Tieck verschießt „Spöttereien rechts und links und nach allen Seiten wie leichte
Pfeile“, beschreibt August Wilhelm Schlegel den satirischen Ton des Gestiefelten Katers.
Damit ist sein Hauptcharakteristikum gegeben und diese „kecke mutwillige Posse“, die einen Grenzpunkt zwischen Tiefsinn und Unsinn und ein geistreichwitziges Spiel mit der Illusion darstellt, beschrieben.
Ludwig Tiecks Drama ist als Initialstück der Romantik zu werten, in dem, nach einer rational ausgerichteten und an Vernunft orientierten Epoche der Aufklärung, Kunst, Künstler und Publikum zurück zum Fantastischen und Fantasievollen finden können. Klaus Günzel bezeichnet Tieck in seiner Biografie als einen „heiteren Geist“, der seine Schöpferkraft immer
wieder an den „Widersprüchen der Epoche“ entzündet, womit er die Phase des Übergangs der Spätaufklärung in die Frühromantik bezeichnet. Tieck parodiert diese starren und rigiden Formulierungen der überzeugten Vertreter der Aufklärung im gesellschaftlichen und kulturellen Bereich. Dass er sich dabei als passionierter Satiriker zeigt, soll im Verlauf dieser
Arbeit deutlich werden, die das Drama unter eben diesem Aspekt analysieren wird.
Als „das größte mimische Talent, das jemals die Bühne nicht betreten“ hat, wie Clemens Brentano Tieck feiert, installiert dieser seine Satire auf einer fiktiven Theaterbühne. Zu seinen Protagonisten gehören darüber hinaus die fiktiven Zuschauer im Parkett, die sich über das Geschehen auf der Bühne mokieren, während auf dieser das Stück selbst zum Diskussionspunkt wird. Damit entwickelt Tieck sein Stück auf differenzierten Spielebenen
und mit mehreren Rollendimensionen, die die Illusion des Theaters zerstören, indem sie seinen Konstruktionscharakter entlarven.
Der Gestiefelte Kater findet nach seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1793 großen Anklang und erreicht in Kürze sechs Auflagen. Tieck nimmt ihn fast zwanzig Jahre später auch in seinen Phantasus auf, eine Sammlung von Märchen, Erzählungen, Schauspielen und Novellen, wie dessen Untertitel verrät.
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Inhalt
1. Einleitung
2. Spielebenen
3. Charaktere
3.1. Kater
3.1.1. „Menschwerdung“ des Katers
3.2. Dichter
3.3. Schauspieler
3.3.1. König und Prinzessin
3.3.2. Hanswurst und Leander
3.4. Publikum
4. Satire
4.1. Zeitsatire
4.2. Politische Satire
4.3. Theatersatire
4.4. Personalsatire
5. Fazit
6. Literatur
Primärtexte:
Sekundärliteratur:
1. Einleitung
Tieck verschießt „Spöttereien rechts und links und nach allen Seiten wie leichte Pfeile“[1], beschreibt August Wilhelm Schlegel den satirischen Ton des Gestiefelten Katers. Damit ist sein Hauptcharakteristikum gegeben und diese „kecke mutwillige Posse“[2], die einen Grenzpunkt zwischen Tiefsinn und Unsinn und ein geistreichwitziges Spiel mit der Illusion darstellt, beschrieben.[3]
Ludwig Tiecks Drama ist als Initialstück der Romantik zu werten, in dem, nach einer rational ausgerichteten und an Vernunft orientierten Epoche der Aufklärung, Kunst, Künstler und Publikum zurück zum Fantastischen und Fantasievollen finden können. Klaus Günzel bezeichnet Tieck in seiner Biografie als einen „heiteren Geist“, der seine Schöpferkraft immer wieder an den „Widersprüchen der Epoche“ entzündet,[4] womit er die Phase des Übergangs der Spätaufklärung in die Frühromantik bezeichnet. Tieck parodiert diese starren und rigiden Formulierungen der überzeugten Vertreter der Aufklärung im gesellschaftlichen und kulturellen Bereich. Dass er sich dabei als passionierter Satiriker zeigt, soll im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden, die das Drama unter eben diesem Aspekt analysieren wird.
Als „das größte mimische Talent, das jemals die Bühne nicht betreten“ hat, wie Clemens Brentano Tieck feiert[5], installiert dieser seine Satire auf einer fiktiven Theaterbühne. Zu seinen Protagonisten gehören darüber hinaus die fiktiven Zuschauer im Parkett, die sich über das Geschehen auf der Bühne mokieren, während auf dieser das Stück selbst zum Diskussionspunkt wird. Damit entwickelt Tieck sein Stück auf differenzierten Spielebenen und mit mehreren Rollendimensionen, die die Illusion des Theaters zerstören, indem sie seinen Konstruktionscharakter entlarven.
Der Gestiefelte Kater findet nach seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1793 großen Anklang und erreicht in Kürze sechs Auflagen.[6] Tieck nimmt ihn fast zwanzig Jahre später auch in seinen Phantasus auf, eine Sammlung von Märchen, Erzählungen, Schauspielen und Novellen, wie dessen Untertitel verrät. Daneben finden sich hier weitere fantastische Motive verarbeitet, wie etwa im Ritter Blaubart, dessen Stoff Tieck, genauso wie den des Gestiefelten Katers den Contes de ma mère l’Oie des französischen Dichtes Charles Perrault (1628-1703) entlehnt.
Den Sprung auf die Bühne schafft der Kater zu seiner Zeit leider nicht, obwohl er eigentlich für die Bühne geschrieben worden war. 1844 wird das Stück schließlich auf Befehl Friedrich Wilhelm IV. im Potsdamer Schlosstheater aufgeführt, doch muss die Aufführung wegen Unmut des Publikums abgebrochen werden. Erst 1921 kommt der Gestiefelte Kater unter der Regie von Jürgen Fehling zu seinem Recht auf der Bühne,[7] wo er fortan „auf dem Dache der dramatischen Kunst herumspaziert.“[8]
2. Spielebenen
Das Drama Tiecks ist auf mehreren Ebenen konzipiert. Zunächst ist das reale Publikum vom tatsächlich existenten Theaterstück zu trennen und darüber hinaus das fiktive Publikum vom fiktiven Spiel auf der Bühne innerhalb des Tieckschen Dramas. Indem das fiktive Spiel auf der Bühne jedoch sich selbst thematisiert, wird eine weitere Ebene der Wahrnehmung konstruiert. Fruchtbar für die Analyse dessen, wie das Drama gebaut ist, ist die Beobachtung der Korrespondenz dieser Ebenen. So tritt das fiktive Publikum mit den fiktiven Schauspielern auf der Bühne in Kontakt, es schaltet sich immer wieder in das Spiel auf der Bühne ein und tritt teilweise sogar mit den Schauspielern in Dialog. Eine klare Grenze zwischen den einzelnen Handlungssträngen ist somit nicht zu ziehen.
Beispielhaft ist dafür die Szene, in der der Schauspieler des Hanswurst sich direkt an das Publikum wendet und es anspricht: „Meine Lieben deutschen Landsleute – “,[9] richtet er sein Wort ins Parterre und betont dabei, dass seine Rede außerhalb des Geschehens auf der Bühne stehe. Er entledigt sich damit seiner Theaterrolle und tritt mit dem Publikum auf einer neuen Ebene in Kontakt. Sein Anliegen besteht darin das Publikum von der mangelnden Kompetenz des Dichters zu überzeugen und es darüber aufzuklären, dass die Szene, die sie zuvor gesehen hatten, nicht zum Schauspielstück selbst dazu gehört. Er bezieht sich hierbei auf einen Dialog zwischen fiktivem Dichter und fiktivem Maschinist auf der Bühne, der die Illusion und Konzentration des Publikums auf das Theatergeschehen stört. Von Wiesner kommt aus dem Parterre schließlich das Schlüsselkommentar zu dieser Episode, sowie zum gesamten Werk auf der Bühne: „Gehört denn das zum Stück?“[10] fragt er hier verwirrt. Denn genau dies ist für das Publikum nicht mehr genau zu unterscheiden: die Schauspieler fallen aus ihren Rollen, wie hier Hanswurst, und „Nicht-am-Stück-Beteiligte“, wie Dichter und Maschinist, beginnen daran durch ihre Aktionen auf der Bühne zu partizipieren.
Besonders der Maschinist erweist sich als Verbindungsoffizier zum Parterre, denn er agiert nicht mehr hinter, sondern auf der Bühne. Nach Bedarf und Anfrage des Dichters illudiert und desilludiert er das Publikum und tritt somit als Regisseur auf. Durch seine Figur, die des Lampenputzers und die des Souffleurs wird der Charakter des „Gemachten“ im Stück doppelt sichtbar, der Illusionismus gesprengt und die Provokation und Demonstration des Spiels gesteigert.[11]
Als weitere wesentliche Schlüsselstelle im Zusammenspiel der Ebenen ist die Disputation zwischen Leander uns Hanswurst anzuführen. Leander vertritt die Ansicht, dass Der gestiefelte Kater ein gutes Stück ist und Hanswurst die entsprechende Gegenposition. Hier kommt der Stück-im-Stück-Charakter besonders stark zum Vorschein und der Konstruktionscharakter des Werks wird entlarvt. Leander bezeichnet das Publikum im Stück als „gut gezeichnet“[12], woraufhin sich das Parterre mit dem Einwand regt, es würde sich gar kein Publikum im Stück befinden. Das fiktive Publikum kann nicht reflektieren, dass es in Wirklichkeit Teil eines Theaterspiels ist. Leander und Hanswurst hingegen besitzen die „höhere Kenntnis“ von einem Theaterstück und können sich ihrer Rollen entledigen.
Weiterhin soll hier noch das Spiel des Katers als Kernpunkt angeführt werden, der sich als Jäger verkleidet und so auch wiederum Schau spielt. Das Spiel des Schauspielers, der den Kater gibt, wird dadurch potenziert und eine weitere Ebene des Spiels tritt auf. In den beiden Zwischenakten, die neben Prolog und Epilog, zu den Dramenteilen gehören, die ausschließlich dem Publikum zur Verfügung stehen, beobachtet und kommentiert Bötticher aus dem Parterre diese zusätzliche Potenzierung des schauspielerischen Könnens. Unter den Zuschauern erscheint er als der Einzige, der diese Feinheiten des Spiels deutlich erkennen kann.
3. Charaktere
Im Folgenden Kapitel sollen die Figuren, wie sie in Tiecks Drama erscheinen charakterisiert werden. Dadurch wird gezeigt, welche satirischen Mittel der Künstler einsetzt und welche verschiedenen Arten von Satiren sich in diesem Werk ausfindig machen lassen.
Signifikant hierbei ist, und das ist typisch für die komische Behandlung von Stoffen, dass die Charaktere des Stücks ohne jede Entwicklung bleiben. Sie werden nicht als Individuen, sondern als Typen, vielmehr noch als Exemplare ihrer jeweiligen Gattung, gezeichnet.[13] Um diesen Effekt parodistisch zu übersteigern, bezieht Tieck Figuren innerhalb seines Werks aufeinander. Diese stehen einander oft in sprachlichem und moralischem Kontrast gegenüber. So setzt er zum Beispiel den schlauen Kater gegen den tölpelhaften Gottlieb ab oder stellt dem Narren Hanswurst, den Hofgelehrten Leander gegenüber.[14]
3.1. Kater
Der Katers Hinze kann zu Recht als geistiger Gegenpol zu seinem Herrn Gottlieb benannt werden. Er zeigt sich ihm nicht nur in seinem Intellekt überlegen, sondern lenkt darüber hinaus auch noch dessen Schicksal. In seiner ersten Szene beginnt Hinze mit Gottlieb, wie selbstverständlich, zu sprechen und beweist Argumentationsgeschick, indem er diesen davon überzeugt, dass ein sprechender Kater nicht widernatürlich ist. „Wenn wir nicht im Umgang mit den Menschen eine gewisse Verachtung gegen die Sprache bekämen, so könnten wir alle sprechen,“[15] erklärt er die Situation und erhebt damit seine tierische Gattung über die der Menschen, der er sich offensichtlich überlegen fühlt. Auch seine geistige Vorherrschaft gegenüber anderen Tiergattungen konstatiert er deutlich: Katzen wären viel zu klug, um sich ihre Intelligenz oder ihr Sprachvermögen anmerken zu lassen. Würden Menschen davon Kenntnis besitzen, fährt er mit seiner Argumentation fort, würden sie Katzen für sich arbeiten lassen. Zur Untermauerung seiner Beweisführung führt Hinze Hunde und Pferde an, die gemeinhin als intelligente Tiere gelten und deswegen als Arbeitstiere des Menschen fungieren. Mit „Wir Katzen sind immer noch das freieste Geschlecht,“[16] setzt er sich von Anfang an von allen anderen Gattungen ab und räumt sich selbst eine Sonderstellung ein, die er im Verlauf des Stücks beibehält.
Nicht zu Unrecht bezeichnet Marianne Thalmann den Kater daher als „superklug“[17], denn dieser ist nicht nur in der Lage seine eigene Rolle zu reflektieren, sondern kann auch die Situation Gottliebs erfassen. Er begreift, dass sein Herr, den er als etwas „eingeschränkt“[18] erkennt, nicht in der Lage ist sein Schicksal selbst zu meistern und beschließt diesem zu helfen. Die Vorschläge des Katers hierzu lassen eine zeitliche Zuordnung der Geschichte zu und geben Aufschluss über seine geistige Bildung. Die Anregung Hinzes, Gottlieb könne ein Journal oder eine deutsche Zeitung mit dem Motto Homo Sum herausgeben, deutet in Richtung der Aufklärung. Diese benutzt das Medium von Zeitschriften und Zeitungen, um ihre Ideologien unter einem noch nicht sehr lesegeübten Publikum zu verbreiten. So erscheinen ab 1750 zahlreiche populärwissenschaftliche Periodika für den interessierten Laien. Für Deutschland können die Moralischen Wochenschriften unter den Publikationen, die auf die Lebenspraxis des Bürgertums einwirkten, als führend bezeichnet werden.[19] Demnach reflektiert auch das Motto Homo Sum (lat. Ich bin Mensch oder Ich bin der Mensch) die Anschauung der Aufklärung, dass der Mensch als solcher in den Mittelpunkt rückt. Im Gegenteil zu seinem Herrn ist der Kater bereits mit den Inhalten der Epoche der Aufklärung bereits vertraut.
[...]
[1] Vgl. Kreuzer, Helmut: Nachwort. In: Tieck, Ludwig: Der gestiefelte Kater. Kindermärchen drei Akten. Mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge. Hg. v. Helmut Kreuzer. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2001, S. 78.
[2] Vgl. Schlegel, August Wilhelm: Über Ludwig Tiecks Komödie Der gestiefelte Kater (1797). In: Günzel, Klaus: König der Romantik. Das Leben des Dichters Ludwig Tieck in Briefen, Selbstzeugnissen und Berichten. Berlin: Verlag der Nation 1981, S. 150.
[3] Vgl. Kreuzer 2001, S. 75.
[4] Vgl. Günzel, Klaus: König der Romantik. Das Leben des Dichters Ludwig Tieck in Briefen, Selbstzeugnissen und Berichten. Berlin: Verlag der Nation 1981, S. 10.
[5] Vgl. Günzel 1981, S. 5f.
[6] Vgl. Thalmann, Marianne: Provokation und Demonstration in der Komödie der Romantik. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1974, S. 37f.
[7] Vgl. Thalmann 1974, S. 37f.
[8] Vgl. Schlegel, Friedrich: Die Krallen des Gestiefelten Katers. In: Günzel, Klaus: König der Romantik. Das Leben des Dichters Ludwig Tieck in Briefen, Selbstzeugnissen und Berichten. Berlin: Verlag der Nation 1981, S. 150.
[9] Vgl. Tieck, Ludwig: Der gestiefelte Kater. Kindermärchen drei Akten. Mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge. Hg. v. Helmut Kreuzer. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2001, S. 42f.
[10] Vgl. Tieck 2001, S. 42.
[11] Vgl. Thalmann 1974, S. 35.
[12] Vgl. Tieck 2001, S. 49.
[13] Vgl. Beyer, Hans Georg: Ludwig Tiecks Theatersatire. Der gestiefelte Kater und ihre Stellung in der Literatur- und Theatergeschichte. Stuttgart 1960. (Dissertation LMU München), S. 40.
[14] Vgl. Kreuzer 2001, S. 79.
[15] Vgl. Tieck 2001, S. 11.
[16] Vgl. Ebd., 11f.
[17] Vgl. Thalmann 1974, S. 39.
[18] Vgl. Tieck 2001, S. 13.
[19] Vgl. Das Fischer Lexikon. Literatur. Hg. v. Ulfert Ricklefs. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997. (3.Bde), S. 154f.
- Arbeit zitieren
- M.A. Valentina Schmidt (Autor:in), 2007, "Der gestiefelte Kater" von Ludwig Tieck – Eine Untersuchung des satirischen Elements, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117173