Im traditionellen theoretischen Diskurs der Ethnologie wurde der Körper in der Vergangenheit vor allem als Basis gesehen, auf dem sich Kultur einschreibt und manifestiert, der Körper wurde als Objekt von Kultur und medizinischen Praktiken sowie als Opfer von Krankheit verstanden. Alle diese Vorstellungen implizieren die Idee vom Körper als eine passive und materielle Entität.
Seit den 1970er Jahren lässt sich jedoch ein Wandel verzeichnen, der das Forschungsfeld Körper durch viele verschiedene Ansätze und Theorien zu einer ganz neu zu betrachtenden komplexen Einheit erklärt. In diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen ist besonders das von Thomas Csordas eingeführte methodologische Paradigma des Embodiment, dessen Hauptanliegen es ist „(…) die konzeptuellen Dualitäten von Geist und Körper sowie von Subjekt und Objekt aufzuheben, d.h. als nicht getrennt zu betrachten.“ (Platz 2006: 10) Dieses Paradigma geht zurück auf die theoretischen Überlegungen des Philosophen Merleau- Ponty (1974) und des Ethnologen und Soziologen Bourdieu (1979, 1993). Es leitet eine neue Auseinandersetzung mit dem Thema Körper, Seele und Person ein, da es unser westliches Denken, traditionell beruhend auf dem cartesianischen Körper- Geist- Dualismus, hinterfragt und somit auch eine neue Perspektive in der ethnologischen Auseinandersetzung mit indigenen Konzepten aufzeigt. In diesem Kontext sei auch verwiesen auf die Leib- Seele, bzw. Körper- Seele Problematik, die von Margaret Lock treffend als „(…) difficulty of people both having and being bodies“ beschrieben wird. Ziel dieser Arbeit ist es anhand der Artikel von Conklin/ Morgan und McCallum aufzuzeigen, wie Konzepte von Person, Körperbilder und soziale Prozesse miteinander in Beziehung stehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Allgemeine Annäherung an die Kategorien Körper, Seele und Person
2.2. Konzepte von Körper, Seele und Person bei den Wari im Vergleich zur U.S.-amerikanischen Gesellschaft
2.3. Das Verschmelzen von Körper und Wissen bei den Cashinahua
2.4. Was hat das Wissen der Cashinahua mit unserem Verständnis von Gesundheit zu tun?
3. Schlussbemerkung
4. Bibliographie
Primärliteratur:
Sekundärliteratur:
Internetquellen:
1. Einleitung
In dieser Arbeit soll es darum gehen neue Ansätze in der Anthropologie des Körpers und in der medizinischen Ethnologie vorzustellen anhand zweier wissenschaftlicher Artikel, erschienen 1996 in den Magazinen Ethos und Medical Anthropology Quarterly, die veröffentlicht werden durch die American Anthropological Association. Diese beiden Artikel stehen im Kontext einer neuen Auseinandersetzung mit den Konzepten von Körper, Seele und Person in den indigenen Gesellschaften Amazoniens.
Im traditionellen theoretischen Diskurs der Ethnologie wurde der Körper in der Vergangenheit vor allem als Basis gesehen, auf dem sich Kultur einschreibt und manifestiert, der Körper wurde als Objekt von Kultur und medizinischen Praktiken sowie als Opfer von Krankheit verstanden. Alle diese Vorstellungen implizieren die Idee vom Körper als eine passive und materielle Entität.
Seit den 1970er Jahren lässt sich jedoch ein Wandel verzeichnen, der das Forschungsfeld Körper durch viele verschiedene Ansätze und Theorien zu einer ganz neu zu betrachtenden komplexen Einheit erklärt. In diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen ist besonders das von Thomas Csordas eingeführte methodologische Paradigma des Embodiment, dessen Hauptanliegen es ist „(…) die konzeptuellen Dualitäten von Geist und Körper sowie von Subjekt und Objekt aufzuheben, d.h. als nicht getrennt zu betrachten.“ (Platz 2006: 10) Dieses Paradigma geht zurück auf die theoretischen Überlegungen des Philosophen Merleau- Ponty (1974) und des Ethnologen und Soziologen Bourdieu (1979, 1993). Es leitet eine neue Auseinandersetzung mit dem Thema Körper, Seele und Person ein, da es unser westliches Denken, traditionell beruhend auf dem cartesianischen Körper- Geist- Dualismus, hinterfragt und somit auch eine neue Perspektive in der ethnologischen Auseinandersetzung mit indigenen Konzepten aufzeigt. In diesem Kontext sei auch verwiesen auf die Leib- Seele, bzw. Körper- Seele Problematik, die von Margaret Lock treffend als „(…) difficulty of people both having and being bodies“[1] beschrieben wird. Ziel dieser Arbeit ist es anhand der Artikel von Conklin/ Morgan[2] und McCallum[3] aufzuzeigen, wie Konzepte von Person, Körperbilder und soziale Prozesse miteinander in Beziehung stehen.
Bei dem ersten Artikel „Babies, Bodies and the Production of Personhood in North America and a Native Amazonian Society“ von Beth Conklin und Lynn Morgan handelt es sich um eine Analyse der sozialen Produktion von Körper und Persönlichkeit bei den Wari Indianern im Westen Brasiliens. Die beiden nordamerikanischen Professorinnen für Anthropologie untersuchen hier insbesondere, wer an der sozialen Produktion von Personen in der Wari- Gesellschaft beteiligt ist und welche Bedeutung die Körpersymbolik bezogen auf soziale Beziehungen hat. Die Konzepte und Denkmodelle werden hier in Kontrast zu denen in der U.S.- amerikanischen Gesellschaft dargestellt.
Der zweite Artikel, verfasst von Cecilia McCallum, behandelt die epistemologischen Grundlagen des Denkens der Cashinahua[4] und ihr Konzept von Körper und Wissen im Kontext einer medizinischen Anthropologie. Hierbei wird eine ganz neue Wertigkeit herausgearbeitet, die ein erneutes Auseinandersetzen mit grundlegenden Fragestellungen und Analysemethoden in der medizinischen Ethnologie fordert. Somit sind diese beiden Artikel fruchtbare Ausgangspunkte bei der Auseinandersetzung mit den Konzepten Körper, Seele und Person sowohl in indigenen Gesellschaften als auch in unserer eigenen Gesellschaft, womit wir beim Ausgangspunkt der Ethnologie wären, die ja bekanntlich anstrebt das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen zu finden: „Bei der Vermittlung unterschiedlicher Werte reflektieren wir immer unseren eigenen kulturellen Hintergrund, damit wir uns selbst aus der Perspektive anderer Gesellschaften verstehen lernen.“[5]
2. Hauptteil
2.1. Allgemeine Annäherung an die Kategorien Körper, Seele und Person
Generell betrachtet muss man feststellen, dass wenn man sich im Rahmen einer ethnologischen Untersuchung an Konzepte von Körper, Seele und Person annähern will, dies ganz automatisch auch eine Konfrontation und Auseinandersetzung mit eigenen Vorstellungen, Kategorien und Denkweisen bedeutet, die uns durch die jeweilige Gesellschaft, in der wir leben, prägen. Dieser Ausgangspunkt ist ganz entscheidend für die Ethnologie, die ja versucht stets eine emische Perspektive einzunehmen, sprich der Ethnologe muss sich von seinen eigenen kulturspezifischen Konzepten und Denkmustern befreien und sich öffnen für die Perspektive der jeweiligen zu untersuchenden Kultur und Gesellschaft.
„Wir setzen uns, im Bewusstsein der eigenen sozialen Prägung und kulturellen Identität, mit anderen Lebensentwürfen und Werten auseinander, ohne bei deren Erforschung die eigenen zum Maßstab der Beurteilung und Bewertung zu nehmen.“[6]
Auch wenn wir in einer zunehmend multikulturellen globalisierten und immer dichter vernetzten Welt leben, sind wir scheinbar doch immer gefangen darin auf Begriffe unserer eigenen Kultur zurückzugreifen und mit ihrer Hilfe die Erscheinungen des Fremden interptieren zu wollen. Dieses generelle Problem bei der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, Völkern oder Gesellschaften kommt in der Ethnologie besonders deutlich zum Tragen. Die Ethnologie symbolisiert somit die Problematik der Fremdheitsforschung schlechthin, mit anderen Worten: „[…]die ethnographische Situation in den verschiedenen Medien [ist] die Situation mensch-menschlicher Fremdheit par excellence.“[7]
Seit den 1970er Jahren besteht das Teilgebiet der Anthropologie des Körpers in der Ethnologie und obwohl ihr Untersuchungsgebiet indigene Gesellschaften darstellen, wurden und werden ethnographische Studien und Analysen oft von einem dualistischen Standpunkt ausgehend betrieben, wie er in unsere westlichen Hemisphäre vorherrschend ist. Zurückgehend auf das rationalistische Denken des französischen Philosophen Descartes wird die Dualität zwischen Materie und Geist übertragen auf Körper und Geist. Ausgehend von diesem Dualismus ergeben sich noch weitere Dualismen, die wir oft als selbstverständlich und damit gleichzeitig als normativ für andere Kulturen betrachten, wie z.B. Natur- Kultur, Subjekt- Objekt, Individuum- Gesellschaft. In den hier vorgestellten Aufsätzen wird ebendiese Tatsache, dass der cartesianische Dualismus scheinbar immer noch die ethnologische Auseinandersetzung mit dem Körper bestimmt, hinterfragt.
Diese dualistischen und binären Denkstrukturen auf andere Gesellschaften übertragen zu wollen ist wohl der grundlegendste Fehler jeder Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, weil sie einem eurozentristischen bzw. ethnozentristischen Blickwinkel entspringt, von dem aus jedes untersuchte Objekt notwendigerweise immer das Fremde, das Andere, das Minderwertige, das Unverständliche und das Periphere sein muss. Die Tatsache, dass diese westliche monolithische Logik im Zuge des Postkolonialismus und der Postmoderne aufgedeckt und kritisiert wurde, spiegelt sich auch in neueren Strömungen und Ansätzen der Ethnologie wieder, in denen genau diese methodologischen Ausgangspunkte zunehmend hinterfragt werden und gleichzeitig nach neuen Ansätzen gesucht wird, um die epistemologischen Grundlagen des Denkens anderer Völker besser zu verstehen.
Um noch einmal auf das Leib- Seele Problem zurückzukommen, soll kurz angemerkt werden, dass dieses allein ein Problem der europäischen Geistesgeschichte ist und in z.B. östlichen Philosophietraditionen ganz andere metaphysische Vorstellungen herrschen. Diesen Dualismus also als normativ zu denken, wie es in der Vergangenheit so häufig geschehen ist, entbehrt jeglicher Grundlage und kann schon gar nicht als Erklärung indigener Epistemologien gelten. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es sich bei dem Begriff „Person“, in Abgrenzung zu Termini wie „Selbst“ (bezieht sich auf die Tatsache des sich Selbst- Bewusstsein) und „Mensch“ (beinhaltet den biologischen Aspekt), um eine Bezeichnung handelt, die scheinbar nur im sozialen bzw. gesellschaftlichen Kontext existiert (McCall 1990: 12 ff.). Ohne soziales Umfeld gibt es keine Person, eine Person ist das, was andere über ein Individuum denken, die Attribute, die sie diesem Individuum zuschreiben („Er ist eine gute/ schlechte Person“= bedeutet: er ist gut/ schlecht in Relation zum gesellschaftlich- moralischen Norm- und Wertesystem).[8] Egal was die Gesellschaft einem Individuum jedoch für Attribute zuschreibt, es muss keinen Einfluss auf das konstante erfahrende Selbst haben, dieses bleibt unberührt von jeglichen Zuschreibungen, es existiert auch unabhängig von Fremdzuschreibungen:
“Persons are social beings, created and constituted, and found only in society. The person is a public construction, and no matter what identity is attributed to the individual as person, the experiencing self remains constant.” (McCall 1990: 12 ff.)
Um einen Zugang zum Thema Körper in indigenen Gesellschaften Amazoniens zu bekommen soll nun kurz auf die Theorie Viveiros de Castro’s eingegangen werden, der in diesem Zusammenhang vom indianischen Perspektivismus spricht. Diese Theorie der unterschiedlichen Betrachtungsweisen verdeutlicht uns die Tatsache, dass sich die Perspektive der Menschen auf natürliche Art und Weise unterscheidet von der anderer Lebewesen. Dies bedeutet, dass jedes Lebewesen im Prinzip in seiner eigenen Perspektive und Wahrnehmung gefangen ist. Das, was die Menschen z.B. als ein Tier wahrnehmen und als solches bezeichnen, nimmt sich ja selbst nicht als Tier, sondern vielleicht als Mensch war und betrachtet den Menschen dagegen vielleicht als Beute (-Tier). Dies leitet uns direkt über zum Multinaturalismus, der ebenfalls besagt, dass in der indianischen Vorstellung alle Lebewesen, vom selben Geist beseelt sind, sich nur in unterschiedlichen Körperhüllen befinden. Dies steht in Kontrast zum westlichen oder europäischen Denken, welches keineswegs eine geistige Kontinuität zwischen allen Wesen voraussetzt. Diese Theorien veranschaulichen ganz grundlegende Vorstellungen in der Wahrnehmung und in den Bedeutungssystemen indigener Völker im Amazonas. Sie sind bezeichnend für einen völlig anderen Blickwinkel dieser Menschen auf sich selbst, ihren Körper, den Begriff der Person und ihre Umwelt.
[...]
[1] Lock, Margaret 1993: Cultivating the Body: Anthropology and Epistemologies of Bodily Practice and Knowledge. In: Annual Review of Anthropology, Vol. 22, S. 136
[2] Conklin, Beth & Morgan, Lynn 1996: Babies, Bodies and the Production of Personhood in North America and a Native Amazonian Society. In: Ethos, Vol.24, No.4, S.657-694
[3] McCallum, Cecilia 1996: The Body That Knows: From Cashinahua Epistemology to a Medical Anthropology of Lowland South America. In: Medical Anthropology Quarterly, New Series, Vol.10, No. 3, S. 347-372
[4] Cashinahua [Kaxinawa] ist eine Fremdbezeichnung, die meistens von anderen Panoan spchenden Ethnien verwendet wird und als „Fledermausmenschen“ übersetzt werden kann (McCallum,Cecilia 2001: S.12). Die Eigenbezeichnung lautet Huni Kuin und bedeutet „Echte/ Wahre Menschen“
[5] Auszug aus den Ethischen Leitlinien des Instituts für Ethnologie der Universität Münster unter http://www.uni-muenster.de/Ethnologie/Institut/leitlinien.html (Stand: 29.11.2007)
[6] Auszug aus den Ethischen Leitlinien des Instituts für Ethnologie der Universität Münster unter http://www.uni-muenster.de/Ethnologie/Institut/leitlinien.html (Stand: 29.11.2007)
[7] Zitiert aus: Klaus R. Scherpe / Alexander Honold: Auf dem Papier sind Indianer weiß, im Ritual die Weißen farbig. Fremdheitsforschung in der Literaturwissenschaft. (http://www2.hu-berlin.de/literatur/projekte/fremdfor.htm Stand 5.2.2008)
[8] Die Autorin bezieht sich hier auf die Definition von Person nach McCall, Catherine 1990:Concepts of Person. An analysis of concepts of person, self and human being. Aldershot (Avebury)
- Arbeit zitieren
- Nathalie Solis Pérez (Autor:in), 2007, Neue Konzepte in der Anthropologie des Körpers und der medizinischen Ethnologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117503
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