Eurasische Landbrücke. Perspektiven und Herausforderungen des Schienengüterverkehrs zwischen Europa und Nordostasien


Diplomarbeit, 2007

123 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Problemstellung und Gang der Untersuchung

2. Handel und Güterverkehr zwischen Europa und Nordostasien

3. Seeschifffahrt über den Suezkanal als dominierender Transportweg für Güterverkehr zwischen Europa und Nordostasien
3.1. Systemeigenschaften der Seeschifffahrt
3.2. Entwicklungstendenzen der Containerschifffahrt auf der Relation Europa – Ostasien
3.3. Kosten und Qualität der Containerschifffahrt auf der Relation Europa – Ostasien
3.4. Problematik des Schiffsgrößenwachstums
3.5. Engpässe in Hafenfazilitäten und Hinterlandinfrastruktur als Bedrohung für Leistungsfähigkeit der Seeschifffahrt
3.6. Zusammenfassung

4. Landtransport als Alternative für Güterverkehr zwischen Europa und Nordostasien
4.1. Systemeigenschaften des Straßengüterverkehrs und seine Position im Verkehr zwischen Europa und Nordostasien
4.2. Verkehrsträgerspezifische Vorteile und Nachteile des Schienengüterverkehrs

5. Transsibirische Eisenbahn als Kernstück der euroasiatischen Landbrücke.
5.1. Historische Entwicklung der Transsibirischen Route
5.2. Situation im russischen Bahnsektor und auf der TSR vor der Reform des Eisenbahnsektors
5.3. Reform des Eisenbahnsektors in der Russischen Föderation
5.3.1. Hintergrund der Reform und einzelne Reformetappen
5.3.2. Bewertung und Aussichten der Reform
5.4. Wettbewerbsrelevante Aspekte
5.4.1. Wettbewerbsvorteile der TSR
5.4.1.1. Geografische Lage und Etablierungsgrad
5.4.1.2 Zeitfaktor
5.4.1.3 Durchlasskapazität
5.4.2. Aktuelle Probleme und Herausforderungen der TSR
5.4.2.1. Technische Voraussetzungen
5.4.2.1.1. Infrastruktur
5.4.2.1.1.1. Schienenweg und Bahnhöfe
5.4.2.1.1.2. Informationstechnologien und Telematik
5.4.2.1.2. Rollendes Material
5.4.2.1.3. Interoperabilität
5.4.2.1.3.1. Grundsätzliche Probleme
5.4.2.1.3.2. Lösungsansätze für Umspurungsproblematik
5.4.2.2. Qualität der Transitverkehre
5.4.2.2.1. Zuverlässigkeit und Sicherheit
5.4.2.2.2. Logistik
5.4.2.2.2.1 Logistikentwicklung
5.4.2.2.2.2. Leercontainerproblematik auf der TSR
5.4.2.3. Tarife
5.4.2.3.1. Besonderheiten des russischen Tarifsystems
5.4.2.3.2. Tarifentwicklung der letzten Jahre
5.4.2.3.3. Aktuelle Tarife und Kostenproblematik
5.4.2.4. Markt- und Wettbewerbssituation
5.4.2.4.1. Akteure auf der TSR
5.4.2.4.2. Engagement der Deutschen Bahn AG auf der TSR-Landbrücke
5.4.2.4.3. Diskriminierungsproblematik
5.4.2.4.4. Mängel der Gesetzgebung
5.4.2.5. Schnittstellen der TSR-Landbrücke
5.4.2.5.1. Zoll
5.4.2.5.2. Häfen
5.4.2.5.2.1. Organisationsstruktur und rechtliche Situation
5.4.2.5.2.2. Kosten
5.4.2.5.2.3. Kapazitäten
5.4.2.5.3. Seeverbindungen im Vor- und Nachlauf zur TSR

6. Perspektiven der Verlängerung der Transsibirischen Route
6.1. Verbindung mit der Transkoreanischen Eisenbahn
6.2. Verbindung mit Sachalin und von Sachalin mit Hokkaido
6.3. Verbindung über Tschukotka-Halbinsel mit Alaska und Errichtung eines Verkehrs-Gitternetzes im asiatischen Teil Russlands
6.4. Verlängerung der Breitspurverbindungen nach Zentraleuropa

7. Alternative Schienen- und Seewegprojekte und ihr Konkurrenzpotenzial gegenüber der Transsibirischen Route
7.1. Transport Corridor Europe Caucasus Central Asia
7.2. Trans-Chinesische Route
7.3. Nordostpassage

8. Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung1: Handelsvolumen zwischen Europa und Ostasien von bis 2008, in TEU

Abbildung 2: Handel zwischen EU-25 und den wichtigsten Regionen außerhalb der EU im Jahr 2004, gegliedert nach Verkehrszweigen, in Mio. EUR

Abbildung 3: Langfristige Wachstumsentwicklung von Bruttoinlands- produkt der asiatischen und europäischen Länder im Vergleich, in %

Abbildung 4: Das mit doppelstöckigen Containerzügen befahrbare Schienennetzwerk der USA

Abbildung 5: Transsibirische Eisenbahn

Abbildung 6: Entwicklung des Güterverkehrsaufkommens in der RSFSR bzw. RF von 1970 bis 2005, in Mrd. Tkm..

Abbildung 7: Modal split im russischen Güterverkehr im April 2007

Abbildung 8: Schienennetz der Russischen Föderation

Abbildung 9: Das vertikal vernetzte und mit anderen Verkehrsträgern integrierte Informations- und Steuerungssystem auf der Grundlage von SIRIUS

Abbildung 10: Wechseltrog-Transport-System (WTT)

Abbildung 11: Am Vierachsenprojekt partizipierende Länder und Verlauf der Strecke

Abbildung 12: Containerumschlag im Hafen Wostotschnij, im Transit- verkehr und insgesamt im Zeitraum von 1982 bis 2002

Abbildung 13: Alternative TKR-Verläufe auf der nordkoreanischen Seite und Ausgänge auf Schienennetze Russlands und Chinas

Abbildung 14: Projekt der Schienenverbindung von Festland, Sachalin und Hokkaido

Abbildung 15: Das «Gitternetz-Projekt» zur verkehrlichen Erschließung Russisch-Asiens

Abbildung 16: Breitspurabschnitte auf dem Territorium der zentral- europäischen Länder und Vorschläge zur Weiter- führung

Abbildung 17: Hauptkorridor TRACECA mit Ausgang auf TCR, langfristige Planung

Abbildung 18: TCR-Verbindung über die West-TSR nach Zentral- und Westeuropa..

Abbildung 19: Alternativverläufe einer auf TCR basierenden euroasiatischen Landbrücke

Abbildung 20: Routen der Nordostpassage

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Containerisierungsgrad im Hamburger Hafen, Anteil am Stückgut, in %.

Tabelle 2: Prognostizierte Zuwächse der Verkehrsleistungen (Tkm) zwischen ausgewählten Regionen, in %

Tabelle 3: Durchschnittliche Frachtsätze auf der Route Europa – Asien, in USD

Tabelle 4: Umschlagsentwicklung der 20 größten Containerseehäfen der Welt

Tabelle 5: Entwicklung des Transportaufkommens im Hamburger Hafen und bei der Hafenbahn

Tabelle 6: Straßendichte der potentiellen Länder der Landbrücke...17 Tabelle 7: Beitrag des Bahnsektors zu öffentlichen Haushalten vor der Bahnreform, in Mio. RUR

Tabelle 8: Vergleich der Streckenlänge und Fahrtdauer zwischen Südkorea und Finnland auf dem Seeweg und über die TSR-Landbrücke, inkl. Transshipments

Tabelle 9: Regelfahrtzeiten für Containerverkehre zwischen Russisch- Fernost und europäischen Ländern

Tabelle 10: Transit-Containerverkehr auf der TSR im Jahr 1981 und von 1999 bis 2006, in TEU

Tabelle 11: Containeraufkommen der fünf größten Hochseereedereien

Tabelle 12: Frachtraten der Jahre 2005 und 2006 für Transit zwischen Nachodka/Wostotschnij und der finnischen bzw. weißrussischen Grenze

Tabelle 13: Frachtraten für Transit zwischen Nachodka/Wostotschnij und Buslowskaja (finnische Grenze)

Tabelle 14: Umschlag der wichtigsten Containerhäfen der Ostsee mit Breitspuranschluß an die TSR im Jahr 2005

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Problemstellung und Gang der Untersuchung

Am 18. Juni 2007 werden Chef der Deutschen Bahn AG Hartmut Mehdorn und Präsident der AG Russische Eisenbahnen Wladimir Jakunin ein Joint Venture EurasiaRailLogistics ins Leben rufen. Eines der Hauptziele dieser Gesellschaft ist die Förderung der Schienengütertransporte zwischen den Ländern Nordostasiens und der Europäischen Union. Das Kernstück einer solchen Landbrücke soll die längste zusammenhängende Schienenstrecke der Welt werden, die russische Transsibirische Eisenbahn.

Die erste und bisher einzige durchgehende euroasiatische Schienenverbindung, welche beide Küsten des euroasiatischen Großkontinents verbindet, entstand 1901 und wurde 1916 endgültig in Betrieb genommen. Mit der bolschewistischen Revolution ein Jahr später kam allerdings die Isolation Sowjetrusslands und mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 die Teilung von Europa und Asien in rivalisierende Blöcke zustande, weiter verstärkt durch den Kalten Krieg. Dadurch wurde der freie Warenaustausch Jahrzehnte lang behindert und der Transit durch das sozialistische Kernland Eurasiens besonders schwierig.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und des sozialistischen Blocks, verbunden mit der Hinwendung der meisten dieser Länder zur Marktwirtschaft, bietet sich wieder die Möglichkeit der Integration des euroasiatischen Schienenverkehrs in das globale Verkehrssystem. Der Handel zwischen Europa und Nordostasien, insbesondere mit China, nahm in den letzten zwei Jahrzehnten stark zu. Dabei beherrscht der Seetransport über 90% des Güterverkehrs. Tatsächliche oder perspektivische Probleme der Hochseeschifffahrt, wie Kapazitätsengpässe in Hochseehäfen, technische Grenzen des Schiffsgrößenwachstums oder ökologische Auswirkungen des Seetransports fördern das Interesse der Verkehrswirtschaft und -wissenschaft an einer Schienenlandbrücke als Alternative zum Seegüterverkehr.

Die vorliegende Arbeit unternimmt einen Versuch der Analyse der aktuellen Situation und des Potentials des Schienengüterverkehrs zwischen Europa und Nordostasien (weiter im Text: NOA). Die Transsibirische Eisenbahn ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt die einzige durchgehende und funktionierende Schienenroute zwischen den beiden Küsten Eurasiens. In den letzten Jahren fanden auch schon Landbrückentransporte auf ihr statt, wenn auch in geringem Umfang. Deshalb fokussiert sich diese Arbeit auf die Transsibirische Route (weiter im Text: TSR) und beleuchtet die Vor- und Nachteile der Strecke sowie ihre Perspektiven und Herausforderungen. Alternative Brückenvarianten werden ebenfalls vorgestellt und nach ihrem Konkurrenzpotential gegenüber der TSR und dem Seeweg untersucht. Zur Klärung der Wettbewerbsfähigkeit einer Schienenlandbrücke gegenüber dem Seeverkehr stellt sich zunächst die Frage nach der Qualität und den Kosten der Verkehrsdienstleistung. Entscheidend sind außerdem technische Bedingungen und Kapazitätsgrenzen. Die Analyse ist ferner um Vor- und Nachlaufverbindungen bzw. Schnittstellen zu erweitern, aufgrund der Infrastrukturgebundenheit des Schienenverkehrs sowie der Notwendigkeit von Transshipments und Überquerungen administrativer Grenzen. Eine Darstellung und Analyse der Situation im euroasiatischen Hochseeverkehr erscheint zur Herausarbeitung der Wettbewerbsstärken und -schwächen ebenfalls notwendig.

Einleitend werden aktuelle Entwicklungen des Handels zwischen Europa und Asien sowie deren Auswirkungen auf den Güterverkehr beleuchtet. Im darauf folgenden Kapitel wird die Situation der Containerschifffahrt im euroasiatischen Güterverkehr vorgestellt. Es werden Systemeigenschaften des Verkehrsträgers, Qualität und Kosten der Verkehre sowie auch die Herausforderungen des Schiffsgrößenwachstums und die Hafen- und Hinterlandsituation beschrieben.

Im vierten Kapitel werden verkehrsträgerspezifische Vorteile und Nachteile der Landtransportmodi Straßen- und Schienengüterverkehr umrissen und die aktuelle Situation des Straßenverkehrs im euroasiatischen Landbrückentransport skizziert.

Das fünfte Kapitel bildet den Schwerpunkt der Arbeit und beschäftigt sich mit der Transsibirischen Route. Es wird zunächst die Geschichte der TSR skizziert sowie auf die Besonderheiten des sowjetischen bzw. russischen Bahnsektors und der TSR vor dem Jahr 2001 eingegangen. Dann wird die russische Bahnreform von 2001 geschildert und bewertet, mögliche Entwicklungsszenarien und Auswirkungen auf den Transitverkehr auf der TSR vorgestellt. Es folgt eine Darstellung und Analyse der als für den TSR- Transit relevant angesehenen Aspekte. Dabei wird nach einer Vorstellung objektiver Vorteile der Route insbesondere auf ihre Probleme und Herausforderungen eingegangen. Dazu gehören technische Voraussetzungen der Strecke, Qualität der Verkehrsleistungen, Transittarife, Marktsituation auf der TSR und ihre Schnittstellen.

Im sechsten Kapitel werden die aktuell diskutierten Projekte der TSR-Verlängerung vorgestellt und auf ihre Realisierbarkeit hin untersucht. Im Kapitel sieben wird die Wettbewerbsfähigkeit von drei wichtigen Korridoralternativen zu einer Landbrücke auf der TSR-Basis analysiert. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung ab.

2. Handel und Güterverkehr zwischen Europa und Nordostasien

Der Welthandel spiegelt die Entwicklung der Globalisierung. Diese zeichnet sich durch globale Arbeitsteilung, Mobilität des Kapitals und rasanten technologischen Fortschritt aus. Die Etablierung des Containers ermöglichte immense Kosteneinsparungen durch Rationalisierung des Hafenumschlags und Einführung logistischer Methoden. (Hautau, U., 2002, S.30) Der Containerverkehr ist zwischen 1980 im Durchschnitt jährlich um 9,5% gewachsen (Oldenburg, 2006, S.163). (s. Tabelle 1) Bis 2015 soll der weltweite Containerverkehr auf etwa 700 Mio. TEU oder rund das Zweifache von dem Umschlag des Jahres 2004 ansteigen (Jung, 2005, S.395). Angesichts des starken Wachstums musste die früher angenommene Elastizitätsbeziehung zwischen dem Wachstum der Weltproduktion und dem Anstieg des Welthandels während der 1990er Jahre von 1,5 auf 2,5 korrigiert werden (Hilmola und Szekely, 2006, S.6).

Tabelle 1: Containerisierungsgrad im Hamburger Hafen, Anteil am Stückgut, in %

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: HPA (2007).

Der Hauptgrund für diese rasante Entwicklung ist der Boom des containerisierten internationalen Handels Asiens. (Oldenburg, 2006, S.163) Seit den 1990ern ist es insbesondere das starke und anhaltende Wachstum Chinas, welches den Handel zwischen Europa und Ostasien dominiert (Meyrick, o.D. und ECMT, 2005 S.4). Die Entwicklung des Handelsvolumens zwischen Europa und Ostasien ist in der Abbildung 1 dargestellt. Rund 90% der Gütertonnage zwischen Europa und Ostasien werden per Hochseeschiff transportiert. (o.V., 2006d) Für die EU stehen Importe mit Asien wertmäßig auf der ersten Stelle und Exporte auf der zweiten. Auch wertmäßig dominiert der Seeverkehr, während der Schienenverkehr eine geringe Rolle spielt (Pongas, 2006, S.1,3,5). (s. Abbildung 2)

Abbildung 1: Handelsvolumen zwischen Europa und Zu Ostasien zählen hier neben den NOA-Ländern China, Japan und Südkorea: Hong Kong, Taiwan, Singapur, Malaysia, Filippinen, Indonesien, Thailand und Vietnam. *Prognose.

Quelle: Global Insight nach CI (2006a, S.5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Handel zwischen EU-25 und den wichtigsten Regionen außerhalb der EU im Jahr 2004, gegliedert nach Verkehrszweigen, in Mio. EUR

Quelle: Pongas (2006, S.1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der europäische Handel mit China wird weiter zunehmen, während der Handel mit der RK und Japan aufgrund der erwarteten weiteren Verlagerungen ihrer Industrieproduktion nach China und Südostasien weniger stark wachsen wird. Dabei ist eine Voraussage hinsichtlich der langfristigen weiteren Entwicklung des europäischen Handels mit NOA nicht ohne weiteres möglich, da das gesamte Welthandelssystem im Zuge der Globalisierung komplexer und volatiler geworden ist. (Clancy, 2006, S.40) So sagt eine Studie des finnischen Transportministeriums zwar das weitere Wachstum im Verkehr zwischen Europa und Asien für die nächsten 20 Jahren voraus, geht jedoch auch von einer allmählichen Umorientierung der Verkehrsströme von Asien auf Südamerika und Afrika aus, aufgrund erwarteter Kostensteigerungen in Ostasien. (Lautso et al., 2005, S.18)

Die größten Volkswirtschaften der Welt befinden sich weiterhin in Europa, Nordamerika und auf den japanischen Inseln. Jedoch holen einige Entwicklungsländer, allen voran China und Indien, auf. Es ist zu erwarten, dass asiatische Länder immer mehr Gewicht in der Weltwirtschaft und damit auch im Weltverkehr gewinnen werden (Hilmola und Szekely, 2006, S.7). (s. Abbildung 3) Im Hochseeverkehr ist dies bereits der Fall. Von den 20 größten Containerhäfen der Welt befinden sich 12 in Asien, sechs davon in China. Dagegen gehören lediglich vier europäische und drei US-Häfen dazu. (Hafen Hamburg Marketing, 2007a)

Abbildung 3: Langfristige Wachstumsentwicklung von Bruttoinlandsprodukt der asiatischen und europäischen Länder im Vergleich, in %

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Boeing (2006, S.73).

Laut einer AIRBUS-Prognose (2006, S.74, 76) werden die Relationen China – Nordamerika und China – Europa 2025 die zwei verkehrsaufkommensstärksten sein. (s. Tabelle 2) Allein der chinesische grenzüberschreitende Verkehr nahm über die letzten zehn Jahre mit durchschnittlich 9,6% p.a. zu.

Tabelle 2: Prognostizierte Zuwächse der Verkehrsleistungen (Tkm) zwischen ausgewählten Regionen, in %

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Airbus (2006, S.75).

Folgende Tendenzen werden den Verkehr zwischen der EU und NOA auch weiterhin bestimmen:

- das Voranschreiten der Globalisierung (zunehmende internationale Arbeitsteilung) führt zum Anstieg der interkontinentalen Verkehrsnachfrage,
- weitere Liberalisierung des Handels, bedingt insbesondere durch die Etablierung von WTO-Prinzipien, senkt die Schranken für den internationalen Verkehr und führt damit zur weiteren Reduzierung der Fahrtzeiten und Kosten im euroasiatischen Handel,
- technische und technologische Entwicklungen, insbesondere im Bereich der IT und Logistik, führen zu weiteren Zeitgewinnen und senken den Transportkostenanteil an Produktions- und Vertriebsprozessen. (Reser, 2004a, S.45, Hilmola und Szekely, 2006, S.34)
Bei den hohen und weiter steigenden Volumen des (v.a. westwärtigen) europäisch- nordostasiatischen Handels werden Qualität, Kosten und Leistungsfähigkeit des Transports immer bedeutender und die Adäquanz der Verkehrsinfrastruktur oft zu einem Engpass. Moderne Produktionsprozesse verlangen von dem Verkehr hohe Effizienz und Zuverlässigkeit bei niedrigen Kosten, wofür die Weiterentwicklung der Transportlogistik und Vorbeugung möglicher Engpässe unumgänglich sind. (Seidelmann, 2002, S.180f.)

3. Seeschifffahrt über Suezkanal als dominierender Transportweg für Güterverkehr zwischen Europa und Nordostasien

3.1. Systemeigenschaften der Seeschifffahrt

Die Seeschifffahrt zeichnet sich gegenüber anderen Verkehrsträgern durch technische und ökonomische Strukturmerkmale aus, welche sich sowohl positiv wie auch negativ auf seine Wettbewerbsfähigkeit auswirken. Als verkehrsträgerspezifische Vorteile lassen sich folgende Faktoren zusammenfassen:

- sehr hohe Massenleistungsfähigkeit aufgrund der geringeren Bindung an Verkehrswegeinfrastruktur,
- sehr niedrige Einzelkosten der Produktion, insbesondere bei großen Containerschiffen,
- keine Landesgrenzüberquerungen auf Hochsee,
- geringe Personalbindung. (Poehls, 2002, S.501, Aberle, 2000, S.246)

Zu verkehrsträgerspezifischen Nachteilen zählen:

- Abhängigkeit von Hafenfazilitäten, deren Aufbau und Unterhaltung erheblicher Mittel bedarf, insbesondere bei zunehmender Schiffsgröße in der Containerschifffahrt,
- niedrige Geschwindigkeit (ca. 24 Knoten (43,5 kmh, also 1044 km pro Tag) optimal für ein 8.000 TEU Containerschiff)1,
- Notwendigkeit der Vor- und Nachlaufverkehre mit anderen Verkehrsträgern,
- Abhängigkeit von Witterungsverhältnissen auf See,
- Hoher Grad der Umweltbelastung, insbesondere durch das in der Hochseeschifffahrt eingesetzte Bunkeröl,
- Piraterie- und Terrorismusgefahr in internationalen Gewässern (insbesondere auf der Route Europa – Ostasien),
- geringe Dichte der Seehäfen, nautische und infrastrukturelle Anforderungen an Hafeninfra- und Hafensuprastruktur. (Aberle, 2000, S.18f.,246, o.V., 2006e, Beddow, 2006c, S.62)

3.2. Entwicklungstendenzen der Containerschifffahrt auf der Relation Europa - Ostasien

Der Seegüterverkehr zwischen Ostasien und Europa existiert seit dem Entdeckungs- und Kolonialisierungszeitalter. Der Fortschritt in der maritimen Technik, die Rationalisierung des Hafenumschlags und die Etablierung logistischer Methoden (insbesondere infolge der sog. „Containerrevolution“ in den 1960er Jahren) führten zu erheblichen Zeit- und Kostenersparnissen beim Transport der Handelsgüter zwischen den zwei Kontinenten. (Hautau, U., 2002, S.30) Der Boom der Handelsverkehre mit Asien sowie deren hoher Conainerisierungsgrad führten zum Wachstum der Nachfrage nach Kapazitäten (Oldenburg, 2006, S.163). Die Abwesenheit der intermodalen Konkurrenz ließ die Hochseeschifffahrt 90% des Güterverkehrs zwischen Europa und Ostasien auf sich vereinen (o.V., 2006d).

Die horizontale und vertikale Integration auf dem Seeverkehrsmarkt hat erheblich zugenommen. Die größte Reederei, die Maersk Line, besitzt 14,75% der weltweiten TEU-Tonnage (Beddow, 2006f, S.51ff.). Neben den global carriers entstehen weltweite Umschlagskonzerne mit Aktivitäten in allen relevanten Hafenregionen (Suchtey, 2005, S.91). Es werden Leistungen entlang der gesamten Transportkette angeboten, was das logistische Potential des internationalen Seecontainerverkehrs weiter verstärkt und integrierte Preisgestaltung ermöglicht (Hautau, U., 2002, S. 102ff., 122ff.). So besitzt die A.P.Moeller-Maersk Gruppe nicht nur die größte Linienreederei der Welt sondern mit ihrem Tochterunternehmen APM-Terminals auch einen bedeutenden Terminaloperateur in Europa und Asien. (A.P.Moller-Maersk Group, 2007)

Die Route Europa-Ostasien ist nach der Nordatlantikroute die zweitgrößte der Welt. Das Wachstum der Nachfrage nach Containerstellplätzen vor allem im westwärtigen Verkehr führt zur Ausweitung des Angebots auf der Route. Von Mitte 2002 bis 2006 ist die Gesamtschiffskapazität auf der Route um 70% auf 12 Mio. TEU gewachsen. (Beddow, 2006c, S.62)

Nach dem Beitritt der MSC-Reederei im Oktober 2006 kontrolliert die Far Eastern Freight Conference (FEFC) über 70% des Containerverkehrs zwischen Europa und Ostasien (Beddow, 2006c, S.62). Eine Seeschifffartskonferenz hat einen kartellähnlichen Charakter und setzt u.a. Preise und Mengen fest. Zur Gewährleistung der Abwicklungssicherheit des internationalen Seeverkehrs wurde den Konferenzen auf der Grundlage der EU-Verordnung 4056/86 bislang eine Gruppenfreistellung gewährt. (Hautau, U., 2002, S.157ff.) Nach einer mehrjährigen Studie der Branche hat die Europäische Kommission im Dezember 2005 jedoch einen Vorschlag zur Aufhebung des kartellrechtlichen Ausnahmestatus der Konferenzen beschlossen (EU-Kommission, 2005). Die Kommission sowie die Verlader erwarten davon steigende Qualität und niedrigere Kosten im Hochseeverkehr, bedingt durch Wettbewerbszunahme (van der Jagt, 2007). Reedereien warnen vor einer ersatzlosen Auflösung alter Strukturen – nicht zuletzt angesichts des Weiterbestehens der Konferenzen in der übrigen Welt – und plädieren für die Einführung von Konsultierungsmechanismen in der Branche (Fossey, 2006b, S.32, Bourne, 2007, Beddow, 2007). Von Beobachtern wird ferner die Zunahme der Volatilität auf dem Seefrachtmarkt befürchtet sowie Streichung von Liniendiensten, Engpässe im Slotangebot und höhere Transaktionskosten infolge der Individualisierung von Vertragsabschlüssen (o.V., 2007b, S.43, Beddow, 2006a, S.50).

3.3. Kosten und Qualität der Containerschifffahrt auf der Relation Europa - Ostasien

Mit der Einführung des Containers fand eine Industrialisierung des Seegüterverkehrs und Güterumschlags statt. Dadurch sanken die Kosten des interkontinentalen Hochseetransports kontinuierlich. So bewirkte die Schiffsgrößensteigerung von 4.000 auf 6.000 TEU einen operativen Kostenvorteil pro Containerstellplatz von 20% (Hautau, H., 2000, S.6). Allerdings führt die sich durch Konferenzvereinbarungen auszeichnende Wettbewerbssituation auf dem Reedereimarkt dazu, dass Kostensenkungen nicht immer an die Verlader weitergegeben werden2 (Beddow, 2007, S.50f.). Die Frachtsätze auf der Europa-Asien-Relation zeichnen sich durch Volatilität aus. Einerseits sind sie abhängig von Angebot und Nachfrage nach Containerstellplätzen, andererseits von Faktoren wie die Situation auf dem Chartermarkt, die Entwicklung der Öl- und Containerpreise und die Sicherheitskosten. (CI, 2007a, Beddow, 2006f, S.55) Eine Vorhersage der Tarifentwicklung für die kommenden Jahre ist schwer zu treffen. Denn einerseits wird ein weiterhin starkes Wachstum der China-Verkehre erwartet, andererseits vor drohenden Überkapazitäten infolge beträchtlicher Bestellumfänge neuer Großschiffe gewarnt. Weitere Unsicherheitsfaktoren sind der Ölpreis3 und die Wettbewerbssituation in der Linienschifffahrt. (Beddow, 2006a, S.51)

Nach dem Verfall der Frachtraten für westwärtige Verkehre im Jahr 2005 steigen diese seit dem zweiten Quartal 2006 wieder an. (s. Tabelle 3) Dennoch lagen sie im vierten Quartal 2006 immer noch 10% unter den Frachtsätzen des vierten Quartals 2005 (CI, 2007b). Die FEFC bemüht sich, das Frachtsatzniveau im Laufe von 2007 deutlich zu erhöhen (um 400 USD/TEU allein in der ersten Jahreshälfte), u.a. durch Drosselung des Kapazitätsanstiegs bei erwarteter Auslastung des Schiffsraumes von über 90% in westwärtiger Richtung (o.V., 2007a, o.V., 2006h). Das Gefälle zwischen Frachtsätzen für west- und ostwärtige Europa-Asien-Verkehren ist bedeutend und liegt aktuell bei etwa 2:1, was auf die starke Unpaarigkeit der Verkehre auf dieser Relation zurückzuführen ist (CI, 2007b).

Tabelle 3: Durchschnittliche Frachtsätze auf der Route Europa – Asien, in USD

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

All-in-Rates, bestehend aus: Seefrachtrate, evtl. Zuschläge und THC. Quellen: CI (2007b) und CI (2006b).

Die Qualität der Verkehrsdienstleistungen der Containerschifffahrt ist durch die Etablierung und kontinuierliche Weiterentwicklung moderner logistischer Methoden sehr hoch. Dennoch wird in der Fachliteratur auf Probleme, insbesondere bei der Pünktlichkeit, hingewiesen. So sollen laut einer Studie von Drewry Shipping Consultants nur 57% der zwischen Dezember 2005 und April 2006 untersuchten Schiffe pünktlich gewesen sein, 31% hatten bis zu zwei, 12% mehr als drei Tage Verspätung. Es gibt ebenfalls Probleme mit der Dokumentation und bei den Fakturaverfahren (50% der Beschwerden seitens der Verlader) sowie mit der Zuverlässigkeit. (Cambon, 2006) Zwar wird von dem Verbot der Konferenzen in der EU erwartet, dass der Qualitätswettbewerb unter den Reedereien intensiviert wird (van der Jagt, 2007). Dennoch sind es nicht zuletzt Engpässe in Häfen und im Hafenhinterland, die sich negativ auf die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Leistungserbringung auswirken und dadurch die Qualität beeinträchtigen (Zapp, 2005, S.390). Ferner schränken technische und ökonomische Grenzen die Reedereien in ihrem Geschwindigkeitspotential ein. (s. Kap. 3.1.)

3.4. Problematik des Schiffsgrößenwachstums

Der weltweite Containerverkehr ist seit 1980 im Durchschnitt jährlich um 9,5% gewachsen (Oldenburg, 2006, S.163). Die Reedereien fangen dieses Wachstum durch kontinuierliche Größensteigerung ihrer Flotten auf. Waren vor knapp 40 Jahren 1.000 TEU Schiffe noch der Standard, hatten rund 50% der im Jahre 2005 bestellten Containerschiffe die Kapazität von über 6.000 TEU. (Thies, 2005, S.518) Die durchschnittliche Kapazität der Schiffe auf der Europa-Asien-Relation ist zwischen 2004 und 2006 um über 12% gewachsen (Beddow, 2006e, S.40). Das aktuell größte Containerschiff der Welt ist die Emma Maersk der Reederei Maersk Line mit schätzungsweise über 14.000 TEU (o.V., 2007b, S.43). Die Entwicklung der Schiffsgrößen hat die Prognosen der letzten Jahre stets übertroffen.

Das Schiffsgrößenwachstum der letzten Jahrzehnte führte zu erheblichen Kostensenkungen im Containerschiffsverkehr, bedingt durch sinkende operative Kosten pro Containerstellplatz. Gerade auf der Europa-Fernost-Route kommen die Vorteile durch die Ausnutzung der economies of scale aufgrund des günstigen Seezeit/Hafenzeit- Verhältnisses erheblich zur Geltung. (Poehls, 2002, S.501f.) Es ist zu erwarten, dass hier auch in Zukunft die größten der jeweils im Hochseeverkehr üblichen Containerschiffe eingesetzt werden.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Größenwachstum auf seine Grenzen stoßen wird – auch wenn man angesichts der voranschreitenden Weiterentwicklung der Technik keine definitive Prognose treffen kann. Es gibt physische und ökonomische Grenzen. Zu physischen Grenzen gehören zum einen technische Faktoren wie die Notwendigkeit einer zweiten Schiffsschraube ab etwa 12.500 TEU. (Thies, 2005, S.519) Zum anderen sind es nautische Beschränkungen, bedingt durch den größeren Tiefgang, welcher die Schiffe die meisten Häfen nicht mehr anlaufen lässt und die Tiefenrestriktionen der relevanten Passagen wie im Asienverkehr des Suezkanals (4.600 TEU) überschreitet. Eine weitere relevante Begrenzung ist die Stapelbarkeit der Container. Die Containerstapelung in zehn Lagen ist bislang die technische Obergrenze. (Poehls, 2002, S.502)

Die ökonomische Grenze des Schiffsgrößenwachstums trifft ein, wenn die zunehmende Größe nicht mehr in steigender Containerstellplatzproduktivität resultiert. Dies wird bedingt zum einen durch steigende Fixkosten und zunehmende Schwierigkeiten bei der Schiffsauslastung zu deren Deckung. (Müller und Schönknecht, 2005, S.376,379, Hackett, 2007) Zum anderen führen steigende Hafenkosten für Be- und Entladung, einschließlich der Umlaufverzögerungen aufgrund längerer Hafenliegezeiten, und die Verlängerung der Nach- und Vorlaufverkehre (Feeder, Schiene, LKW) zum Einnahmenausfall. (Hautau, H., 2000, S.7, Green, 2005, S.33f.) Die zunehmende Schiffsgröße führt ferner zu steigenden Versicherungskosten aufgrund höherer Risiken bei Havarien, zu höheren Transshipmentkosten und zur Notwendigkeit erheblicher Investitionen in Hafenkapazitäten. (Aberle, 2000, S.245f., Poehls, 2002, S.502) Die zunehmende Größe der Containerschiffe macht ferner die Optimierung der Koordination aller an der Transportkette Beteiligten unumgänglich (Zapp, 2007, S.106): Reedereien, Umschlaggesellschaften, Hafenbetreiber, Dienstleister anderer Verkehrsträger, verladender Wirtschaft und staatlicher Stellen.

Thies (2005, S.519) geht von etwa 12.500 TEU als technischer Grenze aus, Müller und Schönknecht (2005, S.379) sehen bereits bei über 8.000 TEU erhebliche Schwierigkeiten für die Kostendeckung. Andere Quellen gehen jedoch davon aus, dass gegen 2017 auch schon 18.000 TEU Schiffe gebaut werden (o.V., 2007b, S.43). Beddow (2006b) beschreibt das größentreibende Bestellverhalten der Reedereien der letzten Jahren als periodisch wiederkehrende Runden des „panic byings“. Diese werden jeweils durch den Vorstoß einer Reederei in die nächste Größendimension ausgelöst. Das traditionelle Bestreben der Konferenzreedereien, Angebot und Nachfrage auszugleichen, steht auch dahinter. (Beddow, 2006b)

3.5. Engpässe in Hafenfazilitäten und Hinterlandinfrastruktur als Bedrohung für die Leistungsfähigkeit der Seeschifffahrt

Die Hochseeschifffahrt ist von der Hafeninfra- und Hafensuprastruktur in großem Maße abhängig. Folgende Merkmale der Hafenfazilitäten sind für die Leistungsfähigkeit und Leistungsqualität der Seeschifffahrt relevant:

- technisch-ökonomische Leistungsfähigkeit der Hafenumschlagsanlagen,
- Qualität des seewärtigen Hafenzugangs und der Hafeninfrastruktur,
- verfügbare Lager- und Containerstellflächen,
- Erschließungsqualität des Hafens durch Hinterlandanbindungen, sowie deren Qualität,
- Schnelligkeit der administrativen Abwicklung,
- Loco-Gut-Potential des Hafenstandortes. (Aberle, 2000, S.248)

Bis 2015 soll die weltweite Containerflut auf etwa 700 Mio. TEU anschwellen, was etwa das Zweifache von dem Umschlag des Jahres 2004 darstellen wird. (Oldenburg, 2006, S.163, Jung, 2005, S.395) Die Häfen der europäisch-ostasiatischen Relation weisen hohe Containerumschlagszahlen auf. Unter den zehn größten Containerhäfen der Welt befinden sich sechs ostasiatische und zwei europäische Häfen. 12 ostasiatische und vier europäische Häfen sind unter den ersten 20. (s. Tabelle 4)

Tabelle 4: Umschlagsentwicklung der 20 größten Containerseehäfen der Welt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Hafen Hamburg Marketing (2007a).

Die Kapazitätssituation in den Häfen der europäischen Nordrange scheint zwar besser zu sein als z.B. in den US-amerikanischen Westküstenhäfen, welche 2004 enorme Überlastungsprobleme aufwiesen. (o.V., 2007b, S.43) Dennoch müssen erhebliche Investitionen zur Hafenmodernisierung und -erweiterung vorgenommen und neue Distributionsstrategien entwickelt werden, um mit dem zunehmenden Verkehr mithalten zu können. (Zapp, 2007, S.106, Uldall, 2006, S.10-12) Allein im Hamburger Hafen werden bis 2015 über3 Mrd. EUR von der öffentlichen Hand und von Umschlagsunternehmen investiert. (Oldenburg, 2006, S.164) Auch in Rotterdam, Antwerpen, Bremerhaven und Wilhelmshaven werden beträchtliche Investitionsvorhaben geplant oder bereits umgesetzt (Zapp, 2005, S.390).

Es wird erwartet, dass chinesische Häfen auch weiterhin den wachsenden Verkehr durch zügigen Aus- und Neubau werden bewältigen können (Francesetti, 2004, S.22-24). In Südkorea schlagen die Sorgen um den Mangel an Hafenkapazitäten mittlerweile in Befürchtungen der Überkapazitäten um (Woodbridge, 2006, S.79).

Es gibt Beobachter, die die Sorgen um den drohenden weltweiten Hafenkollaps für unbegründet halten. Dabei weisen sie auf bereits in Angriff genommene Großprojekte hin – in der Nordrange sind es vor allem die Maasvlakte II in Rotterdam und der Weser- Jade-Port in Niedersachsen. (Schwarz, 2002 S.170ff.) Hackett (2007) schreibt dazu:

„lack of clarity causes uncertainty and poor decision-making. Maybe we are worrying about the wrong things, or maybe we just like to worry. Either way, port congestion is not an imminent problem. And in the longer term, it might well not be a problem at all.“ Bei der Erweiterung und Modernisierung der Häfen dürfen die Hinterlandanbindungen an Straße, Schiene, Feeder- und Binnenschifffahrt nicht vernachlässigt werden, denn ein stockungsfreies Funktionieren eines Seehafens ist nur bei garantiert engpassfreien Vor- und Nachlaufverbindungen möglich (Zapp, 2005, S.390). Zwar gelten die deutschen Seehäfen Hamburg und Bremerhaven aufgrund ihrer relativ guten Anbindung an das Schienennetz als „Bahnhäfen“. Jedoch benötigen auch sie Erweiterungs- und Neuinvestitionen in ihre Hinterlandinfrastruktur. (Schwarz, 2002 S.170) So hat sich das Containertransportaufkommen der Hafenbahn zwischen 1990 und 2006 mehr als verdreifacht. (s. Tabelle 5) Anders als im Bereich der Hafenfazilitäten wird die Überlastung der chinesischen Hinterlandinfrastruktur zunehmend offenkundig, insbesondere aufgrund der unzureichenden Entwicklung der Schienen- und Straßennetze (Olesen, 2007).

Tabelle 5: Entwicklung des Transportaufkommens im Hamburger Hafen und bei der Hafenbahn

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quellen: HPA, 2007 und Hafen Hamburg Marketing (2007b).

Die Entwicklung der Hafenfazilitäten und der Hinterlandinfrastruktur in Europa und Nordostasien wird durch folgende Faktoren behindert:

- Mangel am Bauland aufgrund der städtischen Lage vieler Seehäfen,
- hoher zeitlicher Vorlauf für Infrastrukturmaßnahmen in der EU,
- restriktive Umweltauflagen in der EU,
- eingeschränkte finanzielle Ressourcen der öffentlichen Hand als wichtigsten Investors in europäischen und asiatischen Häfen.

(Green, 2005, S.34, Suchtey, 2005, S.92, Oldenburg, 2006, S.163)

3.6. Zusammenfassung

Die Seeschifffahrt zwischen Europa und Ostasien ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Neben den externen Faktoren wie die ökonomische Öffnung Chinas ist diese Entwicklung auf die Einführung logistischer Methoden und die Schiffsgrößenentwicklung infolge der Containerisierung zurückzuführen. Die Qualität der Verkehre ist hoch und Frachtraten niedrig, obwohl die Hochseeschifffahrt bisher durch kartellähnliche Seeschifffahrtskonferenzen dominiert wird. Mit dem anstehenden Verbot von Konferenzen in der EU werden Erwartungen auf weitere Qualitätssteigerungen und Kostenrückgang verbunden. Prognosen gehen deshalb von einem weiteren Anstieg des Verkehrsvolumens aus. Es werden Engpässe im Bereich der Hafeninfra- und Hafensuprastruktur sowie bei den Hinterlandanbindungen befürchtet. Mit ausreichenden und rechtzeitigen Investitionen ist es allerdings möglich, diesen Risiken wirksam zu begegnen. Das starke Wachstum und die überdurchschnittlichen Gewinnmargen machen diesen Wirtschaftssektor attraktiv für private und öffentliche Investitionstätigkeit (Uldall, 2006, S.4f.).

Die Kostenentwicklung des Seeverkehrs zwischen Europa und NOA für die verladende Wirtschaft wird zum einen durch die Wettbewerbssituation in der Branche und zum anderen durch Faktoren wie die Entwicklung der Bunkerölpreise und der Sicherheitskosten bestimmt. Die Schiffsvergrößerung als die treibende Kraft hinter den Kostensenkungen im Containerseeverkehr wird in naher Zukunft auf ihre objektiven technischen und ökonomischen Grenzen gestoßen sein.

4. Landtransport als Alternative für Güterverkehr zwischen Europa und Nordostasien

Vor der Etablierung des Seegüterverkehrs als dominierender Verkehrsträger im Handel zwischen Europa und Nordostasien im 16. Jahrhundert war der Landweg die alternativlose Verbindung beider Kontinente. In diesem Kapitel werden die objektiven Systemeigenschaften der beiden landgebunden Verkehrsträger – Straße und Schiene – vorgestellt und die aktuelle Entwicklungen des Straßenverkehrs im euroasiatischen Landbrückenverkehr skizziert.

4.1. Systemeigenschaften des Straßengüterverkehrs und seine Position im Verkehr zwischen Europa und Nordostasien

Der Straßengüterverkehr ist grundsätzlich wettbewerbsfähig auf kurzer Strecke, nach Aberle (2000, S.231) bis 400 - 500 km, bedingt insbesondere durch seine Eigenschaften Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Schnelligkeit und Einbindungsfähigkeit in IT- Systeme. (Aberle, 2000, S.59) Die Leistungsflexibilität dieses Verkehrsträgers im „Tür- zu-Tür“-Verkehr führt dazu, dass er auch von Anbietern der Schienen- und Seegüterverkehrsleistungen im Vorlauf- und Nachlaufverkehr genutzt wird. Die Zunahme der Bedeutung moderner logistischer Konzepte (Logistikeffekt) begünstigt den Straßengüterverkehr ebenfalls, da er beim Vorhandensein eines hinreichend ausgebildeten Straßennetzes aufgrund einer differenzierten Fahrzeugstruktur die modernen Marktanforderungen am besten erfüllt. (Aberle, 2000, S.88, 230,231)

Die Leistungsfähigkeit des Straßengüterverkehrs ist unmittelbar abhängig von der Dichte und Qualität der Straßeninfrastruktur. Während in West- und Zentraleuropa die Straßendichte sowie deren Qualität hoch sind, sind diese in Osteuropa und insbesondere im asiatischen Teil Russlands, in Zentralasien und China niedrig. (Abelmann und Doborjginidze, 2005, S.62, Olesen, 2007) (s. Tabelle 6) Dennoch gibt es Bemühungen, den Straßenverkehr in der Region zu stärken, nicht zuletzt im Hinblick auf den euroasiatischen Güterverkehr. Die regionalen Wirtschaftskommissionen der UNO, die UNECE (seit 1975) und die UNESCAP (seit 1959) entwickeln Projekte für die Errichtung internationaler Straßennetze in Europa und Asien, welche miteinander verbunden werden sollen und u.a. zur Förderung des euroasiatischen Handels und Verkehrs beitragen sollen. (Ischetschkin, 2005) Angesichts der mangelnden Kooperation der asiatischen Länder sowie des schlechten gegenwärtigen Zustandes der Straßen ist es allerdings zu bezweifeln, dass es in absehbarer Zeit ein mit dem europäischen vergleichbares Netzwerk entstehen wird.

Tabelle 6: Straßendichte der potentiellen Länder der Landbrücke

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Welt in Zahlen (2007).

Im Oktober 2005 führte die Internationale Straßenverkehrsunion (IRU) eine Karawane zwischen Peking und Brüssel durch. Sie bestand aus sechs LKW und fuhr die Strecke von 12.000 km in Rekordzeit von 10 Tagen. Von der IRU wurden die Kosten des Transports auf etwa 5000 USD pro 20’ Container beziffert. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass es sich dabei um eine Sonderfahrt mit politisch initiierten Ausnahmeregelungen handelte. Routinekontrollen an den Grenzen vieler der durchquerten 35 Staaten wurden ausgesetzt und einige Länder (v.a. Kasachstan) haben den Treibstoff für die Karawane von Abgaben befreit. (Truttmann, 2005)

Seit 1978 wird versucht, parallel zur Transsibirischen Eisenbahn eine leistungsfähige Straßenverbindung zu bauen. Die symbolische Eröffnung der Magistrale fand zwar im März 2004 statt, jedoch sind weite Abschnitte nicht befahrbar und die Qualität vieler neu gebauter Abschnitte ist sehr niedrig. (Brodin, 2005, S.107)

4.2. Verkehrsträgerspezifische Vorteile und Nachteile des Schienengüterverkehrs

Der Verkehrsträger Schiene zeichnet sich durch relativ hohe fixe Infrastruktur- und Instandhaltungskosten sowie niedrige variable Betriebskosten aus. Auf den Strecken über 500 km hat die Schiene einen (gesamtwirtschaftlichen) Kostenvorteil vor der Straße. (Aberle, 2000, S.231) Sie gewinnt gegenüber dem Straßenverkehr auch dann, wenn die Qualität der Straßen niedrig ist.

Die Schiene zeichnet sich gegenüber dem See-, Straßen- und Luftgüterverkehr nicht zuletzt durch ihre hohe Umweltfreundlichkeit aus. (Rothengatter, 2002, S.34, Lewin, 2003) Dieser Aspekt begründet auch zum großen Teil die aktuelle Politik der europäischen Länder und der EU-Kommission, die eine stärkere Verlagerung der Gütertransporte auf die Schiene fördern (Höltgen, 1999, S.540, 545).

Als weitere systemspezifische Vorteile der Schiene werden gesehen:

- Möglichkeit der Massentransporte sowie hohe Durchlasskapazität der Schieneninfrastruktur,
- Schnelligkeit,
- hohe Geschwindigkeit der Verkehre (v.a. bei Ganz- und Direktzügen) und i.d.R. kürzerer Verkehrsweg verglichen mit Seetransport,
- Regelmäßigkeit der Verkehre unabhängig von klimatischen und saisonalen Bedingungen,
- hohe Pünktlichkeit bedingt durch Fahrplan- und Fahrtrassenbindung,
- Einsatz moderner IT und Telematik,
- hohe Sicherheit der Transporte. (Aberle, 2000, S.508f., Lewin, 2003)

Dagegen gehören zu systemspezifischen Nachteilen:

- begrenzte Tür-zu-Tür-Beförderungsmöglichkeiten, die das kosten- und zeitintensive Transshipment notwendig machen,
- Bindung an Fahrpläne und Zugläufe,
- weitgehende Batch-Produktion (keine kontinuierliche Variation des Produktionsumfangs möglich),
- Senkung der Beförderungsgeschwindigkeit aufgrund notwendiger Rangierleistungen und des Vorrangs für Personenverkehr,
- Zusammenarbeit mit ausländischen Bahnen im internationalen Verkehr notwendig,
- Spezialkontrollen bei der Grenzabfertigung. (Aberle, 2000, S.509)

Gerade angesichts der Kostenvorteile der Schiene auf großen Entfernungen ist dieser Verkehrsmodus als Landbrückenträger interessant. Unter einer Landbrücke wird eine durchgehende Schienenverbindung zwischen den Küsten eines Kontinents verstanden. In den USA und Kanada existieren solche Landbrücken bereits. (s. Abbildung 4) Die hohe Geschwindigkeit, Klimaunabhängigkeit und Sicherheit der Schienentransporte verleiht der Schiene Wettbewerbsvorteil im Kernland des eurasischen Großkontinents, mit seiner schlechten Straßeninfrastruktur und den teilweise extremen klimatischen Bedingungen. Der Seeverkehr ist auf Routen um die südliche Küste Eurasiens angewiesen, während die Bahn den direkteren Weg nehmen kann.

Abbildung 4: Das mit doppelstöckigen Containerzügen befahrbare Schienennetzwerk der USA

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Slack (1994) nach Hautau, U. (2002, S. 89).

Allerdings setzen die Systemeigenschaften des Schienenverkehrs laut Aberle (2000, S.84) „den Möglichkeiten, individuelle logistische Leistungspakete für Kunden der produzierenden und handeltreibenden Wirtschaft zu entwickeln, relativ enge Grenzen.“

5. Transsibirische Eisenbahn als Kernstück der euroasiatischen Landbrücke

Die Transsibirische Route ist der einzige Schienenkorridor, der schon seit über einem Jahrhundert in Betrieb ist und auf deren Grundlage bereits jetzt Landbrückenverkehr stattfindet. In diesem Kapitel wird die Entwicklung der TSR sowie deren Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Seeweg und aktuelle Herausforderungen vorgestellt. Die wichtigsten Alternativkorridore und ihr Wettbewerbspotential zur TSR werden im Kapitel 7. besprochen.

5.1. Historische Entwicklung der Transsibirischen Route

Mit dem Bau der TSR wurde 1891 begonnen und bereits 1901 ging der „Große Sibirische Weg“ offiziell in Betrieb. Die letzte Lücke jedoch – der Schienenumweg um den Baikalsee – wurde erst Ende 1905 geschlossen. Die TSR wurde damit die erste durchgehende Verkehrsverbindung zwischen europäischem Teil Russlands und dem

Russisch-Fernost.4 (Gorjanin, 2005, S.103-107) (s. Abbildung 5) Der Bau der TSR wurde vom Staat finanziert und wie das gesamte Schienennetz des Russischen Reiches mit der Spurbreite von 1520 mm gebaut. (Albert und Kulke-Fiedler, 2004, S.301f.) Zunächst verlief eine rund 2000 km lange Strecke von Tschita bis Wladiwostok durch die die chinesische Mantschurei. Der Verlust des russischen Einflusses in Nordchina zwang das Reich einen längeren Umweg (Amur-Linie) auf dem russischen Gebiet zu bauen, welche 1916 fertig war. Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn diente insbesondere der militärischen Sicherung des asiatischen Teils des Reiches, der landwirtschaftlichen und industriellen Erschließung Sibiriens sowie Förderung der Besiedlung der Region. (Loliopoulou et al., 2005, S.47-49)

Abbildung 5: Transibirische Eisenbahn

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Sigatschow und Bonacker (2000).

Während der beiden Weltkriege spielte die Eisenbahnlinie eine wichtige Rolle bei den Lieferungen der Waffen und Vorräte aus den verbündeten USA (Loliopoulou et al., 2005, S.49). Bedeutend war ihr Beitrag zur Industrialisierung des Landes während der

Sowjetzeit, sie wurde zum Transportrückgrad neuer leistungsstarker Industrie- und Rohstoffkomplexe im Uralgebiet, in West- und Ostsibirien (v.a. Kusbass) und in der Fernostregion. In den 1930ern wurde der Bau der Baikal-Amur-Route (BAM) von Taischet bis Sowetskaja Gawan an der Tartar-Strasse begonnen. Mehrere weitere Abzweigungen wurden gebaut, die dem Anschluss an die Rohstoffvorkommen der Region dienen sollten (Reser, 2004a, S.8f.). (s. Anlagen 2 und 3)

Nach dem Zerfall der UdSSR wurde 1992 ein modernes Steuerungssystem installiert sowie 2002 die Elektrifizierung der gesamten TSR vollendet. Die BAM (4.234 km) wurde 2003 zu Ende gebaut. (Reser, 2004a, S.85, Borchert, 2006, S.36) Die TSR ist auf ihrem ganzen Verlauf zweigleisig, mit der Ausnahme der 8,5 km langen Amurbrücke (Albert und Kulke-Fiedler, 2004, S.307). Die TSR ist weiterhin eine wichtige Verkehrsarterie für Rohstofftransporte und für die Industrie russischen Asiens. Sie ist auch die Hauptverkehrsader für die über 26 Mio. Einwohner Sibiriens und der Fernost- Region (Winokur, 2003, S.65-73).

Insgesamt beträgt die Länge der TSR von Moskau bis Wladiwostok 9300 km. Etwa 100 km der TSR-Gesamtstrecke gehen durch Kasachstan, mit dem diesbezüglich ein Sonderabkommen abgeschlossen ist. (Leontjew, 2000, S.56) Die Öffnung der russischen Wirtschaft und der Wunsch des neuen Russlands nach dem Anschluss an die Globalisierung stellt das Verkehrsnetz des Landes in eine vollkommen neue Situation. Der TSR als der längsten Schienenverbindung der Welt kann dabei eine wichtige Rolle im euroasiatischen Verkehr zukommen.

5.2. Situation im russischen Bahnsektor und auf der TSR vor der Reform des Eisenbahnsektors

Der Schienengüterverkehr in der UdSSR zeichnete sich durch eine Reihe wirtschaftssystembedingter Merkmale aus. Zum einen führte die Ausschaltung des Preismechanismus zur mangelnden Effizienz des gesamten Transportsektors. Tarife und Kostenverrechnungsmethoden hatten die Funktion der Ressourcen- und Einkommensverteilung innerhalb des planwirtschaftlichen Systems. (Carbajo und Fries, 1999, S.407, 418, Filina, 2003, S.120) Dabei war das Bahnmanagement meist an der Plan(über)erfüllung durch Steigerung gefahrener Mengen, i.d.R. Massengüter für die Wirtschaft, nicht hingegen an der Qualität der Transporte interessiert (Filina, 2005, S.82, Leontjew, 2000, S.22). Es herrschte eine „Bevorratungsmentalität“ vor,

logistische Methoden kamen nicht zur Anwendung (Abelmann und Doborjginidze, 2005, S.35). Zum anderen war die forcierte Industrialisierung von starker Zentralisierung und Integration der Produktionsstandorte gekennzeichnet und führte dadurch zu künstlich hohem Bedarf am Gütertransport, insbesondere auf der Schiene (Brodin, 2005, S.102). Die Transportintensität der Produktion war 1988 in der UdSSR fast fünf Mal so hoch wie in den USA und etwa 15 Mal so groß wie in der damaligen EU (Carbajo und Fries, 1999, S.412). Hier liegt auch der hohe Modal-Split-Anteil der Bahn in Russland begründet. (s. Abbildungen 6 und 7) Das dritte wichtige Merkmal war die Vernachlässigung der Passagiertransporte gegenüber dem Güterverkehr. (Laurila, 2002, S.19)

Abbildung 6: Entwicklung des Güterverkehrsaufkommens in der RSFSR bzw. RF von 1970 bis 2005, in Mrd. Tkm

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Föderaler Statistikdienst (2007b).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Modal split im russischen Güterverkehr im April 2007

Das Potential der TSR als euroasiatische Containerlandbrücke wurde von der sowjetischen Regierung bereits Ende der 1960er Jahre erkannt (Leontjew, 2000, S.40f., 97f.). Der Transithöhepunkt fiel auf 1981 und betrug 140.000 TEU, es handelte sich dabei hauptsächlich um japanische Lieferungen nach Europa. 1985 fuhren die ersten Containerganzzüge, 1991 entstand die erste regelmäßige Seeverbindung zwischen Wostotschnij und Busan. Ab dem Jahr 2000 gibt es eine Verbindung zwischen Wostotschnij und Shanghai. (Tsuji, 2005b, S.17)

Mit der wirtschaftlichen Transformation veränderte sich die Situation im gesamten Verkehrssektor und im Schienentransport. Der Rückgang der Produktion (um 45% zwischen 1988 und 1998) wurde von der Verringerung des Schienengüterverkehrs übertroffen (ca. 61% im gleichen Zeitraum). Der Zustand der Schiene und der schienennahen Infrastruktur verschlechterte sich v.a. in den 1980er Jahren stark. Weder die Schieneninfrastruktur noch die Organisation des Schienentransports genügten den Anforderungen der entstehenden Marktwirtschaft. (Belova und Thompson, 2005)

Die in der Sowjetzeit praktizierte Quersubventionierung der Passagiertransporte durch die Erlöse aus dem Güterverkehr wurde fortgesetzt.5 Der russische Bahnsektor zeichnete sich in den 1990er Jahren durch hohe Gesamtkosten der Produktion, niedrige Arbeitsproduktivität6, umfangreiches Engagement außerhalb des Kerngeschäfts

(Bildung, Kultur, Soziales etc.) und schlechten Zustand der Infrastruktur und des rollenden Materials aus (Berndt und Vlasenko, 2004, S.250, Leontjew, 2000, S.81). Der Transit über die TSR nahm während der 1980er und 1990er Jahre stark ab (Reser, 2004a, S.70, Andrejewa, 2006a).

Dennoch erwirtschaftete die russische Bahn stets Gewinne. (s.Tabelle 7) Dieser Umstand ist auf den – im Vergleich mit Westeuropa – erheblich geringeren intermodalen Wettbewerb zurückzuführen. Dies trifft insbesondere auf die TSR zu, die auf dem großen Territorium zwischen dem Ural und der Pazifikküste so gut wie konkurrenzlos ist, aufgrund der geografisch, klimatisch und demografisch bedingten Mängel der Straßeninfrastruktur (Berndt und Vlasenko, 2004, S.250). (s. Abbildung 8) Als die Regierung sich ab 1998 der Reform des Bahnsektors zuwandte, war deshalb der Hauptgrund dafür nicht wie in westlichen Ländern die Unfähigkeit der Bahn kostendeckend zu arbeiten oder die Umkehrung des Modal splits zu Ungunsten der Schiene. Vielmehr war es der hohe Finanzbedarf für notwendige Modernisierungsinvestitionen und die Unmöglichkeit, diesen aus dem Staatshaushalt zu decken, was den Anstoß für die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente, Deregulierung und stufenweise Privatisierung des Sektors gab. (ECMT, 2005a, S.4)

Tabelle 7: Beitrag des Bahnsektors zu öffentlichen Haushalten vor der Bahnreform, in Mio. RUR

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: ECMT (2004, S.18).

Abbildung 8: Schienennetz der Russischen Föderation

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Louis S. Thompson nach ECMT (2004, S.19).

5.3. Reform des Eisenbahnsektors in der Russischen Föderation

5.3.1.intergrund der Reform und einzelne Reformetappen

Der Reform7 des Bahnwesens ging eine intensive Debatte über ihre Notwendigkeit, Alternativen und Umsetzung voraus. Noch Mitte der 1990er Jahre wurde die Besonderheitenlehre8 als Argument gegen jeglichen Wettbewerb im Schienenverkehr angeführt (Filina, 2005, S.85-89, Leontjew, 2000, S.45-56, 96). Das im Mai 2001 beschlossene dreistufige Reformprojekt hat die Umwandlung des zentralisierten staatlichen Eisenbahnministeriums in mehrere privatwirtschaftlich agierende Unternehmen zum Ziel. Diese sollen langfristig imstande sein, Investitionen in die Modernisierung des Netzes zu tätigen und steigende Nachfrage nach Verkehr zu befriedigen. (Briginshaw, 2006) Die Schaffung eines gleichberechtigten Wettbewerbsumfeldes wird mittlerweile zu einem der Hauptziele der Reform erhoben. (Andrejewa, 2006d)

Die erste Etappe begann im Jahr 2001 und wurde 2002 abgeschlossen. Zu den wichtigsten umgesetzten Veränderungen zählen:

- unabhängige Bewertung der Vermögenswerte und Trennung der Funktionen Regulierung (Transportministerium) und Wirtschaftstätigkeit (Bahnministerium wurde 2003 in die AG Russische Eisenbahnen (RSchD) umgewandelt, 44 Mrd. EUR Grundkapital, 100% in staatlicher Hand, 1,3 Mio. Mitarbeiter),
- Ausgliederung konkurrenzfähiger und nicht direkt dem Eisenbahnbetrieb zuzurechnender Geschäftsbereiche,
- Reorganisation der wirtschaftlichen Tätigkeit (Aufspaltung in eine Personen- und eine Güterverkehrsgesellschaft, der letzteren wird die Infrastruktur zugeordnet),
- Modernisierung des Betriebsmanagements,
- teilweise Privatisierung des Wagenparks. (RSchD, 2007b, Goldenberg und Karch, 2004, S.42f., ECMT, 2005a, S.4f.)

In der zweiten Reformetappe (2003 – 2006) wurden neben der Fortführung der im ersten Stadium angefangenen Prozesse folgende Reformschritte durchgeführt:

- Einführung von Bedingungen für diskriminierungsfreien Zugang privater Operateure zur Netzinfrastruktur,
- Einführung privater Wagenbewirtschaftung und Lokpools,
- Ausgliederung aus der RSchD von 28 Tochterunternehmen, u.a. die TransContainer,
- Reduzierung der Quersubventionierung des Personen- und Militärverkehrs. (RSchD, 2007b, Briginshaw, 2006, Goldenberg und Karch, 2004, S.42f., ECMT, 2005a, S.4-7)

Die Reform befindet sich seit 2006 in ihrer dritten und letzten Etappe. Die wichtigsten Ziele sind:

- Erhöhung der Effizienz und der Qualität des Schienentransports,
- Förderung des Wettbewerbs im Güterverkehr (insbesondere im europäischen Teil Russlands), inkl. Öffnung des Marktes für ausländische Unternehmen gemäß den WTO-Vereinbarungen,
- Materielle Privatisierung von Reparatur- und Instandhaltungsgesellschaften,
- Erwirtschaftung zusätzlicher Investitionsmittel, u.a. durch Verkauf von Tochtergesellschaften,
- Förderung des Privateigentums an Lokomotiven,
- Tarifreform, u.a. Aufspaltung der Tarife in Infrastruktur-, Lok- und Wagenkomponenten,
- Ausgliederung der Personenverkehrsgesellschaft,
- Entscheidung über völlige Trennung der Netzinfrastruktur vom Betrieb. (RZD, 2007b, Briginshaw, 2006, ECMT, 2005a, S.5,10, Roberts, 2006)

Als vorrangig in der dritten Etappe bezeichnet die Regierung die Weiterentwicklung des Wettbewerbs im Güter- und Personenverkehr sowie die Qualitätssteigerung der Verkehre. (Tschitschagow, 2006) Das Management der RSchD betrachtet die Etappe als das „Konsolidierungs- und Investitionsstadium“ in der Entwicklung der russischen Bahnbranche. (o.V., 2007d)

5.3.2. Bewertung und Aussichten der Reform

Die russische Bahnreform wird von der internationalen Fachöffentlichkeit positiv beurteilt. (Belova und Thompson, 2005, Borchert, 2006, S.36, ECMT, 2005a, S.4) Die ECMT (2005a, S.4) charakterisiert den Reformprozess als „favourable compared with the planning and speed of reform in most railways world-wide.“ Die Leitung der DB AG lobt ebenfalls die Resultate der Bahnmodernisierung in Russland. (Borchert, 2006, S.34-36) Bemängelt werden hingegen: (1) lückenhafte Gesetzgebung, (2) großes Diskriminierungspotential der RSchD, (3) mangelnde Förderung des Wettbewerbs, insbesondere aufgrund fehlender administrativen Strukturen, (4) nicht marktkonforme Tarifregulierung sowie zu viel Regulierung insgesamt, (5) Weiterbestehen der Quersubventionierung des Personenverkehrs, (6) Mängel bei der Erhebung, Zurverfügungstellung und Ausweitung von relevanten Daten. (ECMT, 2005a, S.4-9, Pittman, 2005, S.10, Roberts, 2006) Ob und inwieweit diese Mängel in der abschließenden Reformphase behoben werden, bleibt abzuwarten.

Bezüglich der Trennung von Netz und Betrieb ist bislang keine Entscheidung getroffen worden. Gegenwärtig haben sich drei Konzepte herauskristallisiert: vom Transportministerium, vom Föderalen Tarifdienst und von der RSchD. Das Modell des Ministeriums geht am weitesten und sieht eine Trennung der Schieneninfrastruktur vom Verkehrsbetrieb bis 2010 vor. Verluste durch Infrastrukturausgaben der „Rumpf- RSchD“ sollen aus dem Staatshaushalt beglichen werden. Die Tarifsetzung soll weitgehend flexibilisiert, nur Infrastrukturtarife der RSchD staatlich reguliert werden. Der Föderale Tarifdienst spricht sich für die Beibehaltung der vertikal integrierten Struktur der RSchD und für ein grundsätzlich langsameres Vorgehen bei der Demonopolisierung aus. Damit soll dem weiteren Verlust an staatlicher Einflussmöglichkeit in der Branche vorgebeugt werden. Die Führung der RSchD plädiert für die Beibehaltung der vertikalen Integration bei Ausgliederung der Güterverkehrsgesellschaft sowie deren Teilprivatisierung zur Sicherung zusätzlicher Investitionsressourcen. (o.V., 2007e, Pittman, 2005, S.9, Andrejewa, 2006d)

[...]


1 UNECE (2004, S.6) geht gar von 16 Knoten oder 30 kmh, also 720 km pro Tag als ökonomisch optimale Geschwindigkeit für Containerschiffe aus.

2 Ein Beispiel dafür stellen die terminal handling charges (THC) dar – die Hafenumschlagsgebühr, welche in ihrem durch Reeder bei ihren Kunden erhobenen Umfang wenig mit der tatsächlichen Umschlagskostenentwicklung der Reedereien zu tun hat. Weitere wichtige Aufschläge sind bunker adjustment fare (BAF) und currency adjustment fare (CAF). Auch sie sollen laut Verladern überhöht sein. (Beddow, 2007, S.50)

3 Treibstoffkosten machen 40 bis 60% der Betriebskosten eines modernen Containerschiffes aus. (Beddow, 2006e, S.43)

4 Navigierbare Flüsse im asiatischen Teil Russlands verlaufen latitudinal und sind deshalb sogar ein Hindernis auf dem Weg aus Westrussland in den Fernost. Weite Strecken in Sibirien hatten überhaupt keine Landstraßen und die meisten waren oft nur saisonabhängig befahrbar. Anfang des 19. Jh. dauerte eine Fahrt von St. Petersburg nach Kamtschatka rund ein Jahr, Ende 19. Jh. von Moskau nach Sachalin etwa drei Monate. (Gorjanin, 2005, S.104f.)

5 Es handelte sich dabei um bis zu 80% der Kosten des Schienenpersonenverkehrs (Berndt und Vlasenko, 2004, S.251).

6 Leontiew (2000, S.81) gibt die Arbeitsproduktivität in der russischen Bahnbranche 1988 mit 90-92 %, 1995 mit 30-35 % des entsprechenden amerikanischen Wertes an. Allein zwischen 1990 und 1997 ist die Arbeitsproduktivität um 87 % gefallen (Leontjew, 2000, S.77).

7 Für die Gesamtentwicklung des Verkehrs in Russland ist die „Transportstrategie der RF bis 2020“ (von 2003) bestimmend, sowie die konkretisierenden Dokumente „Strategie der Transportentwicklung der RF bis 2010“ und „Modernisierung des Transportsystems Russlands bis 2010“. Allerdings werden diese Programme von Kritikern für allzu normativ und vieldeutig gehalten (Legat, 2002, S.268).

8 Die wichtigsten Besonderheiten des Verkehrssektors, welche laut der im Westen bis Mitte der 70er Jahre vertretenen Besonderheitenlehre die staatliche Marktregulierung erforderlich machen, werden von Aberle (2000, S.98) so zusammengefasst: (1) Unpaarigkeit der Verkehrsströme, (2) hohe Fixkosten, (3) niedrige Preiselastizitäten der Nachfrage, (4) enorme Unternehmensgrößenunterschiede, (5) Unmöglichkeit der Vorratsproduktion und (6) hoher Anteil staatlicher Betriebe.

Ende der Leseprobe aus 123 Seiten

Details

Titel
Eurasische Landbrücke. Perspektiven und Herausforderungen des Schienengüterverkehrs zwischen Europa und Nordostasien
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Verkehrs- und Regionalwissenschaften)
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
123
Katalognummer
V117573
ISBN (eBook)
9783640200184
Dateigröße
2801 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eurasische, Landbrücke, Perspektiven, Herausforderungen, Schienengüterverkehrs, Europa, Nordostasien, Prof, Hautau
Arbeit zitieren
Dipl.-Vw. Paul Amann (Autor:in), 2007, Eurasische Landbrücke. Perspektiven und Herausforderungen des Schienengüterverkehrs zwischen Europa und Nordostasien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117573

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Eurasische Landbrücke. Perspektiven und Herausforderungen des Schienengüterverkehrs zwischen Europa und Nordostasien



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden