Ziel dieser Arbeit ist es, einerseits die historischen Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren, andererseits strukturell bis heute wichtige orthographische Entwicklungen extensional darzustellen. Zunächst werden die strukturellen Prinzipien dargestellt, der Orthographien beziehungsweise Graphien im Verlauf ihrer Evolution folgen, dann im diachronen Zugriff, die Graphien bis ins Seizième siècle auf ihre Prinzipien untersucht und schließlich ein tieferer Blick den orthographischen Tendenzen des Seizième siécle gewidmet. Abschließend wird ein Fazit aus der Untersuchung gezogen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Orthographische Prinzipien
III. Graphien bis zum Seizième siècle
1. Die Epoche des Übergangs
2. Graphie des Altfranzösischen
3. Die Graphie des Mittelfranzösischen
IV. Die Graphie im Seizième Siècle
1. Der Einfluss der Monarchie
2. Der Einfluss der professionals
3. Der Einfluss der Drucker
V. Fazit
Bibliographie
I. Einleitung
"Wie die Kalligraphie zum Prinzip der Ideographie, so gehört die Orthographie intrinsisch zur Alphabetschrift. [...] Staat ist mit der Erfüllung der Norm nicht zu machen, doch verfehlt man sie, blamiert man sich. In der Kalligraphie beweist man Geschmack, in der Orthographie macht man Fehler."1
Orthographie (gr. óp9wg yP&^siv - richtig schreiben) ist dadurch definiert, dass es Schreib Fehler gibt, Schreibungen also, die von der je geltenden Regelung abweichen. Dieser Begriff von Orthographie trifft - mangels einer geltenden Regelung - auf die französische Schreibpraxis erst - wenn überhaupt - seit der Veröffentlichung der ersten Auflage des Dictionnaire de l'Académie Franqaise2 zu, erschienen 1694. Und obwohl seither die Regelungskompetenz de facto beim Staat liegt - die Académie ist eine staatliche Institution -, wird die Frage, ob die Orthographie eine staatliche Angelegenheit sei, immernoch und immermehr diskutiert.3
Tatsächlich ist die aktuelle, so wie jede, Orthographie ein Evolutionsprodukt, das aus Schreibungen, mit Saussure graphies, entstanden ist. Es ist kein Zufall, dass das Dictionnaire de l'orthographe franqaise, das Standard-Nachschlagewerk zur französischen Orthographie, im 16. Jh. einsetzt, denn erst seitdem begann sich soetwas wie "Orthographie" im oben genannten Sinne auszubilden.
Kategorial verschiedene, mehr oder weniger gleichzeitig auftretende Faktoren, bedingten den Beginn der französischen Orthographie, namentlich: 1. die zunehmende typographische Standardisierung qua Letter- und Wort- Typen ;4 2. die literarische Produktion der professionellen Schreiber selbst, d.h. extensional betrachtet: a) die sog. Schöne Literatur französischer Autoren und französische Übersetzungen v.a. aus dem Griechischen, Lateinischen und Italienischen; b) die sprachtheoretischen Werke und Grammatiken; c) die Lexika und Wörterbücher; 3. die staatliche Intervention in Sprachfragen.
Ziel dieser Arbeit ist es, einerseits die historischen Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren, andererseits strukturell bis heute wichtige orthographische Entwicklungen extensional darzustellen.5 Zunächst werden die strukturellen Prinzipien dargestellt, der Orthographien bzw.
Graphien im Verlauf ihrer Evolution folgen, dann, im diachronen Zugriff, die Graphien bis ins Seizième siècle6 auf ihre Prinzipien untersucht und schließlich ein tieferer Blick den orthographischen Tendenzen des Seizième siécle gewidmet. Abschließend wird ein Fazit aus der Untersuchung gezogen.
II. Orthographische Prinzipien
Orthographie ist ein Resultat 1) von Schreibgewohnheiten derjenigen, die schreiben, d.h. von Schriftstellern, Historikern, Journalisten, Wissenschaftlern, 2) von Entscheidungen derjenigen, die drucken und herausgeben, d.h. von Druckern, Herausgebern, Verlagen, 3) von Institutionen, die standardisieren, d.h. von Lexikographen, Grammatikern, Akademien.
De facto gibt es bis ins 16. Jh. keine Orthographie des Französischen, sondern vielmehr verschiedene Graphien derjenigen, die schreiben.
Die Evolution der französischen Orthographie ist geprägt von der Opposition zweier Prinzipien, die zu jeweiligen Zeiten vorherrschten: des phonetischen und des ideographischen Prinzips.
Wenn auch der linguistische t.t. "Ideographie"7 keine Beschreibungskategorie für die Alphabetschrift ist, sondern ihr gerade diametral entgegengesetzt - ein ideographisches Zeichen ruft den Begriff unmittelbar qua graphischer Gestalt hervor, ohne Referenz auf eine phonetische Repräsentation -, ist die Bezeichnung "ideographisch", wie sie in der französischen Orthographiegeschichte gebraucht wird, doch treffend gewählt, um eine Eigenschaft der Alphabetschrift zu beschreiben, die der Ideographie ähnelt: das morphematische Prinzip, durch das es - bei hinreichender Beherrschung einer Sprache - möglich ist, Bedeutungen qua Morphem zu erschließen. Dieses Prinzip war im Griechischen und Lateinischen noch hinreichend ausgeprägt.8 Bei der Verschriftung des Französischen ging diese "ideographische" Eindeutigkeit verloren, die Eindeutigkeit des signifiant infolge des Sprachwandels, die Eindeutigkeit des signifié infolge zahlreicher Homonyme. Orthographische Lösungen standen seitdem im Dienste entweder des phonetischen Prinzips oder des ideographischen Prinzips. Die Erlernung der Alphabetschrift - qua "Lautieren" - mag eine "phonetische Orthographie" vereinfachen, die Funktionalität der Alphabetschrift wird durch das ideographische Prinzip gefördert.9
III. Graphien bis zum Seizième siècle
1. Die Epoche des Übergangs
Das gesprochene Latein wurde - ohne notwendigerweise gesprochen worden zu sein - bis ins 7. oder 8. Jh. verstanden, da die Priester ihre Predigten offenbar nicht übersetzen mussten, um verstanden zu werden. Das geschriebene Latein hält sich bis in das 16. Jh. als Sprache der Administration, der Jurisprudenz und der Schule.10
Die Geburt der französischen Sprache hat Perret auf das Jahr 813 datiert11, in dem auf dem Konzil von Tours gefordert wird, in der Volkssprache zu predigen:
"Et ut easdem omelias quisque aperte transferre studeat in rusticam Romanam linguam aut Thiotiscam, quo facilius cuncti possint intelledere quae dicuntur."12
Die ersten Zeugnisse der französischen Vulgärsprache sind Glossen des 9. Jh.s aus dem Kloster Corbie,13 die z.B. folgende Einträge enthalten:
pulcra - bella (belle); quaeso - preco (je prie); adferam - adportam (j'apporte); semel - una vice (une fois); forum - mercatum (marché).
Die Ursache dafür, dass sich bis ins 16. Jh. keine einheitliche und eindeutige Orthographie entwickelt hat, waren zwei Hauptprobleme bereits während der Übergangsepoche vom Vulgärlatein zum Altfranzösischen, von denen das zweite intrinsisch mit dem ersten verbunden ist: erstens, die Vulgärsprache mithilfe des lateinischen Alphabets zu verschriftlichen; zweitens, dass sich dieser Verschriftlichungsprozess an phonologischen Prinzipien orientierte und ein Resultat zeitigte, das zwar hinsichtlich des "Lautierens" funktional war, aber zu einer Vielzahl von Homographen führte.14
[...]
1 Stetter 1997, 51.
2 Im Folgenden DAC.
3 Zu dieser Diskussion mit weiteren Verweisen Arrivé 1993, 100ff.
4 Zur für diesen Zusammenhang grundlegenden Unterscheidung von "Typ" und "Token" Stetter 2005, 123-43.
5 V. a. zwei Referenzwerke zur französischen Orthographie wurden benutzt, beide Werke von Nina Catach: erstens die Histoire de l'orthographe franqaise, die Summa ihrer lebenslangen Forschungen zur französischen Orthographie, 2001 posthum von Renée Honvault herausgegeben; zweitens das Dictionnaire historique de l’orthographefrangaise (im Folgenden DHOF): es stellt die orthographische Geschichte der französischen Wörter vom 16. Jh. bis zur (noch) heute geltenden Schreibung dar, v.a. anhand der Belege i) der zweiten Auflage des Dictionnaire Francoislatin (DFL) von R. Estienne (1549), ii) der überarbeiteten Fassung des DFL von J. Thierry (1564); iii) des Thresor de la langue Francoyse tant Ancienne que Moderne von J. Nicot (1606); und iv) der seit 1694 erschienen Auflagen des DAC.
6 Auch sie müssen als conditio sine qua non für die spätere Orthographie behandelt werden, allerdings nur im für den Zusammenhang notwendigen Rahmen.
7 Bußmann 2002, 289.
8 So evoziert im Griechischen der Stamm öik- in öiKaoipg. öiKaZo etc., im L. iudex, iudico etc. den Begriff "recht(-)".
9 Grundlegend für diesen Zusammenhang ist die Unterscheidung von "Konstitutions-" und "Funktionsprinzip" der Alphabetschrift. Stetter 1997, 62ff.
10 Catach 2001, 35.
11 Perret 2008, 36.
12 MGH Concilia 2,1, 288.
13 Enthalten in den Reichenauer Glossen. Vgl. Geckeler / Dietrich 2003, 186 ff.
14 Geschuldet der dem Französischen eigenen Vielzahl an Homonymien, z.B. das Homophon [var], das, <vers> geschrieben, sowohl vert,e; (un) vers; (un) ver bezeichnete.
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