Das Leben schreibt manchmal wunderbare Geschichten. Als Michail Gorbatschow am 11. März 1985 zum Generalsekretär der KPdSU gewählt wurde, sass Vladimir Gusinskij am Steuer eines inoffiziellen Taxis und ärgerte sich über die Ungerechtigkeit der Welt. Zur selben Zeit träumte der Mathematiker Boris Berezovskij in seinem Labor vom Nobelpreis, während Petr Aven am Institut für Systemanalyse ökonomische Forschung betrieb. Vladimir Vinogradov arbeitete als Ingenieur im Süden Russlands, Vladimir Potanin war ein unbedeutender Beamter im Aussenhandelsministerium und Aleksandr Smolenskij verdiente sich seinen Lebensunterhalt in einem Moskauer Bauunternehmen. Michail Chodorkovskij und Michail Fridman schliesslich waren noch Studenten, als Gorbatschow an die Macht kam. Ein Jahrzehnt später kontrollierten diese acht Männer einen Grossteil der russischen Wirtschaft und im Sommer 1996 spielten sie eine entscheidende Rolle bei der Wiederwahl Boris Jelzins zum russischen Präsidenten. In der Öffentlichkeit machte ein Gerücht die Runde, wonach die gesamte russische Politik von diesen acht Personen – den so genannten „Oligarchen“ – gesteuert wurde. Der Begriff „Oligarch“ erschien im postsowjetischen Russland erstmals 1993 in einer Analyse der regionalen Elite , ehe er 1995 auf die führenden Wirtschaftsvertreter des Landes übertragen wurde. In die politische Diskussion gelangte er im Dezember 1997, als der damalige Stellvertretende Ministerpräsident Boris Nemcov dem „oligarchischen Kapitalismus“ öffentlich den Kampf ansagte. Danach verlor der Begriff weitgehend an inhaltlicher Schärfe. Heiko Pleines definiert die „Oligarchen“ als „Unternehmer, die (1) für die russische Volkswirtschaft insgesamt von Bedeutung sind und (2) im Rahmen einer Symbiose mit der politischen Führung politische Entscheidungsprozesse in ihrem Interesse beeinflussen.“ In dieser Arbeit wird die Bezeichnung „Oligarch“ (ohne Anführungs- und Schlusszeichen) nur für die acht einleitend erwähnten Personen gelten. Diese Beschränkung fusst auf der Annahme, dass die Wahlkampfunterstützung Boris Jelzins – und insbesondere der politische Pakt, der ihr zugrunde lag – der entscheidende Faktor für die Herausbildung eines „oligarchischen Systems“ war.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Prolog – Erkenntnisse aus der Vergangenheit
- Das russische Unternehmertum vor 1917
- Der Ursprung des russischen Feindbildes „Unternehmer“
- Der Unternehmer als charakterloser Krämer
- Der Unternehmer als soziale Bedrohung
- Teil 1 – Raubtierkapitalismus
- Perestrojka und die ersten Jahre der Transformation
- Das Ende der Sowjetunion
- Historischer Umriss
- Gorbatschows wirtschaftliche Reformen
- Schattenwirtschaft und Korruption
- Der Aufstieg der Oligarchen
- Vladimir Vinogradov
- Aleksandr Smolenskij
- Michail Chodorkovskij
- Vladimir Gusinskij
- Boris Berezovskij
- Vladimir Potanin
- Michail Fridman
- Petr Aven
- Kinder der Perestrojka
- Die ersten Jahre der Transformation
- Jelzins Reformpolitik
- Verfassungskrise und Neuwahlen
- Die Entwicklung der Finanz-Industrie-Gruppen
- Der Griff nach der Macht
- Der Klub der Oligarchen
- Massenmedien als politische Waffe
- Das Loans-for-shares Programm
- Die ,,Neuen Russen“
- Die Männer mit dem Rubel
- Schluss mit dem Leben à la Lenin!
- Der Mann mit dem Rubel…
- Auf dünnem Eis
- Männer von Welt
- Teil 2 - Oligarchenkapitalismus
- Jelzins zweite Amtszeit
- Düstere Wolken über dem Kreml
- Die Semibankirščina und der „,Pakt von Davos“
- Die Rettung Jelzins
- Auf dem Höhepunkt der Macht
- Berezovskij und die „Familie“
- Verflechtungen mit dem Staat
- Der Bankenkrieg
- Das System kollabiert
- Ausblick: Die Oligarchen unter Putin
- Die,,Oligarchen“
- Experten-Ratings
- Das Bild vom allmächtigen (jüdischen) Oligarchen
- Das Bild vom schädlichen Oligarchen
- Geschäftsmann oder Politiker?
- Was den Oligarchen zum Oligarchen macht
- Die jüdischen Wurzeln der Oligarchen
- Die Angst geht um
- Rechtfertigungsversuche
- Die Oligarchen und ihr Ruf
- Ehrliche Schaffer anstatt kriminelle Ausbeuter
- Erbauer anstatt Blutsauger
- Eine Oligarchie in Russland?
- Team Tycoon
- Die Oligarchen über „Oligarchie“
- Die historische Rolle der Oligarchen
- Vladimir Potanin
- Boris Berezovskij
- Michail Chodorkovskij
- Aleksandr Smolenskij
- Vladimir Gusinskij
- Michail Fridman
- Petr Aven
- Vladimir Vinogradov
- Die Entstehung und der Aufstieg der Oligarchen im Kontext der Perestrojka und der frühen Transformationszeit
- Die wirtschaftliche und politische Macht der Oligarchen und ihre Beziehungen zum Staat
- Die Rolle der Oligarchen in der öffentlichen Wahrnehmung und in der russischen Politik
- Das Selbstverständnis der Oligarchen als Unternehmer und politische Akteure
- Die historische Bedeutung der Oligarchen für den russischen Transformationsprozess
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Lizentiatsarbeit befasst sich mit der Frage, wie sich die russischen Oligarchen in den 1990er Jahren selbst verstanden und wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellten. Die Arbeit analysiert die Selbstdarstellung der Oligarchen anhand von Selbstzeugnissen und untersucht, wie sie ihre Rolle im Kontext des russischen Transformationsprozesses sahen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil behandelt die Jahre 1985 bis 1995, in denen sich die Oligarchen im „Raubtierkapitalismus“ der Perestrojka und der frühen Transformationszeit bewähren mussten. Der zweite Teil ist der Phase von 1995 bis 1999 gewidmet, in der die Oligarchen den Zenit ihrer Macht erreichten.
Die ersten Kapitel der Arbeit stellen die Protagonisten vor und zeichnen die Geschichte ihres Aufstiegs nach. Es werden die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ihrer Karriere beleuchtet, sowie die Rolle der staatlichen Politik und die Bedeutung der Beziehungen zu den politischen Eliten.
Im ersten Teil der Arbeit wird der Aufstieg der Oligarchen im Kontext der Perestrojka und der frühen Transformationszeit beschrieben. Dabei werden die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen dieser Zeit beleuchtet, wie die Auflösung der Sowjetunion, die Einführung von Marktwirtschaft und die Entstehung einer neuen Elite.
Der zweite Teil der Arbeit konzentriert sich auf die Phase von 1995 bis 1999, in der die Oligarchen ihre größte Macht erlangten. Es werden die politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse dieser Zeit analysiert, sowie die Beziehungen der Oligarchen zu Präsident Jelzin und der „Familie“.
Die Arbeit untersucht auch die öffentliche Wahrnehmung der Oligarchen und die Debatten über ihre Rolle in der russischen Gesellschaft. Es werden die verschiedenen Bilder der Oligarchen analysiert, die in den Medien und in der öffentlichen Meinung verbreitet wurden.
Schlüsselwörter
Russische Oligarchen, Transformationsprozess, Raubtierkapitalismus, Oligarchenkapitalismus, Perestrojka, Jelzin, Putin, Selbstverständnis, Selbstdarstellung, Wirtschaftseliten, politische Macht, Medien, öffentliche Wahrnehmung, Russland, Geschichte, Wirtschaft, Politik.
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- lic. phil. Stefan Dörig (Author), 2006, Vom Raubritter zum politischen Unternehmer? - Selbstverständnis und Selbstdarstellung der russischen Oligarchen in den 1990er Jahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117560