Welche Auswirkungen hat der Fernunterricht auf das Job Crafting von Lehrkräften?


Bachelorarbeit, 2022

37 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Zusammenfassung

Diese Studie befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Job Crafting und dem durch die COVID-19-Pandemie bedingten Fernunterricht bei Lehrkräften der Sekundarstufe aus Öster­reich und Deutschland. Hierfür nahmen 106 Personen mit den passenden Auswahlkriterien an einem quantitativen Online-Fragebogen teil, der das Job Crafting mithilfe der gekürzten und ins Deutsche übersetzten Job Crafting Scale erhob (Lichtenthaler & Fischbach, 2016; Sora et al., 2018; Tims et al., 2011). Die theoretische Grundlage bilden die erstmalige Definition von Job Crafting nach Wrzesniewski und Dutton (2001) und das Job Demands-Resources Model nach Bakker und Demerouti (2006). Darauf basierend entwickeln Tims und Bakker (2010) und Tims et al. (2011) das Konzept des Job Crafting weiter. Demnach wird dieses als proakti­ves Verhalten bezeichnet, das von MitarbeiterInnen ausgeführt werden kann, um das Niveau ihrer Arbeitsanforderungen und -ressourcen an die eigenen Bedürfnisse und Wünsche anzu­passen (Tims & Bakker, 2010). Bei der ersten Alternativhypothese, laut der sich das Job Craf­ting von Lehrkräften im Fernunterricht im Vergleich zu dem im Präsenzunterricht verschlech­tert, konnte mithilfe eines gepaarten t-Tests ein kleiner Effekt gefunden werden. Für die Sub­skalen der zunehmenden strukturellen und sozialen Arbeitsressourcen wurde ein kleiner Ef­fekt und für die Subskala der zunehmenden herausfordernden Arbeitsanforderungen ein mo­derater Effekt in dieselbe Richtung gefunden. Für die Dimension der abnehmenden hinderli­chen Arbeitsanforderungen zeigte sich ein moderater Effekt in die gegenteilige Richtung. Die zweite Alternativhypothese, laut der die Fähigkeiten in der digitalen Mediennutzung den ne­gativen Einfluss des zunehmenden Alters der Lehrkräfte auf das Job Crafting im Fernunter­richt mediieren, erwies sich als nicht signifikant. Die Mediationsanalyse ergab lediglich einen signifikanten Einfluss des Alters auf den Mediator. Auch die Pearson Produkt-Moment-Kor­relation bestätigte diesen Zusammenhang.

Schlüsselwörter: Job Crafting, Lehrer, Sekundarstufe, Fernunterricht, Online-Unter­richt, Homeschooling, COVID-19

Abstract

This study addresses the relationship between job crafting and COVID-19-pandemic-related distance learning among secondary school teachers from Austria and Germany. For this pur­pose, 106 individuals with the matching selection criteria participated in a quantitative online questionnaire that surveyed the job crafting with the help of the shortened Job Crafting Scale translated into German (Lichtenthaler & Fischbach, 2016; Sora et al., 2018; Tims et al., 2011). The theoretical basis is formed by the first definition of job crafting by Wrzesniewski and Dutton (2001) and the Job Demands-Resources Model by Bakker and Demerouti (2006). Based on this, Tims and Bakker (2010) and Tims et al. (2011) further develop the concept of Job crafting. According to them, this is described as proactive behaviour that can be carried out by employees to adapt the level of their job demands and resources to their own needs and desires (Tims & Bakker, 2010). The first alternative hypothesis, that teachers' job crafting worsens in distance education compared to face-to-face education, was found to have a small effect using a paired t-test. A small effect was found for the subscales of increasing structural and social job resources and a moderate effect in the same direction for the subscale of increa­sing challenging job demands. For the dimension of decreasing hindering job demands, a mo­derate effect in the opposite direction was found. The second alternative hypothesis, accord­ing to which skills in digital media use mediate the negative influence of the increasing age of teachers on job crafting in distance education, turned out not to be significant. The mediation analysis only revealed a significant influence of age on the mediator. The Pearson Product­Moment-Correlation also confirmed this relationship.

Keywords: job crafting, teacher, secondary level, distance learning, online lesson, homeschooling, COVID-19

Einleitung

Wie keine andere Krise zuvor hat die COVID-19-Pandemie das Arbeitsleben vieler Menschen weltweit außergewöhnlich stark verändert. Sei es das Arbeiten unter strengen Hy­giene- und Schutzmaßnahmen, der extreme Druck und Stress insbesondere beim Personal im Gesundheitswesen oder der komplette Wegfall vielfacher Arbeitsstellen im Gastronomie-, Hotellerie-, Event- und Kulturbereich (Meyer, 2020). Zu den über 30% aller Jobs in Öster­reich, die sich zu Beginn der Pandemie ins Homeoffice verschoben haben (Eurofound, 2020), gehört auch die Berufsgruppe der LehrerInnen.

Gerade Lehrkräfte, die in der Primär- oder Sekundarstufe unterrichten, waren beson­ders stark betroffen dadurch, dass sie völlig unvorbereitet und oft ohne jegliche Unterstützung seitens der Schulen oder Bildungsministerien von der kompletten Präsenz- in die reine On­line-Lehre umsteigen mussten (Mitteldeutscher Rundfunk, 2021). Auch von Seiten der Schü­lerInnen stellt sich vor allem bei den jüngeren die Frage, ob die für einen adäquaten Fernun­terricht technisch notwendige Ausstattung vorhanden ist, damit die LehrerInnen überhaupt die Möglichkeit haben, sie zu erreichen (Mitteldeutscher Rundfunk, 2021). Neben den materiel­len Voraussetzungen stellt auch die Didaktik eine der größten Herausforderungen für den Fernunterricht dar. Wie können Lehrkräfte denselben Stoff, den sie all die Jahre für den Prä­senzunterricht aufbereitet und optimiert haben, nun ins Digitale übertragen, ohne dass dies zu Verständnisproblemen und Leistungseinbußen bei den SchülerInnen führt? Wie kann Indivi­dualförderung gelingen, die insbesondere für sozial schwächere SchülerInnen während der Corona-Pandemie so wichtig geworden ist? Für das Problem des Abfragens der Prüfungsleis­tungen hat sich beispielsweise im Nachhinein betrachtet keine adäquate, einheitliche Lösung finden lassen, weshalb häufig gar keine Noten vergeben wurden (Olbrisch, 2020).

Im Hinblick auf das Lehrpersonal selbst, das als Berufsfeld mit einem vergleichsweise hohen Burnout-Risiko aufgrund der vielseitigen Anforderungen im Beruf bekannt ist (Hed- derich, 2009; Hofmann et al., 2012), stellt sich die wichtige Frage, wie sich das Homeschoo­ling auf die Anpassung der Arbeit an ihre eigenen Bedürfnisse auswirkt. Gerade dadurch, dass viele Lehrkräfte in ihren digitalen Kompetenzen an ihre eigenen Grenzen stoßen (Helm et al., 2021), erhöht sich die Relevanz, einen wissenschaftlichen Blick auf das Job Crafting von LehrerInnen zu werfen. Zum Thema Job Crafting, das als spezifische Form proaktiven Ver­haltens gesehen werden kann, bei dem MitarbeiterInnen das Niveau ihrer Arbeitsanforderun­gen und -ressourcen anpassen und verändern können (Tims & Bakker, 2010), lässt sich wenig Literatur, die sich explizit auf LehrerInnen im Sekundarbereich oder Online-Unterricht be­zieht, finden. Jedoch könnten auch nach der COVID-19-Pandemie gewisse Teile des

Unterrichts digitalisiert bleiben oder der Fernunterricht gar Teil der zukünftigen Lehre an Schulen werden. Deswegen ist es umso wichtiger, die Auswirkungen des Online-Unterrichts sowohl auf LehrerInnen als auch auf SchülerInnen zu untersuchen, um die daraus folgenden wissenschaftlichen Erkenntnisse bei politischen Entscheidungen im Bereich der Bildung zu berücksichtigen.

Aufgrund der Relevanz dieses Themas war es Ziel dieser Forschungsarbeit, einerseits zu untersuchen, ob das Job Crafting von Lehrkräften in der Sekundarstufe im Fernunterricht geringer ausfällt als im Präsenzunterricht, und andererseits, ob die Fähigkeiten in der digitalen Mediennutzung den negativen Einfluss des zunehmenden Alters der LehrerInnen auf das Job Crafting im Fernunterricht mediieren.

Theoretischer Hintergrund

Das Job Demands-Resources Model nach Bakker und Demerouti (2006)

Die Theorie des Job Demands-Resources Model (JD-R Modell) bildet die grundle­gende Basis für das Konzept des Job Crafting nach Tims und Bakker (2010). Das Modell wie­derum baut auf dem Effort-Reward-Imbalance-Modell (Siegrist, 1996) und dem Job-Demand- Control-Modell (Karasek, 1979, 1998) auf und erweitert beide, indem es Arbeitsressourcen und -anforderungen flexibler und weitgehender betrachtet (Bakker & Demerouti, 2006). Dadurch stellt das JD-R Modell eine übergreifende Theorie dar, die im Allgemeinen auf ver­schiedene berufliche Kontexte angewandt werden kann (Bakker & Demerouti, 2006).

Das JD-R Modell unterscheidet neben den jeweils berufsspezifischen Risikofaktoren im Zusammenhang mit Arbeitsstress grundlegend zwei allgemeine Kategorien (Bakker & Demerouti, 2006). Zum einen definiert es die Arbeitsanforderungen (job demands) als physi­sche, psychologische, soziale oder organisatorische Aspekte der Arbeit, die anhaltende physi­sche und/oder psychische Anstrengungen oder Fähigkeiten erfordern (Bakker & Demerouti, 2006). Mit solchen Anforderungen - wie etwa hohem Arbeitsdruck, einer ungünstigen Ar­beitsumgebung oder emotional anspruchsvollen Interaktionen mit KundInnen - gehen wiede­rum gewisse physiologische und/oder psychologische Kosten einher (Bakker & Demerouti, 2006). Insofern können Arbeitsanforderungen zu Arbeitsstressoren werden, wenn sie hohe Anstrengung erfordern, um erreicht werden zu können, und wenn der/die betroffene Mitarbei­terIn sich von jener Anstrengung nicht ausreichend erholen oder diese bewältigen kann (Mei- jman & Mulder, 1998). Dennoch müssen Arbeitsanforderungen nicht ausschließlich negativ sein (Meijman & Mulder, 1998).

Zum anderen stehen die Arbeitsressourcen (job resources) im Zentrum des JD-R Mo­dells (Bakker & Demerouti, 2006). Diese werden als die physischen, psychologischen, sozia­len oder organisatorischen Aspekte der Arbeit bezeichnet, die entweder unterstützend bei der Erreichung der Arbeitsziele sind, die Stressoren und deren miteinhergehende negative Folgen oder Kosten reduzieren oder die persönliches Wachstum, das eigene Lernen oder die Entwick­lung der MitarbeiterInnen fördern (Bakker & Demerouti, 2006). Des Weiteren können jene Ressourcen sowohl intrinsischer als auch extrinsischer Natur sein (Bakker & Demerouti, 2006).

Was die Interaktion der beiden Fokusse des JD-R Modells betrifft, kann von einem puffernden Effekt der Arbeitsressourcen auf die Arbeitsbelastung, die durch die Arbeitsanfor­derungen entsteht, gesprochen werden (Bakker & Demerouti, 2006). Dennoch sind die Res­sourcen nicht alleinig für die Bewältigung aktuell anstehender Anforderungen relevant, son­dern auch für sich selbst, da sie etwa unabhängig von den Anforderungen die Motivation er­höhen können (Bakker & Demerouti, 2006). Laut der stress-buffering hypothesis schützt ins­besondere die soziale Unterstützung durch beispielsweise KollegInnen die MitarbeiterInnen vor pathologischen Folgen durch belastende Erfahrungen (Cohen & Wills, 1985). Andere po­tenzielle, situative Puffer beziehungsweise Moderatoren sind etwa die Vorhersehbarkeit eines Stressors, die Nachvollziehbarkeit der Gründe für das Vorhandensein eines Stressors oder die Kontrollierbarkeit des Stressors durch die betroffene Person (Kahn & Byosserie, 1992).

Eine weitere Annahme des JD-R Modells bezieht sich auf die zwei parallel ablaufenden psychologischen Prozesse bei der Entstehung von Belastung und Stress einerseits und von Ar­beitsengagement und Motivation andererseits (Bakker & Demerouti, 2006). Bei ersterem, ge­sundheitsbeeinträchtigendem Prozess überwiegen die Arbeitsanforderungen den Arbeitsres­sourcen, sodass dies bei MitarbeiterInnen zu Stress, einem Erschöpfungszustand oder gesund­heitlichen Problemen führen kann (Bakker & Demerouti, 2006). Beim zweiten, motivationa­len Prozess hingegen erhöhen Arbeitsressourcen die Motivation, das Arbeitsengagement und die Arbeitsleistung und verringern den Zynismus (Bakker & Demerouti, 2006).

Bakker und Demerouti (2017) gingen in ihrem ursprünglichen JD-R Modell davon aus, dass vor allem die Unternehmen die Arbeitsanforderungen und -ressourcen für ihr Personal gestalten und sahen MitarbeiterInnen eher in einer passiven und reaktiven Rolle (Top-down- Ansatz). Aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse aktualisierten sie das JD-R Mo­dell dahingehend, dass sie die Rolle des Mitarbeitenden als eine aktive und proaktive definier­ten (Bottom-up-Ansatz) und auch den Begriff des Job Crafting in ihr Konzept mitaufnahmen (Bakker & Demerouti, 2017).

Job Crafting nach Wrzesniewski und Dutton (2001)

Der Begriff des Job Crafting taucht erstmals in der Literatur unter den Autoren Wrzes- niewski und Dutton (2001) auf, die das Konzept als „the physical and cognitive changes indi­viduals make in the task or relational boundaries of their work“ beschreiben (Wrzesniewski & Dutton, 2001, S. 179). MitarbeiterInnen, die aktiv solche Maßnahmen ergreifen, um ihre Ar­beit zu gestalten, anzupassen und neu zu definieren, werden laut Wrzesniewski und Dutton (2001) als Job Crafter bezeichnet. Dabei wird Job Crafting in drei Bereiche eingeteilt, die vom jeweiligen Job Crafter verändert werden können. Zum einen geht es um Veränderungen im Aufgabenbereich, was etwa bessere Anpassung der Form oder Anzahl der Aufgaben wäh­rend der Arbeit betreffen (Task Crafting) (Wrzesniewski & Dutton, 2001). Zum anderen spielt die kognitive Veränderung der Arbeit, die beschreibt, wie man die eigene Arbeit sieht und mit welcher Einstellung man diese ausführt, eine große Rolle (Cognitive Crafting) (Wrzesniewski & Dutton, 2001). Zuletzt bezieht sich das sogenannte Relational Crafting auf die relationalen Aspekte der Arbeit, beispielsweise die Veränderung der Qualität oder des Umfangs der zwi­schenmenschlichen Interaktionen am Arbeitsplatz (Wrzesniewski & Dutton, 2001; Zhang & Parker, 2018).

Das Zeigen von Job Crafting-Verhaltensweisen hängt laut Wrzesniewski und Dutton (2001) einerseits mit der Bedeutung der Arbeit, also dem Verständnis über den Sinn und Zweck der eigenen Arbeit, und andererseits mit der Arbeitsidentität, also wie Individuen sich bei der Arbeit definieren, zusammen (Brief & Nord, 1990). Was ebenso Einfluss darauf hat, ob und wie sehr Job Crafter sich um Veränderungen ihrer Arbeit bemühen, sind die Motiva­tion und die wahrgenommenen Möglichkeiten innerhalb der Organisation, diese Arbeitsge­staltung umzusetzen (Wrzesniewski & Dutton, 2001). Die Motivation der MitarbeiterInnen, Job Crafting-Maßnahmen durchzuführen, ergibt sich wiederum aus drei individuellen Bedürf­nissen (Wrzesniewski & Dutton, 2001). Laut Braverman (1974) spielt vor allem das Bedürf­nis der Kontrolle über die Arbeit für MitarbeiterInnen eine große Rolle, da diese eine Vermei­dung der Entfremdung ihrer Arbeit anstreben. Zusätzlich rücken Dutton, Dukerich und Har- quail (1994) auch den Wunsch, ein positives Selbstbild in der eigenen Arbeit zu schaffen, in den Fokus. Zuletzt wird bei Baumeister und Leary (1995) ebenso auf die soziale Komponente und das Bedürfnis nach der Verbindung zu anderen eingegangen, was sich in besonderem Maß auf die Bedeutung der Arbeit und die Arbeitsidentität auswirkt. Was die Wahrnehmung der Möglichkeiten des Job Crafting betrifft, wird diese einerseits durch das Ausmaß und die Form der Interdependenz der jeweiligen Aufgaben und andererseits durch das Ausmaß des Ermessensspielraums und der Freiheit bei der Gestaltung beeinflusst (Wrzesniewski & Dutton, 2001). Abschließend betonen Wrzesniewski und Dutton (2001) ebenso, dass sich bei der Motivation zum Job Crafting insgesamt die intrinsische Motivation als bedeutsamer er­weist als die extrinsische.

Job Crafting nach Tims und Bakker (2010)

Die aktuelleren Erkenntnisse und Theorien des Job Crafting von Tims und Bakker (2010) stellen eine Integration der Definition nach Wrzesniewski und Dutton (2001) in das später publizierte JD-R Modell von Bakker und Demerouti (2006) dar. Tims und Bakker (2010) formieren die drei Dimensionen von Wrzesniewski und Dutton (2001) - das Task Crafting, Relational Crafting und Cognitive Crafting - in vier Dimensionen um, die sich stär­ker an den beiden Kategorien der Arbeitsanforderungen und der Arbeitsressourcen orientieren (Tims & Bakker, 2010).

Einerseits teilen Tims und Bakker (2010) die Arbeitsanforderungen in die Job Craf- ting-Verhaltensweisen der Senkung des Niveaus der Arbeitsanforderungen ein und anderer­seits in dessen Erhöhung. Damit stellen diese Dimensionen jedoch keinen Gegensatz zueinan­der dar, da sich Erstere mehr auf hinderliche und Stress erzeugende Anforderungen wie etwa das Arbeiten mit falschen Materialien fokussiert und Zweitere auf herausfordernde Anforde­rungen wie etwa eine erhöhte Aufgabenkomplexität (Tims & Bakker, 2010). Tims und Bak­ker (2010) beziehen aus dem Grund sowohl die abnehmenden hinderlichen Arbeitsanforde­rungen (decreasing hindering job demands) als auch die zunehmenden herausfordernden Ar­beitsanforderungen (increasing challenging job demands) mit ein, da beide zu einem gestei­gerten Wohlbefinden und Gedeihen (thriving) führen können.

Die Kategorie der Arbeitsressourcen aus dem JD-R Modell spiegelte sich hingegen in der Dimension der Erhöhung des Niveaus der Arbeitsressourcen wider (Tims & Bakker, 2010). In der späteren Entwicklung der Job Crafting Scale von Tims et al. (2011) entschieden sich die Autoren, die zuvor zu einer zusammengefassten Dimension in zwei weitere zu unter­gliedern. Die erste benannten sie als die zunehmenden strukturellen Arbeitsressourcen (in­creasing structural job resources), die sich im Genaueren mit der konkreten Arbeitsgestaltung im Sinne von Abwechslung und Autonomie und dem Wissen über die Arbeit beschäftigt (Tims et al., 2011). Zweitere konzentriert sich auf die Ressourcen, die durch die soziale Un­terstützung - beispielsweise durch KollegInnen oder Vorgesetzte - gewonnen wird (increa­sing social job resources) (Tims et al., 2011).

Diese Einteilung der Dimensionen des Job Crafting lässt sich ebenso in der Job Crafting Scale nach Tims et al. (2011) und in deren für diese Studie verwendeten, deutschen Überset­zung von Lichtenthaler und Fischbach (2016) wiederfinden.

Die verschlechternde Wirkung von Fernunterricht auf Job Crafting

Die erste Hypothese, die im Rahmen dieser Forschungsarbeit untersucht wird, bezieht sich auf das Job Crafting von Lehrkräften im Sekundarbereich, von dem erwartet wird, dass es im Fernunterricht geringer ausfällt als zur Zeit des Präsenzunterrichts vor der Corona-Pan- demie. Diese Annahme stützt sich vor allem stark auf die Veränderungen der Dimensionen sowohl im JD-R Modell nach Tims und Demerouti (2006) als auch in den Job Crafting-Kon- zepten von Wrzesniewski und Dutton (2001) und von Tims und Bakker (2010).

Hinsichtlich des JD-R Modells lässt sich im Allgemeinen ein starker Anstieg in den Arbeitsanforderungen und eine starke Abnahme in den Arbeitsressourcen der Lehrkräfte wäh­rend des Online-Unterrichts im Vergleich zum Präsenzunterricht vermuten. Bei beiden Di­mensionen stehen vor allem psychologische, soziale und organisatorische Aspekte im Fokus. Auf psychologischer Ebene können Themen wie Einsamkeit und psychische Belastung be­dingt durch womöglich schwindende Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zentraler werden. Auch eine abnehmende Sinnhaftigkeit im Beruf durch die ext­reme Umstellung in der Arbeits- und Lehrweise könnte wiederum zu Frustration und Demoti­vation führen (Grobe et al., 2020). Der soziale Aspekt schließt dabei in dem Sinne verstär­kend an, dass jene genannte Einsamkeit beispielsweise auch durch fehlenden oder auf den di­gitalen Bereich beschränkten Kontakt zu KollegInnen und SchülerInnen verursacht sein kann, was somit deutlich eine Abnahme in den sozialen Arbeitsressourcen kennzeichnen würde. Laut Bakker und Schaufeli (2000) haben insbesondere Gespräche mit KollegInnen, die in der Schule mit denselben Schwierigkeiten und Herausforderungen konfrontiert sind, eine sozial­unterstützende Funktion inne. Auch die häufig ausfallende Unterstützung seitens des/der Vor­gesetzen kann Job Crafting-Verhaltensweisen von LehrerInnen reduzieren. Zuletzt kann aus organisatorischer Sicht ein abnehmendes Job Crafting angenommen werden, da sich die Ar- beits- und Lehrweise - und somit die Arbeitsanforderungen - vieler Lehrkräfte mit dem Fern­unterricht komplett verändert haben, sowohl was die eigenen Fähigkeiten in der digitalen Me­diennutzung als auch die Umwandlung und das Neudenken der didaktischen Methoden be­trifft. Dies kann neben der Chance, die Vermittlung des Lernstoffes und die Art des Lernens der SchülerInnen zu verbessern und den Schulunterricht nach neuen Erkenntnissen in der

Pädagogik auszurichten, auch viel negative Veränderung mit sich bringen. Beispielsweise könnte dies zu Überforderung und darauffolgender Frustration führen, was wiederum Auswir­kungen auf das Job Crafting-Verhalten des Lehrpersonals haben kann (Spiewak, 2020). Des Weiteren kann erwähnt werden, dass der Fernunterricht beziehungsweise die Arbeit von Zu­hause generell - natürlich auch aufgrund der Umstände der COVID-19-Pandemie - noch zu zusätzlichen Spannungen im privaten Bereich führen kann (Eurofound, 2020). Solche priva­ten Belastungen können finanzieller, familiärer oder anderer Art sein und die Work-Life-Ba­lance, die im direkten Zusammenhang mit Job Crafting steht, aus dem Gleichgewicht bringen (Eurofound, 2020; Grobe et al., 2020; Rastogi & Chaudhary, 2017; Slowiak & DeLong- champ, 2021).

Die Dimensionen des Task Crafting und Relational Crafting der Theorie nach Wrzes- niewski und Dutton (2001) überschneiden sich hier mit den oben genannten organisatorischen und sozialen Aspekten der Arbeitsanforderungen und -ressourcen. Bezüglich des Cognitive Crafting kann man theoretisch auch eine Veränderung im Job Crafting erwarten, aber vermut­lich weniger als in den anderen Dimensionen, da sich Einstellungen im Allgemeinen nicht sonderlich leicht und vor allem nicht über einen so kurzen Zeitraum wie diesen, der in dieser Forschungsarbeit betrachtet wird, verändern lassen (Walther et al., 2005).

Was die aktuellere Theorie des Job Crafting nach Tims und Bakker (2010) betrifft, las­sen sich auch hier weitgehend inhaltliche Überschneidungen zu den beiden vorherigen Kon­zepten finden. Die zunehmenden strukturellen Arbeitsressourcen entsprechen dem organisato­rischen Aspekt des JD-R Modells und dem Task Crafting und die zunehmenden sozialen Ar­beitsressourcen wiederum den sozialen Aspekten und dem Relational Crafting. Die Dimen­sion der abnehmenden hinderlichen Arbeitsanforderungen ist bei den meisten LehrerInnen vor allem zu Beginn des Online-Unterrichts wenig stark ausgeprägt beziehungsweise haben diese Anforderungen sogar voraussichtlich zugenommen. Das zeigt sich besonders stark in der Um­stellung auf den digitalen Synchron-Unterricht, beim Abfragen von Schulleistungen oder bei der konkreten Erstellung von Arbeitsaufträgen. Dementsprechend wäre auch die Dimension der zunehmenden herausfordernden Arbeitsanforderungen, die das Job Crafting hingegen po­sitiv beeinflussen (Tims & Bakker, 2010), gegeben, wobei sich die Frage stellt, ob jene neuen Herausforderungen im Berufsalltag nicht überhandnehmen und von Job Crafting fördernden Herausforderungen zu Job Crafting hindernden Überforderungen übergehen (Spiewak, 2020).

Laut der Studie nach Rogala und Cieslak (2019) bilden vor allem Emotionen eine der ausschlaggebendsten Komponenten im Zusammenhang mit Job Crafting. Demnach sollen po­sitive Emotionen das Job Crafting insbesondere in den Dimensionen der zunehmenden strukturellen und sozialen Ressourcen verstärken (Rogala & Cieslak, 2019). Demzufolge gilt für negative Gefühle das komplementäre Gegenteil, sodass diese beziehungsweise weniger positive Emotionen das Job Crafting verringern oder nicht fördern (Rogala & Cieslak, 2019).

Diese Erkenntnis ist wiederum auf die Dimensionen des Job Crafting und des JD-R Modells und deren Veränderung anzuwenden. Das bedeutet etwa bei der sozialen Kompo­nente, dass dadurch, dass im Fernunterricht der Kontakt zwischen LehrerInnen und SchülerIn­nen im Allgemeinen reduzierter und unpersönlicher ist - zum Beispiel durch ausgeschaltete Kameras beim Synchron-Unterricht, falls dieser überhaupt stattfindet -, weniger positive Emotionen durch den Lehrer-Schüler-Kontakt entstehen oder womöglich negative durch die schwieriger gewordene Kommunikation. Insbesondere seitens der SchülerInnen berichten ein Drittel bis zur Hälfte, dass ihnen der Kontakt zu ihren Lehrkräften fehle (Helm et al., 2021). Die fehlende Lernmotivation, die von LehrerInnen bei bis zu 70% ihrer SchülerInnen einge­schätzt wird (Helm et al., 2021), kann folglich auch zu negativen oder weniger positiven Emotionen beim Lehrpersonal führen, da sich laut Hagenauer und Hascher (2018) das Schü­lerInnenverhalten stark auf die Emotionen der LehrerInnen auswirkt. Zusätzlich werden auch das selbstständige Arbeiten und die Selbstorganisation der SchülerInnen von 40% bis 90% der befragten LehrerInnen und von 40% die fehlende Elternunterstützung als Herausforderungen für den Online-Unterricht wahrgenommen (Helm et al., 2021).

Die technische Ausstattungssituation der SchülerInnen, die von 30% bis 70% der Lehrkräfte während des Fernunterrichts bemängelt wurde, kann sich vor allem negativ auf den organisatorischen Aspekt der Arbeitsanforderungen beziehungsweise die Task Crafting- Ebene auswirken, da LehrerInnen dadurch indirekt in ihrer Arbeitsweise gestört oder gar ge­hindert werden (Helm et al., 2021). Das kann wiederum bei diesen negative Emotionen her­vorrufen, was folglich Job Crafting-Verhaltensweisen negativ beeinflussen, also verringern oder verhindern kann (Rogala & Cieslak, 2019).

Direkt mit einer mangelhaften Ausstattungssituation hängt auch die Erreichbarkeit von SchülerInnen durch das Lehrpersonal zusammen. Laut Helm et al. (2021) erreichten die Lehr­kräfte beim Homeschooling lediglich zwischen 70% und 90% ihrer SchülerInnen und laut den SchülerInnen selbst bestand nur bei 20% bis 50% von ihnen regelmäßiger Kontakt zur Lehr­kraft. Daraus könnte man ebenfalls folgern, dass das nicht förderlich ist für die soziale Di­mension des Job Crafting der Lehrkräfte.

Des Weiteren hat die Nutzung digitaler Medien im Fernunterricht einen Einfluss auf die Arbeits- und Lehrweise und somit auf die Dimensionen des Task Crafting und der Ar­beitsanforderungen und -ressourcen. Laut Helm et al. (2021) benutzen lediglich 20% bis 40% der Lehrkräfte digitale Medien im Homeschooling und auch schätzen 10% bis 30% ihre eige­nen Kompetenzen und die ihrer KollegInnen für den Online-Unterricht als nicht ausreichend ein. Auch behaupten 10% bis 25% der befragten LehrerInnen über sich selbst, dass sie nied­rige Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien haben (Helm et al., 2021). Das könnte vor allem mit Gefühlen der Überforderung und Frustration bei der Nutzung zusammenhän­gen. Allgemein lässt sich dadurch vermuten, dass die strukturellen Arbeitsressourcen durch den fehlenden qualifizierten Umgang mit digitalen Medien abnehmen und hinderliche Ar­beitsanforderungen steigen. Diese Annahme wird zusätzlich darauf gestützt, dass mehr als die Hälfte des befragten Lehrpersonals angibt, nicht oder schlecht auf den Fernunterricht vorbe­reitet gewesen zu sein (Helm et al., 2021), was das Job Crafting vor allem zu Beginn der CO- VID-19-Pandemie und folglich des Homeschoolings stark eingeschränkt haben könnte. Dies könnte wiederum auch eine hohe Stressbelastung zur Folge haben, was laut Aldrup, Klus­mann und Lüdtke (2016) zu weniger Arbeitsfreude und mehr emotionaler Erschöpfung bei Lehrkräften führen kann. Ebenfalls erklären Bedürfnisse nach Kompetenz und Verbundenheit mit SchülerInnen den Zusammenhang mit Arbeitsenthusiasmus (Aldrup et al., 2016), was im Präsenzunterricht im Gegensatz zum Fernunterricht stärker ausgeprägt sein müsste aufgrund des intensiveren Austauschs. Auch hinsichtlich der Motivation gaben maximal die Hälfte (40% bis 50%) aller befragten LehrerInnen an, im Online-Unterricht motiviert zu sein (Helm et al., 2021).

H1: Das Job Crafting von Lehrkräften fällt im Fernunterricht geringer aus als im Präsen­zunterricht.

Die mediierende Wirkung der Fähigkeiten in der digitalen Mediennutzung auf den negativen Zusammenhang zwischen Alter und Job Crafting im Fernunterricht

Anschließend an die erste Hypothese dieser Forschungsarbeit wird bei der zweiten Hypothese das Job Crafting insbesondere im Fernunterricht spezifiziert. Die Annahme ist, dass das Alter der Lehrkräfte in der Sekundarstufe über die Fähigkeiten in der digitalen Medi­ennutzung als Mediator Einfluss auf das Job Crafting im Online-Unterricht ausübt. Das be­deutet konkret, je jünger die Lehrkraft ist, desto eher wirkt sich dies positiv auf deren digitale Fähigkeiten aus, was sich wiederum positiv auf das Job Crafting im Fernunterricht auswirkt. Im Umkehrschluss folgt aus einem höheren Alter ein negativer Einfluss auf die Fähigkeiten und wiederum auf das Job Crafting. Des Weiteren soll laut dieser Hypothese auch das Alter alleinig einen positiven beziehungsweise negativen Effekt auf das Job Crafting verursachen können.

Hauptsächlich stützt sich diese Annahme auf die Unterschiede zwischen den Alters­gruppen in der digitalen Mediennutzung und in der regelmäßigen Verwendung des Internets. Was etwa die tägliche Internetnutzung von ÖsterreicherInnen betrifft, sind die Zahlen laut Statistik Austria (2020) bei der jüngsten Altersklasse (16 bis 24 Jahre) mit 97% beziehungs­weise 100% (je nach Geschlecht) am höchsten und bei der ältesten (65 bis 74 Jahre) mit 39% beziehungsweise 32% am niedrigsten. Bei der zweitjüngsten Altersgruppe (25 bis 34 Jahre), in die vor allem die Kategorie der „jüngeren LehrerInnen“ aufgrund der langen Ausbildungs­dauer fallen würde, nimmt die tägliche Internetnutzung wenig, aber sichtbar im Vergleich zur vorherigen Altersgruppe ab (Statistik Austria, 2020). Über die folgenden Gruppierungen (35 bis 44 Jahre und 45 bis 54 Jahre) hinweg ist ebenfalls ein deutlicher Abfall der Zahlen sicht­bar (Statistik Austria, 2020). Besonders groß ist bis auf den Vergleich zur letzten Alters­gruppe auch die Abnahme der Prozentangaben bei der vorletzten Altersgruppierung (55 bis 64 Jahre), in die die Begrifflichkeit der „älteren LehrerInnen“ fallen würde (Statistik Austria, 2020). Hierbei beträgt die tägliche Internetnutzung der befragten ÖsterreicherInnen bei Män­nern 65% und bei Frauen lediglich noch 53% (Statistik Austria, 2020). An dieser Stelle gilt es ebenfalls zu berücksichtigen, dass der LehrerInnenberuf fast dreimal so häufig von Frauen ausgeübt wird wie von Männern (Statistik Austria, 2021). Daraus könnte abgeleitet werden, dass jüngeres Lehrpersonal höhere Fähigkeiten im Bereich der digitalen Mediennutzung mit­bringt und zwischen dem Alter und den Fähigkeiten somit ein negativer Zusammenhang be­steht.

Auch hinsichtlich der digitalen Kommunikation lässt sich der Trend abzeichnen, dass diese bei jungen Erwachsenen im Vergleich zu mittelalten und älteren Erwachsenen am meis­ten verbreitet ist und sich dadurch junge Menschen eher mit dieser Art der modernen Kom­munikation wohlfühlen (Thayer & Ray, 2006). Laut den Autoren Egger und van Eimeren (2008) zeichnet sich ebenfalls eine sogenannte Generationskluft ab, indem sich Jugendliche bereits vor dem 20. Lebensjahr etwa mit Computern beschäftigen und dadurch Fähigkeiten und Denkmuster erwerben, auf die ältere Generationen hingegen nicht zurückgreifen können. Ebenfalls sind Faktoren wie die Erfahrungsdauer in der Internetnutzung, Desinteresse, unzu­reichendes Wissen und fehlende computer- und internetbezogene Fähigkeiten relevant dafür, ob und wie sehr das Internet in den eigenen Alltag integriert wird (Hargittai & Hinnant, 2008; Peacock & Kühnemund, 2007; Stronge, Rogers & Fisk, 2006).

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Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Welche Auswirkungen hat der Fernunterricht auf das Job Crafting von Lehrkräften?
Hochschule
Universität Wien  (Psychologie)
Note
1,00
Autor
Jahr
2022
Seiten
37
Katalognummer
V1174004
ISBN (eBook)
9783346594327
ISBN (Buch)
9783346594334
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Job Crafting, Lehrer, Sekundarstufe, Fernunterricht, Online-Unter-richt, Homeschooling, COVID-19
Arbeit zitieren
Julia Mödinger (Autor:in), 2022, Welche Auswirkungen hat der Fernunterricht auf das Job Crafting von Lehrkräften?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1174004

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