Literacy-Erziehung im Kindergarten. Ein Definitionsansatz mit Praxisbeispielen


Akademische Arbeit, 2015

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitende Worte

Literacy-Erziehung: Eine Definition

Gesellschaftliche Relevanz

Der Erwerb von Literacy
Der Sprach- und Schriftspracherwerb
Emergent Literacy
Interesse an Büchern und Schrift
Erzähl- und Ausdrucksfähigkeit
Wortschatzerweiterung
Schriftkenntnisse
Phonologische Bewusstheit

Die besondere Bedeutung der Bilderbücher

Rahmenbedingungen für gute Literacy-Erziehung im Kindergarten
Kooperation mit Eltern
Raumgestaltung
Auswahl von Medien
Die pädagogische Fachkraft

Aktivitäten rund um Erzähl- Schrift und Sprachkultur
Themenwochen
Vernetzung mit örtlichen Einrichtungen
Lesepatenschaften
Papier schöpfen
Bücher selbst gestalten
Lesekisten
Bücherwurm
Geburtstagsgeschichten
Buchvorstellung

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitende Worte

„Ich lernte lesen auf Leibniz-Keksen und fütterte
die Lieblingspuppe mit warmer Großbuchstabensuppe.
Ich schrieb deinen Namen aus Russisch-Brot und aß dich auf. Aus Hungersnot.“ – La_Paula

In dieser Facharbeit geht es um einen der spannendsten und in meinen Augen wichtigsten Aspekte menschlicher Entwicklung – die Sprache. Präziser ausgedrückt geht es in der vorliegenden Arbeit um den Erwerb von Literacy, die ihre Wurzeln in der frühen Kindheit hat.

Literacy-Erziehung ist in unseren Breitengraden immer noch spärlich gesät, in Nordamerika und Kanada wird sie aber schon seit Beginn der 70er praktiziert. Grund dafür ist die mangelnde Kenntnis über den Umfang von Literacy-Erziehung und wie leicht sie sich in den Alltag integrieren lässt. Diese Hürde will ich mit meiner Facharbeit nehmen. Mit der vorliegenden Arbeit will ich die Kernelemente der Literacy-Erziehung aufzeigen und anhand praktischer Beispiele auf ihre Praxistauglichkeit überprüfen. Es geht mir in erster Linie darum aufzuzeigen, welche Chancen sich hinter einer gelebten Literacy-Erziehung verbergen und wie diese mit wenig Aufwand in den pädagogischen Alltag integriert werden können. Dabei kann ich nicht auf alle Teilbereiche von Literacy eingehen und somit stellt diese Arbeit nur einen detaillierten Überblick über die Gesamtheit Literacy dar.

Nachdem ich den Begriff der Literacy-Erziehung erläutert habe und auf den Erwerb der einzelnen Kompetenzbereiche im Zusammenhang mit Literacy eingegangen bin, möchte ich das Hauptaugenmerk auf die Bedeutung der Bilderbücher für den Erwerb von Literacy-Kompetenzen legen, anschließend die Raumgestaltung ins Auge fassen und abschließend einige Methoden anbringen, die sich in der Theorie erfolgreich erwiesen haben. So soll ein ganzheitlicher Eindruck über die Vermittlung von Literacy und den Nutzen den Kindergartenkinder (3-6 Jahre) daraus ziehen können, entstehen.

Literacy-Erziehung: Eine Definition

„Von seinen Eltern lernt man lieben, lachen, und laufen. Doch erst wenn man mit Büchern in Berührung kommt, entdeckt man, dass man Flügel hat.“ – Helen Hayes

Die Literacybewegung stammt aus dem angloamerikanischen Raum und lange Zeit gab es keine treffende Übersetzung für Literacy im Deutschen. Über Jahre hinweg wurde der Begriff mit „Literalität“ oder „Alphabetisierung“ gleichgesetzt und beschrieb damit etwa das „lesen und schreiben lernen“. Literacyerziehung ist aber viel mehr als das. Literacy umfasst natürlich lesen und schreiben, darüber hinaus aber auch den Umgang mit Medien wie Fernsehen, Film, Computer und Radio, vor allem aber das Vertraut werden im Umgang mit Büchern. Mit dem vermehrten Einzug in deutsche Kindertageseinrichtungen entstanden dann weitaus präzisere Definitionen, die den Begriff alle ähnlich konkretisieren. Martin R. Textor beispielsweise interpretiert Literacy folgendermaßen:

„Mit dem Begriff "Literacy" werden nicht nur die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens bezeichnet, sondern auch Text- und Sinnverständnis, Erfahrungen mit der Lese- und Erzählkultur der jeweiligen Gesellschaft, Vertrautheit mit Literatur und anderen schriftbezogenen Medien (inkl. Internet) sowie Kompetenzen im Umgang mit der Schriftsprache. Letztere ist abstrakter und umfasst einen reichhaltigeren Wortschatz, einen komplizierteren Satzbau und mehr Nebensätze als die gesprochene Sprache. Zudem ist die Schriftsprache "de-kontextualisiert" (unabhängig vom Kontext), d.h. Schreiber und Leser befinden sich in der Regel nicht in derselben Situation und können sich somit nicht miteinander austauschen. Deshalb muss der Schreiber den Text so verfassen, dass er für eine Person nachvollziehbar ist, die nur dessen Inhalt aufnimmt. So müssen z.B. bei Geschichten oder Märchen neben der Handlung auch die Personen, Räume und Situationen beschrieben werden, die eine Rolle spielen, damit der Text verständlich wird.“1

Nach Dr. Michaela Ulich versteht man unter Literacy mehr als die Grundfertigkeit des Lesens und Schreibens. Literacy „umfasst Kompetenzen wie Text- und Sinnverständnis, sprachliche Abstraktionsfähigkeit, Lesefreude, Vertrautheit mit Büchern, die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken, Vertrautheit mit Schriftsprache oder mit "literarischer" Sprache oder sogar Medienkompetenz.“2

Beide Ansätze vereinen letztlich dieselbe Aussage: Literacy ist ein komplexer Ansatz der dazu befähigt, sich in einer multimedialen Welt zurecht zu finden und Informationen aus unterschiedlichen Quellen in kurzer Zeit erfassen und verarbeiten zu können.

Gesellschaftliche Relevanz

„Beim Lesen lässt sich vortrefflich denken.“ – Leo Tolstoi

Spätestens seit den schlechten PISA Ergebnissen von 20003 wird vermehrt auf qualitativ hochwertige Bildung in Kindergärten und anderen Kindertageseinrichtungen gepocht. Dadurch sind vermehrt die sprachlichen Leistungen und die entsprechende Förderung in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Da schulisches Lernen vor allem sprachliches Lernen ist und die Wissensvermittlung in der Schule meist über sprachliche Informationen des Lehrers erfolgt ist es wichtig, dass die Kinder diese Informationen aufnehmen und verarbeiten können. Lesekompetenzen werden deshalb auch zunehmend als Schlüsselkompetenzen für alles weitere Lernen angesehen.

Als Konsequenz auf die schlechten Ergebnisse im nationalen Vergleich, haben in Kindertagesstätten vermehrt Sprachprogramme Einzug gehalten. „Gegenwärtig werden in vielen Einrichtungen ganzheitliche bzw. spezielle Sprachprogramme durchgeführt, wie z.B. das Würzburger Training […]. Das Literacy-Konzept aus dem anglo-amerikanischen Raum hingegen, welches als Sprachförderung im kommunikativen Alltag aufzufassen ist, bleibt in der deutschen Kindergartenpraxis bisher nahezu unberücksichtigt.“4

Für Pädagogen, die sich mit Literacy auseinandergesetzt haben, ist es demnach sehr verwunderlich, dass in so vielen deutschen Einrichtungen noch die programmorientierte Sprachförderung praktiziert wird, zumal unter anderem der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan ganz deutlich den Erwerb von Sprachkompetenzen als „komplexen und konstruktiven Prozess“5 benennt und auf die Wichtigkeit von Interaktion im Wechselgespräch hinweist. Derartige Prozesse lassen sich nicht durch das abhandeln festgelegter und allgemeingültiger Programme entwickeln, sondern müssen individuell, dialogisiert und im Lebensumfeld der Kinder entstehen. Diverse „Forschungsbefunde belegen, dass Kinder mit reichhaltigen Erfahrungen rund um die Buch-, Erzähl- und Schriftkultur, sogenannten Literacy-Erfahrungen, in der frühen Kindheit langfristig Entwicklungsvorteile sowohl im Bereich der Sprachkompetenz als auch beim Lesen und Schreiben besitzen.6

Im Rahmen der gesellschaftlichen Forderung nach sprachkompetenten Kindern ist demnach Literacy-Erziehung der Schlüssel zum Erfolg.

Der Erwerb von Literacy

„Lesen stärkt die Seele.“ - Voltaire

In der Einleitung und im Hinblick auf die gesellschaftliche Relevanz von Literacy-Erziehung habe ich bereits erwähnt, wie wichtig diese Erfahrungen sind. Doch was versteckt sich tatsächlich dahinter und wie erwerben Kinder diese wertvolle Kompetenz? Dieser Frage möchte ich in dem folgenden Punkt meiner Facharbeit nachgehen.

Der Sprach- und Schriftspracherwerb

„Der Spracherwerb umfasst die Lautbildung (Phonemik) und den Lautgebrauch (Phonologie), den Erwerb des Flexionssystems (Morphologie), den Erwerb von Satzstrukturen (Syntax), die Begriffsbildung sowie den Bedeutungserwerb (Semantik) und den Ausbau des Wortschatzes (Lexik), die Fähigkeit situationsangemessen und in geordneter Abstimmung zu kommunizieren (Pragmatik) und in Gesprächen zu erzählen (Diskursentwicklung).“7

Der Erwerb dieser komplexen Fähigkeiten ist niemals gänzlich abgeschlossen, dennoch ist es üblich, dass sich Literatur zum Spracherwerb hauptsächlich auf die Jahre eins bis drei bezieht. Dies geschieht nicht etwa aus dem Grund, dass sich die Sprache ab einem Alter von vier Jahren nicht mehr weiterentwickelt, sondern, dass sich die Kinder dann bereits die meisten Merkmale der Muttersprache angeeignet haben. Auf diese Leistungen in den ersten Kindheitsjahren muss jetzt alles andere aufbauen, unter anderem auch Literacy.

Die Nachfolgende Grafik soll einen Überblick über die Sprachentwicklung geben, die das Kind mit dem Eintritt in den Regelkindergarten bereits vollzogen hat und auf die Literacy-Erfahrungen aufbauen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten8

Die Wissenschaft ist sich derzeit noch nicht ganz einig, ob Kinder die Sprache fertig ausgebildet in sich Tragen und diese Stück für Stück zum Vorschein kommt oder ob sie sich durch die Sozialisation und im Dialog entwickelt wird. Ich sehe in beiden Kontroversen einen wahren Kern. Die Erfahrung in den letzten Jahren hat mir gezeigt, dass jedes Kind mit einer Form von Sprache auf die Welt kommt: Laute. Die Freude am Sprechen und der Verfeinerung der Sprache durch regen und wechselseitigen Kontakt muss sich jedoch erst noch entfalten. „Wie die Entwicklung insgesamt wird auch die Entwicklung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit durch positive Emotionen erleichtert. Je aufmerksamer die Erwachsenen, je vergnüglicher die Kommunikation und je interessanter die Erfahrungen für das Kind, umso positiver werden Begriffe und Spracherfahrungen gefühlsmäßig besetzt und entsprechend gespeichert. Sinn und Nutzen von Sprache können so unmittelbar erlebt werden und die Freude an der eigenen sprachlichen Mitteilung wächst.“9

Mit diesen Worten möchte ich die allgemeine Sprachentwicklung abschließen und das Augenmerk auf die Entwicklung von Schriftsprachkompetenzen legen. Entgegen der landläufigen Meinung entstehen diese schon lange vor dem Eintritt in die Schule.

„Lesen erlebt ein Kind ab Ende des ersten Lebensjahres oder früher, wenn es lesen in seinem Umfeld wahrnimmt. Schreiben beginnt, wenn es einen Stift halten kann. Es erlebt mit, wie ringsum geschrieben wird. Vielleicht gratuliert jemand zum ersten Geburtstag mit einer lustigen Karte, die dem Kind vorgelesen wird.“10

Um Missverständnissen vorzubeugen ist es wichtig, zu erwähnen dass es sich beim frühkindlichen Lesen und Schreiben natürlich nicht um das in der Schule erlernte Lesen und Schreiben handelt, sondern um eine ganz eigene Art der Welt- und Wissensaneignung. Kinder versuchen ihrer Umwelt stets Bedeutung zu verleihen und nutzen dabei immer wiederkehrende Zeichen oder Bilder. Das berühmteste Beispiel ist sicherlich das goldene M, welches über jeder McDonalds Filiale prangt und von Kindern auch in größter Entfernung noch wahrgenommen wird. Zu diesen ersten Zeichen gehören auch Logos von Lebensmitteln, Supermärkten oder Spielsachen. Kinder sehen oft viel genauer hin als Erwachsene und erkennen die kleinsten Unterschiede in den Zeichen, die sie umgeben. Auf die Feinheiten im Zusammenhang zwischen Schriftspracherwerb und Literacy-Erziehung möchte ich später noch einmal differenzierter eingehen. Abschließend zu sagen ist jedoch, dass im Gegensatz zum Spracherwerb, bei dem Kinder unabhängig vom sozialen oder kulturellen Umfeld, dieselbe Abfolge im Erwerb durchlaufen, der Schriftspracherwerb jedoch von Kind zu Kind sehr unterschiedlich ist und vor allem von ihrer soziokulturellen Umwelt abhängt.

Emergent Literacy

Unter Emergent Literacy versteht man die verschiedenen Stadien die ein Kind auf dem Weg zum Lesen und Schreiben noch vor Eintritt in die Schule durchläuft.11 In diesem Teil der Facharbeit möchte ich vor allem auf die Praxistauglichkeit und meine Klientel (Regelkindergartenkinder) eingehen, da er den Hauptteil meiner Arbeit ausmacht.

Interesse an Büchern und Schrift

Die ursprünglichste Form Informationen auszutauschen ist über die Stimme. Sprache ist ein Mittel zur Verständigung, sie ist die Fähigkeit sich anderen mitzuteilen. Damit man das gesprochene Wort festhalten kann, wurde die Schrift erfunden. Je früher Kinder erleben, dass die Schriftsprache ein ebenso wichtiges Mittel zur Kommunikation ist wie die Sprache selbst, desto eher werden sie sich für den Umgang mit Büchern interessieren. Dabei lernen Kinder vor allem am Modell, die erwachsenen Bezugspersonen geben durch ihre Nutzung von Büchern Anregungen zur Nachahmung.

Der einfachste Weg um Kindern ein Interesse an Büchern und Schrift zu vermitteln ist das Vorlesen von Geschichten. Beim Vorlesen verschmelzen die Zeichen im Buch und das gesprochene Wort des Vorlesers zu einer Einheit die dem Kind gleichermaßen eine neue und eine bereits bekannte Welt eröffnet. Beim gemeinsamen Vorlesen ist vor allem eins wichtig: „Freude an der Sache, relative Ruhe, Regelmäßigkeit, Dialog und Würdigung der Beiträge des Kindes.“12

[...]


1 (Textor, 2008)

2 (Ulich, 2005)

3 Vgl. (Stanat, et al., 2002)

4 (Kühn, 2015)

5 (Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, 2006)

6 (Kühn, 2015)

7 (Kühn, 2015)

8 Vgl. (Altenthan, 2013)

9 (Kühn, 2015)

10 (Rau, 2009)

11 Vgl. (Institute of Education Sciences, 2013)

12 (Rau, 2009)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Literacy-Erziehung im Kindergarten. Ein Definitionsansatz mit Praxisbeispielen
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V1175691
ISBN (eBook)
9783346595874
ISBN (Buch)
9783346595881
Sprache
Deutsch
Schlagworte
literacy, erziehung, sprachentwicklung, sprachförderung, kindergartenkinder, pisa
Arbeit zitieren
Irina Riederle (Autor:in), 2015, Literacy-Erziehung im Kindergarten. Ein Definitionsansatz mit Praxisbeispielen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1175691

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Literacy-Erziehung im Kindergarten. Ein Definitionsansatz mit Praxisbeispielen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden