In Deutschland besteht seit 2007 für Väter Anspruch auf Elterngeld. Noch immer sind Väter in der deutlichen Minderheit, bei der in Anspruchnahme von Elternzeit und Elterngeld. Woran liegt das? Wie wirkt sich dies auf die Eltern-Kind-Beziehung aus? Kann eine verpasste Eltern-Kind-Beziehung nachgeholt werden? Der Text wirft einen Blick auf diese Fragen.
Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes
Langezeit fand die Bedeutung des Vaters in der Entwicklungspsychologie keine Berücksichtigung. Ebenso wurde in den Humanwissenschaften dessen Bedeutung unterschätzt oder gar verleugnet. Die Mutter galt nach herkömmlicher Auffassung für Babys und Kleinkinder stets als das alles überragende Wesen. Der Vater trat erst viel später als „Retter“ in Erscheinung, um das Kind aus der mütterlichen Umgarnung zu „befreien“. (vgl. Aigner)
Die Haltung der Väter spiegelte sich auch in der Realität wider. Väter, sowie der überwiegende Teil der Gesellschaft, ging davon aus, dass kleine Kinder hauptsächlich die Mutter benötigen und der Vater frühestens gebraucht wird, wenn das Kind Ball spielen kann. (vgl. Anderle)
Väter waren in den vergangenen Jahrzehnten oft abwesend und begründet dadurch für ihre Familien in anderen Rollen da, als Ernährer, Geldverdiener und manchmal auch Familienpolizist oder Richter. Nun hat sich (zum Glück) die Rolle des Vaters in den letzten Jahren gewandelt. (vgl. Weiß)
Die Mutter-Kind-Beziehung wird in der Literatur als selbstverständlich durch die (ehemalige) körperliche Verbindung beschrieben. Der Vater ist somit für die meisten Kinder der erste Erwachsene, welcher das Kind annimmt, liebt und ein aufgehoben sein bietet - abgesehen von der Mutter. Diese Rolle ist sehr entscheidend für das Vertrauen der Kinder in die Welt. (vgl. Weiß)
Väter und die Elternzeit
In Deutschland besteht seit 2007 für Väter Anspruch auf Elterngeld, welches an die Elternzeit, also einer beruflichen Auszeit, gekoppelt ist. 2019 veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW), dass noch immer deutlich weniger Väter Elternzeit nehmen, als Mütter. Die Hintergründe sind finanzieller Art und die Befürchtung beruflicher Nachteile.
2018: 90% aller anspruchsberechtigten Mütter nahmen Elternzeit
37% aller anspruchsberechtigten Väter nahmen Elternzeit
72% der oben genannten Männer bezogen Elterngeld lediglich im Minimum der zwei Partnermonate
Elterngeld wird grundsätzlich zwölf Monate lang gezahlt, zwei zusätzliche Partnermonate sind möglich. Das Elterngeld ist eine Entgeldersatzleistung und beträgt je nach Einkommen zwischen 65 und 100% des bisherigen Nettoeinkommens.
Laut der vom DWI veröffentlichten Studie gibt es offenbar in vielen Familien nicht die Möglichkeit für zwei Monate auf bis zu 35% des Einkommens, des Partners zu verzichten. Weiter gibt es Bedenken wegen eines Karriereknicks oder Angst um die Arbeitsstelle. (vgl. dpa 2019)
Aus oben genannten Gründen, entscheiden sich Familien oft dafür, dass die Frauen den Großteil der Elternzeit mit den Kindern zu Hause verbringen. Frauen verdienen oftmals weniger in Ihren Berufen, als Ihre Partner. Gestalten die Partner ihre berufliche Entwicklung im ausgewogenen Maße gleichberechtigt, verabschieden Sie sich von der Ernährerrolle des Mannes. Klare Absprachen sind hierzu zwischen den Partnern notwendig. Insgesamt lässt sich innerhalb der Familie und Beziehung eine Ausgewogenheit und Zufriedenheit beobachten. (vgl. Boese-Bellach, Vogel: 20f)
Väter und das Problem der Moderne
Viele Väter unterliegen in der heutigen Zeit im „Vater sein“ einem gewissen Druck. Dies beginnt schon mit der Frage danach, ob der Vater bei der Geburt mit dabei sein möchte. In einem von mir hospitierten Geburtsvorbereitungskurs antwortete ein werdender Vater: „Muss ja, oder? Was soll ich sonst machen?“. Ich fühlte mich bei dieser Antwort etwas unwohl und verspürte einen sehr hohen Druck dem dieser Mann ausgesetzt ist. Woher kommt dieser Druck?
Immer wieder gibt es Kinder, die von ihren Vätern verlassen werden. Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Häufig geht dem die Trennung von der Mutter voraus. Einige Väter trennen sich soweit von ihren Kindern, dass sie sich noch nicht einmal mehr melden oder Unterhalt zahlen.
An die Väter von heute werden viele Erwartungen gerichtet. Diese gilt auszubalancieren. Besonders im Beruflichen haben die Väter sehr stark mit Anforderungen zu kämpfen und unterliegen dem Druck des Hauptverdieners beruflich mitzuhalten. Männer die sich Elternzeit oder Teilzeit zu Gunsten ihrer Familie einfordern gelten oft als nicht belastbar und unzuverlässig. Bei Frauen hat sich das Modell „Beruf-Familie-Beruf“ beim Betrachten der Karrieren etabliert. Bei Männern ist dieses Modell bisher die Ausnahme. Die beruflichen Werdegänge der Männer sind zu meist einzig beruflich geprägt. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, muss beachtet werden, dass Väter zunächst erstmal Söhne sind. Den Vätern von heute mangelt es an Vorbildern für „gutes Vatersein“. Die Väter der heutigen Väter waren überwiegend (beruflich) abwesend. Mangels Vorbilder, plus idealisierte Bilder aus den Medien erfordern ein immer wieder neu erfinden des Vaterseins. Jeder Vater bringt aufgrund seiner Biografie andere Voraussetzungen und Gestaltungsmöglichkeiten seiner Rolle mit. Das familiäre Dreieck unterscheidet sich in jeder Familie beim näheren Hinsehen deutlich. Ist der Vater berufstätig, ist er krank, gibt es viele Kinder im Haushalt oder nur eins. Sind die Kinder gesund oder behindert, all diese Faktoren lassen das familiäre Dreieck anders erscheinen. Im „Normalfall“ schafft sich jede Familie ihr eigenes „Vater-Modell“. (vgl. Weiß)
Wann benötigen Kinder einen Vater
In allen Phasen des Lebens, der Entwicklung benötigen Kinder die Vaterpräsenz, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Vor der Geburt, als Säugling, als Kleinkind, als Kindergarten- und Schulkind, sowie als Pubertierende und Erwachsene. (vgl. Blank-Mathieu)
Ergebnisse aus der Forschung
Studien mit Neugeborenen und Kleinkindern haben gezeigt, dass diese bereits im Mutterleib das Kind die Stimme des Vaters wahrnehmen und später von anderen unterscheiden können.
Nähert sich die Mutter einem Neugeborenen, so dass dieses den Geruch, die Stimme und die Nähe der Mutter wahrnehmen kann, so verlangsamt sich der Puls des Kindes. Nähert sich der Vater dem Neugeborenen, so beschleunigt sich bei dem Kind der Puls, das Kind wird motorisch aktiver. Daraus lässt sich schließen, dass die Mutter in dieser frühen Lebensphase beim Säugling Geborgenheit und Sicherheit auslöst, der Vater löst eher Aktivität und Neugier aus. Beide Impulse sind wesentlich für die Entwicklung eines Menschen.
Wissenschaftler fanden heraus, dass Kinder mit einer stabilen, tragfähigen Vaterbeziehung, Vorteile in ihrem späteren Leben haben. Z.B.
- höhere Resistenz gegenüber Schulstress und Belastungen
- höhere kognitive/ intellektuelle Fähigkeiten
- größere Toleranz für Andersdenkende
- höhere Wahrscheinlichkeit einer Langzeitpartnerschaft
- hohe Teamfähigkeit in Schule und Beruf (vgl. Anderle)
Weiter fand die Forschung heraus, dass Väter wichtig sind für das entdeckerische Spiel. (vgl. Weiß)
Babys die eine sichere Bindung zu Ihren Vätern haben, lachen mehr und länger, als Kinder, die keine sichere Bindung zu ihren Vätern haben. Eine gelingende Triade zwischen Mutter-Kind-Vater, gibt dem Kind eine weitere Alternative an Vielfalt und Bindungsmöglichkeit, durch eine weitere Person die Schutz, Sicherheit, Nähe und Liebe bietet. (vgl. Steingruber)
Im Kindergartenalter erfahren vor allem Jungen einen Loslösungsprozess von der Mutter. Bei diesem ist eine Unterstützung des Vaters notwendig. Ist dieser abwesend und kann in diesem Prozess nicht unterstützen, bleibt dieser Bereich der Gewissensbildung erstmal leer und füllt sich später. Im jugendlichen Alter besteht dann die Gefahr, dass sich diese Lücke mit Heldenfiguren, oder Repräsentanten von Religionen oder Ideologien, welche Halt und Orientierung bieten, füllen. Weiter sind diese Jugendlichen grundsätzlich gewaltbereiter. (vgl. Aigner)
Positiv auf die Entwicklung von Kindern wirkt sich jedoch auch die Abwesenheit eines Vaters in einigen Fällen aus, wenn dieser z.B: dem Alkoholismus unterliegt oder Gewalttätig ist.
Väter sind anders - im Umgang
Für jüngere Kinder sind Väter in ihrem Verhalten oft unvorhersehbarer. Der Vater traut dem Kind mitunter mehr zu. Manchmal fühlt sich das Kind jedoch überfordert und sucht Hilfe bei der Mutter. Mütter sind im Umgang mit ihren Kindern von frühen Ritualen begleitet und daher vorhersehbarer, aus Sicht des Kindes. Es ist wichtig, dass Kinder bewusst Zeit alleine mit ihrem Vater verbringen. Kinder lernen durch diese exklusive Zeit mit Papa den Unterschied im Umgang und den Stil des jeweiligen Elternteils zu unterscheiden.
Väter sprechen mit Ihren Kindern anders, als dies Mütter tun. Mütter befassen sich sehr intensiv mit den ersten Lauten ihrer Kinder und sprechen in einer kindgerechten Sprache. Väter sind da eher direkt und nennen auch schwierige Wörter einfach beim Namen z.B. Gabelstapler. Mit hoher Wahrscheinlichkeit fördert das die Kinder bezüglich dem ausprobieren neuer Laute und Wörter.
Jesper Juul beschreibt in seinem Buch „Mann & Vater sein“ mehrere Beispiele, wie eine Vaterbeziehung neu aufgebaut werden kann. Dabei wird empfohlen, dass der Vater sich Zeit nimmt, hartnäckig bleibt und für sein Wollen einer Vater-Kind-Beziehung einsteht, wenn dies auch nicht einfach ist. Aber es ist nie zu spät dafür. (vgl. Juul)
Was macht eine sichere Vater-Kind-Bindung aus?
Die Beziehung zum Vater kann genauso intensiv sein, wie die zur Mutter. Oxytocinausschüttung findet bei Vätern ebenso statt, wie bei Müttern, wenn die Väter entsprechende Nähe und Kontakt zum Kind zulassen. Die Qualität der Interaktion des Vaters gegenüber dem Kind steht über der Quantität. Regelmäßige Interaktionen und Zuverlässigkeit sind Voraussetzungen für eine sicheren Bindungsaufbau. Bindungsforscher sehen folgende Voraussetzungen für eine enge Vater-Kind-Bindung als förderlich an:
- der Vater ist für das Kind erreichbar - zeitlich, physisch und emotional
- Vater reagiert sofort und zuverlässig auf die Signale des Kindes
- das Kind findet bei Papa stets Trost, Sicherheit und Geborgenheit
- gegenseitige Wertschätzung fördert die Vater-Kind-Bindung
- Papa hält dem Kind gegenüber Nähe und Distanz in Balance
Der Vater muss für eine gute Beziehung nicht die bessere Mutter sein. Weibliche und männliche Beziehungslager sind gleichwertig und können sich gut ergänzen. Entscheidend ist, dass Mama und Papa dem Kind von Anfang an ein grundsätzliches Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermitteln.
Der Vater kann sehr viele Rituale einbauen, um Beziehungsaufbau zu fördern:
- Vorlesen und singen
- Baden und planschen
- Wickeln und berühren, z.B. Babymassage und wickeln
- Füttern und tragen
- Bewegen und toben, z.B. Turnen, balgen, toben
Vater-Sohn-Beziehung: Der Vater ist das erste Vorbild und Identifikationsfigur.
Vater-Tochter-Beziehung: Der Vater ist der erste Mann im Leben eines Mädchens, Töchter lernen Selbstvertrauen, positiv auf Männer zu wirken. Töchter mit stabilem Verhältnis zum Vater interessieren sich mehr für Naturwissenschaften. Bestätigt der Vater in der Pubertät das Selbstbild der Tochter, kann diese ein positives Männerbild entwerfen. (vgl. Müller)
Schlussworte
Für eine vielfältige und bindungssichere Entwicklung von Kindern, sind Mama und Papa gleichermaßen wichtig. Es sind nicht bestimmte Eigenschaften oder Zeitfaktoren, die die Entwicklung eines Kindes positiv beeinflussen. Vielmehr ist es die Summe seiner Teile - elterliche Wärme, Fürsorge, Liebe und Nähe. Stark im Vordergrund, von allem was man weiß, steht das Verhalten der Eltern, gegenüber den Kindern. Das Verhalten sollte vertrauensvoll, feinfühlig und unterstützend sein. Es reicht nicht, den Fokus auf die Vater-Kind Beziehung zu setzen. Wichtig ist, das Familiensystem im ganzheitlichen Sinne zu betrachten.
Wenn Männer etwas „übernehmen“, müssen Frauen auch etwas „abgeben“ - das kann sehr weh tun. Deshalb ist es sehr wichtig (werdende) Mütter und Väter in ihren Kompetenzen zu stärken, ein Team zu werden, sich im Notfall auch Unterstützung zu holen, um dieses nicht einfache, aber lohnende Projekt erfolgreich zu meistern - und genießen zu können. Es zahlt sich aus! (vgl. Steingruber)
Quellen:
- Aigner, Josef Christian (2005): Vatersehnsucht - Zur Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung. In: Krall, Hannes (Hg.): Jungen- und Männerarbeit. Springer, Wiesbaden, S. 94 - 104
- Blank-Mathieu, Margarete (2001): Die Bedeutung des Vaters im Leben des Kindes. In: Kindergartenpädagogik.de, Berlin; https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogikZ181; Download am 09.01.2021
- Boese-Bellach, Stefanie; Thea Vogel (o.A.): Partnerschaftliche Arbeitsteilung - aktive Väter. In: Familienbegleitung von Anfang an. GfG, Berlin, S. 20f
- Anderle, Harald (2020): Die Bedeutung des Vaters in den ersten Lebensjahren. In: eltern-bildung.at; Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend, Wien; https://www.eltern-bildung.at/expert-inn- enstimmen/die-bedeutung-des-vaters-in-den-ersten-lebensjahren/; Download am: 05.01.2021
- dpa (2019): Väter meiden Elternzeit wegen finanzieller Nachteile. In: Süddeutsche Zeitung; München; https://www.sueddeutsche.de/leben/familie-vaeter-meiden-elternzeit-wegen-finanzieller-nachteile- dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-190828-99-643685; Download am: 05.01.2021
- Jesper, Juul (2020): Mann & Vater sein. Herder, Freiburg i. B., S. 55 - 65
- Müller, Antonia (2020): Das macht eine sichere Vater-Kind-Bindung aus. In: Leben und Erzeihen.de; Hamburg; https://www.leben-und-erziehen.de/familie/familienleben/vater-kind-bindung-990187.html; Download am: 09.01.2021
- Steingruber, Peter (2020): Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr; In: eltern- bildung.at; Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend, Wien; https://www.eltern- bildung.at/expert-inn-enstimmen/vater-werden-ist-nicht-schwer-vater-sein-dagegen-sehr/; Down load am: 05.01.2021
- Weiß, Thomas (2020): Wandel der Väterrolle. In: eltern-bildung.at; Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend, Wien; https://www.eltern-bildung.at/expert-inn-enstimmen/wandel-der- vaeterrolle/; Download am: 05.01.2021
- Westphal, Annika (2007): Die Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung. GRIN-Verlag, München
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- Kathy Bergsen (Author), 2021, Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1176148