Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
1.1 Ausgangslage
1.2 Ziele und Fragestellungen
1.3 Gliederung der Arbeit
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Die Charakteristik der filmischen Adaption
2.2 Die Literaturverfilmung als Transformation
3. Berlin Alexanderplatz
3.1 Hintergrund zu Berlin Alexanderplatz
3.1.1 Übersicht über die Handlung von Berlin Alexanderplatz
3.1.2 Vergleichbarkeit zwischen der Verfilmung und der Vorlage
3.1.3 Übersicht über weitere Verfilmungen
3.2 Die Darstellung der Großstadt in Berlin Alexanderplatz
3.2.1 Die Darstellung der Großstadt Berlin in der Buchvorlage
3.2.2 Die transformierte Darstellung der Großstadt Berlin in Berlin Alexanderplatz von Burhan Qurbani
3.2.2.1 Vergleichende Analyse der Werke auf narrativer Ebene
3.2.2.2 Vergleichende Analyse der Werke auf erzählerischer Ebene
3.2.2.3 Exemplarischer Vergleich einer Szene in Döblins, Qurbanis und Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“
4. Transit
4.1 Hintergrund zu Transit
4.1.1 Übersicht über die Handlung von Transit
4.1.2 Vergleichbarkeit zwischen der Verfilmung und der Vorlage
4.1.3 Übersicht über weitere Verfilmungen
4.2 Die transformierte Darstellung der politischen Flucht in Transit von Christian Petzold
4.2.1 Vergleichende Analyse der Werke auf narrativer Ebene
4.2.2 Vergleichende Analyse der Werke auf erzählerischer Ebene
4.2.3 Exemplarischer Vergleich einer Szene in Seghers und Petzolds Transit
5. Diskussion
5.1 Kritische Reflexion und Grenzen der Arbeit
5.2 Fazit
1. Einleitung
1.1 Ausgangslage
Seit es das Medium Film gibt, dienen literarische Werke in vielen Fällen als Vorlage für Drehbücher. Bereits 1897 erschien mit einer 55 Sekunden langen Version von Goethes Faust die erste Literaturverfilmung der Filmgeschichte.1 Darauf folgten weitere Literaturverfilmungen populärer Romane wie Der Prozess von Franz Kafka oder Vom Winde verweht von Margaret Mitchell. Eine weitere Literaturverfilmung ist Berlin Alexanderplatz aus dem Jahr 1931, welche auf dem gleichnamigen Roman von Alfred Döblin basiert, der zwei Jahre zuvor erschien. Große Romane der Literaturgeschichte werden oft mehrmals filmisch adaptiert und so folgte 1980 zum Beispiel eine weitere Umsetzung von Berlin Alexanderplatz. In diesem Fall wurde die Buchvorlage von Rainer Werner Fassbinder als Fernsehfilm mit 13 Teilen und Epilog umgesetzt, der heute als Miniserie bezeichnet werden würde.2 2020 nahm sich der deutsche Regisseur Burhan Qurbani erneut des Stoffes an. Der Film spielt in der Gegenwart und transformiert die ursprüngliche Geschichte dementsprechend in die Neuzeit.
Ein weiteres Beispiel für eine derartige Umsetzung ist Christian Petzolds Film Transit, der auf dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers aus dem Jahre 1944 basiert. Auch Petzold verlegt die Handlung des Filmes, anders als es bei den vorherigen Verfilmungen des Buches der Fall ist, in die Gegenwart. Sowohl die Neuverfilmung von Transit als auch die von Berlin Alexanderplatz stellen damit ein transformiertes Werk dar, in dem die zeitgeschichtliche Relevanz des Ausgangsmaterials genutzt und angepasst wird. Das lässt tiefgehende Analysen der filmischen Umsetzung zu. Da es sich beim Film um ein vom Buch zu unterscheidendes Medium handelt und eine Wort-für-Wort-Umsetzung nicht möglich ist, muss die inhaltliche Dimension der Vorlage mit filmischen Mitteln transformiert werden.3 Im Zuge dessen gibt es Filme, die großen Wert auf Werktreue legen und Filme, die den Weg der freien Interpretation einschlagen.4 Sowohl Berlin Alexanderplatz als auch Transit nehmen einen starken Standpunkt gegenüber der Vorlage ein und nutzen unterschiedliche Formen der Transformation. Dabei gibt es Anpassungen auf inhaltlicher wie erzählerischer Ebene, die eine intermediale Untersuchung der Werke im Hinblick auf die Literaturvorlagen rechtfertigen.
1.2 Ziele und Fragestellungen
Ziel der Arbeit ist es, herauszuarbeiten, dass die beiden aktuellen Verfilmungen literarischer Werke aus dem frühen und mittleren 20.
Jahrhundert, Berlin Alexanderplatz (2020) und Transit (2018), durch die Verlegung der Handlung in die Gegenwart einen direkten Bezug zwischen der Jetztzeit und der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, beziehungsweise der kommenden Gefahr und der Zeit des zweiten Weltkrieges herstellen. Durch die intermediale Analyse werden aus dieser Verbindung resultierende Aussagen herausgearbeitet. Außerdem wird diese Arbeit die Transformation der Darstellung der Großstadt Berlin und der politischen Flucht aus den literarischen Vorlagen in die Form des Filmes untersuchen. Auch dies soll vor dem Hintergrund der geänderten Handlungszeit geschehen. So stellt sich die Frage, inwieweit die Drehbücher der Filme den intertextuellen Bezug zu den Romanen für eigene Aussagen nutzen und welche filmischen Mittel zur Darstellung ebendieser Aussagen essenziell sind. Im Zuge der Untersuchung der genannten Fragestellung und der genannten These werden Grundlagen der filmischen Adaption und Transformation sowie der Natur der Literaturverfilmung erarbeitet und als theoretische Grundlage vorangestellt.
1.3 Gliederung der Arbeit
Zu Beginn der Arbeit wird der theoretische Rahmen festgelegt. Dieser behandelt die Charakteristik der Literaturverfilmung und beschreibt die verschiedenen Gattungen dieser Kunstform. Des Weiteren wird in diesem Abschnitt die Literaturverfilmung als Transformation untersucht. Dies schafft die Grundlage für die kommende, detaillierte Analyse der in dieser Arbeit behandelten Werke.
Im folgenden Teil geht es um das Buch Berlin Alexanderplatz und die aktuelle Verfilmung von Burhan Qurbani. Auf dem Werk liegt der Fokus dieser Arbeit, da es mit der vielschichtigen Erzählweise eine umfangreiche und für die Fragestellung dieser Arbeit relevante Untersuchung ermöglicht. Nachdem der Inhalt des Werkes umrissen und die Vergleichbarkeit zwischen Buch und Film sichergestellt wird, wird im nächsten Schritt die Darstellung der Großstadt Berlin in Döblins Roman herausgearbeitet. Dieser Teil der Arbeit beruft sich in erster Linie auf den aktuellen Stand der Literaturwissenschaft, da zu dieser Thematik bereits ausführlich geforscht wurde. Anschließend wird die Darstellung der Großstadt Berlin in der Verfilmung von Burhan Qurbani untersucht. Dabei steht der Vergleich mit der Vorlage und damit die Analyse der Transformation der Geschichte von der literarischen Vorlage in die filmische Umsetzung im Fokus. Der erste Teil behandelt die inhaltlichen Änderungen, die im Film vorgenommen werden und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen. Im Anschluss werden die Änderungen auf der erzählerischen Ebene analysiert und ebenfalls die Gründe für diese Änderungen herausgearbeitet. Im dritten und letzten Schritt des Abschnitts zu Berlin Alexanderplatz wird eine exemplarische Szene aus dem Buch und dem Film verglichen. Um eine weitere Möglichkeit der filmischen Umsetzung zu untersuchen und so die Möglichkeiten umfassend zu betrachten, wird auch die entsprechende Szene aus der TV-Verfilmung Berlin Alexanderplatz von Rainer Werner Fassbinder für den Vergleich herangezogen.
Der nächste Teil thematisiert die Darstellung der politischen Flucht in Transit. Hier wird zuerst ein Überblick über die Handlung und die Vergleichbarkeit des Filmes mit dem Roman gegeben. Anders als bei Berlin Alexanderplatz sind zur Darstellung der Flucht in Transit keine äquivalent ausführlichen Untersuchungen vorhanden. Diese Analysen beruhen also größtenteils auf meinen Untersuchungen. Der anschließende Teil gleicht jedoch dem vorherigen. Zuerst werden Film und Buch auf inhaltlicher Ebene miteinander verglichen und analysiert. Im nächsten Teil geschieht dies auf erzählerischer Ebene. Im dritten Unterkapitel des Abschnitts zu Transit wird eine exemplarische Szene des Films der Szene im Buch gegenübergestellt und die Form der filmischen Transformation herausgearbeitet.
Im Anschluss werden im letzten Teil die Ergebnisse kritisch reflektiert und die Grenzen der Arbeit dargelegt. Abschließend wird ein Fazit zu den zuvor erarbeiteten Ergebnissen und zu Beginn aufgestellten Thesen und Fragestellungen gezogen.
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Die Charakteristik der filmischen Adaption
Wie bereits in der Einleitung dargelegt, gibt es Literaturverfilmungen seit das Medium Film existiert. Dies liegt an der Nähe der beiden Kunstformen: „Das narrative Potenzial des Films ist so ausgeprägt, dass er seine engste Verbindung nicht mit der Malerei und nicht einmal mit dem Drama, sondern mit dem Roman geknüpft hat“.5 Beide Kunstformen erzählen außerdem lang angelegte Geschichten und mit fortgeschrittenen Spezialeffekten lassen sich in der Theorie die meisten Szenen eines Buches in einem Film inhaltlich reproduzieren.6 Es gibt einige medial bedingte Unterschiede zwischen Film und Buch, die eine exakte filmische Umsetzung einer Literaturvorlage unmöglich machen. So unterscheidet sich die Dauer eines Films anders als die einer Fernsehserie fundamental von der eines Romans. Ein Roman ist in der Regel etwa viermal so umfangreich wie ein durchschnittliches Film-Drehbuch.7 Während Mehrteiler wie Fassbinders Berlin Alexanderplatz oder die BBC-Serie Krieg und Frieden ihre Vorlagen umfangreich adaptieren konnten, ohne auf Handlungsstränge zu verzichten, ist dies dem Film nicht möglich. Neben der inhaltlichen Komplexität fehlt damit die Fähigkeit, die lange Zeitspanne eines Romans zu reproduzieren. Der Film hat stattdessen die Möglichkeit, die Geschichte visuell zu erzählen.
Dazu gehört die objektive Natur des Bildes, die der Roman nicht zu konstruieren in der Lage ist, da er immer eine vom Erzähler gefilterte Sicht auf die Geschichte wiedergibt. Auch wenn der Film ebenso von einem Autor erzählt wird, so zeigt dieser dem Zuschauer notwendigerweise mehr, als der Regisseur es für nötig hält. Das Publikum verfügt anders als beim Buch über einen gewissen Grad der Freiheit, den Blick auf verschiedene Punkte im Bild zu lenken.8 Der Film bietet ein sichtbares Bild an, „während die verbale Sprache im [...] Leser immer nur dann, wenn Geschichte erzählt wird, ein mentales, inneres Bild entstehen lassen kann.“9 Der Film gilt darum als unmittelbare Kunstform, die „nicht in der Lage [ist], die narrativen Strukturen eines [.] Erzähltextes in ihren spezifischen, und d.h. in ihren künstlerischen und literarischen Eigenheiten nachzuvollziehen“.10 Die Kunstform Film ist zum Beispiel anders als die Literatur nicht in der Lage, Details der Umgebung oder der äußeren Erscheinung der Figuren auszulassen. Die bewusste Reduktion der gegebenen Informationen lässt sich im Buch viel einfacher umsetzen. Auf der anderen Seite ist es dem Film so möglich, ein um ein Vielfaches detaillierteres Bild zu erschaffen, als es der Autor tun kann.11
Ein starker Erzähler kann im Film auf visueller Ebene oft nur durch starke Abstraktion der Bilder und der damit einhergehenden Unzuverlässigkeit ebendieser konstruiert werden. Werke wie Fight Club von David Fincher oder Der Große Irrtum von Bernardo Bertollucci sind Beispiele für diese Art des Films.
Dadurch, dass sich Film anders als Literatur nicht nur des gesprochenen Wortes bedient, sondern mehrere Komponenten für die Herstellung des Werkes nutzt,12 unterliegt er außerdem anderen produktionstechnischen Zwängen als das Buch. Während ein Buch problemlos gänzlich ohne Budget entstehen kann und theoretisch auf „Gefängnisservietten“13 produziert werden könnte, so kostete die bislang teuerste Filmproduktion aller Zeiten 379 Millionen US- Dollar.14 Dies ist natürlich nicht zwangsläufig notwendig, um einen Film zu erschaffen. Ein begrenztes Budget bedeutet jedoch häufig begrenzte künstlerische Freiheit. Die Abhängigkeit von dem Budget führt meistens auch zu einer Abhängigkeit von Produktionsunternehmen und der Aussicht auf kommerziellen Erfolg, während Buchautoren frei von diesen Voraussetzungen arbeiten können.15
2.2 Die Literaturverfilmung als Transformation
Seit 1954 gilt die filmische Adaption als eigenes Genre. Aktuell steht der Begriff der Adaption stellvertretend für die Transformation eines Mediums in ein anderes.16 Bei der filmischen Umsetzung einer Literaturvorlage ist zwischen folgenden Formen zu unterscheiden:
1. Eine Adaption der Figuren und Handlungselemente, die für eine neue Umsetzung des Stoffes genutzt werden.
2. Die illustrierte Adaption, welche sich auf die visuelle Darstellung des Buchinhalts konzentriert. Dies können zum Beispiel abgefilmte Buch-Seiten sein. Die Spezifika des Mediums Film werden dabei weitestgehend ignoriert.
3. Die Adaption als Transformation stellt eine filmische Umsetzung dar, welche sich auf die verschiedenen Zeichensysteme der Medien beruft und diese in den Vordergrund stellt. Neben der inhaltlichen Ebene soll hier auch die Form-Inhaltsbeziehung berücksichtigt werden.
4. Die dokumentarische Adaption beschreibt die Reproduktion, beispielsweise eines Theaterstückes, welches gefilmt wird.17
Die Transformation betont, anders als die einfache Adaption, bewusst die Unterschiede der Medien. Die Verfilmung erfasst in diesem Fall das Textsystem der Vorlage und übersetzt dieses in das Zeichensystem des Filmes. Während ersterer Ansatz oft die Werktreue betont, kann die Transformation in vielerlei Hinsicht von der Vorlage abweichen, wenn dadurch „die grundsätzliche Verschiedenheit der Zeichensysteme“18 gezeigt wird und letztendlich ein zur Vorlage möglichst analoges Werk entsteht.19 Die Zeichensysteme der beiden Kunstformen unterscheiden sich trotz der narrativen Ähnlichkeiten essenziell voneinander. Während das Buch mit dem geschriebenen Text nur eine einzelne Ausdrucksform nutzen kann,20 verfügt der Film über mindestens fünf:
- Das bewegte Bild
- Das gesprochene Wort
- Musik
- Geräusche
- Schriftliche Materialien.21
Der Aspekt der Werktreue wurde zu Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung noch zur höchsten Pflicht der filmischen Adaption erklärt.22 Inzwischen gilt der klassische Ansatz der Werktreue als überholt und man nähert sich der Debatte aus anderen Richtungen. Es wird die narrative Ähnlichkeit von Buch und Film in den Fokus gerückt sowie die zuvor angesprochene Übersetzung des Text- in das konträre Zeichensystem untersucht.23
Dieser Ansatz wird auch in der folgenden Arbeit bei der Untersuchung der narrativen und erzählerischen Ebenen von Transit und Berlin Alexanderplatz verfolgt. Im Umgang mit Literaturverfilmungen gibt es außerdem sowohl den Ansatz, die literarische Vorlage in die Untersuchung mit einzubeziehen, als auch die Vorgehensweise, einzig das filmische Endprodukt zu untersuchen.24 In dieser Arbeit wird erstere Methode angewandt und die Wechselwirkung auf intermedialer Ebene untersucht.
3. Berlin Alexanderplatz
3.1 Hintergrund zu Berlin Alexanderplatz
Diese Arbeit konzentriert sich bei der Betrachtung von Berlin Alexanderplatz auf die Darstellung der Großstadt Berlin. Dazu gehören stilistische Mittel, mit denen Autor Alfred Döblin und Regisseur Burhan Qurbani die Stadt darstellen. Außerdem wird die politische und soziale Situation innerhalb der Stadt in beiden Werken eingeordnet. Dabei werden inhaltliche Änderungen sowie die erzählerische Transformation der Verfilmung untersucht.
3.1.1 Übersicht über die Handlung von Berlin Alexanderplatz
Der Roman Berlin Alexanderplatz spielt zwischen 1927 und 1929 und erzählt die Geschichte des Franz Biberkopf, der zu Beginn der Handlung nach vier Jahren im Gefängnis Tegel wieder auf freiem Fuß ist. Franz Biberkopf saß wegen Totschlags an seiner damaligen Frau Ida im Gefängnis. Wieder in Freiheit hat er sich zum Ziel gesetzt, ein guter Mensch zu werden. Dieser Plan wird aber schon dadurch durchkreuzt, dass er mit ehrlicher Arbeit nicht über die Runden kommt. Nach mehreren Versuchen, auf anständige Weise Geld zu verdienen, erliegt er kurzzeitig dem Nationalsozialismus und verkauft mit Hakenkreuz-Binde am Arm eine Propaganda-Zeitung. Diese Phase geht vorbei und es scheint bergauf zu gehen. Doch er gerät immer wieder an die Verbrecher Pums und Reinhold, die ihn letzten Endes in einen Raub verwickeln. Reinhold wirft Franz auf dem Rückweg aus dem Auto und Franz verliert einen Arm. Nachdem er sich erholt hat, lernt er seine künftige Geliebte Mieze kennen und sie führen eine Beziehung. Doch er bemerkt, dass er auch Reinhold liebt und beginnt wieder, mit der Verbrecher-Gruppe zusammenzuarbeiten. Reinhold hat sich zur Aufgabe gemacht, Franz' Leben endgültig zu zerstören und tötet schließlich Mieze. Franz wird des Mordes verdächtigt und eingesperrt. Dort verliert er den Verstand und wird endgültig seelisch gebrochen. Nach einigen Jahren kommt er als Unschuldiger wieder frei und beginnt ein neues Leben als gewöhnlicher Arbeiter.
Der Film Berlin Alexanderplatz von Burhan Qurbani spielt im Berlin der Gegenwart. Das Drehbuch basiert auf der Buchvorlage und erzählt die Geschichte von Francis, der als Geflüchteter nach Deutschland kommt und versucht, auf legalem Weg in Berlin Fuß zu fassen. Auf der Flucht kam seine Partnerin Ida ums Leben. In Berlin trifft er auf den Kriminellen Reinhold, der im Flüchtlingsheim für den Boss der Bande, Pums, Drogendealer anheuert. In Zusammenarbeit mit diesem gerät er in eine Spirale der Kriminalität, bis Reinhold ihn nach einem Raubüberfall aus dem Auto wirft und Francis einen Arm verliert. Im Anschluss kommt Francis bei seiner Freundin Eva unter und wird von der jungen Frau Mieze gepflegt. Mieze ist Prostituierte und geht diesem Beruf weiterhin nach, auch nachdem sie mit Francis zusammenkommt. Dieser wird zu ihrem Zuhälter und sie bauen sich ein Leben mit einem gewissen Wohlstand auf. Dann wird Mieze schwanger und will die Prostitution aufgeben. Doch Reinhold macht ihr anonym ein Angebot, das sie annimmt. Sie treffen sich und Mieze findet schnell heraus, dass es sich bei dem Freier um Reinhold handelt. Im Anschluss will Francis aus der Verbrechergruppe aussteigen und Reinhold bringt die hochschwangere Mieze dazu, noch ein letztes Mal mit ihm in den Wald zu fahren. Dort bringt er sie um. Francis wird daraufhin als Verdächtiger festgenommen. Im Gefängnis verzweifelt er nach einem missglückten Selbstmordversuch zunehmend und hört Stimmen aus seiner Vergangenheit. Der Film endet damit, dass Francis wieder auf freiem Fuß ist und Eva ihn mit seiner Tochter empfängt, die trotz des Mordes an der schwangeren Mieze gerettet werden konnte.
3.1.2 Vergleichbarkeit zwischen der Verfilmung und der Vorlage
Bei der Verfilmung handelt es sich nach der im theoretischen Teil dargelegten Einteilung um eine Transformation der Buchvorlage von Alfred Döblin. Der Film nutzt den Titel des Romans, übernimmt Schauplätze wie den Alexanderplatz oder den Wald in der Nähe von Berlin und weitere Motive der Vorlage. Auch die Namen einiger Figuren werden übernommen. Erzählerische Motive des Romans werden im Film aufgegriffen und in das filmische Zeichensystem übersetzt. So spricht Mieze in dem Film im Voice Over von der Hure Babylon und Hiob und erzählt immer wieder, dass Francis gut sein will. Diese Motive tauchen auch im Buch auf. Die Verfilmung basiert also eindeutig auf der Vorlage, woraus resultiert, dass sich die beiden Werke für einen detaillierten Vergleich eignen.
Auch wenn die Hauptfigur des Filmes, Francis, im Laufe der Verfilmung den Namen Franz annimmt, wird er im Folgenden zugunsten einer übersichtlicheren Darstellung Francis genannt, während Franz Biberkopf auf die Hauptfigur der Buchvorlage referiert.
3.1.3 Übersicht über weitere Verfilmungen
Der Roman Berlin Alexanderplatz wurde 1931 zum ersten Mal von dem Regisseur Piel Jutzi verfilmt. Diese Adaption ist die einzige, bei der der Buchautor Alfred Döblin am Drehbuch beteiligt war. Die zweite Verfilmung stammt von dem deutschen Regisseur Rainer Werner Fassbinder und wurde in Form eines Fernsehfilmes in 13 Teilen und Epilog umgesetzt. Die sehr ausführliche Verfilmung für das Fernsehen bekam damals sehr große, auch von Kontroversen begleitete Aufmerksamkeit. Heute gilt der Film international als eines der größten Werke von Rainer Werner Fassbinder und wurde zum Beispiel 2007 in New York ausgestellt.25
Die erste Verfilmung wird in dieser Arbeit keine Rolle spielen. Der TVFilm wird nur begrenzt vorkommen und dient einzig als inszenatorisches Vergleichsmittel zu der in dieser Arbeit untersuchten Verfilmung von 2020.
3.2 Die Darstellung der Großstadt in Berlin Alexanderplatz
Im Folgenden wird die Darstellung der Großstadt Berlin in dem Buch erarbeitet und im Anschluss die transformierte Darstellung im Film herausgearbeitet.
[...]
1 Vgl. L'reuvre cinématographique des frères Lumière aus dem Catalogue Lumiére https://catalogue-lumiere.com/faust-metamorphose-de-faust-et-apparition-de- marguerite/ (16.01.2021).
2 Eine Miniserie ist eine Art der Fernsehserie, die von Beginn an auf die Laufzeit von nur einer Staffel angelegt ist. Die Anzahl der Folgen ist dabei nicht festgelegt, das Drehbuch ist jedoch von Anfang an anders als bei der klassischen TV-Serie auf ein abschließendes Ende hin ausgerichtet.
3 Vgl. André Bazin: Was ist Kino? Bausteine zur Theorie des Films, M.DuMont Schauberg bei Köln, 1975, S. 59.
4 Vgl. Jasmin Luise Hermann: Literaturverfilmung und die Grammatik der Transformation - Über Erzählstrukturen, filmische Äquivalenzen und Intertextualität, Disserta bei Hamburg, 2015, S. 9.
5 James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der neuen Medien, hrsg. von Hans-Michael Bock, Rowohlt bei Hamburg, 2002, S. 45.
6 Vgl. ebd., S. 45.
7 Vgl. ebd., S. 45.
8 Vgl. Monaco 2002 (Anm. 5), S. 45, 46.
9 Irmela Schneider: Der verwandelte Text: Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung, hrsg. von Dieter Baacke, Wolfgang Gast, Erich Straßner, Max Niemeyer bei Tübingen, 1981, S. 113.
10 Matthias Hurst: Erzählsituationen in Literatur und Film: Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptationen, Niemeyer bei Thübingen, 1996, S. 50.
11 Vgl. Monaco 2002 (Anm. 5), S. 46.
12 Vgl. Hermann 2015 (Anm. 4), S. 11.
13 Robert Stam: Beyond Fidelity: The Dialogics of Adaptation, in: Film Adaptation von James Naremore, Rutgers University Press bei New Brunswick, 2000, S. 56.
14 Vgl. Most expensive film productions worldwide as of August 2019 auf Statista, https://www.statista.com/statistics/273416/most-expensive-film-productions- worldwide/ (17. 01.2021).
15 Vgl. Hermann 2015 (Anm. 4), S. 11.
16 Vgl. Kirsten von Hagen: Literaturverfilmungen, in: Handbuch Medien der Literatur, hrsg. von Natalie Binczek, Till Dembeck, Jörgen Schäfer, De Gruyter bei Berlin, 2013, S. 394.
17 Vgl. Charlotte Feldmann: Erzähltechniken in Literatur und Film - Medienspezifische Möglichkeiten und Grenzen. Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders (Patrick Süßkind/Tom Tykwer), Tectum bei Marburg, 2012, S. 21.
18 Martina Sölkner: Über die Literaturverfilmung und ihren künstlerischen Wert, in: Literatur im Film - Beispiele einer Medienbeziehung, hrsg. von Stefan Neuhaus, Königshausen & Neumann bei Würzburg, 2008, S. 61.
19 Vgl. Sölkner 2008 (Anm. 18), S. 60, 61.
20 Bilderbücher oder Comics werden in diesem Fall nicht berücksichtigt, sondern einzig das klassische Buch.
21 Vgl. Stam 2000 (Anm. 13), S. 59.
22 Vgl. Sölkner 2008 (Anm. 18), S. 58.
23 Vgl. Sölkner 2008 (Anm. 18), S. 59.; Vgl. Hermann 2015 (Anm. 4), S. 9,10.; Vgl. Michael Braun, Werner Kamp (Hrsg.): Kontext Film. Beiträge zu Film und Literatur, Erich Schmidt bei Berlin, 2006, Einleitung.
24 Vgl. Hagen 2013 (Anm. 16), S. 399.
25 Vgl. Ausstellung nun in New York auf n-tv.de, https://www.n-tv.de/archiv/ Ausstellung-nun-in-New-York-article238063.html (01.02.2021).