Managed Care - Umsetzung in Deutschland

Ausgewählte Instrumente der US-amerikanischen Managed Care Organisationen und ihre Implementierung in Deutschland


Seminararbeit, 2008

43 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINFÜHRUNG

2. AUSGEWÄHLTE INSTRUMENTE DES MANAGED CARE
2.1 SELEKTIVES KONTRAHIEREN
2.2 GATEKEEPING
2.3 GUIDELINES
2.3.1 FORMEN UND ZIELE
2.3.2 EINSATZGEBIETE
2.4 DISEASE MANAGEMENT
2.4.1 DEFINITION UND ZIELE
2.4.2 VORAUSSETZUNGEN FÜR EIN FUNKTIONIERENDES DISEASE-MANAGEMENT UND AUSWAHL DER ERKRANKUNGEN

3. MANAGED CARE ORGANISATIONEN AM BEISPIEL DER USA
3.1. HEALTH MAINTENANCE ORGANIZATION (HMO)
3.1.1 STAFF-HMO
3.1.2 GROUP-HMO
3.1.3 IPA-HMO
3.1.4 NETWORK-HMO
3.2 PROVIDER SPONSORED ORGANIZATIONS (PSO)
3.3 PREFERRED PROVIDER ORGANIZATIONS (PPO)
3.4 INTEGRATED DELIVERY SYSTEMS (IDS)

4. IMPLEMENTIERUNG VON MANAGED CARE IN DEUTSCHLAND
4.1. INTEGRIERTE VERSORGUNG
4.2. DISEASE MANAGEMENT PROGRAMME (DMP)
4.2.1 GESUNDHEITSPOLITISCHE ENTWICKLUNG
4.2.2 GESETZESGRUNDLAGEN
4.3 HAUSARZTZENTRIERTE VERSORGUNG
4.4 MEDIZINISCHE VERSORGUNGSZENTREN
4.4.1 GESETZESGRUNDLAGEN
4.4.2 MEDIZINISCHE VERSORGUNGSZENTREN UND MANAGED CARE

5. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Das Gatekeeping-System

Abb. 2: Struktur einer Staff-HMO

Abb. 3: Struktur einer Group-HMO

Abb. 4: Struktur einer IPA-HMO

Abb. 5: Struktur einer Network-HMO

Abb. 6: Mitgliederzahlen in HMOs in den USA aus dem Jahr 2005

Abb. 7: Übersicht über die Vertragspartner der Integrierten Versorgung

Abb. 8: Bisher in Kraft getretene Disease Management Programme

Abb. 9: Hausarztzentrierte Versorgung in Nordrhein-Westfalen

1. EINFÜHRUNG

Das Konzept des Managed Care hat seinen Ursprung im US-amerikanischen Gesundheitswesen.

„Es gibt keine allgemein gebräuchliche Definition von Managed Care: In der Praxis hat es sich jedoch als hilfreich erwiesen, Managed Care-Organisationen an zwei Merkmalen zu identifizieren, die bei fast allen Formen von Managed Care angetroffen werden und darüber hinaus auch wesentlich für die von Managed Care angestrebten Ziele, die Verbesserung der Behandlungsqualität und die Ökonomisierung der Medizin, sind. Diese beiden Merkmale sind: 1. Die Beteiligung der Versorger (z.B. Ärzte und Krankenhäuser) am Versicherungsrisiko für Patienten und 2. die Vernetzung von Behandlungseinrichtungen.“1

Wesentliches Merkmal des Konzeptes ist also eine effiziente Steuerung der Leistungserstellung im Gesundheitswesen. Die Zielsetzung ist hierbei die Versorgungsqualität zu erhöhen und gleichzeitig Kostensenkungspotentiale zu nutzen. Hierbei kommen Managementprinzipien zur Anwendung, die zumindest partiell Leistungserstellung und –finanzierung integrieren. Zur Erreichung der Zielsetzung und Durchsetzung der Managementprinzipien kommen zahlreiche unterschiedliche Instrumente zur Anwendung. Im Laufe der Zeit haben sich verschieden ausgeprägte Organisationsformen – die so genannten Managed Care Organizations (MCOs) – herausgebildet, die sich im Wesentlichen im Grad der Integration von Leistungserbringung und –finanzierung und der Nutzung der Managed Care-Instrumente unterscheiden.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Überblick über ausgewählte Managed Care Instrumente (Abschnitt 2) sowie Organisationsformen (anbieterorientiert und versicherungsorientiert; Abschnitt 3) im US-amerikanischen Gesundheitswesen zu geben. Im weiteren Verlauf der Ausarbeitung wird darauf eingegangen, inwieweit Teilmerkmale des originären Konzeptes auch Einzug in das ansonsten stark regulierte deutsche Gesundheitswesen gehalten haben. Insbesondere wird hier die Implementierung des Managed Care Gedankenguts durch die Modelle der Integrierten Versorgung, der Disease Management-Programme, der hausarztzentrierten Versorgung und den Medizinischen Versorgungszentren betrachtet (Abschnitt 4).

Die Arbeit schließt mit einer zusammenfassenden Darstellung.

2. AUSGEWÄHLTE INSTRUMENTE DES MANAGED CARE

2.1 SELEKTIVES KONTRAHIEREN

Ein wichtiges Instrument des Managed Care ist das so genannte Selektive Kontrahieren. Durch die Auswahl geeigneter Leistungserbringer und die Ausgestaltung entsprechender Versorgungsverträge wird die Grundlage für eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Behandlung gestellt.2 Selektives Kontrahieren führt dazu, dass seitens der Leistungsfinanzierer nur Kosten übernommen werden müssen, welche Bestandteil der vertraglichen Vereinbarung sind. Ein großer Nachteil für die Versicherten ist hierbei, dass es zu erheblichen Einschränkungen der Wahlfreiheit kommt. Der Versicherungsschutz besteht nur für Leistungserbringer, welche einen Versorgungsvertrag mit einer Managed Care Organization (MCO) abgeschlossen haben.

Der Versicherte läuft dann Gefahr außerhalb des Vertragsnetzes in Anspruch genommene Leistungen selber tragen zu müssen, oder zumindest, im Falle von Point-of-Service- Produkten erhöhte Zuzahlungen zu leisten.3 Auch kann das Selektive Kontrahieren die Freiheit der Leistungserbringer einschränken. Grundsätzlich ist hier zwischen zwei unterschiedlichen Vertragsausgestaltungen zu unterscheiden. Auf der einen Seite kann der Arzt einen Ausschließlichkeitsvertrag abschließen, der mit dem Verbot der Behandlung versicherungsfremder Patienten einhergeht. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch die Möglichkeit den Vertrag so auszugestalten, dass eine Behandlung versicherungsfremder Patienten nicht ausgeschlossen wird.4

Insgesamt lassen sich für das Konzept des Selektiven Kontrahierens drei Zielsetzungen identifizieren:

- Kostenkontrolle
- Kapazitätskontrolle
- Qualitätskontrolle

Besonders bei einem Überangebot von Fachärzten und Krankenhäusern ist es den MCOs (vgl. Abschnitt 3) möglich ihre Verhandlungsmacht (in Form des eingeschriebenen Versichertenstammes) bestmöglich einzusetzen, um günstige Preise mit den Leistungsanbietern zu vereinbaren. Ein direkter Einfluss auf die medizinischen Kosten ist somit möglich. Gleichzeitig kann eine MCO auch Einfluss auf das Qualitätsniveau geltend machen. Indem sie nur mit Leistungserbringern kontrahiert, welche gewisse Qualitätsstandards und Anforderungen erfüllen, kann effektiv auf eine qualitativ möglichst hochwertige Behandlung hingearbeitet werden.5 Positiven Einfluss auf die Qualität hat auch, dass sich bei wenigen ausgewählten Leistungserbringern auch Lernkurveneffekte einstellen, da die Prozessqualität von Operationen mit steigender Fallzahl zunimmt.6 Eine Kapazitätskontrolle und somit Planungssicherheit ist gegeben, da die Versicherung nur entsprechend der geplanten Qualität und dem zugrunde gelegten Versorgungsmodell Leistungen einkaufen muss.7 Jedoch stößt das Selektive Kontrahieren sowohl bei den Ärzten als auch bei den Versicherten auf nicht unerheblichen Widerstand. Die Einschränkung der Wahlfreiheit und der befürchtete Vertrauensverlust im Arzt – Patienten

– Verhältnis spiegeln die Kehrseite und somit den Preis für die potentielle Qualitätszunahme wider. Der Hauptkritikpunkt seitens der Ärzteschaft zielt auf die Befürchtung ab, dass der Auswahlprozess der Vertragspartner weniger anhand von Qualitätsmerkmalen stattfindet, sondern dass das Hauptaugenmerk der MCOs darauf liegt, möglichst kostengünstige Preise und Pauschalen zu vereinbaren. Somit entsteht ein gewisser Zwang bei den Ärzten, die niedrigen Honorare zu akzeptieren, um somit den Fortbestand der eigenen Praxis zu gewährleisten.8

2.2 GATEKEEPING

Unter dem Konzept des Gatekeeping versteht man die Übernahme einer Lotsenfunktion durch einen Allgemeinarzt.9

Zentraler Bestandteil dieses Konzeptes ist der Wegfall der freien Arztwahl durch den Versicherten.10 Mit Ausnahme von Notfällen und einigen vorab definierten Leistungsbereichen veranlasst ein delegierter Arzt, ob ein bestimmter Facharzt konsultiert werden sollte, ein stationärer Aufenthalt notwendig ist oder ob der Gatekeeper selbst die notwendigen medizinischen Leistungen erbringen kann. Entsprechende weiterführende Stellen dürfen nicht ohne Überweisung durch den Gatekeeper aufgesucht werden und müssen ihn über Behandlung und Ergebnisse informieren.11 Dadurch soll ein koordinierter, kontrollierter und sektorenübergreifender Behandlungsablauf sichergestellt werden. Ähnlich wie ein Disease Manager (vgl. Abschnitt 2.4) überwacht und koordiniert der Gatekeeper dabei nicht nur die von ihm erbrachten, sondern auch alle weiterführenden Leistungen, wie in Abbildung 1 dargestellt wird. Dabei nimmt er entweder nur die Schleusenwärter-Funktion ein oder er übernimmt auch die finanzielle Verantwortung als capitated gatekeeper, der über Kopfpauschalen honoriert wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Das Gatekeeping-System

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Amelung, V.E. (2004): S.151.

Prädestiniert für die Übernahme dieser Gatekeeping-Funktion sind Allgemeinmediziner. Jedoch scheinen auch Allgemeininternisten, Pädiater und Gynäkologen für diese Aufgabe geeignet zu sein.12

Fast alle Managed Care Organisationen in den USA haben das Konzept des Gatekeeping implementiert und vertrauen somit der Leistungssteuerung durch einen Mediziner.13 Diese große Verbreitung spiegelt sich auch darin wieder, dass etwa 38% der US-amerikanischen Bevölkerung in ein Versicherungsprogramm mit Gatekeeper-Funktion eingeschrieben ist.14 Erhoffte Effekte des Gatekeepings sind Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Verbesserung oder zumindest Einhaltung des gegenwärtigen Qualitätsstandards.15 Insbesondere bei multimorbiden Patienten oder Chronikern können die fallindividuelle Optimierung der Schnittstellenproblematik sektorenübergreifender Versorgung sowie eine Reduktion der Informationsasymmetrie zwischen den Leistungserbringern zur Verbesserung der Behandlungsqualität beitragen.

Betrachtet man die Kostenseite, so liegt das größte Potential in den Einsparungen durch Verhinderung nicht notwendiger Inanspruchnahme von ambulanten oder stationären Leistungen.16 Ob und wie weit diese Zielsetzung im internationalen Kontext erreicht worden ist, ist in der Literatur umstritten. Zwar haben Gesundheitssysteme, welche eine Gatekeeping-Funktion einsetzen, niedrigere Gesundheitsausgaben als solche, in denen freie Arztwahl vorherrscht, jedoch ist fragwürdig, ob das eingesetzte Managed Care- Instrument die Ursache hierfür darstellt.17 Ein eindeutiger Nachweis für eine Kosteneinsparung konnte auch in den USA nicht erbracht werden.18 Auch gibt es keine eindeutige Evidenz dafür, dass sich die Behandlungsqualität durch Gatekeeping verbessert. Studien belegen zwar, dass die Kontaktrate zu Fachärzten sich verringert, dennoch wird kein Unterschied in der Behandlung der Patienten festgestellt.19

Somit bietet das Konzept des Gatekeepings theoretisch zwar gute Ansätze, um die Qualität und Quantität der Leistungserbringung zu kontrollieren sowie Kosteneinsparungen zu ermöglichen. Andererseits aber haben empirische Erfahrungen gezeigt, dass eine erfolgreiche Umsetzung schwierig ist. In den USA zum Beispiel wird wieder tendenziell mehr Abstand zu diesem Konzept genommen.

Dies ist zum einen begründet in der mangelnden Akzeptanz der Einschränkung der Wahlfreiheit, zum anderen aber auch in den hohen Anforderungen an den Leistungserbringer.20

2.3 GUIDELINES

Für dieses Instrument im Rahmen von Managed Care gibt es verschiedene Begriffsvariationen. Während man im deutschen Kontext von Richtlinien, Leitlinien Empfehlungen oder Stellungnahmen spricht, kommen in der amerikanischen Literatur Begriffe wie algorithms, clinical paths, practice parameter oder clinical pathways zur Anwendung.21,22 Eine mögliche Definition von Guidelines bzw. Leitlinien ist:

„Leitlinien [bzw. Guidelines] sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei spezifischen gesundheitlichen Problemen. Es sind wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Handlungsempfehlungen, Orientierungshilfen im Sinne von ‚Handlungskorridoren‘, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muß. Sie sollen optimales diagnostisches und therapeutisches Vorgehen fördern und unnötige, wirkungslose und schädliche Maßnahmen verhindern.“23

Aus der Definition wird deutlich, dass es sich um eine rein medizinische Betrachtungsweise dieses Instrumentes handelt. Hier muss deutlich gemacht werden, dass Guidelines im Rahmen des Managed Care-Konzeptes nicht ausschließlich dem medizinischen Zweck dienen. Vielmehr werden sie von Managed Care-Organisation zu organisatorischen Zielen eingesetzt, auf die nun im folgenden Abschnitt eingegangen wird.24

2.3.1 FORMEN UND ZIELE

Amelung und Schumacher machen drei wesentliche Zielsetzungen von Guidelines als Managed Care-Instrument fest: die Durchsetzung kostenoptimaler Behandlungsformen, die Produktdifferenzierung und die Wahl der Vertragspartner.25

Aus Kostengesichtspunkten sollen möglichst solche Guidelines entwickelt werden und innerhalb einer MCO zur Anwendung kommen, die Diagnose- und Therapieverfahren ausschließen, welche sich als ineffizient, zu kostenträchtig oder nicht zielführend herausgestellt haben.26 „Die zugrunde liegende Annahme ist, dass ein von [der MCO] definiertes Qualitätsniveau günstiger erbracht werden kann, wenn sich Ärzte an eine vorgegebene [G] uideline halten, als wenn diese im Rahmen der Therapiefreiheit die Behandlung individuell bestimmen.“27 Dies geht unmittelbar mit der Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit einher. In der Praxis muss der Leistungserbringer bei unbegründeten Abweichungen von der Guideline (vgl. Definition) mit Honorareinbußen rechnen.28

Guidelines können ferner von MCOs als Instrument zur Produktdifferenzierung eingesetzt werden. Demnach könnte eine MCO mehrere sich nach der Ablauforganisation unterscheidende Leitlinien29 einsetzten und ihren Versicherten anbieten. Der durch die spezielle Prozessgestaltung entstehende Mehraufwand muss dann von den nachfragenden Versicherten getragen werden.

Schließlich werden Guidelines seitens der MCOs als Auswahlkriterium bei Vertragsabschlüssen mit Leistungserbringern (vgl. 2.1) herangezogen. Dadurch kann das Kontrahieren beispielsweise mit jenen Ärzten erleichtert werden, die ihre Leistungen bereits nach den gleichen Leitlinien wie die MCO erbringen.30

2.3.2 EINSATZGEBIETE

Für welche Indikationen sollten Guidelines entwickelt werden? Im Vordergrund stehen hierbei vier Gesichtspunkte:

- Quantität und Homogenität,
- Kosten- und Qualitätsdifferenzen zwischen den Behandlungsformen,
- Grad der Informationsasymmetrien zwischen Leistungsersteller und Kostenträger,
- kein pauschaliertes Vergütungssystem.

Sinnvoll sind Guidelines zunächst einmal bei Indikationen, die häufig und kostenintensiv sind. Dennoch müssen die zu erbringenden Leistungen homogen bzw. standardisierbar sein. Stehen ferner für eine Indikation unterschiedliche Behandlungsformen mit deutlich differierenden Kosten (stationär/ambulant oder chirurgisch/medikamentös) zur Verfügung, so stellen sich hierbei Leitlinienentwicklungen als zweckmäßig dar. Drittens sollen Leitlinien den Grad der Informationsasymmetrien zwischen Leistungserbringer und – finanzierer reduzieren. In diesem Rahmen werden Leitlinien von Kostenträgern als Kontrollinstrument zur Überprüfung der Leistungserstellung herangezogen. So ist Nicht- Medizinern ein Instrument an die Hand gegeben, mit dem sie Abweichungen bei der Leistungserstellung feststellen können. Schließlich können die Entwicklung und der Einsatz von Leitlinien in Abhängigkeit vom praktizierten Vergütungssystem stehen. Bei einer pauschalierten Vergütungsform wirkt sich ein unwirtschaftliches Handeln des Leistungserstellers nicht auf den Kostenträger aus, sondern auf den Leistungserbringer selbst. Der Einsatz von Guidelines kann vom Leistungserbringer selbst ausgehen, um seine Prozessqualität zu kontrollieren und so effizient zu arbeiten.31

2.4 DISEASE MANAGEMENT

Die meisten Gesundheitssysteme moderner Industriestaaten sind mit verschiedenen Problemen der Patientenversorgung konfrontiert. Hierzu gehört zum einen „sektorierte und unkoordinierte institutionelle Beziehungen im Versorgungssystem“32 und zum anderen eine vordergründige Akutbehandlung gegenüber einer nachrangigen Prävention und Rehabilitation.33 Dabei nimmt in westlichen Ländern die Prävalenz chronischer Erkrankungen aufgrund der Alterung der Bevölkerung immer weiter zu.34 Ferner haben Kostenanalysen zur Gesundheitsversorgung gezeigt, dass ein Großteil der Gesundheitsausgaben einem relativ kleinen Teil der Versicherten – bei chronisch Kranken gar das Zwei- bis Zehnfache im Vergleich zum Durchschnitt35 – zuzurechnen sind.36 Nach Angaben des US-amerikanischen Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS)37 weisen 23% ihrer Versicherten fünf oder mehr chronische Erkrankungen vor, während dieses Patientenkollektiv 68% der Gesundheitsausgaben ausmachen.38

Im Zuge der Etablierung von Managed-Care-Organisationen wurde in den USA auf Basis dieser Erkenntnisse das Konzept des Disease Managements entwickelt, auf welches nun im Folgenden näher eingegangen wird.

2.4.1 DEFINITION UND ZIELE

Die Grundidee des Disease Management beruht auf der Annahme, dass eine integrierte, systematische und nach wissenschaftlichen Kriterien gesicherte langfristige Versorgung einer Risikogruppe von Patienten39 mit chronischen und folglich kostenintensiven Erkrankungen, eine höhere Effektivität und Effizienz vorweist als ein individuelles, fragmentiertes und episodisches Behandlungskonzept.40 Demzufolge kann Disease Management wie folgt definiert werden:

“Disease Management ist ein integrativer Ansatz, der die episodenbezogene, sektoral aufgesplitterte Versorgung von einzelnen chronisch Kranken durch eine systematische, evidenzbasierte, sektorenübergreifende und kontinuierliche Versorgung eines Patientenkollektivs von chronisch Kranken über alle Krankheitsstadien und Versorgungseinrichtungen hinweg ersetzt.“41

Wie aus der oben genannten Definition hervorgeht, sollten drei wesentliche Merkmale des Disease Managements im Folgenden ausdrückliche Erwähnung finden:

1. „A knowledge base that quantifies the economic structure of a disease and includes guidelines covering the care to be provided, by whom, and in what setting for each part of the process“ (Systematisierung und Evidenzbasierung);
2. [a] care delivery system without traditional boundaries between medical specialties and institutions” (sektorenübergreifende Versorgung);
3. [a] continuous improvement process which develops and refines the knowledge base, guidelines and delivery system”42 (Kontinuität).

Das Disease Management zielt im Rahmen einer durch Qualitätsstandards optimierten Patientenversorgung auf eine effiziente und effektive Therapie ab. Zugleich sollen Kosteneinsparungspotentiale mittels Kostenkontrolle und Rationalisierung von Ressourcen genutzt werden.43 Diese Zielsetzung steht im Einklang mit den fundamentalen Hauptzielen des Managed Care-Ansatzes, nämlich der Qualitätssteigerung bei gleichzeitiger Kostenreduktion (vgl. Abschnitt 1).

2.4.2 VORAUSSETZUNGEN FÜR EIN FUNKTIONIERENDES DISEASE MANAGEMENT UND AUSWAHL DER ERKRANKUNG

Die wesentlichen Elemente eines ganzheitlichen Disease Management-Ansatzes sind:

- eine Wissensbasis mit Informationen über die Epidemiologie, Prävention, Pathologie und Behandlungsmöglichkeiten von Erkrankungen;
- eine Outcomes-Forschung, d.h. die Messung von Qualität, Zufriedenheit und Kosten, welche die Entwicklung von Leitlinien und Behandlungsprotokollen unterstützen;
- ein Informationssystem, dass allen Beteiligten einen Zugang zu Daten, wie die ökonomische Struktur von Krankheiten oder verschieden Behandlungsoptionen, ermöglicht;
- Maßnahmen zur Verhaltensbeeinflussung sowohl auf der Patientenseite (Maßnahmen zur Erhöhung der Compliance) als auch auf der Leistungserbringerseite (Maßnahmen zur Befolgung der Leitlinien);
- eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung über die Leistungsbeurteilung;
- die Schaffung von Anreizsystemen (z.B. über die Art und Weise der Vergütung), damit alle Beteiligten ihre Leistungen für die gleichen Ziele erbringen.44

Nachdem die Merkmale und Elemente des Disease Management-Konzeptes erläutert wurden, bleibt die Frage, für welche Erkrankungen sich ein Disease Management- Programm anbietet.

In Anbetracht der zu Beginn des Abschnittes 2.4 einleitend beschriebenen Situation im Gesundheitswesen, ist das Disease Management für jene Erkrankungen angemessen, die hohe Kosten verursachen und denen somit eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung beigemessen werden kann.45 Die Krankheiten sollten ferner epidemiologisch von Bedeutung sein, d.h. eine hohe Inzidenz- und Prävalenzrate bzw. eine hohe Mortalitäts- und Morbiditätsrate vorweisen.46 Insgesamt sollten effektive Einflussmöglichkeiten und Steuerungen auf den Behandlungsverlauf über Behandlungsprotokolle und Leitlinien möglich sein.47 Steuerungsansätze wären etwa bei „schlechte[r] Koordination der beteiligten Leistungserbringer“ und einer „Häufung von vermeidbaren stationären Behandlungen“48; Kriterien, die für eine hohe Varianz in der Versorgung und damit für ein großes Verbesserungspotential sprechen. Im Ganzen gesehen müssen die klinischen, ökonomischen und psychosozialen Ergebnisse für die in Frage kommenden Krankheiten messbar sein.49

[...]


1 Lauterbach, K.W. (1996): S. 53.

2 Vgl. Wiechmann, M. (2003): S.57.

3 Vgl. Schwartz, F.W. (2003): S. 711.

4 Vgl. Amelung, V.E. / Schumacher, H. (2004): S.101.

5 Vgl. Wiechmann, M. (2003): S.57.

6 Vgl. Waldmann, J.D. / Yourstone, S.A. / Smith, H.L. (2003).

7 Vgl. Wiechmann, M. (2003): S.57.

8 Vgl. Zelman, W.A. / Berenson, R.A. (1998).

9 Vgl. Wasem, J. / Gress, S. / Hessel, F. (2003).

10 Vgl. Cortekar, J. / Hugenroth, S. (2006): S. 70.

11 Vgl. Rachold, U. (2000): S. 63.

12 Vgl. Baumann, M. / Stock, J. (1996).

13 Vgl. Halm, E.A. / Causino, N. / Blumenthal, D. (1997) und Franks, P. et al. (1992).

14 Vgl. Kaiser Fam,ily Foundation and Health Research Education Trust (2000).

15 Vgl. Halm, E.A. / Causino, N. / Blumenthal, D. (1997) und Franks, P. et al. (1992).

16 Vgl. Amelung, V.E. / Schumacher, H. (2004): S.151.

17 Vgl. Wasem, J. / Gress, S. / Hessel, F. (2003) und Forrest, C.B. (2003) und Anderson, G.F. / Hurst, J. / Hussey, P.S. et al. (2000), Boerma, W.G. / Van der Zee, J. / Fleming, D.M. (1997).

18 Vgl. Kralewski, J.E. / Rich, E.C. / Feldman, R. et al. (2000).

19 Vgl. Martin, D.P. / Diehr, P. / Price, K.F. et al. (1989) und Hurley, R.E. / Freund, D.A. / Gage, B.J. (1991)

20 Vgl. Amelung, V.E. / Schumacher, H. (2004): S.151.

21 Vgl. ebd., S. 164.

22 Im Folgenden wird nur noch die Begriffe Guidelines bzw. Leitlinien benutzt.

23 Hermanek, P. (1998).

24 Vgl. Amelung, V. E. / Schumacher, H. (2004): S. 164.

25 Vgl. ebd., S. 167.

26 Vgl. Wiechmann, M. (2003): S. 64.

27 Amelung, V. E. / Schumacher, H. (2004): S. 167.

28 Vgl. Wiechmann, M. (2003): S. 64.

29 Amelung und Schumacher nennen das Beispiel einer Gallensteinentfernung. Während die ‚Standard‘- Leitlinie einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt notwendig macht, bietet die MCO die gleiche Behandlung gemäß einer zweiten Leitlinie an, die die Aufenthaltsdauer auf einen Tag reduziert (vgl. Amelung, V. E. / Schumacher, H. 2004, S. 168).

30 Vgl. Amelung, V. E. / Schumacher, H. (2004): S. 168.

31 Vgl. Amelung, V. E. / Schumacher, H. (2004): S. 168 ff.

32 Greiner, W. (2004): S. 25.

33 Vgl. ebd.

34 Vgl. Lauterbach, K. W. / Stock, S. (2001).

35 Vgl. ebd.

36 Vgl. Amelung, V. E. / Schumacher, H. (2004): S. 180.

37 Die CMS ist die US-amerikanische Bundesbehörde, welche die staatlichen Krankenversicherungsprogramme für Ältere (Medicare), Bedürftige (Medicaid) und Kinder (SCHIP) verwaltet.

38 Vgl. Kongstvedt, P. R. (2007): S. 234.

39 Im Gegensatz zum Case Management, bei dem ein individueller Patient mit komplexer und teurer Behandlung im Mittelpunkt steht, liegt der Fokus des Disease Managements bei einer Patientengruppe mit einer bestimmten gleichartigen Erkrankung (vgl. Wiechmann, M, 2003, S. 62).

40 Vgl. Amelung, V.E. / Schumacher, H. (2004): S. 180.

41 Lauterbach, K. W. / Stock, S. (2001).

42 Hunter, D. J. / Fairfield, G. (1997).

43 Vgl. Kanzer, Andrea (2007): S. 66 f.

44 Vgl. Hunter, D. J. / Fairfield, G. (1997) und Amelung, V. E. / Schumacher, H. (2004): S. 181.

45 Vgl. Wiechmann, M, (2003): S. 62.

46 Vgl. Lauterbach, K. W. / Stock, S. (2001).

47 Vgl. Hunter, D. J. / Fairfield, G. (1997).

48 Wiechmann, M. (2003): S. 62.

49 Vgl. Lauterbach, K. W. / Stock, S. (2001).

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Managed Care - Umsetzung in Deutschland
Untertitel
Ausgewählte Instrumente der US-amerikanischen Managed Care Organisationen und ihre Implementierung in Deutschland
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik im internationalen Vergleich
Note
1,3
Autoren
Jahr
2008
Seiten
43
Katalognummer
V117135
ISBN (eBook)
9783640195275
ISBN (Buch)
9783640195374
Dateigröße
1021 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik, Managed Care, USA
Arbeit zitieren
Reza Fathollah Nejad Asl (Autor:in)Emanuel Kiefer (Autor:in), 2008, Managed Care - Umsetzung in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117135

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