Alchemie im Spiegel der Renaissance-Lyrik. Pasquille über die Goldmacher Marco Bragadino und Georg Honauer in den Fuggerzeitungen


Bachelorarbeit, 2020

49 Seiten, Note: 2,6


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung, literarische Grundlage und Forschungsstand

2. Die Fuggerzeitungen – die Urform der modernen Presse

3. Pasquille

4. Marco Bragadino
4.1 Historischer Hintergrund
4.2 Pasquille - Aufbau und Inhalt
4.2.1 Pasquill 1
4.2.2 Pasquill 2
4.2.3 Pasquill 3

5. Georg Honauer
5.1 Historischer Hintergrund
5.2 Pasquill – Aufbau und Inhalt

6. Gemeinsamkeiten
6.1 Unbekannte Entstehung
6.2 Knittelvers
6.3 Religiöse Verweise
6.3.1 Venantius Fortunatus und sein „Vexilla regis prodeunt“
6.4 Wunsch nach der Ausübung rechtschaffener Künste
6.5 Bezüge auf die griechische Mythologie
6.5.1 Daidalos
6.5.2 Midas

7. Zusammenfassung

8. Anhang

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

a. Online-Quellen

b. Literatur

c. Gedruckte Quellen und Editionen

1. Einleitung, literarische Grundlage und Forschungsstand

„Eine Person, die Medikamente nimmt, muss sich zweimal erholen, einmal von der Krankheit und einmal von den Medikamenten.“1 – Dieses Zitat des 1919 verstorbenen kanadischen Mediziners, Physiologen und Medizinhistorikers William Osler, der häufig als Vater der modernen Medizin bezeichnet wird, ist nur eines von vielen in der andauernden Debatte über die Wirkung und Sinnhaftigkeit von Medikamenten sowie die moderne Medizin allgemein.2

Im April 2017 gaben ungefähr 70 Prozent der mehr als 15.000 Teilnehmer einer Online-Umfrage der Stiftung Warentest an, regelmäßig Medikamente zu nehmen. Bei älteren Menschen findet sich ein noch höherer Anteil (siehe Abb. 1), denn im Laufe des Lebens erhöht sich das Risiko für chronische Krankheiten, die häufig eine langfristige Arzneimittel-Therapie erfordern. Eine weitere Umfrage ergab im März 2019, dass das Vertrauen in die medizinische Forschung bei drei Viertel (74 Prozent) der Deutschen sehr groß ist. 77 Prozent der Befragten sehen die Pharmaindustrie als äußerst kompetent in ihrem Fachbereich an.3

Trotz der großen Unterstützung für die moderne Medizin gibt es auch Menschen, die der Pharmaindustrie skeptisch gegenüberstehen. Viele von ihnen berufen sich auf die Alchemie. Dabei handelt es sich um die Lehre von den Eigenschaften der Stoffe und ihren Reaktionen, um „eine jahrtausendealte, universalwissenschaftliche Tradition“4, die oft als Vorreiter der modernen Wissenschaft bezeichnet wird.

Heutzutage hat die breite Mehrheit keine hohe Meinung mehr von der ersten der abendländischen Naturwissenschaften. Die Archäologin Jette Anders spricht in ihrem Buch ‚33 Alchemistinnen. Die verborgene Seite einer alten Wissenschaft‘ davon, dass die Alchemie von den meisten Menschen heutzutage als unwissenschaftlicher und gänzlich überholter Irrweg in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte abgetan werde. Ergänzt wird ihre Aussage vom selbsternannten Alchemisten Peter Mehmet Cati: „Seit dem Siegeszug der materialistischen, rein rational ausgerichteten Naturwissenschaften wird sie im Dunstkreis von Hexerei, Magie und Aberglauben im finsteren Mittelalter angesiedelt.“5,6

Das war jedoch nicht immer so: Während des 15. Jahrhunderts, als die europäischen Territorialheeren zunehmend an Macht und Eigenständigkeit gewannen und die Fürstenhöfe zu Zentren von Regierung, Verwaltung und Kultur wurden, nahmen die Herrscher neben vielerlei Künstlern und Handwerkern auch Alchemisten unter ihren Schutz – so berichtet es das ‚Lexikon einer hermetischen Wissenschaft‘. Schon im Mittelalter hätten praktizierende und ‚theoretische‘ Alchemisten adelige Gönner gefunden, im 16. und 17. Jahrhundert habe das Interesse des Adels an der Alchemie seinen Höhepunkt erreicht.7

Im Laufe der Zeit gab es jedoch auch viele Alchemisten, die unter dem Vorwand, Gold fertigen zu können, Anstellungen bei zahllosen Fürstenhöfen erhielten, nur um am Ende als Betrüger entlarvt und hingerichtet zu werden.

Eine gute Anlaufstelle hierfür stellen die Fuggerzeitungen dar, die gemeinhin als die Vorform der modernen Presse in der Frühen Neuzeit bezeichnet werden. Sie umfassen heute 27 Bände, deren Originalfassung in der Österreichischen Nationalbibliothek lagert. Der Gesamtbestand der Zeitungen enthält insgesamt 24 Texte, die sich auf satirisch-kritische Weise mit zeitgenössischen Ereignissen und Personen auseinandersetzen. Unter den Stücken befinden sich auch sogenannte Pasquille, also Schmäh- oder Spottschriften, von denen sich einige mit betrügerischen Goldmachern beschäftigen.8

Die beiden behandelten Alchemisten, über die am meisten bekannt ist, sind der Italiener Marco Bragadino und der Deutsche Georg Honauer. Die vorliegende Arbeit analysiert also die in den Fuggerzeitungen vorhandenen Pasquille über besagte Personen und untersucht sie auf Gemeinsamkeiten, um abschließend eine Aussage darüber treffen zu können, inwieweit sich anhand der Gedichte ablesen lässt, welche Auswirkungen das Auftreten betrügerischer Goldmacher auf die Meinung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft über Alchemie hatte.

Das Hauptinformationswerk dafür stellt das Buch ‚Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605)‘ von Oswald Bauer aus dem Jahr 2008 dar. Dieses Werk ist Teil des ersten Bandes der Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung.

Eine vollständige Quellenedition der Fuggerzeitungen gibt es laut Aussage des Autors bis zum heutigen Tag nicht. 1923 habe Viktor Klarwill eine ‚Edition‘ ausgewählter Stücke der Fuggerzeitungen erstellt, der Text sei aber ohne Markierung gekürzt und an die Gegenwartssprache angepasst worden. Zudem sei der Anmerkungsapparat völlig unzureichend und beinhalte eine Reihe von Fehlern, weshalb die Arbeit den Ansprüchen an eine Edition in keiner Weise genüge. Dennoch habe es kaum Versuche gegeben, die Fuggerzeitungen zu erschließen.

Theodor Gustav Werner habe im ersten Band der neu gegründeten ‚ Scripta Mercaturae ‘ zwar mit der Veröffentlichung einzelner Regesten begonnen – diese hätten auch fortlaufend in der Zeitschrift veröffentlicht werden sollen –, das Vorhaben sei aber nach der Ankündigung nicht weiter verfolgt worden. Zuletzt habe Michael Schilling Möglichkeiten zur Erschließung der Fuggerzeitungen für die Forschung skizziert. Eine vollständige Edition der Fuggerzeitung beziehungsweise Erstellung von Regesten habe aber bisher aufgrund des Umfangs des Bestandes nicht realisiert werden können.9

Im Folgenden soll dennoch genauer auf die Fuggerzeitungen und auf Pasquille eingegangen werden, um eine Wissensgrundlage für den weiteren Verlauf dieser Arbeit zu schaffen.

2. Die Fuggerzeitungen – die Urform der modernen Presse

Die Fuggerzeitungen gelten als eine der bedeutendsten europäischen Nachrichtensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts und dokumentieren Ereignisse aus ganz Europa. Ihre Bezeichnung fiel zum ersten Mal 1921 in einer Abhandlung des deutschen Schriftstellers, Historikers und Zeitungswissenschaftlers Johannes Kleinpaul und bezieht sich auf das schwäbische Kaufmannsgeschlecht der Fugger. Diese waren einst als einfache Weber aus Graben nach Augsburg gezogen und hatten es unter Jakob und Anton Fugger dort zu Handels- und Bankherren von aufsehenerregendem Reichtum gebracht.10

Die Nachrichtensammlung geht auf die Brüder Philipp Eduard (1546-1618) und Octavian Secundus Fugger (1549-1600) zurück, die diese in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anlegten. Sie waren die Söhne des gelehrten Büchersammlers Georg II. (1518-1569) und wurden sowohl humanistisch erzogen also auch fundiert kaufmännisch ausgebildet. Im Januar 1574 wurden die Brüder Teilhaber an der Familienfirma und durften ihr vom Vater geerbtes Vermögen selbst verwalten. Nach Differenzen mit dem Leiter der Firma Marx Fugger schieden sie im Jahr 1578 aus dieser aus und gründeten in der Folge ein eigenes Unternehmen, das sie – unter stiller Beteiligung ihres Bruders Raymund – gemeinsam führten und das bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts bestand.

Von der Firmenzentrale in Augsburg aus engagierten sich die Brüder im Bergbau und vor allem in Geldgeschäften mit den deutschen Fürsten. Des Weiteren – diese Tatsache ist für die vorliegende Arbeit von größerer Wichtigkeit – verfügten die Fugger über ein europaweites Netz von Korrespondenten, die regelmäßig Berichte über wirtschaftliche, politische oder gesellschaftliche Ereignisse und Entwicklungen verfassten und an das Stammhaus in Augsburg sandten.11

Als eigentlicher Sammler der beiden Brüder gilt Octavian Secundus Fugger, der bis zu seinem Tod dreißig Bände zusammengetragen hatte. Er hatte von 1569 bis 1599 jeweils zu Beginn des Jahres die gesammelten geschriebenen Zeitungen des Vorjahres binden lassen. Bis 1605 führte Philipp Eduard die Sammlung weiter und setzte die noch ungebundenen Zeitungen von 1600 mit einigen älteren, liegen gebliebenen zu einem Band zusammen. Die darauffolgenden vier Jahre teilte er auf drei auf und die Bände mit den verloren gegangen Nachrichten zwischen 1569 und 1577 ersetzte er durch zwei aus seinem Besitz. Am Ende wurden nur die Jahre 1574-1575 und 1577 nicht ersetzt. 1654 hatte Graf Albert (1624-1692) die Bibliothek der Fugger geerbt, musste die Sammlung allerdings aufgrund von beträchtlichen Schulden an Kaiser Ferdinand III. verkaufen. Der Kaiser wiegte die fast 15.000 Bände in der gleichen Summe Gulden auf und ließ die Bibliothek von Augsburg nach Wien verfrachten. Bis heute werden die Bände in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt.12

Obwohl die Fuggerzeitungen Nachrichten aus ganz Europa (inklusive Konstantinopel) und einige wenige aus Amerika und Asien (Indien und Japan) beinhalten, stammt ein Großteil der Berichte aus wenigen wirtschaftlichen und politischen Zentren. Laut Oswald Bauer entspricht die Summe der Nachrichten aus den Städten Konstantinopel, Antwerpen, Köln, Rom, Venedig, Lyon, Wien und Prag fast drei Viertel (73 Prozent) der Gesamtzahl aller Berichte der Fuggerzeitungen. Darunter seien außerdem die Orte, aus denen allein eine kontinuierliche Berichterstattung über den gesamten Zeitraum der Überlieferung erfolgte (siehe Abb. 3, 4). Das Einzugsgebiet der einzelnen Orte zeige, dass Nachrichten in brieflicher Form an bestimmten Knotenpunkten gesammelt, kompiliert und von dort aus weitergeschickt wurden. Dieses Gebiet habe in der Regel die umliegenden Regionen beziehungsweise Gebiete umfasst, die durch ihre Bedeutung für die Knotenpunkte ebenfalls beobachtet worden seien.13

Die Nachrichten, die an die Fugger in Augsburg geschickt wurden, betrafen zum einen Ereignisse, die wirtschaftliche Bedeutung besaßen, zum anderen fanden auch Begebenheiten geringerer historischer Wichtigkeit in den Fuggerzeitungen ihren Niederschlag. Laut Oswald Bauer stammt der Grundsatz, sich stets über alle politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu informieren, aus der kaufmännischen Tradition und Ausbildung. „Mochten Berichte auch nicht von unmittelbarem Nutzen für die Geschäfte sein, so war es doch gut, Bescheid zu wissen.“14 Etwa konnten die Fugger auf der Grundlage schneller und verlässlicher Informationen günstigere und besser kalkulierte Dispositionen als die weniger gut informierte Konkurrenz treffen.15

Hierzu steht im Buch ‚Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch‘, herausgegeben von Josef Pauser, Martin Scheutz und Thomas Winkelbauer:

„Die thematische Vielfalt, die über Jahrzehnte währende Kontinuität, die zeitliche Dichte, die europa-, ja weltweite Anlage und das Bemühen um sachliche Zuverlässigkeit der Berichterstattung machen die Fuggerzeitungen zu einem erstrangigen Quellenfundus für unterschiedlichste Fragestellungen zur Geschichte des 16. Jahrhunderts.“16

Auch im 25. Band von Chloe, der Beihefte-Reihe zur Fachzeitschrift Daphnis werden die Fuggerzeitungen als „ein Quellenwerk ersten Rangs für vielfältige Fragestellungen und unterschiedlichste historische Disziplinen“17 sowie als eine „Fundgrube für sämtliche historische Disziplinen und vielfältige methodische Fragestellungen“18 bezeichnet.

Als Begründung für diese Aussagen führt der Band die vielen Meldungen an, die auch Angelegenheiten beträfen, die nach modernem Verständnis nicht in eine geschäftliche Korrespondenz gehören. Als Beispiele werden neben Prophezeiungen, Berichten über Hexenverbrennungen, kriminellen Delikte, Wunderzeichen oder Naturkatastrophen auch Pasquille genannt.19

Was Pasquille sind, wie sie entstanden sind und was sie zu einer guten Basis für diese Arbeit macht, das soll nun geklärt werden.

3. Pasquille

Pasquille ( italienisch : „kleiner Pasquino“) sind Schmäh- oder Spottschriften, die dazu verfasst werden, um eine Person zu verleumden oder in ihrer Ehre zu verletzen. Besagte Schriften sind seit der Antike bekannt und bereits damals verwendet worden. Auch im Mittelalter wurde die Tradition des Singens von Spott- und Schmähgedichten fortgeführt, in Mitteleuropa durch die Troubadoure und Minnesänger und vor allem die fahrenden Sänger (Vaganten). Einen deutlichen Aufschwung erfuhren Spott- und Schmähschriften zu Beginn des 16. Jahrhunderts, laut dem Buch ‚Pasquille in den Fuggerzeitungen‘ gespeist aus der Verbindung reformatorischen und sozialen Protests mit der innovativen Technik des Drucks.20

Auch der Begriff ‚Pasquill‘ kam im 16. Jahrhundert auf, ausgehend von Rom. Im Buch ‚Flutblatt und Zeitungen‘ heißt es dazu:

„In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts feierte zu Rom ein bis dahin kaum beachtetes, halb eingesunkenes Altertumsdenkmal, eine Darstellung aus den Kämpfen der Ilias (Menelaus schleppt den nackten Leichnam des Patroklus aus dem Schlachtgetümmel), seine fröhliche Auferstehung. Der Kardinal von Neapel, Oliviero Caraffa, ließ die Bildgruppe im Jahre 1501 vor dem Palazzo Orsini aufstellen und mit einer Inschrift schmücken. […] Die Überlieferung erzählt, daß man dem Denkmale nach einem benachbarten witzigen Schuhflicker den Namen Pasquino, verkleinert Pasquillo, gegeben habe. […] Einmal wurde er als Pilger verkleidet und bald darauf zum wandernden Pasquillus umgewandelt, der es zu Rom nicht mehr aushielt und sich auf Reisen in fremde Länder, nach Spanien und nach Frankreich, machte. In dieser Rolle fand er bald in die Flugschrift seinen Einzug. […] Pasquillus wurde und blieb seitdem der lose Spötter über das Papsttum und die Geistlichkeit, zahlreiche Flugschriften erhielten seinen Namen oder erwähnten ihn als Augenzeugen der Greuel Roms.“21

Der Ausdruck „Pasquill“ wird als Bezeichnung einer Schmähschrift bis heute verwendet.22

Die Verbreitungsformen von Pasquillen standen unweigerlich unter der „Dominanz der Mündlichkeit“23, wie es Bauer beschreibt. Auch die Autoren von Flugschriften und Einblattdrucken seien sich im Klaren darüber gewesen, dass der größte Teil ihres potenziellen Rezipienten-Kreises ihre Schriften etwa durch Vortragen oder Vorlesen hörte. Die Autoren hätten deshalb versucht, die Texte dementsprechend verständlich zu halten. „Wichtig war es auch, die Texte so zu gestalten, dass sie leicht auswendig gelernt werden konnten. Man griff daher bewusst auf Mittel des Gesangs und des Liedes zurück.“24

Die Verbreitung der Texte sei also einerseits schriftlich (durch Drucke, aber auch durch Abschriften, wie in den Fuggerzeitungen) und andererseits mündlich erfolgt. Für die mündliche Verbreitung von Pasquillen hätten umherziehende Sänger, Bettler oder auch wandernde Gesellen gesorgt. Sie hätten sich auf den Marktplätzen postiert, ihre Lieder vorgetragen und oft auch diejenigen Drucke verkauft, deren Inhalte sie mündlich vortrugen, um dafür zu werben. Darüber hinaus sei es durchaus üblich gewesen, als Lesekundiger den Nicht-Lesekundigen Texte vorzulesen.25

In Spottschriften werden immer konkrete Personen oder Ereignisse angegriffen beziehungsweise kritisiert. Die Texte geben dabei nicht nur bloße Fakten wieder, sondern beziehen Stellung und bedienen sich dabei Mitteln wie Spott, Satire, Ironie, Parodie oder Karikatur. Oft enthalten die Texte eine Fülle von Anspielungen und Andeutungen, die sich auf zeitgenössische Ereignisse und Personen beziehen. Darauf bezogen äußert Oswald Bauer die Vermutung, dass Leser und Zuhörer diese Anspielungen aufgrund der Kenntnis der Personen und Umstände problemlos verstanden. Heute ermöglichten die in den Texten versteckten Anspielungen und Spitzen sowie der zeitgenössische Sprachgebrauch deshalb Rückschlüsse auf das Alltagswissen der Zeitgenossen. Für Oswald Bauer haben Pasquille somit eine kulturgeschichtliche Dimension.26

Nach dieser kurzen allgemeinen Einführung zu Fuggerzeitungen und Pasquillen folgt nun der eigentliche Hauptteil der Arbeit. Zunächst soll sich mit dem Goldmacher Marco Bragadino und den drei über ihn verfassten Pasquillen beschäftigt werden.

4. Marco Bragadino

4.1 Historischer Hintergrund

Marco Bragadino hieß eigentlich Marco Mamugnà und war ein gebürtiger Grieche, der von der Insel Zypern stammte. Durch ein Schutzverhältnis zur bekannten venezianischen Adelsfamilie Bragadino auf Zypern erhielt er den Namen der beschützenden Familie als ‚Übernamen‘ und benutzte ihn wohl auch im täglichen Verkehr. Schließlich verschwieg der Goldmacher seinen eigentlichen Familiennamen komplett und nannte sich nur noch Bragadino, wodurch er vom Ansehen dieses Namens profitieren konnte. Im Zuge der Eroberung der Insel Zypern durch die Türken 1571 musste der Goldmacher mit seiner Familie fliehen.

Da die Brüder Philipp Eduard und Octavian Secundus Fugger wiederholt um weitere Informationen über Bragadino baten, befinden sich in den Fuggerzeitungen insgesamt 35 kurze und längere Berichte über den Goldmacher. Die ersten davon sind auf den 1. Dezember 1589 datiert, stammen aus Venedig und sprechen von einer Probe seiner Goldverwandlungskunst, die Bragadino dort gegeben habe. Die Berichterstatter bürgen dabei persönlich für die Glaubwürdigkeit der Probe, die auf ihre Echtheit getestet und für gut befunden worden sei.27

Nach einem längeren Aufenthalt in der Stadt ging Bragadino nach Frankreich und kam anschließend wieder nach Italien zurück, diesmal nach Florenz. Um sich vor seinen Gläubigern zu schützen, trat der Goldmacher kurzzeitig in ein Kloster ein, verließ den Ort nach den ersten Weihen aber wieder und reiste durch Europa. Er hielt sich in England, Flandern und Frankreich auf und kehrte 1588 schließlich nach Italien zurück, um sich in der Gegend um Brescia niederzulassen.28

Dort ‚verwandelte‘ er in mehreren Vorführungen kleine Mengen Quecksilber in Gold. In den Berichten der Fugger überwog bis Dezember 1589 die Ansicht, die Kunst des Goldmachers sei für wahr zu halten. Im Gegensatz dazu ist Oswald Bauer davon überzeugt, dass Bragadino seine Erfolge durch einen Taschenspielertrick gelangen. In seinem Buch ‚Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem‘ erklärt er:

„Um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen, mussten Goldmacher Proben ihres Könnens geben, also Gold herstellen. Dabei gab es scharfe Beobachtungen und Sicherheitsvorkehrungen. Es war also nicht einfach, die Täuschungen durchzuführen. Der Betrüger musste bei der Probe unbemerkt Gold in den Schmelztiegel schmuggeln.“29

Die österreichische Historikerin Karin Figala ergänzt in ihrem ‚Lexikon einer hermetischen Wissenschaft‘: „Das Edelmetall konnte in einem doppelten Tiegelboden untergebracht, in ausgehöhlten Kohlen beziehungsweise einem hohlen Rührstab versteckt worden sein.“30 Eine Bestätigung für die Betrügereien des Goldmachers findet sich schließlich im Buch ‚Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem‘ von Oswald Bauer, in dem es heißt: „Eine Untersuchung einer Probe des Bragadino aus Brescia durch die venezianische Münze am 29. November 1589 ergab, dass das Gold in Wirklichkeit eine Legierung war, die aus drei Teilen Gold und einem Teil Silber bestand.“31,32

Zu seinem Glück wurde Bragadino im gleichen Zeitraum vom ‚Rat der Zehn‘ nach Venedig eingeladen, wohin ihn der Markgraf von Brescia auch mit Empfehlungen schickte. Zwischen Dezember 1589 und Ende März 1590 gab es nun (fast) jede Woche eine Nachricht aus Venedig, in der auch über den Goldmacher berichtet wurde – allerdings nicht mehr so ausführlich. In der italienischen Hafenstadt war Bragadino von einem großen Gefolge umgeben, wohnte in einer Villa und gab große Feste. Daneben stellte er zur Probe Gold aus Quecksilber her. Allerdings beschränkte er sich auf wenige, kleine Vorführungen. Dennoch verbreitete sich sein Ruf über Italien hinaus bis nach München an den Hof des Herzogs Wilhelm V. (1548-1626).

[...]


1 Herejk, Andreas, Psychische Hilfe finden und anwenden: Was Hilfesuchende am Psychomarkt wissen müssen, North Olmsted, 08.03.2021, S. 44.

2 Vgl. Ligenza, Daniella, Sir William Oscler, the “Father of Modern Medicine”, in: Barton Associates, 30.06.2015, siehe: https://www.bartonassociates.com/blog/sir-william-osler-the-father-of-modern-medicine, letzter Aufruf: 05.01.2020.

3 Vgl. Evans, Jennifer, Deutsche vertrauen der Pharmaindustrie, in: Pharmazeutische Zeitung. Die Zeitschrift der deutschen Apotheker, Politik & Wirtschaft, 28.03.2019, siehe: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/deutsche-vertrauen-der-pharmaindustrie/, letzter Aufruf: 05.01.2020; Umfrage: Wie groß ist das Vertrauen in die medizinische Forschung?, in: pharmaRELATIONS, 28.03.2019, siehe: https://www.pharma-relations.de/news/umfrage-grosses-vertrauen-in-die-medizinische-forschung, letzter Aufruf: 05.01.2020; Großes Interesse an unabhängigen Informationen, 16.06.2017, siehe: https://www.test.de/Umfrage-Medikamente-Stiftung-Warentest-5162975-0/, letzter Aufruf: 05.01.2020.

4 Egling, Peter Mehmet Cati, Alchemie. Was sie uns heute lehrt in: raum&zeit Ausgabe 179/2012.

5 Egling, Peter Mehmet Cati, Alchemie. Was sie uns heute lehrt in: raum&zeit Ausgabe 179/2012.

6 Vgl. Buntz, Herwig, Alchemie, in: Gerabek, Werner E. u.a. (Hrsg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin/ New York 2005, S. 30; Podbregar, Nadja, Innovative Pioniere. Alchemie als Basis moderner Wissenschaft, in: scinexx, 20.05.2016, siehe: https://www.scinexx.de/dossierartikel/innovative-pioniere/, letzter Aufruf: 05.01.2020; Anders, Jette, 33 Alchemistinnen. Die verborgene Seite einer alten Wissenschaft, Berlin 2016, S. 11

7 Vgl. Smith, Pamela H., Fürstenalchemie, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (Hrsg.), Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 140f.

8 Vgl. Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 22, 26.

9 Vgl. ebd., S. 26f.

10 Vgl. Burkhardt, Johannes, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517-1617, Stuttgart 2002, S. 150.

11 Vgl. Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011, S. 55, 59; Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 25, 55f.; Pauser, Josef, Scheutz, Martin, Winkelbauer, Thomas (Hrsg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, Wien/München 2004, S. 876; Schilling, Michael, Zwischen Mündlichkeit und Druck. Die Fuggerzeitungen, in: Roloff, Hans-Gert (Hrsg.), Chloe. Beihefte zum Daphnis, Band 25, Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit, Teil 2, Amsterdam 1997, S. 719.

12 Vgl. Schilling, Michael, Zwischen Mündlichkeit und Druck. Die Fuggerzeitungen, in: Roloff, Hans-Gert (Hrsg.), Chloe. Beihefte zum Daphnis, Band 25, Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit, Teil 2, Amsterdam 1997, S. 718f.; Stummvoll, Josef (Hrsg.), Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek, Teil 1, Wien 1968, S. 159f.; Pauser, Josef, Scheutz, Martin, Winkelbauer, Thomas (Hrsg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, Wien/München 2004, S. 875; Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 25f; Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011, S. 133.

13 Vgl. ebd., S. 61, 64, 68f.

14 Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011, S. 59.

15 Vgl. ebd.; ebd., S. 25; Pauser, Josef, Scheutz, Martin, Winkelbauer, Thomas (Hrsg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, Wien/München 2004, S. 878f.

16 Ebd., S. 879.

17 Schilling, Michael, Zwischen Mündlichkeit und Druck. Die Fuggerzeitungen, in: Roloff, Hans-Gert (Hrsg.), Chloe. Beihefte zum Daphnis, Band 25, Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit, Teil 2, Amsterdam 1997, S. 719.

18 Ebd., S. 725.

19 Vgl. ebd.

20 Vgl. Schmidt, Günter, Libelli famosi. Zur Bedeutung der Schmähschriften, Scheltbriefe, Schandgemälde und Pasquille in der deutschen Rechtsgeschichte, Köln 1985, S. 132; Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 19.

21 Schottenloher, Karl, Flugblatt und Zeitung. Ein Wegweiser durch das gedruckte Tagesschrifttum, Berlin 1922, S. 87.

22 Vgl. ebd., S. 88; Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 20.

23 Ebd., S. 24.

24 Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 20S. 24.

25 Vgl. ebd.

26 vgl. ebd., S. 22ff., 27.

27 Vgl. Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 104; Schmieder, Karl Christoph, Geschichte der Alchemie, Wiesbaden 2005, S. 263f; Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011, S. 255ff.; Striedinger, Ivo, Der Goldmacher Marco Bragadino. Archivkundliche Studie zur Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts, in: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Archivalische Zeitschrift, Beiheft 2, München 1928, S. 20.

28 Vgl. ebd., S. 49; Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 104; Figala, Karin, Bragadino, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (Hrsg.), Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 91f.; Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011, S. 255ff.

29 Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011, S. 257.

30 Figala, Karin, Goldmacherei, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (Hrsg.), Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 162.

31 Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568-1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem, Berlin 2011, S. 257.

32 Vgl. ebd., S. 255; Bauer, Oswald, Pasquille in den Fuggerzeitungen. Spott- und Schmähgedichte zwischen Polemik und Kritik (1568-1605), Böhlau 2008, S. 104.

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Details

Titel
Alchemie im Spiegel der Renaissance-Lyrik. Pasquille über die Goldmacher Marco Bragadino und Georg Honauer in den Fuggerzeitungen
Hochschule
Universität Leipzig  (Historisches Seminar)
Note
2,6
Autor
Jahr
2020
Seiten
49
Katalognummer
V1174615
ISBN (eBook)
9783346593016
ISBN (eBook)
9783346593016
ISBN (eBook)
9783346593016
ISBN (Buch)
9783346593023
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alchemie, Spiegel, Renaissance, Lyrik, Pasquille, Schmähgedichte, Spottgedichte, Gedichte, Vers, Reim, Goldmacher, Alchemist, Betrüger, betrügerisch, Marco Bragadino, Georg Honauer, Fuggerzeitungen, Fugger, Augsburg
Arbeit zitieren
Tobias Wagner (Autor:in), 2020, Alchemie im Spiegel der Renaissance-Lyrik. Pasquille über die Goldmacher Marco Bragadino und Georg Honauer in den Fuggerzeitungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1174615

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