Geschichtswissenschaft in der DDR

3 Essays


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Formationentheorie in der Geschichtswissenschaft der DDR

2. Hellenische Poleis -Zu Anspruch und Resultat E. C. Welskopfs Großprojekt.

3. Propaganda oder Geschichtswissenschaft ? - Methodische Probleme bei der Analyse der Geschichtswissenschaft der DDR

1 Formationentheorie in der Geschichtswissenschaft der DDR

„Zum ersten Mal empfand ich klar die Logik der Weltgeschichte und konnte ich die dem Anscheine nach so widerspruchsvollen Erscheinungen der Entwicklung der Gesellschaft und der Ideen auf ihre materiellen Ursachen zurückführen.“[1]

Lafargue: Karl Marx. Persönliche Erinnerungen.

Die von Karl Marx in seinen ökonomischen Schriften dargelegte Theorie der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, die diese als einen auf sich wandelnden Produktions- und Besitzverhältnissen basierenden Prozess beschreibt, hat, wie die Geschichte des letzten Jahrhunderts zeigt, nicht nur in seinem Familienkreis Anhänger gefunden. In der DDR, die sich nicht erst seit 1968[2] als sozialistischer Staat verstand, und sich ihrem Selbstverständnis als Kulmination der von Marx entworfenen historischen Entwicklung sah, wurde die Marxsche Geschichtskonzeption zentraler Bezugspunkt historischer Reflexionen auch und v. a. in den neu auf- und umgebauten historischen Forschungs- und Lehreinrichtungen[3]. Der neu gegründete Staat DDR benötigte dringend eine wissenschaftlich-historische Legitimation für die Aufrichtung und „Vervollkommnung“[4] des Sozialismus in der DDR.

Mir geht es im folgenden um den bei Marx in Bezug auf die Alter Geschichte nur kurz skizzierten Begriff der Gesellschaftsformation, den ich hier kurz umreißen will, sowie seinen Fortbestand in der Geschichtswissenschaft in der DDR. Der Terminus beschreibt auf der Basis ökonomischer Überlegungen bestimmte Entwicklungsstufen der Produktion, der Produktionsverhältnisse und der auf ihnen gründenden gesellschaftlichen Realitäten[5], wobei Marx eine teleologischen Höherentwicklung unterstellt, die sich in einer Darstellung des Aufeinanderfolgens und Ablösens bzw. Überwindens einzelner dieser Formationen verdichtet. Ausgehend von der Stammesgesellschaft, die aufgrund ihrer ökonomischen Struktur (wenig Arbeitsteilung, niedrige Produktivität) kaum Klassengegensätze kennt und sich mit Niklas Luhmann gesprochen als segmentär differenzierte Gesellschaft definieren lässt, ist die erste der dargestellten Gesellschaftsformationen mit antagonistischen Klassengegensätzen die Sklavenhaltergesellschaft, in Luhmanns System als stratifikatorisch differenzierte Gesellschaft zu bezeichnen.Dieser folgen in chronologisch-progressiver Reihenfolge die Feudalgesellschaft und der Kapitalismus[6], in Luhmann-Terminologie eine Gesellschaft mit zunehmender funktionaler Ausdifferenzierung.[7]

Daneben steht die asiatische Produktionsweise, offenbar eine Hilfskonstruktion, die nach Marx die speziellen Phänomene des Wirtschaftens und Lebens im Asien der Vorzeit beschreibt und Aspekte von Despotismus und damit antagonistischen Klassengegensätzen kennt. Eine weitere Besonderheit dieses Typs ist seine Fortexistenz bis in die Zeit in der Marx lebte. Interessant an der Betrachtung dieser historischen Theorie mit Universalitätsanspruch ist, dass Marx‘ Darstellung weitestgehend auf Beobachtungen und Deutungen der aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und derjenigen der jüngeren Vergangenheit beruht. Die vorhergehenden Formationen, insbesondere die Sklavenhaltergesellschaft und ihre Produktions- und Lebensbedingungen, sind nur in Nebensätzen erwähnt, bilden also keinesfalls einen zentralen Forschungs- oder Betrachtungsgegenstand.

Damit tritt die Formationentheorie offensichtlich nicht als geschlossenes Theoriegebäude in Erscheinung, jeder Versuch ihrer Darstellung ist also nur ein mühsames Zusammensuchen weniger unzusammenhängender Äußerungen in den Schriften von Marx und Engels, sieht man vom „Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie“[8] einmal ab. Dort aber sind die Behauptungen über die älteren Formationen (Sklavenhaltergesellschaft, Asiatische Formation) nicht mit entsprechenden Quellenbelegen abgesichert. Alle weiteren Verweise auf das Konzept der Formationen bilden vielmehr die Folie, vor der die fortschreitende Steigerung der Produktion und der im Verständnis von Marx an sie gebundenen gesellschaftlichen Entwicklungen zu plausibilisieren sind, um schlussendlich die klassenlose Gesellschaft als kausal-logischen Zenit der menschlichen Entwicklung zu propagieren.

In ihr wäre die allen vorhergehenden Produktionsverhältnissen und Gesellschaftsformationen inhärente Logik von Ausbeutung der Produzenten und ihre Entfremdung von ihrem Produkt überwunden und der historische Prozess der Gesellschaftsformierung abgeschlossen[9]. Besonderes Charakteristikum dieser Kausalität der Abfolge ist nach Marx die am Ende jeder Entwicklungsstufe stehende jeweilige maximale Produktion dieser Formation, die sich durch die damit verbundene maximale Erweiterung des auf ihr basierenden juristischen und politischen Überbaus, gegen die Produzenten selbst richtet und zwangsläufig zu sozialen Revolutionen führen muss, in denen dann die nächste Formation erreicht wird.[10] Die letzte Stufe aber, die den Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus beschreibt, hat die Besonderheit, den allen vorherigen Formationen inhärenten Widerspruch zwischen den materiellen Produktivkräften und den vorhandenen Produktionsverhältnissen aufzuheben.[11]

Wie oben kurz skizziert sah sich die von der SMAD protegierte politische Führungsschicht in der DDR in der Tradition dieser Geschichtsauffassung, wenngleich der theoretische Aufbau von Marx Ökonomie in der Folge der russischen Revolution von 1917, die ja unerwarteterweise gerade nicht in einem der wirtschaftlich höchstentwickelten Staaten stattfand, einige Abänderungen und Erweiterungen in der sowjetischen Geschichtswissenschaft erfahren hatte. Deren Ergebnisse und Darstellungen wurden anfänglich aus Mangel an eigener Forschungstradition und auf ihr basierender Erkenntnisse schlichtweg übernommen. Der Beschluss des ZK der SED zur Geschichtswissenschaft[12] zeigt jedenfalls, dass diese als eine „scharfe ideologische Waffe“[13] aufgefasst wurde, und daher höchste Priorität besaß. In einer Rückschau v.a. auf die Defizite der eigenen Geschichtswissenschaft in der DDR wurde im ZK- Beschluss besonderer Wert auf die noch nicht ausreichende Fundierung der Wissenschaft auf die theoretischen Grundlagen des Marxismus-Leninismus gelegt, mit der „die deutsche Geschichtsschreibung einer neuen Blüte entgegenzuführen“[14] sei. Diese angedachte Basislegung fand ihren Niederschlag, wie Hans-Georg Wolf einleuchtend gezeigt hat, auch relativ zeitnah u.a. in der Schulpolitik[15], folgten doch die Lehrpläne einer durch die Formationentheorie strukturierten Logik und nicht den wissenschaftshistorisch gewachsenen Periodisierungen von Urgeschichte, Altgeschichte, Mittelalter und Neuzeit.

Eine weitere Folge der im ZK-Beschluss eingeforderten „selbständigen Anwendung der Theorie des Marxismus-Leninismus bei der Lösung historischer Probleme“[16] sind die mannigfaltigen Versuche der Füllung der in Marx‘ Entwicklungsmodell vorhandenen Lücken, ausgehend von im ZK-Beschluss benannten „objektive(n) Gesetze(n)“[17] der Geschichte. Gewinnbringend kann man dieses Ringen um die Deutungshoheit in der Alten Geschichte an der Publikationstätigkeit Rigobert Günthers[18] in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts abgelesen werden: Jede seiner Publikationen zur Alten Geschichte nach seinem Antritt der Aspirantur an der Karl-Marx-Universität Leipzig hatte ökonomische Inhalte zum Gegenstand oder beschäftigte sich mit Fragen der Sklavenhaltergesellschaft.[19]

Der als Habilitationsschrift abgelehnte „Diskussionsbeitrag“ zu den Produktionsverhältnissen im alten Orient und der Griechisch-römischen Antike[20] Elisabeth-Charlotte Welskopfs zeigt fast dieselbe Geschichtsauffassung: Geboten wird eine zwar ausufernde, aber wie Wilfried Nippel versucht hat nachzuzeichnen, selektiveMarx-Engels-Exegese, ohne selbst auf einen antiken Autor zu verweisen, wenn dieser nicht bei Marx oder Engels zitiert ist.[21]

[...]


[1] So die Wirkung von Marx‘ Theorie der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft auf seinen Schwiegersohn Paul Lafargue, die Marx ihm in ausgedehnten Gesprächen geschildert haben soll. Vgl. Paul Lafargue, „Karl Marx. Persönliche Erinnerungen.“, Die Neue Zeit 9/1 (1890).

[2] Vgl. Art.1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (06.04.1968), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ddr/verfddr1968.html, Stand: 24.05.2008. Hier ist der „marxistisch-leninistische“ Anspruch auch ausformuliert. Die Aspekte eines Selbstverständnisses als Staat mit veränderten Rechten der Produzenten, d.h. der Arbeiter und Angestellten lassen sich aber auch schon im ersten Verfassungsentwurf der SED, entstanden kurz nach Kriegsende, nachzeichnen. Vgl. hierzu z.B. Art. 17 des Entwurfs der SED für eine Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (14.11.1946), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ddr/1946/sed-verfassungsentwurf-ddr.html, Stand: : 24.06.2008.

[3] Zu Aufbau und Umbau der Wissenschaftslandschaft in der frühen DDR vgl. Heike Christina Mätzing, Geschichte im Zeichen des historischen Materialismus. Untersuchungen zu Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht in der DDR, Studien zur internationalen Schulbuchforschung 96, Hannover 1999, 66-101, sowie, mit einem zweifelhaften, aus den Quellen übernommen Vokabular, für die Betrachtung der Alten Geschichte in in der DDR aber zweckdienlich verengten Fokus brauchbar, Matthias Willing, Althistorische Forschung in der DDR. Eine wissenschaftsgeschichtliche Studie zur Entwicklung der Disziplin Alte Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Gegenwart (1945 - 1989), Historische Forschungen 45, Berlin 1991. v.a. 27ff.

[4] Vgl. Art.2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968 (Fußnote 2).

[5] Vgl. Karl Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, (Geschrieben August 1858 bis Januar 1859, Erstdruck 1859 bei Franz Duncker, Berlin), MEW 13, Berlin, 1961, 8: „Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen(…)“.

[6] Ibid., 9.

[7] Vgl. Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main, 1984.

[8] Ibid.

[9] Ibid.: „Mit dieser Gesellschaftsformation [d.h. den bürgerlichen Produktionsverhältnissen (A.d.V.)] schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab“.

[10] Ibid.: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um“.

[11] Vgl. Ibid. 8-9.

[12] Vgl. „Beschluß des Zentalkomitees der sozialistischen Einheitsparetei Deutschlands über Die Verbesserung der der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik“, ZfG 3 (1955), 507–527.

[13] Ibid. 507.

[14] Ibid. 510.

[15] Vgl. Hans-Georg Wolf, „Die Alte Geschichte im Geschichtsunterricht der SBZ/DDR und die Einführung der marxistischen Formationstheorie“. in: Isolde Stark (Hrsg), Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR. Beiträge der Konferenz vom 21. bis 23. November 2002 in Halle/Saale, Stuttgart, 2005, 126–133.

[16] Beschluß des ZK (Fußnote 7), 512.

[17] Ibid.

[18] Karl Peschel beschreibt in seinem Nachruf auf Günther dessen Lebensstationen und den akademischen Werdegang des DDR-Historikers. Vgl. Karl Peschel, „Rigobert Günther. (18.5.1928- 2.4.2000)“, Nachruf mit einer Bibliographie. in: Heinz Penzlin (Hrsg), Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Jahrbuch 1999–2000, Stuttgart, Leipzig, 2001, 435–446.

[19] Neben seiner Dissertation (Vgl. Rigobert Günther, Wirtschaft, Sklaverei, und Ständekampf im ältesten Rom, Dissertation, Leipzig 1957.) wären v.a. zu nennen: „Die Entstehung der Schuldsklaverei im ältesten Rom“, Acta Antiqua 7 (1959), 231–249; „Die Klasse der Sklaven und ihr Klassenkampf“, ZfG 9 (1960), 104–112. sowie „Etr. serve - lat. servus. Ein Deutungsversuch“, Acta Antiqua 8 (1960), 45– 50.

[20] Vgl. Elisabeth Charlotte Welskopf, Die Produktionsverhältnisse im Alten Orient und in der griechisch-römischen Antike. Ein Diskussionsbeitrag, Deutsche Akademie der Wissenschaften, Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft 5, Berlin 1957.

[21] Neben dem faktisch nicht vorhandenen Antike-Bezug, der sich in der eigenständigen Auseinandersetzung mit Quelle aus der Antike zeigen müsste kritisiert Nippel besonders die Mängel Welskopfs Darstellung anhand ihrer eher skizzenhaften Auseinandersetzung mit den neuen „Klassikern“ die Werke wie z.B. Engels‘ Über den Ursprung der Familie oder den Anti-Dühring. Vgl. Wilfried Nippel, „Wiedergelesen: Welskopfs ,,Produktionsverhältnisse im Alten Orient und in der griechisch-römischen Antike"“. in: Isolde Stark (Hrsg), Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR. Beiträge der Konferenz vom 21. bis 23. November 2002 in Halle/Saale, Stuttgart, 2005, 170–183. hier 172f.; sowie Friedrich Engels, „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“, Geschrieben September 1876 bis Juni 1878., MEW 20, Berlin, 1962, 1–303; und Ders., „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Im Anschluß an Lewis H. Morgans Forschungen“, Geschrieben Ende März bis 26. Mai 1884., MEW 21, Berlin, 1962, 25–173.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Geschichtswissenschaft in der DDR
Untertitel
3 Essays
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaft)
Veranstaltung
Die Alte Geschichte in der DDR
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V117800
ISBN (eBook)
9783640201266
ISBN (Buch)
9783640206476
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichtswissenschaft, Alte, Geschichte
Arbeit zitieren
Bob Göhler (Autor:in), 2008, Geschichtswissenschaft in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117800

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