Die Frauenfiguren Effi Briest und Agathe Heidling in den Romanen von Theodor Fontane und Gabriele Beurer. Vor dem Hintergrund der Identitätsfindung und den (Un-)Möglichkeiten der weiblichen Selbstverwirklichung im Wilhelminischen Zeitalter


Seminararbeit, 2021

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Theodor Fontane - Effi Briest
a. Der Text
b. Handlung
c. Die Figur Effi Briest und die Familie

3. Gabriele Reuter - Aus guter Familie - Leidensgeschichte eines Mädchens
a. Der Text
b. Handlung
c. Die Figur Agathe Heidling und die Familie

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Effi Briest und Agathe Heidling: zwei unterschiedliche Frauen, zwei unterschiedliche Geschichten und dennoch viele Gemeinsamkeiten.

In der vorliegenden Arbeit werden die Hauptprotagonistinnen Effi Briest und Agathe Heidling in den Romanen Effi Briest von Theodor Fontane und Aus guter Familie - Leidensgeschichte eines Mädchens von Gabriele Reuter genauer betrachtet und die Werke hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten in puncto weiblicher Selbstverwirklichung und Identitätsfindung vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Konventionen im Wilhelminischen Zeitalter genauer beleuchtet.

Beide Romane wurden zur selben Zeit verfasst, nämlich der Zeit des Wilhelminismus, dem Zeitabschnitt zwischen 1890 und 1914, benannt nach der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. im Deutschen Kaiserreich. Diese Epoche ist gekennzeichnet von besonderen Entwicklungen und Merkmalen in Kultur, Politik und Gesellschaft. Darunter fällt vor allem auch die strenge patriarchale und konservative gesellschaftliche Orientierung, ähnlich jener der Viktorianischen Epoche im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland von 1837 bis 1901. Moderne und fortschrittliche Strömungen galten als Gefahr und sollten mit allen Mitteln unterbunden werden. Damit waren mit dem Sozialismus bzw. der Sozialdemokratie sowohl politische als mit den zunehmenden Emanzipationsbestrebungen der Frauen auch soziale und gesellschaftliche Entwicklungen gemeint.1

Die Rolle der Frau in bürgerlichen und adeligen Kreisen war festgesetzt, eng begrenzt und ließ wenig Raum für Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb der strengen gesellschaftlichen Konventionen. Alle Entscheidungsgewalt - für und über die Frau - lag bei den männlichen Familienmitgliedern; zunächst beim Vater, dann beim Ehemann:

„Die Wahl des Wohnsitzes, des Namens der Familie, die Entscheidung bei allen strittigen Fragen lag per Stichentscheid beim Mann.“2

Die Tugenden der hauswirtschaftlichen, ehelichen und mütterlichen Pflichten waren für eine Frau die Voraussetzung für ihre gesellschaftliche Anerkennung. Frauen waren somit streng an die familiäre Rolle gebunden und sollten für eine harmonische und friedliche Atmosphäre im Hause sorgen, wodurch sie in den meisten Fällen auch von jeglicher Berufsausübung ausgeschlossen waren. Die emanzipatorischen Bestrebungen der Frauenbewegung tangierten sohin nicht nur die Frauenrechte, sondern gefährdeten - so die allgemeine Ansicht - das Familienleben, den sittlichen Charakter und die traditionellen Grundpfeiler von Ehe und Familie. Die untergeordnete Stellung der Frau in der Ehe war gesetzlich festgeschrieben und patriarchalisch definiert. Der Mann verwaltete außerdem das Familienvermögen, etwaige Einkünfte der Frau und entschied über den rechtsgültigen Beitritt seiner Frau in einen sogenannten ,Frauenverein'. Frauen aus bürgerlichen und adeligen Familien hatten aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, den Erwartungen und der allgemeinen Zustimmung zu den Konventionen - gerade auch innerhalb der Familien - kaum Möglichkeiten, diesen zu entkommen.3

„An der Stellung, welche die Frauen in einem Lande einnehmen, kann man sehen, wie dick von unreinen Nebeln oder wie klar und frei die Luft des Staates sei: - die Frauen dienen als Barometer des Staates.“4

Beide Romane wurden im späten 19. Jahrhundert verfasst, wo diese Ungleichbehandlung eine große Rolle spielte und die Frauen zunehmend ein Bewusstsein dafür entwickelten. Die Benachteiligung, das patriarchale System und die politische Missachtung der Frauen bildeten den Nährboden für aufkeimende Emanzipationsbestrebungen und es bildeten sich immer mehr Frauenbewegungen, die dagegen aufbegehrten. Den Frauen ging es vor allem um Forderungen nach Gleichberechtigung, Bildungschancen, Emanzipation in Ehe und Familie, besseren Arbeits- und Lebensbedingungen und schließlich auch der Forderung nach dem Wahlrecht, wenngleich dieses erst viel später folgen sollte.5

Die aktiven Bestrebungen in Richtung Emanzipation waren für Frauen, die von jeglicher politischer Entscheidung ausgeschlossen waren und von der Gesellschaft in diesen Dingen ohnehin wenig ernst genommen wurden, ein überaus mutiger Schritt. Die Epoche war vom gezielten Aufrechterhalten strenger konservativer Normen geprägt und gerade in turbulenten Zeiten wurden sie besonders geschützt und vertreten - vor allem in adeligen und bürgerlichen Kreisen. Dementsprechend war die Gesellschaft dieser Kreise auch erpicht darauf, die strengen Normen in gesellschaftlichen und sozialen Belangen besonders hochzuhalten. Alle moderne Tendenzen waren den Konservativen ein Dorn im Auge.6

Etliche Romane des 19. Jahrhunderts behandelten die Rolle der Frau und die Konflikte zwischen der Anerkennung des Weiblichen in einer patriarchalischen Welt und den Anforderungen der Gesellschaft. Da sich viele dieser Kämpfe und die patriarchalen Zwänge meist in der Familie und der Ehe zeigten, wurden die familiären Strukturen dementsprechend häufig in der Literatur thematisiert. So auch in den beiden Werken, mit denen sich diese Arbeit befasst. In beiden ist die Hauptfigur eine junge Frau von hohem Stand, die in eine Welt hineingeboren wurde, die nicht die ihre zu sein scheint. Die Ehe spielt für beide eine entscheidende Rolle in der Handlung, wenngleich die Entwicklungen darum unterschiedliche Verläufe nehmen.7

Die Fragen, mit denen sich diese Arbeit beschäftigt, sind daher: Inwiefern ähneln sich die Schicksale der beiden Figuren in den Romanen und worin lassen sie sich vergleichen? Und inwiefern decken sich ihre fiktiven Erlebnisse und die Ereignisse mit den wirklichen Begebenheiten und Verhältnissen für junge Frauen während der Wilhelminischen Epoche in Deutschland?

2. THEODOR FONTANE

Effi Briest

„Ja, die arme Effi! Vieleicht ist es mir so gelungen, weil ich das Ganze träumerisch und fast wie mit einem Psychographen geschrieben habe. Sonst kann ich mich immer der Arbeit, ihrer Mühe, Sorgen und Etappen erinnern - in diesem Fall garnicht.“8

a. Der Text

Die Erstausgabe von Efi Briest erschien 1895, zuvor im Vorabdruck von Oktober 1894 bis März 1985 in der Deutschen Rundschau. Bei diesem Roman, der etwas später im Leben von Heinrich Theodor Fontane, einem deutschen Schriftsteller, Journalist und Kritiker, geboren 1819 in Neuruppin und gestorben 1898 in Berlin, entstand, handelt es sich um einen sogenannten ,Ehebruchroman', der - wie der Name schon sagt - Ehe und Ehebruch zum Hauptthema hat. Zu diesem Genre gehören etwa auch Madame Bovary (1857) von Gustave Flaubert und Anna Karenina (1875/1877) von Leo Tolstoi.9 Theodor Fontane ließ sich für dieses Werk von realen Vorgängen in der Berliner Gesellschaft inspirieren, so fand etwa das historische Duell im November 1886 zwischen dem Rittmeister Leon von Ardenne und dem Amtsrichter Emil Hartwich, der ein Liebesverhältnis mit Ardennes Frau Elisabeth Freiin von Plotho pflegte, statt, bei welchem der Liebhaber sein Leben lassen musste. Die Geschichte endete mit einer Scheidung ein Jahr später. Weiters soll er sich stofflich auch von einer in England abgehandelten Scheidungsaffäre inspirieren haben lassen, die sich während seines Aufenthaltes in seinem Umfeld zugetragen haben soll.10

Effi Briest gehört ohne Zweifel zu den meistdiskutierten Romanen des Autors, vor allem aufgrund des konkret greifbaren Kontextes, dem auch in der Sekundärliteratur viel Beachtung geschenkt wurde.11 Er setzt sich darin mit den realistischen Verhältnissen von Ehe, Familie und Liebe auseinander. Die Thematik des Konflikts zwischen Individuum und Gesellschaft und der Selbstverwirklichung machen den Roman zu einem modernen und gesellschaftskritischen.12 Für viele gilt er als konkreter Beitrag zu sozialen Reformen, die zu jener Zeit ihren Anfang nahmen.13

Für einige Betrachter des Werkes steht Effi jedoch nicht selbst als Gallionsfigur gegen diese Konventionen, sie wird teilweise als schwach, unterfahren und passiv beschrieben. Der taiwanische Germanist und derzeitiger diplomatischer Vertreter Taiwans in der Bundesrepublik Deutschland Jhy-Wey Shieh schreibt in seinem Werk Liebe, Ehe, Hausstand. Die sprachliche und bildliche Darstellung des „Frauenzimmers im Herrenhaus“ in Fontanes Gesellschaftsroman „Effi Briest“ dazu etwa, dass die Emanzipation für Effi selbst kein Thema gewesen zu sein scheint.14 Im Gegensatz dazu stehen die Ausführungen des deutschen Germanisten Christian Grawes, der bei Effi eine weibliche Rebellion aus verletzter Würde beobachtet, indem sie die Gesellschaft nach ihrer Scheidung verachtet.15

b. Handlung

Der drittletzte und wohl erfolgreichste Roman von Fontane behandelt den Konflikt einer jungen Frau aus hohem Hause zwischen dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und Zufriedenheit und dem Zwang und Druck, die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit einhalten zu müssen. Im Mittelpunkt steht die Ehebruchsaffäre, die mit dem Tod des Liebhabers nach einem Duell mit ihrem Ehemann endet. Fontane bezieht sich darin überwiegend auf das Milieu des niederen Adels und den vorherrschenden Kodex von gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen. Die Geschichte beginnt mit dem Tag der Verlobung 1877 und spannt sich sodann über 12 Jahre, bis sie mit dem Tod von Effi 1889 endet.16

[...]


1 Vgl. Haefs, Gabriele; Gille, Klaus: Von Sittenstrenge und Aufbegehren. Die Wilhelminische Zeit. Hamburg: Kabel, 1994.

2 Hervé, Florence (Hrsg.): Geschichte der Deutschen Frauenbewegung. Köln: PapyRossa Verlag: 1998: 46.

3 Vgl. Holoubkova, Simona: Effie Briest, Mathilde Möring. Die Gestalten der Frauen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Emanzipationsbestrebungen in den gleichnamigen Romanen von Theodor Fontane. Diplomarbeit. Prag: 2013: 18f.

4 Gerhard, Ute: Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990: 39.

5 Vgl. Holoubkova: 12.

6 Vgl. Holoubkova: 12.

7 Vgl. ebd.: 30.

8 Fontane, Theodor: Briefe an seine Freunde. Band 2. Berlin: F. Fontane Co., 1910: S. 341.

9 Vgl. Holoubkova: 30.

10 Vgl. ebd.: 31.

11 Grawe, Christian: Effi Briest. In: Grawe, Christian (Hrsg.): Interpretationen. Fontanes Novellen und Romane. Stuttgart: Reclam, 2004: 218.

12 Vgl. Restenberger, Anja: Effi Briest. Historische Realität und literarische Fiktion in den Werken von Theodor Fontane, Spielhagen, Hochhuth, Brückner und Keuler. Frankfurt am Main, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: Lang, 2001: 259.

13 Vgl. Mittelmann, Hanni: Die Utopie des weiblichen Glücks in den Romanes Theodor Fontanes. Bern, Frankfurt am Main, Las Vegas: Lang, 1980: 11.

14 Vgl. Shieh, Jhy-Wey: Liebe, Ehe, Hausstand. Die sprachliche und bildliche Darstellung des „Frauenzimmers im Herrenhaus“ in Fontanes Gesellschaftsroman „Effi Briest“. Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Lang, 1987: 31.

15 Vgl. Grawe, Christian: „Der Zauber steckt im Detail“ Studien zu Theodor Fontane und seinem Werk 1976­2002. Dunedin: Department of German. Universtity of Otago, 2002: 394.

16 Vgl. Holoubková: 32.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Frauenfiguren Effi Briest und Agathe Heidling in den Romanen von Theodor Fontane und Gabriele Beurer. Vor dem Hintergrund der Identitätsfindung und den (Un-)Möglichkeiten der weiblichen Selbstverwirklichung im Wilhelminischen Zeitalter
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Germanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
24
Katalognummer
V1173989
ISBN (eBook)
9783346594303
ISBN (Buch)
9783346594310
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frauen, Literatur, Wilhelminismus, Fontane, Beurer, Feministische Literaturwissenschaft, Gender
Arbeit zitieren
Gudrun Kofler (Autor:in), 2021, Die Frauenfiguren Effi Briest und Agathe Heidling in den Romanen von Theodor Fontane und Gabriele Beurer. Vor dem Hintergrund der Identitätsfindung und den (Un-)Möglichkeiten der weiblichen Selbstverwirklichung im Wilhelminischen Zeitalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1173989

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