Wie versuchte man zu Beginn des 20. Jahrhundert, die Gruppe von Menschen, welche als „Zigeuner“ bezeichnet wurden, als eigenes „Volk“ und „Rasse“ zu kategorisieren, beziehungsweise zu definieren? Dabei soll untersucht werden welche „Kategorien“ entscheidend waren – das heißt inwiefern angeborene und äußere Erscheinungsmerkmale, biologische oder soziale Aspekte eine Rolle gespielt haben. Um die Frage zu beantworten, werden zwei Quellen näher betrachtet: Zum einen das Zigeuner-Buch von Alfred Dillmann aus dem Jahr 1905 und zum anderen das von Friedrich Wilhelm Brepohl geschriebene Die Zigeuner nach Geschichte, Religion und Sitte aus dem Jahr 1909.
Bereits seit Jahrhunderten wurden immer wieder höchst unterschiedliche Gruppen von Behörden und Regierungen als „Zigeuner“ bezeichnet . Und auch noch in der heutigen Zeit wird der Begriff gelegentlich verwendet, um über Sinti und Roma zu sprechen, obwohl er noch immer eng verwoben ist mit rassistischen Vorurteilen. Unter anderem als kriminell, unzivilisiert, betrügerisch, lernfähig und nicht lernfähig wurden die „Zigeuner“, im Laufe der Zeit charakterisiert. Diese Arbeit soll sich mit der Charakterisierung der „Zigeuner“ in einer Zeit beschäftigen, in welcher bereits bestehende Vorurteile über sie auf den Beginn des modernen Rassismus prallten. Wer also sind die Menschen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „Zigeuner“ bezeichnet wurden? Oder wer sollten sie sein?
In der aktuellen Forschungsdiskussion herrscht über diese Frage noch immer Uneinigkeit. Während Historiker wie Wolfgang Wippermann und Marion Bonillo die Auffassung vertreten, dass die „Zigeuner“ als einheitliche Gruppe die „rigide Minderheitspolitik des Kaiserreichs“ ertragen mussten , unterscheidet Michael Zimmermann in seinem Buch „Rassenutopie und Genozid“ zwischen einem Zigeunerbegriff, welcher mit Kategorien wie „Volk“ und „Rasse“ agiert, und einem zweiten, welcher sich nicht auf angeborene Merkmale bezieht, sondern als „soziographische“ Kategorie zu verstehen sei – auf das ‚Umherziehen‘‚ ohne festen Wohnsitz‘. Derselben Ansicht ist auch Leo Lucassen, welcher auf Grundlage des Zigeuner-Buches von Alfred Dillmann auch von einer differenzierteren Bezeichnung ausgeht, indem er zwischen „Zigeunern“ und „nach Zigeunerart herumziehenden Personen“ unterscheidet . Auch Karola Fings vertritt diesen Standpunkt, indem sie ihr Augenmerk auf die nicht-sesshafte Lebensform als entscheidendes Merkmal in der Charakterisierung der „Zigeuner“ legt .
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Historischer Kontext
- Textanalysen
- Das Zigeuner-Buch von Dillmann
- Die Zigeuner nach Geschichte, Religion und Sitte von Brepohl
- Dillmann und Brepohl im Vergleich
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Versuche, die Gruppe von Menschen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „Zigeuner“ bezeichnet wurden, als eigenes „Volk“ und „Rasse“ zu kategorisieren und zu definieren. Sie analysiert, welche Kriterien eine Rolle spielten, ob angeborene oder äußere Merkmale, biologische oder soziale Aspekte, und hinterfragt die Konstruktion eines ethnisch-rassistischen Bildes von „Zigeunern“ in dieser Zeit.
- Die Definition von „Zigeunern“ im Kontext des aufkommenden modernen Rassismus
- Die Rolle von angeborenen Merkmalen und sozialen Faktoren in der Konstruktion von „Zigeunern“ als „Volk“ und „Rasse“
- Die Analyse zweier Quellen: Alfred Dillmanns „Zigeuner-Buch“ und Friedrich Wilhelm Brepohls „Die Zigeuner nach Geschichte, Religion und Sitte“
- Der Vergleich der Ansätze und Perspektiven von Dillmann und Brepohl
- Die Entstehung von rassistischen Stereotypen und Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma im frühen 20. Jahrhundert
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt die Problematik des „Zigeuner“-Begriffs und die Forschungsdebatte um die Definition dieser Gruppe zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor. Sie erläutert die Bedeutung der Untersuchung und die ausgewählten Quellen: Alfred Dillmanns „Zigeuner-Buch“ und Friedrich Wilhelm Brepohls „Die Zigeuner nach Geschichte, Religion und Sitte“.
- Historischer Kontext: Dieses Kapitel beleuchtet den historischen Kontext des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in dem sich das Bild von „Zigeunern“ von einer vermeintlich „brauchbaren“ Gruppe hin zu einer rassisch definierten und stigmatisierten Minderheit wandelte. Es skizziert die Entstehung des modernen Rassismus und die damit einhergehende Entwicklung von Stereotypen und Vorurteilen gegenüber „Zigeunern“.
- Textanalysen: Dieser Abschnitt analysiert die beiden ausgewählten Quellen, Dillmanns „Zigeuner-Buch“ und Brepohls „Die Zigeuner nach Geschichte, Religion und Sitte“, im Hinblick auf ihre Definition von „Zigeunern“. Er untersucht, welche Kriterien die Autoren verwenden, wie sie das „Zigeuner“-Volk charakterisieren und welche Ansätze sie verfolgen. Zudem wird ein Vergleich der beiden Quellen vorgenommen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem „Zigeuner“-Begriff zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dem modernen Rassismus, der Konstruktion von „Zigeunern“ als „Volk“ und „Rasse“, der Analyse von Alfred Dillmanns „Zigeuner-Buch“ und Friedrich Wilhelm Brepohls „Die Zigeuner nach Geschichte, Religion und Sitte“, sowie den Stereotypen und Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma.
- Citation du texte
- Jasmina Sovsic (Auteur), 2019, Wer sind die „Zigeuner“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1174287