Wie ist Wirecard in Bezug auf den Bilanzbetrug vorgegangen? Welche Personen stehen im Mittelpunkt? Welche Überwachungsorgane hatten welche Pflichten? Haben diese Organe ihre Pflichten verletzt oder während ihrer Aufgaben Fehler begangen bzw. nachsichtig gehandelt? Gibt es Reformen bzw. Verbesserungen, die möglicherweise einen zweiten Fall wie Wirecard verhindern könnten? Sind in diesem Fall Grenzen oder Hindernisse in der Abschlussprüfung und Aufsicht entstanden?
Ziel der Arbeit ist es, durch die Beantwortung der Fragen, dem Leser ein fundiertes Wissen über die Historie, die mittelbar und unmittelbar Beteiligten, deren Pflichten und Aufgaben zu vermitteln und um selbst beurteilen zu können, ob und in welchen Bereichen der Überwachung und Prüfung möglicherweise Fehler oder Versäumnisse begangen wurden, verbunden mit dem Ziel, mögliche Maßnahmen aufzuzeigen, die die Effektivität von Prüfungen erhöhen könnten.
Der Fall Wirecard ist zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit noch allgegenwärtig und zeigt die enorme Relevanz nicht nur in der deutschen Wirtschaft, sondern auch die enorme Aufmerksamkeit, die dieser Skandal ebenso international erzeugt hat. Ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages befasst sich aktuell im Detail mit dem Skandal und versucht alle Informationen aufzuarbeiten, die möglicherweise Aufschluss bringen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Trotz der zahlreich eingeführten Maßnahmen, wie der Deutsche Corporate Kodex, der Sarbanes-Oxley Act oder das zweistufige Enforcement-System, die aufgrund vergangener Skandale eingeführt wurden, haben diese nicht den Bilanzskandal von Wirecard verhindert.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
1. Relevanz, Ziel und Aufbau der Arbeit
2. Grundlagen
2.1 Fraud in der Abschlussprüfung
2.2 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
2.3 Deutsche Prüfstelle für Rechnungswesen (DPR)
2.4 Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS)
3. Wirecard AG
3.1 Entstehung und Geschichte
3.2 Geschäftsmodell / Kerngeschäft
3.3 Die wichtigsten Wirecard Funktionäre
4. Bilanzskandal der Wirecard AG
4.1 Die wichtigsten Vorfälle
4.1.1 Manipulationsvorwürfe und die SdK
4.1.2 Übernahme eines Unternehmensgeflechts in Indien
4.1.3 Project Tiger Summary & Anwaltskanzlei Rajah & Tann
4.1.4 Drittpartnergeschäft
4.1.5 KPMG Sonderbericht
4.2 Darstellung der Verantwortlichkeiten / Überwachungsfunktionen
4.2.1 Beteiligte Organe und deren Pflichten
4.2.2 Pflichtverletzungen / Fehler der beteiligten Organe und (mögliche) Konsequenzen bzw. Reformen
4.3 Grenzen der Prüfung
4.3.1 Komplexes Geschäftsmodell und Unternehmensgeflecht
4.3.2 Mangelhafte Organisation / Buchführung
4.1.3 Vorsatz / Kriminelle Energie
4.1.4 Lobbyismus
4.1.5 Covid-19 Pandemie
4.4 Konfliktpotential
5 Schlussfolgerung und Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zweistufiges Enforcement-System (Barth)
Abbildung 2: Zeitstrahl der wichtigsten Vorfälle des Bilanzskandals von Wirecard (Quelle: Eigene Darstellung)
Abbildung 3: Darstellung des Indien Deals (Bericht_Sonderpruefung_KPMG, S. 50)
Abbildung 4: Darstellung "Roundtripping" (Bericht_Sonderpruefung_KPMG, S. 56)
Abbildung 5: Überwachungsfunktionen (Quelle: Eigene Darstellung)
1. Relevanz, Ziel und Aufbau der Arbeit
Zwischen dem Jahr 1980 und 2012 wurden 55 Bilanzskandale gezählt, die zusammengerechnet einen Fraud-Betrag von einem hohen dreistelligen Milliardendollarbetrag ausmachten. Innerhalb dieser 55 Bilanzskandale war EY (Ernst & Young) zwölf Mal die verantwortliche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, was knapp 20 Prozent entspricht. Allein im Jahr 2002 wurden 24 Bilanzskandale gezählt. Zu den prominentesten Bilanzskandalen zählen beispielsweise Enron in 2001, Parmalat in 2003 oder Lehman Brothers in 2010. Diese Zahlen und Beispiele zeigen auf, dass Bilanzskandale keine Seltenheit sind und dass fast jede Volkswirtschaft damit zu kämpfen hat. Nahezu jedes Mal handelte es sich um Betrug, verbunden mit Verlusten in beträchtlicher Milliardenhöhe und negativen Einflüssen für die Wirtschaft (Aktionäre bzw. Investoren, Lieferanten und Kunden). So kam es dann nach Flowtex erneut innerhalb der deutschen Wirtschaft vor, dass die Firma Wirecard sich in der Reihe der skandalträchtigen Unternehmen einordnete. Der Fall Wirecard ist zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit noch allgegenwärtig und zeigt die enorme Relevanz, nicht nur in der deutschen Wirtschaft, sondern auch die enorme Aufmerksamkeit, die dieser Skandal ebenso international erzeugt hat. Ein Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages befasst sich aktuell im Detail mit dem Skandal und versucht alle Informationen aufzuarbeiten, die möglicherweise Aufschluss bringen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Trotz der zahlreich eingeführten Maßnahmen, wie der Deutsche Corporate Kodex, der Sarbanes-Oxley Act oder das zweistufige Enforcement-System, die aufgrund vergangener Skandale eingeführt wurden, haben diese nicht den Bilanzskandal von Wirecard verhindert. Daraus leiten sich die Fragen ab, die zum Thema dieser Arbeit hinführen: Wie ist Wirecard in Bezug auf den Bilanzbetrug vorgegangen? Welche Personen stehen im Mittelpunkt? Welche Überwachungsorgane hatten welche Pflichten? Haben diese Organe ihre Pflichten verletzt oder während ihren Aufgaben Fehler begangen bzw. nachsichtig gehandelt? Gibt es Reformen bzw. Verbesserungen, die möglicherweise einen zweiten Fall wie Wirecard verhindern könnten? Sind in diesem Fall Grenzen oder Hindernisse in der Abschlussprüfung und Aufsicht entstanden? Einschränkend wird aber darauf hingewiesen, dass auf den Bereich der Corporate Governance nur reduziert eingegangen wird, da es sich dabei um ein sehr umfangreiches Gebiet handelt, über das sogar eine eigenständige Bachelor- oder Masterarbeit geschrieben werden könnte. Ziel der Arbeit ist es, durch die Beantwortung der oben aufgeführten Fragen, dem Leser ein fundiertes Wissen über die Historie, die mittelbar und unmittelbar Beteiligten, deren Pflichten und Aufgaben zu vermitteln und um selbst beurteilen zu können, ob und in welchen Bereichen der Überwachung und Prüfung möglicherweise Fehler oder Versäumnisse begangen wurden, verbunden mit dem Ziel, mögliche Maßnahmen aufzuzeigen, die die Effektivität von Prüfungen erhöhen könnten.1 2
In Kapitel 2 dieser Arbeit werden zunächst grundlegende Begriffe und Institutionen erklärt. Dadurch soll eine Grundlage geschaffen werden, um die anstehenden Themen zu bearbeiten und zu verstehen. Anschließend wird auf das Unternehmen Wirecard mit seiner Entstehungsgeschichte und dem Geschäftsmodell eingegangen. Innerhalb des Bilanzskandals werden zunächst die wichtigsten Vorfälle aufgezeigt. Mit Hilfe dieser Informationen werden anschließend die grundlegenden Pflichten und Aufgaben der Überwachungsorgane, wie der BaFin, der DPR oder der APAS, erläutert. Im nächsten Schritt werden diese Aufgaben und Pflichten mit deren tatsächlichem Vorgehen verglichen und eventuelle Abweichungen bzw. Pflichtverletzungen ermittelt und analysiert. Daraus abgeleitet werden Reform- bzw. Verbesserungsvorschläge erarbeitet, um in Zukunft solche Skandale effektiver verhindern zu können. Im vorletzten Abschnitt des Hauptteils wird noch auf mögliche Grenzen und Hindernisse in der Abschlussprüfung im Allgemeinen und speziell während der Prüfung von Wirecard eingegangen. Es soll aufgezeigt werden, welche Vorfälle, Ereignisse und Gegebenheiten dazu geführt haben könnten, dass der Skandal für eine solch lange Zeit nicht durch die Abschlussprüfung aufgedeckt worden ist. Anschließend soll analysiert werden, ob mögliche Konfliktpotentiale zwischen den beteiligten Institutionen wie Aufsichtsbehörden, Politik, Wirtschaftsprüfern und den Unternehmen bestanden haben. In diesem Abschnitt sollen die verschiedenen Interessen zwischen den unterschiedlichen Parteien aufgezeigt und potentielle Konflikte dargelegt werden.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Bachelorarbeit am 31.12.2020 inhaltlich fertiggestellt wurde und Ereignisse, die nach diesem Zeitpunkt in den Medien publik wurden, nicht berücksichtigt wurden.
2. Grundlagen
2.1 Fraud in der Abschlussprüfung
Eine eindeutige Definition für den Begriff Wirtschaftskriminalität oder Fraud lässt sich bisher nicht finden. Jedoch lässt sich Wirtschaftskriminalität über einige Merkmale beschreiben. Ein Merkmal ist, dass wirtschaftliche Teilbereiche verletzt oder gefährdet werden. Im Zusammenhang einer börsennotierten Aktiengesellschaft sind sehr viele Personen betroffen, die nicht in engem Kontakt zu dem Unternehmen stehen und für das Unternehmen anonym sind, wie zum Beispiel Aktionäre. Ein weiteres Merkmal ist, dass ein Missbrauch des Vertrauens oder der Macht im Wirtschaftsleben vorliegt. Des Weiteren entsteht die Wirtschaftskriminalität meist in gewissen Grauzonen oder in Bereichen, in denen Straftaten nur sehr schwer nachvollziehbar sind.3
Der Begriff Fraud stammt aus dem englischsprachigen Raum und bedeutet Betrug, Täuschung oder Schwindel. Für Fraud existieren mehrere Definitionen. Da die Definition des Instituts der deutschen Wirtschaftsprüfung am häufigsten verwendet wird, wird auf diese näher eingegangen. Bei dieser Definition steht der Prüfungsstandard IDW PS210 im Mittelpunkt. Dieser beinhaltet Vorgaben zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Abschlussprüfung. Nach IDW PS210 wird von Fraud gesprochen, wenn beabsichtigte Verstöße in der Rechnungslegung begangen werden. Unter dem Begriff Täuschungen werden beabsichtige Verstöße wie falsche Angaben im Abschluss, Fälschungen in der Buchführung, Buchungsmanipulationen, nicht erlaubte Buchführungsänderungen oder die unrichtige Anwendung von Rechnungslegungsvorschriften verstanden.4
Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum in den letzten Jahren die Anzahl von Fällen der Wirtschaftskriminalität zugenommen hat. Da im Rahmen dieser Arbeit aber der Fall von Wirecard beleuchtet wird, werden in den folgenden Absätzen, Gründe aufgezählt, die eine starke Parallele zu Wirecard aufzeigen.
Die Entwicklung von immer komplexeren und schwerer zu durchleuchtenden Geschäftsmodellen bzw. -strukturen erschwert zunehmend das Geschäftsverständnis für Außenstehende und kann auch als willkommene Gelegenheit / Ursache für die zunehmende Anzahl von Bilanzskandalen und wirtschaftskriminellen Straftaten angesehen werden. Komplexe Gesellschaftsgeflechte im Zuge des Zukaufs von Gesellschaften und Gründung von Tochtergesellschaften mit komplizierten gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen erhöhen erheblich die Komplexität der Unternehmensanalyse und der Wirtschaftsprüfung und damit den Aufwand zur Schaffung der notwendigen Transparenz. Das im Mittelpunkt stehende schnelle Expansionsinteresse vieler Unternehmen hat häufig zur Folge, dass die Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse und der Unternehmensstruktur vernachlässigt wird. Erschwerend kommt im Fall Wirecard hinzu, dass Geschäftsmodelle von Zahlungs- oder Finanzdienstleistern sehr komplex und für Personen außerhalb dieses Bereichs nur sehr schwer nachvollziehbar sind. Durch diese Intransparenz und Komplexität des Unternehmens lassen sich Bilanz- und Umsatzfälschungen, Geldwäsche und Steuerhinterziehung leichter bewerkstelligen und damit schwieriger ermitteln.
Ein weiterer Punkt für die ansteigenden Bilanzskandale können auch die zunehmende Globalisierung und der technische Fortschritt sein. Global agierende Unternehmen haben Tochtergesellschaften, die sich auf der ganzen Welt verteilen. Argumente wie kulturelle Unterschiede, Sprachbarrieren oder auch eine geringere Regulierung bzw. ein schlechteres Überwachungssystem klingen zwar banal, können aber ihren Beitrag für einen möglichen Bilanzskandal leisten. Andere Gesetze, Richtlinien und Prüfungsstandards können zusätzlich eine Fraud-Prävention oder Prüfung von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften erschweren.5 6 7
Im späteren Verlauf dieser Arbeit werden Argumente genannt, die darauf hinweisen, dass der Bilanzskandal durch oben genannte Gründe überhaupt erst einen Nährboden bekommen haben könnte.
2.2 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
Die Finanzaufsicht BaFin ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und ist dem Bundesministerium für Finanzen unterstellt. Sie agiert aber finanziell unabhängig vom Bundeshaushalt, da sie ihre Einnahmen rein aus Gebühren oder Umlagen der beaufsichtigten Unternehmen und Institute bezieht. Die BaFin ist dafür zuständig, dass sich die Marktteilnehmer wie zum Beispiel Banken und Versicherungsunternehmen auf dem Finanzmarkt an die geltenden Regeln halten und somit das Vertrauen der Bürger in das Finanzsystem gewährleistet wird. Die BaFin hat die Aufsicht über Banken, Versicherer und Wertpapiere. Da sich der Fall Wirecard und die Finanzaufsicht BaFin aber hauptsächlich bei der Banken- und Wertpapieraufsicht überschneiden, wird auf diese zwei Punkte näher eingegangen.67
Das Kreditwesengesetz (KWG) bildet im Wesentlichen die rechtliche Grundlage für die Bankenaufsicht der BaFin. Das Hauptziel der Bankenaufsicht besteht darin, Missstände wie die Gefährdung der Sicherheit von Vermögensgegenstände der Institute, Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Durchführung der Bankgeschäfte sowie die Verursachung von gravierenden Nachteilen für die Gesamtwirtschaft zu verhindern. Wichtig ist immer, dass die BaFin prüft, ob Institute ausreichend Eigenkapital und Liquidität vorweisen können und adäquate Kontrollmechanismen eingesetzt werden. Weiterhin kontrolliert die BaFin, dass nur berechtigte Unternehmen am Finanzmarkt agieren und diese nur von Vorständen geleitet werden, die über eine nachgewiesene fachliche und persönliche Befähigung verfügen.89
Bei der Wertpapieraufsicht hat die BaFin die Hauptaufgabe, mögliche Insidergeschäfte und Marktmanipulationen zu verhindern. Im Fall von Wirecard zeigt sich, dass diese zwei Aspekte von besonderer Bedeutung sind und eine damit verbundene spezifische Analyse einen zusätzlichen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Skandals leisten kann.
Insidergeschäfte sind verbotene Wertpapiertransaktionen, die aufgrund von Insiderwissen durchgeführt werden. Als Insiderwissen werden noch nicht öffentlich bekannte Informationen bezeichnet, die Insider entweder durch ihre Tätigkeit in dem Unternehmen oder durch Zuspielung von anderen Parteien erhalten haben. Fälle von Insiderwissen können zum Beispiel eine baldige Fusion, Beteiligung oder Kapitalmaßnahme sein, die die Aktie entweder positiv oder negativ beeinflusst. Durch Insidergeschäfte ist es möglich, sehr viel Gewinn in kurzer Zeit mit überschaubarem Risiko zu erzielen und birgt deshalb ein großes Missbrauchspotential. Mitarbeiter der BaFin versuchen diesen Missbrauch durch ständige Prüfung der Marktverhältnisse, Ad-hoc Mitteilungen von Unternehmen, Informationen Dritter und Aktienkurse zu verhindern bzw. zu erkennen und diesen Verdacht dann bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Um das Insidergeschäft auch leichter nachvollziehen zu können, besteht die Verpflichtung von Vorständen und dem Aufsichtsrat, Aktienkäufe des eigenen Unternehmens innerhalb von fünf Tagen dem Emittenten und der BaFin mitzuteilen. Gleiches gilt auch für Personen, die diesen Personen nahestehen, wie zum Beispiel Ehepartner und Kinder. Diese Verpflichtung nennt man „Directors‘ Dealing“.
Die zweite wichtige Aufgabe der BaFin im Bereich der Wertpapieraufsicht besteht darin, Marktmanipulationen zu erkennen und zu verfolgen. Ein Fall von Marktmanipulation liegt beispielweise vor, wenn Personen falsche Informationen streuen, um den Kurs einer Aktie zu beeinflussen. Wenn die BaFin einen Fall von Marktmanipulation erkennt, geht sie ähnlich wie bei den Insidergeschäften vor und stellt eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.8 9 10 Zusätzlich untersucht die Finanzaufsicht inwiefern Unternehmen ihre Aktionäre informieren. Dabei untersucht die BaFin regelmäßig, ob börsennotierte Unternehmen den Kapitalmarkt rechtzeitig, vollständig und nicht irreführend über Insiderinformationen informieren. Falls Anhaltspunkte gefunden werden, die diese Informationspflicht verletzten, erstattet die Finanzaufsicht Anzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft.11
2.3 Deutsche Prüfstelle für Rechnungswesen (DPR)
Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungswesen (DPR), auch Bilanzpolizei genannt, wurde von mehreren Vertretern aus dem Bereich der Rechnungslegung in Absprache mit dem Bundesministerium der Justiz ins Leben gerufen. Diese unabhängige und sich selbst finanzierende Behörde soll Bilanzskandale wie zum Beispiel von Flowtex in Deutschland verhindern. Die DPR und BaFin arbeiten in Bezug auf das Prüfungsverfahren über das zweistufige EnforcementSystem zusammen. Dieses System sieht vor, dass sowohl eine rein staatliche (BaFin) und eine rein privatrechtliche (DPR) Bilanzkontrolle stattfindet. In der ersten Stufe prüft die DPR und in der zweiten Stufe die Finanzaufsicht BaFin. Nach Abbildung 1 ist die DPR auf die Mitwirkung der Unternehmen angewiesen. Falls das Unternehmen die Mitwirkung verweigert, geht die Prüfung auf die BaFin über. Wenn die DPR die Prüfung abschließt und eine fehlerhafte Rechnungslegung findet, kann das Unternehmen entweder diese Feststellung akzeptieren oder ablehnen. Im Falle einer Ablehnung wird die Prüfung an die BaFin weitergeleitet. Wenn bei der Prüfung keine fehlerhafte Rechnungslegung festgestellt wird, wird die BaFin lediglich informiert.12 13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zweistufiges Enforcement-System (Barth)
2.4 Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS)
Die Abschlussprüferaufsichtsstelle beaufsichtigt berufsstandunabhängig alle Abschlussprüfer in Deutschland. Die APAS gibt es seit dem 17.06.2016 und hat die Aufgaben der ehemaligen Abschlussprüferaufsichtskammer (APAK) übernommen. Die APAS gliedert sich in die zwei Unterabteilungen „Inspektion und Qualitätskontrolle“ und „Berufsaufsicht und Bilanzpolizei kommt. Marktbeobachtung“. Letztere schaltet sich ein, wenn Anhaltspunkte für eine Berufspflichtverletzung bei Abschlussprüfungen von Unternehmen mit öffentlichem Interesse vorliegen. Die Marktbeobachtung ist eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe der APAS und soll die Entwicklungen auf dem Markt beobachten und bewerten, um auch die Gesamtstabilität des Finanzsektors zu kontrollieren.14 15
3. Wirecard AG
3.1 Entstehung und Geschichte
Im Jahr 1999 wurde das Start-up „Wire Card“ durch die Ausgliederung des elektronischen Zahlungsmittelbereichs der Firma Securitas Internet Systems GmbH gegründet. Der frühere Vorstandsvorsitzende Detlev Hoppenrath entwickelte die Idee eines Start-ups für ein Verfahren und System zur automatischen Abwicklung von bargeldlosen Kaufvorgängen bereits im Jahr 1998, als der Online-Handel noch kaum verbreitet war. Durch eine finanzielle Unterstützung von 4 Millionen Dollar eines Risikokapitalgebers und 1,5 Millionen Mark des Münchner Internet Service Providers Securtias Internet Systems GmbH konnte diese Geschäftsidee umgesetzt werden.
Hoppenrath war auch derjenige, der im Jahr 2000 Jan Marsalek bei Wire Card anstellte, da dieser ein begabter Programmierer war. Hoppenrath war schon nach kurzer Zeit von den Fähigkeiten von Marsalek überzeugt und übertrug ihm deshalb das Projekt „Wire Card 2.0“. Das Projekt verfolgte das Ziel, die Zahlungsplattform von Wire Card komplett neu zu programmieren. Bereits zu Beginn des Projekts bewertete Hoppenrath dieses als von strategisch zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung des Unternehmens. Doch Marsalek verfehlte das angestrebte Ziel und brachte dadurch das Unternehmen in finanzielle Bedrängnis, woraufhin Hoppenrath sich Hilfe bei der Unternehmensberatung KPMG suchte. KPMG setzte als Berater Markus Braun ein, der dadurch im Oktober 2000 erstmals in Kontakt mit Wire Card trat. Braun rettete das Projekt „Wire Card 2.0“ und übernahm zunächst den Posten des Chief Technologie Officer's von Wire Card. Durch den Terroranschlag am 11.09.2001 brachen die Kurse der Börsen zusammen und Investoren zogen sich immer häufiger zurück und scheuten sich davor in riskante Geschäfte zu investieren. So geriet die Firma erneut in finanzielle Nöte.
Um aus dieser Notlage heraus zu kommen, gab es erste Fusions- bzw. Übernahmephantasien zwischen den Parteien von Wire Card und der Electronic Billing Systems AG (EBS). Die EBS verfolgte den offiziellen Geschäftszweck der Produktion und des Vertriebs von Medien und Entertainmentprodukten aller Art. Das Geschäftsmodell von Paul Bauer-Schlichtegroll, dem Eigentümer der Firma, basierte darauf, Internetseiten mit pornographischem Inhalt in Abhängigkeit deren zeitliche Nutzung zu verrechnen. Die EBS bot sogenannte Dialer an, mit denen das Bezahlen auf Zeitbasis möglich war. Das Ganze wurde über die Telefonrechnung abgewickelt, erhöhte aber die Kosten pro Minute von 3 bis 5 Pfenning auf ca. 3,63 D-Mark pro Minute, sobald sich der Nutzer auf pornographischen Webseiten bewegte. Eine Fusion bzw. Übernahme wurde für beide Seiten positiv bewertet. Die Firma EBS würde einen großen und sehr profitablen Kundenstamm, den Wire Card dringend benötigte, in das Unternehmen einbringen. Die Firma Wire Card hingegen hatte das modernere und besser entwickelte Zahlungssystem. Behindert wurde diese Übernahme aber von Hoppenrath, der strikt dagegen war. Da er aber die Übernahme nicht verhindern konnte, verließ Hoppenrath im Oktober 2001 das Unternehmen. Am 20.11.2001 wurde in Aschheim beim Unternehmenssitz der Wire Card eingebrochen und angeblich die beiden Laptops von Markus Braun und Jan Marsalek gestohlen. Auf diesen Laptops soll sich sehr wichtiges und geheimes Material über die Firma befunden haben, deren Fehlen die Firma letztendlich nur drei Tage später, am 23.11.2001, in die Insolvenz getrieben haben soll.
Am 16.01.2002 wurde dann die Fusion der EBS und der Kern der alten Wire Card bekannt gegeben. Brauns Mitarbeiter wurden von Aschheim in die Zentrale von EBS in Hallbergmoos umquartiert. Zu dieser Zeit war Bauer Geschäftsführer und Markus Braun ein leitender Angestellter. In 2003 musste die Firma eine rechtliche Entscheidung hinnehmen, die das Geschäft negativ beeinflusste. In Amerika wurden die Gesetze in Bezug auf Dialer verschärft. Die Kunden sollten laut dem Gesetz besser über die möglicherweise entstehenden Kosten informiert werden. Das hatte unmittelbar eine Umsatzreduzierung um 40 Prozent auf 45 Millionen Euro zur Folge. Um diesen Ausfall kompensieren zu können, versuchte das Unternehmen nun zusätzlich das Geschäftsfeld der Glücksspielbranche zu bedienen. Diese Branche bot enormes Potential mit einem Umsatz von knapp 4 Milliarden Euro im Jahr 2002 und damit starke Wachstumschancen. Das Unternehmen wuchs enorm und hatte bereits im Jahr 2004 mehr als 300 Mitarbeiter. Auf Grund der steigenden Mitarbeiteranzahl zog die Firma in den Münchner Vorort Grasbrunn um. Um das Wachstum weiter voran zu bringen, wollte sich das Unternehmen über einen Börsengang finanzieren. Dabei half die InfoGenie, von der Paul Bauer bereits 2002 Anteile gekauft hatte. Das Unternehmen stand zwar kurz vor der Insolvenz und hatte kein lukratives Geschäftsmodell, aber es war börsennotiert. Im April des Jahres 2005 wurde die Wire Card AG von der InfoGenie AG übernommen und das gemeinsame Unternehmen wurde in den jetzig bekannten Namen Wirecard AG umbenannt. Im Zuge dessen wurde auch ein Reverse-IPO durchgeführt und emittierte zu einem Preis von 1,20 Euro. Reverse-IPO bedeutet, dass ein nicht börsennotiertes Unternehmen (Wire Card) in ein bestehendes Börsensystem eines börsennotierten Unternehmens (InfoGenie AG) eingebettet wird.16
Fünf Monate später, im September 2005, hatte die Wirecard AG die Voll-Bank XCOM Bank AG übernommen. Durch diese Bank mit Sitz in Düsseldorf hatte sich Wirecard die Möglichkeit geschaffen, nun selbst Kreditkarten, insbesondere MasterCard und Visa, zu akzeptieren und herauszugeben. Die Voll-Bank XCOM wurde später dann in die Wirecard Bank AG umbenannt. Im Dezember 2007 gründete die Firma die Wirecard Asia Pacific in Manila auf den Philippinen, das erste asiatische Tochterunternehmen, von der aus die Expansion in Asien vorangetrieben werden sollte. 17 18 19 20
3.2 Geschäftsmodell / Kerngeschäft
Das grundlegende Geschäftsmodell des Wirecard Konzerns besteht darin, seinen Kunden und Händlern sichere Transaktionen bzw. Bezahlmöglichkeiten anzubieten. Wirecard ermöglicht es, über alle Vertriebskanäle, durch Kreditkartennetzwerke oder alternative Bezahlverfahren, Transaktionen anzubieten. Alternative Bezahlverfahren können zum Beispiel Lastschrift, EWallets, Alipay, Wechat Pay oder Rechnungs- und Ratenkauf sein. Wirecard bietet zusätzlich Risikomanagement, Betrugsprävention, Mehrwertdienste, Kartenakzeptanz und Bankdienstleistungen wie Treasury und Währungsmanagement an. Diese reiche Palette an Produkten und Dienstleistungen ermöglicht es Wirecard, seinen Kunden die Komplexität des digitalen Bezahlens zu nehmen und eine standardisierte Dienstleistung anzubieten. Auch bei der Untersuchung des Konsumverhaltens der Kunden und bei der Erstellung von kundenindividuellen Angeboten kann Wirecard mit seiner Produkt- und Dienstleistungspalette die Händler unterstützen. Abgerundet wird das Geschäftsmodell noch mit dem Angebot von physischen und virtuellen Kartenprodukten, technisches Processing für Kreditkartennetzwerke und Banken, Softwarelösungen für mobile Anwendungen im Banking-Bereich und mobile und stationäre Kartenlesegeräte.21
Wirecard wird häufig in Zeitungsberichten als Acquirer oder Zahlungsdienstleister bezeichnet. Aber durch genauere Betrachtung der Geschäftsmodelle von Unternehmen wie Wirecard oder Adyen wird festgestellt, dass es sich dabei um einen Payment Service Provider (PSP) handelt. Payment Service Provider bieten Händlern eine Vielzahl von Bezahlmöglichkeiten an, die diese Händler wiederrum in ihren Online-Shops den Kunden anbieten können. Bezahlmöglichkeiten können zum Beispiel PayPal, Klarna, Giropay, Lastschrift, Rechnung oder Kreditkarte sein. Dies bietet den Händlern den Vorteil, nicht für jede einzelne Bezahlmöglichkeiten einen Vertrag mit den anbietenden Unternehmen schließen zu müssen. Durch die Inanspruchnahme der Händler einer Payment Service Providing Plattform erschließen sie sich über nur einen Vertrag den Zugang zu den gängigsten Möglichkeiten für Online-Bezahlungen. Dadurch, dass Wirecard über dieses standardisierte Gateway und eine analoge Möglichkeit der Zahlung verfügt, die international alle Bezahlwege kombiniert und alle möglichen Zahlungsmöglichkeiten autorisiert, ist Wirecard einer von wenigen Pionieren im Bereich der Zahlungsdienstleistung.
Ein weiterer Bereich des Kerngeschäfts von Wirecard ist das Acquiring, auch Merchant-Geschäft genannt. Beim Acquiring zahlt der Kunde im Online-Shop mit zum Beispiel einer Visa- oder Mastercard-Kreditkarte. Der Betrag geht zunächst vom Kunden an Wirecard (Acquirer). Erst von dort aus gelangt das Geld mit einer zeitlichen Verzögerung und einer Gebühr an den OnlineHändler (Merchant). Diese Gebühr wird dafür fällig, dass der Acquirer den Kunden finanziell absichert, falls der Händler die Ware nicht liefert, weil er beispielsweise insolvent gegangen ist. Ziel von Wirecard war es, möglichst viele dieser Händler für ihr Merchant-Geschäft zu gewinnen, wobei diese Händler auch häufig im High-Risk-Bereich anzutreffen waren und einen größeren Anteil zum Merchant-Geschäft beigetragen haben, als Wirecard zugeben wollte. Beispiele für High-Risk Händler sind Online-Broker, Pornoseiten oder Online-Casinos. Bei diesen Händlern können meistens höhere Gewinnmargen erzielt werden als bei anderen Händlern, doch damit nimmt man in Kauf, dass sich diese Geschäfte bereits in einem gewissen rechtlichen Grau-Bereich abspielen können.22 23
Das Kerngeschäft ist im Wesentlichen auf 3 Zielbranchen ausgerichtet. Bei der Zielbranche Konsumgüter werden Händler adressiert, die im Business-to-Customer- (B2C) oder Business-to- Business (B2B) Geschäft physische Güter verkaufen. Wirecards Kundenspektrum erstreckt sich dabei von Start-ups bis zu internationalen Konzernen, die in einer Vielzahl von Branchen tätig sind.
Bei der zweiten Zielbranche namens Digitale Güter richtet sich Wirecard an Internetportale, Dating-Portale, Karriere-Portale, Games-Anbieter, Telekommunikationsanbieter, Sportwetten und Glücksspiel-Portale.
Die dritte große Zielbranche, Reise und Transport, unterstützt Wirecard mit seinem Produkt- und Dienstleistungsportfolio Fluggesellschaften, Hotelketten, Reiseportale, Touristikveranstalter, Reisebüros, Autovermietungen, Kreuzfahrtlinien und Transport- und Logistikunternehmen.24
3.3 Die wichtigsten Wirecard Funktionäre
Um im Abschnitt des Bilanzskandals nicht mit unbekannten Namen konfrontiert zu werden, werden in diesem Gliederungspunkt der Arbeit die wichtigsten Personen rund um den Bilanzskandal von Wirecard vorgestellt. Insbesondere die Zuordnung, welcher Vorstand für welchen Bereich zuständig war, ist ein relevanter Bereich für den Fall Wirecard.
Die wichtigste und bekannteste Person rund um Wirecard ist Markus Braun. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende wurde im Jahr 1969 in Österreich geboren und studierte Wirtschaftsinformatik an der Universität Wien. Braun gelangte über KPMG zu Wirecard und wurde im Jahr 2002 Chief Executive Officer (CEO). Neben seiner Tätigkeit als CEO war Braun auch für den gesamten Bereich der Technologie zuständig und hatte deswegen noch den Posten des Chief Technology Officer (CTO) inne. Braun zeichnet sich durch seine weitreichenden Visionen aus. Er verfolgte das Ziel, Wirecard zu einem der größten und erfolgreichsten Fintech- Unternehmen der Welt zu entwickeln. Die Entwicklung von Wirecard, nachdem er Vorstandsvorsitzender wurde, sprechen für ihn. 2005 emittierte die Aktie noch mit einem Kurs von 1,20 Euro. Im Jahr 2018 stand sie bei fast 200 Euro. Markus Braun hat seine ambitionierten Visionen und Prognosen größtenteils immer sehr schnell durchgesetzt. Aber vielleicht auch wegen dieser - negativ gesehenen - Zielstrebigkeit schätzten langjährige Kollegen und Mitarbeiter Markus Braun als unnahbar mit autistischen Zügen ein.25 26
Ein weiteres wichtiges Vorstandsmitglied rund um den Fall Wirecard ist Jan Marsalek. Marsalek wurde am 15.03.1980, wie Braun, in Wien geboren. Obwohl er weder Abitur noch ein Studium vorweisen kann und über keine operative Erfahrung verfügte, erhielt Marsalek im Jahr 2000 eine wichtige Position bei Wire Card und bereits 2010 wurde er als Chief Operating Officer (COO) ein Vorstandsmitglied. Marsalek wurde auch das gesamte Asiengeschäft anvertraut, das im Skandal eine zentrale Rolle spielt. Die Stärken des COO von Wirecard lagen im Programmieren und seinem weitreichenden Netzwerk, hierbei werden auch mögliche Kontakte zu Geheimdiensten unterstellt, die für Wirecard und ihn von gewissem Vorteil gewesen sein könnten. Als Person soll Marsalek geheimnisvoll gewesen sein. Laut einem Manager hatten einige Mitarbeiter von Wirecard Angst vor ihm oder sie hatten ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Außerdem soll der Bereich des Asiengeschäfts nie greifbar für andere Mitarbeiter gewesen sein. Dadurch konnte Marsalek meist unter dem Radar agieren und seine Asiengeschäfte weitestgehend autark tätigen.27 28
Finanzvorstand Alexander von Knoop ist seit 15 Jahren im Management von Wirecard tätig. Davon war er zehn Jahre interner Revisor und vier weitere Jahre als Chef der Wirecard Bank aktiv. Der ehemalige PWC-Berater betreute dabei zwar nur 150 der 5000 Mitarbeiter von Wirecard, dennoch hat die Wirecard Bank jedoch eine zentrale Position im Wirecard Konzern inne. Gegen von Knoop wird zwar, wie gegen jedes andere Vorstandsmitglied, ermittelt, doch mit einer Verhaftung muss von Knoop aktuell nicht rechnen. Er unterstützt derzeit als Wissensträger den Insolvenzverwalter Michael Jaffe bei der Aufarbeitung und Analyse des Unternehmens, dervor der gewaltigen Aufgabe steht, das Geschäft eines Unternehmens zu analysieren, das in 26 internationalen Standorten über Jahre mit mehreren Millionen Datensätzen agierte.
Burkhard Ley, Vorgänger von Finanzvorstand Alexander von Knoop, leitete bis zu seinem Ausscheiden Ende 2017 zwölf Jahre die Finanzen von Wirecard.Dabei zählten Übernahme- und Eigenkapital-Transaktionen zu seinen Hauptaufgaben, die sehr häufig bei Wirecard während seiner Amtszeit vorgenommen wurden. Beispielsweise war Burkhard Ley bei der Übernahme des Zahlungsabwicklers Hermes und Teile der Great Indian Retail Group involviert. Bei dieser Übernahme zahlte Wirecard 340 Millionen Euro an den Fonds EMIF 1A, der kurz davor für einen beträchtlich kleineren Kaufpreis Hermes übernommen hatte. Der Verdacht besteht darin, dass beteiligte Mitarbeiter Firmen, zu viel höheren Beträgen als notwendig, übernommen hätten und dabei selber profitierten.
Als tatverdächtig für die Staatsanwaltschaft gilt auch Oliver Bellenhaus. Er war Chef der Wirecard-Tochter Card Systems Middle East in Dubai. Diese Tochtergesellschaft war beispielsweise in 2018 für knapp ein Drittel des Gesamtumsatzes und ca. 60 Prozent des Jahresgewinns von Wirecard verantwortlich. Die Tochtergesellschaft Card Systems Middle East, die auch in Verbindung mit der Drittpartnerfirma Al Alam steht, nimmt im Bilanzskandal von Wirecard eine zentrale Rolle ein. Auf die Wirecard-Tochter aus Dubai entfallen ein großer Bruchteil der nicht existenten 1,6 Milliarden Euro und machen dadurch Oliver Bellenhaus, der als rechte Hand von Marsalek gesehen wurde, zu einem der Hauptverdächtigen.
Wulf Matthias, ehemaliger Vorsitzender des Aufsichtsrates, gehört ebenfalls zu einem der wichtigsten Namen im Wirecard-Skandal. Nach zwölfjährigem Vorsitz im Aufsichtsrat legte Wulf Matthias am 10.01.2020 sein Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Er verließ das Unternehmen als bereits Vorwürfe über Bilanzmanipulation in den Medien kursierten. Die Staatsanwaltschaft muss nun prüfen, ob er Mitwissender des Betrugs war oder auch, ob er seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied verletzt hat.29
4. Bilanzskandal der Wirecard AG
4.1 Die wichtigsten Vorfälle
In diesem Kapitel sollen die wichtigsten Vorfälle dargestellt werden, die im Fall Wirecard aufgetreten sind. Dabei soll mit Hilfe eines Zeitstrahls ein erster Überblick geschaffen werden. Die aufgeführten Termine beinhalten die Zeitpunkte an denen die Vorwürfe in den Medien veröffentlicht wurden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Zeitstrahl der wichtigsten Vorfälle des Bilanzskandals von Wirecard (Quelle: Eigene Darstellung)
Deal Drittpartnergeschäft
Abbildung 2: Zeitstrahl der wichtigsten Vorfälle des Bilanzskandals von Wirecard (Quelle: Eigene Darstellung)
4.1.1 Manipulationsvorwürfe und die SdK
Am 03.07.2008 wurden erstmalige Bilanzierungsvorwürfe gegen Wirecard erhoben, die den Aktienwert von Wirecard kurzzeitig um 25 Prozent einbrechen ließ. Wirecard wurde eine intransparente Bilanz und eine unglaubwürdige Kapitalflussrechnung vorgeworfen. Daraufhin schaltete sich die Finanzaufsicht BaFin ein, um mögliche Marktmanipulationen zu untersuchen. Die Vorwürfe weiteten sich aus, als die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) angeblich irreführende Bilanzen aufdeckte und daraufhin beim Landgericht die Nichtigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse forderte, bei denen der Vorstandschef und der Aufsichtsrat entlastet worden waren. Wirecard und die SdK erstatteten gegenseitig Strafanzeige. Wirecard beschuldigte die SdK und Vorstandsmitglied Markus Straub des Eigeninteresses. Es wurde bewiesen, dass Straub Short-Positionen gekauft hatte und bereits im Mai 2008 auf fallende Kurse spekuliert hatte. Wirecard sah sich der Anschuldigung von Straub gegenüber, dass Jörg Rährborn, ein Anwalt von Wirecard, ihn und Bosler bedroht haben und die Anschuldigungen der SdK über mangelhafte Bilanzen zurückziehen sollten.30 31 Rund 20 Tage nach Beginn der Untersuchungen durch die BaFin verschärfte diese ihre Ermittlungen und prüfte nun auch das Vorgehen der SdK. Die Spekulationen mit Aktien durch das Vorstandsmitglied Markus Straub standen dabei im Mittelpunkt, der daraufhin seinen Posten bei der SdK niederlegen musste. Im Jahr 2011 wurden Markus Straub, zwei weitere Mitarbeiter der SdK und ein Börsenbriefschreiber angeklagt. Markus Straub hatte laut der Anklageschrift in 196 Fällen Marktmanipulation und Insider-Handel betrieben. Darüber hinaus hatte sich auch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) seit Ende Juni 2008 mit einem Verfahren gegen Wirecard eingeschaltet, das aber keine belastenden Beweise hervor brachte.32 33
Dieser Vorfall mit der SdK führte wohl zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit der SdK und ermöglichte es Wirecard, die Opferrolle einzunehmen. Neue Vorwürfe wurden seitdem von Wirecard immer vehement zurückgewiesen, da sich Wirecard immer wieder darauf beziehen konnte, dass auch bereits die SdK mit Wirecard-Aktien spekulierte und dadurch falsche Informationen veröffentlichte, um die Shortpositionen aufgehen zu lassen.
4.1.2 Übernahme eines Unternehmensgeflechts in Indien
Anfang 2018 sah sich Wirecard erneuten Anschuldigungen gegenüber. Diesmal hat eine Quelle namens Southern Investigative Reporting Foundation (SIRF) der Wirecard vorgeworfen, dass bei einer Übernahme in Indien im Jahr 2015 nicht alles rechtens vorgegangen sei. Der Kaufpreis sei nicht bei dem Unternehmen angekommen, das von Wirecard aufgekauft worden war. Bei der Übernahme aus dem Jahr 2015 kaufte Wirecard drei Unternehmen namens Hermes i Tickets private limited, GI Philippines Corp (Manila) und Star Global Currency Exchange Private Limited (Bangalore). Durch eine Kapitalerhöhung von 15 Millionen Euro erkaufte sich Wirecard zusätzlich einen Anteil von 60 Prozent an der Firma GI Technology Private Limited (Chennai). Laut Wirecard betrug die Vorabzahlung für diese Vorgänge 230 Millionen Euro und weitere mögliche 110 Millionen Euro, wenn sich die Unternehmen in Hinsicht der Profitabilität gut entwickeln würden. Der Verkäufer und somit das Unternehmen, das das Geld erhalten sollte, hieß Great Indian (GI) Retail Group. Aus einer Investorenpräsentation von Wirecard im November 2015 konnte man darauf schließen, dass die Firma Hermes das Schlüsselunternehmen für Wirecard war, da diese Firma die Smartshop und iCashcard Marken in Indien kontrollierte. Hermes bot zu diesem Zeitpunkt in Indien Prepaid-Karten an. Diese Prepaid-Karten konnten die Besitzer an sogenannten Smartshops aufladen und damit im Internet bezahlen oder auch Geld versenden. Wirecard sah darin sehr viel Potential, da vor allem in Gebieten außerhalb der Stadtzentren die Menschen sehr selten eigene Bankkonten besitzen und deshalb auf Prepaid- Karten zurückgreifen. Doch Analysten fragten sich nach diesem Kauf, warum Wirecard so viel für diesen Deal bezahlt hatte, da die Firma Hermes noch kurze Zeit vor der Übernahme zu einem Preis von 46 Millionen Euro zum Verkauf angeboten wurde und niemand diesen Betrag bezahlte. Hinzu kommt, dass in den Bilanzen der GI Retail Group, das verkaufende Unternehmen, zwar der Verkauf der Hermes i Tickets private limited am 25.09.2015 vermerkt ist, aber zu einer viel geringeren Summe. Laut den Bilanzen wurde für den Verkauf von Hermes nur ein Kaufpreis von 37 Millionen Euro verbucht. Wirecard erklärte den viel höheren Kaufpreis dadurch, dass zum einen Indien eine enorm aufstrebende Wirtschaft im Bezug des Bruttoinlandsproduktes hat und zum anderen durch den rasch steigenden Markt für digitales Bezahlen. Wenn ein Unternehmen den Kauf einer Firma zu einem bestimmten Preis zustimmt, aber einen viel geringeren Betrag bezahlt, lässt sich dieser Differenzbetrag über Jahre hinweg über das Unternehmen recyclen, um Banken, Investoren und Prüfern den Eindruck eines gesunden Cashflows aufzuzeigen. Doch aus den Büchern von Wirecard ließ sich eindeutig aufzeigen, dass der Differenzbetrag und der Zusatzbetrag von 110 Millionen Euro eindeutig das Unternehmen verlassen hat.
Nun muss zu diesem Zeitpunkt ein genauer Blick auf das Unternehmen aus Mauritius namens Emerging Markets Investment Fund 1A geworfen werden. Dieses Unternehmen diente bei allen Transaktionen von Wirecard in Indien als Vermittler zwischen Käufer und Verkäufer. Direktinvestoren aus dem Ausland nutzen oft Holdinggesellschaften mit Sitz in Mauritius, um ihre Gewinne vor Kapitalertragssteuern zu schützen. Um einen niedrigeren Steuersatz in Indien zu erhalten, muss beispielsweise die Emerging Markets Investment Fund 1A mindestens 36 Monate lang einen Vermögenswert besitzen. Doch die Fondsgesellschaft verkaufte den Vermögenswert bereits nach wenigen Monat zu Einkaufspreisen an Wirecard.34 35 36 37
4.1.3 Project Tiger Summary & Anwaltskanzlei Rajah & Tann
Aufgrund eines erneuten negativen Artikels der Financial Times vom 30.01.2019 brach der Kaufpreis der Wirecard-Aktie erneut zeitweise um fast 25 Prozent ein. Es war die Rede von intransparenter Buchführung und gefälschter und zurückdatierter Verträge in Asien. Edo Kurniawan, ein leitender Wirecard-Manager aus Singapur, der für das Rechnungswesen im asiatisch-pazifischen Raum zuständig war, soll diese Verträge veranlasst bzw. erstellt haben, um verdächtige Transaktionen zu verschleiern. In einer Präsentation mit dem Namen ,Projekt Tiger Summary‘ vom 07.05.2018 sollen diese Vorgänge beschrieben worden sein und enthält Verstöße wie Fälschung von Konten und Geldwäsche. Diese Präsentation zeigte beispielsweise Verträge über 13 Millionen Euro zwischen Tochtergesellschaften von Wirecard und Flexi Flex, ein Hydraulik- und Rohrleitungsunternehmen mit Büros in Singapur und Malaysia. Laut der Präsentation war Flexi Flex ein Handelspartner für Software im Wert von 3 Millionen Euro für eine indonesische Wirecard-Firma namens Aprisma. Ein leitender Mitarbeiter von Flexi Flex hatte aber auf Nachfrage der FT noch nicht von Wirecard gehört und erklärte, dass seine Firma keine Software verkauft und keinen Zahlungsdienstleister nutzt. Darüber hinaus enthielt die Präsentation auch ,round-tripping‘ Transaktionen, bei denen Geld von Wirecard-Unternehmen aus Hong Kong und Singapur über externe Unternehmen zu den indischen Firmen Hermes und GI Technology geleitet wurden. Unter ,round-tripping‘ versteht man den Verkauf von unrelevanten Vermögenswerten an eine andere Firma, mit der Absicht diesen Vermögenswert nach einiger Zeit wieder ungefähr zum gleichen Preis zurückzukaufen. Das ,round-tripping‘ wird als tendenziell illegale Buchungstechnik betitelt, da Umsätze dadurch unnatürlich aufgebläht werden. Für Externe könnten diese Vorgänge als normale Buchungen mit Händlern und Kunden angesehen werden. Ein Whistleblower spielte diese Informationen der Financial Times zu, da er befürchtete, dass Wirecard nichts gegen diese potentiellen betrügerischen Handlungen unternehmen würde. Sprecher von Wirecard dementierten die Vorwürfe erneut und wiesen alle Anschuldigungen von sich. Diese Vorwürfe vermehrten aber nun auch die kritische Haltung gegenüber der extrem positiven Entwicklung von Wirecard. Für Markus Schön, Geschäftsführer der DVAM Vermögensverwaltung in Detmold, passten Cash Flow, Nettoertrag und der steile Kursanstieg nicht zusammen. Bei starkem Anstieg des Nettoertrags und gleichzeitigem Rückgang des Cashflows, stellte sich die Frage, wie viel von der Erfolgsstory von Wirecard sich tatsächlich in den Büchern widerspiegelt.38 39
Am 01.02.2019, nur zwei Tage nach dem 25-prozentigen Kurseinbruch, sank der Preis der Wirecard-Aktie erneut kurzzeitig um 30 Prozent. Eine von Wirecard selbst beauftragte externe Anwaltskanzlei namens Rajah & Tann soll laut der Financial Times bei einer Untersuchung der Büros von Wirecard in Singapur Indizien gefunden haben, die auf schwerwiegende Fälschungsdelikte und gefälschte Konten hinweisen. Die Finanzzeitung berichtet, dass die Anwaltskanzlei zivil- und strafrechtliche Verstöße an Standorten in Singapur, Hongkong, Indien, Malaysia und Deutschland aufgedeckt hat. Die gefälschten Buchungen und Konten sollen laut der Anwaltskanzlei dazu genutzt worden sein, um Gewinnziele zu erreichen und Aufsichtsbehörden zu täuschen. Auf 2017 zurückdatierte Dokumente zeigten einen Umsatz von 3 Millionen USD der Wirecard Hong Kong. Verblüffend ist aber, dass diese Umsätze laut den Dokumenten zu einem Zeitpunkt entstanden sein sollen, als das Unternehmen überhaupt nicht aktiv war. Diese potentiell falschen Zahlen wurden der Währungsbehörde in Hong Kong im Zusammenhang eines Lizenzantrags vorgelegt, um Prepaid-Karten im chinesischen Raum ausgeben zu können. Wirecard könnte sich einer Unternehmenshaftung gegenübersehen, falls die Muttergesellschaft in Korrespondenz mit ihrer Tochtergesellschaft gehandelt haben sollte.40 41
Knapp einen Monat später, am 20.03.2019, eigneten sich die Behörden Singapurs 229 Boxen mit Dokumenten, E-Mail-Verläufen von mehreren Mitarbeitern und einen USB-Stick mit finanziellen Informationen von sechs Tochtergesellschaften an, um dem Verdacht von Dokumentenfälschung, Geldwäsche und anderen illegalen Finanztransaktionen nachzugehen. Dabei erfolgten die Ermittlungen ohne die Unterstützung der Münchner Staatsanwaltschaft. Obwohl mögliche zivilund strafrechtliche Verstöße in Singapur, Hongkong, Indien, Malaysia und Deutschland festgestellt wurden, sah sich die Münchner Staatsanwaltschaft nicht in der Pflicht Ermittlungen aufzunehmen. Für sie bestand nach eigenen Angaben weiterhin kein ausreichender
Anfangsverdacht, um eine Untersuchung anzustoßen. Die unterschiedliche Einschätzung der Lage begründet die Münchner Staatsanwaltschaft mit den Standorten der Behörden. Die örtliche Staatsanwaltschaft in Deutschland schaltet sich dabei erst ein, wenn sie einen möglichen Tatort in Deutschland, also in ihrem Zuständigkeitsbereich, feststellt. In Folge der Ermittlungen gegen Tochtergesellschaften von Wirecard in Indien, Indonesien, Malaysia, Hongkong und auf den Philippinen klagte die dortige Staatsanwältin in Gerichtsdokumenten, dass Wirecard versuche, die Ermittlungen zu erschweren.42 Im Fokus der Ermittlungen standen vier Transaktionen im Wert von zwei Millionen Euro, die leitende Angestellte in der deutschen Wirecard-Zentrale beaufsichtigt haben sollen. Dabei soll Jan Marsalek über die Transaktionen, die von einem Konto von Wirecard bei einer Münchner Bank an ein Unternehmen in Singapur weitergeleitet worden sein sollen, Bescheid gewusst haben.43 Nach der Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts Ende März 2019, der Wirecard bezüglich der letzten Vorwürfe entlastet, schnellte die Aktie um bis zu 30 Prozent nach oben. Laut dem Bericht konnten keine Anhaltspunkte für ,round-tripping‘, also Scheinumsätze ohne geschäftliche Grundlage, oder Korruption gefunden werden. Der Untersuchungsbericht besagt, dass im Geschäftsjahr 2017 fälschlicherweise ein Umsatz von 2,5 Millionen Euro verbucht wurde, der aber im Geschäftsjahr 2018 rückwirkend für das Jahr 2017 korrigiert wurde. Zusätzlich soll ein Vermögensgegenstand im Wert von drei Millionen Euro für sieben Tage fehlerhaft bilanziert worden sein. Dieser Vorgang soll sich laut dem Unternehmen aber nicht im Jahresabschluss für 2018 auswirken. Als kritisch hingegen zu betrachten sei, dass die Anwälte Vorgänge fanden, die nicht in tatsächliche Geschäftsvorgänge resultierten, sondern im Entwurfsstadium verweilten. Dabei wurden anscheinend Verträge vorbereitet, entworfen und im Namen des Unternehmens unterzeichnet, jedoch nicht abgeschlossen.44
4.1.4 Drittpartnergeschäft
Neue Vorwürfe der Financial Times richteten sich an das Drittpartnergeschäft von Wirecard. Wirecard erzielte im Jahr 2018 einen Umsatz von 2,1 Milliarden Euro. Knapp die Hälfe des Umsatzes entfiel laut den Büchern auf das Drittpartnergeschäft. Wirecard nutzte Drittpartnerfirmen für Regionen, in denen sie keine eigenen Lizenzen für die Zahlungsabwicklung besaßen. Um trotzdem in diesen Regionen tätig sein zu können, nutzte Wirecard eine Zusammenarbeit mit Partnern wie Finanzinstituten und Dienstleistern, um auch in diesen Regionen ihre Produkte anbieten zu können. Ein weiterer Grund für die Nutzung so vieler Drittpartnerfirmen könnte die Verschleierung der Kunden sein. Beispielsweise ConePay und Centurion Nature, zwei Drittpartnerfirmen von Wirecard, haben hauptsächlich Kunden in der Porno- und Glücksspielsparte. Wirecard wollte wahrscheinlich eher ungern mit dieser Branche in der heutigen Zeit in Verbindung gebracht werden und nutzte deshalb die Drittpartnerfirmen. Journalisten der Financial Times stellten Nachforschungen zu den Drittpartnerfirmen an und bei zwölf dieser Firmen fanden sie Auffälligkeiten. Diese Drittpartnerfirmen wichen in Bezug auf die vermeintliche Größe enorm von der Realität ab. Beispielsweise führten die angegebenen Drittpartneradressen die Journalisten zu einem Privathaus eines früheren Matrosen, einer nicht genutzten und leeren Lagerhalle und zu den Büroräumen eines Busunternehmens. Als Anfang 2019 Reporter der Financial Times auf den Philippinen recherchierten, wusste das lokale Amt nichts von einem Zahlungsunternehmen, das in deren Distrikt agierte. Die Namen der Drittpartnerfirmen mit den unseriösen Adressen sind PayEasy, Centurion Online Payment International, ConePay, Froehlich Tours und PayEasy Solutions. Bereits im Jahr 2015 zählten Centurion und ConePay (Falcone) mit einem Volumen von 700.000 Euro alle drei Monate zu den größten Kunden der Wirecard Singapur. Ein leitender Angestellter von Wirecard im asiatischpazifischen Raum ordnete, laut einem Whistleblower, einem Mitglied des Finanzteams an, Kunden wie Maxcone oder Centurion nicht in Investorenpräsentation aufzuführen. In 2019 waren hingegen die Zahlen von PayEasy mit einem Volumen von 123 Millionen Euro sehr hoch. PayEasy hat anscheinend eine kleine Anzahl von Mitarbeitern in Zypern und auf den Philippinen. Die Website von PayEasy war nahezu identisch zu der von Centurion und verfügte darüber hinaus über den gleichen Kundenstamm. Auf Nachfrage von FT Journalisten konnte sich kein Kunde wirklich an Geschäfte mit PayEasy oder Centurion erinnern. Sie hatten hingegen Geschäfte mit Froehlich Tours getätigt, einem Busunternehmen in Manila, das von zwei ehemaligen Wirecard Führungskräften geleitet wurde. Es handelte sich um Christopher Bauer und seine Frau, denen auch PayEasy gehört und die auch Centurion bei Geschäften mit Wirecard repräsentierten.45 46
Nachdem die Financial Times am 15.10.2019 interne Recherchedokumente veröffentlichte, die Wirecard stark belasteten, stürzte der Kurs der Wirecard-Aktie zeitweise um 23 Prozent ab. Die Veröffentlichung dieser Dokumente zeigte, wie ernst es der FT mit der Anklage war, da durch die Veröffentlichung der Quellenschutz der Journalisten gefährdet war. In den zwölf PDF- und Excel-Dateien ging es hauptsächlich um das Partnerunternehmen AL Alam Solutions aus Dubai und um zwei weitere Drittpartnerunternehmen namens PayEasy und Sénjo. Über Al Alam erwirtschaftete Wirecard in 2016 ungefähr die Hälfte des Unternehmensgewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. In Zahlen war das Partnerunternehmen Al Alam für einen Umsatz von 265 Millionen Euro und einen EBITDA-Effekt von 173 Millionen Euro verantwortlich. Die Wirecard-Tochter Card Systems Middle East wickelte hauptsächlich die Geschäfte mit Al Alam ab. Verantwortliche Führungskraft für Card Systems Middle East war Oliver Bellenhausen. Al Alam ist eines von ungefähr 100 Drittpartnerfirmen (Third Party Acquirer), das in Ländern Zahlungen abwickelt in denen Wirecard nicht selbst eine Lizenz für die Zahlungsabwicklung besitzt. Doch keines dieser Partnerunternehmen erzielte ansatzweise denselben Anteil am Umsatz und EBITDA wie Al Alam. Brisant wurde es, als Journalisten der FT die Kunden von Al Alam genauer betrachteten. Laut den Unterlagen betreute Al Alam 2017 34 Kunden, die Zahlungen in Verbindung mit Wirecard abwickelten. Die Kunden verteilten sich auf der ganzen Welt, wie zum Beispiel in den USA, Europa, dem Nahen Osten, Russland und Japan. Die FT versuchte daraufhin diese 34 Kunden zu kontaktieren. Das Ergebnis war, dass 15 Unternehmen noch nie von Al Alam gehört hatten, acht hatten den Betrieb bereits im Jahr 2017 eingestellt, bei sechs Kunden bekam die FT keine Antwort und die restlichen fünf konnten nicht eindeutig identifiziert werden, um mit diesen in Kontakt zu treten. Laut ehemaligen Mitarbeitern soll das Büro von Al Alam in Dubai nur sechs bis sieben Personen beschäftigt haben, obwohl in 2016 und 2017 monatlich Zahlungen über 350 Million Euro über diesen Partner stattgefunden haben sollen. Beispielsweise wurde durch einen irischen Anbieter von Prepaid-Karten namens Cynis Systems, im Jahr 2017 monatlich 46 Millionen Euro über Al Alam abgewickelt, obwohl Cynis Systems laut den Unterlagen bereits im Jahr 2017 aufgelöst worden war. Ein weiterer dubioser Vorgang war, dass Al Alam, kurz vor Bekanntwerden der Insolvenz von Wirecard im Juni 2020, plötzlich liquidiert wurde. Als Begründung teilte Al Alam mit, dass das mediale Interesse an dem Unternehmen so enorm geworden sein soll, dass normale Geschäftstätigkeiten nicht mehr möglich seien.47 48
Das Unternehmen PayEasy Solutions, das bereits im Zusammenhang mit dem Indien-Deal erwähnt wurde, zählte ebenfalls zu einer der Drittpartnerfirmen, die für große Summen des Umsatzes und Gewinns von Wirecard verantwortlich waren. Sie hat ihren Sitz in einem Einkaufscenter in einem Vorort von Manila auf den Philippinen. Als Geschäftsführer waren bis zuletzt Christopher Bauer und seine Frau Belinda Bauer aufgeführt. Christopher Bauer war ein ehemaliger Mitarbeiter von Wirecard, der neben PayEasy auch das Busunternehmen Froehlich Tours und Centurion leitete. Laut der Homepage von PayEasy gehörten Unternehmen wie die Fluglinie Emirates, die Hotelkette Holiday Inn und der Casinokomplex City of Dreams Manila zu den Kunden der Firma. Diese erklärten aber auf Nachfrage nichts mit dem Unternehmen PayEasy zu tun zu haben.
Weiterhin dubios ist, dass kaum bis kein Geld von den Drittpartnerfirmen an Wirecard floss. In Korrespondenz mit Wirecard, halten die Firmen die Provisionen, die sie eigentlich an Wirecard auszahlen müssten, zurück. Das zurückgehaltene Geld wird aus offizieller Sicht als eine Art Pfand angesehen, um dies zu verwenden, falls Zahlungsausfälle auftreten. Die Provisionen stiegen Monat um Monat ab 2013 an und weisen in Wirecards Bilanzen eine beträchtliche Summe an Forderungen auf. Um dieses Problem zu übergehen, richtete Wirecard Treuhandkonten ein, auf die die Drittpartnerunternehmen die Provisionen überwiesen. Auf diese Treuhandkonten konnten Al Alam und Co. trotzdem weiterhin zugreifen, aber in Wirecards Bilanz waren nun die Forderungen in Bankguthaben umgewandelt und ließen das Unternehmen als überaus gesund und potent dastehen. Ende 2019 hatte sich das angebliche Geld auf den Treuhandkonten auf 1,9 Milliarden Euro aufsummiert.49 50 51
[...]
1 Kesimli 2019: External Auditing and Quality, S. 25 ff.
2 Kort 2020: Wirecard, Lehman Brothers & Co.: Die größten Bilanzskandale.
3 Hlavica et al. 2017: Tax Fraud & Forensic Accounting, S. 21 ff.
4 BaFin: Broschüre.
5 BaFin 2020: Aufgaben & Geschichte.
6 BaFin: Broschüre.
7 BaFin 2019a: Bankenaufsicht.
8 BaFin 2019b: Wertpapieraufsicht.
9 Holtermann: Zahlungsdienstleister - Bafin zeigt Wirecard-Chefs wegen Verdachts der Marktmanipulation an.
10 Barth: DPR Jubiläumsbroschüre.
11 Reppesgaard 2007: Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung: Wenn die Bilanzpolizei kommt.
12 Marktbeobachtung 2020.
13 Schwarzberg, Friederike, Dr., VIIB3: APAS Geschäftsordnung.
14 Montanus 2000: Wire Card haucht dem E-Commerce Leben ein.
15 Goingpublic Redaktion 2017: Reverse IPOs.
16 Holtermann und Schnell 2020: Wirecard: Wie Ex-Chef Braun den Konzern in die Insolvenz trieb.
17 It-times 2020: Wirecard - die ganze Geschichte kurz erzählt.
18 Haseborg und Bergermann 2020: Aufstieg und Fall eines Milliardenkonzerns, S. 15 ff.
19 o. V. Geschäftsbericht 2018, S. 31-32.
20 Dohms 2020: Welche Teile von Wirecard für welche Teile von Wirecard infrage kommen.
21 Borgwerth und Dohms 2018: Wirecard macht rund viermal (!) so viel Marge wie Adyen.
22 o. V. Geschäftsbericht 2018, S. 39
23 BR24 2020: Zur Person, der Ex-Chef von Wirecard.
24 Bender et al: Das sind die wichtigsten Köpfe im Wirecard-Skandal.
25 Bender et al:Das sind die wichtigsten Köpfe im Wirecard-Skandal
26 Giesen et al: Catch me if you can.
27 Bender et al: Das sind die wichtigsten Köpfe im Wirecard-Skandal.
28 Bender et al:Das sind die wichtigsten Köpfe im Wirecard-Skandal.
29 Giesen et al: Catch me if you can.
30 Bender et al: Das sind die wichtigsten Köpfe im Wirecard-Skandal.
31 Kirchner: Schlammschlacht um Wirecard entbrannt.
32 Kirchner und Drescher: Wirecard rudert im Streit mit SdK zurück.
33 rad: Bafin weitet Prüfung im Fall Wirecard aus.
34 McCrum: Revisiting Wirecard´s big Indian deal.
35 Ehrensberger: Nächste Attacke - Übernahme in Indien.
36 Haseborg und Bergermann 2020: Wirecard - Aufstieg und Fall eines Milliardenkonzerns.
37 Boyd: Wirecard AG: The Great Indian Sharholder Robbery.
38 McCrum und Palma: Executive at Wirecard suspected of using forged contracts.
39 Schnell und Neuhaus: Zahlungsdienstleister - Spekulationen über Betrug bei Wirecard.
40 McCrum und Palma: Wirecard´s law firm found evidence of forgery and false accounts.
41 Röder und Schnell: Zahlungsdienstleister - Neue Vorwürfe gegen Wirecard.
42 Peer: Zahlungsabwickler - Singapur ermittelt ohne Unterstützung der Münchner Staatsanwaltschaft gegen Wirecard.
43 Schnell: Zahlungsdienstleister - Wirecard-Vorstand soll von umstrittenen Zahlungen gewusst haben.
44 Schnell: Zahlungsdienstleister - Freispruch mit Schönheitsfehlern.
45 Schnell: Zahlungsdienstleister - Neue Vorwürfe gegen Wirecard.
46 McCrum und Palma: Wirecard´s problem partners.
47 Schnell und Holtermann: Zahlungsdienstleister - Erneute Zweifel an Bilanzierung lassen Wirecard-Aktie abstürzen.
48 Schnell et al: Dubiose Geldabflüsse bei Wirecard.
49 Haseborg und Bergermann 2020: Wirecard - Aufstieg und Fall eines Milliardenkonzerns, S. 115 ff.
50 Holtermann und Schnell: Zahlungsdienstleister - KPMG-Sonderprüfung zu Wirecard-Bilanzen lässt Fragen offen.
51 Holtermann und Schnell: Nach KPMG-Sonderprüfung 'Keine umfassende Absolution'.
- Quote paper
- Alexander Prekop (Author), 2021, Der Fall Wirecard. Grenzen der Abschlussprüfung und Verantwortlichkeiten bzw. Überwachungsfunktionen bei einer deutschen börsennotierten Aktiengesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1171134
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