Leseprobe
Gliederung:
1. Einleitung
2. Versuch einer Begriffsbestimmung
2.1. Die Satire
2.2. Das Groteske
3. Elfriede Jelineks Verständnis zur satirisch-grotesken Darstellung in der Mutter-Tochter-Beziehung
4. Formen der grotesk-satirischen Deformierung
4.1. Animalisierung (Tiermetaphern)
4.2 Verdinglichung
4.3 Animistische Tendenzen
5. Sprachliche Aspekte des Romans, deren Verwendung und die möglichen Gründe
5.1. Das sprachliche Elemente der Metapher
5.2. Das sprachliche Element der Hyperbel
5.3 Die Manipulation der Erzählperspektive
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Roman „Die Klavierspielerin“ greift Jelinek das Motiv des Kampfes zwischen der Mutter und der Tochter auf. In der hier vorliegenden Arbeit ist der ausschließliche Gegenstand der Untersuchung diese Mutter-Tochter-Beziehung und hier im Speziellen die grotesk-satirischen Darstellungen, die diese Beziehung kennzeichnen. Denn in zahlreichen Interpretationen wird die Ursache für das von der Norm abweichende sexuelle Verhalten der Tochter Erika in dieser Beziehung gesehen.
Aber nicht das sexuelle Verhalten der Tochter steht im Fokus der hier vorliegenden Arbeit, sondern die Ursache des abnormen sexuellen Verhaltens – die Mutter-Tochter-Beziehung. Dabei ist es nicht, die von der Mutter veranlasste, harte und lustfeindliche Ausbildung zur Pianistin und die Konsequenzen der mütterlichen Unterdrückung, sondern speziell Szenen, in denen grotesk-satirischen Darstellungsformen zur Beschreibung der Person der Mutter bzw. der Tochter aus jeweils wechselnder Perspektive gewählt wurden.
Dafür findet vorab eine kurze inhaltliche Vorstellung des Romans „Die Klavierspielerin“ statt, im Anschluss daran wird eine Begriffsbestimmung der Groteske und der Satire vorgenommen. Im sich anschließenden Teil werden die grotesk-satirischen Textstellen betrachtet und zwar unter dem Aspekt der Art der Deformierung. Die grotesk-satirischen Motive werden aus der Tier- und Pflanzenwelt und anderen Teilen des seelischen Unbewussten entnommen und es findet eine Betrachtung getrennt nach dem Gegenstand des deformierten Objektes – Tier, Pflanze oder Unbeseeltes – statt. Nach einer Analyse der Erzählperspektive wird der Versuch einer Interpretation unternommen.
2. Versuch einer Begriffsbestimmung
Inhaltlich ist Gegenstand von Elfriede Jelineks fünftem Roman „Die Klavierspielerin“ die Geschichte der gescheiterten Pianistin Erika Kohut, einer Mittdreißigerin, die gemeinsam mit ihrer Mutter in einem „Gerüst von Sicherheiten und Gewöhnungen“1 im achten Wiener Gemeindebezirk lebt. Von klein auf bestimmt die Mutter das Leben der Tochter, doch der ehrgeizige Plan der Mutter die Tochter Erika zu einer berühmten Klavierpianistin zu machen, scheitert als die Tochter beim wichtigen Abschlusskonzert der Musikschule völlig versagt. Erika wechselt daraufhin ins Lehrfach und gibt Klavierunterricht für Schülerinnen und Schüler aller Alters- und Ausbildungsstufen. Einer ihrer Schüler Walter Klemmer verliebt sich in die zehn Jahre ältere Klavierlehrerin. Die Beziehung endet in der Vergewaltigung Erikas. Der Roman endet mit der Rückkehr der Tochter zur Mutter, von der sie sich vergeblich versucht hat zu lösen.
Im Folgenden wird zuerst eine Begriffsbestimmung der satirischen und grotesken Darstellung vorgenommen, um sich dann den Darstellungen in „Die Klavierspielerin“ zu nähern.
2.1. Die Satire
Das Wort Satire stammt von dem lateinischen Begriff satura = bunte Schüssel, Allerei ab.2 Die Literaturwissenschaft unterscheidet heute ganz allgemein zwischen der historischen Gattung, der gattungsübergreifenden Literaturform und dem satirischen Werk. Es ist „eine Kunstform, in der sich der an einer Norm orientierte Spott über Erscheinungen der Wirklichkeit nicht direkt, sondern indirekt, durch die ästhetische Nachahmung ebendieser Wirklichkeit ausdrückt.“3 Die klassische Satiretheorie unterscheidet die tragische, ernsthafte Satire von der heiter, spielenden Satire. Beiden Formen der Satire ist der „Widerspruch der Wirklichkeit mit dem Ideal“4 gemeinsam. Noch heute gehen die meisten davon aus, dass Satire einen positiven Maßstab unterstellt. Jelineks Text kennt jedoch keinen positiven Maßstab und stimmt damit nicht mit dem klassischen Satireverständnis Schillers überein, den dieser in seiner Schrift: Über die naive und sentimentale Dichtung (1795/96) theoretisch begründet.
Jedoch gibt es neuere Theorien, die durchaus die Satireform, die Jelinek verwendet, als Satire betrachten. Danach kann Satire „zum Einhalten bestimmter Normen durch abschreckende Beispiele“5 aufrufen. Diese Definition der Satire als künstlerisch artikulierte Aggression stimmt offenbar mit Jelineks Satireverständnis überein.
2.2. Das Groteske
Die Präsenz und der Umfang des Grotesken in Jelineks „Die Klavierspielerin“ wird unterschiedlich bewertet. Denn selbst Experten sind nicht einer Meinung, was als grotesk zu gelten hat. Hier wird im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben, was die Forschung zum Groteskenbegriff zu bieten hat. Dabei findet eine Beschränkung auf die wesentlichen Unterschiede und Positionen statt.
Die Ausweitung des ursprünglich auf die bildende Kunst beschränkten Terminus des Grotesken auf die Literatur erfolgte 1580 durch Montaigne. Heute sind zwei Arbeiten Richtungweisend für den Begriff grotesk - zum einen Wolfgang Kaysers: Das Groteske: Seine Gestalt in Malerei und Dichtung und zum anderen Michail Bachtins: Rabelais und seine Welt: Volkskultur als Gegenkultur.
Für Kayser ist das Dämonische, das Unheimlich-Abgründige das prägende Moment des Grotesken. Das Groteske bewegt sich in der Nähe der Unterwelt, des Absurden. Kayser legt Wert auf die „Nächtlichkeit“ des Grotesken. Als Grundgefühl wird „ratlose Beklommenheit“ artikuliert, das Lachen über das Groteske ist nicht ausgeschlossen, wird aber als unbehagliches Lachen verstanden. Für Kayser veranschaulicht das Groteske in der Welt der Moderne die Auflösung der sinnverbürgenden Orientierungsmuster.
Anders bei Bachtin, der das Lachen über das Groteske als heiter und befreiend wertet. Der Russe Bachtin knüpft seine Definition des Grotesken an die Volkskultur des Mittelalters und betrachtet es aus der Perspektive des Karnevals, das Groteske als lebensbejahend und zu gleich das Subversive des grotesken Humors. Durch Parodie und Travestie werden die hierarchischen Strukturen relativiert bzw. die bestehenden Normen und Konventionen destruiert. Im Zusammenhang mit dem Karneval geht Bachtin auf die groteske Körperlichkeit ein und im Gegensatz zum klassischen symmetrischen, geschlossenen Bild des Körpers verlegt er sich bei der grotesken Körperbeschreibung auf Körperöffnungen, Höhlungen und Erhebungen. Offenes Fleisch, Ausscheidungen, Sexualität treten daher bei Bachtin in den Vordergrund. Die groteske Darstellung eignet sich nach Bachtin also vor allem und unter anderem dafür die gängige Moral zu unterhöhlen. Ein Ansatz der gerade auch bei „Die Klavierspielerin“ von Jelinek nicht unbeachtlich ist, sich aber eher auf die Darstellungen in der Beziehung von Erika und Klemmer bezieht – und eher weniger auf die hier betrachtete Mutter-Tochter-Beziehung.
Festzuhalten bleibt, dass Kayser und Bachtin mit ihrer jeweils sehr unterschiedlichen Herangehensweise einen anderen Teilaspekt des Grotesken beleuchten.6 Während Bachtin die lebensaffirmierenden Aspekte hervorhebt, verengt Kayser das Phänomen eher auf die dunkle, nächtliche Seite des Lebens.
Die derzeit aktuellste Darstellung des Grotesken liefert Peter Fuß: Das Groteske: Ein Medium des kulturellen Wandels (2001). Fuß zeigt vor allen den Facettenreichtum des Grotesken auf und erfasst das Groteske als eine „unerlässliche“ Form eines archetypischen Bestandteils jeder kulturellen Formation und ihrer Veränderung. Eine Kultur formiert sich durch die Ausgrenzung all dessen, was den verbürgten Mustern schön-hässlich, verständlich-unverständlich, gut-böse, wahr-falsch zuwiderläuft.
Zusammenfassend kann man zum Begriff Grotesk festhalten, dass er zum einen als Begriff für eine literaturwissenschaftliche Untersuchung hinreichend gesichert ist. Groteske Situationen können sowohl von den an der Handlung beteiligten als auch von den „Empfängern“ – dem Publikum – als solche empfunden werden. Die wichtigste Funktion grotesker Darstellungsmittel ist zum kritischen Denken anzuregen, denn nur so lassen sich die Mittel – Grauen und Lächerlichkeit – legitimieren.
Die Ausgestaltung des Grotesken im Einzelnen kann in der situativ-handlungsmäßigen Ausformung, aber auch als Sprachgrotekse hervortreten.
Die Fragestellung, die sich hier daher ergibt, ist: Gewinnt man mit dem Begriff „Grotesk“ neue oder andere Einsichten über „Die Klavierspielerin“ von Elfriede Jelinek bzw. über die hier ausgestaltete Mutter-Tochter-Beziehung.
Darüber hinaus bleibt die Frage nach der Relevanz der gegebenenfalls gewonnenen Erkenntnisse für uns heute.
3. Elfriede Jelineks Verständnis zur satirisch-grotesken Darstellung in der Mutter-Tochter-Beziehung
Die Mutter ist für Jelinek die Symbolfigur für unsere wachsende kulturelle Mittelmäßigkeit, die deformierten und verbitterten Produkte der Armut, Verachtung und Vernachlässigung in der Gesellschaft. Dies sind die Früchte einer Kultur, die den Respekt vor und füreinander verloren hat und sich in erster Linie den Gesetzen des Marktes unterworfen hat. Einem Wettbewerb, in dem der Art der skrupellosen Ausbeutung der Bedürftigkeit nicht nur hingenommen, sondern weitgehend respektiert, bewundert und nachgeahmt wird.
Vielleicht verbindet Jelinek persönliche Ängste mit der Beziehung zur Mutter, erkennt diese und versucht unbewusst, dass was bedroht zu offenbaren. Und so hat sie eine literarische Figur geschaffen diesen ihren (eigenen) Ängsten zu begegnen und sie dadurch zu bannen. Es ist als ob jemand versucht seinen Ängste zu bannen, mittels eines Verfahren, dass Forscher als die groteske-satirische Sublimierung beschreiben: Kurz eine verängstigte Tochter entwirft ein Bild, das ihre Ängste symbolisiert und versucht dann, über dieses Bild zu lachen, dass es unwirksam wird. Eine solche Funktion schreibt Wolfgang Kayser dem Grotesken in der Kunst zu: „Die Gestaltung des Grotesken ist der Versuch das Dämonische in der Welt zu bannen und zu beschwören.“
Fraglich ist, ob die nun folgende Betrachtung, der satirisch-grotesken Elemente und die, der sprachlichen Aspekte des Romans, diese Vermutung über das Motiv Jelineks bestätigt oder eher nicht.
Bei der Betrachtung des Satirisch-Grotesken wird ein besonderes Augenmerk auf die besonderen Formen der Deformierung und Entstellung des Objektes gelegt.
4. Formen der grotesk-satirischen Deformierung
Es gibt zahlreiche Formen der Deformation in der Literatur – Formen der künstlerischen Darstellung von Ängsten. Jelinek nutzt die Kombination der Groteske und die Satire. Das Grotesk-Satirische erscheint in einer besonderen Form der Verkleidung der Gestalt, durch die Entstellung und Deformation des Objektes.
Ein Verfahren mit dem Jelinek deformiert sind die Tiermetaphern, als zweite Form der Entstellung wird die Verdinglichung genutzt. Eine dritte Variante die Deformierung der Mutter-Tochter-Beziehung darzustellen, wird durch animistischen Tendenzen d.h. die Beseelung des Unbeseelten. Im Folgenden werden diese drei Formen der Verkleidung der Mutter-Tochter-Beziehung zum einen vorgestellt und zum anderen mit Textstellen aus „Die Klavierspielerin“ belegt.
4.1. Animalisierung (Tiermetaphern)
„…Als Tiermetapher bezeichnet man ein sprachliches Bild, das einen Begriff aus dem Tierreich auf Menschen oder die Gesellschaft anwendet. Oft, aber nicht immer, werden Tiermetaphern in beleidigender Absicht eingesetzt zum Beispiel werden Menschen mit Ungeziefer verglichen…“7
Textbeispiele sind hier zum Beispiel „…Die beiden älteren Frauen werfen sich […] vor jeden Mann, damit er zu ihrem Kitz nicht eindringen kann. […] Die kieselsäurig erstarrten Schamlippen der beiden Altfrauen schnappen unter trockenem Rasseln wie die Zangen eines sterblichen Hirschkäfers […].
Hier werden Beispiele aus dem Reich der Tierwelt entnommen und direkte Vergleiche mit bzw. für Menschen oder vielmehr für bestimmte Körperteile der Menschen hergestellt – die Schamlippen der Altfrauen werden mit den Zangen von Hirschkäfern verglichen. Hier stellt sich die Frage nach dem Lachen. Die Frage nach dem Lachen in Bezug auf den Vergleich, hier sind wir mit den Tiermetaphern bei Jelinek in den Bereich des Grotesken vorgedrungen und muss sich fragen: Soll man über die Beschreibungen oben lachen oder bleibt einem das Lachen, weil es zu gruselig ist im Halse stecken. Wir spüren hier die Gestaltung des Grotesken ist ein Spiel mit dem Absurden.
[...]
1 Seite 20, der verwendeten Rowohlt Ausgabe
2 Reallexikon der deutsche Literaturgeschichte, Bd. 3, Seite 602
3 Metzler Literatur Lexikon, Seite 408
4 Schiller: Über naive und sentimentale Sichtung, Seite 885
5 Kämmerer/Lindemann: Satire, Seite 38
6 Bernhard McElroy hat auf diesen Teilaspekt aufmerksam gemacht.
7 http://www.pluspedia.de/index.php/Tiermetapher abgerufen am 29. Juni 2010