückliche Ende neu interpretieren, d.h. neue Ideen für den Ausgang des Märchens entwickeln. Durch die vorherigen Stunden konnten sich die SuS bei einer Erzählrunde im „Schulhofswald“ und bei dem Ritual „Märchenwald“ auf das Thema „Märchen“ einlassen und sich an die Struktur und das wortgeleitete Nacherzählen von Märchen gewöhnen. Außerdem haben sie durch ihre Gedanken zu der Auswahl verschiedener Märchen beigetragen und sich mit einem für sie bedeutsamen Märchen identifiziert. Die von ihnen gestalteten Märchenstationen und Stichworte am roten Faden unterstützen sie beim Erzählen, das in der letzten Stunde der Einheit vor der ersten Klasse wiederholt wird.

3 Aufbau der Unterrichtseinheit

1. Sequenz: „Wenn ich an Märchen denke, denke ich an…“ – Einstimmung auf das Thema „Märchen“ und Aktivierung von Vorwissen sowie Sammeln erster Merkmale von Märchen in der untersten Schicht unserer Wissensburg2
2. Sequenz: Ausflug in den „Schulhofswald“ – Verdeutlichung des Ziels der Reihe durch freies Erzählen von „Hänsel und Gretel“ zwischen den Bäumen auf dem Schulhof anhand von einem Lebkuchenhaus, Steinen, Brotkrümmeln und Figuren, die von den Kindern während des Erzählens aktiv bewegt werden sowie anschließender gemeinsamer Nacherzählrunde3 (Märchensteckbrief 1)4
3. Sequenz: Es war einmal ein schönes Mädchen… – Vorlesen des Märchens „Goldlöckchen und die drei Bären“ unter Einbezug der Kinder mit anschließender Nacherzählrunde und individuellem Schreiben zu Skizzen des Märchenverlaufs (Märchensteckbrief 2)
4. Sequenz: Es war einmal ein Prinz… – Vorlesen des Märchens „Der Prinz mit den Eselsohren“ anhand von einem szenischen Spiel, das die ganze Klasse miteinbezieht (König, Feen, Prinz, Barbier, Beichtvater, die Hirten) sowie Festigung des Inhalts in der Nacherzählrunde und in einem Reihenfolgespiel (Märchensteckbrief 3)
5. Sequenz: Gang in den Märchenwald – Identifizierung mit einem Märchen beim musikalisch begleiteten Gang vorbei an den drei Märchenstationen in der Klasse mit anschließender Gestaltung von Expertenmedaillen
6. Sequenz: Wir werden Märchenexperten 1 – Ergänzung der Märchenstationen durch mitgebrachte Gegenstände der Kinder und Einführung der Methode „roter Faden“ anhand des Rituals „Märchenwald“ sowie Übertragung der Merkmale des Märchenwaldes auf das individuelle Expertenmärchen anhand eines Arbeitsblattes „Mein Märchenwald“
7. Sequenz: Wir werden Märchenexperten 2 – Entwicklung einer Erzählstruktur für den roten Faden durch Anfertigen von Erzählkärtchen zu individuell bedeutsamen Märchen
8. Sequenz: Wir werden Erzählexperten –Festlegung drei wichtiger Merkmale eines Märchenerzählers auf unseren Erzählkronen und Ergänzung der roten Fäden durch fantasiereiche Enden
9. Sequenz: Wir werden Märchenerzähler – wir erzählen ein für uns bedeutsames Märchen mithilfe unseres individuellen roten Fadens nach und interpretieren dabei das glückliche Ende neu
10. Sequenz: Welcher Märchenerzähler gefällt uns am besten? – Erzählen der Märchen mithilfe des roten Fadens und Abstimmung der SuS, da nicht alle Kinder vor der 1. Klasse Märchen erzählen können
11. Sequenz: Wir treten als Märchenerzähler auf – Erzählen der Märchen in der Klasse 1 mithilfe des roten Fadens sowie gemeinsames Essen des Lebkuchenhauses und Ergänzen der Wissensburg

4 Didaktischer Schwerpunkt

„Kinder brauchen Märchen“ (Bruno Bettelheim).

4.1 Didaktische Begründung der Unterrichtsreihe

„Kinder brauchen Märchen“ lautet der Titel eines Buchs von Bruno Bettelheim (Bettelheim 1999: 1). Diese Aussage wird in der pädagogischen Literatur zum Thema „Märchen“ vielfach begründet: Es werden psychologische, erzieherische und moralische Aspekte genannt, die durch Märchen vermittelt werden. Was Märchen aber wirklich für Kinder bedeuten, fasst Linde Knoch zusammen: „Kinder finden in unserer Zeit leichter Zugang zu den Märchen als Erwachsene […] Sie hinterfragen nicht realistische Hintergründe. Märchen bieten ihnen vielmehr die Möglichkeit in eine fantasiereiche Märchenwelt abzutauchen, in der sie sich fürchten, freuen, und sich mit ihren heldenhaften Hauptfiguren identifizieren können.“ (Vgl. Knoch 2001: 26)

Die Klasse 3 ist eine kreative Klasse, die sich sehr für fantasiereiche Gestalten interessiert. Neben den Olchis und lebenden Kartoffeln, werden auch Geschichten des sprechenden Klassenkängurus mit viel Interesse verfolgt. Auch in den „Freundschaftsbüchern“ der Kinder wird vielfach der Wunsch geäußert, zaubern zu können und in der Klassenbücherei sind mehrere Bücher über Feen, Prinzen und anderen zauberhaften Wesen zu finden. Passend zur winterlichen Jahreszeit wurde dementsprechend das Thema „Märchen“ mit einer Fantasiereise (Wenn ich an Märchen denke…) begonnen. Da diese sehr positiv aufgenommen wurde, wurde die Reihe fortgeführt.

Ausgehend von den Notizen der Kinder aus dieser Fantasiereise wurden die Märchen für die Unterrichtsreihe ausgewählt. Da mehrmals die Wörter „Wald“ und „Lebkuchenhaus“ aufgeschrieben wurden, wurde das bekannte Märchen „Hänsel und Gretel“ als Einstieg gewählt. Außerdem waren den Kindern „Prinzen“ und „Prinzessinnen“ wichtig, wobei bei den Mädchen „Schönheit“ eine wichtige Rolle spielte und bei den Jungen „König“ und „Bestrafung“ genannt wurden. Damit die Kinder sowohl eine männliche als auch eine weibliche Identifikationsfigur in einem Märchen vorfinden (Vgl. Knoch 2001: 55), wurde dies zusätzlich bei der Auswahl der Märchen beachtet. Es wurde das englische Märchen „Goldlöckchen und die drei Bären“ und das portugiesische Märchen „Der Prinz mit den Eselsohren“ gemeinsam mit den Kindern behandelt.5 Nachdem „Goldlöckchen und die drei Bären“ erzählt wurde, wurde von den Kindern der Wunsch geäußert, auch mal ein Märchen szenisch zu spielen. Das Märchen „Der Prinz mit den Eselsohren“ wurde daher mit den SuS nachgespielt und dadurch inhaltlich vertieft. Den SuS wurde im nächsten Schritt die Möglichkeit gegeben, sich intensiv auf ein für sie bedeutsames Märchen6 einzulassen und dafür Experten zu werden. Da nach jedem Märchen immer ein Märchensteckbrief von den SuS ausgefüllt wurde, indem die Kinder aufschreiben, was ihre Lieblingsfigur ist und ob ihnen das Märchen gefällt, wurde ihnen die Entscheidung erleichtert. Dazu wurde ihnen ein Originaltext oder ein kurzer, vereinfachter Text zur Verfügung gestellt, sodass den SuS bereits an dieser Stelle eine differenzierte Herangehensweise an das jeweilige Märchen gewährleistet werden konnte. In einem nächsten Schritt können sich die Kinder in Ruhe mit einem Märchen identifizieren, indem sie ihre Märchenstation mit Gegenständen gestalten, Expertenmedaillen zum Umhängen basteln und Hilfskarten für den roten Faden erstellen. Dabei durfte jedes Kind selbst entscheiden, wie viele Karten es benötigt, welche Textgrundlage es wählt (paragraphiert, kurz, lang) und ob es 1 oder mehrere Wörter auf einem Kärtchen zum Nacherzählen benötigt. Zum Schluss wurde nochmals die Fantasie der Kinder angeregt, ein anderes, glückliches Ende für ihr Märchen zu erzählen, da das Ende der Märchen von vielen Kindern ohnehin in Frage gestellt wurde („Warum haben die Eltern Hänsel und Gretel eigentlich nicht geholfen?). Außerdem betont Claus Claussen, dass Kinder besonders dann gespannt zuhören und erzählen können, wenn das Ende unbekannt ist und sie ihre individuellen Interpretationen einer Geschichte zeigen können (Vgl. ebd.: 36f.)

Das Ziel des kreativen „Nacherzählens“ von Märchen ist dabei in jeder Unterrichtsstunde der Reihe präsent. Das wird zunächst anhand des Rituals „Märchenwald“ deutlich, bei dem anhand von Wörtern, die mit der Klasse erarbeitet wurden, ein Klassenmärchen schrittweise entwickelt und nacherzählt wird.7 Dafür sind auf einem Märchenwald, der in Kunst von den Kindern selbst mitgestaltet wurde, zunächst allgemeingültige Begriffe (Hauptfigur, Unglück/Aufgabe, Bösewicht/Helfer/magischer Ort usw.) gesammelt, und durch konkrete Vorstellungen der Kinder ergänzt worden. Bei dem Ritual „Märchenwald“ spazieren die SuS tatsächlich auf dem gemalten Märchenwald und erzählen anhand von den Wörtern, an denen sie vorbeilaufen, das Märchen nach. Dabei ergeben sich kreative Variationen, da jedes Kind sich an andere Details erinnert, die für es persönlich bedeutsam sind. Dieses Prinzip ähnelt der Tradition des Nacherzählens von Märchens, in der es zu verschiedenen Interpretationen kam (Vgl. Schilcher/Pissarek 2015: 42). Genau dies kann auf das individuelle Erzählen am roten Faden übertragen werden, dass das Ziel der gezeigten Unterrichtsstunde darstellt.

4.2 Lernvoraussetzungen für die gezeigte Unterrichtsstunde

In der Klasse 3 sind 24 SuS, davon 15 Mädchen und 9 Jungen, die ich seit Mai 2015 unter Anleitung meiner Mentorin Frau M. unterrichte. Ihre Kompetenzen im Bereich „Sprechen und Zuhören“ sind durch regelmäßige, beliebte Erzählrituale wie „Der Morgenkreis“ und auch durch Theaterstücke zur Einschulung der Erstklässler und zu St. Martin erweitert worden. Demnach sind die Kinder als erzählerfahren und auch als erzählfreudig zu bezeichnen. Erfahrungen mit der Methode des „roten Fadens“ haben sie dabei bisher noch nicht gesammelt. Diese zentrale Lernaufgabe des „Erzählens am roten Fadens“ wird manchen Kindern mit Migrationshintergrund wie etwa N., D., V., A., O., Z., S., M., K. und C. weniger leicht fallen als anderen Kindern, da der Erzählfluss durch ein geringeres Sprachgefühl und einen kleineren Wortschatz unterbrochen werden könnte. Die Lernaufgabe ist aber dennoch auch für diese Kinder zu bewältigen, weil auch kürzere Märchen und nur wenige Sätze eine(n) gute(n) Märchenerzähler(in) ausmachen können (s.o.). Für ruhigere Kinder, wie etwa V., K., A. und M., die sich selten am Unterrichtsgeschehen beteiligen, wird das Erzählen vor der Klasse außerdem zunächst ungewohnt sein. Das Erzählen in Expertengruppen stellt für diese Kinder daher eine wichtige Übungsphase dar. Als besonders erzählbegeistert sind J., M., S., J., N., P., und J. zu nennen. Vor allem J., der aufgrund seines sonderpädagogischen Förderbedarfs beim Schreiben weniger leicht zu motivieren ist, ist sehr für das Erzählen zu begeistern. Bei der gezeigten Unterrichtsstunde wird die Sonderpädagogin Frau D. zu seiner Unterstützung anwesend sein. Sie fördert J. seit August sowohl im Einzel- als auch im gemeinsamen Unterricht. Sie wird in der gezeigten Unterrichtsstunde vorrangig J. helfen und gegebenenfalls auch Fragen anderer Kinder beantworten.

4.3 Didaktische Begründung der Unterrichtsstunde

Die Unterrichtsstunde beginnt mit dem Einstiegsritual 1 „Känguruglocke“, in dem sich die „Kängurukinder“ der Klasse 3 nach der Think-Pair-Share-Methode über das Thema der letzten Unterrichtsstunde austauschen. Dies dient der selbstständigen Aktivierung von Vorwissen und bildet einen Anknüpfungspunkt zur heutigen Stunde. An der Einheitstransparenz wird die Klammer daraufhin von einem Kind ein Baum weitergesteckt, sodass nochmal wiederholt wird, was für ein Ziel wir uns für die heutige Unterrichtsstunde gesetzt hatten: „Wir werden Märchenerzähler unserer Expertenmärchen“. Das Ziel wird ebenfalls sichtlich von der LAA an der Tafel aufgeklappt, damit es für alle Kinder präsent ist. Dadurch, dass die Planung der Einheit, die Aktivierung von Vorwissen und die Verkündigung des Ziels vorrangig von den Kindern übernommen werden, gelingt ein kindsgeleiteter Einstieg. Die SuS können sich in ihrer Rolle als „Lernexperten“ einfinden, die Bartnitzki zufolge von großer Bedeutung ist (Vgl. Bartnitzki 2014: 25f.)

Damit die Kinder zunächst auf das „Erzählen“ eingestimmt werden, werden sie mit der Symbolkarte „Tanne“ zum Einstiegsritual 2 in den Kinositz geholt. Dies schafft einen fließenden Übergang, der das Ziel der Stunde unmittelbar mit dem Einstieg in das Erzählen verknüpft. Beim Einstiegsritual „Märchenwald“ nehmen sich die SuS selbst dran und gehen selbstständig durch ihren Märchenwald, der auf einer Plane auf dem Boden liegt. Dabei nehmen sie die Erzählwörter unseres Klassenmärchens, die wir uns überlegt haben, als Anreiz zum kreativen Erzählen und hängen sie an den großen roten Faden an der Tafel. Dadurch werden die SuS auf das Thema „Märchen“ und „Erzählen“ eingestimmt: Einerseits schafft der von den Kindern in Kunst gestaltete Märchenwald eine anregende Lernumgebung, die eine wichtige „Bedingung für die Entwicklung der mündlichen Sprachkompetenz“ darstellt (Bartnitzki 2013: 53). Andererseits bereitet sie der Spaziergang vorbei an Wörtern, zu denen sie erzählen, auf die zentrale Lernaufgabe der Unterrichtsstunde vor: Das Erzählen am roten Faden. Der rote Faden hilft Klank zufolge, die Märchen in ihrer besonderen Struktur zu begreifen, was für Grundschulkinder noch eine große Herausforderung darstellt, da sie an vielen „Stationen“ vorbeikommen müssen (Vgl. Klank 2002: 12). Dies wird den Kindern durch das Einstiegsritual „Märchenwald“ deutlich, da sie aktiv an diesen Stationen vorbeilaufen können. Dabei gilt es die Kinder zum Erzählen zu ermutigen (Vgl. Claussen 1995: 37), es gibt folglich kein richtig oder falsch: Es können nur ein kurzer Satz oder mehrere Sätze zu den Wörtern erzählt werden, je nach individuellen sprachlichen Handlungsmöglichkeiten des Kindes. Außerdem findet jedes Kind andere Aspekte persönlich wichtiger: Variationen, die das Märchen witziger oder spannender machen, sind erwünscht.

Am Ende des Märchenwaldes liegen drei Kronen. Der Letzte, der durch den Märchenwald geht, darf diese immer an drei Kinder verteilen, die seiner Meinung nach besonders tolle Erzähler sind. Diese „Erzählexperten“ hängen die Kronen an die Tafel, auf denen wir zusätzlich in der letzten Stunde Kriterien gesammelt haben, die uns besonders wichtig sind beim Erzählen von Märchen. Dabei sind von den Kindern inhaltliche Kriterien wie „es war einmal, spannend und glückliches Ende“ gekommen. Diese offenen Kriterien wurden von mir bewusst übernommen und nicht durch Aspekte wie „Betonung“, „Reihenfolge beachten“ oder Ähnlichem ergänzt. Die Kinder sollen in der Präsentationsphase selbst merken, bei welchen Märchenerzählern sie besonders gut zuhören können und daraus in der nächsten Stunde weitere Kriterien entwickeln. Das Symbol der „Krone“ wurde ausgewählt, weil es das Ziel der Stunde widerspiegelt, da der Märchenerzähler am Ende eine für sein Märchen passende Krone auswählen darf. Wie Claussen betont, „beflügeln“ Erzählmützen jeglicher Art die innere Erzählhaltung der Kinder und helfen ihnen, sie zum Reden zu bringen und sich mit der Erzählsituation zu identifizieren (Vgl. Claussen 1995: 64).

In der Erarbeitungsphase wird, ausgehend von den drei Kronen, der Ablauf der Stunde gemeinsam mit den Kindern erarbeitet. Es wird überlegt, was uns helfen kann, das Märchen nochmal erzählen zu üben, ohne direkt vor der ganzen Klasse zu erzählen und welche Möglichkeit es gibt, nochmal vorher seine Ideen über ein neues Ende des eigenen Märchens auszutauschen. Zusammen können wir uns darauf einigen, uns nochmal in unseren Expertenteams zu treffen. Horst Bartnitzki spricht von einer „Ich-Du-Wir“ –Formel: Das Erzählen vor der Klasse erfordert viel Mut und spontane Ideen und „deshalb ist es oft ratsam, ein Problem, eine Aufgabe, einen Text zuerst mit dem Partner oder in der Gruppe zu besprechen“ (Bartnitzki 2014: 43). Bevor wir mit der Partnerarbeit beginnen können, werden zunächst organisatorische Aspekte geklärt, wie zum Beispiel, dass das Tragen der Expertenmedaillen wichtig ist, damit andere Kinder wissen, wo sie Hilfe für ihr Märchen finden können. Die Kinder werden mit dem Arbeitsauftrag in die Arbeitsphase entlassen: Wir wollen uns gegenseitig die Märchen erzählen und dabei an die Kronen (Kriterien) beim Zuhören achten.

Die Arbeitsphase findet in zwei Räumen statt, um die Lautstärke des Erzählens zu reduzieren und somit die Konzentration in der Expertenpartnerarbeit zu erhöhen. Frau Dunker, die Sonderpädagogin, wird dabei im Raum von Joel sein und ich in dem anderen Raum. Da die Kinder in dieser Phase wissen, dass sie sich Hilfe bei ihren Partnern, ihren Stationen oder anderen Kindern mit den gleichen Expertenmedaillen holen können, ist meine Aufgabe in der Arbeitsphase eher die des Beobachters. Die Kinder selbst sind die Experten, wobei die Rolle der Lehrkraft in den Hintergrund rücken kann. Demzufolge sind auch keine leitenden Aufgaben auf Frau Dunker zu übertragen, da sich auch diese beobachtend verhält und Joel gegebenenfalls unterstützend zur Seite steht. Sollten sich dennoch Fragen der Kinder ergeben, sind Frau Dunker und ich Ansprechpersonen.

Beim gegenseitigen Erzählen der für sie bedeutsamen Märchen (Vgl. Claussen 1995: 37) können sich die Kinder nochmals über neue Ideen austauschen, sich gegenseitig an bestimmten Stellen unterstützen und auch in ihrer Rolle als „Zuhörer“ darauf achten, ob die Kriterien der Kronen beachtet wurden. Diese Übungsphase gibt den Kindern Sicherheit, da sie sich in einem geschützten, privaten Rahmen nochmals ausprobieren dürfen, bevor sie vor der gesamten Klasse auftreten (Vgl. Bartnitzki 2014: 43). Wer fertig ist, findet an dem Sternchen seiner Märchenstation einen Expertensteckbrief8, mit dem die Kinder nochmal ihr Erzählverhalten reflektieren können. Hier finden sich die Kronenkriterien wieder, aber auch freiwillige Anreize, wie beispielsweise die Möglichkeit, Gegenstände mit an den roten Faden zu legen. Dadurch können auch andere Lerntypen, wie beispielsweise haptische Lerner, zum Erzählen angeregt werden (Vgl. Klank 2002: 13). Wer mit dem Arbeitsblatt fertig ist, darf sich noch zu anderen Expertengruppen stellen und zuhören: Auch das „verstehend zuhören“ ist laut Bartnitzki ein wichtiger didaktischer Aspekt der Erzählkompetenz (Bartnitzki 2014: 48).

Die Präsentationsphase wird durch Waldmusik eingeleitet, die die Kinder als Impuls kennen, um in den Kinositz zu kommen. Hier stehen ein Erzählstuhl, -tisch und individuelle Erzählkronen bereit, die die Märchenerzähler aufsetzen können. Nachdem die LAA nochmal kurz die Zuhörer darauf hingewiesen hat, darauf zu achten, welche der Kronen der Märchenerzähler schon toll umgesetzt hat, fangen die Kinder an zu erzählen. Im Anschluss nehmen sie sich selbstständig dran für positives Feedback. An dieser Stelle wird bewusst auf Tipps verzichtet, weil die Betonung darauf liegen soll, dass es beim fantasiereichen Erzählen zunächst kein richtig und falsch gibt. In der darauffolgenden Stunde werden die für uns besten Märchenerzähler ausgewählt. Dafür werden die Kronen durch weitere Merkmale (z.B. Betonung etc.) ergänzt, die aus der Reflexion dieser Stunde folgen sollen: Allein die inhaltlichen Kriterien unserer Kronen (Es war einmal, spannend, glückliches Ende) reichen möglicherweise nicht aus, um einen gute Märchenerzähler auszumachen.

Die besten Märchenerzähler tragen ihr Märchen am Ende der Reihe der Klasse 1 vor. Es wurde bewusst ein Ende der Reihe gewählt, bei dem nicht das Aufschreiben von Märchen im Mittelpunkt steht, sondern allein das Erzählen und die Freude dabei. Dass dies für die SuS von Bedeutung ist, erklärt Claussen: „Kinder erzählen am wenigsten gerne, wenn sie wissen, dass sie alles, was sie sich ausgedacht und mündlich erzählt haben, anschließend auch noch aufschreiben sollen.“ (ebd. 1995: 36).

[...]


1 Im Folgenden wird die Abkürzung „SuS“ als Synonym für „Schülerinnen und Schüler“ verwendet.

2 Die Wissensburg ist eine große Burg, in der zunächst Vorwissen eingetragen wird und nach der Behandlung einzelner Märchen auf den Ziegelsteinen durch neu erworbenes Wissen ergänzt wird.

3 In der Nacherzählrunde fängt ein Kind an und nennt nur einen Satz, mit dem das Märchen anfängt, und die Kinder nehmen sich gegenseitig dran und ergänzen sich.

4 Vgl. Didaktischer Schwerpunkt für Erläuterungen.

5 Für Texte gekürzt und lang siehe Anhang.

6 Es wurde sich bewusst dagegen entschieden, dass sich die Kinder mit einem Lieblingsmärchen ihrer freien Wahl beschäftigen. Dies wäre ungerecht anderen Kindern gegenüber ist, denen in ihrem Elternhaus noch kein Märchen vorgelesen wurde. Demnach darf sich jedes Kind aus drei vorgegebenen Märchen ein „Lieblingsmärchen“ aussuchen, wobei die Interessen der Kinder bei der Auswahl der Märchen beachtet wurden.

7 Die Idee eines „Märchen-Erfinderspiels“ findet sich auch in anderer Form im Praxisheft Grundschule (15/2015) wieder. Hier wird es in komplizierterer Form als Brettspiel benutzt.

8 Vgl. Anhang.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Märchenerzählen mit Rotem Faden in der Grundschule (3.Klasse Deutsch)
Hochschule
Studienseminar Bielefeld
Note
2,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V1170650
ISBN (Buch)
9783346615626
Sprache
Deutsch
Schlagworte
märchenerzählen, rotem, faden, grundschule, klasse, deutsch
Arbeit zitieren
Fabiane Rieke (Autor:in), 2015, Märchenerzählen mit Rotem Faden in der Grundschule (3.Klasse Deutsch), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1170650

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